Eine Maus kommt selten allein - Rita Mae Brown - E-Book

Eine Maus kommt selten allein E-Book

Rita Mae Brown

0,0
7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In ihrem 15. Fall ermittelt die Detektivin auf Samtpfoten weitab der Heimat in Kentucky. Während einer Pferdeschau stirbt ein Stallbursche eines unnatürlichen Todes - Mrs. Murphy und ihre vierbeinigen Freunde stehen vor einer großen Herausforderung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Anstatt sich nach der Hochzeit in die wohlverdienten Flitterwochen zu begeben, fahren Mary Minor »Harry« und Fair Haristeen zusammen mit ihren Vierbeinern zur berühmten Pferdeschau nach Shelbyville in Kentucky. Doch die Freude währt nicht lang: Erst wird ihrer Freundin Joan die mit wertvollen Steinen besetzte Hufeisenbrosche gestohlen, kurz darauf verschwindet das edle Pferd eines Leinwandstars. Und als ob dies nicht schon genug Rätsel wären, kommt auch noch ein Stallbursche auf mysteriöse Weise ums Leben. Wahrlich ein gefundenes Fressen für die Tigerkatze Mrs. Murphy, ihre Gefährtin Pewter und die Corgihündin Tee Tucker: Sie wittern Böses und begeben sich umgehend auf die Spur der Übeltäter.

»Fans der schlauen Tierdetektive werden Freude an ihren Eskapaden haben.« Kirkus Reviews

Die Autorin

Rita Mae Brown, geboren in Hanover, Pennsylvania, wuchs in Florida auf. Sie studierte in New York Filmwissenschaft und Anglistik und war in der Frauenbewegung aktiv. Berühmt wurde sie mit dem Roman Rubinroter Dschungel. Seit vielen Jahren steht sie mit ihren Kriminalromanen, die sie zusammen mit der Tigerkatze Sneaky Pie Brown als Koautorin schrieb, weltweit auf allen Bestsellerlisten. Weitere Informationen finden Sie unter: www.ritamaebrown.com

Von Rita Mae Brown sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die Mrs.-Murphy-Krimis:

Schade, dass du nicht tot bist – Rache auf leisen Pfoten – Mord auf Rezept – Die Katze lässt das Mausen nicht – Die Katze im Sack – Da beißt die Maus keinen Faden ab – Die kluge Katze baut vor – Eine Maus kommt selten allein – Mit Speck fängt man Mäuse – Die Weihnachtskatze – Die Geburtstagskatze – Mausetot – Vier Mäuse und ein Todesfall

Die Krimiserie mit Sister Jane:

Auf heißer Fährte · Fette Beute · Dem Fuchs auf den Fersen · Mit der Meute jagen · Schlau wie ein Fuchs

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Juli 2009 3. Auflage 2009 © für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2008/Ullstein Verlag © 2007 by American Artists, Inc.

Illustrationen © 2007 by Michael Gellatly Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Puss’n Cahoots (Bantam Books, New York) Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München Titelabbildung: Jakob Werth, Teisendorf Satz: LVD GmbH, Berlin E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-8437-1033-6

Paul und Frances Hamiltonin liebendem Gedenken gewidmet

Personen der Handlung

Mary Minor Haristeen (Harry) ist wenige Tage vor ihrem vierzigsten Geburtstag gut in Form, blickt der Zukunft froh entgegen und liebt ihren Mann, den sie einige Zeit nach der Scheidung wieder geheiratet hat.

Pharamond Haristeen (Fair) ist ein Jahr älter als seine Frau, die er jubelnd zurückerobert hat; er ist ein Pferdearzt und Gentleman.

Joan Hamilton ist die Besitzerin des Gestüts Kalarama. Sie hat sich einen Ruf als hervorragende Züchterin von Saddlebred-Pferden erworben und ist eine alte Freundin von Harry.

Larry Hodge ist Joans Ehemann und als Trainer so bekannt wie sie als Züchterin. Larry hat Humor und versteht es, besorgniserregende Situationen zu entschärfen.

Booty Pollard, einundvierzig Jahre alt, ist ein scharfer Rivale von Larry Hodge. Er hält sich einen Affen namens Miss Nasty und Schlangen. Die Schlangen hält er zu Hause. Er ist sehr eitel und gibt Unmengen Geld für Kleidung aus.

Charly Trackwell ist ebenfalls Anfang vierzig, und sein Ehrgeiz wächst mit jedem Jahr. Er ist ein Trainer mit einer exklusiven Schüler-Liste. Manche glauben, er hat auch eine exklusive Geliebten-Liste.

Ward Findley ist jünger als die anderen Trainer, die »großen Drei«, und beweist Talent. Mit neunundzwanzig strebt er ins Rampenlicht, wird aber gegenwärtig aus Geldmangel daran gehindert. Wenn er einen großen Sieg erringen kann, wird er Reitschüler mit dicken Scheckbüchern anziehen.

Renata DeCarlo ist ein Filmstar, der das Vorrücken des mittleren Alters fühlt. Sie hat etliche Schlappen erlitten. Sie ist selbstverständlich schön, hat aber zurzeit kein Engagement und weiß nicht recht, welchen Weg sie einschlagen soll. Sie ist eine gute Reiterin, beteiligt sich an Saddlebred-Turnieren, und Charly Trackwell ist ihr Trainer. Renata ist das Juwel in Charlys Krone; sie wäre das Juwel in jeden Trainers Krone.

Paul und Frances Hamilton, Joans Eltern, sind über achtzig und sehr lange verheiratet. Paul hat schon als Junge auf dem Gestüt Saddlebred-Pferde geliebt. Frances liebt die Menschen im Allgemeinen und die Leute auf den Saddlebred-Turnieren im Besonderen. Sie haben acht Kinder. Joan herrscht über die Welt der Saddlebreds. Ihre Geschwister herrschen über andere Ressorts.

Manuel Almador ist der erste Pferdepfleger auf dem Gestüt Kalarama. Er kann mit Pferden umgehen, ist gut organisiert und genießt großes Vertrauen. Manuel ist Ende vierzig.

Jorge Gravina ist Manuels Stellvertreter. Er ist Anfang dreißig, äußerst verantwortungsbewusst, sehr beliebt und führt ein ruhiges Leben.

Benny ist Ward Findleys Mann für alles. Er war viel zu oft verheiratet.

Carlos, Charly Trackwells erster Pferdepfleger; er weiß, wann er wegschauen muss.

Die wirklich bedeutenden Figuren

Mrs. Murphy, Harrys getigerte Katze, verfügt über hohe Intelligenz und erstaunliche sportliche Fähigkeiten.

Pewter, Mrs. Murphys rundliche graue Freundin, ist längst nicht so sportlich wie die Tigerkatze, gleicht es aber durch ihre Neigung zum Nörgeln aus. Dennoch ist Pewter in der Lage zu sehen, was Menschen nicht sehen können.

Tee Tucker, die tapferste Corgihündin, die je gelebt hat, liebt Harry und auch Fair, und sie liebt die Katzen, selbst wenn sie ihr den letzten Nerv rauben.

Miss Nasty, das Affenmädchen, macht seinem Namen – Miss Garstig – alle Ehre und ist genau so ein wandelnder Kleiderständer wie ihr Besitzer Booty Pollard. Sie fasst auf Anhieb eine Abneigung gegen Pewter, was auf Gegenseitigkeit beruht. Das kann zu nichts Gutem führen.

Queen Esther, Renatas Dreigänger-Stute, ist talentiert, kostspielig und schön. Sie ist jedoch keine große Leuchte.

Shortro, Renatas junger Dreigänger-Wallach, ist ungemein intelligent, gutmütig und ein guter Kumpel.

Voodoo, Renatas flotter älterer Wallach, hat ihr eine Menge beigebracht. Er war das erste teure Pferd, das sie gekauft hat, als sie anfing, in Hollywood Geld zu verdienen. Er wird ganz sicher nicht das letzte sein; denn Renata will siegen, siegen, nichts als siegen.

Spike, ein rotbrauner Kater voller Kampfnarben, lebt in Shelbyville in einem Stall neben der Trainingshalle. Dummköpfe kann er kaum ertragen.

Friedrich der Große, ein Fünfgänger-Hengst, den Charly Trackwell vorführt. Pferd und Ausbilder befinden sich auf dem Gipfel ihrer Kräfte.

Callaway’s Senator ist Friedrichs scharfer Konkurrent. Der Fünfgänger-Hengst wurde auf dem Gestüt Callaway gezüchtet und von einem von Bootys reichen Reitschülern erworben. Booty glaubt, dies ist das Jahr, in dem er mit Senator auf allen großen Turnieren siegen wird.

1

Lange goldene Strahlen lagen über dem sanft geschwungenen Hügelland um Shelbyville, Kentucky. Am Mittwoch, dem 2. August, strömten die Besucher ab sechs Uhr morgens unablässig auf den grasbewachsenen Parkplatz des berühmten Veranstaltungsgeländes. Gegen sieben Uhr würde der Platz überfüllt sein und ein starker Rückstau einsetzen. Ein leichter Wind trug einen Hauch Feuchtigkeit vom Ohio heran, der ungefähr dreißig Kilometer westlich vorbeifloss und die Grenze zwischen den Staaten Kentucky und Indiana bildete. Rauchschwalben flogen tief und machten Jagd auf überreichlich vorhandene Insekten; Krähen, die auf Oberleitungen hockten, betrachteten und bekakelten alles. Auf den Weiden drängten sich Rinder. Schmetterlinge umschwärmten die Pferdeäpfel auf dem Gelände. Schmetterlinge lieben nicht nur Blumen und blühende Sträucher, sie hegen auch eine starke Vorliebe für Dung. Jedes Mal, wenn ein Pfleger pflichtgemäß den Dung einsammelte, wirbelte ein Schwarm von gelben und schwarzen Schwalbenschwänzen, von milchweißen und kleinen leuchtend blauen Faltern auf und ließ von seiner Beute ab. So primitiv ihre Fressgewohnheiten auch sein mochten, es war ein schöner Anblick.

»Wenn ich das blöde Geschirr nicht umhätte, würde ich mir einen schnappen«, prahlte Pewter. »Vielleicht auch zwei.«

»Sie sind appetitlich«, pflichtete Mrs. Murphy der dicken grauen Katze bei. Mrs. Murphy, eine geschmeidige Tigerkatze, wurde von Harry Haristeen getragen. Pewter wurde von Fair Haristeen getragen, Doktor der Veterinärmedizin. Die Katzen warteten ungeduldig auf den Beginn der ersten Abendveranstaltung.

Shelbyville, das zweite strahlende Juwel in der Welt der Saddlebreds, war ein Anziehungspunkt für die besten Pferde des Landes. Das Turnier begann zwei Wochen vor dem Kentucky State Fair, dem Nonplusultra aller Saddlebred-Turniere.

Die vier Juwelen in der Krone waren die Lexington Junior League, Shelbyville, das Kentucky State Fair in Louisville und das Kansas City Royal, das einzige große Turnier, das im Spätherbst stattfand, im November. Alle übrigen waren Sommerturniere.

In ganz Amerika, vor allem aber in Kentucky, Indiana und Missouri, brachten die Saddlebred-Turniere Glanz in die Saison und Geld in die Kassen. Jede Stadt, die ein wenig größer war, veranstaltete ein eigenes Turnier, und war es noch so bescheiden. Von Bescheidenheit konnte beim Shelbyville-Turnier allerdings keine Rede sein. Eine Haupttribüne umgab die gepflegte ovale Reitbahn. Der Sitzbereich war größtenteils überdacht. Die Südseite der beleuchteten Bahn wurde von einer imposanten zweistöckigen Tribüne beherrscht, wo Speisen serviert wurden, sofern man eine Eintrittskarte für diesen Hochgenuss besaß.

Der Duft von Rippchen war eine Tortur für Tucker, die Corgihündin, die zwischen ihren zwei Menschen ging. Sie sabberte vor Erwartung. »Wie lange dauert es noch, bis wir was zu essen kriegen?«

»Ich weiß nicht, aber ich werd bald ohnmächtig vor Hunger«, seufzte Pewter.

»Oh là là!« Mrs. Murphy hätte gern noch mehr gesagt, doch ihr war klar, wenn sie Streit anfing, würde sie unsanft in ihre Suite im Best Western Hotel befördert werden.

Harry und Fair blieben stehen, um bei der Ausbildung der Pferde auf der Trainingsbahn an der Ostseite des Geländes zuzusehen. Booty Pollard, ein berühmter Trainer von einundvierzig Jahren mit einem bekleideten Affen auf der Schulter, ging neben einem jungen Mädchen, das ein dreigängiges Country Pleasure Horse ritt. Das Pferd, das Schritt, Trab und Galopp beherrschte, gehörte zu jenen wunderbaren Geschöpfen, die Rücksicht auf ihre jungen Reiter nehmen. Zum Glück für das Mädchen waren die drei Gangarten der Stute ausgeglichen. Sie verließen die Trainingsbahn. Booty wandte den Kopf, als er einen anderen Trainer hörte.

Charles »Charly« Trackwell, ein Trainer für Leute mit viel Geld und ein eitler Pfau, rief einer umwerfenden jungen Frau auf einer ebenso umwerfenden dreigängigen Fuchsstute namens Queen Esther etwas zu. Queen Esther war viel anmutiger als das Country Pleasure Horse, das Bootys Schülerin ritt. Queen Esthers Trab hatte Renata DeCarlo schlicht vom Hocker geworfen. Die schöne Frau hatte zweihundertfünfzigtausend Dollar für die Stute bezahlt. Renata wollte siegen. Sie musste härter arbeiten als andere Wettbewerbsteilnehmer, um von den Richtern ernst genommen zu werden, aber sie liebte harte Arbeit so sehr wie das Siegen. Die Achtunddreißig- jährige – wiewohl ihre »offizielle« Biographie sechs Jahre von diesem Alter abstrich – war ein Filmstar, und Lincoln County, Kentucky, brachte nicht viele Stars hervor. Weil alle sie sehen wollten, konnten Zuschauer und Richter schon mal voreingenommen sein. Und der Neid der anderen fand seltsame Wege, um sich zum Ausdruck zu bringen. Renata erhielt oft eine Schleife von geringerem Wert, als sie verdient hätte. Ihre herrliche Stute verdiente es in den allermeisten Fällen, mit dem ersten Preis, der blauen Schleife, ausgezeichnet zu werden. Shortro, ihr junger kräftiger dreigängiger Schimmel-Wallach, musste sich ebenfalls mit geringeren Auszeichnungen begnügen, als ihm gerechterweise zugestanden hätten.

Doch anders als Queen Esther freute es Shortro, wenn er eine blaue, rote, gelbe, grüne, weiße oder rosa Schleife errang. Queen Esther wollte immer die Schleife für die Klassenbeste, genau wie Renata.

Pferde wie Menschen sind ausgeprägte Persönlichkeiten.

»Schultern runter, Renata«, brummte Charly.

»Schön«, bemerkte Harry.

»Herrliche Stute.« Fair konzentrierte sich wohlweislich auf die Fuchsstute, was Harry zum Lachen brachte.

Sie kamen an dem weißgestrichenen Stall in nächster Nähe der Trainingsbahn vorbei; das silbrige Blechdach war etwas heruntergekommen. Die alten Stallungen mochten wohl im Gegensatz zur Tribüne einen neuen Anstrich nötig haben, aber sie waren luftig und recht großzügig. Die Anzahl der Wettbewerbsteilnehmer war so groß, dass Zelt-Ställe aufgestellt werden mussten, um den Ansturm zu bewältigen. Jeden Tag traten Hunderte von Pferden miteinander in Konkurrenz; einige wurden nur für diesen einen Tag hierher transportiert. Es erwies sich zuweilen als beschwerlich, im Auge zu behalten, was für Pferde sich auf dem Gelände befanden, weil nicht alle Pferde Wettbewerbsteilnehmer waren. Manche waren Begleitpferde, die dem Star-Pferd Gesellschaft leisteten. Die durch zwei Zwischengassen voneinander getrennten Behelfsboxen waren ebenfalls komplett besetzt. In den großen Ställen hatte man eine oder gar zwei Boxen mit Leinwandverkleidung und Vorhängen in den Stallfarben versehen und als Gästeunterkünfte eingerichtet. Bei vielen hatte man die Decke im Inneren mit Zeltleinwand verkleidet, um die einladende Atmosphäre zu vervollkommnen. Eine Bar sowie Erfrischungen trugen das Ihre zu der Festtagsstimmung bei. Regiestühle – wiederum in den Stallfarben –, Satteltruhen, Zaumzeugkisten, an die »Wände« gehängte Schleifen sowie hübsche Fotografien von Reitern und Pferden vervollständigten die Ausstattung. Die Mühe, die es erforderte, um diese Wohlfühl-Oasen zu schaffen, und eine weitere Box, oft gleich neben der Gästeunterkunft, als Garderobe für die Reiter einzurichten, setzte Harry jedes Mal in Erstaunen, wenn sie einmal jährlich eines der großen Saddlebred-Turniere besuchte. Obwohl eine leidenschaftliche Anhängerin von Vollblütern, liebte sie Saddlebreds. Sie hatte etliche vom Gestüt Kalarama zu Jagdpferden ausgebildet. Saddlebreds konnten springen, richtig springen, was Harry entzückte. Das Vollblutpferd mit seiner schräg angesetzten Schulter und tieferen Kopfhaltung hat idealerweise ausgreifende, fließende Bewegungen. Die Energie des Saddlebred-Pferdes ist aufwärts ausgerichtet, mit raumgreifenden, nach oben ausholenden Tritten, und es trägt den Kopf hoch. Geht man hundertfünfzig Jahre zurück, stößt man auf gemeinsame Vorfahren der zwei verschiedenen Züchtungen.

Joan Hamilton, eine von Harrys besten Freundinnen, war die treibende Kraft hinter dem Zuchtprogramm vom Gestüt Kalarama. Larry Hodge, ihr Ehemann, trainierte und ritt viele von den Pferden. Wie so oft in der Welt der Pferde, wenn die richtigen zwei Menschen sich finden, fällt ein magischer Glanz auf alles, was sie anpacken.

Auf dem Weg zu der Kabine des Kalarama-Gestüts, die der Reitbahn zugewendet war, schlenderten Harry und Fair die Budengasse entlang, die vollgestopft war mit einer Menge Zeug, das man gerne kaufen würde, und einer Menge Zeug, das man lieber nicht kaufen würde. Der Schmuckstand lockte Harry an. Sie blieb stehen und bewunderte einen Ring mit Rubinen und Diamanten in Karreeschliff, in Hufeisenform gefasst. Es war der schönste Hufeisenring, den sie je gesehen hatte.

Das allgegenwärtige Spritzgebäck verbreitete seinen Duft über dem ganzen Gelände, ebenso wie Hot Dogs, Rippchen, Steaks und delikate Hähnchen, die sich am Spieß drehten. Zwischen den Imbissbuden, dem Schmuckstand und den Kleiderständen hatten sich Leute vom örtlichen Gestütsbüro eingerichtet sowie diverse Bürgerinitiativen, die eigene Stände betrieben, und alle ließen es sich gut gehen. Ein glänzender Mercedes SL55 verlockte die Leute, Tombolalose zu hundert Dollar das Stück zu kaufen, deren Erlös für einen wohltätigen Zweck bestimmt war. Sich das Geld aus der Tasche ziehen zu lassen erwies sich als überaus einfach, wenn man durch diese kleine, verführerische Budengasse bummelte.

Die nicht überdachte Westtribüne überragte eine Seite der Budengasse, und auch darunter befanden sich Stände. Wo man hinsah, rechts, links oder die kurze Gasse entlang, war ein Stand. Direkt vor der Westtribüne, unmittelbar an der Bande, befanden sich schachtelartige Kabinen mit jeweils sechs oder acht Klappstühlen. Diese wurden von den großen Ställen gemietet und waren Publikumsmagneten. Reiter, Züchter und Pferdebesitzer zogen sich gern in ihre Kabinen zurück, die, anders als die gemieteten Boxen, nicht die Stallfarben trugen, sondern ein schlichtes weißes rechteckiges Schild mit dem Namen des Kabinen-Eigentümers in einfacher schwarzer Antiquaschrift.

Joan beugte sich vor, um sich mit ihrer Mutter, der zierlichen, lebhaften Frances, und ihrem Vater Paul zu unterhalten, während sie das Programm studierten. Paul gehörte zu den Menschen, die Charisma haben und die Leute zu sich hin ziehen. Bei den älteren Hamiltons fühlte man sich nie als Fremder.

Harry trat mit Mrs. Murphy auf dem Arm in die Kabine. Fair, Pewter und Tucker folgten ihr auf dem Fuße.

Nach einer Runde Umarmungen und Küsse nahmen alle auf ihren Stühlen Platz. Joans braunweiße Jack-Russell-Dame namens Cookie quetschte sich mit Tucker auf einen Stuhl.

Als Harry und Fair gestern angekommen waren, hatten sie Joans Jährlinge, Stut- und Hengstfohlen, besichtigt und zugesehen, wie Larry mit den Pferden arbeitete. Harry hatte beim Zuschauen von Larry gelernt, der genau wusste, wann er den Unterricht abbrechen musste. Viele Trainer überforderten die Tiere, mit dem Resultat, dass das Pferd lustlos oder total erledigt war. Weil ein Saddlebred beim Turnier Schwung zeigen musste, erwies sich Überbeanspruchung beim Training als kostspieliger Fehler.

Frances, die ein pfirsichfarbenes Kleid aus Leinen-Seide-Gemisch mit einem eng anliegenden Oberteil trug, wandte sich ihrer Tochter zu und sagte: »Joan, hast du den Neuvermählten Harlem’s Dreamgirl gezeigt?«

»Ja.«

Paul drehte sich mit blitzenden Augen auf seinem Stuhl herum und zwinkerte Fair zu: »Sie haben das Dreamgirl, Ihre Traumfrau.«

Fair klopfte dem älteren, aber noch kräftigen Paul, Marine-Veteran des Zweiten Weltkriegs, auf die Schulter. »Ich denke, wir haben beide unsere Traumfrau geheiratet.«

»Paul und ich haben vor undenklichen Zeiten geheiratet.« Frances lachte.

»Immer noch in den Flitterwochen«, sagte Paul galant.

Weil die Hitze drückend wurde, zog Joan ihre beigefarbene Seidenjacke aus. Eine herrliche Brosche in Gestalt eines mit Rubinen und Saphiren durchsetzten Hufeisens zierte das linke Revers.

»Joan, hast du den Verschluss der Brosche reparieren lassen?«, fragte Frances.

»Ja, und sie sitzt jetzt bombenfest.«

»Gut. Du weißt ja, für mich ist es das schönste Stück vom Schmuck meiner Mutter.«

Joan, die wusste, dass ihre Mutter erst zufrieden sein würde, wenn sie die Brosche überprüft hatte, nahm die Jacke vom Stuhl und reichte sie ihrer Mutter.

Frances befühlte den Verschluss der Brosche auf der Rückseite des Revers. »Ja, so dürfte sie halten.« Ehe sie Joan die Jacke zurückgab, machte sie eine Bemerkung über die sorgfältige Arbeit des Juweliers. »Das ist unsere Glücksbrosche. Man trägt sie, wenn es drauf ankommt, aber auf jeden Fall am letzten Abend des Turniers.«

Alle studierten das Programm.

»In der dritten Prüfung reitet ein Filmstar mit.« Paul las die Liste vor.

Die dritte Prüfung war eine offene Dreigänger-Schauklasse für Erwachsene.

»Sie wird es schwer haben, Melinda Falwell zu schlagen.« Joan faltete das Programm zusammen.

»Eine Schülerin von Booty.« Booty, Melindas Trainer, war ein geselliger Mann, der sich noch von seiner folgenschweren Scheidung im letzten Jahr erholte. Bei der Erholung ging es sowohl um finanzielle als auch um emotionale Belange. Es war Booty, den Harry und Fair gesehen hatten, als er die Trainingsbahn verließ.

Vor fünf Jahren hatte ein starker Konkurrenzkampf einen gehörigen Wirbel in der Saddlebred-Welt ausgelöst, als die alte Garde sich zurückzog oder wegstarb und die jüngeren oder mittelaltrigen Männer und ein paar Frauen groß herauskommen konnten. Larry Hodge, Booty Pollard und Charly Trackwell lösten Tom Moore, Earl Teater und die unterdessen verstorbenen Brüder Bradshaw ab. Hinter Larry, Booty und Charly drängten mehr Männer und Frauen Ende zwanzig und Anfang dreißig heran als in vorangegangenen Generationen, von denen einer, Ward Findley, sich als besonderes Talent erwies.

Saddlebred-Ausbilder ritten die schwierigen Pferde oder die Pferde in den hohen Schauklassen, was den Wert des Pferdes, wenn es gut abschnitt, um Tausende von Dollars steigerte. In der Welt der Vollblüter ritten die Ausbilder bei den Rennen nicht mit. Hier war das anders, was den Turnieren eine zusätzliche Dimension verlieh.

Die Amateur-Reiter, die von den Trainern betreut wurden, ritten nicht unbedingt einfache Pferde, aber gewöhnlich waren diese Pferde fügsamer, und es stand weniger auf dem Spiel. Ein Sieg bei einem der großen Turniere konnte den Wert eines Pferdes aber in die Höhe schnellen lassen. Nur wenige Menschen sind immun gegen diese Verlockung, daher die unablässige Anziehungskraft von Trainern und Reitern.

Ward Findley, neunundzwanzig Jahre alt, mit kurz geschnittenen pechschwarzen Haaren und funkelnden blauen Augen, trat rasch an die Kalarama-Kabine und flüsterte Joan zu: »Sie sollten mal in den Stall gehen.« Unmittelbar hinter Ward kam Booty Pollard mit seinem Affen auf der Schulter. »Es gibt Ärger«, fuhr Ward fort. Miss Nasty, die Affendame, beäugte schnatternd die Menschen in der Kabine. Miss Nasty liebte Booty, aber sie hasste seine Sammlung von Schlangen, die er zu Hause hielt. Nasty durfte wenigstens mit auf Reisen. Das durften die Schlangen zum Glück nicht. Booty hatte einen eigenartigen Geschmack, was Haustiere anbelangte.

Paul, der das gehört hatte, stand auf.

»Daddy, bleib du hier. Die Leute müssen dich und Mom sehen.« Joan war schon aus der Kabine.

Fair, Pferdearzt von Beruf, folgte ihr. Das Gestüt Kalarama hatte einen Hausarzt für die Tiere, aber der kam nicht mit zu den Turnieren. Die Organisatoren sorgten dafür, dass ein Tierarzt auf dem Gelände anwesend war, sodass nicht jeder Wettbewerbsteilnehmer oder Züchter für die vier Turnierabende den eigenen Tierarzt mitbringen musste.

Um nicht zurückzubleiben, hob Harry die zwei Katzen auf. Sie zappelten unbehaglich in ihren Armen, was ihr Fortkommen erheblich erschwerte.

»Wenn du mich runterlässt, könnte ich dir ganz brav folgen«, klagte Mrs. Murphy.

»Sie glaubt, du würdest weglaufen«, bemerkte Tucker, die sich von der Aufgeregtheit der Menschen hatte anstecken lassen.

»Du bist mir wahrlich eine große Hilfe«, grummelte Mrs. Murphy.

»Ich bin ein Hund. Ich gehorche. Du bist eine Katze. Du gehorchst nicht.« Tucker freute sich am Unbehagen ihrer zwei Freundinnen, die sich ihr gegenüber oft aufspielten.

Die Unterhaltung brach abrupt ab, als sie Stall Fünf erreichten. Drei Pferde wurden hereingeführt, Charly Trackwell trottete mit grimmiger Miene hinterdrein. Es waren nicht Joans Pferde.

»Ist das nicht die Fuchsstute von der Trainingsbahn?« Pewter musterte das schimmernde Tier mit dem anmutigen langen Hals.

»Ja.« Mrs. Murphy war froh, als Harry Pewters und ihre Leinen löste und sie rasch im Erfrischungsraum absetzte. Pewter benutzte die Gelegenheit, um auf den Tisch zu springen und sich eine saftige Scheibe Schinken zu schnappen.

»Du bist eine blöde überkandidelte Diva!«, schrie Charly Renata DeCarlo an, die vor Charly heranstürmte.

Der Verlust der Einstell- und Trainingsgebühren für drei Pferde würde Charly ein wenig schmerzen, aber der Verlust seiner Filmstarschülerin, das war ein richtiger Schlag.

Joan blieb wohlweislich bei einer Box stehen, weil Charly sich jetzt vor Larry aufbaute, an dessen Seite Renata stand. Fair stellte sich hinter Larry.

»Ich hab’s satt, mich von dir anschreien zu lassen, Charly.« Renata, das Gesicht gerötet, war erstaunlich ruhig.

Charly wandte sich an Larry. »Du steckst dahinter, Hodge. Du hast versucht, mir Renata wegzuschnappen, seit sie in meinen Stall gekommen ist.«

»Das ist nicht wahr.« Larrys Stimme blieb ruhig.

»Du liebst den Glamour. Und verdienst dabei einen Haufen Kohle. Tust du ja immer.« Zitternd vor Wut, trat Charly auf Larry zu.

Renata packte Charly am Arm, doch er machte sich sofort wieder los. »Du hast einmal zu oft an mir rumgemäkelt. Du bist ein egoistischer Mistkerl, und ich hab’s satt.«

So gern er ihr und auch Larry eine geklebt hätte, es gelang Charly, sich zu beherrschen. Er hielt kurz den Atem an, dann schnappte er nach Luft. »Renata, du gibst dem Wort ›Ego‹ einen neuen Sinn.«

»Wir können das morgen zu Ende besprechen, wenn alle sich beruhigt haben«, schlug Larry vernünftigerweise vor.

»Scher dich zum Teufel.« Hiermit wandte Charly sich Renata zu und zeigte mit dem Finger auf sie. »Ich weiß was von dir.« Dann machte er auf dem Stiefelabsatz kehrt und ging.

Manuel Almador, Larrys Stallmanager, beobachtete dies zusammen mit Jorge Gravina, der nach Manuel an zweiter Stelle kam. Die Abneigung gegen Charly stand beiden ins Gesicht geschrieben.

Renata, deren Schleusentore jetzt barsten, ließ sich widerstandslos von Joan in den Erfrischungsraum schieben. Die Leute, die sich am Stalltor versammelt hatten, zerstreuten sich, einige wenige folgten Charly. Sie mussten sich beeilen, weil er mit seinen langen Beinen schnell vorankam.

Als Renatas Schluchzen nachließ, berieten sich Larry, Fair, Manuel und Jorge in der Stallgasse.

»Manuel, du und die Jungs werdet die ganze Woche hier schlafen müssen. Wechselt euch in Vierstundenschichten ab. Charly wird sich rächen, und ich möchte nicht, dass er es an Renatas oder unseren Pferden auslässt.«

Manuel nickte; Charlys Ruf war ihm bekannt.

Der gut aussehende Charly, Sprengstoffexperte und Hauptmann im ersten Irakkrieg, war selbst der reinste Sprengstoff.

»Ich kann auch aufpassen. Wir sind nicht weit von hier«, erbot sich Fair.

»Danke. Die Jungs schaffen das schon.« Larry sah auf die Uhr. »Olive.« Er sprach von einer Reitschülerin, die in der nächsten Klasse antrat. Larry musste sie zur Reitbahn begleiten und dann an der Bande stehen bleiben, damit sie ihn sehen konnte. Er lächelte. »Für die extra Unterhaltung wird nichts berechnet.«

Im Erfrischungsraum lauschten die Tiere, während Renata Charlys Mängelliste aufzählte, wobei sie besonders betonte, dass er arrogant sei, nicht auf sie höre und ein Mann sei, was Renata bei ihm offenbar auf die Erbsünde zurückführte.

»Dramatisch«, bemerkte Tucker lakonisch.

»Menschen brauchen eine Weile, um große Gefühle zu verarbeiten.« Mrs. Murphy setzte sich auf die braune, schwarz und weiß umrandete Satteltruhe. »Manche tun es nie. Sie reden immer noch von Sachen, die ihnen vor dreißig Jahren passiert sind.«

»Ein schlechtes Gedächtnis ist der Schlüssel zum Glück.« Pewters dunkelgraue Schnurrhaare zuckten nach vorn. Der erbeutete Schinken trug sehr zu ihrem Hochgefühl bei.

Mit ihren grünen Augen betrachtete Mrs. Murphy Renatas vollkommenes Gesicht. »Ein bisschen zu dramatisch für meinen Geschmack.«

Cookie und die drei Tiere aus Virginia mussten niesen. Renatas Parfüm war zu stark für ihre empfindlichen Nasen, aber Joan schien es nichts auszumachen. Die Tiere wunderten sich über das Versagen der Menschennasen, selbst einer so empfindsamen und hübschen wie der von Joan.

Schließlich hatte Joan Renata beruhigt, und sie erinnerte sie daran, dass sie in der dritten Prüfung ritt. Sie begleitete Renata in die Garderobe. Renata betrachtete die dritte Prüfung als Aufwärmübung für den Rest der Woche. Sie brauchte das Flair des Wettbewerbs mehr als der Wallach, den sie reiten würde, ein temperamentvoller schwarzweißer Schecke namens Voodoo. Sie hätte die Klasse auslassen können, aber sie wollte Charly die eine oder andere Lektion erteilen. Sie wollte sich die Reiterei nicht von ihm verleiden lassen. Renata, die im Begriff war wieder loszuheulen, weil ihr einfiel, dass ihre Satteltruhe und Anziehsachen in Charlys Gästeunterkunft waren, neigte zu Kurzschlusshandlungen.

In diesem Augenblick erschienen Carlos, Charlys erster Pferdepfleger, und Jorge, der Pfleger von Kalarama, mit Renatas Truhe, Anziehsachen und Sattelzeug. Nicht ein Schmutzfleck verunzierte irgendein Teil. Sie konnte Carlos gut leiden und wollte ihm ein Trinkgeld geben, aber er lehnte ab. Jorge ebenso.

Während Renata sich umzog, sattelte Jorge Voodoo; Shortro und Queen Esther sahen zu. Voodoo, das erste gute Saddlebred-Pferd, das Renata gekauft hatte, nahm einen besonderen Platz in ihrem Herzen ein. Voodoo lehrte sie eine Menge und verzieh ihr ihre Fehler.

Joan, Harry, Fair und die Tiere gingen zurück in ihre Kalarama-Kabine, während die Menschenmenge den Teilnehmern der ersten Schauklasse applaudierte.

Paul und Frances sahen jetzt vom oberen Rang der Haupttribüne aus zu. Der Essensgeruch hatte sie aus der Kabine gelockt. Joan ließ sich auf ihrem Platz nieder. Die dritte Prüfung mit sage und schreibe fünfundzwanzig Teilnehmern schien kein Ende zu nehmen; schließlich siegte eine junge Dame auf einem Pferd, das einer Züchtung vom Gestüt Callaway unweit der Stadt Fulton in Missouri entstammte.

Joan griff nach ihrer Jacke, um sie sich um die Schultern zu legen. Sie stöhnte. »Meine Brosche.«

Harry sah auf die Jacke, dann ließ sie sich auf Hände und Knie nieder, um den Boden abzusuchen. »O Joan, sie ist nicht da.«

Fair stand auf und sah am Kabineneingang nach. »Soll ich mal zum Fundbüro gehen, falls sie runtergefallen ist und jemand sie aufgehoben hat?«

»Sie ist nicht runtergefallen. Die Schließe war dreifach gesichert.« Joan blickte bekümmert. »Jemand hat sie abgemacht.«

»Vielleicht deine Mutter, als sie aus der Kabine gegangen ist.« Harry war zuversichtlich.

Ein Hoffnungsschimmer erhellte Joans schönes Gesicht. »Hm, kann sein.« Sie senkte die Stimme. »Aber ich glaub’s eigentlich nicht. All die Jahre, seit ich hierherkomme, habe ich mir nie Sorgen gemacht, dass etwas gestohlen werden könnte. Es ist unglaublich.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Mom wird bestimmt böse deswegen.« Sie machte eine Pause. »Ich bin ganz durcheinander.«

»Ich will ja nicht neugierig sein, aber was meinst du, was die Brosche wert ist?« Harry legte ihre Hand auf Joans Schulter.

»Ich weiß nicht. Fünfundzwanzig-, dreißigtausend?«

»O Gott!« Harry, die jeden Penny zweimal umdrehte, wurde jetzt bleicher als Joan.

»Vielleicht finden wir sie ja noch«, meinte Fair tröstend.

Joan straffte die Schultern. »Vielleicht. Aber ich weiß nicht, ob uns gefallen wird, was wir mit ihr finden.«

»Das ist eine eigenartige Formulierung.« Harry hob fragend die Augenbrauen.

»Ich habe so ein schreckliches Gefühl …« Joans Stimme verlor sich.

Die melancholische Vorahnung schwand, als Miss Nasty, Bootys Begleiterin, endlich befreit, an der Reitbahn auf dem obersten Brett der Bande herumturnte.

Wie lange sie ihren Fesseln schon entkommen war, ließ sich schwer sagen; denn sie konnte verschwiegen sein, wenn sie wollte. Jetzt ging der Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen, mit ihr durch.

Glücklicherweise bekamen die Pferde der vierten Schauklasse einen fünfminütigen Aufschub, während zwei Traktoren mit Rechen den Boden der Bahn auflockerten.

Pewter musterte den jungen Affen. »Hässlich wie ein Fußabtreter.«

»Sie muss ihre Kette abgestreift haben.« Tucker fand es lustig, dass Miss Nasty mit ihrem Hütchen der Menge zuwinkte.

Cookie, die den Affen nur zu gut kannte, erwiderte: »So was Gewöhnliches wie eine Kette hat Miss Nasty nicht. Sie wird mit einer Seidenschnur angebunden, die ein goldenes Schloss hat. Sie kann es knacken. Sie kann auch das Schloss von ihrem Käfig knacken. Booty sollte sie die ganze Zeit im Käfig halten, aber er hat sie gerne bei sich. Sie kommt an alles ran. Einmal ist sie in ein Auto gestiegen und hat es angelassen. Wie ich gehört habe, hat sie mal seine Schlangen losgelassen, und einige davon sind giftig. Niemand wollte sein Haus betreten, bis alle eingefangen waren.«

»Schließen die Leute bei Turnieren ihre Autos nicht ab?« Mrs. Murphy war erstaunt.

»Nöö, wozu auch?«

»Wenn Miss Nasty das Schloss von ihrer Seidenschnur knackt, warum nimmt Booty dann nicht was Stabileres?«, fragte Pewter verwundert.

»Oh, er beschuldigt die Leute, sie zu befreien. Er will es einfach nicht wahrhaben, wie ungezogen sie ist. Nur gut, dass er nicht verstehen kann, was sie sagt. Man sollte ihr das dreckige Mundwerk stopfen.« Cookie legte die Ohren an, als Miss Nasty herankam, innehielt, um sich aufzurichten und zu klatschen, dann den Hut schwenkte und wieder aufsetzte. Sie ließ sich auf alle viere nieder und hopste wieder auf dem oberen Bandenbrett entlang.

»Ihr Kleid ist niedlich.« Fair lachte über das rosa Sommerkleid, das zu ihrem Strohhut passte, dessen blassgrünes Band eine künstliche Pfingstrose zierte.

»Sie besitzt eine umfangreiche Garderobe.« Joan lächelte trotz der verschwundenen Brosche. »Als Annie sich von Booty scheiden ließ, hat er sich den Affen zugelegt und zu Ehren seiner Exfrau Miss Nasty genannt, Miss Garstig.«

»Hinterhältig.« Harry kicherte.

»Das ist noch nicht alles.« Joans Grinsen wurde noch breiter. »Ihre Kleider und Ensembles sind Kopien von Annies Garderobe. Annie hat viel bei Glasscock’s gekauft, einem teuren Geschäft in Louisville, also gibt Booty bestimmt viel Geld für Miss Nastys Kleidung aus.«

»Nein!« Harry fand das herrlich dekadent.

»Wie konnte er sich erinnern, wie Annie sich anzog?« Fair stand vor einem Rätsel; denn er konnte sich solche Einzelheiten nicht gut einprägen.

»Booty ist in puncto Kleidung genauso eitel wie Charly. Er erinnert sich sogar an Sachen, die ich vor Jahren getragen habe«, antwortete Joan.

Fair zuckte die Achseln. »Vielleicht ist er schwul.«

»So ein Klischee.« Harry knuffte ihn.

»Booty ist nicht schwul, er legt bloß großen Wert auf Kleidung, auf Mode. Er hat eine ästhetische Ader. Stellt euch mal vor, er trägt Gürtel und Stiefel aus Krokodilleder. So ein Gürtel allein dürfte dreihundertfünfzig Dollar kosten.«

»Hat seine Exfrau Miss Nasty mal gesehen?« Fair stellte sich vor, dass das einen Mordskrach provozieren würde.

»Ja, hat sie.« Joans Augen blitzten. »Es war kein erfolgreiches Zusammentreffen.«

»Sind sie im selben Kleid auf derselben Party aufgekreuzt?« Harry lachte.

»Ja, tatsächlich. Booty muss Annies sämtliche Freundinnen angerufen haben, um rauszukriegen, was sie anziehen würde. Sie waren in Lexington, und man hat die Schreie bestimmt bis Louisville gehört, wenn nicht gar bis Memphis. Annie hat Rache geschworen, aber erst nachdem sie Booty mit allen bekannten Schimpfwörtern beworfen hat und obendrein mit einigen, die unsereins noch nie gehört hat.« Joan hielt kurz inne. »Das war die beste Party, auf der ich je war.«

Das Gelächter machte Miss Nasty auf die Kalarama-Kabine aufmerksam. Sie pulte mit den Fingern in ihren diversen Öffnungen.

»Ungehörig.« Pewter rümpfte die schwarze Nase.

»Fett.« Miss Nasty schlug einen Purzelbaum.

Booty erschien an dem Einlasstor, das sich von der Kalarama-Kabine aus gesehen am anderen Ende der Reitbahn befand. Als er sein herumturnendes Schätzchen erblickte, eilte er zu ihr. Sie richtete sich so hoch auf, wie sie konnte, und rieb sich das Kinn.

»Miss Nasty, da kommt Daddy«, redete Joan ihr zu. »Daddy hat ein rosa Hemd angezogen, damit es zu deinem hübschen Kleid passt.«

»Er versohlt dir den roten Hintern, bis du Nasenbluten kriegst«, prophezeite Pewter, wütend, weil sie als fett bezeichnet worden war.

Miss Nasty popelte etwas Fieses aus der Nase und warf es nach Pewter.

Die Katze machte einen Satz auf das unverschämte Wesen zu, doch Miss Nasty sprang von der Bande und huschte zu einem Traktor. Ihren Sprung geschickt berechnend, landete sie auf der hinteren Stoßstange, griff dann nach der Rückenlehne des Sitzes und schwang sich auf die Schulter des Fahrers. Der scherte aus, fing sich aber. Er kannte Miss Nasty und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

Booty ging auf die Reitbahn und lockte mit einem Stückchen Apfelsine. Als der Traktor das erste Mal vorbeifuhr, geriet Miss Nasty in Versuchung. Beim zweiten Mal drehte Booty ihr den Rücken zu, um die Bahn zu verlassen. Sie kapitulierte.

Booty nahm sie unter Hochrufen auf den Arm.

»Er trägt tatsächlich einen Gürtel und Stiefel aus Krokodilleder.« Harry stockte der Atem.

»So was kannst du mir zum Geburtstag kaufen«, meinte Fair.

»Da kauf ich wohl besser zuerst ein Lotterielos.« Harry rechnete sich aus, was Stiefel und Gürtel kosten würden. Dann sagte sie frech: »Ich hab in fünf Tagen Geburtstag, aber das mit den Stiefeln geb ich weiter. Das mit dem Affen auch.«

»Ich töte den Affen«, wütete Pewter.

»Das sagst du immer«, zog die Tigerkatze sie auf.

»Ich tu’s!«

»Dann kriegst du’s aber mit Popeln zu tun«, warnte Mrs. Murphy.

»Oder mit Schlimmerem.« Tucker wirkte todernst.

»Wartet’s nur ab.« Pewter ging nicht auf die Frotzeleien ein.

Harry ließ sich wieder auf Hände und Knie nieder und suchte den Holzboden der Kabine ab. »Ich schwöre, ich finde deine Brosche, Joan. Du weißt ja, wie ich sein kann. Nur nicht verzagen.«

2

Das Surren der Klimaanlage weckte Harry, die es gewöhnt war, zu Hause bei offenem Fenster zu schlafen, wo nur die Geräusche der Nacht zu hören waren. Fair lag auf dem Rücken, einen Arm auf seinem kräftigen Brustkasten, den anderen an der Seite. Er schlief fest, aber wie die meisten Ärzte würde er beim ersten Klingeln des Telefons hellwach sein.

Pewter hatte sich neben Mrs. Murphy zusammengerollt und schnarchte leise. Tucker, die neben dem Bett auf der Seite lag, hob den Kopf nicht, als Harry aufstand.

Als ihre menschliche Freundin jedoch Jeans, T-Shirt, Socken und Turnschuhe anzog, schlugen Mrs. Murphy und Tucker die Augen auf. Pewter schlief weiter tief und fest.

Harry ging ins Bad, schloss die Tür und machte erst dann Licht, um ihren Mann nicht zu wecken. Sie hinterließ ihm einen Zettel:

Schatz, kann nicht schlafen. Nehme den Transporter. Fahre zum

Stall Fünf. Bin wahrscheinlich zurück, bevor Du aufwachst.

In Liebe, Miss Wonderful

Dann strich sie »Miss« durch und schrieb »Mrs.« darüber. Sie lehnte den Zettel an den Spiegel und legte ihr Kosmetiktäschchen davor, damit er nicht umfiel.

Sie knipste das Licht im Bad aus und tastete sich zur Tür des Hotelzimmers. Tucker und Mrs. Murphy, die im Dunkeln besser sahen als Harry, gingen mit ihr hinaus.

»Wenn du gehst, gehen wir mit.« Tucker blinzelte, noch ganz verschlafen.

»Pewter kriegt die Krise.« Mrs. Murphy kicherte; denn die graue Katze konnte es nicht ausstehen, etwas zu verpassen, aber ebenso wenig konnte sie es ausstehen, ihren Schönheitsschlaf vorzeitig abzubrechen.

Harry schloss die Tür von Fairs F-250 auf. In einem eigens angefertigten, an die Ladefläche geschraubten Aluminiumkasten waren Medikamente, Nadeln und Verbandszeug verstaut. Die meisten Pferdeärzte nutzten ein ähnliches System, da sie ihre Patienten häufiger aufsuchten als diese sie. Oftmals breitete Fair eine große Plastikplane auf einer ebenen Weidefläche aus und operierte an Ort und Stelle. Diese Fähigkeit, unverzüglich zu handeln, war lebensrettend.

Harry hatte gemurrt, sie würden ein Vermögen für Benzin ausgeben für die achtstündige Fahrt, zuerst nach Springfield, wo das Gestüt Kalarama beheimatet war, dann weiter nach Shelbyville. Das taten sie auch, aber Fair wollte in der Lage sein, in einem eventuellen Notfall zu helfen. Jeder Aufenthalt an einer Tanksäule kostete achtzig Dollar. Harry bekam jedes Mal einen Ohnmachtsanfall und fing sich wieder. Fair bezahlte achselzuckend und sagte, die ganze Welt leide unter der Abhängigkeit vom Öl.

Weil keiner von beiden eine Patentlösung für diese große globale Krise parat hatte, fuhren sie auf der Interstate 64 weiter.

Als der große Wagen ansprang, zeigte die Uhr am Armaturenbrett 1:45. Harry stellte sich den Sitz richtig ein. Die Luxussitze des Wagens ließen sich nach oben und unten, nach vorn und hinten verstellen, und sogar die Position der Rückenlehne ließ sich verändern. Die Fußpedale konnte man je nach Beinlänge höher und tiefer stellen. Der Wagen piepte, wenn man beim Rückwärtsfahren einem Gegenstand zu nahe kam. Trotz der Benzinfresserei war Harry von dem Fahrzeug begeistert. Sie selbst fuhr einen 1978er Ford Transporter, und vor ein paar Jahren hatte Fair in der Hoffnung, sie zurückzuerobern, ihr geholfen, einen Kombi zu kaufen, der ihren Pferdeanhänger zog. Ihr Alltagsgefährt war jedoch der Halbtonner-Transporter, der von diesem mit allen Schikanen versehenen Metalltrumm himmelweit entfernt war. Aber sie liebte ihr altes Vehikel. Harry verabscheute es, sich von irgendwas zu trennen, das sich noch als nützlich erwies. Ihre Sockenschublade gab Zeugnis davon.

Sie ließ den Motor warmlaufen, fuhr dann vom Parkplatz des Best Western Hotels, vorbei am noch nicht geöffneten Wendy’s und an der Traktorenhandlung, die sie immer gerne aufsuchte, und bog rechts in die alte Hauptstraße ein, die Route 60, die Louisville mit Lexington verband. Dann bog sie an der Kreuzung links ab und fuhr zirka vierhundert Meter zum Hauptparkplatz an der Trainingsbahn. Hier, in dem niedriger gelegenen Stall, vermietete Charly Trackwell Boxen. Alles war still, und Harry fuhr auf den verlassenen Wegen weiter bis zum Stall Fünf. Sie stellte den Motor ab und öffnete die Tür, um Mrs. Murphy herausspringen zu lassen, Tucker wurde heruntergehoben.

Schleiereulen flogen in den diversen Ställen ein und aus. Ein Ziegenmelker schrie im Gebüsch. Ein Pferd wieherte, als Harry in den Stall trat.

Jorge, hellwach, kam in die Stallgasse und grüßte sie. »Señora Haristeen.«

»Jorge, ich hoffe, ich störe Sie nicht. Ich konnte nicht schlafen, da dachte ich, ich seh mal nach den Pferden, zusammen mit dem, der gerade Wache hat.«

Jorge, Ende dreißig, mit schon grau melierten Haaren, nickte, ein Lächeln in dem faltigen, markanten Gesicht.

Wortlos folgte sie ihm, und sie inspizierten jede Box.

»Jorge, wie viel ist Point Guard wert?« Sie blieb stehen, um den fünfgängigen jungen Hengst zu bewundern, der in dieser Saison in die Turnierwelt eingeführt werden sollte. Zusätzlich zu den normalen drei Gangarten Schritt, Trab und Galopp beherrschte Point Guard den langsamen und schnellen Tölt, bei dem das Pferd die Beine hoch hebt. Ein Pferd muss dafür begabt sein und zusätzlich ausgebildet werden. Aber wenn es ihn beherrschte, war es, als ob man einer großartigen Ballett-Tänzerin zusieht, wie sie springt und ohne Mühe endlos in der Luft zu schweben scheint. Der Tölt brachte Rhythmus, Balance und Kraft zur Geltung.

»Hmm, im Augenblick vielleicht dreihunderttausend.« Jorge bewunderte das Tier.

Shelbyville würde ein bedeutender Schritt in Point Guards Karriere sein. Joan und Larry hofften, dass er eines Tages überragend sein würde; denn er besaß das Exterieur, den Bewegungsdrang, das Verhalten und zudem den Willen zu siegen.

Harry bewunderte es, wie konzentriert die Pferde bleiben konnten, wenn Tausende aufgeregte Menschen ihnen so nahe waren, dass diejenigen, die sich vorn an der Bande befanden, die Pferde berühren konnten. Freilich, würde einer jemals etwas so Dummes tun, er würde auf Nimmerwiedersehen aus der Saddlebred-Welt verbannt werden. Dennoch, die Nähe der Zuschauer zu den Wettbewerbsteilnehmern war außergewöhnlich und hatte in anderen Sportarten nicht ihresgleichen. Bei Football, Baseball und Hockey, ja sogar bei Basketball wurden die Fans auf Distanz zu den Sportlern gehalten. Golf und Radfahren waren zwei von den wenigen Sportarten, wo die Menschen nahe am Geschehen sein konnten. Auch bei Jagd- und Springturnieren musste man die Menschen ein Stück weit von der Reitbahn entfernt halten, ausgenommen bei kleinen regionalen Turnieren, wo Nähe, Geselligkeit und persönliche Bekanntschaft mit Ross und Reiter noch zählten.

Geld veränderte den Sport. Zwar steigerte es das Spektakuläre und den Wettbewerb, doch die Fans wurden mehr und mehr als notwendiges Übel betrachtet. Auch in der Saddlebred-Welt gab es Geld genug für den, der gut war, doch die Fans gehörten hier zur erweiterten Familie. Waren die Turniere auch noch so groß, sie bewahrten sich stets das Flair des Heimischen.

Dies alles schwirrte Harry durch den Kopf, während sie das große schwarze Pferd betrachtete, das in seiner Box döste.

»Ah.« Jorge lächelte. »Große Zukunft.«

Harry fiel es schwer, darüber zu spekulieren, wie schnell der Wert eines Pferdes sich nach nur einem Turnier, einem einzigen großen Turnier, verändern konnte. »Wenn er in Louisville siegt, schnellt sein Wert in unermessliche Höhen.«

»Nicht in diesem Jahr. Friedrich der Große und Callaway’s Senator.« Mehr sagte er nicht, denn diese zwei Pferde, im besten Alter und turniererprobt, würden Samstagabend bei der letzten Schauklasse, die das Turnier beschloss, um den ersten und zweiten Platz konkurrieren. Charly und Booty ritten je einen der beiden Hengste.

»Und wenn er Dritter wird, jung wie er ist, dann ist das ein großer Sieg.«

»Si.« Er nickte. »Si.«

Das Knattern eines starken Dieselmotors rüttelte Harry auf. Sie trat aus dem Stall. Der Motor wurde abgestellt, doch Harry konnte das neben der Trainingsbahn parkende Transportfahrzeug nicht sehen. Sie trat wieder in den Stall und sah Jorge an.

»Futter«, meinte Jorge achselzuckend.

Nachdem Tucker und Mrs. Murphy sich vergewissert hatten, dass es keine Mäuse oder anderes Ungeziefer anzugreifen gab, lauschten sie ebenfalls, als der Motor abgestellt wurde.

»Los, gehen wir«, rief Tucker Mrs. Murphy zu, nachdem Harry wieder zu Jorge in den Stall gegangen war.

Tucker, nahe am Boden, war flink und behände.

Mrs. Murphy lief gerne mit dem Corgi. Beide Tiere waren neugierig und ausdauernd. Pewter gab gewöhnlich einen unendlichen Strom von Klagen von sich, und so waren sie froh, dass sie im Best Western schnarchte.

Im nassen Gras waren ihre Pfotenabdrücke zu sehen. An der unüberdachten Tribüne an der Ostseite der Trainingsbahn blieben sie stehen. Vielen Menschen gab das Beobachten der Pferde bei der Arbeit einen Hinweis darauf, wie sie in ihrer Klasse abschneiden würden.

»Wer sind die Männer, die hinten aus dem Wagen springen?« Tucker, die im Dunkeln gut sehen konnte, beobachtete das Heck eines weißen Pferdetransporters mit grüner Verzierung.

Mrs. Murphy ging näher heran. Tucker folgte ihr. »Sie sind jung.« Mit gespitzten Ohren strengte sie sich an, etwas zu hören, doch das einzige Geräusch kam von den Stiefeln der Männer, die auf Zehenspitzen in den ältesten Stall schlichen. »Es sind Mexikaner.«

»Was machen sie da? Vielleicht wollen sie ein Pferd stehlen.« Tucker wusste, dass Menschen gewöhnlich laut waren; wenn also das Tier namens Mensch, zumal in mehrfacher Ausführung, still war, bedeutete das nichts Gutes.

»Es braucht nicht so viele Menschen, um ein Pferd zu stehlen.«Auch Mrs. Murphy fragte sich, was hier vorging. »Los, komm.« Sie spurtete zum Stall.

Tucker, die größer war als die Katze, befürchtete, dass man sie bemerken könnte. Sie folgte Murphy, sah sich aber nach Stellen um, wo sie sich wegducken konnte.

Mrs. Murphy schlenderte in den Stall, als wäre sie dort zu Hause. Sie inspizierte die Boxen, und da die aus Holz waren, konnte sie notfalls daran hochklettern und verschwinden.

Doch hier gab es Stallkatzen, und die stürmten ihr sogleich hinterher. Sie rannte, denn vier Katzen gegen eine, das ist keine erfreuliche Aussicht.

»Abschaum!«, kreischte die größte Katze, eine rotbraune.

Mrs. Murphy flitzte an Tucker vorbei, worauf die Corgihündin kehrtmachte, um mit ihrer Freundin Schritt zu halten. Die Stallkatzen plusterten sich auf, blieben stehen und schrien ihren Triumph hinaus.

»Hast du was gesehen?«

»Die Männer haben sich an der Wand aufgestellt. Charly Trackwell hat Ward Findley einen Batzen Bares gegeben. Booty Pollard ist auch dabei, mit Miss Nasty.«

»Das hat vermutlich nichts mit Kalarama oder mit uns zu tun«, sagte Tucker.

»Vermutlich nicht. Trotzdem, eigenartig.«

»Zwanzig Mann in einem Pferdetransporter?«Tucker war erstaunt.

Möchten Sie gerne weiterlesen? Dann laden Sie jetzt das E-Book.