Einkommen für alle - Götz W. Werner - E-Book

Einkommen für alle E-Book

Götz W. Werner

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Beschreibung

Einkommen ist ein Bürgerrecht – Götz Werners Buch »Einkommen für alle« zeigt die Notwendigkeit des bedingungslosen Grundeinkommens. Götz W. Werner, der Gründer von dm, ist der bekannteste Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland. Sein 2007 erschienenes Buch »Einkommen für alle« ist ein Klassiker der Literatur zum Thema. In den letzten zehn Jahren hat die Idee viele weitere Anhänger gefunden, Politiker aus allen Parteien und viele engagierte Bürger setzen sich dafür ein. In dieser überarbeiteten, aktualisierten und erweiterten Neuausgabe begründet Werner, warum die Zeit für die Einführung des Grundeinkommens reif ist – und zudem den künftigen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt nicht anders begegnet werden kann. Dem Rationalisierungs-Tsunami »Industrie 4.0« wird vermutlich jede dritte Stelle zum Opfer fallen. Auch viele geistige Arbeiten werden Computer künftig schneller und präziser erledigen als wir. Aber das Tempo dieses Wandels lässt die Lebensrisiken und Sorgen vieler Menschen leider schneller wachsen als ihren persönlichen Wohlstand. Denn wer nicht weiß, ob er künftig noch gebraucht wird, der wird nicht motiviert, sondern gelähmt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen schüfe vor allem Freiheit. Wer weiß, dass eine bescheidene, aber menschenwürdige Existenz jederzeit gesichert ist, der kann sich frei entscheiden, wie er seine Fähigkeiten und Neigungen in die Gesellschaft einbringen will. Denn unsere hochgradig arbeitsteilige Gesellschaft hängt komplett von der Bereitschaft aller ab, für andere etwas zu leisten. »Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen wird die Gesellschaft: sozialer – freiheitlicher – wirtschaftlicher – familienfreundlicher – ökologischer – sinnorientierter – angstfreier – krisenfähiger – bewusster – zukunftsfähiger – spannender.« Enno Schmidt»Werners Buch ist sehr gut lesbar, er schreibt, wie er spricht: flott, bildhaft, zuweilen sogar lustig.« Berliner Zeitung über »Einkommen für alle«

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Seitenzahl: 343

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Götz W. Werner

Mitarbeit: Enrik Lauer, Regine Müller

Einkommen für alle

Bedingungsloses Grundeinkommen – die Zeit ist reif

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Götz W. Werner

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Motto

»Reiche« und »Normalverdiener« – gefangen in Fort Knox

Denkhürden wider das Telefonieren

Die BGE-Denkhürden: unsere Begriffe von Arbeit und Geld

Was bringt ein Grundeinkommen für Normalverdiener?

Zwei »Wertekorridore« in unserer Gesellschaft

Wirtschaft als Prozess des Füreinander-Leistens

Wo das ganze Geld bleibt

Wie reich sind »die Reichen« eigentlich?

Der Irrtum der Reiz-Reaktions-Ökonomie

Wenn alle nur noch ans Geld denken

Existenzsicherung und Erwerbsarbeit entkoppeln

I. Einkommen als Bürgerrecht

Grundeinkommen ist ein Grundrecht

Arbeit und Einkommen

Grundeinkommen und Erwerbseinkommen

»Haben Sie das schon durchgerechnet?«

II. Ausgabensteuer statt Einkommensteuer

Der große Steuerraub

Deutschland von oben: unser Steuersystem

Geld, Kapital, Einkommen und Konsum

Arbeit und Kapital als schöpferische Kräfte

Die Konsumsteuer und das bedingungslose Grundeinkommen

Danksagung

Literatur

Das Grundeinkommen im Internet

Inhaltsverzeichnis

Benediktus Hardorp (1928–2014) in dankbarer Erinnerung gewidmet

Inhaltsverzeichnis

»Der Mensch ist noch sehr wenig, wenn er warm wohnt und sich satt gegessen hat, aber er muss warm wohnen und satt zu essen haben, wenn sich die bessere Natur in ihm regen soll.«

Friedrich Schiller

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

»Reiche« und »Normalverdiener« – gefangen in Fort Knox

Warum wir über die Funktion von Geld und Arbeit noch einmal neu nachdenken sollten

In unserer Gesellschaft wie auch in der Politik besteht Einverständnis darüber, dass jeder Mensch genug zu essen und zu trinken haben muss, dass er Kleidung, Wohnraum und medizinische Versorgung braucht, dass er Anspruch auf Zugang zu Information und zu einem Minimum an kulturellen Angeboten hat. All dies nicht etwa als Belohnung für gute Führung im Arbeits- und Alltagsleben, sondern weil die Sicherung dieser Grundbedürfnisse ein unveräußerliches Menschenrecht ist. Sieht man von der kleinen Fraktion Radikalliberaler ab, die jede Form sozialstaatlicher Unterstützung ablehnen, dann ist auch weitgehend unstrittig, dass dafür gegebenenfalls die Gemeinschaft (»der Staat«) einstehen muss. Strittig ist nur, ob an ein Geldeinkommen, das eine bescheidene, aber humane Existenz sichert, Bedingungen geknüpft werden müssen oder nicht.

Zwar wird die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) mittlerweile in fast allen im Parlament vertretenen Parteien diskutiert – und findet dort auch mehr oder minder große Fraktionen von teils sehr engagierten, teils eher bedächtigen Befürwortern. Es gibt zahlreiche Gruppen und Initiativen, die sich außerparlamentarisch für ein BGE engagieren. Seit 2016 gibt es zudem die »Einthemen-Partei« Bündnis Grundeinkommen, die ausschließlich mit der Forderung bei Wahlen kandidiert, das Thema BGE auf die Tagesordnung der Parlamente zu setzen. Ebenso spricht sich inzwischen eine ganze Reihe prominenter Vertreter aus der Wirtschaft für die Einführung eines Grundeinkommens aus. In den Medien wird das Thema ohnehin seit Längerem breit diskutiert. Und je nach Umfrage befürworten heute auch fünfzig bis sechzig Prozent der Deutschen die Einführung eines Grundeinkommens.

Insofern könnte ich, der ich die Idee nun seit fast zwanzig Jahren öffentlich vertrete, einfach sagen: Nur zu! Traut euch endlich! Ich könnte bezüglich der Details einer Einführung und Ausgestaltung des BGE auf die Themenkompetenz in Parteien wie den Grünen oder der Linkspartei setzen, ansatzweise auch in der FDP (dort nennt man das Kind »Bürgergeld«, wohinter sich freilich ein eher rigides Konzept verbirgt) und in der CDU (da gab es vor Jahren immerhin mal eine vom ehemaligen sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus geleitete Kommission zum Thema). Ich könnte vielleicht noch erzählen, wie ich und andere sogar einige aus der aktiven Politik ausgeschiedene Sozialdemokraten für die Idee erwärmen konnten – während sich ihre Partei beim Thema BGE noch immer recht hartleibig gibt. Und ich könnte mich ansonsten mit meinen 74 Jahren entspannt auf einem meiner Lieblingsbonmots ausruhen: dass nichts mächtiger sei als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Ich weiß, Victor Hugo hat das so nie geschrieben. Trotzdem wahr!

Also: Die Zeit ist fraglos reif für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Es wäre längst notwendig, damit unsere hochgradig arbeitsteilige, durchrationalisierte und internationalisierte Wirtschaft weiter funktionieren kann. Meiner Meinung nach sind auch alle Voraussetzungen für die »Machbarkeit« eines BGE längst gegeben. Die Idee ist in großen Teilen der Gesellschaft ja auch längst angekommen. Und doch haben viele Menschen, haben nicht zuletzt sehr viele Ökonomen weiterhin große Schwierigkeiten, die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens überhaupt zu denken. Da die Debatte um das BGE schon sehr lange, sehr intensiv und auf einem gedanklich ausgereiften Niveau geführt wird, könnte man das einfach für Begriffsstutzigkeit halten. Aber das führt nicht weiter. Besser ist es, den offenbar immer noch hohen Denkhürden gegen die Idee noch einmal genauer nachzuspüren.

Die BGE-Denkhürden: unsere Begriffe von Arbeit und Geld

Beim Telefon, einer bahnbrechenden technischen Innovation, war die zumeist fehlende räumliche Distanz zu Menschen, mit denen es etwas zu bereden gab, die entscheidende Denkhürde. Beim Grundeinkommen, einer sozialen Innovation, haben wir es mit zwei Denkhürden zu tun, die ebenfalls unser soziales Beziehungsgeflecht betreffen. Erstens mit einem verbreiteten Missverständnis des Sinns, der Funktion und der Organisation von Arbeit. Und zweitens mit verbreiteten Missverständnissen des Sinns und der Funktion von Geld. Meines Erachtens beruhen sämtliche gängigen Einwände gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen darauf, dass unser Denken über Arbeit und Geld schon eine ganze Weile nicht mehr zu den Realitäten unserer Arbeitswelt und unseres Wirtschafts- und Geldsystems passen. Aber das ist wohl noch nicht ganz so offensichtlich, wie ich selbst bisweilen annehme.

Seit dem Erscheinen der ersten Ausgabe dieses Buches 2007 mag sich noch so viel in der Wirtschaft verändert haben. Die Durchrationalisierung von Produktion und Dienstleistungen, die Digitalisierung und die Globalisierung mögen sich seitdem noch so sehr beschleunigt haben. Die Spreizung der Einkommen in den meisten westlichen Gesellschaften mag sich noch so sehr vergrößert, die relative Armut von Menschen am unteren Ende der Skala sich noch so sehr verfestigt haben. Die Verwerfungen auf den Finanzmärkten, ausgelöst durch immer maßlosere Spekulation und nicht selten auch durch schlichte Betrügereien, mögen noch so ungeheuerlich gewesen sein. Wer in der Politik Verantwortung trägt, der setzt nicht völlig zu Unrecht darauf, dass die Bürger von ihren Repräsentanten erwarten, »die Probleme der Menschen zu lösen«, wie man so schön sagt. Und nicht, dass sie erklären, warum die Probleme bislang unter falschen Voraussetzungen betrachtet und beschrieben wurden. So sind Politiker meist auch weder denkfaul noch von bösen Absichten geleitet. Der pragmatische Minimalismus des politischen Tagesgeschäfts sorgt ganz von selbst für Lustlosigkeit beim Weiterdenken. Und wer Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft mit Studien voller Zahlen, Thesen und guten Ratschlägen beliefert, der kann dann natürlich auch nicht einfach seine lange bewährten Denkfiguren und Begriffe über Bord werfen. Folge: Wer öfter die Wirtschaftsseiten liest, kennt die Textbausteine von Jahreswirtschaftsberichten oder Sachverständigengutachten längst auswendig.

Vielleicht sollte man spaßeshalber mal Pamphlete danebenlegen, die einstmals zur Rechtfertigung der Sklaverei, der Leibeigenschaft oder des Dreiklassenwahlrechts verfasst wurden. Auch Dinge, die ziemlich lange funktioniert haben. Und die bis zu ihrem Untergang Verteidiger gefunden haben, die keineswegs alle Deppen waren. Oder nehmen Sie das Frauenwahlrecht. Es ist gerade mal hundert Jahre her, dass Frauen in Deutschland erstmals wählen durften. Bis dahin war es unter Herren Common Sense, dass es ihnen für die Politik an Weitsicht und Urteilsvermögen fehle.

Dass die Denkhürden beim Thema Grundeinkommen nach wie vor sehr hoch sind, das merke ich in Diskussionen und beim Lesen einschlägiger Artikel unter anderem daran, dass die Argumente der Kritiker in den letzten zehn Jahren nicht wirklich besser geworden sind. Kaum hatte man die Hoffnung, dass wenigstens ein paar der teils wirklich nur absurden, teils schon x-mal widerlegten Einwände vom Tisch seien, schon spielte jemand wieder eins der alten Lieder: Wiewollensiedasdennfinanzieren. Dagehtjakeinermehrarbeiten. Werholtdenndannnochdenmüllab. Dannwerdendieleistungsträgerabwandern. Und. So. Weiter.

Darum habe ich mich denn doch noch einmal hingesetzt und mein zehn Jahre altes Buch überarbeitet. Nicht so sehr, um alte Zahlen zu aktualisieren, um gegen amtierende anstelle von pensionierten Politikern zu wettern oder um mich nunmehr an Professor Clemens Fuest statt an Professor Hans-Werner Sinn, am leidgeplagten John Cryan statt am seinerzeit im Buch allzu penetrant angegangenen Josef Ackermann abzuarbeiten. Sondern um möglichst alles wegzulassen, was der Wahrheitsfindung offensichtlich nicht gedient hat. Um meine Argumente gegen die bekannten Standardeinwände womöglich noch einmal zu schärfen. Um meine eigene Position (hoffentlich) noch klarer und plastischer zu formulieren. Und um über ein paar Punkte auch noch einmal gründlicher nachzudenken.

Was bringt ein Grundeinkommen für Normalverdiener?

Talkshows zum Thema beginnen ja gern mit einem Schlagwort, das auf »…)ierung« endet: Rationalisierung, Globalisierung, Digitalisierung. Die »vernichten« dann immer X Prozent aller Arbeitsplätze. Weil man sich im Fernsehen erstens kurzfassen und zweitens möglichst anschaulich ausdrücken sollte, neigen Befürworter eines BGE dann dazu, die Zahl X zu dramatisieren. Während die Gegner auf die derzeitige »Rekordbeschäftigung« und auf Y Millionen neuer Arbeitsplätze verweisen, die mit jeder Runde technischer Innovation überhaupt erst entstünden. Dieses Bingo vom »Ende der Arbeit« kann man dann so circa zehn Minuten spielen, bevor man sich der Lotterie des »BGE: Wer soll das bezahlen?« zuwendet.

Nun lässt sich – Digitalisierung hin, Niedriglohnsektor her – kaum bestreiten, dass die Erwerbsquote in Deutschland mit aktuell 54 Prozent recht hoch ist. Jeder Zweite zwischen 15 und 74 hat damit einen Job. Jetzt mache spaßeshalber mal ich eine Milchmädchenrechnung auf, und zwar um eine nicht ganz unerhebliche Denkhürde auszumessen. Über wen reden wir eigentlich beim Thema BGE, wenn wir das ebenso richtige wie banale »über alle« mal für einen Moment in der Tüte lassen? 44,7 Millionen Erwerbstätige plus 21 Millionen Rentner plus 11 Millionen Schüler plus 2,8 Millionen Studierende – macht 79,5 Millionen Menschen. Zählen wir noch die offiziell knapp 2,4 Millionen Arbeitslosen dazu (und lassen die statistischen Kinkerlitzchen beiseite), dann haben wir all unsere Einwohner schon beisammen. Dass darunter ziemlich viele sind, die von ihren Teilzeitgehältern, Minilöhnen und Renten nicht leben, die auch mit zwei oder drei Jobs ihre Familien nicht ernähren, die als alleinerziehende Mütter oder Väter ihre Kinder erst recht nicht auskömmlich ins Leben führen können, übergehe ich hier ebenfalls für einen Moment. Ebenso die Tatsache, dass es in Deutschland einen ganzen Strauß mehr oder minder rigide bedingter Transfereinkommen gibt. Mir geht es um Folgendes:

Vor einiger Zeit fragte mich bei einer Podiumsdiskussion jemand aus dem Publikum, was dieses ominöse Grundeinkommen eigentlich ihm bringen würde. Er wolle uns jetzt nicht mit Details langweilen, aber er habe eine gute Ausbildung und deshalb eine zwar nicht fürstlich, aber doch gut bezahlte Stelle in einem erfolgreichen mittelständischen Unternehmen. Dieses stelle Teile für Spezialmaschinen her, die sich auf dem deutschen und europäischen Markt sowie in etlichen Ländern Asiens prächtig verkauften. Von daher betrachte er seinen Arbeitsplatz eigentlich auf längere Sicht als sicher. Und bei seinem Einkommen müssten zwar auch er und seine vierköpfige Familie ein bisschen rechnen, aber nicht jeden Cent zweimal umdrehen. Sie seien, kurz gesagt, so eine Art schwäbischer Musterhaushalt. Nun habe er gelesen, dass ein Grundeinkommen in »meinem Modell« irgendwie auf die bisherigen Einkommen »angerechnet« werden solle. Da mache er sich eher Sorgen, dass ihnen am Ende unterm Strich weniger Geld bliebe, als dass er Lust bekomme, über die sozialen Vorteile eines bedingungslosen Grundeinkommens nachzudenken.

Dass ein BGE mittelfristig die bis dato gezahlten Löhne und Gehälter teilweise ersetzen würde, das habe ich stets betont, wenn die als »Gegenargument« gemeinte Frage im Raum steht, wie denn bitte ein Grundeinkommen von 1000 oder 1000 Euro für 82 Millionen Bundesbürger »finanziert« werden solle. Im Kapitel über »Grundeinkommen und Erwerbseinkommen« gehe ich noch einmal darauf ein. Grundsätzlich: Wer ein Arbeitseinkommen bezieht, welches das Grundeinkommen übersteigt, der hat nach dessen Einführung nicht allein schon deswegen »mehr Geld in der Tasche«. Dabei geht es nicht um eine präzise »Anrechnung« des BGE – in welcher Höhe auch immer – auf Löhne und Gehälter ab irgendeinem 1. Januar, null Uhr. Es geht lediglich darum, dass jeder Bürger dann ein Grundeinkommen vom Staat, das heißt von der Gesellschaft als Ganzes bekommt. Und dass jeder darüber hinaus nach Belieben Einkommen aus Festanstellungen oder Freiberuflichkeit, aus unternehmerischer Tätigkeit oder auch aus Sach- und Geldvermögen beziehen kann. Da wird, wie gesagt, überhaupt nichts »angerechnet«. Der 1001. oder 1501. Euro gehört immer Ihnen – ganz gleich, ob Sie den in einer Fabrik, einem Laden oder einem Büro verdienen. Ob Sie selbst eine Rechnung an einen Kunden stellen. Ob Sie eine Wohnung vermieten oder eine Dividende einstreichen. Oder ob Sie – wenn es denn irgendwann mal wieder eine reale Verzinsung gibt – Zinsen auf Ihr Sparbuch oder Ihre Lebensversicherung erhalten. Über Löhne und Gehälter wird man nach Einführung eines BGE gewiss reden müssen. Aber da herrscht dann erstens endlich Augenhöhe zwischen den Parteien, weil es mit einem Grundeinkommen sehr viel leichter fällt, auch mal Nein zu sagen. Und zweitens gibt’s dann immer noch Tarifautonomie, Gewerkschaften und Streikrecht.

Doch selbstredend wäre es noch naiver, davon auszugehen, ein künftiges BGE gebe es einfach obendrauf. De facto wird »nur« Folgendes geschehen: Die Sicherung eines Grundeinkommens für jeden wird von einer betriebswirtschaftlichen zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, finanziert aus den Steuern aller Bürger (zum Thema Steuern kann ich hier nur auf Teil II des Buches verweisen). Dieses Einkommen hat jeder Bürger – anders als heute – ein Leben lang sicher. Sollte also die Firma des oben erwähnten Fragestellers, aus welchen Gründen auch immer, eines Tages doch ins Schlingern geraten, dann hätten der Mann, seine Frau und seine beiden Kinder zwar wohl erst mal weniger Geld zur Verfügung. Doch eine bescheidene Existenz wäre für alle gesichert. Jeder darüber hinausgehende Lebensstandard müsste natürlich auch weiterhin aus individuell erzielten Markteinkommen finanziert werden.

Was also hat unser gut situierter Durchschnittsverdiener vom BGE? Kürzestmögliche Antwort: Er und die Seinen fallen immer in ein Netz, nie in ein Loch. Auch dann nicht, wenn eine mit dem BGE ja keineswegs automatisch abgeschaffte Versicherung gegen Arbeitslosigkeit (die dann nicht mehr die Existenz, sondern einen gewünschten Lebensstandard versichern würde) nichts mehr überweist. Und hätte unser Schwabe an jenem hoffentlich fiktiven Tag sein Häusle bereits abbezahlt, dann wird kein Amt der Welt ihn zwingen können, es erst zu verscherbeln, bevor das BGE aufs Konto kommt. Ungefähr so habe ich damals auch geantwortet. Kurz: BGE bedeutet mehr Sicherheit und mehr Freiheit für alle. Nicht mehr Geld.

Erst später wurde mir klar, dass diese Antwort, so richtig sie ist, wohl am Kern der Sache vorbeigeht. Der Fragesteller ging ja durchaus mit einigem Recht davon aus, dass ein gutes Erwerbseinkommen in seinem Fall bis zur Rente gesichert ist. Dass dann auch diese seinem Einkommen entsprechend annehmbar sein werde. Und dass Eigenheim und Ersparnisse für den Rest sorgen würden. Dass er und seine Familie, solange die Welt oder wenigstens die Weltwirtschaft nicht komplett untergehen, sich also keine allzu dramatischen Sorgen machen müssten. Anders gesagt: Solange die Geschäfte unseres Mittelständlers brummen, mag die Sicherheit, die ein BGE seinen Mitarbeitern gibt, tatsächlich als etwas eher Fiktives erscheinen. Was ihnen ökonomische Sicherheit gibt, worüber sich ihre soziale Stellung bestimmt, was ihnen nicht zuletzt gesellschaftliche Anerkennung verschafft, das sind eben weit mehr die eigene Qualifikation, die offensichtliche Qualität ihrer Arbeit und der daraus resultierende Erfolg der Firma. Platt gesagt: Unser Mann hat auf den ersten Blick gute Gründe, sich ganz auf sich selbst zu verlassen.

Gesamtgesellschaftlich bedeutet dies: Für jene zahlenmäßig bedeutende, vor allem aber meinungsbildende Gruppe von gut qualifizierten Fach- und Führungskräften oder Facharbeitern scheint das Argument, ein BGE »bringe ihnen nichts«, tatsächlich etwas für sich zu haben. Jedenfalls, solange sie wie Selbstversorger denken. Genauer: wie bessergestellte Bauern früherer Zeiten, die sich damit beruhigen konnten, dass sie Äcker in bevorzugten Lagen, stabilere Scheunen und ein paar Schweine und Hühner mehr im Stall hatten.

Zwei »Wertekorridore« in unserer Gesellschaft

Zu dieser Diagnose passen die Ergebnisse einer Studie, die der Netzwerkforscher Prof. Dr. Peter Kruse 2014 durchgeführt hat (»Deutschland im Wandel: Systemoptimierung oder Paradigmenwechsel?«). Deren Ergebnis: Weit über die Hälfte der Bürger hat das Gefühl, dass sich die Solidarität in unserem Land dem Gefrierpunkt nähert. Politik, Wirtschaft und eine immer schmalere Elite von »Leistungsträgern«, so glauben viele, orientierten sich nicht mehr am Gemeinwohl, sondern an Einzelinteressen. Soziale Sicherheit, eine gerechte Verteilung unseres Wohlstandes, Chancengleichheit und menschliches Miteinander würden auf dem Altar von gnadenlosem Wettbewerb und Profitstreben geopfert. In vielen gesellschaftlichen und politischen Debatten prallen konträre Meinungen zunehmend unversöhnlich aufeinander. Zwar sind alle vom ergebnislosen Pro und Contra der ewig gleichen Meinungsdarsteller in den Talkshows genervt, doch niemand findet den Ausgang aus dem Studio.

Dabei werden viele Konflikte verständlich, wenn man die widerstreitenden Positionen auf zwei sehr unterschiedliche Wertekorridore in unserer Gesellschaft zurückführt. Zwar setzt eine große Minderheit von 44 Prozent der Befragten ihren Fokus auf das starke Individuum. Für diese Menschen stehen eigene Zielstrebigkeit, Wettbewerbsfähigkeit, persönliche Autonomie und ein stabiler Lebensrahmen im Mittelpunkt. Sie beschreiben sich selbst als optimistisch, arbeitseifrig, belastbar, engagiert und unabhängig. Gesundes Eigeninteresse und Konkurrenz sind für sie etwas Positives, persönlicher Wohlstand wird auf eigene Anstrengung zurückgeführt. Stress und wachsender Druck in Hierarchien werden dagegen als unvermeidlicher Preis des Erfolgs betrachtet.

Für die Mehrheit (56 Prozent) dagegen steht die Idee der starken Gemeinschaft im Mittelpunkt. Für diese Menschen sind Werte wie ein tragfähiges Wir-Gefühl, gleiche Bildungschancen, soziale Achtsamkeit und kooperatives Handeln zentral. Sie legen Wert auf soziale Sicherung und schätzen es, wenn die Dinge erkennbar »geregelt« sind. Begriffe wie »solidarisch«, »hilfsbereit«, »einfühlsam« oder »wertschätzend« sind bei ihnen positiv besetzt.

Wie stabil die Wände dieser Wertekorridore gemauert sind, lässt sich auch an den Negativbildern erkennen, die »Individualisten« und »Kommunitarier« voneinander hegen. Die einen werden mit eiskalter Kosten-Nutzen-Denke und Raubtierkapitalismus verbunden. Urteile wie »egoistisch«, »profitgierig«, »rücksichtslos« und »ausgrenzend« sind da schnell gefällt. Die anderen werden als konzeptlose Couchkartoffeln betrachtet, die sich von allem und jedem überfordert fühlen. Weshalb sie sich dauerhaft in einer Null-Bock-Haltung eingerichtet hätten. Hier lauten die Verdikte: »pessimistisch«, »frustriert«, »antriebslos«, »unmündig« – und daher »zu Recht« fremdbestimmt.

Einigkeit besteht bei den Befragten nur darin, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Mehr als vier Fünftel sind sich sicher: Deutschland braucht eine grundlegende Neuorientierung. 86 prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger sehen die Notwendigkeit für einen Paradigmenwechsel in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Doch während jene, die die Werte des Individualismus betonen, die Chancen für einen solchen Wandel eher optimistisch einschätzen, hat die Mehrheit, für die die Stärke der Gemeinschaft im Mittelpunkt steht, schon zu 98 prozent resigniert. »Das kulturelle Band gemeinsamer Werte und Überzeugungen«, so das Fazit von Studienleiter Prof. Dr. Peter Kruse, »ist in unserer Gesellschaft zum Zerreißen gespannt.«

Wirtschaft als Prozess des Füreinander-Leistens

Es ist ja weit mehr als eine reine Redensart, wenn in Debatten rund ums Thema Arbeit und Einkommen ständig der Spruch bemüht wird, jeder Mensch müsse »von seiner eigenen Hände Arbeit« leben können. Dahinter steht eine jahrhundertealte Erfahrung: Wer seinen Acker nicht bestellt, wird bald nichts mehr zu essen haben. Diese Erfahrung haben wir vom Weizen-, Kartoffel- und Gemüseanbau leider einfach auf den Gelderwerb übertragen. Nur dass man Geld eben nicht essen kann. Wir leben weder von »unserer Hände Arbeit« noch von selbst verdientem Geld. Wir alle leben realiter von jenen unendlich vielen Gütern und Dienstleistungen, die andere Menschen uns anbieten.

Nun ist natürlich jedem in unseren modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften klar, dass keiner mehr als Selbstversorger leben und wirtschaften kann. Selbst Landwirte kaufen heute fast alle Lebensmittel im Supermarkt ein, alles Übrige sowieso. Jeder weiß: Ich mag an der Herstellung oder Bereitstellung von irgendetwas beteiligt sein. Dieser Anteil mag größer oder kleiner, bedeutender oder randständiger sein. Aber ich kann nichts von dem, was ich benötige oder haben möchte, allein herstellen. Außer vielleicht immer noch etwas Gemüse im Garten. Schon wenn ich Socken stricken will, muss ich zumindest Wolle und Stricknadeln kaufen. Und wenn ich was bauen will, muss ich vorher in den Baumarkt gehen.

Betrachte ich, wie im berühmten ersten Satz von Marx’ Kapital, den »Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, (…) als eine ungeheure Warensammlung«, dann muss mir eigentlich sofort klar werden, dass ich eben nicht nur alles kaufen muss. Mithin vom ersten bis zum letzten Tag meines Erdenlebens ein Einkommen brauche. Sondern dass ich zudem ständig auf die Leistungen all jener Menschen angewiesen bin, die all das bereitstellen, was ich benötige, wünsche, angenehm oder lustig finde. Oder, wie ich das gerne ausdrücke: dass unsere heutige Wirtschaft der Fremdversorgung ein einziger, unausgesetzter Prozess des Füreinander-Leistens ist.

Dass kein Beitrag verzichtbar ist, dass wir alle auf Augenhöhe miteinander wirtschaften, dieses Prinzip drängt sich in der Arbeitsteilung förmlich auf. Leider sind wir aber noch meilenweit davon entfernt, das auch so zu denken. In einer arbeitsteiligen Welt müsste man, wenn man konsumiert, stets Danke schön sagen. Und wenn man produziert, müsste man ständig sagen: Bitte schön. Man kann nicht arbeitsteilig zusammenarbeiten und denken: Der andere ist ein Idiot, ich bin ja viel schlauer, der andere hat sowieso nichts zu sagen und spielt keine Rolle. Wenn man genau hinschaut, stellt man fest: Es gibt keinen einzigen Arbeitsschritt, der verzichtbar wäre. Wir stehen da allerdings immer noch am Anfang unserer Bewusstseinsentwicklung. Die Arbeitsteilung ist noch keine Bewusstseinsleistung, sondern »nur« eine Rahmenbedingung, an der sich unser alltägliches Denken immer noch abarbeiten muss. Die Arbeitsteilung ist eine Tatsache. Jetzt müssen wir uns noch aufraffen, ihre im Wortsinne humanistische, nämlich die gesamte Menschheit verbindende Wirkung zu erkennen.

Nein, das ist kein »Gutmenschengelaber«. Das ist eine angemessene Beschreibung der Wirklichkeit internationaler Arbeitsteilung. Das Grundeinkommen ist dabei sozusagen die Methode, um die dafür nötigen Verhältnisse zu schaffen; um Einsichten, die man gewonnen hat, weiterzuentwickeln. Die Arbeitsteilung ist uns faktisch geschenkt worden. Das Grundeinkommen wird uns nicht geschenkt. Das müssen wir schaffen bzw. einführen. Und um es einführen zu können, müssen wir es zunächst denken können.

Eine erhebliche Denkhürde besteht, wie schon angedeutet, darin, dass die Idee der Selbstversorgung von der »ungeheuren Warensammlung« der »kapitalistischen Produktionsweise« in die ungeheuren Geldmengen unserer Wirtschaftsordnung geflüchtet ist. Simpel gesagt: Sobald das Gehalt auf dem Konto ist, denken wir wieder wie Bauern. Scheune voll, Fässer dicht, Mausefallen aufgestellt, alles gut. Wir vergessen, dass auch alle anderen weiterhin nicht nur Waren benötigen, sondern eben auch Geld, um Waren und Dienstleistungen erwerben zu können. Und wenn wir es nicht fix verdrängen, dann fühlen wir uns zumindest berechtigt zu denken, das mit dem Geld der anderen sei nun wirklich nicht unser Problem. Wir haben unsere Schäfchen ja im Trockenen.

Sich auf den Prozess des ständigen Füreinander-Leistens in der Güterwirtschaft zu besinnen, fällt zudem auch konkret schwer. Die Arbeitsteilung wirkt da quasi wie der Schleier der Isis, der hier nicht die unergründlichen Geheimnisse des »Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen«, sondern die selbst gemachten Geheimnisse unserer Wertschöpfungsketten verhüllt. Den Mitarbeiter eines Investitionsgüterherstellers muss es auf den ersten Blick nicht nur nicht kratzen, ob die Reinigungskräfte in seiner Firma von ihrem Lohn Miete und tägliche Einkäufe bezahlen können. Seine Maschinenteile mögen darüber hinaus auch nichts mit Zweizimmerwohnungen, Billigkleidung aus Bangladesch oder einer Streichwurst beim Discounter zu tun haben. Dass sie in Maschinen verbaut werden, mit denen Teile für Lkw hergestellt werden, die dann die Kunststoffe transportieren, aus denen Wurstpelle hergestellt wird, wäre sogar noch eine sehr übersichtliche Wertschöpfungskette. Dass ein simpler Joghurt aus Dutzenden von Komponenten besteht, die alle zusammen über 9000 Kilometer Fahrt hinter sich haben, bevor der bunt bedruckte Becher mit andernorts bunt bedrucktem Aludeckel im Regal steht, ist bereits ein wissenschaftliches Forschungsergebnis. Und die Vorprodukte zur Herstellung von Maschinen, Fahrzeugen und Vorprodukten sind da noch gar nicht dabei. Noch viel schwerer mag schließlich der Gedanke fallen, dass die letzte geniale Weiterentwicklung eines bestimmten Maschinenteils nicht nur bei irgendeinem Lkw-Hersteller 200 Arbeitsplätze überflüssig macht – sondern eventuell auch noch einen Wettbewerber inspiriert, etwas Ähnliches für Maschinen zur Produktion von Wurstpellen zu entwickeln. Das alles ist, wie gesagt, der Preis der ansonsten so vorteilhaften enormen Arbeitsteilung: Einzelne Beiträge zum Ganzen einzuordnen, wird im Alltag beinahe zum Ding der Unmöglichkeit.

Wo das ganze Geld bleibt

Und weil das in unserer so hochgradig arbeitsteiligen und komplett globalisierten Wirtschaft schon auf der Ebene realer Güter und Dienstleistungen im Einzelnen kaum zu durchschauen ist, ist es mit den völlig abstrakten Geldflüssen noch schwieriger. Wir denken irrtümlicherweise, unsere Einkommen seien immer noch so eine Art Lagervorrat – weil die Wahrheit sich nur nach einem etwas mühseligeren Denkvorgang enthüllt, an dessen Ende die Erkenntnis stehen muss, dass wir alle im Grunde niemals Geld besitzen.

Schon klar, da stecken für ein paar Tage immer ein paar bunte Zettelchen und ein paar Metallplättchen in Ihrer Börse. Und wenn es gut läuft, dann steht vor der Zahl am Ende Ihres Kontoauszugs auch nur selten dieses kleine Minuszeichen. Aber mal ganz ehrlich: Glauben Sie immer noch allen Ernstes, kein anderer Mensch in Europa könne in diesem Moment jene 103 Euro ausgeben, die Sie (oder jedenfalls der Durchschnittsbürger) bar im Portemonnaie haben? Nehmen Sie wirklich an, da »lägen« irgendwo 2500 Euro »auf der Bank«, nur weil diese Zahl in Ihrem Sparbuch steht? Ich hoffe, dass Sie das nicht tun. Herr Fuest, Herr Sinn, Herr Cryan und Herr Ackermann tun das übrigens auch nicht. Was aber folgt daraus?

Meines Erachtens sollte dies zu folgender Sicht der Dinge führen: Unsere sämtlichen Einkommen, all unser schönes Geld wird stets binnen weniger Sekunden schon wieder zu Einkommen für andere. Sowieso, weil keine Bank der Welt mehr Bargeld lagert. (Na ja, derzeit tun es einige wieder, weil sie auf große Giroguthaben Minuszinsen zahlen müssen.) Sondern weil Banken jeden Cent Buchgeld immer sofort an andere verleihen. Das ist halt das, was Banken tun: Sie handeln mit Geld, das ihnen nicht gehört – also mit Schulden. Vor allem aber folgt diese Sicht aufs Geld daraus, dass Sie fast all Ihr Geld für Waren und Dienstleistungen ausgeben – das meiste ist ja am Monatsende weg. Und wenn was übrig ist, Sie also »sparen«, dann geben zwischenzeitlich andere »Ihr« Geld aus. Siehe oben. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen. Jeder Euro, jeder Dollar, jeder Yen des Planeten ist Einkommen. Ich komme auch darauf später noch einmal zurück. Aber tatsächlich ist es so: Jedes Gehalt, jede Miete, jeder Warenpreis und sogar jeder Unternehmensgewinn (»Profit«) löst sich stets sofort in Einkommen anderer auf.

Eine andere zu Tode zitierte ökonomische Binsenweisheit besagt, dass man jeden verdienten Euro nur einmal ausgeben könne. Bei Lichte betrachtet ist das jedoch seit langer Zeit nur noch purer Unsinn. Vermutlich wissen Sie, dass der 50-Euro-Schein die am meisten verbreitete Banknote ist. Rund 9,5 Millionen Stück hat die EZB aktuell ausgegeben. Wissen Sie aber auch, wie viel dieser 475 Millionen Euro zum Bezahlen benutzt werden? Gerade einmal die Hälfte! Die andere Hälfte wird momentan nicht mal jenes besagte eine Mal ausgegeben. Sie ruht stattdessen in Sparschweinen, Zuckerdosen, Geld- und Kleiderschränken, zu zwei Dritteln in europäischen, zu einem Drittel sonst wo auf der Welt. Bricht darum der europäische Zahlungsverkehr zusammen? Sollten die Fünfziger knapp werden, dann werden einfach neue gedruckt. Und wenn Ihr Gehalt nicht ausreicht, dann nehmen Sie Ihren Dispo in Anspruch. Da wird auch niemand anderem auf der Welt Geld weggenommen, sondern einfach neues »gemacht«. Keine Frage, irgendwann müssen Sie diesen Kredit zurückzahlen. Aber alles Geld der Welt muss eigentlich nur für eine einzige Sache reichen: Der Fluss der Güter und Leistungen darf nicht versiegen. »Zu wenig Geld« gibt es in unserer Epoche des Buchgeldes schon lange nicht mehr. »Zu viel Geld« (d.h. eine zu hohe Geldmenge in Relation zu allen verfügbaren Gütern und Leistungen plus einer für ihren ungehemmten Fluss nötigen, vernünftigen Menge an Krediten), das nennt man Inflation. Ein furchtbares Übel! Aber derzeit »drucken« alle Zentralbanken der Welt Geld wie die Irren. Nur dass das außer Spekulanten – zum Glück! – kaum einer haben will.

Weil wir das ständige Leisten aller für alle technisch und organisatorisch so unglaublich weit entwickelt haben, ist güterwirtschaftlich gesehen kaum noch etwas knapp. Beispiele: Allein Deutschlands Supermärkte werfen jährlich geschätzte 2,5 Millionen Tonnen Lebensmittel weg, also Ware, die nie ein Verbraucher in Händen hatte. Ein Drittel aller Autos in Deutschland wird inzwischen von Herstellern und Händlern selbst zugelassen, um dann irgendwann mit hohen Rabatten als »junge Gebrauchtwagen« beim Endkunden zu landen. Früher gab es eine Frühjahrs- und eine Herbstkollektion. Heute hängen zumindest bei allen großen Textilketten alle vier Wochen neue Klamotten auf den Ständern. Und wenn wir Kunden das wollten, dann könnte die Ware auch alle 14 Tage ausgetauscht werden. Dass Zahnpasta, Deo oder Waschmittel niemals mehr knapp werden können, das werden Sie mir wohl ohnehin glauben.

Kurz: Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel mehr, weil Knappheiten großteils Geschichte sind. Wir haben aber, seit wir sesshaft geworden sind, also seit zehntausend Jahren, fast immer nur mit der Erfahrung der Knappheit gelebt. Entsprechend schwer fällt es uns, diese Denkweise aufzugeben. Und stattdessen Bedingungen für eine gänzlich unbehinderte Wirtschaft des Füreinander-Leistens zu schaffen, die niemanden mehr – und sei es auch nur phasenweise – von der Möglichkeit ausschließt, an ihr teilzuhaben. Nicht: Jederzeit nach Lust und Laune alles kaufen zu können. Aber, wie schon gesagt, um sich ohne Existenzsorgen aktiv in Wirtschaft und Gesellschaft einbringen zu können.

Stattdessen beschäftigen wir uns immer noch vorzugsweise mit dem Problem vermeintlicher Geldknappheit. Die allerdings mehr eine Hypothek des 18. und 19. Jahrhunderts ist. Im Grunde soll Geld volkswirtschaftlich bzw. weltwirtschaftlich bloß die Verfügbarkeit von Gütern und Dienstleistungen widerspiegeln. Für alles, was wir für andere herstellen oder gewerblich für andere tun, für jeden Zwischenhandel, den wir dabei treiben, muss nicht nur ein entsprechender Geldbetrag zur Verfügung stehen. Wundersamerweise steht heute auch für jede Transaktion Geld zur Verfügung. Klar: nicht jedem Individuum für jede beliebige Transaktion. Daran würde auch ein Grundeinkommen von 6000 Euro nichts ändern. Aber wenn wir etwas produzieren, transportieren, distribuieren oder konsumieren wollen, wenn wir das ernsthaft wollen, dann können wir es auch finanzieren.

Nur in einer Welt allgegenwärtiger »natürlicher« Knappheit der Güter musste Geld als künstlich gesetzte soziale Form von Knappheit verstanden werden: als Verknappung der Zugriffsmöglichkeiten auf Güter und Leistungen. Die längste Zeit der Geschichte wurde Geldknappheit, anders kannte man es schließlich nicht, darum über natürliche Knappheiten organisiert – über die der Edelmetalle Silber und Gold. Und da sprechen wir nicht nur über das Mittelalter, die Goldgier der spanischen Konquistadoren und der Glücksritter am Klondyke oder über Kaiser Wilhelms Goldmark, sondern auch noch über die jüngere Vergangenheit.

Heute erinnern sich fast nur noch Experten daran, dass zwischen 1944 und 1973 das globale Währungssystem auf dem Abkommen von Bretton Woods beruhte. Dieses legte fest, dass der Wert des US-Dollars durch einen fixen Goldkurs, nämlich 35 Dollar pro Feinunze, bestimmt war. Die Wechselkurse aller anderen Mitglieder dieses Systems wiederum waren in festen Paritäten an den Dollar gebunden, vier D-Mark zum Beispiel waren stets einen Dollar wert. Und die US-Notenbank war durch das Abkommen von Bretton Woods verpflichtet, jeden Dollar auf der Welt, also auch die Währungsreserven anderer Zentralbanken, jederzeit in Gold einzulösen.

Die Hintergründe für den Zusammenbruch dieses starren Systems, von dem uns heute nur noch der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank erhalten geblieben sind, tun hier nichts zur Sache. Der Punkt ist, dass bis vor etwa vier Jahrzehnten alle wichtigen Währungen der Welt zumindest indirekt an die Verfügbarkeit eines einzigen Gutes – Gold – gebunden waren. Doch obwohl die Wechselkurse längst frei, manchmal auch rein spekulativ schwanken, obwohl der Goldpreis heute letztlich nur noch ein Rohstoffpreis unter vielen ist und obwohl die Zentralbanken das Problem der Inflation längst durch weit sensiblere Instrumente regulieren, lebt eine Reihe von Mythen aus diesem System hartnäckig weiter.

Irgendwie stellen wir uns nämlich immer noch das Gold in Fort Knox vor. Nach wie vor irritiert es gerade uns Deutsche, denen die Angst vor plötzlicher Geldentwertung fast in den Genen sitzt, wenn Politiker vorschlagen, die Bundesbank solle endlich ihre nutzlos gewordenen Goldreserven auflösen. Und die meisten Menschen, die sich einen Reichen vorstellen, denken als Erstes immer noch an Dagobert Duck, den Milliardär aus Entenhausen, der täglich in seinen Talern badet. Wer viel Geld hat, der hortet es irgendwo, kann also jederzeit auf seine »Reserven« zugreifen und dafür kaufen, was er will. Weshalb viele »Reiche« wirklich glauben, vom Geld nie genug bekommen zu können. Und weshalb die lautesten Vorbeter der Kapitalakkumulation allen Ernstes glauben, Gier sei gut. Sie alle halten den rein nominalen Wert des Geldes für etwas Reales.

Neben einer naiven Onkel-Dagobert-Idee von »Reichtum« hat die Geldillusion jene zweite, weit trügerischere Seite: Alle anderen Bewohner Entenhausens glauben ständig, dass sie »zu wenig Geld« hätten. Man kann ihnen sogar einflüstern, dass sie »über ihre Verhältnisse leben«. Ja, auch wir stellen uns die unendliche Prozesskette einer Volks- oder der Weltwirtschaft immer noch wie den Vorratsspeicher eines Bauernhofes vor. Ist der vor der nächsten Ernte geplündert, dann wird ja in der Tat gehungert. Und weil es mit dem Einkaufen ebenso schwierig wird, wenn das Gehalt ausgegeben und der Dispo geplatzt ist, scheint es mit unserem privaten Budget nicht viel anders zu sein. Also, denken wir, dürfen auch Unternehmen, »der Staat« oder wir alle nicht mehr ausgeben, als sie beziehungsweise wir einnehmen. Kurz: Wir würden die schwäbische Hausfrau am liebsten auch zur Finanzministerin und zur Chefin des IWF machen. Und natürlich würden wir sie mit ihrer ebenso sparsamen wie fast schon wieder prätentiös bescheidenen Weise des Wirtschaftens auch an die Spitze aller Konzerne setzen.

Wie reich sind »die Reichen« eigentlich?

Ist das eigentliche Problem nicht doch dieses: dass die Einkommen so »ungerecht« oder »ungleich« verteilt sind? Oder dass (fünf Euro ins Phrasenschwein) »die Reichen immer reicher werden«? Mal sehen. Jeff Bezos, der Chef von Amazon, war im Januar 2018 mit einem Vermögen von rund 105 Milliarden US-Dollar der reichste Mensch der Welt. Er soll damit sogar der reichste Mensch aller Zeiten sein! So sagt es jedenfalls die aktuelle Liste des US-Wirtschaftsmagazins Forbes.

105 Milliarden. Das ist ein Haufen Geld. Es ist etwas mehr als die jährliche Wirtschaftsleistung Marokkos, immerhin die Nummer 60 auf der Rangliste des IWF. Keine Frage, dem Mann geht es auch privat sicher finanziell ganz gut. Aber er hat, mit Verlaub, nirgendwo 105 Milliarden Ein-Dollar-Noten herumliegen. 99 Milliarden Dollar sind allein seine 79 Millionen Amazon-Aktien wert. Das aber ist, so wie »die Finanzmärkte« heutzutage ticken, nun wirklich kein Geld. Es ist ein reiner Erwartungswert. Salopp gesagt: die zu einer Zahl geronnene Meinung von ein paar Tausend Leuten rund um den Erdball, für wie schlau sie das Geschäftskonzept von Amazon halten. Sollte Jeff Bezos versuchen, diese Einschätzung buchstäblich zu vergolden, also all seine Aktien in einen »echten Sachwert« umtauschen wollen, Amazon wäre wohl binnen Sekunden ein Penny Stock – und sein Gründer wäre statt 105 Milliarden mit etwas Glück gerade noch ein paar Millionen Dollar schwer.

Aber Amazon ist doch, nach Apple, »das zweitwertvollste Unternehmen der Welt«. So liest man jedenfalls. Da muss doch irgendwas dahinterstehen! »Die Anleger« stecken doch nicht 508,8 Milliarden Dollar (Stand: 12.01.2018) nur in eine Idee! Nun, Amazon ist bekanntlich ein Handelsunternehmen. Da kenn ich mich aus! Wie dm hat auch Amazon praktisch kein Eigentum. Gut, eine Firmenzentrale haben wir beide gebaut. Amazon besitzt sogar ein paar weitere Verwaltungsgebäude und Logistikzentren. Meistens mietet man so was aber als Händler lieber. Amazon hat superschlaue Software. Unsere ist auch nicht ohne. Doch der Wert solcher Sammlungen von Nullen und Einsen ist nur nachhaltig, wenn Menschen da immer wieder Hirnschmalz hinzugeben. Software ist »Brainware«. Nur: Die großartigen Programmierer, die so etwas für Amazon oder für dm entwickeln, die gehören uns nicht. Sollten sie mal drei Monate die Lust verlieren, dann wäre unsere Software kaum mehr wert als die auf Ihrem PC.

Weiter: Wir haben auch eine Menge Büromöbel, Computer und was halt sonst so in Büros herumliegt. Anders als Amazon, die damit in den USA gerade erst anfangen, haben wir auch sehr viele Läden …) gemietet. Da stehen je drei bis fünf Kassen und Hunderte Meter Regale drin. Die waren nicht billig. Aber wirklich wertvoll sind sie nun auch wieder nicht. In unseren Regalen liegt eine Menge wertvoller Waren. Von denen wir allerdings inständig hoffen, dass sie uns nur wenige Stunden oder Tage »gehören«. Würden wir morgen zusammen mit der Zahnpasta auch unser »Eigentum« verkaufen, dann würde es unser Unternehmen nicht mehr geben. Aber würden Sie den Erlös unseres Trödelmarktes mit der Zahl vergleichen, die in der Fachpresse als »Unternehmenswert« von dm gehandelt wird, dann würden sogar Leute in Tränen ausbrechen, die sonst kein gutes Haar am Kapitalismus und an der Raffsucht »der Reichen« lassen.

Was machen unsere Mitarbeiter den ganzen Tag in unseren Läden und Büros? dm verkauft bekanntlich Drogerieartikel. Wir nehmen damit Geld ein. Damit bezahlen wir dann Gehälter, überweisen Ladenmieten oder begleichen Lieferanten- und Stromrechnungen. Wir verdienen sogar etwas Geld bei der Sache. Womöglich haben Sie schon mal gelesen, dass der deutsche Einzelhandel im Schnitt Umsatzrenditen zwischen ein und zwei Prozent erzielt. Was machen wir also mit diesen »Gewinnen«? Nun, nachdem ich mir meinen Sack Gold abgeholt habe, tragen den Rest die Mitglieder der Geschäftsleitung in Koffern nach Hause, um ihn später in Zermatt und auf Bora Bora zu verbraten. Dass wir damit neue Läden anmieten, Mitarbeiter einstellen und weiter qualifizieren sowie noch bessere Waren einkaufen oder unsere Logistik verbessern, das würden Sie mir ja sowieso nicht glauben.