Eine Liebe in Midgard - Adelina Zwaan - E-Book

Eine Liebe in Midgard E-Book

Adelina Zwaan

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Beschreibung

Drei Götter erschufen sie. Midgard wurde ihnen zur Heimat gegeben und nur gemeinsam finden sie ihr Glück.

Seit Kindertagen liebt Emma die nordische Mythologie, Sprache und sagenumwobene Völker. Auf einem Galaabend begegnet sie Askel, der nicht nur anziehend, sondern auch rätselhaft wirkt. Er überreicht ihr mysteriöse Schriftzeichen, die auf das legendäre Volk der Davatuja schließen lassen.
Die Sprachwissenschaftlerin brennt förmlich darauf, die rätselhaften Zeichen zu entschlüsseln. Ehe sie sich versieht, schwebt sie in Lebensgefahr und muss mit Askel fliehen. Nach Midgard, einem neopaganistisch geprägtem Projekt in einem Biosphärenreservat, das ihr Vater erschuf. Und es gibt weitere Geheimnisse …

Die mythisch futuristische Fantasy Romance »Eine Liebe in Midgard« von Adelina Zwaan jetzt als eBook bei AZ Books.

Ursprünglicher Titel: »Das Haus in Midgard«

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

Impressum

DAVATUJA - Selektierte Liebe

Adelina Zwaan

AZ Books

Widmung

Es geht nicht darum, was wir erforschen, sondern wie wir die Ergebnisse dieser Forschungen zukünftig anwenden.

Adelina Zwaan

Prolog

Frühjahr 2178

»Es sind kleine Funde, aber sie regen hoffentlich zum Nachdenken an, wie die Geschichte der Menschheit seinen Verlauf nahm«, erklärt der Mann in dem Fernsehinterview und lächelt einnehmend in die Kamera.

Seit Tagen reißen sich die Fernsehsender darum, den nonchalanten Gesprächsgast auf ihren roten Sofas begrüßen zu dürfen. Die Presse und die Bevölkerung himmeln ihn an. Überall, wohin ich hinsehe, entdecke ich das attraktive Gesicht. Sogar auf der Müslipackung.

Dort bewirbt er mit einem unglaublich betörenden Lächeln Sammelteile für ein Ausgrabungsset. Logischerweise extra für Kinderhände angefertigt, die sich um diese förmlich schlagen. Nebenbei bemerkt, produziert sein Unternehmen diese ›Give aways‹ und streut sie gewinnbringend unter die kleinen Nachwuchsforscher.

Kein Wunder, dass alle nicht nur nach seinen ›Give aways‹ verrückt sind, sondern auch nach ihm. Mit seinen paar und zwanzig Jahren überragt er alle bekannten Größen auf seinem Fachgebiet.

Die Archäologie.

Obwohl er grün hinter den Ohren wirkt, zieht er den Erfolg magisch an, wie andere den jahrelangen Misserfolg. Dieser Umstand brachte ihm den Spitznamen ›Steinzeit Goldfinger‹ ein, aber ich wage zu behaupten, den verliehen ihm Neider.

Dennoch, ein derartiger Erfolg steigt gewiss zu Kopf. Hinter seinem Lächeln verbirgt sich garantiert eine selbstverliebte Persönlichkeit. Zumindest verhält es sich für gewöhnlich so.

Genau diese Tatsache ist mir an der erfolgsverwöhnten Sorte Mensch ein Gräuel. Die kenne ich hinlänglich. Privatschulen, statt spielen in der matschigen Erde ... Unbezahlbare Internate seit der Kindheit, statt Fußballspiele in der Freizeit ... Namhafte Uni in der Studienzeit, statt ein Jahr auf Weltreise und seinen Horizont erweitern ... Kostspielige Armbanduhr am Handgelenk und ebenso teuer erkaufte Freunde.

Die ultrareichen Typen stehen mir bis zur Oberkante Unterlippe, obwohl ich durch Geburt selbst nicht gerade in den unteren gesellschaftlichen Kreisen verkehre. Aber: Meine geerdete Mutter brachte mir frühzeitig bei, wie ich auf dem Teppich bleibe und keinen Höhenflug durch meinen Status bekomme.

Gott hab sie selig!

Trotz dieser boshaften Gedanken und Unterstellungen wende ich den Blick nicht vom Fernsehgerät ab. Seine Augen haben eine recht eigenwillige und außergewöhnliche Färbung, die fesselt. Sie scheint zwischen blaugrau und braun zu liegen und richten sich abermals direkt in die Kamera.

Dabei erwecken sie den Anschein, als sähe er mir direkt in mein Herz, welches zur Antwort sofort stolpert. Herrje! Mir erscheint es, als bemerke er, wie ich in meiner Wohnküche stehe, Salat im Spülbecken wasche, diesen unterhaltsamen Fernsehbeitrag verfolge und seltsamerweise über ihn nachdenke.

Besser gesagt, ihn anstarre.

Dieser intensive Blick wirkt geheimnisumwoben. Vor allem, weil er dafür sorgt, dass alle meine Härchen aufrecht stehen. Auf die eine oder andere Weise werde ich das seltsame Gefühl nicht los, er bemerkt meine Gedanken, denn er schaut so eigenwillig.

Herr im Himmel! Jetzt ist aber mal gut! Außerdem: Paranoia ist mir normalerweise fremd.

Dennoch senke ich schamhaft meinen Blick auf den Salat und wische vehement diese absurden Gedanken fort. Die saftig grünen Blätter schwimmen in dem Spülwasser, was nur schleppend in den Ausguss abläuft.

Aus Protest?

»Ah, der Herr Professor gibt wieder ein Interview?« Johann fragt dies hinter mir stehend, während er mich vorsichtig im Nacken küsst.

»Er ist Professor?« Verblüfft studiere ich erneut die jungen Gesichtszüge.

Ich mustere genauestens die geraden Augenbrauen, die braunen, unbändigen Haare, die geradlinige Nase und den nicht zu auffällig geschwungenen Mund. Alles scheint ausgewogen, obwohl das Gesicht nicht dem heutigen Schönheitsideal eines Mannes entspricht.

Der aktuelle Modetrend besteht aus stark zurückgekämmten Haaren, die die Herren der Schöpfung aufwendig einölen. Seine Frisur hingegen ist das genaue Gegenteil von ›en vogue‹, denn er ließ es bis zu den Schultern wachsen.

Rebellisch und revolutionär trägt er sie obendrein offen, was ihn in meinen Augen wiederum sympathisch wirken lässt. Geradezu abenteuerlich und aufsässig.

»Ja, er ist der jüngste Professor dieser Epoche. Mit Vorliebe macht er über seine grandiosen Funde von sich reden. Und seiner exzentrischen Erscheinung. Gefällt er dir?«

Johann, der beinahe doppelt so alt ist, wie ich, sieht mir über die Schulter zu, wie ich den Salat aus dem Waschbecken hebe. Ein umwerfendes Parfüm steigt in meine Nase, vernebelt meinen Verstand und spricht alle weiblichen Sinne an.

»Kennst du ihn?« Ich will so beiläufig wie nur irgend möglich klingen, klappt allerdings nicht. Meine Stimme vibriert, dass sogar die Vögel vor dem Haus irritiert aufschrecken.

»Flüchtig bis geringfügig. Stell dir vor: Mit vierzehn verließ er Le Rosey am Genfer See1 mit Bestnoten. Anschließend studierte er in Rekordzeit Alterskunde und rüttelt die alten Herren auf der Uni wach. Interessanter Bursche, nicht wahr?«

»Findest du ihn interessant? An welcher namhaften Universität hat den der Musterknabe studiert? In England, der USA? Was lachst du?«

»Er hat in Leipzig studiert und ich lache nicht über dich.«

»Leipzig, wirklich? Du scherzt.«

Spätestens jetzt gebe ich Johann einen triftigen Grund, sich über mein entgeistertes Gesicht zu belustigen, denn mit dieser seltsamen Wahl rechnete ich gewiss am wenigsten.

»Erstaunlich, oder? Wo sich die namhaften Universitäten nach den Kids aus Le Rosey alle zehn Finger lecken. Stell dir vor, wie enttäuscht sie alle waren. Und wie frappiert. Vor einigen Jahren lernte ich ihn in Leipzig auf einem der vielen, elend langweiligen Symposien kennen. Er hielt eine Rede und mir war sofort klar, dass er es einmal weit bringt. Und siehe da, vor Kurzem wird er tatsächlich der jüngste Professor aller Zeiten, findet mir nichts, dir nichts die älteste jemals entdeckte Babymumie und macht zum wievielten Mal auf sich aufmerksam?«

»Ich zähle nicht mit, vermute aber irgendetwas Ähnliches wie ›im Stundentakt‹. Rechne es dir selbst aus!«

»Jetzt übertreibst du gewaltig, Emma, und ich würde dich am liebsten dafür rügen. Obwohl seltsam gestaltet sich sein kometenhafter Aufstieg in den Olymp der Archäologie allemal, oder nicht?«

»Seltsam? Jetzt untertreibst du aber gewaltig. Er ist kaum älter als ich. Wie kann er da bereits Professor sein, mehrere außergewöhnliche Funde machen und in aller Munde sein? Das ist definitiv etwas anderes, als seltsam. Eher haarsträubend und zügellos.«

»Sehe ich genauso, solange dir dabei das Wort genial im Hinterkopf herum geistert.«

»Schwärmst du etwa heimlich für ihn?«, frage ich grinsend und stelle das Wasser ab.

»Er ist grandios, glaube mir, aber momentan schwärme ich nur für dich. Komm endlich ins Bett, Emmichen! Dann zeige ich dir spektakuläre Hieroglyphen, die du als angehende Sprachwissenschaftlerin entschlüsseln und damit ebenfalls weltweites Aufsehen erregen kannst.«

»Johann, er spricht nicht von Hieroglyphen und ich werde mit meinen Forschungsergebnissen nie in meinem Leben Aufsehen erregen. Schon gar nicht weltweit«, verbessere ich ihn gedehnt und winde mich aus seiner drängenden Umklammerung.

»Bei mir schon. Nenne mich also ab sofort: weltweit!« Begehrlich schmunzelnd schaut er zum Fernsehapparat, dessen Ton er mittels Sprachsteuerung leiser stellt. Mit einem zweideutigen Grinsen drängt er mich zum Doppelbett. Schwungvoll stupst er mich in die weiche Matratze und beugt sich zu mir nieder. Das freche Grinsen erstirbt schlagartig, nachdem ich meine Beine um seine schmale Hüfte schlinge.

»Jetzt studieren wir zusammen das gedehnte ›A‹ ein, Fräulein Conde und nähern uns langsam dem lang gezogenen ›O‹. Eventuelle Zwischentöne überlasse ich deiner Fantasie. Junge Studentinnen brauchen schließlich hin und wieder eine geistreiche Ablenkung von ihrer anstrengenden Forschungsarbeit. Selbstverständlich nur, um das menschliche Dasein zu genießen, ähm, erforschen«, murmelt er heiser.

Bedächtig fährt er mit seiner Hand meine Seite entlang und arbeitet sich sanft zu meiner Körpermitte vor, bis ich meine Augen genüsslich schließe. In etlichen Küssen arbeitet er sich hingebungsvoll zu meiner Körpermitte vor, während ich zum leiser gestellten Fernseher schaue.

»Hm, dir gefällt das?«, fragt er entzückt, doch ich fühle mich nicht imstande, zu antworten.

Stattdessen packe ich seinen, an den Schläfen ergrauten Haarschopf und mache deutlich, nach was mir heute der Sinn steht. Ganz der aufmerksame Liebhaber bemerkt er meinen inneren Aufruhr und folgt gehorsam meinen kleinen Andeutungen, bezüglich meiner Wünsche, bis ich erstaunlich rasch einen lauten Seufzer ausstoße.

Zufrieden bettet er sich hinter mich und streichelt die Haut, die noch immer anzeigt, unter welch enormer Gemütsbewegung ich stehe.

»Das ›O‹ nenne ich sehr schönes und sehr lang gezogen«, lobt er meinen leidenschaftlichen Ausbruch, liebkost die Hautregion rund um mein Genick und schmiegt sich hinterher an mich.

In den wenigen Wochen, die meine Affäre mit dem Polizeidirektor und Freund meines Vaters dauert, kenne ich ausschließlich diesen Wortlaut. Das liegt hauptsächlich an der Tatsache, dass er mich diesbezüglich ergeben und begeistert umsorgt.

Freilich bin ich unschlüssig, ob Johann heute meine Emotionen auslöst. Immerfort sah ich zu dem Mann, der unaufdringlich in die Fernsehkamera lächelt und mit seinen faszinierenden Augen mein haltloses Herz aufwühlt.

Ausführlich berichtet er soeben über den Fund in der Atacama-Wüste, wo noch immer Mumien der Chinchorros2 gefunden werden.

Eindrucksvoll.

Nicht nur die Mumie, denen er mithilfe der Radiokarbonmethode entlockt, dass sie mehr als hunderttausend Jahre alt ist. Im Klartext: Es ist die älteste, jemals gefundene Babymumie, die obendrein ein völlig neues Licht auf die unerforschte Chinchorro-Kultur wirft.

Doch das ist jetzt für mich belanglos, obwohl es als überragende Forscherarbeit gilt. Die ganze Zeit durchbohrt mich der Blick, der nichts anderes als mir zu gelten scheint. Zumindest bildete ich es mir in meiner lebhaften Fantasie ein, kurz, bevor ich durch Johanns Zärtlichkeiten nicht mehr an mich halten konnte und laut aufseufzte.

Diese tiefschürfend dreinschauenden Augen sehen mich an, bis ich total in mir ruhe, als hätte ich mit ihm, nicht mit Johann ...

»Ich muss unerfreulicherweise gleich los, denn meine Jungs wollten heute Nachmittag mit mir angeln«, flüstert Johann hinter mir. Mit einem Satz zerstört er alle glühenden Fantasien, die mich jetzt und schon vorhin in Verzückung versetzt haben.

»Wir treffen uns nicht wieder, Johann«, entgegne ich schläfrig von der Anstrengung und entkräftet, weil ich inneren Frieden finde. Ich drehe mich, um ihn dabei in die Augen sehen.

»Dabei waren wir erst beim ›O‹ und ich hätte noch gerne bis ›Z‹ weitergemacht.« Er scherzt unsicher und wägt ab, ob ich es tatsächlich ernst meine.

»Belassen wir es dabei und du gehst mit deinen beiden Jungs angeln.«

»Du schickst mich fort, Emmichen?«, fragt er bekümmert und ertastet vorsichtig meine Hand, die ausgestreckt neben meinem Körper ruht.

»Es ist für alle Beteiligten besser. Bei Vaters Gesellschaften kann ich deiner Frau nicht ohne schlechtes Gewissen in die Augen sehen. Ich mag Babette, musst du wissen, denn sie ist eine herzensgute Frau. Ehrlich, unaufdringlich und humorvoll. Außerdem war dir doch höchstwahrscheinlich klar, dass es mit uns nicht über ein paar klangvolle A-Töne hinausgeht, oder?«

»Nein, Emmichen. Mir war das klar«, gesteht er flüsternd. Vorsichtig berührt er mit seinen Lippen die empfindsame Haut am inneren Handgelenk, an der meine Venen leicht hervortreten. »Dann ist das jetzt unser Lebewohl?«

»Nein, nur ein Abschied, denn wir sehen uns am Freitag. Vater liebt seine Gesellschaften. Wahrscheinlich hilft ihm die lieb gewonnene Tradition über die Einsamkeit hinweg.«

Ich will ihn aufmuntern, was eindeutig misslingt. Betrübt nickt Johann, senkt seinen Blick und erhebt sich schwerfällig von meinem Doppelbett. Während er das Hemd vom Boden aufhebt, seufzt er und hält für eine Weile inne. »Ich mache mir Sorgen um Constantin. Er wirkt in letzter Zeit fahrig, redet von ungereimten Dingen und deponiert seine Schuhe im Laborbrutschrank, in dem die Petrischalen-Kulturen reifen. Du musst dringend etwas unternehmen, denn er braucht augenscheinlich Hilfe. Er scheint den Tod deiner Mutter nicht verkraftet zu haben und du im Übrigen auch nicht.«

»Wir kommen klar«, versichere ich halbherzig, sinke wieder in das Kopfkissen zurück und sehe abwesend zum Fernseher.

Dort lacht der junge Mann, dessen Titel und Name erneut unterhalb seines ungewöhnlich symmetrischen Gesichts eingeblendet wird. Abermals bringt er mit seinem Lächeln mein Herz zum Schmelzen. Ich bin in der Regel nicht der Typ Frau, der bei Männern in erster Linie auf Äußerlichkeiten Wert legt oder sich jemand anderem bei Intimitäten vorstellt.

Seltsam finde ich es allemal, was heute passiert.

»Da bin ich anderer Meinung«, unterbricht Johann meine Träumereien erneut und setzt sich so vor meinem Bett, damit ich ihn ansehen muss. Auf diese Weise versperrt er mir die Sicht auf den unwiderstehlichen Mann, der mich auf ungewöhnliche Weise in seinen Bann zieht. »Hörst du mir überhaupt zu?«

»Nein, denn davon will ich keinen Ton hören«, entgegne ich gelangweilt und will an ihm vorbeisehen.

Johann erweist sich mit jedem Treffen ritterlicher und zärtlicher, was mich anfänglich gehörig überrascht hat, nun immer mehr aus dem Gleichgewicht bringt. Vorsichtig schiebt er sich wieder in mein Blickfeld. »Ich würde es dir gegenüber nicht erwähnen, aber sie reden mittlerweile auch über dich und das setzt mir wirklich zu, Liebes.«

Erbost fahre ich auf, denn zu genau ahne ich, über was sich die Gelehrten an der Universität und angeblichen Freunde von Vater das Maul hinter meinem Rücken zerfetzen.

»Meine Mutter hätte nicht an einer läppischen Lungenentzündung sterben müssen und ich will meine eigenen Fehler machen dürfen!«, schreie ich ihn aus Leibeskräften an. Ich lege alle Wut, die ich diesbezüglich darüber empfinde in diese Worte und sehe ihn bitterböse an. »Wenn die hohen und gelehrten Herren sich mit ihren Scheiß Forschungen besser auf das Immunsystem konzentriert hätten, könnte meine Mutter noch immer leben! Noch immer, verstehst du?«

Bekümmert betrachtet er mich und berührt besänftigend meinen Unterarm. »Eine Lungenentzündung ist nie läppisch. Nicht einmal für junge, gesunde Menschen.«

»Sie wäre es, wenn sich Vaters Kollegen mit ihren Forschungen daran, anstelle der Gentechnologie festkrallen würden. Anscheinend bringt ihnen aber nur diese Sparte der Wissenschaft schnellen Ruhm, hohe Geldsummen und weltweite Aufmerksamkeit ein. Was bedeutet ihnen da schon eine Frau, die eine Krankheit dahinrafft, die im Jahre 2178 längstens ausgerottet gehört sein muss!« Meine Worte speie ich mit wutverzerrter Miene direkt in sein Gesicht.

Noch nach über einem Jahr peinigen mich nachts die Bilder meiner schwerkranken Mutter, die im Todeskampf nach jedem Strohhalm griff und dennoch den aussichtslosen Kampf verlor. Mit diesem Tod büßte ich ein empfindsames Gleichgewicht ein. Und den Glauben.

»Emma, ich bin seit zwanzig Jahren mit Babette verheiratet. Ich dachte nie auch nur im Entferntesten daran, sie zu verletzen. Trotz alledem sitze ich in diesem Augenblick neben dir und tue es. Was glaubst du, aus welchem Impuls heraus ich das tue?«

»Pah! Weil ich nach einem Spaziergang durch den Garten freiwillig die Beine breitgemacht habe und du dich in Ruhe an mir für deine Frau heißmachen kannst?«, gebe ich spöttisch, aber zittrig zurück.

»Ich wünschte, du hättest deine Problematik mit besser durchdachten Worten ausgedrückt, liebe Emma. Zu keiner Zeit sah ich nur das in dir. Ich ahne jedoch, dass du über diese Tatsache Kenntnis besitzt«, entgegnet er in dem ihm eigenen Flüsterton, der eindringlich, aber zu gleichen Teilen sanft wirkt. Das ist einer der Gründe, warum ich mich mit ihm einließ. Johann wirkt beruhigend und besänftigend in einer haltlosen Zeit, in der ich mich gerade selbst verliere.

Eingeschnappt darüber, dass er mich hervorragend einschätzt, lasse ich mich auf mein Kopfkissen fallen. In der Tat habe ich zurzeit viele amouröse Abenteuer. Gelegentlich sogar zeitgleich. Was das Getuschel und die Meinung der Menschen betrifft, fühle ich mich wie im Mittelalter.

Trotzig bedecke ich das Gesicht mit meinen Händen, um die aufsteigenden Tränen besser zu kontrollieren und zu unterdrücken. Es klappt allerdings nicht, denn noch immer sehe ich meine Mutter vor mir, die in Vaters machtlosen Armen verstarb.

Danach stürzte sich Vater mit gebrochenem Herzen in die Forschungsarbeit und vernichtete in blinder Zerstörungswut den Großteil seiner Aufzeichnungen. Mir erschien es, als hätte er erkannt, dass Gentechnik zwar gewinnbringend erforscht wird, aber ganz simple Krankheiten die Menschen noch immer unbarmherzig dahinraffen.

Und Familien hinterher auseinanderbrechen.

Ich stürzte mich nicht in die Arbeit, wie Vater, sondern Hals über Kopf in jede Menge substanzlose Liebesbeziehungen. Einzig, um mich zu betäuben. Diesen schrecklich plagenden Schmerz zu betäuben.

Ich finde jedoch nie das, wonach ich mich in schlaflosen Nächten verzehre. Das, was mir nach dem qualvollen Ende von Mutter an Fülle fehlt und wovon ich nie zuvor ausging, es überhaupt eines schönen Tages verlieren zu können.

»Weine dich getrost aus, Liebes!«, tröstet Johann mich sanftmütig, zieht mich beharrlich in seine Arme und schaukelt mich geduldig, als sei ich ein hilfloses Kleinkind.

Er kennt mich, seit ich ebenjenes war. Womöglich schon seit meiner Geburt, doch nie in meinem Leben sprach er mir mehr Mut zu und küsste meine tränennassen Wangen trocken, als im Augenblick.

Johann gibt mir sein Ehrenwort, stets für mich da zu sein, wann immer ich nach ihm rufe. Jedes Mal, wenn er dieses Versprechen leise in mein Ohr murmelt, ergebe mich meinem Schicksal und weine zügellos all meinen versteckten Kummer in die grausame Welt hinaus, die mir kaltblütig meine Mutter geraubt hat.

»Sie fehlt mir so entsetzlich!«

»Nicht nur dir, Liebes. Allerdings würde sie die Richtung, in die du derzeit läufst, ebenfalls ins Grab bringen. Lass mich so lange an deiner Seite, bis du ihren Verlust überwunden hast! Ich kann dir durch unsere Übereinkunft nicht versprechen, das für dich zu sein, was dich glücklich macht, aber ich will in dieser schwierigen Zeit nicht von deiner Seite weichen. Bitte schicke mich nicht fort!«

»Und verletze deine Frau gleichzeitig?«

»Sprechen wir nicht über Babette!«

»Theo will mich auch beschützen«, murmele ich urplötzlich lachend und denke an den blässlich wirkenden Mann, der als Vaters Nachfolger gehandelt wird.

Er geht bei uns Daheim ein und aus, sitzt beim Abendessen mit am Esstisch und diskutiert mit Vater die neuesten Forschungsergebnisse. Vater wirkt neuerdings abwesend, als stieße ihn dieses Thema ab. Dabei liebte er es früher, mit Theo darüber zu sprechen. Oft sogar nächtelang.

Solange ich zurückdenken kann, sitzt Theo zu den Mahlzeiten an unserem Tisch. Aber seit Mutters Tod ist alles anders. Irgendwie aus dem Gleichgewicht geraten.

»Gott bewahre! Nein, Theo ist nicht der Typ Mann, der deinem Gesicht auch nur einen kleinen Ausdruck der Begeisterung abringt. Ich habe ihn beobachtet.«

»Du spionierst ihm also nach?«, frage ich und wische mir, darüber äußerst belustigt, mit meinem Handrücken eine Träne fort.

Johann beugt sich zu mir vor, küsst mich sanft auf meine Stirn und belässt seine Lippen für eine Weile dort. »Das würde ich nicht einmal ansatzweise in Betracht ziehen«, beantwortet er meine nicht ganz ernst gemeinte Frage.

»Sehen wir uns morgen?« Tapfer, aufgepäppelt und zuversichtlich wische die letzte Träne aus meinem rechten Augenwinkel.

»Sehr, sehr gerne.« Johann, küsst mich erneut auf die Stirn und erhebt sich, um sich im Badezimmer frisch zu machen. »Du hast es geschafft, dass ich schleunigst nach Hause zu Babette muss.«

Bevor ich mich auf mehr mit Johann einließ, bot er mir eine kleine Übereinkunft an. Er holt sich bei mir mehr oder minder Appetit, der ihm zuhause durch all die Ehejahre abhandengekommen zu sein scheint, stillt sein körperliches Verlangen jedoch ausschließlich mit Babette.

Johann liebt sie zweifelsfrei und bildet sich ein, dass es keinem Betrug gleichkommt, mich auf unfassbar erotische Weise zu befriedigen. Wie auch immer er es anstellt, nie weiter als bis zu ebendieser Grenze zu gehen, es tut den Liebesaktivitäten seiner Ehe gut.

Und ich wäre augenblicklich ohnehin nicht für eine Beziehung gewappnet.

Wie nebenbei betont er ständig, dass er auf mich aufpassen will. Väterlich besorgt sieht er mich an und macht fantastische Dinge mit mir, bevor er angestachelt zu Babette ins Bett krabbelt. Für mich ist das einer der triftigsten Gründe, warum ich keine anderen Abenteuer mehr brauche. Eben eine typische Win-win-Situation, von der sogar Babette profitiert.

»Wie ich aus sicheren Quellen erfahren habe, wird an der Universität munter spekuliert, wie lange sich dein Vater noch auf seinem Posten hält. Was das bedeutet, muss ich dir nicht erklären.«

Johann kommt soeben aus dem Badezimmer und will sich von mir verabschieden. Er schlüpft in seine Schuhe, verknotet die altertümlichen Schnürsenkel und streift sich sein Jackett über, das altmodisch gestreift ist. »Ich fürchte, die alten Freunde, die ihm noch geblieben sind, können nicht mehr lange etwas für ihn tun, bevor seine Karriere unschön endet. Er macht sich obendrein mit der Vernichtung seiner Aufzeichnungen Feinde bis ganz weit nach oben.«

»Ich weiß. Auch von zuhause schleppt er bergeweise Kartons in seinen Wagen und schafft sie an irgendeinen Ort. Die da oben haben ihn noch nie interessiert, aber ich bringe ihn zu einem Arzt. Danke, dass du und deine Freunde ein Auge auf ihn werft.«

»Leider rollen deren Schädel als Nächstes, wenn du nicht bald irgendetwas unternimmst. Die Geldgeber für seine Forschungen sind angesäuert, seit er ihnen den Rücken kehrt. Die Szenen werden immer unschöner. Hässliche Anschuldigungen fallen und jede Seite ist drauf und dran, die Nerven zu verlieren. Mit der Vernichtung der Aufzeichnungen wird alles prekärer. Die Lage ist absolut besorgniserregend.«

»Du meinst mit besorgniserregend seine Meinung zum Thema gentechnische Selektion? Ich finde nach wie vor, er hatte gute Gründe, die Nutzung der erforschten Techniken kritisch zu hinterfragen.«

»Versteh doch! Sie wollen eines Tages unbedingt die Unsterblichkeit erlangen und würden dafür sogar über Leichen gehen. Seine Forschungsergebnisse sind die Grundlage und zeitgleich das Ziel. Verstehst du, was das bedeutet?«

»Sie würden sogar über seine Leiche gehen?« Fassungslos blicke ich drein.

Johann seufzt: »Die Abgründe der menschlichen Seele sind immens, Emmichen. Es ist ein Drahtseilakt, sich mit diesen Menschen abzugeben, glaube mir!«, erklärt er, tritt dabei näher zu mir und küsst mich auf meinen Mund, obwohl es laut unserer Absprache ein Tabubruch darstellt.

Teuerste Schule der Welt, die zudem als die beste der Welt gehandelt wird.↩

Südamerikanisches Jäger- und Sammlervolk mit hochkomplexem Totenritual.↩

Kapitel 1

Zehn Jahre später 2188

Füße stampfen in Pfützen, deren Wasser wild durcheinander aufspritzt und die unteren Hosenbeine beschmutzt. Die unzähligen Flecken, die sich dadurch bilden, nehmen kein Ende. Der mitreißende Rhythmus, den die Regentropfen vorgeben, berauscht und beflügelt die beiden Tanzenden offensichtlich, die immer ausgelassener hüpfen. Die gleichmäßigen Bewegungen mit dem drängenden Rhythmus der Trommeln lässt mein Herz vor Aufregung klopfen, als wäre es kein berauschender Tagtraum, sondern real.

»Emma, kommst du kurz?«

Die Stimme von Theo klingt seit Tagen angespannt. Jetzt höre ich deutlich heraus, wie massiv ihm heute die Nervosität zusetzt. Belegt, beinahe krächzend und viel zu schrill für einen Mann Mitte vierzig reißt sie mich gewaltsam aus dem Traum.

Seit Tagen schläft er nicht in seinem Bett, obwohl ich es ihm eigens im Gästezimmer meines Elternhauses hergerichtet habe. Seit Vater durch die Demenzerkrankung in einem Heim betreut wird, bewohne mein Elternhaus allein. Ehrlich gesagt habe ich mich ein wenig auf Abwechslung und nette Gespräche gefreut, sehe mich aber schwer enttäuscht.

Theo ist mit seinem Zustand offenbar an alles andere, als ein netter Gesprächspartner. Auch kein guter Gesellschafter, denn er durchforstet lieber bis in die frühen Morgenstunden Vaters erhalten gebliebene Unterlagen im Speicher, statt Muße für einen ausgedehnten Spaziergang aufzubringen.

Bisweilen reagiert er unwirsch auf alle meine Ablenkungsversuche und blättert stundenlang wie ein Besessener die alten, verblichenen Aktennotizen durch. Damit strapaziert er ungewollt mein Nervenkostüm als Gastgeberin, denn das reagiert schon ähnlich mit Reizbarkeit auf jede Lappalie.

Ich verstehe seine Situation durchaus. Seit einer Woche verfolgen ihn sensationshungrige Reporter, die vor der heutigen Preisverleihung auf eine einträgliche Geschichte hoffen. Kurzerhand quartierte ich ihn hier ein. Nichts ahnend, wie extrem meine Privatsphäre damit eingeschränkt wird.

Er zitterte stark und sah extrem mitgenommen aus, nachdem er eines Abends an der Tür klopfte und um Unterschlupf für die letzten Tage vor der Preisverleihung bat. Mittlerweile kann ich es kaum erwarten, sie endlich hinter mir zu haben, denn dann herrscht in seinem und meinem Leben hoffentlich wieder Ruhe.

»Emma, kommst du?«

Die schrille Stimmfärbung reißt Theo mich unsanft aus meinen lebhaften Träumereien. Zur Ordnung gerufen straffe ich mich auf meinem Bürostuhl und sehe durch die Tür des Arbeitszimmers in das Gästebad. Unwillig und mich langsam von der Achterbahnfahrt der Gefühle erholend erhebe ich mich.

Egal, wie sehr ich mich anstrenge oder alle Kräfte anspanne, um die Träumereien zu unterdrücken, es bewirkt meistens das genaue Gegenteil. Die bloße Vorstellung von den tanzenden Füßen in den Pfützen versetzt mich unerklärlicherweise in ein für mich unbekanntes und ungewohntes Hochgefühl. Mit jedem Regentropfen erfasst es letztlich meinen gesamten Körper und erzeugt ein bis dahin unbekanntes Glücksgefühl.

Und auch jetzt verschlägt dieses Gefühl mir schier den Atem, obwohl ich nicht einmal annähernd benennen kann, warum ich alles so intensiv fühle.

»Emma?« Theo klingt nun argwöhnisch, weil ich noch immer nicht reagiere.

Schnell senke ich meine Hand, die auf dem Brustkorb ruht, als könnte ich so all die Gefühle aus dem Wachtraum noch ewig dort bewahren. In wenigen Stunden wird Theo ein weltweit begehrter und hoch dotierter Preis für seine Forschungsarbeit überreicht. Danach belagern ihn Reporter für Fotos und scharen sich um ihn wie Stubenfliegen unter einer Lampe.

Anschließend kehrt er in das avantgardistische Kugelwohnhaus aus recyceltem Kunststoff zurück. Dann herrscht in diesem Haus wieder Ruhe. Keine schrillen Stimmen, keine gereizten Antworten, kein Gepolter auf dem Dachboden.

Seit Jahrzehnten forscht Theo im Bereich gentechnisch modifizierter Organismen. Heute erntet er dafür die Lorbeeren.

Die Tatsache finde ich merkwürdig, verdreht und zynisch, denn er arbeitet gegen die Natur, nicht mit ihr zusammen. Das stört mich. Er weiß es, lächelt aber immer nachsichtig.

Die Evolution findet heutzutage im Labor statt, gesteuert durch Wissenschaftler und Mediziner. Kurz, durch Forscher wie Theo, nicht durch die Gegebenheiten der Natur.

Mithilfe von Selektionsmethoden per Labor können seit Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts dank der Genschere1 Kinder gezielt nach den verschiedensten Kriterien erschaffen werden. Eltern überlassen heutzutage nichts dem Zufall und setzten sich die Kinder wie in einer Art Baukastensystem zusammen.

Sie haben zumeist Wünsche an spezielle Begabungen, dem Intellekt oder der makellosen Schönheit. Selbstverständlich ist der Ausschluss bestimmter Gendefekte ein alter Hut und im Preis inbegriffen.

Ein chinesischer Forscher manipulierte im Jahre 2018 erstmals offiziell menschliche Embryonen auf diese Art und pflanzte sie Frauen ein. Nach anfänglicher Empörung unter den Fachleuten brach ein erdumfassender Wettkampf in der Genforschung aus, der bis heute anhält.

Das Forschungsgebiet ähnelt in seinen Grundzügen einem Goldrausch und erreicht teilweise ebensolche bizarren Dimensionen. Wer über genug Geld verfügt, ›bestückt‹ seinen Nachwuchs mit praktisch allem derzeit Umsetzbarem, womit die Genforschung aufwartet. Egal, was es kostet.

Der langen Rede kurzer Sinn: Es ist die Modifizierung des Nachwuchses für Rendite in Form von Erfolg, Einfluss, Geld oder Herrschaft.

Theo ging mit seinem Team einen Schritt weiter, als alle Wissenschaftler vor ihm. Unter ihm arbeiten unterschiedliche Forscher fachübergreifender Richtungen, die an Möglichkeiten der menschlichen Zellregeneration forschen. In diesem Bereich gilt er als die Koryphäe. Inzwischen leitet er die weltweit größte Forschungsstation auf diesem Gebiet, publiziert kontinuierlich in Fachzeitschriften und präsentiert ununterbrochen neue, spektakuläre Forschungsergebnisse.

Einst war er der beste Student seines Jahrgangs und glühender Anhänger von Vaters Forschungsergebnissen, die seinerzeit ebenfalls aufsehenerregend, spektakulär und skandalös zu gleichen Teilen waren. Meinem Vater gelang die absolute Modifikation eines Babys, das widerstandsfähig gegenüber Krankheiten war und sich bei Verletzungen selbst regeneriert. Theo arbeitete in seinem Team, wurde schnell sein Vertrauter und Freund der Familie.

Unter Insidern gelten Vaters Forschungsergebnisse noch heute als Vorstufe zum ewigen Leben. Hinter vorgehaltener Hand wird noch heute gemunkelt, dass er tatsächlich eine Art Schlüssel fand, der all diese Träumereien von einst ermöglicht.

Das einzige Experiment scheiterte kläglich, denn das Kind verstarb noch im Mutterleib. Stimmen, die beharrlich behaupten, es war vorsätzlicher Mord, verstummen heute auch nicht.

Ein gewaltiger, mehrmonatiger Aufschrei ging mit diesem, wenn auch gescheiterten, Forschungsversuch durch die Presse und alle bedeutenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Vater löste die heftigste, jemals geführte Debatte über die Ethik dieses Forschungsgebietes aus. An dem Goldrausch änderte es rein gar nichts.

Nach Mutters Tod und seiner aufkeimenden Krankheit vernichtete er alle Aufzeichnungen. Ohne Ausnahme. Auch hier verklingen die Stimmen niemals, die behaupten, er wurde wegen seines plötzlichen Sinneswandels geopfert und von seinen Gegnern mit einer Krankheit ausgeschaltet.

Meiner Meinung nach sind das alles wüste und haltlose Verschwörungstheorien. Demenz ist doch kein Gebrechen, welches mittels Injektionsspritze verabreicht werden kann, damit er schweigt. So weit ist die Forschung nun auch wieder nicht.

Theo will dieses verloren gegangene Puzzle mühsam zusammensetzen. Er übernahm Vaters Position und führt die Studien weiter. Wie makaber ich das finde, kann ich mit keinem Wort ausdrücken.

Schon die geschichtliche Vergangenheit des letzten Jahrhunderts erzählt von Menschen, die zum Mond flogen, was etliche Billiarden verschlang. Gegen den Hunger auf der Erde oder der Erforschung von altersbedingten Krankheiten wurde dagegen schon immer nur ein Bruchteil von diesen Geldsummen aufgewendet. Als sollte es absichtlich so sein. Bis heute hat sich nicht viel an dieser Vorgehensweise geändert und wir schreiben das Jahr 2188.

»Hey, warum antwortest du mir nicht?«

Das fragile Konstrukt meiner Gedankenwelt verblasst zusehends. Erschrocken bemerke ich, wie Theo zu meinem Schreibtisch tritt, an dem ich nur so tue, als arbeite ich den Berg Unterlagen ab. Der Auftraggeber drängelt bereits, sie endlich ausgehändigt zu bekommen. Es ist augenfällig: Ich arbeite in letzter Zeit weniger, als mir lieb ist, denn diese Vision überfällt mich inzwischen auch bei wichtigen Tätigkeiten.

»Ich, ähm ...«

»Was ist mit dir? Ich dachte, du arbeitest an den geheimen Übersetzungen für das Gugenheimer-Projekt?«

Ich sehe auf den Zettel hinab, der vor mir liegt. Auf dem liegt mein Stift, doch anstatt Zahlen, Notizen oder Berechnungen der Kosten aufzuschreiben, zeichne ich planlos Rhomben. Die ergeben nicht den geringsten Sinn oder dienen der zu erledigenden Aufgabe, also öffne ich eine leere Dokumentseite auf meinem hochmodernen Tablet.

Peinlich berührt sehe zu Theo auf. »Nun, Rhomben habe ich schon einmal gekonnt festgehalten und morgen übe ich einen Kreis«, übergehe ich meine Kopflosigkeit mit einem halbwegs abgeschmackten Versuch, der einmal Scherz werden wollte. »Du bist schon fertig angezogen?«

Versehentlich stoße ich gegen den vorsintflutlich aussehenden Papierkorb, den schon meine Mutter an ihrem Schreibtisch zu stehen hatte. Wieder finde ich eine Sache makaber, denn ein Papierkorb dient dazu, Papier zu sammeln. Das ist aber heutzutage weitestgehend abgeholzt. Übrig geblieben sind kaum nutzbare Sträucher und auch nur die Überlebenskünstler unter ihnen.

Meinem Wissen nach existiert nur noch ein kleiner Restbestand an Bäumen. Irgendwo in Russland. Ob das stimmt, weiß aber niemand so genau.

Wegstellen oder entsorgen will ich den Papierkorb andererseits auch nicht, denn ich finde ihn ebenso kostbar, wie all die schönen Erinnerungen an meine Mutter.

Sie war Sprachwissenschaftlerin, wie ich. Einen Beruf, für den sie mich in meiner Kindheit begeistert hat. Er erinnert mich daran, wie ich als Kind neben ihrem Schreibtisch hockte und meine erste Fremdsprache lernte.

Altgermanisch.

Mein Vater verkraftete ihren siechenden Tod nicht. Er stürzte sich exzessiv in seine Forschungsarbeit und die folgende Demenz schien ihm zu helfen, all den Kummer zu vergessen. Erst zeitweise, wohin er seine Schuhe gestellt hat, derzeit immer häufiger mich und jeder weiß, wohin es letztlich führt.

Mir wäre es wesentlich angenehmer, ich könnte mich hier in seinem zuhause um ihn kümmern. Leider kam ich jedoch an meine Leistungsgrenze, da sich Beruf und Pflege von Angehörigen schwerlich vereinbaren lassen. Mittlerweile wird er in einem Pflegeheim betreut, was mir sehr zu Herzen geht, denn ich will ihm gerne das zurückgeben, was er mir gab.

Sehr viel Liebe.

»Bindest du mir liebenswürdigerweise die Krawatte?« Theo reckt seinen Kopf in die Höhe, um mir dabei nicht in mein Antlitz sehen zu müssen.

Ich bin nicht blind und spüre sehr wohl, warum er Vater regelmäßig im Pflegeheim besucht. Genau zu der Zeit, in der ich Vater für gewöhnlich besuche. Seine genierlichen Blicke bemerke ich, zumal er sie mir in aller Stille zuwirft und glaubt, ich nehme keinerlei Notiz davon.

Auf diese Weise sieht er mich an, seit ich im Abendkleid bei der ersten Freitag-Abend-Gesellschaft meiner Eltern anwesend sein durfte. Damals genoss ich es, angesehen zu werden. Besser gesagt: wahrgenommen.

Ich trug ein dunkelgrünes Abendkleid, für das ich wochenlang und auf Kosten der Nerven meiner Mutter jede Boutique abklapperte. Es betonte meine blasse Haut, die neben meiner flammend roten Haarfarbe und grüner Augenfarbe heutzutage exotisch ist, weil nicht mehr all zu oft von den Eltern weitergegeben.

Ein Ziel der Evolution ist es, sich weiter zu entwickeln. Auch, wenn dies bedeutet, dass blonde und rothaarige Gene seltener weitergegeben werden. Vor Jahrzehnten lamentierten ganze Bevölkerungsschichten gegen diese ›Durchmischung‹, vergaßen aber, dass die Natur nichts grundlos tut.

Sie lebt, entwickelt sich ... Sie zerstört Gestriges, bringt aber genauso gut wundervolle und neue Sachen hervor.

»Ich finde es großartig, dass du mich heute Abend begleitest«, murmelt Theo an die Zimmerdecke sehend.

»Wie könnte ich mir Oktopusherz entgehen lassen«, spöttele ich und binde die altmodische Krawatte, die er heute Morgen in Vaters Kleiderschrank entdeckt hat. Sie passt wenigstens zum Anzug, der ebenso uralt und unmodern wirkt, wie die Garderobe meines Großvaters.

Was Mode betrifft, scheinen alle Wissenschaftler ausgesprochene Muffel zu sein. Den blütenweißen Kittel trägt er für seinen Lebtag gern und setzt gewiss nur unter Androhung des Todes einen Fuß in ein Modegeschäft für Herren.

»Du hasst Oktopusherz und wirst alle in Grund und Boden diskutieren, die es für eine Delikatesse halten«, kommentiert er meine kritische Haltung zur derzeitigen Umweltpolitik.

Meine Haltung, die gewiss wenige Menschen der Oberschicht teilen, richtet sich gegen alle, die die letzten verbliebenen Fischbestände der Weltmeere rücksichtslos als Spezialität verspeisen, während der Rest der Menschheit sich mit Konserven von pürierten und mit Zusatzstoffen versetzten Quallen begnügt.

»Doch wohl nicht grundlos. Wie kann es sein, dass ein Umweltaktivist heutzutage im Untergrund leben und um sein Leben fürchten muss, wo doch offensichtlich ist, dass wir auf einen Abgrund zurasen? Ich will ja nicht wieder anfangen, aber früher, konnten die Leute wenigstens für ihre Sache auf die Straße gehen ...«, entgegne ich entsprechend emotional und schiebe energisch den Knoten zum Kragen hinauf. »Ich komme dir zuliebe mit. Vergiss das nicht! Ich brauche den Zirkus nicht. Das ganze Eididei ... Du bist für drei Menschen nervös und einer muss schließlich den Kopf für dich auf den Schultern tragen, oder etwa nicht? Ich reiß mich für heute Abend zusammen.«

»Lieben Dank. Sei nett zu Herrn Wenzin!«

»Ausgeschlossen. Mir ist egal, ob sie mich wegen meiner Meinung verhaften oder bespitzeln. Ich sage, was ich denke, oder ich bleibe hier«, entgegne ich mit meiner Hand abwinkend und wende mich zu den ungeordneten Papieren auf meinem Schreibtisch.

»Ach komm! Er ist nicht so schlimm, wie du immer denkst.«

»Wir haben eine andere Sicht auf die Dinge, Theo«, murmele ich und wende mich zum Schreibtisch.

Die Übersetzungen für das Forschungsprojekt von Herrn Gugenheimer gehen schleppend voran. Seit Tagen schiebe ich die Zusammenfassung meiner Arbeit vor mir her. Mir sind die Ansichten zuwider, mit der dieser unmögliche Mensch die indigenen Völker Skandinaviens als primitiven Volksstamm abstempelt.

Nun, ich lerne insofern dazu, dass ich in Zukunft derartige Aufträge im Vorfeld besser unter die Lupe nehme und notfalls ablehne. Seit einigen Tagen überlege ich ernsthaft, die Aufzeichnungen kurzerhand zu vernichten.

Wie Vater einst seine.

Die Welt nutzt sie eh nie für das, was Forscher bezweckt haben. All die guten Ansätze verpuffen in der Luft. Die Gier der Menschen kehrt alles ins Gegenteil, ramponiert unnötigerweise die Welt und lässt mich nun schwer aufseufzen.

Seit Kurzem verstehe ich sehr genau, wie wenig Vater damals seine Ideale verraten konnte. Besonders mit dem Wissen darum, wie das jeweils bestehende System die Ergebnisse gezielt nutzt, um die Natur nach Belieben und Gutdünken der oberen Zehntausend zu verbiegen.

»Emma?« Theo ergreift mein Handgelenk genau in dem Moment, in dem ich mich vom Schreibtisch entfernen will. Seine Tonlage klingt in meinen Ohren flatterhaft und genau so sieht er mich an. Nachdem er mich für einige Sekunden auf diese Art ansieht, schellt es an der Tür.

Darüber erschrocken, zucke ich zusammen. »Gottverflucht! Das wird der Chauffeur sein und dabei ich bin noch nicht einmal umgezogen«, flüstere ich plötzlich panisch und entziehe mich geschwind seinen Fingern. »Gehst du oder soll ich?«

»Was, wenn es Reporter sind?«

»Blödsinn! Wie sollen sie herausgefunden haben, dass du dich hier bei mir versteckst?«, winke ich ab, sehe ihn dennoch verunsichert an, weil sich seine Miene deutlich verändert.

Auf Zehenspitzen nähere ich mich dem Eingangsbereich mit der hölzernen Tür. Bedacht schleiche ich zu einem der bodentiefen Fenster, die seitlich der Tür einen Blick auf den Besucher preisgibt.

Blitzartig wird ein Fotoapparat auf mich gerichtet.

Fluchtartig ziehe ich mich in den offen gehaltenen Wohnbereich zurück. Dabei rempele ich Theo an, der hinter mir ebenfalls zum Fenster schlich. Ich lande genau in seinen Armen, doch der entsetzte und erstarrte Gesichtsausdruck leibt auf den Fotografen gerichtet, während er seine Arme schützend um mich schlingt.

»Verdammt noch eins, die haben dich tatsächlich aufgespürt, Theo!«, rufe ich beunruhigt und ziehe den wie angewurzelt dastehenden Mann in das Wohnzimmer, um uns aus der Schusslinie zu bringen. »Wie geht das an?«

Er bringt noch immer keinen Ton über die Lippen, glotzt mich nur sprachlos an und scheint mit seinen Gedanken völlig woanders zu sein.

»Theo?«

Achselzuckend und auf diese Art meiner Frage ausweichend wendet er sich halb von mir ab und verdreht zermürbt seine Augen.

»Theodor Stigner? Sieh mir gefälligst in die Augen! Wem, verflucht noch eins, hast du leichtsinnigerweise von deinem Aufenthaltsort erzählt?«

»Nur meinem Sekretär«, gibt er vernehmlich gereizt zu.

Fluchend hebe ich meine Hände und signalisiere damit auf sehr anschauliche Weise, dass ich am liebsten seinen Hals würgen würde.

»Theo!«

»Was? Schließlich arrangiert er meine Dienstreisen, kennt diesbezüglich meine Präferenzen und gibt sich nicht mit den klatschsüchtigen Reportern ab.«

»Ach nein?«, entgegne ich schneidend und deute mit ausgestrecktem Arm zum Eingangsbereich. Theo wirkt bei dem Blick zum Hauseingang reumütig, was mich um ein Haar dazu verleitet, ihn jetzt milde gestimmt anzusehen.

»Ich gehe mich kalt abduschen, erhole mich dabei hoffentlich von deinem Leichtsinn und ziehe mich anschließend um. In der Zwischenzeit organisierst du unsere Abholung. Ohne lästigen Paparazzo!«

»Ich?«, fragt der Unvernünftige doch tatsächlich und macht mich heute damit mehr als einmal fassungslos.

»Du kannst auch gerne sofort diese Haustür öffnen und direkt in seine Kameralinse lächeln. Aber ich mache da nicht mit, weil du mich aus diesem Personenkult heraushalten wolltest. Erinnerst du dich an dein Versprechen?«, gebe ich atemlos zurück. »Alternativ verbringe ich einen gemütlichen Abend auf dem Sofa, denn ich bekomme heute schließlich keinen hoch dotierten Preis für meine Arbeit als Sprachwissenschaftlerin überreicht.«

»Aha, das ist also dein Problem, ja?«

Nicht der unverhohlene und zur Schau gestellte Zynismus irritiert mich, vielmehr die Art und Weise, die mich an ein Ehepaar erinnert, das über all die Ehejahre lernte, sich an Nichtigkeiten aufzureiben. Meine Eltern liebten sich, stritten sich und versöhnten sich anschließend, verirrten sich jedoch nie im Dschungel der eigenen Charakterzüge.

Vom Esstisch, dessen Oberfläche etliche Kratzer zieren, als sei sie ein Gesicht eines Menschen von beträchtlichem Alter, ergreife ich das hochmoderne Handyarmband. Mit einer geschickten Handbewegung werfe ich ihm das kostspielige Gerät zu. Ich weiß, er hasst es, wenn ich nachlässig mit sensibler Technik umgehe, aber das juckt mich augenblicklich herzlich wenig.

»Du redest, als lägen dreihundert schlechte Ehejahre hinter dir.«

»Will deswegen keine deiner Romanzen länger als nötig bei dir bleiben?«

Auf dem schnellsten Weg kehre ich um, denn er kennt meine Schwachstelle und steckt mit diesen Worten routiniert seine Finger in diese Wunde. »Wenigstens habe ich gelegentlich Romanzen.«

»Was sagt Babette eigentlich dazu, dass Johann, dieser greise Sabberheini dich anschmachtet, wenn du ihm einen Drink bringst, den er ohnehin verschüttet«, presst er abfällig hervor. Mit zitternden Händen imitiert er die Parkinsonerkrankung, die Johann immer mehr erfasst, was für mich schwer genug mit anzusehen ist. Sein unverhohlener Spott ekelt mich an.

»Sie wischt ihm den Sabber fort, weil sie ihn selbst in diesem Stadium der Krankheit über alles liebt.«

Ich will mich abwenden, jedoch umschließen seine Finger eisern mein Handgelenk. »Ich konnte es nie leiden, wie er dich anglotzt.«

»Komisch, denn vor langer Zeit ließ er eine Bemerkung darüber fallen, dass es ihm mit dir ähnlich ergeht. Ich beruhigte ihn, in dem ich ihm Gewissheit verschaffte, welche Gefühle ich für dich hege.«

»Du hegst mir gegenüber Gefühle?«

»Wäre es so, hättest du damals an seiner Stelle gelegen und dort unten unerhörte Dinge tun dürfen.«

Ich deute mit ausgestrecktem Zeigefinger auf meine Körpermitte. Entsetzt reißt er seine Augen auf, lässt mich los und verzieht seinen Mund unwillkürlich zu einer Grimasse. »Er war ein Freund deines Vaters, Emma!«

»Du doch auch, also tu nicht so nicht betreten!«

»Mit Johann?«, fragt er unsicher nach und wendet sich ab, nachdem ich mit den Achseln zuckend bestätige. Hektisch knetet er seine Finger, was immer Ausdruck seiner inneren Unruhe ist.

»Ja, er war bewandert und ...«

»Das reicht, Emma!«, knurrt er ungehalten los, hält sich seine Ohren zu und hetzt gepeinigt in die äußerste Ecke des Wohnzimmers.

Vor den bodentiefen Fenstern bleibt er stehen und schaut atemlos durch die Sprossenfenster auf die Terrasse, an der wir vorhin unseren Espresso zu uns nahmen. »Diese Neuigkeit ist unerträglich für mich. Überdies kommt es mir vor, als würdest du es genießen, mich moralisch am Boden liegend zu sehen.«

»Wie könnte ich es genießen? Und, du liegst nicht am Boden. Du erhältst den begehrtesten Preis der Welt, den ein Forscher jemals in seinem Leben überreicht bekommen kann. Du hast alles erreicht, was du dir sehnlichst gewünscht hast. Du willst mir ernsthaft glauben machen, du würdest auf dem Boden liegen?«

Seine Finger krallen sich um die Verstrebungen des Fensters und lassen seine Gelenke blutleer hervortreten. »Du hast einen impotenten Tattergreis ...?«, fragt er tonlos, wendet mir dann jedoch rasch das schmerzverzerrte und von Traurigkeit veränderte Gesicht zu. Eindeutig will ihm jetzt der komplette Satz nicht über die Lippen kommen.

»Er hat es grandios kompensiert.«

In Windeseile hebt Theo seine Hand und bringt mich mit dieser Geste zum Schweigen. »Gut jetzt! Danke«, verlangt er verzweifelt. »Warum tust du mir das an?«

»Es ist besser, wenn du nach der Preisverleihung in dein Haus zurückkehrst. Wir reiben uns hier gegenseitig auf.«

»Aber vor Wochen hast du mir gesagt, du denkst ernsthaft über meinen Vorschlag nach.«

»Theo, bitte!«

Wiederum wendet er seinen, aller Hoffnung beraubten, Blick aus dem bodentiefen Fenster, nickt abwesend, als verstünde er und gäbe sich mit meinen halbseidenen Erklärungen zufrieden.

»Verstehe, du kanntest die Antwort längst.«

»Nein. Freundlicherweise hast du mir Bedenkzeit eingeräumt und die ist noch nicht verstrichen.«

Bemitleidenswerte Augen sehen niedergeschlagen zu mir, als schöpfe er durch meine Antwort neue Hoffnung. »Ich stehe zu meinem Wort.«

»Das hast du erwähnt und es fließt in meine Überlegungen ein.«

»Aber wenn du liebst, brauchst du keine Bedenkzeit. Wenn dich mein Heiratsantrag ehrt, hättest du ...«

Allmählich werde ich sauer, was hauptsächlich der Tatsache geschuldet ist, dass er seine nüchterne und pragmatische Frage ernstlich als Heiratsantrag auslegt. Er ist zweifelsfrei hochbegabt, aber in romantischen Dingen hölzerner, als der Parkettfußboden, auf dem wir stehen.

»Wünschst du meine Anwesenheit bei deiner Preisverleihung noch immer?«, erkundige ich mich vorsichtshalber und unterkühlt, denn mir steht der Sinn eindeutig nicht nach ellenlangen und für beide Seiten quälenden Debatten.

Jählings spannt er seinen hageren Körper an und fährt zerstreut mit seiner Hand über die Krawatte. »Ich sorge dafür, dass wir unbehelligt von hier zum Firmengelände gelangen«, entgegnet er heiser und akzeptiert meinen Unwillen über diese Angelegenheit vor Ablauf der Bedenkzeit zu diskutieren, »und morgen nach dem Frühstück bist du mich los.«

»Theo?«, frage ich halblaut, bevor er die Tür zum Gästezimmer öffnet. Er bleibt sogleich stehen, dreht sich aber nicht zu mir herum. Seine Hand ruht auf der Türklinke und verständlicherweise er bemüht sich, seine gekränkten Gefühle zu verbergen. »Es wird in Kürze regnen und der Chauffeur soll bitte an Schirme denken.«

»Ich nehme jede deiner Antwort zur Kenntnis«, flüstert er, statt mich gewohnheitsmäßig mit meinem Talent aufzuziehen, Regen vorherzusagen.

Mit merkwürdig beklommenen Herzen steige ich die Treppe zum Badezimmer empor, während er sein flexibles Display vom Handy aus dem Designerarmband herausschiebt und seine Telefonkontakte öffnet.

Die DNA wird gezielt geschnitten und verändert, um Gene einzufügen, zu entfernen oder auszuschalten.↩

Kapitel 2

Bedenkenlos beobachte ich Theo, der selbstvergessen in das Handy schaut. Das Display, auf dem er völlig versunken herum tippt, zog er aus dem Armband und ruht jetzt in seinen Händen. Drei Querfalten zeichnen sich auf der Stirn ab, weil er hoch konzentriert liest.

Seine mittelblonden Haare kämmte er akkurat zu einem modernen Seitenscheitel. Das Gesicht befreite er sorgsam von Bartbewuchs und nichts raschelt, wenn er sich mit seinen Fingern nachdenklich über den Kieferknochen reibt.

---ENDE DER LESEPROBE---