Ein Pfarrhaus zum Verlieben - Anne-Kathrin Koppetsch - E-Book
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Ein Pfarrhaus zum Verlieben E-Book

Anne-Kathrin Koppetsch

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Beschreibung

Ein Dorf, eine Pastorin und Liebeschaos inklusive: Die Liebeskomödie »Ein Pfarrhaus zum Verlieben« von Anne-Kathrin Koppetsch jetzt als eBook bei dotbooks. Die junge Pastorin Sarah ist sicher, mit ihrem Tatendrang frischen Wind in jede Gemeinde zu bringen – doch dann landet sie ausgerechnet im Rothaargebirge, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen: Die alteingesessenen Gemeindeschäfchen sind wild entschlossen, auf keinem Fall dem Charme der »Neuen« zu erliegen. Da hilft es auch nicht, dass sich Sarah ausgerechnet in den smarten Philipp verliebt, Sohn einer angesehen Unternehmerfamilie – diesen Skandal kann sie wirklich nicht gebrauchen! Also wäre es besser, den begehrtesten Single der Gegend zu vergessen … doch das ist nicht so einfach, weil Sarah ihm auf Schritt und Tritt über den Weg läuft. Und natürlich sind die überaus neugierigen Dorfbewohner stets zur Stelle … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der heitere Feelgoodroman »Ein Pfarrhaus zum Verlieben« von Anne-Kathrin Koppetsch. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 384

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Über dieses Buch:

Die junge Pastorin Sarah ist sicher, mit ihrem Tatendrang frischen Wind in jede Gemeinde zu bringen – doch dann landet sie ausgerechnet im Rothaargebirge, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen: Die alteingesessenen Gemeindeschäfchen sind wild entschlossen, auf keinem Fall dem Charme der »Neuen« zu erliegen. Da hilft es auch nicht, dass sich Sarah ausgerechnet in den smarten Philipp verliebt, Sohn einer angesehen Unternehmerfamilie – diesen Skandal kann sie wirklich nicht gebrauchen! Also wäre es besser, den begehrtesten Single der Gegend zu vergessen … doch das ist nicht so einfach, weil Sarah ihm auf Schritt und Tritt über den Weg läuft. Und natürlich sind die überaus neugierigen Dorfbewohner stets zur Stelle …

Über die Autorin:

Anne-Kathrin Koppetsch wurde 1963 im Sauerland geboren. Die Lehr- und Wanderjahre ihres Theologiestudiums brachten sie von Münster über Tübingen, Heidelberg und Jerusalem schließlich nach Berlin. Nach einer Zwischenstation als Journalistin (u.a. für den Tagesspiegel und den Sender Freies Berlin) kehrte sie nach Nordrhein-Westfalen zurück und arbeitet heute als Pfarrerin in der Öffentlichkeitsarbeit in der evangelischen Gemeinde Dortmund.

Bei dotbooks veröffentlichte Anne-Kathrin Koppetsch auch ihre Cosy-Krimi-Reihe rund um die ermittelnde Pfarrerin Martha Gerlach:

»Der Tote im Keller«

»Die Sündenmeile«

»Der tote Kumpel«

***

eBook-Neuausgabe November 2021

Dieses Buch erschien bereits 2008 unter dem Titel »Der Himmel drückt ein Auge zu« bei Knaur.

Copyright © der Originalausgabe 2008 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Worldlover, Wizdata, Jones M, kzww

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-96655-397-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Anne-Kathrin Koppetsch

Ein Pfarrhaus zum Verlieben

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

»Maria, dich hat's auch erwischt«, entfuhr es Sarah. Den Gebirgskamm hatte ihr museumsreifer grasgrüner R 4 noch klaglos geschafft, die Kurven danach ebenfalls, auch wenn er bedenklich in Richtung Gegenfahrbahn abgedriftet und dabei dem bewaldeten Abhang recht nahe gekommen war. Das Rothaargebirge war eben eine Berglandschaft, wie der Name schon sagte. Nicht vergleichbar mit dem Münsterländer Flachland, durch das Sarah ihren Wagen bis vor drei Tagen gescheucht hatte. Sie würde in ihrer neuen Heimat als Erstes ihren Fahrstil ändern müssen. Der war einfach nicht mittelgebirgstauglich.

Nach der Kurve stotterte der Motor und soff ab. Sarah lenkte das Auto an die Seite. Da stand er nun zwischen Straße und Talhang und sprang nicht mehr an. Sie ließ ihn einige Meter die Straße hinabrollen und probierte ihn während der Fahrt zu starten, doch er muckste nicht.

Ein Blick auf die Tankuhr zeigte ihr, dass Benzinmangel nicht die Ursache für die Panne war. Schade, das wäre einfach zu beheben gewesen. Ein halbgefüllter Benzinkanister lag wie stets im Kofferraum, neben Sarahs überquellendem Rucksack, der Isomatte und dem Schlafsack. Den meisten Platz nahmen allerdings die Trommeln auf dem Rücksitz ein, ihr wertvollster Besitz. Genau genommen von etwa vierhundert Büchern abgesehen ihr einziger Besitz.

Sämtliche Möbel hatte sie in der gemeinsamen Wohnung mit ihrem Exfreund gelassen. Nicht, dass diese noch viel wert gewesen wären. Genauso wenig wie die Beziehung, die ihr Verfallsdatum schon längst überschritten hatte, bevor sie ihren Freund mit einer Bekannten im Bett erwischte.

Entschlossen zog Sarah die ausgeleierte Handbremse bis zum Anschlag hoch und hoffte, dass der Wagen auf der abschüssigen Landstraße nicht ins Rollen kommen würde. Vor der Windschutzscheibe baumelte ein Anhänger mit einer bunten Marienfigur, ein Mitbringsel von den Philippinen. Heiligenfiguren standen dort hoch im Kurs, und Sarah, die die Muttergottes schon als Kind zu ihrer Schutzpatronin erkoren hatte, war mit einem ganzen Sortiment von Bildchen und Anhängern von dem asiatischen Inselstaat zurückgekehrt.

Doch Maria äußerte sich nicht, und so musste Sarah sich selbst etwas einfallen lassen, zumal es Anfang März war und die Heizung ohne Motor nicht lief. Es wurde kühl auf dem Fahrersitz.

Vielleicht sollte sie den ADAC anrufen. Bevor sie sich jedoch darüber ärgern konnte, dass sie dort gar nicht Mitglied war, fiel ihr auf, dass außerdem der Akku ihres Handys leer war. Jetzt konnte wirklich nur noch Maria helfen. Oder ein Schutzengel, falls sich jemals einer auf diese Straße jenseits der Hauptverkehrsadern verirren würde. Sie öffnete die Fahrertür und stieg aus.

Hätte sie nicht so gefroren, hätte sie den Anblick der Waldlandschaft genossen. Es war ein schöner Tag, kühl, aber sonnig. Um kurz nach fünf Uhr erreichten die letzten Sonnenstrahlen die Anhöhe, auf der Sarah stand. Bald würde alles im Schatten liegen, und die Temperatur würde unter null Grad sinken.

Wald säumte die schmale Straße auf beiden Seiten. Die hohen Bäume versperrten die Sicht in das Tal. Zwischen Fichten und vereinzelten Birken lag noch Schnee. Der Winter dauerte hier länger als anderswo in tiefer gelegenen Regionen. Dafür entschädigte die frische, würzige Luft mit einem Hauch von Harz und feuchtem Waldboden. Sarah fühlte sich wie auf halbem Weg nach Sibirien. Hier sagten sich Fuchs und Hase gute Nacht.

Eigentlich war es wunderschön, wenn nur die Umstände anders gewesen wären. So jedoch dachte Sarah seufzend daran, dass es bis Schiefelsbach, ihrem Zielort, noch mindestens vier Kilometer waren. Oder sogar fünf. Da tröstete es sie auch nicht, dass es bis dorthin ausschließlich bergab ging. Sie wollte nichts riskieren. Vielleicht war ja nicht nur der Motor defekt, vielleicht streikten auch noch die Bremsen.

Schiefelsbach lag im Edertal, etwa sechs Kilometer vom Rothaarkamm entfernt, und, wie Sarah schätzte, mindestens hundertfünfzig Höhenmeter unter dem Örtchen Jagdhaus, das den Scheitel des Gebirges markierte.

Schiefelsbach – ihr neuer Wirkungsort, falls sie ihn denn jemals erreichen würde. Sie bibberte und zog den Reißverschluss ihres wattierten Anoraks bis zum Hals hoch.

Es war allerdings nicht Sarahs Art, lange Trübsal zu blasen. Getreu ihrem Lebensmotto, dass nichts so schlimm war, dass es nicht auch seine guten Seiten hatte, beschloss sie, das Problem auf ihre Weise anzugehen. Sie schob die Rückenlehne des Fahrersitzes nach vorne und zerrte ihre Lieblingstrommel aus dem Auto. Mit zwei Griffen befreite sie das Instrument aus seiner Tasche. Dann setzte sie sich wieder hinters Lenkrad und stellte die Beine auf die Straße. So hatte sie Platz für die Conga, die sie zwischen ihre Knie zog.

Sie begann zu trommeln, zunächst eine undefinierte Folge von Schlägen, aus der sich dann wie von selbst der Rhythmus des Kurubis entwickelte. »Rand-Rand-Tap-Bass-Rand-Rand-Bass-Tap«, schlug Sarah mit beiden Händen zunächst langsam, dann immer schneller. Der Groove des westafrikanischen Rhythmus ließ sie Kälte und Kummer vergessen. Gerade als sie so richtig schön in Schwung war, schoss ein Auto an ihr vorbei und rasierte beinahe die offene Fahrertür, bevor es nach etwa hundert Metern stehenblieb. Der Mann, der ausstieg, war groß, schlank und wütend. Als er näher kam, bemerkte Sarah, dass er kaum älter war als sie selbst. Also um die dreißig. Außerdem sah er gut aus mit seinem kurzen blonden Haar und der Lederjacke, auch wenn sein Gesicht in diesem Augenblick finster war.

»Was fällt Ihnen ein!«, herrschte er sie an.

Sarah war trotz allem erleichtert, einer Menschenseele zu begegnen. Er war ihr Retter in der Not, sie musste ihn nur noch davon überzeugen.

»Tut mir leid, Autopanne«, sagte sie mit ihrem sonnigsten Lächeln.

»Und deshalb müssen Sie sich hinter der Kurve mitten auf die Straße stellen und auch noch die Tür aufreißen«, bellte er. »Ich bin ins Schleudern gekommen und wäre beinahe den Abhang hinuntergefahren!«

»Sorry«, entschuldigte sich Sarah. »Ich hätte ja gerne die Tür auf der Beifahrerseite aufgemacht, aber da war kein Platz mehr. Der Hang, Sie wissen schon …«

Ihr Charme hätte einen Eisblock zum Tauen gebracht. Und tatsächlich, auf dem Gesicht des Mannes zeigte sich die Andeutung eines Lächelns.

»Was machen Sie denn da überhaupt? Ist das etwa eine Trommel?«, fragte er ungläubig und wies auf das fellbezogene Instrument.

Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe von einsdreiundsiebzig auf.

»Ich habe so gefroren, da habe ich mich mit Trommeln aufgewärmt«, gestand sie mit treuherzigem Blick.

Der Mann schien jetzt zu bemerken, dass die Frau vor ihm nicht nur bemitleidenswert, sondern auch äußerst attraktiv war mit ihren roten Locken und dem milchig weißen Teint. Selbst unter der dicken Jacke zeichneten sich gefällige Rundungen ab. Ihre Figur entsprach nicht dem aktuellen magersüchtig-knabenhaften Schönheitsideal, aber das machte sie nur umso reizvoller.

Er reichte ihr die Hand. »Latzel«, stellte er sich vor. »Philip Latzel.«

Sarah grinste. Sie wusste, dass sie gewonnen hatte.

»Thielke«, erwiderte sie. »Sarah Thielke. Ich bin die neue Pfarrerin von Schiefelsbach.«

Er musterte sie skeptisch. »Klar. Und ich bin der Bürgermeister.«

»Im Ernst?«

»Natürlich nicht. War nur Spaß.«

»Ich bin aber wirklich die neue Pfarrerin!«

»Und dann haben Sie eine Autopanne, noch bevor Sie angekommen sind? Das ist wahrlich Pech.« Seine tiefe Stimme klang mitfühlend. Er wies auf Sarahs Renault. »Aber das ist ja auch ein Gefährt aus dem vorigen Jahrhundert.«

»Noch schlimmer, aus dem vorigen Jahrtausend«, entgegnete Sarah.

Jetzt lachte er. »Jedenfalls haben Sie Humor. Den werden Sie in Schiefelsbach auch brauchen.«

»So schlimm?«

»Nein, aber ziemlich einsam für eine junge Frau.«

Sarah zuckte mit den Schultern. »Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Im Sauerland. Für mich ist das in Ordnung so.«

Da Philip Latzel weder etwas von Autos verstand noch ein Abschleppseil im Kofferraum hatte, nahm er Sarah kurzerhand in seinem eigenen Wagen mit.

»Sie sind aber doch evangelisch, oder?«, fragte er, nachdem sie auf dem Beifahrersitz seines Audis Platz genommen hatte.

»Natürlich. Katholische Pfarrerinnen gibt es noch nicht. Und mit dem jetzigen Papst wird das wohl auch nichts.«

Verstohlen musterte sie sein Profil – hohe Stirn, schmale, nicht zu große Nase, unter dem Kiefer fleischig. In fortgeschrittenem Alter würde er ein Doppelkinn sein Eigen nennen. Dafür war das Haar voll und dicht. Was sie sah, gefiel ihr. Außerdem klang seine Stimme warm und dunkel, vertrauenerweckend.

»Weiß ich doch«, entgegnete er. »Aber wenn Sie evangelisch sind, warum haben Sie dann eine Marienfigur an der Windschutzscheibe?«

»Na und? Maria war nicht katholisch.«

»Nicht?«

»Sie war Jüdin. So wie Jesus Jude war.«

Er schmunzelte. »Jetzt, wo Sie's sagen …«

Sie fuhren aus dem Wald hinaus. Rechts und links befanden sich Felder. Sanft öffnete sich die Landschaft und ließ den Blick frei auf ein Dorf weiter unten im Tal. Sie nahmen Kurs auf Schiefelsbach. Die letzten Sonnenstrahlen ließen die Felder golden schimmern und tauchten das Dorf in sanftes Spätnachmittagslicht.

»Ist das schön!«, sagte Sarah spontan.

»Schiefelsbach zeigt sich von seiner besten Seite. Extra für Sie«, bemerkte Philip charmant. »Wo darf ich Sie absetzen?« Das überlegte Sarah auch gerade. Frau Holtmeyer, die Küsterin, die ihr die Schlüssel für das Pfarrhaus aushändigen sollte, erwartete sie erst übermorgen. Das Pfarrhaus war leer und unmöbliert. Ohne den Schlafsack und die Isomatte, die in dem kaputten Auto lagen, würde sie nicht einmal eine Lagerstatt improvisieren können. Ob sich wohl jemand ihrer erbarmen und ein Gästebett bereitstellen würde? Die Küsterin hatte bei ihrer ersten Begegnung einen sehr netten Eindruck gemacht.

Sie seufzte. »Bringen Sie mich bitte zu Frau Holtmeyer, auch wenn sie noch gar nicht mit mir rechnet.«

Philip maß sie mit einem langen Blick. »Na gut, wenn Sie meinen.«

Ohne Vorwarnung fing der Wagen an zu rumpeln. Er drosselte das Tempo.

»Was ist los? Gibt Ihr Auto auch den Geist auf?«

»Nein, das ist das berühmt-berüchtigte Schlagloch in unserer Dorfstraße.«

»Aber Schiefelsbach ist doch ein Vorzeigedorf – Fachwerk, Schiefer, alles geputzt und gepflegt.«

»Für das Asphaltieren der Straße hat's anscheinend nicht mehr gereicht. Angeblich hat sich hier sogar mal eine Kuh die Haxen gebrochen.« Philip überholte schneidig einen Trecker mit Anhänger. Der strenge Geruch nach Gülle kroch durch den Lüftungsschlitz in den Wagen. Wieder rumpelte es. »Da braucht man gute Stoßdämpfer«, brüllte er.

Sarah dachte an Friedobert, ihren altersschwachen R 4, und fragte sich, wie der diese Tortur überleben sollte.

Mit einer akkuraten Vollbremsung hielt Sarahs Chauffeur vor dem Haus von Frau Holtmeyer. »Soll ich warten, ob jemand aufmacht?«

Sarah schüttelte den Kopf. »Sie haben schon so viel für mich getan. Vielen, vielen Dank.«

Er grinste. »Da nich für. Aber wenn Sie Lust haben, können wir mal zusammen essen gehen. Dann erzähle ich Ihnen ein bisschen was über Schiefelsbach.« Er reichte ihr seine Visitenkarte.

Sie blickte auf seine Hände – kein Ring. Doch das hatte heutzutage nicht mehr viel zu bedeuten. Besser, sie fragte. »Sie sind aber nicht verheiratet oder so?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich bin der Richtigen noch nicht begegnet«, erwiderte er ernst und sah ihr in die Augen.

Sarah senkte den Blick als Erste. »Noch mal danke«, sagte sie verlegen.

»Ach, und wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich an. Auch wenn irgendetwas mit der Unterkunft nicht klappt. Bei meiner Mutter im Haus ist auf jeden Fall ein Zimmer frei.«

Sarah sah ihm nach. Wohnte er etwa noch bei seinen Eltern? Irgendeinen Fehler hat jeder, dachte sie.

Sarah war von Natur aus optimistisch. Sie neigte dazu, das Gute im Menschen zu sehen und sich auch die schwierigen Seiten des Lebens »schön zu gucken«, wie ihre Mutter zu sagen pflegte. »Sarah sieht noch an jeder grauen Wolke einen silbernen Rand«, stellte sie fest, und das war nicht nur positiv gemeint.

Mit zwölf Jahren hatte Sarah für reichlich Gesprächsstoff in ihrem sauerländischen Heimatdorf gesorgt, als sie sich mit der Tochter einer alleinerziehenden Mutter angefreundet hatte. Das wäre eigentlich kein Problem gewesen, obwohl man sich mit einer solchen Lebensweise auf dem Dorf selbst in den achtziger Jahren schwertat. Doch zu allem Überfluss trank die Mutter, und die minderjährige Tochter tat es ihr nach. Den nötigen Stoff besorgte sie sich kostenfrei auf Beutezügen durch diverse Supermärkte. Keine Mutter hätte einen solchen Umgang gern gesehen. In Sarahs Fall war das Problem dadurch verschärft, dass sie als Pfarrerstochter mit ihrer Familie gewissermaßen auf dem Präsentierteller saß.

Sarah ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie lobte die Spontaneität und die direkte Art von Sonja und bekannte sich unbeirrt zu ihrer Freundin. Dass diese klaute und die Schule schwänzte, ignorierte sie. Sonja verschwand im Alter von fünfzehn Jahren für immer aus dem Dorf und aus Sarahs Leben. Sarah war am Boden zerstört. Ihre Mutter, insgeheim erleichtert über diese Entwicklung der Dinge, übernahm die Rolle der Trösterin.

Auch in späteren Jahren behielt Sarah ihre positive Einstellung zu den Menschen bei. Das führte dazu, dass ihre Freundschaften und Liebesbeziehungen mal mehr und mal weniger glücklich verliefen. Aktuelles Beispiel für ein wenig überzeugendes Resultat von Sarahs ungebremster Menschenliebe war die vor kurzem zerbrochene Beziehung zu Max. Auch bei ihm, der ungeniert auf ihre Kosten lebte und es mit der Treue nicht allzu genau nahm, hatte sie bis zuletzt an einen wertvollen Kern geglaubt. »Der arme Kerl mit seiner unglücklichen Kindheit«, hatte sie ihn verteidigt und musste sich gefallen lassen, dass ihre Freundin Gesine sie eine unverbesserliche Traumtänzerin nannte.

Sarah hatte sich geschworen, beim nächsten Mann besser aufzupassen. Kein arbeitsscheuer Schmarotzer, kein selbstverliebter Schönling und kein langjähriger Bewohner des »Hotel Mama« sollte sich je wieder in ihrem Leben breitmachen.

Max ließ sich in die Kategorien eins und zwei einordnen. Philip, so hoffte sie, würde sich nicht als Kandidat für Gruppe drei erweisen. Sie würde die Augen offen halten. Dieses Mal wollte sie nicht nur auf ihr allzu großes Herz hören, sondern auch ihren Verstand konsultieren.

»Ja, Frau Pastorin, mit Ihnen hab ich ja noch gar nicht gerechnet. Das Pfarrhaus ist noch nicht geputzt, gar nichts. Und wo sind Ihre Sachen? Im Auto?« Die kleine ältere Dame mit der Dauerwelle, Sarah schätzte sie auf Anfang sechzig, rang aufgeregt die Hände.

»Guten Abend, Frau Holtmeyer«, grüßte Sarah. »Das Auto ist liegengeblieben, und jetzt habe ich fast nichts dabei. Nur die Zahnbürste und Wäsche zum Wechseln.« Sarah setzte die Sporttasche ab, die sie als einziges Gepäckstück aus ihrem gestrandeten Gefährt mitgenommen hatte.

»Auch das noch! Ja, wo ist das denn passiert?«

»Auf der Landstraße über den Rothaarkamm. Kurz hinter Jagdhaus.«

»Und wie sind Sie dann hergekommen? Doch nicht etwa gelaufen?«

»Der Herr Latzel hat mich mitgenommen.«

»Latzel?«, fragte Frau Holtmeyer verwundert. »Der alte Latzel ist doch diese Woche auf der Baumesse.«

»Nein, der junge.«

»Philip oder Mark?«

»Philip«, sagte Sarah und konnte nicht verhindern, dass ein leichter Anflug von Röte über ihr Gesicht huschte. Philip hatte also einen Bruder namens Mark.

Frau Holtmeyer wechselte das Thema. »Und jetzt wird es schon dunkel. Da kann der Birkner heut auch nicht mehr nach dem Wagen schauen. Ja, was machen wir denn da?«

»Vielleicht erst mal überlegen, wo ich heute Nacht schlafen kann? Und morgen sehen wir weiter«, schlug Sarah vor. »Ich bin ziemlich müde.«

»Warum haben Sie denn nicht angerufen, dass Sie heut schon kommen? Dann hätt ich das Gästezimmer oben im Pfarrhaus hergerichtet.«

Sarah strich sich die Haare aus der Stirn. Sie hatte gar nicht daran gedacht, sich in Schiefelsbach zu melden. Ihr einziger Impuls war Flucht gewesen, nachdem sie ihren Teilzeitlebensgefährten Max mit Sabrina oder Natascha oder wie auch immer sie hieß überrascht hatte.

Nicht, dass es viel ausgemacht hätte. Mit Max, dem Mühseligen und Antriebsschwachen, war sie ohnehin fertig gewesen. Warum sie mit einem Studenten, der sein Studium abgebrochen hatte, Gelegenheitstaxifahrer und Möchtegernkünstler, der ihr auf der Tasche lag, so lange zusammengeblieben war, wusste sie selbst nicht. Vermutlich lag es an ihrem Helfersyndrom. »Dein kleines Helferlein«, wie ihre Schwester Lea gerne spottete.

Eine Auseinandersetzung mit Max war längst überfällig gewesen. Sie war nur morgens um drei nach ihrer Abschiedsparty zu müde und zu betrunken dafür gewesen. Den einzigen Kommentar, der ihr in diesem Zustand noch möglich war, hatte sie in Form einer übelriechenden Fontäne auf dem missbräuchlich genutzten Bett abgelassen. Nicht die schlechteste Reaktion, wenn sie an die angeekelten Gesichter von Max und Sabrina oder Natascha oder wie auch immer sie hieß dachte. Manchmal hatte Sarah kein Problem damit, sich danebenzubenehmen.

Den Rest der Nacht hatte sie dann bei ihrer Freundin Gesine verbracht. Gesine wollte sich auch um Sarahs Bücher kümmern, die noch in Max' Wohnung waren. Taktvollerweise verkniff sie sich Bemerkungen wie: »Ich habe es ja gleich gewusst!« und »Gut, dass du den Idioten los bist.«

Sicher war Max ein Idiot. Und trotzdem hatte Sarah an ihm gehangen, mit der ganzen Treue und Loyalität, die ihr eigen war, wenn sie sich an einen Menschen gebunden hatte.

Manche nannten es auch Sturheit.

Eigentlich wollte sich Sarah von dem Schrecken des unrühmlichen Beziehungsendes bei ihrer Mutter im Sauerland erholen, aber dort hatte sie sich fast zu Tode gelangweilt, zumal ihre beiden jüngeren Schwestern Lea und Rebecca nicht da waren. Lea studierte in Bochum, und Rebecca war nach Berlin gezogen.

Frau Holtmeyer hielt inzwischen den Schlüssel zum Pfarrhaus in der Hand.

»Dann wolln wir mal, Frau Pastorin!«

Das Gästezimmer war ungelüftet und kalt, aber wenigstens gab es eine Steckdose, mit deren Hilfe sie den Akku ihres Handys wieder aufladen konnte.

Erschöpft sank sie wenig später in einen tiefen Schlaf.

»Da würde ich keinen Cent mehr investieren!« Herr Birkner schüttelte den Kopf. »Den Motor hat's erwischt. Und selbst wenn ich Ihnen einen neuen einsetze, das Getriebe macht's auch nicht mehr lang, und die Reifen haben kein Profil mehr. Im Wittgensteiner Winter ist es oft glatt, wie wollen Sie denn da fahren?«

Wie zur Bestätigung fing es wieder an zu schneien. Der Himmel war anders als am Tag zuvor verhangen. Die Landschaft sah aus wie mit Puderzucker bestäubt.

Birkner musterte Sarah besorgt durch seine kleine Nickelbrille, Motoröl an den Händen. Die Erste-Hilfe-Maßnahmen für Sarahs Auto waren fehlgeschlagen, sämtliche Wiederbelebungsversuche gescheitert. Exitus.

»Der TÜV ist fast abgelaufen. Der ist reif für den Schrottplatz«, sprach Birkner das endgültige Todesurteil.

Sarah schluckte. Seit zehn Jahren besaß sie diesen R 4 nun, gebrauch t gekauft und von Max – ja, dazu war er gut gewesen – immer wieder zusammengeflickt. Sie legte ihre Hand auf das grasgrüne Blechdach. »Adieu, Friedobert«, sagte sie traurig. »Ich kann Ihnen einen anderen Wagen besorgen«, bot Birkner an. »Was Solides. Einen Golf, wenig gefahren. Nur neuntausend Euro.«

Es gab also noch einen Grund, traurig zu sein, außer dem, dass Friedobert in die ewigen Jagdgründe eingehen würde – akuter Finanzmangel.

Sarah, die von einer schicken, robusten Wohnungseinrichtung irgendwo zwischen Hülsta und Team 7 geträumt hatte, sah sich im Geist wieder hinter billigen Gardinen sitzen, umgeben von Regalen, die Ivar oder Billy hießen, und auf einem wackligen schmiedeeisernen Bettgestell namens Oresund schlafen. In Siegen gab es seit kurzem einen IKEA, hatte sie sich sagen lassen.

Wie Philip Latzels Einrichtung wohl aussah?

»Gehen auch Ratenzahlungen?«, erkundigte sie sich vorsichtig.

»Darüber lässt sich reden«, brummelte Birkner.

Sarah überlegte, was nun mit Friedobert zu tun sei. »Können Sie ihn jetzt gleich abschleppen?«

Birkner kratzte sich am spärlich bewachsenen Hinterkopf. »Runter ging's schon, theoretisch, aber sind Sie sicher, dass die Bremsen funktionieren? Dann wird's nämlich gefährlich, nur mit'm Seil. Besser, ich komm noch mal mit dem Abschleppwagen.« Als er Sarahs betretenen Blick sah, fügte er hinzu: »Wenn Sie 'nen Neuen bei mir kaufen, geht das aufs Haus.«

Mit Birkners Hilfe lud Sarah ihren Rucksack und die Trommeln auf die Ladefläche des Kombi um, mit dem sie hergekommen waren. Zum Schluss nahm sie die kleine Marienfigur von der Windschutzscheibe ab. »Dich hat's auch erwischt, Maria«, sagte sie leise.

Verstohlen winkte Sarah ihrem langjährigen Gefährt nach, als sie auf dem Beifahrersitz von Birkners Kombi Platz genommen hatte. »Bye-bye, Friedobert.« Im Autoradio sang Sting gerade ein trauriges Lied. Gewissermaßen das Requiem auf Friedobert.

Kapitel 2

Im Kreis ihrer Kolleginnen und Kollegen bildete Sarah eine Ausnahme. Die anderen setzten alles daran, nach abgeschlossener Ausbildung in der Stadt zu bleiben, in welcher auch immer.

Münster stand hoch im Kurs. Die Stadt hatte mehr zu bieten als einen Dom, eine katholische Bevölkerung und die Lambertikirche, an der in den außen angebrachten Käfigen angeblich noch die Knochen der Wiedertäufer zu sehen waren. Kneipen im Kreuzviertel, in denen Altbier-Bowle ausgeschenkt wurde, Szene-Cafés mit studentischer Bedienung, knarrenden Holzbohlen und ungeputzten Fensterscheiben, vor denen widerstandsfähige Blattpflanzen vor sich hin welkten, zogen noch die Anfangdreißiger magisch an. Sonntags tourte man mit dem Rad um den Aasee. Und wenn sich in Münster so gar keine Stelle fand, dann wählte man das Ruhrgebiet. Bochum mit den vielen Gaststätten im Bermuda-Dreieck und dem hochgelobten Schauspielhaus zum Beispiel. Nicht zu verachten war auch die Westfalenmetropole Dortmund, vorausgesetzt, man landete im Umfeld des Kreuzviertels mit seinen Jugendstilhäusern. Abends ging man dann ins Cabaret Queue oder in das Fletch Bizzel. Selbst die lange vernachlässigte Nordstadt hatte in den letzten Jahren gewonnen – das Roto-Theater in einem Hinterhof beispielsweise, in dem in der Pause Tomatensuppe serviert wurde. Neuerdings gab es sogar eine Strandkneipe im Hafen. Darüber waren die Meinungen allerdings geteilt.

Notfalls ging man nach Bielefeld. Aber wer meldete sich schon freiwillig für das Sauerland oder, Gott bewahre, das Siegerland? Dorthin verschlug es allenfalls die konservativen männlichen Kollegen, die schon mit pastoralem Habitus zur Welt gekommen waren und die noch in der Ausbildung mit der Familiengründung begonnen hatten. Das Wittgensteiner Land, in dem Sarah gelandet war, lag so weitab, dass niemand es auch nur im Traum in Erwägung zog.

»In zwei Jahren bist du wieder hier, spätestens«, lautete einer der sarkastischen kollegialen Kommentare.

Doch Sarah hatte sich bei ihrem Vorstellungsgespräch in die raue Landschaft des Rothaargebirges verliebt. Es war ein Wintertag wie aus dem Bilderbuch gewesen – fast schon kitschig –, blauer Himmel, kristallklarer reflektierender Schnee, knackige frische Kälte, die den Atem sichtbar machte, schneebedeckte Fichten. Der altersschwache Friedobert war witterungsbedingt zu Hause geblieben, und die Rothaarbahn hatte sie in gemächlichem Tempo an der Eder entlang durch kleine Dörfer mit schiefergedeckten Dächern gefahren. Dazwischen lagen Felder und Wälder. Das Szenario erinnerte sie an ihre Kindheit im Sauerland.

Sonntagnachmittags war sie mit ihren Eltern und ihren Schwestern durch bunte Mischwälder und über weite Felder spazieren gegangen. Im Herbst leuchteten die Bäume rot und gelb, der Boden war mit Kastanien bedeckt, und sie ließen selbstgebastelte Drachen steigen. Im Sommer roch es nach Heu, und am Waldrand ästen die Rehe. Später im Jahr gingen sie Himbeeren pflücken, die wild wuchsen und so aromatisch schmeckten, wie Sarah seitdem keine mehr gegessen hatte. Mit dem Sonnenaufgang zogen sie los und kehrten vormittags zurück, mit zerstochenen Armen trotz langärmliger Blusen und Shirts. Ihr Vater begleitete sie, sooft er konnte.

Ihre Mutter kochte die Himbeeren und passierte sie anschließend durch ein Baumwolltuch. Der duftende Saft tropfte in eine Auffangschale und durchtränkte den weißen Stoff, so dass er aussah wie ein Verband, der eine stark blutende Wunde bedeckt hatte. Dieser Anblick faszinierte Sarah immer wieder.

Im Tuch zurück blieben matschige Reste, die nach nichts schmeckten und auf dem Kompost landeten. Den Saft dickte Sarahs Mutter mit Gelierzucker an, kochte ihn erneut auf und füllte ihn als Gelee in ausrangierte Gurkengläser. Im Winter aßen sie ihn samstags und sonntags auf Brötchen oder geröstetem Weißbrot, dick mit Butter bestrichen, und freuten sich auf den nächsten Sommer.

Die Kollegen spotteten, als sie hörten, dass Sarah in das Rothaargebirge ziehen würde, nach »Schnee-Wittgenstein« hinter den sieben Bergen. Sarah störte das nicht. Sie wollte eine Familie gründen, und ihre Kinder sollten im Wald spielen und über die Felder laufen und nicht glauben, dass Kühe lila und Enten gelb sind.

Sarahs neues Heimatdorf sah anders aus als der Ort, in dem sie aufgewachsen war. Zwar hatten auch ihr Dorf Einfamilienhäuser mit Vorgärten geprägt, doch es fehlte das viele Fachwerk. Die Dächer waren mit Ziegeln anstatt mit Schiefer gedeckt, die Bauernhöfe hatten weiter außerhalb gelegen und nicht mitten im Ort.

Hier in Schiefelsbach kam ihr alles viel idyllischer vor – die Landwirtschaft zwischen den Wohnhäusern, die dunklen Balken zwischen den weißgetünchten Wänden. Einige enthielten Inschriften: »Es lebt kein Mann auf dieser Welt, der bauen kann, wie es einem jeden gefällt«, entzifferte sie. Aha. Dieser Spruch stammte anscheinend noch aus der präfeministischen Ära im vorvergangenen Jahrhundert. Oder würde man ein solches Zitat hier im ländlichen Raum heute noch anbringen?

Den weiteren Tag nutzte Sarah, um sich im Dorf umzusehen. Da gab es allerdings nicht viel zu erkunden, denn Schiefelsbach war nicht groß. Den Ortskern konnte sie nicht leicht ausmachen. Am ehesten ließ sich noch eine Kreuzung im unteren Teil so bezeichnen. Dort traf die Straße, die von Jagdhaus auf dem Rothaarkamm hinunter zur Eder führte, auf ein Sträßchen, das Schiefelsbach mit zwei kleineren Dörfern verband. Auch sie gehörten zu Sarahs Kirchengemeinde.

An dieser Kreuzung befand sich auch die Einkaufsmeile. Sarah hatte einen kombinierten Schreibwaren-, Zeitschriften- und Tabakladen entdeckt, einen Schlecker-Drogeriemarkt, einen Imbiss und eine Sparkassenfiliale. Kurioserweise gab es um die Ecke sogar ein kleines Handarbeitsgeschäft. Ein Lebensmittelmarkt war allerdings nicht in Sicht.

Die Kirche lag von hier aus gesehen hangwärts, jedoch nicht an der Dorfstraße. Sie war vom Zentrum aus am direktesten zu Fuß über eine schmale Gasse zu erreichen. Der Weg führte am Pfarrhaus vorbei, das unterhalb der Kirche stand. Das Gemeindehaus befand sich auf Höhe der Kirche. Wer mit dem Auto vorfahren wollte, musste den Gebäudekomplex von oben ansteuern. Und dort an der Straße waren auch die Parkplätze angelegt.

Die Grundmauern der Kirche stammten aus gotischer Zeit, und so stand sie unter Denkmalschutz. Der untere Teil war weiß verputzt, das heruntergezogene Dach und der Turm mit Schiefer verklinkert. Innen bot sie rund zweihundertfünfzig Leuten Platz, inklusive der Sitzplätze auf der schmalen, wackligen Holzempore.

Auch der Innenraum war weiß verputzt und äußerst schlicht gehalten. Ein großes Kreuz links hinter dem Altar war der einzige Schmuck. Die grau gestrichenen Bänke standen eng hintereinander. Die Kirche vermittelte ein Gefühl von Geborgenheit und Hineingenommensein in eine lange Tradition.

Das Pfarrhaus hatte zu Sarahs Leidwesen nicht den gleichen Charme. Es war im nüchternen Stil der siebziger Jahre erbaut, ebenso wie das Gemeindehaus mit dem Jugendkeller. Und dennoch lösten sie in ihr heimatliche Gefühle aus. Hatte nicht ihr Vater, ebenfalls Pfarrer, den Konfirmandenunterricht in einem ähnlichen Bau erteilt? Und das Haus, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, war vom gleichen Zuschnitt gewesen. Die Turmglocke schlug die volle Stunde. Hell erklangen zunächst vier Schläge, dann, etwas dunkler, zeigten drei Schläge die Uhrzeit an.

Frau Holtmeyer wohnte unterhalb der Kreuzung im Ortskern. Sie hatte die Schlüsselgewalt über Kirche, Gemeindehaus und Pfarrhaus. Auch ihr Haus war nur rund hundertfünfzig Meter von der Kirche entfernt. Die Wege waren nicht weit in Schiefelsbach, und die Küsterin schien das weidlich zu nutzen, indem sie schon zum zweiten Mal an diesem Tag unangemeldet bei Sarah klingelte.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie beflissen. »So ein großes Haus für so eine junge Frau. Und so leer!« Tatsächlich verfügte das Pfarrhaus neben diversen nicht eingerichteten Räumen über eine trübselig stimmende ockerfarbene Einbauküche, die wohl noch von den Vorvorgängern stammte. Sarah war trotzdem froh, dass sie weder Geld investieren noch im Do-it-yourself-Verfahren schwedisches Furnierholz zusammenschrauben musste.

Im Amtszimmer standen Regale und ein Schreibtisch. Allerdings war der Teppich alt und abgetreten, und Sarah würde nicht umhinkommen, sich in absehbarer Zeit einen neuen anzuschaffen.

In dem großen Raum mit der Durchreiche zur Küche, offensichtlich als kombiniertes Wohn-/Esszimmer gedacht, lag Parkett Marke Baumarkt.

Sarah stellte ihre Musikinstrumente in Reih und Glied vor dem Fenster auf. Die Tumba platzierte sie links, die beiden Congas in der Mitte und die heller klingenden schlankeren Quintos rechts. Daneben stellte sie ihre Percussion-Kiste mit Klanghölzern, Rasseln und allem, was Musik und Krach machte.

»Ja, was haben Sie denn mit all den Trommeln vor?«, fragte Frau Holtmeyer neugierig.

»Spielen«, antwortete Sarah lakonisch.

»Aber doch nicht alle gleichzeitig!«, sagte die Küsterin entsetzt. »Das macht ja vielleicht einen Lärm!«

Sarah verzichtete darauf, Frau Holtmeyer eine Lektion über Musik im Allgemeinen und die musikpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Besonderen zu erteilen. Sie würde schon noch früh genug merken, wofür die Percussion-Instrumente benötigt wurden, spätestens, wenn sonntags der Organist ausfiel und niemand in der Lage war, Gitarre zu spielen. Sie hatte schon mehr als einmal einen lahmen Gemeindegesang in Schwung gebracht.

Eine Glastür führte vom Wohnzimmer nach draußen auf die Terrasse. Sicher ein schönes Plätzchen im Sommer, doch jetzt im Winter wirkten die Betonplatten vor dem Fenster grau und trist, zumal keine Sitzmöbel aufgestellt waren. Außerdem fragte Sarah sich, ob sie den Aufenthalt im Freien wirklich würde genießen können. Der Pfad zur Kirche führte direkt an der Terrasse vorbei, und es gab nicht einmal eine Hecke dazwischen, nur einen halbhohen, keineswegs blickdichten Zaun.

»Der alte Pastor hat hier im Sommer immer abends gesessen und Pfeife geraucht. Und dann kamen die Männer, die von den Frauen im Gesprächskreis, und haben sich dazugesetzt«, bestätigte Frau Holtmeyer Sarahs schlimmste Befürchtungen. »Die Frau Pastor hat den Abendkreis geleitet.«

Die Pfarrhausterrasse war also das Kommunikationszentrum der Gemeinde. Sarah verabschiedete sich von der Vorstellung, im Pfarrgarten ungestört ein Sonnenbad nehmen und ein Buch lesen zu können. Schon gar nicht im Badeanzug oder im Bikini, falls sie sich jemals trauen würde, einen zu tragen. Adieu, Intimsphäre.

»Und Sonntagnachmittags, wenn die Frau Pastor Kuchen gebacken hatte, kam das ganze Dorf vorbei. Da oben rauf geht es in die Felder. Da geht man dann spazieren mit der ganzen Familie.« Frau Holtmeyers kurzsichtiger Blick richtete sich direkt auf Sarahs Gesicht. »Sie sind nicht verheiratet, oder?«

»Nein«, antwortete Sarah.

»Und einen … wie sagt man, Lebensgefährten haben Sie auch nicht?«

Sarah schüttelte den Kopf. Sie konnte sich schon denken, welche neue Lebensaufgabe die Küsterin in Angriff nehmen würde. Wahrscheinlich gäbe es demnächst eine Junggesellenversteigerung zugunsten alleinstehender Pfarrerinnen, die unter sexuellem und sozialem Notstand litten. Und nach erfolgreichem Abschluss der Verkuppelungsaktion würde Frau Holtmeyer mit einem Fernglas in der Hand vor dem Schlafzimmerfenster applaudieren.

»Gibt es eigentlich einen Supermarkt in Schiefelsbach?«, wollte Sarah wissen, der allmählich der Magen knurrte.

»Unten an der Kreuzung«, antwortete Frau Holtmeyer.

»Wo denn? Ich habe nur den Schlecker und die Sparkasse gesehen.«

»Sie gehen geradeaus in Richtung Ederauen, und dann biegen sie an der nächsten Ecke nach rechts ab. Kann man nicht verfehlen. Ein Schuster ist da auch noch, falls Sie mal 'nen schiefen Absatz haben.«

»Gut zu wissen.«

»Aber Sie können jetzt nicht einkaufen gehen.«

»Warum nicht?«

»Weil der Herr Kulow gleich kommt. Ich hab ihm gesagt, dass Sie schon da sind.«

Herr Kulow war Mitglied im Presbyterium der Kirchengemeinde, dem Leitungsgremium.

Er war mit dafür verantwortlich, dass Sarah eingestellt worden war. In gewisser Hinsicht war er ihr Chef. Sie konnte ihn nicht versetzen.

Von klein auf lebte Sarah mit dem Gefühl, dass sie etwas Besonderes war, jemand, der von seiner Umgebung wahrgenommen wurde. Nicht, dass sie es darauf anlegte. Sie hätte selbst nicht sagen können, was dieses Besondere ausmachte. Sie war weder außergewöhnlich schön, auch wenn sie gewiss nicht hässlich war, noch bemühte sie sich, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. In aller Bescheidenheit freute sie sich darüber, dass die Menschen ihr im Allgemeinen entgegenkamen und ihr meist wohlgesonnen waren.

Ihre Freundin Gesine hatte das Phänomen so zu beschreiben versucht: »Du kommst in den Raum, und du bist einfach da. Man spürt dich. Du hast Ausstrahlung. Du verbreitest Wärme.« Sarah vermochte nicht zu beurteilen, ob das stimmte. War es ihre Präsenz, die so anziehend auf die Umwelt wirkte? »Und du kannst zuhören. Du interessierst dich für andere«, fügte Gesine hinzu.

Allerdings blieben die Menschen ihr auf lange Sicht nicht immer gewogen, leider. Auch dafür hatte Gesine eine Erklärung: »Was du dir in den Kopf gesetzt hast, das hast du dir in den Kopf gesetzt. Das setzt du durch, wenn es sein muss gegen den Rest der Welt.«

Da mochte etwas dran sein. »Ich habe eben Ideale und hänge mein Fähnlein nicht in den Wind«, sagte Sarah dann nicht ohne Stolz.

»Ja, schon, aber es muss ja nicht mit dem Holzhammer sein«, konterte Gesine.

Meist genoss Sarah ihre Besonderheit, diese Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen, doch manchmal wurde ihr die Aufmerksamkeit auch zu viel. Und im Moment fühlte sie sich erschöpft und erschlagen von all den neuen Eindrücken. Sie sah sich weder in der Lage zu bezaubern, noch empfand sie sich als stark genug, es mit dem Rest der Welt aufzunehmen. Sie hatte überhaupt keine Lust, irgendwen zu treffen, und sei es der Kirchmeister. Doch Kulow wartete bereits im Gemeindehaus auf sie.

Sarah zwang sich zu einem Lächeln und trat auf ihn zu.

Seine Miene hellte sich auf, und er lächelte zurück. Dann erhob er sich und begrüßte sie förmlicher, als sie seinem Gesichtsausdruck nach vermutet hätte.

»Herzlich willkommen in Schiefelsbach, Frau Thielke«, sagte er, schüttelte Sarahs Hand und deutete eine Verbeugung an. »Schön, dass Sie da sind.«

Sarah überragte den unscheinbaren glatzköpfigen Mann um Haupteslänge. Er war als Kirchmeister für die Finanzen der Gemeinde zuständig. Vor seiner Frühpensionierung hatte er die Sparkassenfiliale am Ort geleitet, wie sie bei ihrem Bewerbungsgespräch erfahren hatte.

Sie nahmen an dem Tisch im kleinen Gemeindesaal Platz. »Tee, Herr Kulow?«, erkundigte sich Frau Holtmeyer eilfertig. »Oder lieber Kaffee? Und Sie, Frau Pastorin?«

Nachdem die Küsterin in der Küche verschwunden war, schwiegen sich Sarah und der Kirchmeister an.

Dann räusperte Kulow sich. »Sind Sie gut angekommen, Frau Thielke?«

»Ja«, log Sarah. Sie sah keinen Grund, ihm ihr Herz auszuschütten und von ihrer Panne zu berichten.

»Das freut mich. Ist im Pfarrhaus alles in Ordnung?«

Sie nickte. »Ich muss mich allerdings noch einrichten.«

»Lassen Sie sich ruhig Zeit damit. Eine Bitte hätte ich allerdings schon an Sie. Könnten Sie morgen Abend die Passionsandacht in der Kirche übernehmen, wenn Sie schon mal hier sind?«

Mit Schrecken dachte Sarah daran, dass ihre Bibel bei Max im Bücherregal einstaubte und ihre Amtsrobe, der schwarze Talar, bei ihrer Mutter im Kleiderschrank hing. Und aus Schiefelsbach kam sie nicht weg, weil sie kein Auto hatte.

Einen Bahnhof gab es im Nachbardorf zwei Kilometer entfernt. Mit der Rothaarbahn fuhr man zwanzig Minuten nach Bad Berleburg und von dort eineinhalb Stunden nach Siegen. Nach weiteren anderthalb Stunden wäre sie im Sauerland. Hin und zurück ergab das eine knappe Weltreise, unmöglich bis zum morgigen Nachmittag zu bewältigen.

»Natürlich mache ich das. Sehr gerne«, antwortete sie lahm.

Eine Bibel würde sie eben kurzfristig organisieren müssen. Jetzt war Flexibilität gefragt. Wozu hatte sie früher in der Schule nie ihre Hausaufgaben gemacht? Vermutlich, um improvisieren zu lernen. Vielleicht führte der kleine Schreibwarenladen an der Kreuzung religiöses Schrifttum. Sie würde sich heimlich im Dunkeln, am besten maskiert, in das Geschäft schleichen. Man stelle sich vor, eine Pfarrerin, die in einem Schreibwarenladen nach einer Bibel fragt! Was für eine Lachnummer. Nein, da würde sie sich schon etwas anderes einfallen lassen müssen.

»Sehr schön, Frau Thielke. Herzlichen Dank. Die Lieder geben Sie dann am besten so schnell wie möglich dem Organisten.«

Ein Gesangbuch hatte sie natürlich erst recht nicht. Just in dem Moment, als Frau Holtmeyer Tee und Kekse servierte, fiel ihr ein, dass in der Kirche ja wohl eine Bibel ausliegen würde. Und da wären auch jede Menge Gesangbücher, aus denen sie die entsprechenden Lieder aussuchen konnte. Ob wohl gar noch ein alter, ausgedienter Talar am Haken in der Sakristei hing? Sie würde das bei Gelegenheit überprüfen. Sie war gerettet.

Kurz bevor ihr Magen zu knurren beginnen konnte, schob sie sich zwei der trockenen Kekse in den Mund. Auch in Schiefelsbach gab es also die gewisse Sorte Gebäck, die für gewöhnlich in Kirchengemeinden angeboten wurde. Es war wie überall, hier konnte man es aushalten.

»Schön. Ich freue mich.« Sie strahlte Kulow an, und dieses Mal meinte sie es fast ehrlich.

Kapitel 3

Die Uhr auf dem Handy zeigte siebzehn Uhr dreiundzwanzig an. Höchste Zeit, einkaufen zu gehen. Oder sollte sie doch lieber Pommes mit Wurst beim Imbiss am Markt erstehen? Ob es wohl ein Pizza-Taxi in Schiefelsbach gab? Am allerliebsten hätte sie allerdings Philip Latzel angerufen und sich mit ihm zum Essen verabredet.

Sarah seufzte. Als Frau sollte sie besser warten, bis der Mann sich meldete. So wollten es die Regeln, auch wenn sie sie bescheuert fand. Dieses Mal wollte sie allerdings nichts falsch machen. Aber er hatte ja gar nicht ihre Handynummer, und das Festnetztelefon war noch nicht angeschlossen. Er konnte sie also gar nicht anrufen.

Ihr Magen knurrte schon wieder. Sie entschied sich, den Supermarkt aufzusuchen und für das Überlebensnotwendige zu sorgen.

Dort angekommen, steckte sie schlechtgelaunt einen Euro in den Einkaufswagen und schob das Drahtgefährt vor sich her. Dann erblickte sie ihn vor der Tiefkühltruhe. Manchmal hatte eine Kleinstadt doch Vorteile. In Münster hätte es Wochen gedauert, bis man sich zufällig über den Weg gelaufen wäre, wenn überhaupt – in Schiefelsbach nur einen Tag.

Philip war vollauf damit beschäftigt, das Angebot an Pizzen zu studieren, als Sarah sich von hinten näherte. Ein Blick auf die Waren, die er bereits in seinem Vehikel gestapelt hatte, überzeugte sie davon, dass er wirklich Single war. Da lag Lasagne in trauter Eintracht mit Fischstäbchen und Tiefkühlgemüse. Er wohnte offensichtlich doch nicht bei seinen Eltern, oder zumindest führte er einen eigenen Haushalt. Das hier sah nach der Wochenration für den kochfaulen Junggesellen aus.

Sarah war erleichtert. Kein Kandidat für Kategorie drei also, Mitbewohner im »Hotel Mama«.

Sie stellte sich neben ihn und sagte wenig einfallsreich: »Guten Abend, Herr Latzel. Auch am Einkaufen?«

Er fuhr hoch: »Oh, hallo, Frau Pfarrerin!«

»So sieht man sich wieder«, setzte Sarah die überaus geistreiche Konversation fort und versuchte ihre Begeisterung hinter einem zurückhaltenden Lächeln zu verbergen. In Wirklichkeit strahlte sie wahrscheinlich wie eine Osram-Birne kurz vor dem Overkill.

»Kaufen Sie auch fürs Abendbrot ein?«, fragte er, ihr an Phantasielosigkeit in nichts nachstehend. In ihrem Wagen lagen Tomaten, Brot, Käse, Äpfel und eine Dose Würstchen. Der Wein war zum Glück noch nicht drin, die alkoholischen Getränke gab es vor der Kasse. Sie wollte schließlich einen guten Eindruck machen und nicht als Säuferin dastehen.

»Ja. Mal sehen, ob in meiner Küche alles funktioniert«, erwiderte sie.

»Haben Sie eine Mikrowelle? Dann könnte ich die Lasagne empfehlen.« Er wies auf die Tiefkühlpackungen in seinem Einkaufswagen.

Sarah schüttelte den Kopf. »Ich hab nicht einmal einen Tisch, an den ich mich setzen könnte. Das Haus ist völlig leer, abgesehen von der Einbauküche. Und kalt.«

»Wie ungemütlich.«

Er zögerte einen Moment.

Komm, mach schon, dachte Sarah. Die Vorlage war doch perfekt.

Und tatsächlich, Philip lächelte charmant und sagte: »Wenn das so ist, dann machen Sie vielleicht Ihr Versprechen, mit mir essen zu gehen, heute Abend schon wahr?«

Na also. Geht doch. Sie blickte zur Seite, damit er ihr Grinsen nicht sah.

»Ja, wenn Sie nichts anderes vorhaben?«, sagte sie so beiläufig wie möglich. »Ich bin heute Abend auch noch frei.«

Philip hielt ihr mit vollendeter Geste die Tür auf.

Die Inneneinrichtung hielt leider nicht, was der klingende Name der Gaststätte Zum Roten Haar versprach. Sie war eher rustikal, Kordellampen mit roten Troddeln hingen von der Decke herab, die Stühle und Tische waren dunkelbraun gebeizt, und die rot-weiß karierten Deckchen hätten eine Wäsche vertragen können.

Sie waren über den Rothaarkamm in Richtung Saalhausen gefahren und hatten die Stelle, an der sie am Tag zuvor ihre Autopanne gehabt hatte, passiert. Mit Erleichterung bemerkte Sarah, dass ihr grasgrüner Friedobert nicht mehr am Wegrand stand. Birkner musste ihn mittlerweile entsorgt haben.

»Das Essen ist gut, einfach und lecker«, sagte Philip, als er Sarahs skeptischen Blick auf das abgewetzte Mobiliar bemerkte. »Von hier aus lassen sich übrigens schöne Wanderungen machen. Sonntagnachmittags ist es rappelvoll. Die Torte ist nicht zu übertreffen. Alle Spaziergänger kehren hier ein.« Vermutlich, weil es bei Pastors auf der Terrasse lange keinen Kuchen mehr gegeben hat, dachte Sarah. Und sie würde diese Sitte bestimmt nicht wieder einführen. Philip bestellte ein Pils. »Für Sie auch?«

Sarah nickte, froh, dass sie in Schiefelsbach nicht zur Abstinenz gezwungen wurde. Offensichtlich war es gesellschaftlich akzeptiert, wenn die Pfarrerin gepflegt ein Gläschen zur Brust nahm.

»Das Jägerschnitzel kann ich empfehlen«, meinte er, als Sarah die Speisekarte studierte. »Mit frischen Champignons. Und die Sauce ist sehr pikant.«

»Lieber einen gemischten Salat mit Putenbrust.«

Er betrachtete sie verstohlen. Musste sie ihm jetzt sagen, dass sie trotzdem nicht der Ich-esse-nur-Salat-ohne-Öl-Typ war? Das würde er schon noch herausfinden. Wenn man es ihr nicht sowieso ansah. Leider hatte sie ihren Schlabberpulli an. Das ausgeschnittene sexy T-Shirt befand sich noch in den Tiefen ihres Rucksacks. Es ließ zwar ihr Bäuchlein erkennen, aber dafür betonte es auf unvergleichliche Weise ihr Dekolleté.

Philip hob sein Glas. »Übrigens, ich heiße Philip«, sagte er.

»Sarah.«

Hell klangen die Pilstulpen aneinander.

Sarah verkniff sich ein Grinsen. Alles lief bestens.

Bis ihr Salat und sein Schnitzel gebracht wurden, hatte sie ihm ausführlich von ihren diversen Missgeschicken seit ihrer Ankunft in Schiefelsbach berichtet. Er amüsierte sich köstlich.

»Pass auf, dass Birkner dich nicht beim Autokauf übers Ohr haut«, meinte er.

»Tut er so etwas?«

»Na ja, zumindest will er was an der Sache verdienen, auch wenn er das Gegenteil behauptet.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Verständlich.«

Er zwinkerte ihr zu. »Du weißt ja, ich verstehe leider nichts von Autos. Mein Bruder und mein Vater kennen sich damit besser aus. Die helfen dir sicher gerne.«

Nach dem Essen wurden die Themen persönlicher.

Philip erzählte, dass er und sein Bruder Mark im Familienbetrieb der Eltern, einer Baufirma, arbeiteten. Philip war Architekt und Mark Elektroingenieur. »Meine Mutter erledigt die Büroarbeiten und mein Vater das Kaufmännische. Er ist zu alt, um noch auf den Bau zu gehen.«

»Wie alt sind deine Eltern?«

»Mein Vater ist sechsundsechzig, meine Mutter vierundsechzig.«

»Und noch nicht in Rente?«

Er zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Schluck aus dem Glas. »Sie sind halt selbständig. Da arbeitet man, solange es geht.«

»Hast du noch mehr Geschwister?«

»Eine Schwester, Ulrike. Die wohnt mit ihrer Familie in Windhausen, ein Nachbardorf. Das ist so klein, da gibt's nicht mal eine Kirche.« Er grinste.

»Hat sie Kinder?«

»Ja, zwei. Sven-Kevin und Marc-André. Hast du Geschwister?« Sarah erzählte von Lea und von Rebecca. »Mit Lea verstehe ich mich richtig gut, obwohl sie fünf Jahre jünger ist als ich. Sie studiert Englisch, Deutsch und Spanisch auf Lehramt. Rebecca liegt altersmäßig zwischen uns, aber wir stehen uns nicht so nahe.«

»Wie alt ist Lea?«, wollte Philip wissen.

»Fünfundzwanzig«, antwortete Sarah.

»Dann bist du dreißig«, stellte Philip fest und freute sich wie die Katze, die den Kanarienvogel verschluckt hat, über seine raffinierte Art, ihr Alter herauszufinden.

Sarah blieb cool. Ihr Geburtsjahr war kein Geheimnis. »Gut nachgerechnet. Und wie alt bist du?«

»Ungefähr genauso.«

»Jetzt nicht kneifen!«

»Na schön, ich bin dreiunddreißig.«

Sarah betrachtete ihr Gegenüber. Philips blondes Haar reflektierte das Licht der hässlichen Kordellampe. Seine blaugrauen Augen strahlten sie an. Er war bei weitem der am besten aussehende Mann, den sie seit ihrer Ankunft in Schiefelsbach kennengelernt hatte. Genauer gesagt hatte sie seit Monaten keinem vergleichbar attraktiven Angehörigen des anderen Geschlechts mehr gegenübergesessen. Auch wenn ihre Hormone nicht den nahenden Frühling angezeigt hätten, wäre er ihr angenehm aufgefallen. Philips Doppelkinn war nur zu erkennen, wenn er das Gesicht nach rechts drehte und das Licht in einem ungünstigen Winkel fiel. Dass er diesen Makel hatte, beruhigte Sarah sogar. Einen perfekten Mann wollte sie nicht.

»Und, wie lautet das Urteil?«, fragte er ironisch und strich sich dabei mit der rechten Hand eine Haarsträhne aus der Stirn.

»Ganz passabel«, antwortete sie nickend.

»Ich finde dich mehr als passabel«, sagte er leise.

Sarah steckte schnell die Nase in die Speisekarte.

Beim Dessert – Sarah hatte Mousse au Chocolat bestellt, damit er sie nicht für eine kostverachtende, humorlose Zicke hielt, die auch sonst nichts genießen konnte – sprachen sie über ihre Zukunftswünsche.

»Natürlich will ich Kinder«, erklärte Philip und grinste vielsagend. »Was soll man hier auch sonst abends machen?« Er wies mit großer Geste in den Gastraum, in dem nur noch ein weiterer Tisch von einem älteren Ehepaar besetzt war. Am Tresen saßen die obligatorischen Trinker.

»Außer auf Kinder aufzupassen?«, vergewisserte Sarah sich. »Oder welche zu produzieren.«