Einfach gut unterrichten (E-Book) - Wiltrud Weidinger - E-Book

Einfach gut unterrichten (E-Book) E-Book

Wiltrud Weidinger

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Dieses Lehr-, Arbeits- und Praxisbuch zur allgemeinen Didaktik ist besonders in seiner Art. Es vereint zeitgemässe Konzepte, Methoden und Reflexion und folgt selbst der Struktur guten Unterrichts: vom Vorwissen zum Wissen, vom Anwenden zum Üben, vom Üben zum Reflektieren. Angehende und erfahrene Lehrpersonen finden Anregungen, Praxistipps und theoretische Impulse für einen individuellen Unterricht, der aktuellen Standards gerecht wird und auf situative Bedingungen anpassbar bleibt.

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Seitenzahl: 263

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Hans Berner, Rudolf Isler, Wiltrud Weidinger

Einfach gut unterrichten

ISBN Print: 978-3-0355-2587-8

ISBN E-Book: 978-3-0355-2588-5

ISBN Edubase: 978-3-0355-2635-6

Gestaltung Inhalt: Philippe Gertsch

Gestaltung Umschlag: hold Kommunikationsdesign

Illustrationen: Serafine Frey

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

3. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten

© 2024 hep verlag ag, Bern

hep-verlag.com

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

von Andreas und Tuyet Helmke

Einleitung

1. Was gehört zu gutem Unterricht?

Zentrale Merkmale erfolgreichen Unterrichtens aus der Sicht der Unterrichtsforschung

2. Lernen durch direkte Instruktion

Die wichtigsten Formen lehrerorientierten Unterrichtens

3. Lernen durch Kooperation

Das Zusammenspiel von individuellen und sozialen Lernprozessen

4. Lernen durch Dialoge

Persönliches Lernen im Dialog mit anderen und mit der Sache

5. Lernen durch Unterrichtsorganisation

Der Wert von Wochenplanarbeit, Werkstätten, Ateliers und Epochenunterricht

6. Lernen durch Projekte

Schüler- und handlungsorientierte Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen

7. Lernen durch Spielen

Der Einsatz von Spielen im Unterricht zur Förderung von Kompetenzen

8. Lernen unterstützen und beurteilen

Funktionen und Formen lernförderlicher Leistungsbeurteilung

9. Zu gutem Unterricht gehört strukturierte Planung

Wege zu einem persönlichen theoriegestützten Planungsschema

10. Zu gutem Unterricht gehört differenzierte Reflexion

Durch Rückmeldungen und reflektierte Erfahrungen klüger werden

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

VORWORT

von Andreas und Tuyet Helmke

«Was ist ein Praktiker? Das ist ein Mensch, bei dem alles funktioniert, aber er weiss nicht, warum. Was ist ein Theoretiker? Dies ist ein Mensch, der zwar weiss, wie es geht, bei dem aber nichts funktioniert» (Diethelm Wahl, 2013). Die Vision einer guten Lehrperson – und einer erfolgreichen Lehrerausbildung – dagegen ist eine gelungene Koppelung wissenschaftlich fundierten, anschlussfähigen und anwendbaren Wissens und guter Praxis. Dabei können Lehrmittel eine wichtige Rolle spielen: Sie können den Kompetenzerwerb erleichtern oder auch erschweren. Das vorliegende Buch, so viel sei vorab gesagt, gehört nach unserer Einschätzung zur erstgenannten Kategorie, es ist «einfach gut». Inwiefern?

Zurück zum Eingangszitat, das wir aus Diethelm Wahls Buch Lernumgebungen erfolgreich gestalten (2013, S. 7) entnommen haben. Es trägt den bezeichnenden Untertitel «Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln». Und genau das ist der springende Punkt: Was kann man tun, damit ein Buch über das Unterrichten nicht bloss passiv-rezeptiv konsumiert wird – mit dem Ergebnis, dass träges Wissen entsteht («inert knowledge»), das nicht nutz- und anwendbar ist? In Umkehrung des bekannten Bibelzitats «Denn sie wissen nicht, was sie tun» (Lukas 23, 34) könnte man den Sachverhalt auch so charakterisieren: «Denn sie tun nicht, was sie wissen». – Es gibt keinen Zugriff zum Wissen, weil es in einer Weise erworben wurde, die seine praktische Anwendung blockiert. Das Autorentrio zeigt in diesem Buch, wie man didaktisch vorgehen kann, um träges Wissen nach Möglichkeit zu vermeiden: durch den Einbau zahlreicher Aufgaben einer kriteriengeleiteten Selbstreflexion und Selbstbeobachtung, gekoppelt mit Aufforderung zum Austausch. Die Kapitel zu den Szenarien und Methoden des Unterrichtens sind alle so aufgebaut, dass sie die folgende gleichbleibende Struktur aufweisen: (1) knappe Einführung in die Thematik; (2) ausführliche Arbeitsaufgaben mit dem Ziel, einen Bezug zum eigenen Vorwissen und den eigenen Erfahrungen herzustellen («Das ist Ihre Aufgabe»); (3) Vermittlung von Grundkonzepten und Ergebnissen empirischer Forschung («Das müssen Sie wissen»); (4) Anregungen für die praktische Umsetzung («So können Sie das anwenden») und (5) ausführliche und vielfältige Aufgaben zur Übung und Vertiefung.

Die Verknüpfung von Stoffvermittlung mit vielfältigen Varianten der kognitiven Aktivierung finden wir ausgesprochen funktional, um nicht das fatale «träge Wissen» entstehen zu lassen. Es ist praktisch unmöglich, dieses Buch, ohne eigenes Nachdenken und ohne die eigene Fantasie spielen zu lassen, einfach nur «wegzulesen». Es gibt bekanntlich zahlreiche Bücher zum Thema «Guter Unterricht», «Unterrichtsqualität» usw. – von klassischen Lehrbüchern über Ratgeber und Rezeptsammlungen bis hin zur Darstellung einzelner Verfahren und Stile. Der ausführliche Reflexionsteil und Praxisbezug in diesem Buch ist aus unserer Sicht ein echtes Alleinstellungsmerkmal; das Autorenteam hat damit gewissermassen ein neues Genre erschaffen: ein Lehr-, Arbeits- und Praxisbuch.

Es ist eine gute Entscheidung, das Buch mit einem Kapitel über Prinzipien und Qualitätsmerkmale des Unterrichts zu starten, das sich am aktuellen Forschungsstand, u. a. der Hattie-Studie, orientiert. Erst danach folgen die Kapitel mit dem eigentlichen «beef», d. h. mit unterschiedlichen didaktischen Konzepten und Szenarien, also mit dem notwendigen Handwerkszeug. Wir verstehen das vorgeschaltete Kapitel zu fach- und methodenübergreifenden Qualitätsmerkmalen als Botschaft: Keiner der im Folgenden beschriebenen Ansätze und Unterrichtsverfahren ist per se gut oder lernwirksam; jede dieser Methoden lässt sich genial oder dilettantisch, inspiriert oder fantasielos, lernförderlich oder lernbeeinträchtigend umsetzen. In diesem Sinne meint Hattie: Was zählt, «sind weniger die Methoden an sich, sondern die Prinzipien des effektiven Lehrens und Lernens» (Hattie 2015, S. 288). Daraus zu folgern, auf Methoden komme es gar nicht an («anything goes»), wäre jedoch ein gravierendes Missverständnis: Die Meisterung – also fundiertes Wissen und praktische Beherrschung – einer überschaubaren Zahl von Lehr-Lern-Methoden ist ein konstitutiver Bestandteil der Lehrerprofessionalität und damit eine notwendige – aber eben nicht hinreichende! – Voraussetzung für Lernwirksamkeit. Angesichts der vorfindbaren Vielfalt an individuellen Lernvoraussetzungen innerhalb von Schulklassen gebietet schon das Konzept der Fairness, unterschiedliche Lehr-Lern-Szenarios anzubieten. So wissen wir seit Langem aus der Forschung zu den Wechselwirkungen von Schülermerkmalen und Lehrmethoden («aptitude-treatment interaction», ATI), dass leistungsstarke, sprachkompetente und selbstsichere Lernende besonders von offenen Unterrichtsformen profitieren, bei denen die Lehrpersonen eher in den Hintergrund treten, während Risikoschüler und -schülerinnen auf der anderen Seite des Kontinuums mit grossen Freiräumen für Selbstregulation oft überfordert sind: Diese Lernenden benötigen klare, lehrergesteuerte Strukturen («scaffolding»), viele und kurzschrittige Rückmeldungen, aufgabenbezogenes Feedback und viele Gelegenheiten zur Übung und Festigung.

Insofern ist es angemessen, dass das Autorentrio die von ihm präsentierten Methoden nicht nach Güte oder Lernwirksamkeit bewertet, sondern – wie wir – die Auffassung vertritt, dass es auf eine der Klassensituation und dem fachdidaktischen Kontext entsprechende Balance ankommt, eine akzeptable Dosierung, eine passende «Orchestrierung» im Sinne von Oser und Baeriswyl (2001); Hilbert Meyer (2016) spricht anschaulich von «Mischwald». Aber Vorsicht: Das Merkmal «Methodenvielfalt» wird (nicht von diesen Autoren!) oft im Sinne von «je vielfältiger, desto besser» missverstanden; implizit wird also ein linearer Zusammenhang zwischen der Anzahl verwendeter Methoden und der Lernwirksamkeit angenommen. Die Forschung (z. B. unsere landesweite Totalerhebung MARKUS in Rheinland-Pfalz) zeigt dagegen, dass es nicht um ein Maximum («Methodenfeuerwerk»), sondern um ein Optimum geht; der Zusammenhang zwischen Methodenvielfalt und Lernerfolg ist nicht linear, sondern umgekehrt U-förmig. Zu viele, nicht gründlich genug eingeübte und nicht wirklich gemeisterte Lehr-Lern-Szenarien stiften eher Verwirrung und sind dem Lernen ebenso abträglich wie eine Monokultur des Frontalunterrichts.

Das eigentliche Herzstück des Buches steckt in den Kapiteln 2 bis 7 und umfasst sowohl «Klassiker» wie die Projektmethode als auch ein Konzept wie «Lernen durch Dialoge», das in der deutschsprachigen Unterrichtsforschung vielleicht weniger bekannt ist. Zu Unrecht, denn dieser Ansatz hat nicht nur altehrwürdige Wurzeln in der Philosophie (Sokrates), sondern ist auch in der angloamerikanischen Unterrichtsforschung prominent präsent, z. B. in Gestalt eines Chapters «Theory and Research on Teaching as Dialogue» von Burbules und Bruce im renommierten Handbook of Research on Teaching (Burbules/Bruce, 2002).

Den Abschluss bilden drei Kapitel zur Unterrichtsplanung, zur lernförderlichen Beurteilung und zur Unterrichtsreflexion. Das Gebot einer fairen und lernförderlichen Leistungsbeurteilung ist zeitlos, erhält jedoch bei kompetenzorientiertem Unterricht, wie er derzeit allerorten favorisiert wird (nicht nur im Lehrplan 21 der Schweiz) ein deutlich stärkeres Gewicht. Dies gilt insbesondere für die sorgfältige Beobachtung des Lernverhaltens und die Förderung der Fähigkeit, sich selbst realistisch einzuschätzen. Letztere ist zugleich eine Grundvoraussetzung für das Gelingen schülergesteuerter Individualisierung, bei der Lernende Aufgaben mit angemessenem Schwierigkeitsniveau wählen sollen.

Eine strategisch gute Entscheidung ist es, im abschliessenden Kapitel das Thema «Reflexion» zu behandeln. Gemeinsam mit Kapitel 1 (Grundprinzipien der Unterrichtsqualität) sind das aus unserer Sicht zwei tragende Säulen. Erstens sind kollegiale Rückmeldungen (z. B. via Hospitation oder videobasiert) zum eigenen Unterricht, der Abgleich unterschiedlicher Perspektiven auf den gleichen Gegenstand und die darauf basierende kooperative Reflexion eine ideale Gelegenheit, sich eigener blinder Flecken bewusst zu werden, geschlossene subjektive Theorien zu öffnen, implizite Theorien zu explizieren und unbewusste Automatismen sowie Marotten zu erkennen. Diese Selbsterkenntnis ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine Weiterentwicklung des eigenen Unterrichts, die nicht nur an der Oberfläche kratzt. Zweitens hat der kollegiale Austausch über Unterricht, wie die Forschung zur Lehrerkooperation und Lehrergesundheit zeigt, auch einen salutogenen Effekt: Die gemeinsame Reflexion geteilter Schwierigkeiten und die Erfahrung, dass andere «auch nur mit Wasser kochen», kann vor Erschöpfung und Burn-out schützen. Eine der Kernaussagen der Potsdamer Lehrerstudie ist ja das Potential des Erlebens sozialer Unterstützung im Kollegium und durch die Schulleitung (Schaarschmidt 2005).

Mindestens ebenso wichtig ist aber auch das Feedback der Lernenden, denn: «Es kommt nicht so sehr darauf an, ob Lehrpersonen exzellent sind oder von ihren Kolleginnen und Kollegen als exzellent eingeschätzt werden, sondern ob sie von ihren Lernenden für exzellent gehalten werden. Es sind die Lernenden, die in den Klassen sitzen und merken, ob ihre Lehrperson das Lernen mit ihren Augen sieht und ob die Qualität der Beziehung förderlich ist. Lernen muss von den Lehrpersonen aus der Perspektive der Lernenden betrachtet werden, damit sie besser verstehen, wie das Lernen aus der Sicht der Lernenden aussieht und wie es sich für sie anfühlt» (Hattie 2015).

Ideal wäre es aus unserer Sicht, wenn die praktische Anwendung all dessen, was im Buch steht, dem Prinzip einer evidenzbasierten Unterrichtsentwicklung folgen würde. Dieses sieht vier Schritte vor (Helmke 2015, 2017): (1) Bestandsaufnahme (z. B. Kollegialfeedback, Schülerbefragung), (2) evidenzbasierte Reflexion, (3) konkrete Schritte der Unterrichtsentwicklung und Professionalisierung, z. B. «Lesson Study», «Microteaching» oder auch Massnahmen der Professionalisierung wie die wiederholte Lektüre ausgewählter Abschnitte dieses Buches aufgrund neuer Erfahrungen («Reframing»), und (4) Evaluation auf der Grundlage einer wiederholten Erhebung: Hat sich der Unterricht tatsächlich verbessert? Wer hat davon profitiert? Standen Aufwand und Ertrag in einem gesunden Verhältnis zueinander?

In diesem Sinne wünschen wir den Leserinnen und Lesern dieses Buches eine erhellende Lektüre und einen hohen Wirkungsgrad bei der praktischen Umsetzung im Klassenzimmer.

«Erfolgreicher Unterricht kann auf sehr verschiedene, aber nicht beliebige Weise realisiert werden.»

Franz E. Weinert (1930–2001), Andreas Helmke (1945*)

 

EINLEITUNG

Einfach gut unterrichten? Ganz einfach ist Unterrichten dann, wenn es einfach gut funktioniert. Doch wissen alle, die sich eingehend mit Lehren und Lernen befasst haben: Gerade jener Unterricht, der in einer angenehmen und angeregten Atmosphäre stattfindet und in dem Bedeutendes vermittelt und gelernt wird, kommt nur auf den ersten Blick leicht und locker daher. In Tat und Wahrheit ist einfaches Unterrichten ein Zusammenspiel vielfältigster didaktisch-methodischer und sozialer Kompetenzen. Gut zu unterrichten scheint dagegen relativ und vor allem eine Frage des eigenen Standpunktes zu sein. Dabei ist längst belegt, dass allgemeingültige Qualitätsmerkmale von Unterricht bestehen – und es wohlbegründbare Merkmale der Expertise von Lehrpersonen gibt, über die sich die Unterrichtsforschung ebenfalls weitgehend einig ist.

Mit unserem Buch wenden wir uns zum einen an angehende Lehrerinnen und Lehrer, die lernen wollen, wie man gut unterrichtet. Zum andern sprechen wir aber auch Kolleginnen und Kollegen an, die das bereits erfolgreich tun – und sich auf der Basis ihrer bewährten Erfahrung erneut mit didaktisch-methodischen Fragen auseinandersetzen, ihrem Unterricht neue Impulse vermitteln möchten. Für beide soll die vorliegende Publikation eine theoriegestützte und praxisorientierte Hilfe sein, um in Übereinstimmung mit pädagogisch begründeten Standards einfach – im oben angedeuteten Sinn – und gut zu unterrichten. Können Lehrpersonen einfach gut unterrichten, wachsen Wohlbefinden und Zufriedenheit aller Beteiligten. Das möchten wir speziell hervorheben. Denn sowohl für eine erfolgreiche Schulkarriere von Lernenden als auch für eine fortdauernde Berufskarriere von Unterrichtenden sind Wohlbefinden und Zufriedenheit von zentraler Bedeutung.

 

Welche Didaktik ist richtig?

Gut zu unterrichten, erfordert ein persönliches und reflektiertes didaktisch-methodisches Repertoire. In Übereinstimmung mit Ergebnissen der Unterrichtsforschung sind wir der Überzeugung, dass eine didaktisch-methodische Monokultur den Anforderungen, die eine moderne Pädagogik an guten Unterricht stellt, nicht genügen kann. Eine einzige und ausschliessliche didaktische Konzeption für den gesamten Unterricht in einer Schulklasse ist nicht in der Lage, Lernende auf das Leben in einer Gesellschaft vorzubereiten, die ganz unterschiedliche Fähigkeiten verlangt. Aus diesem Grund stellen wir in diesem Buch die wichtigsten didaktisch-methodischen Ansätze vor und plädieren für eine integrative, vielfältige Didaktik.

Um gut zu unterrichten, muss jede Lehrerin und jeder Lehrer ein optimales Passungsverhältnis zwischen den verschiedenen Dimensionen finden, die sich in jeglichem Unterricht eröffnen: eine Balance zwischen der Lenkung durch die Lehrperson und den Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Lernenden und eine Balance zwischen einem lehrenden und einem entdeckenden Unterricht.

Die folgende Grafik veranschaulicht die in diesem Buch vorgestellten didaktischen Zugangsweisen in einem Orientierungssystem. Auf der horizontalen Achse werden die unterschiedlichen Ansätze zwischen Steuerung der Lehrperson und Selbstbestimmung der Lernenden lokalisiert, die vertikale Achse führt von direkter Vermittlung zu selbstständigem Entdecken.

Interessanterweise ist die Meinung weitverbreitet, dass selbstbestimmte und explorative Lernformen grundsätzlich besser seien als lehrergesteuerte und instruktionale. Bereits Goethe tradierte mit dem bekannten Zitat «Die Jugend will lieber angeregt als unterrichtet sein» diese Alltagstheorie über scheinbare Schülerinnen- und Schülerwünsche. Die bis heute weitverbreitete Annahme basiert allerdings auf isoliert betrachteten Faktoren von Unterricht und auf isoliert interpretierten Ergebnissen. Sie setzt zudem die Schülerinnen und Schüler sowohl hinsichtlich Lernzielen und Lerninhalten als auch hinsichtlich Unterrichtsorganisation und Arbeitsform gänzlich ins Zentrum. Seit zwei bis drei Jahrzehnten beherrscht folglich ein Trend die Bildungslandschaft, der vor allem die Ansprüche von bildungsnahen Familien prägt: Alternativ organisierter Unterricht, der sich an Elementen der Reformpädagogik orientiert und bei Montessori, Steiner oder Freinet Anleihen nimmt. Eine ausschliesslich selbstbestimmte und explorative Ausrichtung gilt als Versprechen, die einzelnen Schülerinnen und Schüler genau dort abzuholen, wo sie angeblich sind. Die Anzahl an privaten Anbietern eines solchen Unterrichts war noch nie so hoch wie heute und bildet gewissermassen ein Rollback – ein Gegengewicht zur Standard- und Output-Orientierung in den staatlichen Schulsystemen Europas.

Sind selbstbestimmte und explorative Lernformen tatsächlich besser? Wir schliessen uns gerne der Meinung des Unterrichtsforschers Frank Lipowsky an, der seine empirisch gestützten Befunde dazu knapp und prägnant zusammenfasst: «Offene Lernsituationen sind traditionellen von sich aus weder über- noch unterlegen. Die Qualität von Unterricht lässt sich nicht am Grad seiner Offenheit und Wahlfreiheit festmachen.»1

Wie ist das Buch strukturiert?

Einfach gut unterrichten gibt Impulse und Handlungsanleitungen zu den wichtigsten Merkmalen guten Unterrichts. Wir stellen bewährte didaktische Ansätze und spezifische Unterrichtsmethoden in konzeptioneller und anwendungsorientierter Weise dar – im Wissen darum, dass jede Lehrperson eine zum Thema, zur Klasse und zu ihr selbst passende Mischung entwickeln muss.

Nach einer allgemeinen Einführung widmen sich sieben Kapitel je einer Konzeption beziehungsweise einer konkreten Methode. Überlegungen zur Beurteilung, zur Planung und zur Reflexion, die für alle didaktischen Ansätze und Methoden ihre Gültigkeit haben, bilden den Abschluss des Handbuchs.

Das erste Kapitel setzt einen Rahmen um die grundlegenden Merkmale guten Unterrichts, wie sie aus der Allgemeinen Didaktik und der Unterrichtsforschung bekannt sind. Verweise auf die folgenden Kapitel liefern inhaltliche Anknüpfungspunkte zu den verschiedenen didaktischen Konzeptionen und Unterrichtsmethoden. Die Reihenfolge der Kapitel bewegt sich entlang der dargestellten Polaritäten: lehrergesteuert versus selbstbestimmt und instruktional versus explorativ. Mit der direkten Instruktion beginnend, lockern die folgenden Kapitel die Dimension der Lehrerinnen- und Lehrerorientierung immer weiter auf. Das Buch geht vom kooperativen Lernen (Kapitel 3) über das dialogische Lernen (Kapitel 4) hin zu verschiedenen anderen schülerorientierten Formen von Unterricht wie die Arbeit mit Wochenplänen, Werkstattunterricht, Atelierunterricht und Unterricht in Epochen (Kapitel 5). Darauf folgt die «Hochform» der Schülerinnen- und Schülerzentrierung und auch des explorativen Lernens, das Lernen in Projekten (Kapitel 6). Als letzte «Säule» der didaktischen Konzeptionen und Unterrichtsmethoden wird schliesslich das Lernen durch Spielen präsentiert (Kapitel 7), eine Form, die zwischen Lehrer- und Schülerorientierung, zwischen instruktional und explorativ oszillieren kann – je nach Einsatz und Funktion des Spiels. Der Bogen, der mit dem einführenden Kapitel gespannt wurde, schliesst sich in den letzten Kapiteln mit den Fragen nach der Lernprozessbegleitung und nach der Beurteilung von Schülerinnen- und Schülerleistungen (Kapitel 8). Das Buch schliesst mit Hinweisen für eine strukturierte Planung von Unterricht entlang der präsentierten Konzepte und Methoden sowie eine Sammlung an Möglichkeiten für eine differenzierte Reflexion und Weiterentwicklung des eigenen Unterrichts (Kapitel 9 und 10).

Wie sind die Kapitel strukturiert?

Alle Kapitel sind identisch aufgebaut und beziehen Sie als Lesende aktiv mit ein. In jedem Kapitel sind Sie zuerst dazu aufgefordert, sich mit Ihren eigenen schulischen Erfahrungen auseinanderzusetzen, Ihre bisherigen Erfahrungen und Erkenntnisse beim Lernen festzuhalten und diese mit Kolleginnen und Kollegen zu diskutieren (1.). Die wichtigsten Informationen und wesentlichen Eckpunkte aktueller theoretischer Erkenntnisse werden jeweils kompakt zusammengefasst (2.), bevor generelle Anwendungsvorschläge (3.) sowie Übungen und konkrete Beispiele folgen (4.). Die folgende Grafik zeigt diese sich durch jedes Kapitel ziehende Struktur:

Das Vorgehen hat Ähnlichkeiten mit dem im vierten Kapitel vorgestellten didaktischen Modell des dialogischen Lernens. Beim dialogischen Lernen geht es in einem ersten Schritt – auf einer singulären Ebene – um eine persönliche Auseinandersetzung mit der Sache (1). Hier ist Ihre Perspektive zentral: «So sehe ich das!» Die dazu geforderte Tätigkeit ist Reflexion. Später ist eine Auseinandersetzung mit der Sache auf einer regulären Ebene gefordert (3). Da geht es um eine objektivere Sichtweise: Ich verschaffe mir anhand von theoretischen Erkenntnissen einen Überblick und habe schliesslich den Durchblick. Die geforderten Tätigkeiten dafür sind Gliederung und Strukturierung. Zwischen diesen beiden Schritten liegt eine divergierende Phase, in der die persönliche Sichtweise durch diejenige von anderen ergänzt wird (2). Diese Phase ist verbunden mit der Frage «Aha, du siehst das so?» oder der Feststellung «So siehst du das!». Von Bedeutung ist nicht zuletzt die Phase der Verbindung der regulären Phase mit einer erneuten singulären Phase, in der die ersten Antworten aufgrund des Wissens- und Erkenntniszuwachses selbstkritisch unter die Lupe genommen und auf ihre praktische Anwendung hin befragt werden (4).

Dass am Anfang jedes Kapitels immer eine Auseinandersetzung mit den eigenen Lern- und Lehrerfahrungen steht, hat einen weiteren wichtigen Grund. Eine der grossen Gefahren der Ausbildung zur Lehrperson besteht darin, dass das Gelernte in der täglichen Schulpraxis gar nicht zum Tragen kommt. Die Ursachen dieser Diskrepanz von Qualitätsanspruch und Unterrichtsrealität liegen vermutlich darin, dass die Lehrerinnen und Lehrer nicht so unterrichten, wie es Ihnen gelehrt wurde, sondern so, wie sie selbst unterrichtet wurden, oder wie es Howard Altman sagt: «Teachers teach as they were taught, not as they were taught to teach.»2 Der Erwerb unterrichtlicher Methodenkompetenz ist für Lehrerinnen und Lehrer ein langer Prozess, in dem vermutlich das Imitationslernen eine erhebliche Rolle spielt. Wenn die Methodenvielfalt nicht schon in der eigenen Schulzeit erfahren wurde, wenn sie im Rahmen der Ausbildung zur Lehrperson nur als akademische Forderung und weniger als didaktisch-methodische Realität erlebt wird, dann gerät die eigenständige Realisierung dieser Forderung nicht selten zur Überforderung. Gerade in den ersten Jahren der Berufspraxis sind die häufigen Folgen Resignation und Rückzug auf die bereits als Schülerin oder Schüler erlebten Beispiele. Die erdrückende Dominanz des Erlebten droht perpetuiert zu werden. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, scheint es uns von grösster Bedeutung, den selbst erlebten Unterricht früh bewusst zu machen und kritisch zu durchleuchten. Nur so wird die Voraussetzung für den nach wie vor nicht einfachen Prozess geschaffen, schrittweise ein vielfältiges persönliches Methodenrepertoire aufzubauen.

Was heisst gut unterrichten?

«Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtspraxis aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen; und bei der in den Schulen weniger Lärm zugunsten von mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhaftem Fortschritt herrscht.»3

Diese Forderung wurde vor mehr als 350 Jahren aufgestellt. Formuliert hat sie der tschechische Theologe und Erzieher Jan Amos Komenský, der unter seinem lateinischen Namen Johann Amos Comenius Weltruhm erlangte. In seiner 1657 veröffentlichten Didactica magna (Grosse Lehrkunst oder Grosse Unterrichtslehre) wird versprochen, dass allen Menschen das ganze Wissen der Welt vollständig und umfassend gelehrt werden kann. Noch heute faszinieren sowohl Comenius’ pointierte Kritik an den vorherrschenden schulischen Zuständen als auch seine Verbesserungsvorschläge. Mit vernichtenden Urteilen kritisierte er die Unterrichtsorganisation seiner Zeit («Es ist eine Quälerei für die Jugend, sich von Diktaten, Übungen, Auswendiglernen bis zum Überdruss, ja bis zur Geistesverwirrung erdrücken zu lassen»), die Unterrichtsinhalte («Was von Natur verbunden ist, wird nicht zusammen, sondern getrennt behandelt») und die Lehrpersonen («Der Dummkopf lehrt die Kinder nicht so viel, wie sie auch begreifen können, sondern so viel, wie er in die Kinder reinzustopfen vermag»). Demgegenüber forderte Comenius, dass die Lernbereitschaft der Lernenden erweckt werden und erhalten bleiben müsse – und zwar durch angenehme Methoden (wie Gleichnisse, Fabeln, Rätsel, Gespräche) anstelle von Zwang, durch ein Lernen über Gebrauch statt über mechanisch angewandte Regeln sowie durch die Auswahl attraktiver Lerngegenstände. Der Pionier moderner Pädagogik verlangte die Erreichung lebender und abrufbarer Lernergebnisse durch die Betätigung aller Sinne, durch die Verbindung derselben mit dem Intellekt und durch das zusammenhängende Behandeln dessen, was zusammengehört. Überforderung und Lernhemmungen sollten durch eine natürliche Verteilung der Unterrichtszeit und ein natürliches Ansetzen des Schuljahrbeginns vorgebeugt werden, durch die Reduktion und Strukturierung der Stoffmenge, durch den Weg vom Allgemeinen zum Besonderen und durch kompaktes, ungebrochenes Lernen.4

Das Zitat, die Kritik und die Forderungen von Comenius haben unserer Meinung nach in ihrem Kern bis heute ihre Berechtigung. In Übereinstimmung mit vielen weiteren grossen historischen Figuren der Pädagogik wie auch mit namhaften Unterrichtsforscherinnen der Gegenwart plädieren wir für

• eine flexible und kreative Organisation des Unterrichts,

• eine Didaktik, in der Bedeutendes gelehrt und gelernt wird,

• eine Methodik, die Langeweile zu vermeiden versucht,

• und eine Unterrichtsatmosphäre, in der Lernen nicht Blut, Schweiss und Tränen bedeutet, sondern Freude, Lachen und entspannte Konzentration.

Ein Buch mit dem Titel Einfach gut unterrichten birgt allerdings auch die Gefahr von Missverständnissen in sich. Die Meinung, dass Lehrerinnen und Lehrer einfach guten Unterricht halten sollten und dass alles andere nebensächlich sei, erfreut sich im Moment einer gewissen Beliebtheit. Argumentiert wird, dass sich Lehrpersonen am Lehrplan orientieren sollten, an den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln ihres Berufs, am bildungspolitischen Mainstream. Wir sind nicht dieser Meinung und teilen die Ansicht von Thomas Kesselring: «Wer so denkt, läuft Gefahr, den Soll-Zustand mit dem Ist-Zustand, das Erwünschte mit dem Bestehenden zu verwechseln.»5

Ein allgemeines didaktisches Buch legt den Fokus zwar auf Fragen des guten Unterrichtens. Die Aufgaben der Lehrpersonen erfordern aber auch eine Auseinandersetzung mit umfassenderen Themen, die über Unterricht im engeren Sinn hinausreichen und von vielen Pädagogen für unsere gesellschaftliche und soziale Rolle als Lehrpersonen als noch bedeutender erachtet werden: Wie kann ich als Lehrerin oder als Lehrer dazu beitragen, dass in meiner Klasse gegenseitige Achtung, Rücksichtnahme und Wertschätzung gelebt wird? Wie kann ich diese Prinzipien befriedigender zwischenmenschlicher Beziehungen auch im Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen und mit Eltern realisieren? Was braucht es, damit ich dazu beitragen kann, dass die mir für eine gewisse Zeit anvertrauten Kinder oder Jugendlichen ein erfülltes Leben werden führen können? Dass sie sich den Aufgaben, die das Leben stellt, gewachsen fühlen und dass sie ihr Dasein geniessen werden? All diese Fragen haben selbstverständlich mit gutem Unterricht zu tun, aber ihre Beantwortung erfordert Auseinandersetzungen, die über das in dieser Publikation Erörterte hinausgehen. Und nicht zuletzt erfordern sie Lehrpersonen, die sich für eine Weiterentwicklung der Schule in unserer demokratischen Gesellschaft in einer konstruktiven, zukunftsgerichteten und kritischen Art einsetzen. Ohne ein öffentliches Bildungswesen, das eine offene und weltoffene, demokratisch legitimierte Schule pflegt und weiterentwickelt, ist jeder noch so durchdachte didaktisch-methodische Unterricht nur Stückwerk.

1Lipowsky: Zur Qualität offener Lernsituationen im Spiegel empirischer Forschung, 2002, S. 126

2Altman: Training foreign language teachers for learner-centered instruction, 1983, S. 24

3Comenius: Grosse Didaktik, 2007

4Berner: Didaktische Kompetenz, 1999, S. 32, 33

5Kesselring: Handbuch Ethik für Pädagogen, 2012, S. 14

 

«Un enfant n’est pas un vase qu’on remplit, mais un feu qu’on allume.»

Michel de Montaigne (1533–1592)

«Unwissenheit ist die Nacht des Geistes, eine Nacht ohne Mond und Sterne.»

Konfuzius (551–479 v. Chr)

 

WAS GEHÖRT ZU GUTEM UNTERRICHT?

Zentrale Merkmale erfolgreichen Unterrichtens aus der Sicht der Unterrichtsforschung

Die Unterrichtsforschung kennt eine ganze Reihe von relativ einfachen Prinzipien, mit denen nachweislich guter Unterricht gestaltet werden kann. Die wichtigsten werden in diesem Kapitel in knapper Form dargestellt – mit Bezug zu den Befunden renommierter Unterrichtsforschenden wie John Hattie und Andreas Helmke oder bekannter Didaktiker wie Hilbert Meyer. Indem wir die als lernwirksam herausgestellten Unterrichtsmerkmale zu einer Gesamtschau zusammenführen, wird ein breit akzeptierter pädagogischer Konsens abgebildet, der sowohl der deutschsprachigen als auch der internationalen Diskussion gerecht wird.

Dass es den guten Unterricht in einem absoluten Sinn nicht geben kann, wird sofort klar, wenn man sich die naheliegenden Fragen dazu stellt: gut wofür, gut bei welchen Startbedingungen, gut für wen, gut für wann? Guter Unterricht kann nur für einen bestimmten Kontext und im Zusammenhang mit einer gegebenen Situation beschrieben werden, die von den Unterrichtenden selbst immer wieder neu definiert werden müssen – und zwar unter Einbezug der Perspektiven aller Beteiligten. Eine solche Relativierung soll jedoch nicht zum Missverständnis führen, dass es für Unterricht keine Qualitätsmerkmale gibt. «Nein, es gibt zwar nicht die richtige Unterrichtsmethode», sagt Andreas Helmke, «aber es gibt sehr wohl Qualitätsprinzipien des Unterrichts, die unbedingt und fraglos gültig sind, es gibt wohlbegründbare Standards des Lehrerverhaltens, und es gibt wichtige Merkmale der Expertise von Lehrkräften, über die man sich weitgehend einig ist.»1 Diese Merkmale beziehen sich wiederum auf drei Themenkreise: zum einen auf die Lernatmosphäre, zum anderen auf die Motivation der Lernenden, schliesslich und vor allem auf didaktisch-methodische Verfahren. Diese letzte Merkmalsgruppe wird von uns im Folgenden etwas breiter thematisiert, weil sie im engeren Sinn allgemeindidaktisch ist. Dennoch wäre es nicht richtig, ihr eine grössere Bedeutung für gelingenden Unterricht beizumessen. Erfolgreiches Unterrichten ist das Resultat einer ausgewogenen Mischung aus förderlicher Lernatmosphäre, angemessener Motivierung und methodisch-didaktischem Know-how.

Es sind insgesamt zwölf wichtige Merkmale der Expertise von Lehrpersonen, die in den folgenden Kapiteln aufgegriffen und vertieft werden. Wer an einer intensiveren Auseinandersetzung interessiert ist, findet im Text immer wieder Hinweise für ein weiterführendes Selbststudium. Des Weiteren erfolgen in diesem Kapitel kurze Anmerkungen zu den in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung omnipräsenten Begriffen Lernziele und Kompetenzen – als Bindeglied zur Fachdidaktik sollten sie auch Teil allgemeindidaktischer Erwägungen sein.

Die zwölf Merkmale guten Unterrichts lassen sich drei Themenkreisen zuordnen: Lernatmosphäre, Motivation und didaktisch-methodisches Know-how. Damit lehnen wir uns an einen Vorschlag von Wolfgang Beywl an.2 Dieser hat eine Gesamtschau zu den Positionen von drei Autoren vorgelegt, die wir als besonders hilfreich erachten: Die folgenden Merkmale sind den Publikationen Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen von John Hattie,3Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität von Andreas Helmke4 und Was ist guter Unterricht? von Hilbert Meyer5 entnommen.

Jedes Merkmal wird jeweils nur mit ein paar wenigen Stichworten charakterisiert – unsere knappen Ausführungen können die Differenziertheit der Originalpublikationen nicht vollumfänglich wiedergeben. Trotz der vereinfachenden Kürze bietet die Gesamtheit der Darstellung zu den zwölf Merkmalen eine sehr gute Orientierung für die Unterrichtsgestaltung, und es lassen sich daraus brauchbare Hinweise und Handlungsmöglichkeiten für die Praxis ableiten. Bei sehr breiten und für einen erfolgreichen Unterricht besonders relevanten Themen empfehlen wir aber ein intensiveres Studium; deshalb geben wir bei einzelnen Merkmalen entsprechende Literaturhinweise. Nach unserer Erfahrung hat eine ernsthafte und andauernde Auseinandersetzung von Lehrpersonen mit den nachfolgend besprochenen Merkmalen äusserst positive Auswirkungen auf den Unterricht – und damit auch auf die Berufszufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern.

Zur besseren Orientierung werden die zwölf Merkmale guten Unterrichts vorab in einer Tabelle dargestellt und gleichzeitig den übergeordneten Themenkreisen zugeordnet. Zudem wird in der Tabelle auch auf die Anmerkungen zu Lernzielen und Kompetenzen verwiesen.

Da wir grösstmögliche Transparenz bezüglich der Herkunft der Gedanken, Ideen und Befunde anstreben, werden wir bei jedem der zwölf Merkmale auf wichtige Beiträge einzelner Autorinnen und Autoren und auf Befunde aus Hatties bekannten Metaanalysen hinweisen. Wir nennen die Autoren jedoch nur dann, wenn wir der Auffassung sind, dass sie zu einem Merkmal einen spezifischen Beitrag leisten können, der eine Hervorhebung rechtfertigt.

1 Unterrichtsklima

Helmke und Meyer sprechen bei diesem Merkmal von einem lernförderlichen Klima. Darunter verstehen sie, dass im Unterricht gegenseitiger Respekt wichtig ist, dass Regeln verlässlich eingehalten werden, dass alle Beteiligten Verantwortung übernehmen und dass Gerechtigkeit und Fürsorglichkeit gelebt werden. Der Umgangston soll freundlich, die Atmosphäre von Herzlichkeit und Wärme geprägt sein; Lachen und Humor sollen Platz haben. Zentral ist eine konstruktive Leistungskultur, die nicht auf ständigem Druck basiert: Es soll so viele nicht mit Leistungsbewertung verbundene Lernsituationen wie möglich geben und nur so viele Leistungssituationen wie nötig (vgl. Kapitel 8). Auch bezüglich des Arbeitstempos soll sich eine entspannte Atmosphäre ausbreiten: Toleranz gegenüber Langsamkeit und angemessene Zeiten des Wartens bei Schülerinnen- und Schülerantworten werden als wichtig für das Unterrichtsklima erachtet. Diese Charakterisierung eines lernförderlichen Klimas im Unterricht zeigt sich bei der Hattie-Studie in den hohen Effektstärken bei der Lehrer-Schüler-Beziehung, beim Klassenzusammenhalt und bei der Angstarmut. Spezielles Gewicht legt Hattie darauf, dass sich ein optimales Klassenklima durch eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens auszeichnet, in der es in Ordnung ist, Fehler zu machen, weil diese zum Prozess des Lernens gehören.

2 Klassenführung

Die Klassenführung – oder umfassender: das Classroom Management – wird von Lehrpersonen, aber auch von Schulleitungen und Schulbehörden oft als das entscheidende Merkmal eines gelingenden Unterrichts genannt. Helmke erachtet die funktionierende Klassenführung als notwendige Voraussetzung für erfolgreiches und anspruchsvolles Unterrichten. Die Basis einer modernen Klassenführung bilden gemeinsam mit den Lernenden erarbeitete Regeln. Sinnvoll ist es, Störungen durch Strategien der Aufmerksamkeitslenkung (das heisst durch Anweisungen und organisatorische Massnahmen, welche die Aufmerksamkeit steuern sollen) präventiv zu begegnen. Wenn Störungen auftreten, sollten sie diskret-undramatisch und zeitsparend behoben werden. Gemäss Hatties Metaanalysen hat eine effiziente Klassenführung einen hohen Effekt auf gelingende Lernprozesse. Weil Klassenführung gemeinhin als wichtig, oft aber auch als nicht immer einfach erachtet wird und weil sie viel mehr bedeutet als die Vermeidung von Störungen, soll exemplarisch auf zwei Vertiefungsmöglichkeiten aus der grossen Anzahl Publikationen hingewiesen werden: Störungen in der Schulklasse von Hans-Peter Nolting,6 das auf dem eher lerntheoretisch ausgerichteten Klassiker von Jacob Kounin7 aufbaut, ist ein weit über Kounin hinausgehender Leitfaden zur Klassenführung. Das Werk zielt auf eine optimale Verhaltenskontrolle und -lenkung ab und bietet leicht umsetzbare und trainierbare Hinweise zum Classroom Management an. Disziplin und Selbstdisziplin in der Schule von Jürg Rüedi8 hingegen ist eher tiefenpsychologisch orientiert und legt bei der Klassenführung den Akzent auf die Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung. Aus unserer Sicht lohnt sich das Studium dieser Publikationen nicht nur für angehende Lehrpersonen, sondern für alle Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Klassenführung optimieren möchten.

3 Echte Lernzeit

Dass die gesamte Unterrichtszeit einen möglichst hohen Anteil an echter Lernzeit beinhaltet, ist für Meyer ein wesentliches Merkmal guten Unterrichts. Erreicht werden kann das durch gutes Zeitmanagement, durch Pünktlichkeit und vor allem durch das Auslagern von organisatorischen Fragen aus der eigentlichen Unterrichtszeit. Auch wenn die anderen Autoren keine Befunde dazu vorlegen, scheint es doch hilfreich, seinen Unterricht daraufhin zu befragen, wie viel Zeit mit Aktivitäten verloren geht, die nicht dem Lernen zuzurechnen sind.

4 Motivierung

Eine vielfältige Motivierung ist ein weiteres wichtiges Qualitätsmerkmal von Unterricht. Im Unterricht sollten nach Helmke drei unterschiedliche lernrelevante Motivgruppen beachtet werden. Zum einen gilt es, die intrinsische Lernmotivation der Lernenden, die sich in deren Sach- und Tätigkeitsinteresse manifestiert, zu berücksichtigen. Zum anderen lassen sich Möglichkeiten extrinsischer Motivierung nutzen: Die Wichtigkeit und Nützlichkeit des Lernstoffs, Anknüpfungspunkte zur Lebenswelt der Lernenden sowie auch Neugier- und Leistungsmotive. Schliesslich übertragen sich das Engagement und die Freude der Lehrperson am Fach und am Unterrichten über den Prozess des Modelllernens auf die Motivation der Lernenden.

Wie Hatties Untersuchungen interessanterweise ergeben haben, hat eine hohe Sicherheit von Schülerinnen und Schülern bezüglich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit mit Abstand die stärkste Wirkung auf ihren Lernerfolg. Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen der Motivation, sich mit schulischen Inhalten zu befassen, und diesem in Hatties Studie so herausragenden Befund. Auch die sozialkognitive Lerntheorie von Albert Bandura und die ergänzenden stärker auf den deutschsprachigen Raum bezogenen Publikationen von Matthias Jerusalem mit dem Konzept der Selbstwirksamkeit (efficacy beliefs) kommen zu sehr ähnlichen Resultaten. Guter Unterricht ist also eindeutig so zu gestalten, dass die Selbsteinschätzung, die Selbstwirksamkeit – oder umgangssprachlich: das Selbstvertrauen – der Lernenden gestärkt wird. Für ein vertiefteres Studium dieser Zusammenhänge verweisen wir auf den Klassiker von Albert Bandura Self-efficacy9 und auf die Zeitschrift für Pädagogik, die eine Sondernummer zu diesem Thema publiziert hat; darin wird unter anderem das Konzept der Selbstwirksamkeit von Matthias Jerusalem und Ralf Schwarzer differenziert eingeführt und mit permanentem Bezug zur Schule genau diskutiert.10

5 Leistungserwartung