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Als ihn in einer verhängnisvollen Nacht ein Biss in einen Werwolf verwandelt, ändert sich plötzlich alles für Dylan. Da er die Bestie in sich nicht kontrollieren kann, wird ihm das Stadtleben zu gefährlich und er zieht aufs Land. Allerdings hat er die Rechnung ohne seinen neuen Nachbarn Chris gemacht, der ihm nicht nur bei der Renovierung seines neuen Hauses hilft, sondern sich auch schnell in sein Herz schleicht. Als jedoch Dylan von seiner Vergangenheit eingeholt wird, gerät auch Chris in größte Gefahr.... Buch 1 der »Good Bones«-Reihe.
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Seitenzahl: 321
Deutsche Erstausgabe (ePub) Februar 2016
Für die Originalausgabe:
© 2012 by Kim Fielding
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Good Bones«
Originalverlag:
Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2016 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
ISBN ePub: 978-3-95823-571-7
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Klappentext:
Als ihn in einer verhängnisvollen Nacht ein Biss in einen Werwolf verwandelt, ändert sich plötzlich alles für Dylan. Da er die Bestie in sich nicht kontrollieren kann, wird ihm das Stadtleben zu gefährlich und er zieht aufs Land. Allerdings hat er die Rechnung ohne seinen neuen Nachbarn Chris gemacht, der ihm nicht nur bei der Renovierung seines neuen Hauses hilft, sondern sich auch schnell in sein Herz schleicht. Als jedoch Dylan von seiner Vergangenheit eingeholt wird, gerät auch Chris in größte Gefahr....
Aus dem Englischen
von Uta Stanek
Danksagung
Viele Leute stellen sich Schreiben als einsame Tätigkeit vor, aber Ein Wolf in der Küche wäre ohne die Beiträge mehrerer wundervoller Menschen niemals verwirklicht worden.
Das sorgfältige und durchdachte Feedback von Karen Witzke war unbezahlbar, aber nicht so unbezahlbar wie ihre Freundschaft. Außerdem würde ich gerne Sheree Adams danken, die gewillt war, sich (schnell!) mein Manuskript anzuschauen, und die mir die Zuversicht gegeben hat, dass meine Geschichte eine ist, die die Menschen lesen wollen.
Amy Lane hat meinen ersten (selbst herausgebrachten) Roman gelesen und vorgeschlagen, dass ich in Erwägung ziehen sollte, mich bei Dreamspinner Press zu bewerben; ihre Ermutigung war genau der Funke, den ich gebraucht habe.
Abschließend bin ich meinem unglaublich unterstützenden Ehemann zutiefst dankbar. Er gibt mir den Raum und die Zeit, die ich zum Schreiben brauche, und er ist stolz darauf, den Leuten zu erzählen, dass er mit einer Autorin verheiratet ist.
Gleich nach dem Mittagessen wusste Dylan, dass es heute knapp werden würde. Der Tag, der dem Vollmond vorausging, war kein guter Zeitpunkt dafür, dass alles schieflief. Aber bereits jetzt hatte ein Meeting sehr viel länger gedauert als angesetzt. Der Kunde war schwierig, das Budget knapp, die Entwürfe mussten angepasst werden und die Gemüter waren erhitzt. Das hatte zum Ergebnis, dass es weit nach sechzehn Uhr war, als er endlich aus dem Architekturbüro kam. Während er aus der Tür in einen weiteren von Portlands bewölkten Nachmittagen floh, murmelte er der Sekretärin eine Entschuldigung zu – irgendwas über eine Eröffnung einer Kunstausstellung.
Möglicherweise hätte Dylan die Situation immer noch unter Kontrolle gehabt, doch indem er sich für die Hawthorne Bridge anstatt der Marquam entschied, machte er einen dummen Fehler. Gerade als er die Brücke erreicht hatte, begannen die roten Lampen aufzuleuchten und der Verkehr stoppte. Er beobachtete, wie sich das Stück in der Mitte mit extrem langsamer Geschwindigkeit hob. Die wartenden Fahrzeuge standen zu dicht beieinander, als dass Dylan hätte umdrehen und eine andere Route nehmen können, also wartete er ebenfalls, ohne auf das zu hören, was auch immer gerade im National Public Radio gespielt wurde, während seine Finger ungeduldig auf das Lenkrad trommelten. Er konnte nicht sehen, welche Art Schiff unter der Brücke hindurchfuhr oder warum zum Teufel es so lange dauerte.
Der Fahrer in dem Chevy neben ihm benutzte einen Finger, um sorgfältig in seiner Nase zu bohren. Dylans vordere Scheibenwischer fuhren hin und her, wisch-quietsch, wisch-quietsch, jede Bewegung zählte mehr seiner schwindenden Zeit herunter. Er nahm lange, tiefe Atemzüge, um seinen rasenden Herzschlag und seine flatternden Nerven zu bezwingen.
Als er endlich die andere Seite des Flusses erreichte, war Dylan sicher, dass der Himmel begonnen hatte, sich ein wenig zu verdunkeln, obwohl das durch die anhaltende Dunkelheit der Wolken schwer mit Sicherheit zu sagen war.
Glücklicherweise war der Verkehr auf der Westseite etwas dünner als gewöhnlich und Dylan fuhr so schnell er konnte, wobei er einem Fahrradfahrer auswich und eine Ampel überfuhr, die gerade auf Rot umgesprungen war, weshalb ihm die Fußgänger böse Blicke zuwarfen. Und dann, kurz vor der Jefferson, geriet er hinter einem schwerfälligen Stadtbus mit einem scheinbar narkoleptischen Fahrer ins Stocken. Für mehrere langsame Blocks blitzte Dylan den brüllenden Tiger und den trompetenden Elefanten an, die auf der Rückseite des Busses prangten, doch letztendlich verspürte er ein gewisses Mitgefühl für die wilden Bewohner des Oregon Zoo.
Als er sich schließlich endlich auf dem Freeway einfädelte, hatte der abendliche Pendlerverkehr ernsthaft eingesetzt und der Verkehr schlich dahin. Dylan fuhr zu dicht auf, wechselte wie wild die Spuren und fluchte vor sich hin. Sein Kiefer schmerzte und sein Rücken juckte, als hätte er einen Fellmantel verkehrt herum angezogen. Er umklammerte das Lenkrad so fest, dass das Plastik beinahe zerbrach.
Und dann hatte er einen Unfall vor sich. Nichts Schlimmes – nur ein gewöhnlicher Unfall mit Bagatellschaden. Ein Abschleppwagen war bereits vor Ort und mehrere Leute standen im Nieselregen und telefonierten mit ihren Handys. Die involvierten Fahrzeuge hatten es beide geschafft, auf den schmalen Seitenstreifen zu fahren, sodass der Verkehr eigentlich in der Lage hätte sein müssen, ungehindert vorbeifahren zu können. Aber jeder Einzelne wurde langsamer, um zu glotzen, als ob sie noch nie so eine wundervolle Aussicht genossen hätten, sodass es auf allen drei Spuren nur im Stop-and-go voranging. Und Stop. Und go.
Dylans Nerven sirrten und seine Haut fühlte sich zu eng an.
Das einzige, winzige Zeichen der Gnade war, dass die Spur zu seiner Ausfahrt frei war, also schoss er sie hinunter und raste die letzte Meile über die Straßen hinweg, während er im Stillen betete, dass keine Polizeistreife in der Nähe war und keine weiteren Hindernisse auftauchten. Dass er es rechtzeitig schaffen würde. Inzwischen gab es keine Zweifel mehr; sowohl der Uhr an seinem Armaturenbrett als auch dem sich verdunkelnden Himmel nach zu urteilen, war die Sonne beinahe untergegangen.
Mit kreischenden Bremsen parkte er seinen Prius in der Auffahrt und rannte zur Eingangstür. Während er am Schloss herumfummelte, zitterte seine Hand so heftig, dass er den Schlüssel fallen ließ. Nein, nein, nein, bibberte ein panischer Teil seines Verstands, als er sich den Schlüssel schnappte und es ins Haus schaffte.
Qualvoll begannen seine Knochen, sich neu anzuordnen, und seine Kleidung riss bereits an den Nähten auf, als er durch die Küche, den Flur hinunter und in das Gästezimmer stolperte. Durch einen sich ausdehnenden Kiefer knurrte er, als er die Metalltür ins Schloss warf.
Ohne Finger, die seine übrig gebliebenen Klamotten hätten ausziehen können, war sein letzter zusammenhängender menschlicher Gedanke durch den blendenden Schmerz, dass er schon wieder eine Diesel-Jeans ruiniert hatte.
***
So unerfreulich wie jedes Mal erwachte er im Gästezimmer. Er war nackt, ihm war kalt und er hatte einen Mordshunger. Sein ganzer Körper schmerzte, weil er auf dem Hartholzboden geschlafen hatte. Hässliche blaue Flecken hatten sich auf seinen Schultern gebildet – einen Großteil der Nacht musste er damit zugebracht haben, sich gegen die Tür zu werfen.
Das Schlimmste von allem war allerdings das Gefühl, das jede Faser seines Körpers zu durchdringen schien. Er kannte keine Bezeichnung für dieses Gefühl; vielleicht existierte auch gar keine. Was ihm noch am ehesten einfallen wollte, war Begierde oder Frustration, aber weder das eine noch das andere kam auch nur in die Nähe der Intensität dessen, was er fühlte. Es war ein bisschen so, als wäre man unglaublich geil, allerdings ohne jegliche Hoffnung, jemals wieder flachgelegt zu werden – eine Situation, die zudem unerfreulich vertraut war.
Er stand auf, streckte sich und ächzte, dann starrte er finster auf seinen unpassend munteren Schwanz hinunter. Er war stets sehr viel optimistischer als der Rest von ihm. Wie immer beschloss er, seinen Ständer zugunsten seiner Blase, die nicht sehr viel länger ignoriert werden konnte, abklingen zu lassen.
Er widerstand dem Drang, gegen eine der metallverkleideten Wände zu pinkeln, und öffnete stattdessen das komplizierte Schloss, das er oben an der Tür angebracht hatte. Es befand sich zu weit oben, als dass er es in der Nacht hätte erreichen können, und war zu komplex, um mit Zähnen oder Klauen geöffnet zu werden. Abspreizbare Daumen waren ein nützliches Attribut.
Während seines Aufenthalts im Badezimmer kam er nicht umhin, im Spiegel einen Blick auf sich selbst zu erhaschen. Er sah genauso furchtbar aus, wie er sich fühlte: blutunterlaufene, haselnussbraune Augen, blasse Haut und ein wildes Durcheinander von sandfarbenen Locken.
Er überlegte, sich krank zu melden, aber das hatte er schon letzten Monat und den davor gemacht und er war besorgt, dass irgendjemandem ein Muster auffiel. Niemand wäre misstrauisch, wenn sich eine Frau alle achtundzwanzig Tage elendig fühlte, aber bei einem Mann würden die Leute eventuell Fragen stellen.
Schön. Also duschen. Um die dunkelblonden Stoppeln von seinen Wangen zu entfernen und den kleinen Bart an seinem Kinn in Form zu bringen, rasierte er sich auch. Dann putzte er sich die Zähne, bändigte seine Haare und ging in sein Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Sein Bett war – natürlich – noch immer ordentlich gemacht, groß und gemütlich und mit einer behaglichen Daunendecke bedeckt. Es wäre erheblich bequemer gewesen als der harte Fußboden im Gästezimmer.
Er schluckte ein Seufzen hinunter und zog Pants, eine Levis, ein marineblaues T-Shirt mit gelben Akzenten von Decemberists und darüber ein schlichtes Hemd an. Ein Hoch auf den Casual Friday, an dem der ohnehin schon legere Dresscode ausgesetzt wurde. Er war nicht sicher, ob er den heutigen Tag in einem Hemd mit Krawatte überlebt hätte, wenn sich schon jetzt seine Haut zu eng und seine Knochen zu locker anfühlten.
Sein inzwischen zur Normalität gewordenes Frühstück entsetzte ihn nicht länger: eine Packung geräucherter, in Wein eingelegter Speck, den er roh direkt aus der Plastikpackung aß und der irgendwie gummiartig in seinem Mund schmeckte; ein halbes Dutzend Eier aus Bodenhaltung, aufgeschlagen in einen überdimensionalen Kaffeebecher; ein dreifacher Espresso, in den er einen Teelöffel Zucker rührte. Früher hatte er mal vegan gelebt.
Er streifte sich Socken, Stiefel und seinen grauen Lieblingshoodie über und fuhr durch den Nieselregen zur Arbeit.
Wahrscheinlich sah er verkatert aus oder vielleicht auch stoned. Bei seinem Anblick hob die Sekretärin die Augenbrauen, sagte jedoch nichts. Andererseits hatte seine Bürokollegin, Matty, keine Probleme damit, ihre Gedanken zu äußern.
»Wilde Nacht gehabt, Dylan?«, fragte sie.
Er musste ein verzweifeltes Lachen unterdrücken. »Nicht wirklich.«
Sie saß an ihrem Schreibtisch und blinzelte durch ihre Brille auf den Computermonitor. In einer Hand hielt sie einen großen Pappbecher von Stumptown und Dylans durch den Wolf verbesserter Geruchssinn witterte den Cranberry-Muffin, den sie zum Frühstück gehabt hatte. Fettreduziert, zweifellos.
Sie trug ihre übliche schwarze Bluse und den grauen Cardigan und obwohl er ihre untere Hälfte nicht sehen konnte, wusste er, dass sie eine schwarze Anzughose anhaben würde – und rote Ballerinas, weil Freitag war.
Sie lächelte ihn an. »Na los. Gib dem Mädchen ein Stück Zucker. Spuck's aus.«
»Sorry, Matty«, sagte er mit einem Kopfschütteln. Sie nahm an, dass sein Sozialleben sehr viel aufregender war, als es in Wirklichkeit war. »Ich bin zu Hause geblieben. Wirklich.«
»Du siehst nicht wie ein Mann aus, der zu Hause geblieben ist.«
Er hob eine Hand zu einem spöttischen Pfadfinder-Salut. »Ich schwöre feierlich, dass ich geradewegs heimgegangen und das Haus erst heute Morgen wieder verlassen habe, als ich auf direktem Weg zur Arbeit gekommen bin. Ähm, nachdem ich am Drive-in von Starbucks war.«
»Na schön. Du bist also geradewegs nach Hause gegangen. Mit wem?«
»Nur ich. Ich weiß, dass ich heute ziemlich fertig aussehe, aber das liegt nicht daran, dass ich letzte Nacht Spaß gehabt habe. Ich bin nicht ganz auf der Höhe.«
Sie bedachte ihn mit einem skeptischen Blick, wandte ihre Aufmerksamkeit dann jedoch wieder ihrem Computer zu. Vor Erleichterung sackte Dylan ein wenig in sich zusammen und kollabierte auf seinem eigenen Stuhl.
Es war schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, doch er versuchte es. Die Maywood Drive-Kunden hatten beschlossen, dass sie fünf anstelle von vier Schlafzimmern haben wollten, und das bedeutete, dass er Anpassungen an der Dachlinie und den Stützen vornehmen musste, die das Haus davon abhalten würden, den Hügel hinunterzustürzen. Er war mit der Art und Weise nicht glücklich, wie sich der Balkon um die südwestliche Kante des Hauses zog. Und er hatte ernsthaft gehofft, eine Veranda um ein paar stattliche Douglasien zu bauen, aber jetzt war er nicht mehr sicher, ob er das zustande bringen würde, ohne einige ziemlich wesentliche Änderungen vorzunehmen.
Er lehnte Mattys Angebot, sie in ihre Mittagspause zu begleiten, ab. Stattdessen holte er sich aus dem kleinen Feinkostladen auf der anderen Straßenseite ein Sandwich und Chips und aß sie an seinem Schreibtisch.
Als er sich um 16:12 Uhr dazu gratulierte, den Tag fast überstanden zu haben, klingelte sein Telefon.
»Hey, Dyldo.«
Dylan lächelte über den Spitznamen, der ihn in den Wahnsinn getrieben hatte, als er noch jünger gewesen war. »Selber hey, Schwachkopf.« Sein Bruder bevorzugte es, Rick genannt zu werden. Wo blieb dabei der Spaß?
»Essen. Heute Abend.«
»Danke, aber ich glaube, ich werde –«
»Das war keine Einladung, Kleiner – das ist ein Befehl. Sieben Uhr, Hopworks.«
Dylan wusste es besser, als Zeit mit einer Diskussion zu verschwenden. »Na gut«, seufzte er. »Aber kommt Kay –«
»Meine bessere Hälfte wird nicht dabei sein. Ihre Schwester kommt rüber und sie machen irgendwelches Zeug für den Kunsthandwerkermarkt nächstes Wochenende. Ich glaube, das beinhaltet, Trinkgläsern Schnurrbärte anzukleben… oder irgend so einen Quatsch.«
»Daher dein Plan, essen zu gehen.«
»Auch, aber es gibt noch mehr Gründe«, sagte Rick rätselhaft. »Sieben Uhr, Dyldo.«
Bevor Dylan die Gelegenheit hatte, eine Antwort zu murmeln, hatte sein Bruder bereits aufgelegt.
Es war nicht besonders sinnvoll, den ganzen Weg durch die Stadt zu fahren, nur um dann wieder zurückzukommen, also blieb Dylan im Büro und arbeitete an den Plänen. Als Matty ging, winkte er ihr, füllte seinen Kaffeebecher erneut an der Kaffeemaschine in der Ecke auf und bis 18:40 Uhr war er mit dem Haus tatsächlich ein Stück vorangekommen.
***
In dem Restaurant war es voll und laut, aber Rick war früher gekommen und hatte ihnen einen Tisch gesichert, einen von den hohen mit hohen Sitzhockern. Sobald Dylan eintrat, winkte Rick ihn zu sich. Vor Rick stand bereits ein Teller Hummus und ein halber Liter Bier.
»Bio-IPA«, sagte er, als Dylan sich auf einen Hocker niederließ. »Auch eins?«
Dylan schüttelte den Kopf und schaufelte sich dann etwas von dem Hummus auf ein kleines Pita-Dreieck. Mit vollem Mund entgegnete er: »Stout. Und Fleisch. Viel Fleisch.«
Stirnrunzelnd zogen sich Ricks buschige Augenbrauen zusammen. »Ich vergaß. Ist schon wieder diese Zeit des Monats, oder?«
»Letzte Nacht. Jetzt geht's mir gut.«
»Du siehst aber nicht besonders gut aus, Dyldo.«
»Fick dich.«
In diesem Augenblick tauchte die Kellnerin auf. Sie war groß, schlank und muskulös und hatte Sterne auf ihren Bizeps tätowiert. »Was kann ich euch bringen?«, fragte sie. Er bestellte sein Getränk und einen Burger – so rare, wie sie ihn machen konnten –, während Rick das Gesicht verzog und um einen Chicken Wrap und ein weiteres IPA bat.
»Zwei Bier?«, sagte Dylan feixend. »Du machst heute echt einen drauf, was?«
»Halt die Klappe. Wann war das letzte Mal, dass du mit jemandem ausgegangen bist, mit dem du nicht verwandt bist?«
»Fick dich«, wiederholte Dylan.
Rick lächelte und häufte Hummus auf ein Pita. »Allerdings hab ich dich nicht hierher eingeladen, um dich wegen deines Soziallebens aufzuziehen.«
»Warum dann?«
Ein Schulterzucken. »Hab dich seit einer Weile nicht gesehen. Wollte wissen, wie's dir so geht.«
»Alles gut. Viel zu tun im Büro. Wie geht's dir und Kay?«
»Wir versuchen immer noch, das mit dem Baby hinzukriegen.« Er nahm einen großen Schluck von seinem Bier. »Sie hat da diese ganzen kleinen Diagramme. Mann, es nimmt dem Ganzen jegliche Romantik, wenn man sich Gedanken um Ovulationszyklen, die richtige Stellung und diesen ganzen Scheiß machen muss.«
»Wenn du das sagst«, antwortete Dylan, nicht ohne Mitgefühl. Er wusste, wie sehr Rick sich ein Kind wünschte.
»Ja, nun, falls es diesen Monat nichts wird, meint ihr Doc, dass ich mich mal testen lassen soll. Du weißt schon, in einen Becher wichsen und rausfinden, ob die kleinen Schwimmer überhaupt wissen, was zum Teufel sie da eigentlich tun.«
»Klingt spaßig.«
»Erinnerst du dich noch an die Highschool? Als Jessica und ich deswegen Schiss hatten?« Langsam schüttelte er den Kopf. »Wer hätte gedacht, dass ich fünfzehn Jahre später der anderen Seite die Daumen drücken würde?«
Die Kellnerin erschien mit Dylans Stout und Ricks Nachschub. Dylan trank einen großzügigen Schluck.
»War schon wieder ziemlich knapp, oder?«
Dylan war nicht aufgefallen, dass er die Augen geschlossen hatte, bis Rick die Frage gestellt hatte, und schaute ihn scharf an. »Mir geht's gut.«
»Nein, geht's dir nicht.«
»Pass auf, Ricky…« Der Name aus ihrer Kindheit ging weit zurück, geradewegs in die Zeit, als Rick Dylans Gott gewesen war: das Big Kid, das ohne Stützräder Fahrrad fuhr, mit einem SpiderMan-Rucksack zur Schule ging und kein Schutzgeländer brauchte, das ihn davon abhielt, nachts aus dem Bett zu fallen. »Es ist unter Kontrolle, wirklich. Gestern war eine Ausnahme. Das Meeting hat länger gedauert und die Brücke war oben und –«
»Wie viele Ausnahmen, Dyl? Wie oft hast du es in den letzten sechs Monaten nur gerade so geschafft?«
Dylan antwortete nicht. Er schaute weg und zum nächsten Tisch hinüber, an dem eine Gruppe Collegestudenten über eine Textnachricht auf dem Handy von irgendjemandem lachte. Und Rick bedrängte ihn nicht, sodass die Brüder schweigend dasaßen und tranken, bis die Kellnerin mit ihrem Essen zurückkehrte.
Dylans Burger war gut und er war hungriger, als er gedacht hatte. Bevor er es überhaupt mitbekam, war sein Teller bis auf ein schlappes Salatblatt leer. Er schaute zu Rick hoch, der immer noch mit einem Streifen Tortilla spielte.
»Ich weiß nicht, was du willst, dass ich dagegen unternehmen soll«, sagte Dylan leise. »Ist ja nicht so, als könnte ich einen Babysitter engagieren, der dafür sorgt, dass ich sicher eingesperrt bin. Oder… oder einen gottverdammten Hundesitter.«
»Zieh zu uns. Wir können was im Keller zusammenbauen.«
»Ja? Willst du mir in Kays Nähe wirklich so viel Vertrauen entgegenbringen?«
»Kay kennt die Risiken. Sie hat zugestimmt.«
Trotz seiner Verzweiflung verspürte Dylan den Anflug von Wärme für seine Schwägerin. Das arme Ding hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, in was sie da vor ein paar Jahren eingeheiratet hatte, aber sie war loyal an ihrer Seite geblieben. Vielleicht zu loyal, denn es hörte sich nicht so an, als ob sie und Rick alle Konsequenzen durchdacht hätten.
Dylan seufzte. »Und was ist, wenn es endlich ein Baby gibt?«
Rick zuckte leicht zusammen und sah auf seinen Teller hinunter. »Das wird noch eine Weile dauern.«
»Ich weiß. Aber in der Zwischenzeit werde ich kein wundersames Heilmittel finden.«
»Aber du kannst nicht einfach so weitermachen, Dyl. Früher oder später wirst du nur ein winziges bisschen zu spät sein und dann…« Er beendete den Satz nicht und das musste er auch nicht. Dylan wusste, was sein Bruder dachte: Und dann wird es wie beim ersten Mal sein.
Dylan konnte nicht protestieren, weil er wusste, dass Rick recht hatte. Sollte er es noch einmal vermasseln, wusste er sogar, dass es erheblich schlimmer werden würde als beim ersten Mal, weil Dylan inzwischen stärker war. Hungriger. Er verbarg das Gesicht in seinen Händen und rieb über seine Augenbrauen.
»Vielleicht sollte ich in die Wildnis ziehen. Alaska oder so. Irgendwas… weit weg.«
»Du kannst nicht auf dich allein gestellt leben.«
»Tja, ich kann aber auch mit sonst niemandem leben, verdammt!«, erwiderte Dylan lauter als beabsichtigt. Die Leute in ihrer Umgebung wandten sich um, um sie für einen Moment anzustarren, bevor sie wieder wegsahen. Sie alle hatten normale Probleme wie fremdgehende Partner oder beschissene Chefs oder Autos, die andauernd den Geist aufgaben.
Rick, seinem dicken Fell sei Dank, fühlte sich nicht angegriffen. Er wusste, dass Dylan dazu neigte, verärgert zu reagieren, wenn er tatsächlich Angst hatte. »Wie würdest du überhaupt überleben?«, fragte er im vernünftigen Tonfall. »Ich meine, ich schätze, einmal im Monat könntest du… hm, jagen gehen. Aber was ist mit den restlichen siebenundzwanzig Tagen? Gehst du dazu über, Iglus zu designen? Ich wette, du machst ziemlich coole Iglus. Aus umweltfreundlichem Material und energieeffizient.«
Dylan entfuhr ein kleines, schnaubendes Lachen und als die Kellnerin kam, um ihre leeren Teller abzuräumen, brachte er sogar ein Lächeln zustande. Während der Uni hatte er als Barista gejobbt und er wusste, wie beschissen es war, wenn die Kunden ihre harten Arbeitstage an den Servicekräften ausließen. Als sie weg war, sagte er: »Vielleicht könnte ich vom Nordpol aus arbeiten. Homeoffice.«
Das Grinsen verschwand aus Ricks Gesicht; plötzlich war er vollkommen ernst. »Könntest du das wirklich? Homeoffice machen, mein ich?«
»Mehr oder weniger. Wahrscheinlich würde ich es hinbekommen, nur noch etwa zweimal die Woche ins Büro zu gehen. Für Meetings und so. Aber ich kann mir nicht wirklich vorstellen, zweimal die Woche von Kanada aus oder so in ein Flugzeug zu steigen.«
»Das musst du auch nicht!« Vor Aufregung hüpfte Rick ein wenig auf seinem Hocker auf und ab und glich damit so sehr seinem jüngeren Ich, dass Dylan lächeln musste. »Hier in der Gegend gibt es genug Provinz, Dyl. Besorg dir eine Hütte an der Coast Range oder so was – die Fahrt ein paar Mal die Woche zu machen, wäre nicht so schlimm. Könntest du es so einrichten, dass du alle achtundzwanzig Tage in den Wäldern wärst?«
Dylan trank den Rest von seinem Stout, während er über die Idee seines Bruders nachdachte. Er war nie der Typ für Back to Nature gewesen – als er noch ein Kind gewesen war, hatten sie in der Vorstadt gewohnt, und dort lebte er auch jetzt, wenn auch in einer stylischeren und teureren Version. Er hatte immer geglaubt, dass es irgendwie cool wäre, direkt in der Innenstadt zu wohnen, aber das war… vorher gewesen.
Ein paar Minuten stellte er sich vor, wie er durchs Gebüsch preschte und über umgestürzte Baumstämme sprang, wie er sich durch ein wahres Fest an Gerüchen schnüffelte und vielleicht sogar ein freies Fleckchen fand, über das er schließlich im vollen Galopp rennen konnte, alle Muskeln in Bewegung, während er über den Boden flog. Und dann sprang er, fühlte, wie seine kräftigen Kiefer zusammenschnappten, als heißes Blut in seinen Mund lief –
Schuldbewusst schaute er zu seinem Bruder hoch und kam sich absurderweise so vor, als hätte er eben an Sex gedacht.
»Das ist ein interessanter Gedanke, Schwachkopf.«
Rick grinste breit. »Schätze, große Brüder haben's immer noch drauf, Dyldo.«
Die Kellnerin kam mit ihrer Rechnung und Rick deutete auf Dylan. »Mein kleiner Bruder übernimmt das.«
Gutmütig zog Dylan seinen Geldbeutel hervor. »Das war's also? Nur eine Möglichkeit, ein Gratisessen abzustauben?«
»Du schuldest mir was.« Als Dylan das Bargeld abzählte, rutschte Rick von seinem Hocker und streckte sich leicht. »Ich mach mich auf den Heimweg. Mal schauen, ob meine Kleine Hilfe mit ihren Schnurrbärten braucht.«
***
Ein oder zwei Nächte nach seiner Verwandlung war Dylan immer ruhelos. Da er also wusste, dass er ohnehin keinen Schlaf finden würde, beschloss er, dass er genauso gut etwas Arbeit erledigen konnte. Auf seinem Weg von Hopworks nach Hause holte er sich bei einem Drive-in einen Venti Latte mit einem vierfachen Espresso-Shot. Als er sein Haus betrat, war er immer noch heiß genug, um seine Zunge zu verbrennen. Er stellte den Kaffee und den Laptop auf den Küchentisch und ging ins Schlafzimmer, um sich auszuziehen.
Das Haus war so ordentlich wie immer. Die verstärkte Tür zum Gästezimmer war wie gewöhnlich fest verschlossen, sodass die zerrissenen Klamotten und die neuen Krallenspuren an den Wänden sicher verborgen waren. In ein oder zwei Tagen würde er hineingehen und aufräumen müssen.
In seinem Schlafzimmer befand sich alles an seinem Platz. Davon überzeugte er sich stets an dem Tag, bevor er sich verwandelte, als würden ein paar aufgeschüttelte Kissen auf seinem Bett und ein gründlich entstaubter Kleiderschrank ihm helfen, sich daran zu erinnern, dass er ein Mensch und zivilisiert war. Ihm gefiel der Gedanke, dass sein Schlafzimmer – und ein Großteil vom Rest des Hauses, was das anging – aussahen wie aus einer Wohnzeitschrift. Aus Dwell vielleicht oder Wallpaper. Aber heute Abend ging ihm plötzlich auf, dass das, was seine Zimmer wirklich widerspiegelten, ein Luxushotel war: ansprechend und irgendwie hip, aber ohne Leben.
In einem Anflug von Trotz kickte er seine Schuhe ziellos über den Schlafzimmerboden und ließ Jeans, Hemd und T-Shirt in einem Haufen neben der Tür liegen. Allerdings half das nichts. Jetzt sah es nur aus wie in einem leicht unordentlichen Hotelzimmer.
Zu dieser Zeit des Monats neigte er dazu heißzulaufen und ging deshalb nur in seinen tief sitzenden Pants zurück in die Küche. Er setzte sich an den Tisch und nippte an dem Kaffee, während sein MacBook hochfuhr.
Er versuchte, ein paar Arbeitsmails zu beantworten und seine Küchenpläne für das Projekt am Maywood Drive zu justieren, aber er konnte sich nicht konzentrieren. »Na schön«, murmelte er zu sich selbst. Stattdessen würde er ein paar Immobilienwebseiten ansurfen. Vielleicht war Ricks Idee gar keine so schlechte gewesen.
Allerdings ertappte er sich irgendwie dabei, wie er stattdessen gay.com eintippte.
Die Fotos waren vielfältig: Männer in verschiedenen Bekleidungsstadien posierten vor Spiegeln; Männer, die robust aussahen, standen neben Wasserfällen oder auf Felsbrocken; Männer in Schwarzweiß, die Modelposen einnahmen. Männer mit Muskeln und Männer mit Bauchansatz; bullige Männer in Leder und feenhafte Jungs mit Eyeliner; Männer mit Büscheln dunkler Haare auf der Brust und Männer, deren Haut glatt und eingeölt war. Junge Männer und alte. Männer, die gruselig aussahen, und Männer, die wie Steuerfachanwälte wirkten. Attraktive Männer. Normale Männer.
Diese Männer listeten eine Menge Kinks auf: BDSM, Crossdressing, Rollenspiele, Elastan, Exhibitionismus, Natursektspiele, Dreier und Klinikspiele. Von einigen Kinks hatte Dylan noch nie zuvor gehört und von ein paar anderen hoffte er, dass er nie wieder von ihnen hören würde. Doch bei all dieser Vielfalt – ein Regenbogen des Schwulseins – erwähnte nicht ein einziger Mann die eine Sache, die Dylan am meisten bedeutete: Nicht einer von ihnen verlor ein Wort darüber, auf Werwölfe zu stehen.
Mit zugeschnürter Brust knallte Dylan seinen Laptop zu, ohne ihn herunterzufahren, ignorierte seinen abgekühlten Latte und ging ins Wohnzimmer, um nachzuschauen, ob House Hunters lief.
»Das nächste werden Sie lieben!«
Die Versuche des Maklers, positiv und enthusiastisch zu klingen, hörten sich allmählich etwas gezwungen an. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie zum zehnten Mal mitten ins verdammte Nirgendwo fuhren, um sich eine Immobilie anzusehen – die ersten neun Versuche waren komplette Fehlschläge gewesen. Sie hatten zwar alle ländlich gelegen, aber für Dylans Bedürfnisse waren die meisten davon nicht einmal annähernd abgeschieden genug gewesen.
Sie hatten sich ein Objekt angesehen, das meilenweit keine Nachbarn aufzuweisen gehabt hatte, sich jedoch als heruntergekommener Schuppen auf halber Strecke in die Berge entpuppt hatte, an einer Straße gelegen, die für einen Teil des Jahres unpassierbar war, ohne Handyempfang und Stromversorgung, abgesehen von einem Generator.
Dylan wand sich ein wenig in seinem Sitz und brummte als Antwort. Matty hatte Steve Nguyen empfohlen, aber wie sich herausgestellt hatte, war Steve normalerweise auf Eigentumswohnungen in Hochhäusern spezialisiert und wusste so gut wie nichts über das Landleben. Angesichts Steves plumper Flirtversuche argwöhnte Dylan, dass Matty etwas anderes als den Erwerb von Eigentum im Sinn gehabt hatte, als sie sie zusammengebracht hatte. Dylan würde mit ihr eine kleine Unterhaltung darüber führen müssen, wie sehr er gerade keinen Kuppler brauchte.
Aber für den Moment saß er mit Steve in einem Honda Civic fest, eine gute Stunde von allem entfernt, das Zivilisation ähnelte, während Steve ihn nervös ansah, als wäre er nicht sicher, ob er Dylan küssen oder ihn aus seinem Auto werfen sollte. Nach der siebten oder achten ergebnislosen Besichtigung war Dylan etwas missmutig geworden.
Steve war bereits von der Hauptverkehrsstraße auf eine Landstraße abgebogen, die sich durch Ackerland und Bäume wand, und lenkte den Wagen jetzt auf einen Kiesweg. »Das County verwaltet diese Straße und die Gegend liegt zu knapp über dem Meeresspiegel für Schnee«, zirpte er. Der Civic rumpelte dahin und spritzte kleine Schlammfontänen auf.
»Wie groß ist das Grundstück?«, fragte Dylan.
»Fast dreißig Morgen. Das meiste davon ist zu steil, um irgendetwas darauf anzubauen, und es gibt einen Teich, der sich über einen Teil davon erstreckt. Früher sind dort Weihnachtsbäume gepflanzt worden, aber ich schätze, die sind inzwischen alle verwildert.«
»Nachbarn?«
»Nur einen. Und das Grundstück unterstützt den staatlichen Forstbestand.«
Das hörte sich wenigstens vielversprechend an, aber Dylan machte sich keine Hoffnungen. Sie holperten an einem langen, leeren Feld vorbei, an das ein steil ansteigender, bewaldeter Hang grenzte. In der Gegend war kein Vieh zu sehen, was ebenfalls eine Erleichterung war. Dylan war ganz und gar nicht sicher, ob er in der Lage wäre, der Versuchung von Rindfleisch auf Hufen zu widerstehen.
Die Straße schlängelte sich um eine Ansammlung Fichten herum und Steve verlangsamte den Wagen, bis sie anhielten. Vor ihnen befanden sich zwei Häuser, die eine lange Reihe Silberpappeln trennte.
Der Anblick des Gebäudes auf der linken Seite brachte Dylans Puls zum Rasen – es war ein zweigeschossiges Bauernhaus, vielleicht ein Jahrhundert alt, mit einer Veranda sowohl im Erdgeschoss als auch im ersten Stock und einer grünen und braunen Zierleiste auf weißer Holzverkleidung. Die Farbe blätterte leicht ab und selbst vom Auto aus konnte Dylan sehen, dass einiges an Arbeit in das Haus gesteckt werden musste, aber ihm gefiel die Form, die Art, wie sich die zwei Schornsteine selbstbewusst über das steile Dach erhoben, und die vielen großen Fenster, die ansprechend angeordnet waren.
Doch das zweite Haus ließ ihn finster die Stirn runzeln. Es war ein winziges Gebäude, wahrscheinlich aus den Fünfzigern, und obwohl das meiste davon hinter zugewucherten Gebüschen verborgen lag, sah der Teil, den er sehen konnte, reif für die Abrissbirne aus.
»Bitte sagen Sie mir, dass es das zweigeschossige ist«, sagte Dylan, als er aus dem Auto stieg.
»Jepp! Das alles hier war mal eine große Farm, aber vor ein paar Generationen haben sich zwei Brüder miteinander überworfen. Einer von ihnen hat das alte Haus bekommen und der andere das ganze nutzbare Land. Ich weiß nicht, warum er sein Haus so dicht neben das andere gebaut hat. War vielleicht praktischer wegen der Stromleitungen. Oder möglicherweise einfach aus Trotz.«
»Großartig. Leben die alten Herren noch hier?«
»Nein. Ihr Haus steht seit einer Weile leer.« Sie überquerten den Kies in Richtung der vorderen Veranda. »Ich glaube, in dem anderen wohnt ein Enkel.«
»Ich hatte eigentlich auf gar keine Nachbarn gehofft.«
Ungeduldig schnaufte Steve, als er sich daranmachte, das Schloss an der Eingangstür aufzusperren. »So was ist ziemlich schwer aufzutreiben, Dylan. Es sei denn, Sie wollen wirklich tief zurück in die Natur. Kommen Sie. Das hier ist wohl kaum ein Großstadtdschungel. Warum sind Sie eigentlich so menschenfeindlich?«
Seit Tagen versuchte der Makler herauszufinden, warum Dylan in der tiefsten Provinz leben wollte, und Dylan hatte ihm ausweichende Antworten gegeben, dass er für seine Arbeit Ruhe und Frieden brauchen würde. Dylan fragte sich, ob Steve anfing, ihn der Leitung eines wie auch immer gearteten kriminellen Unternehmens zu verdächtigen. Zum Beispiel des Anbaus von Marihuana. Oder der Durchführung von Serienmorden. Dylan verzog das Gesicht; Letzteres wäre gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt.
Seine Stimmung hob sich jedoch, als sie das Haus betraten. Ja, abblätternde Tapeten und ein grauenhafter Plüschteppich, aber die Zierleisten befanden sich noch in ihrem Originalzustand und waren auf wundersame Weise nicht angestrichen worden.
Die Decken waren hoch, zwei der Zimmer waren mit riesigen Kaminen ausgestattet und die Fensterscheiben bestanden aus leicht gebogenem, altem Glas. Die Küche war beengt und in ihrer Ausstattung eine fürchterliche Mischung aus den Fünfzigern und Siebzigern, aber es wäre ein Kinderspiel, sie raus- und die Wand zum alten Esszimmer einzureißen. Damit würde es im Erdgeschoss immer noch ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, das er in ein Arbeitszimmer umwandeln könnte, und ein Gästebad geben.
Im oberen Stockwerk gab es vier Schlafzimmer und zwei voll ausgestattete Badezimmer. Wahrscheinlich würde er zwei der Schlafzimmer zu einem zusammenfassen, das Masterbadezimmer erweitern und die gewaltige Badewanne mit den Klauenfüßen erneuern. Er könnte ein Fenster an der südlichen Wand einlassen, von der aus man einen hübschen Ausblick über einen dicht bewachsenen Abhang hatte. Der Teppich hier oben war sogar noch scheußlicher als unten, doch als er eine Ecke abzog, wurden seine Vermutungen bestätigt: Darunter befand sich brauchbares Hartholz.
Eine schmale Tür im Flur verbarg eine frei stehende Treppe, die zum Dachboden hochführte. Dort oben gab es nichts außer Hinweisen auf Mäuse und Fledermäuse und so gut wie keine Isolierung, aber auch keinen Wasserschaden, und die Dachbalken sahen stabil aus.
»Was halten Sie davon?«, fragte Steve und wippte auf seinen Fußballen.
Dylan grunzte unverbindlich. »Das Haus ist in einem ziemlich schlechten Zustand.«
»Nicht wirklich. Okay, ja, es braucht… ein paar kosmetische Eingriffe. Aber vor etwa zehn Jahren wurden neue Kabel verlegt und der Heizofen ist neu.« Er klopfte gegen eine Wand. »Gute Substanz.«
Dylan überlegte bereits, wie schwer es werden würde, ein Schlafzimmer wolfsicher zu machen oder möglicherweise irgendwo einen stabilen Käfig zu installieren. Er gab jedoch weiterhin vor, skeptisch zu sein, indem er gegen die Ziegelsteine des Kamins klopfte und eine Fensterbank beäugte.
Dann wandte er sich wieder zu Steve um. »Zeigen Sie mir die Heizanlage und die elektrischen Leitungen.«
Wie sich herausstellte, befand sich beides im Keller, der riesig, kühl und trocken war, mit einem weiteren, halb ausgestatteten Badezimmer, das sich hinter einem Bereich versteckte, der mal eine Werkstätte gewesen sein musste. Die Umrisse von Werkzeugen waren immer noch auf einer an der Wand angebrachten Stecktafel zu erkennen. Ein anderer Bereich war ummauert und mit Regalen zugestellt. Wahrscheinlich waren hier einmal Dosenvorräte und dergleichen aufbewahrt worden, aber mit einer stark verstärkten Tür wäre dieser Teil sehr gut als Sicherheitsgefängnis für einen Werwolf geeignet. Es gab sogar ein winziges, rechteckiges Fenster, zu klein und zu weit oben, um fliehen zu können, aber angemessen, um am nächsten Morgen ein wenig Tageslicht willkommen zu heißen.
Der Heizofen bedurfte einer Reinigung, war aber sonst in gutem Zustand und die Stromschaltkreise sahen okay aus. Das Fundament wirkte ebenfalls solide.
Als sie schließlich nach draußen gingen, um das Grundstück zu begehen, raste Dylans Herz vor Aufregung. Aber er versuchte, es herunterzuspielen, indem er langsam einen kahlen Brombeerstrauch umrundete, als sie sich ihren Weg einen schmalen, zugewucherten Pfad hinunter suchten. Selbst so früh in der Saison begannen die Wildblumen bereits zu blühen. Dunkel vor dem grauen Himmel kreisten Falken über ihren Köpfen und ein Häher zwitscherte heiser von einer Pappel herunter.
Steves modische Schuhe wurden allmählich schmutzig. »Schätze, Sie können mit einer Walze zurückkommen und das alles hier freiräumen«, sagte er und deutete vage mit den Armen nach links und rechts.
»Warum sich damit aufhalten? Ist ja nicht so, als würde ich Gemüse anbauen wollen oder so.« Dylan grinste gemein. »Außerdem, stellen Sie sich mal vor, was man alles in diesem Dschungel hier verstecken kann.«
Der Makler warf ihm einen unsicheren Blick zu, schien dann jedoch zu beschließen, dass Dylan einen Witz gemacht hatte – wahrscheinlich. Aber es war Dylan, der sie den Hügel zu einem Teich hinunterführte, der von einem niedrigen Damm aus Erde geformt worden war.
Ein Großteil des Ufers war mit Bäumen und Farnpflanzen bewachsen und für Menschen unzugänglich, aber etwas, das sich dichter am Boden bewegte und mit vier Beinen ausgestattet war, könnte es wahrscheinlich dort hineinschaffen, vielleicht um sich schleichend auf die Suche nach Kreaturen zu machen, die zum Trinken herausgekommen waren.
Steve sagte: »Er ist groß genug für ein kleines Boot, falls Sie eins bis hier herunter bringen können. Ein Kajak, vielleicht.«
»Denken Sie, darin leben Fische?«
»Keine Ahnung. Vielleicht.«
Nach mehreren Minuten wanderten sie den Hügel wieder hinauf, um den Rest des Grundstücks zu besichtigen. Wegen der unebenen Topografie war es schwer, sich ein genaues Bild zu machen, aber Dylan kam zu dem Schluss, dass das Land grob wie ein Tortenstück geformt war, wobei sich das Haus am spitzen Ende in der Nähe der Straße befand, während sich der Wald an einer Seite und über den Rand im hinteren Teil erstreckte. Die Silberpappeln und der Bereich des Bruders verteilten sich an der übrig gebliebenen Seite. Die hochgewachsenen Weihnachtsbäume waren ebenfalls vorhanden, wobei das Unterholz die in regelmäßigen Abständen gepflanzten Reihen beinahe komplett verdeckte.
»Ich frage mich, ob es hier viele Wildtiere gibt«, sagte Dylan so locker wie möglich.
»Oh, da bin ich ganz sicher. Ganz bestimmt Rehe und Kojoten. Elche? Keine Ahnung – vielleicht sogar Bären. Und wahrscheinlich Wassertiere wie Biber oder Otter.«
Wonach Biber wohl schmeckt?, dachte Dylan und schaffte es nur gerade so, ein Lachen zu unterdrücken. Allerdings zog er womöglich eine Grimasse, da Steve ihn mit einem weiteren besorgten Blick bedachte.
Es gab noch ein paar Außengebäude zu inspizieren: eine neuere Konstruktion, die als Garage oder kleine Scheune genutzt werden konnte, ein kleines Pumpenhaus für den Brunnen und einen halb verfallenen Hühnerstall. Dylan nickte sie allesamt ab und fragte sich, ob es lästig wäre, durch Federn hindurch zu essen.
»Also, was denken Sie?«, fragte Steve, als sie zur Veranda zurückkehrten. Inzwischen grinste er wieder, vielleicht weil Dylan ihm ausnahmsweise keine direkte Absage erteilt hatte.
Doch Dylan kratzte sich nachdenklich am Hals. »Ich weiß nicht. Das Haus braucht jede Menge Arbeit und die Nettofläche ist mehr, als ich brauche.«
»Vielleicht bekommen Sie eines Tages einen Mitbewohner«, entgegnete Steve und wackelte leicht mit den Augenbrauen.
»Das bezweifle ich.«
Das ernüchterte Steve nur ein wenig. Es war unübersehbar, dass er eine Provision witterte. »Na ja, sperren Sie die Zimmer ab, die Sie nicht brauchen. Oder Sie überlegen sich eine Verwendung dafür. Vielleicht einen Trainingsraum. Ein Fernsehzimmer. Ein Hobbyraum? Oder vielleicht einen Platz für einen Höhlenmenschen.«
Dylan rollte die Augen. »Wer braucht eine Höhle, wenn er so viel Platz für sich allein hat?«
Noch ein Wackeln mit den Augenbrauen, dieses Mal angereichert mit einem anzüglichen Grinsen. »Ein Spielzimmer?«
Dylan schnaubte. Die Wahrheit war, er wollte dieses Haus mehr als irgendetwas anderes, das er seit langer Zeit gewollt hatte. Aber er hatte auch gelernt – sowohl im Leben als auch in der Liebe –, dass es zu Enttäuschungen führte, wenn man etwas wollte, also versuchte er, seine eigene Begeisterung zu dämpfen.