Einstellungen gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen in der chinesischen Gesellschaft und deren potentielle Auswirkungen auf die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems - Yuexin Zhang - E-Book

Einstellungen gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen in der chinesischen Gesellschaft und deren potentielle Auswirkungen auf die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems E-Book

Yuexin Zhang

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Beschreibung

Zum 01.08.2008, eine Woche vor Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Beijing, wurde die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die VR China bei den Vereinten Nationen hinterlegt. Die vorliegende Arbeit ermöglicht einerseits historisierende, interdisziplinäre und vor allem interkulturelle und empirische Einblicke in die chinesischen Rahmensetzungen zur Umsetzung einer inklusiven Schule vor dem Hintergrund des Einstellungsgefüges der Beteiligten und zeigt andererseits auch konkrete Perspektiven für chinesische erziehungswissenschaftliche und bildungspolitische Diskurse auf.

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Danksagung und Widmung

Mein größter Dank gebührt Univ.-Prof. Dr. Sven Degenhardt, dem Hauptbetreuer dieser Dissertation. Er hat mich bei der Durchführung der Arbeit stets unterstützt und ich konnte fachlich sehr viel von ihm lernen. Außerdem ist er ein toller Freund von mir und hat mir bei der Integration ins ausländische Leben viel geholfen.

Weiter möchte ich auch Univ.-Prof. Dr. Joachim Schroeder und Prof. Dr. Wilfried Bos für die Übernahme meiner Dissertation als weitere Gutachter und für ihre fachlichen Anregungen danken.

Besonderer Dank gilt KAAD, dem Stipendiengeber. Erst mit seiner freundlichen Unterstützung konnten diese Arbeit und auch mein ausländisches Leben ohne finanzielle Sorge zum Ende kommen.

Ebenso möchte ich mich bei den teilnehmenden chinesischen Schulen, Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie ihren Eltern für die freundliche Unterstützung und Mitarbeit bedanken. Dazu muss ich noch meinen herzlichen Dank dem MISEREOR gegenüber aussprechen, weil das Netzwerk in China, das zu der Durchführung der Fragebögen viel beigetragen hat, während des MISEREOR-Projektes aufgebaut wurde. Auch für die Unterstützung zur Veröffentlichung der Dissertation möchte ich MISEREOR danken.

Dank gilt auch meiner Studienkollegin Susanne Peschke, die mir während der Promotion hilfreich zur Seite stand.

Den liebevollsten Dank möchte ich meiner Familie aussprechen. Allen voran meinem Mann, weil er immer von ganzem Herzen hinter mir stand, mich zu ermutigen. Meinem Sohn, weil er meine ganze Promotion begleitet und meinem Leben viel Freude gebracht hat. Aber vor allem meinen Eltern und meiner Schwester, weil sie nie den Glauben an mich verloren haben.

Für alle, die mich unterstützt haben …

Abstrakt

Nach der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist die Teilhabe behinderter Menschen ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade. Im Sinne von Art. 24 der UN-BRK wird das Recht von Menschen mit Behinderung auf Bildung nicht nur anerkannt, sondern auch noch erweitert: „Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und (altersunabhängig) lebenslanges Lernen“ (Art. 24 Abs. 1) und stellen sicher, dass „Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben“ (Art. 24 Abs. 2 b)). Mit der vorbehaltlosen Ratifikation der Konvention am 26. Juni 2008 hat sich China gegenüber der Welt, aber auch gegenüber allen Chinesen verpflichtet, die Konvention einzuhalten und umzusetzen.

Inklusive Bildung für Menschen mit Behinderungen in China hat schon von Anfang an ihren eigenen Namen, nämlich „sui ban jiu du“ (auf Englisch: learning in regular class). Eine „Kombination“ der Politik „sui ban jiu du“ von Popularisierung (Quantität) und Verbesserung (Qualität), wobei Popularisierung den Schwerpunkt darstellte (vgl. Staatsrat 1989, Art. 2; Nationaler Volkskongress 1990, Art. 20), hat zwar mehr behinderten Kindern Zugang zu Schulen ermöglicht, dennoch bleibt die Frage offen, ob die Qualität gleichzeitig garantiert ist. Heutzutage ist „sui ban jiu du“ leider noch nicht bedarfsgerecht und entwicklungsgemäß. Viele Probleme sind nach 20-jähriger Praxis immer auffälliger geworden. Die vorherrschenden negativen Einstellungen gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen können die grundlegende Barriere für Inklusion sein: „Overcoming negative attitudes presents an enormous challenge, but it is the key to providing inclusive education“ (Save the Children 2002, S. 27).

In dem theoretischen Teil der Arbeit wird die Frage, wie sich die Einstellungen der Gesellschaft gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen vor dem Hintergrund der tausendjährigen chinesischen Kultur, Politik und Ökonomie gewandelt haben, mit einer Literaturrecherche beantwortet.

Bei dem empirischen Teil dieser Arbeit handelt es sich um zwei Fragebögen und narrative Interviews, durch die die Beantwortung folgender Forschungsfragen zu erwarten ist: Wie sieht das Spektrum der gegenwärtigen Einstellungen in der chinesischen Gesellschaft gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen aus? Sind Einstellungen in charakteristischer Weise von verschiedenen Faktoren, wie z. B. Bildungsniveau, Beruf, Geschlecht, Herkunft, Kontakt, Kultur, abhängig? Wie sind die Einstellungen der chinesischen Lehrer und Eltern gegenüber blinden und sehbehinderten Kindern sowie gegenüber der schulischen Inklusion bzw. „sui ban jiu du“? Welche Probleme und Herausforderungen gibt es zur Umsetzung von schulischer Inklusion und was sind die wirksamen Lösungen?

Zusammenfassend kommen die Forschungen zu den Schlüssen, dass

» die Einstellung der tausendjährigen chinesischen Gesellschaft gegenüber blinden bzw. behinderten Menschen unter dem kulturellen und historischen Hintergrund sehr widersprüchlich und kompliziert ist. „ren“, „Barmherzigkeit“ und Vorurteile existierten und existieren weiter. Emotional wollen die Befragten keineswegs blinde Menschen selbst, also die Personen, negativ beschreiben, sondern eher positiv, aber wenn es sich auf eigenes Interesse oder auf soziale Leistungen bezieht, ändert sich die Haltung.

» die Einstellungen von einigen Faktoren abhängen, und zwar vor allem vom Alter, von der fachlichen Ausbildung sowie vom Kontakt. Weiterhin unterscheiden sich die Einstellungen der Befragten in drei Bereichen: Fähigkeit in sozialer Interaktion, Nachteile der Blindheit und Sonderbegabung blinder Menschen.

» der hochschätzende „Leistungsgedanke“, der im Kern des chinesischen Bildungswesens steht und das Bildungssystem beeinflusst, der laut den Interviews eine grundlegende Barriere für gelungene „sui ban jiu du“ ist. Der Supremat der Schulleistung entscheidet sozusagen über das Ziel der Bildung und somit wird die Inklusion behinderter Kinder in die Regelschule als unmöglich oder als Störung für die anderen angesehen.

» die Auswirkungen der sozialen Einstellungen hinsichtlich folgender Aspekte benannt werden können: die Vorteile und Nachteile von Sympathie; das Blinden-Vorurteil bezüglich Sonderbegabungen; hohe Zustimmung gegenüber dem Sonderschulsystem; Ablehnung in der Regelschule.

» die Ideen für die Entwicklung inklusiver Beschulung blinder und sehbehinderter Kinder in China nach zwei Richtungen aufgestellt werden, nämlich die Einstellungsänderung und die politische Unterstützung. Zur Einstellungsänderung werden Maßnahmen in Bezug auf Regelschullehrer, Studenten, Kinder und Jugendliche sowie die Gesellschaft diskutiert. Als politische Unterstützung werden politische Richtlinien und Maßnahmen diskutiert. Außerdem wird auf eine Reihe von Bildungs- und Lehrreformen als Kern der Problemlösung vertieft eingegangen.

Abstract

According to the UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities (UNCRPD), the participation of disabled persons in education is a human right, not an act of mercy or care. Within the meaning of article 24 of the UNCRPD, the right of persons with disabilities to education is not only recognized, but also expanded: „With a view to realizing this right without discrimination and on the basis of equal opportunity, States Parties shall ensure an inclusive education system at all levels and life long learning“ (Art. 24, paragraph 1), and ensure that „Persons with disabilities can access an inclusive, quality and free primary education and secondary education on an equal basis with others in the communities in which they live“ (Art. 24, paragraph 2 b)). With the unconditional ratification of the Convention on 26 June 2008, China has an obligation to respect and implement the Convention.

Inclusive education for persons with disabilities in China has had from the beginning its own term „sui ban jiu du“ (in English: learning in regular class). The policy „sui ban jiu du“ is a combination of popularization (quantity) and improvement (quality), with focus mainly on popularization (cf. Council of State 1989, Article 2; National Congress 1990, Article 20). Although more and more disabled children benefit from the policy and are able to access regular schools, yet it is still an open question whether the education quality is guaranteed simultaneously. Many problems have been noticed after 20 years of practice. The prevailing negative attitudes towards blind and visually impaired people can be the fundamental barrier to inclusive education: „Overcoming negative attitudes of presents enormous challenge, but it is the key to providing inclusive education“ (Save the Children 2002, p. 27).

In the theoretical part of this thesis, the following question will be answered: How have the social attitudes towards blind and visually impaired people changed in the background of the Chinese culture, economics and politics?

The empirical part of this thesis consists of two questionnaires and narrative interviews, through which the answers of the following research questions are expected: What are the current attitudes in Chinese society towards blind and visually impaired people? Are the attitudes dependent on conditions, for instance on the level of education, occupation, gender, contact, culture etc.? What are the attitudes of the Chinese teachers and parents towards blind and visually impaired children and the policy „sui ban jiu du“? What problems and challenges were encountered during the implementation of inclusive education and what are the effective solutions?

In summary, the studies come to the following conclusions:

» The attitudes of Chinese society towards blind and disabled people in the cultural and historical background are very contradictory and complicated. The traditional ideas of „ren“, „mercy“ and prejudice existed and continue to exist.

» The social attitudes towards blind and visually impaired people depend on several factors, for example age, professional knowledge, and contact with disabled persons. Furthermore, the respondents’ attitudes towards blind and visually impaired people differ in three areas particularly: skills in social interaction, disadvantages of blindness, and special talent of blind people.

» According to the interviews, the highly estimated idea of „achievement“ is the core of the Chinese education system, which is also a fundamental barrier to successful conduction of „sui ban jiu du“. The supremacy of school performance decides the purpose of education and thus the inclusion of children with disabilities into regular schools is considered to be impossible or a disturbance to other pupils.

» The influences of social attitudes on blind and visually impaired people are found regarding the following aspects: the advantages and disadvantages of sympathy, the prejudice to special talents of blind people, high approval for a special education system, and rejection of the regular school.

» The ideas for developing inclusive schooling of visually impaired children in China are aimed at two aspects: attitude changing and political support. Attitude changing depends on regular school teachers, students, and society. A number of educational and teaching reforms have been discussed as political support measures.

Inhaltsverzeichnis

Danksagung und Widmung

Abstrakt

Abstract

1 Problemaufriss

1.1 UN-Behindertenrechtskonvention

1.2 UN-Behindertenrechtskonvention in China

1.3 „Inklusive Bildung“ in der UN-BRK

1.3.1 Inhalt des Artikels 24

1.3.2 Was ist „inklusive Bildung“?

1.3.3 Entwicklungsprozess zur „Inklusion“

1.4 Inklusive Bildung behinderter Kinder in China

1.4.1 Prozess zur inklusiven Bildung vor der Unterzeichnung der UN-BRK

1.4.2 Implementierung der inklusiven Bildung nach Unterzeichnung der UN-BRK

1.4.3 „sui ban jiu du“: eine andersartige „Inklusion“ Chinas

1.4.4 Gegenwärtige Bildungssituation blinder und sehbehinderter Kinder in China

1.5 Einstellung als Voraussetzung für gelungene Inklusion

1.5.1 Was ist „Einstellung“?

1.5.2 Einstellung als Voraussetzung für gelungene Inklusion?

1.5.3 Forschungsstand der Einstellung gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen

1.6 Fragestellung

2 Methode

2.1 Literaturrecherche

2.2 Empirischer Teil

2.2.1 Fragebogen 1

2.2.2 Fragebogen 2

2.2.3 Interviews

2.3 Datenerhebung

2.3.1 Datenerhebung der Befragungen

2.3.2 Datenerhebung der Interviews

3 Einstellungsdiskurs und -wandel gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen in der chinesischen Gesellschaft

3.1 Die Bedeutung von „blind“: Semantik

3.2 Traditionelle Kultur bzw. Religion als eine Grundlage der sozialen Einstellung gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen

3.2.1 Einfluss des Konfuzianismus auf die Einstellung gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen: aus dem ideengeschichtlichen Aspekt

3.2.2 Einfluss des Daoismus auf die Einstellung gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen: aus dem ideengeschichtlichen Aspekt

3.2.3 Einfluss des Buddhismus auf die Einstellung gegenüber blinden und sehbehinderten Menschen: aus dem ideengeschichtlichen Aspekt

3.2.4 Zusammenfassung: Einstellung als ein Produkt vielfältiger Gedanken

3.3 Lebenssituation der behinderten Menschen in der Geschichte

3.3.1 In der alten Zeit (vor 1840)

3.3.2 In der Neuzeit (1840 - 1949)

3.3.3 Nach der Befreiung (nach 1949)

3.4 Zusammenfassung

4 Ergebnisse der Fragebögen

4.1 Ergebnisse des Fragebogens 1

4.1.1 Datenbeschreibung

4.1.2 Ergebnisse des Polaritätsprofils

4.1.3 Zusammenfassung der Ergebnisse des Fragebogens 1

4.2 Ergebnisse des Fragebogens 2 vom Jahr 2010

4.2.1 Datenbeschreibung

4.2.2 Datenanalyse

4.2.3 Vergleich nach Untersuchungsjahr (2007/2008 vs. 2010)

4.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse des Fragebogens 2

4.3 Zusammenfassung der Fragebögen

5 Ergebnisse der narrativen Interviews

5.1 Umgang mit blinden bzw. behinderten Kindern

5.1.1 Eigene Erfahrung mit blinden bzw. behinderten Kindern

5.1.2 Einstellung gegenüber blinden bzw. behinderten Kindern

5.2 Umgang mit „sui ban jiu du“ blinder bzw. behinderter Kinder

5.2.1 Verständnis zum Begriff „sui ban jiu du“

5.2.2 Einstellung gegenüber „sui ban jiu du“ blinder bzw. behinderter Kinder

5.2.3 Darstellung der Probleme und Herausforderungen von „sui ban jiu du“

5.2.3 Idee zur Problemlösung

5.3 Zusammenfassung der Interviews

6 Potenzielle Auswirkungen der Einstellung der chinesischen Gesellschaft auf die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems und die Ideen zur Problemlösung

6.1 Positive und negative Auswirkungen

6.1.1 Positive Auswirkungen

6.1.2 Negative Auswirkungen

6.2 Ideen für die Entwicklung inklusiver Beschulung blinder und sehbehinderter Kinder in China

6.2.1 Ideen zur Einstellungsänderung

6.2.2 Politische Unterstützung

Anhang Glossar

Anhang Fragebögen

Anhang Interview

Anhang Tabelle

Deutsches und englisches Literaturverzeichnis

Chinesisches Literaturverzeichnis

1 Problemaufriss

1.1 UN-Behindertenrechtskonvention

Am 13. Dezember 2006 hat die Generalversammlung im Rahmen der Vereinten Nationen nach Abschluss der vier Jahre dauernden internationalen Vorbereitung das „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ („UN-Behindertenrechtskonvention“, „UN-BRK“) sowie das dazugehörige Zusatzprotokoll angenommen. Am 3. Mai 2008 ist die „UN-BRK“ in Kraft getreten. Seitdem Ecuador am 3. April 2008 als 20. Mitgliedsstaat die Ratifikationsurkunde in New York hinterlegt hat, ist sie für alle Mitgliedsstaaten, die bereits ratifiziert haben, völkerrechtlich wirksam. So haben sich bereits 155 Staaten an die Konvention gebunden, davon haben 130 Staaten die Konvention offiziell bestätigt oder ratifiziert (Stand: März 2013). Die Zahl der Vorbehalte bleibt erfreulich gering 1.

Dieses universelle Vertragsinstrument ist die erste rechtsverbindliche internationale Konvention für den Rechteschutz behinderter Menschen in der Geschichte der Menschheit und „steht zu Recht für einen Wechsel von einer Politik der Fürsorge hin zu einer Politik der Rechte“ (Aichele 2010, S. 13). Die „Fürsorgepolitik“, die mit abwertendem Mitleid und wohlmeinender Bevormundung einhergeht und damit für Menschen mit Behinderung ausgrenzend sein kann, ist in der UN-Behindertenrechtskonvention nicht mehr leitgebend. Das heißt, behinderte Menschen werden nicht länger als Patientinnen und Patienten, als Objekte gesellschaftlicher Fürsorge wahrgenommen, sondern als Bürgerinnen und Bürger, als Subjekte mit Rechten wie jeder andere Mensch auch (vgl. Wernstedt & John-Ohnesorg 2010, S. 11 ff.).

Die UN-BRK ist keine Spezialkonvention, die Sonderrechte oder Privilegien für Menschen mit Behinderungen formuliert. Es handelt sich bei den „Rechten von Menschen mit Behinderungen“ gemäß der Konvention um dieselben Rechte, wie sie in allen menschenrechtlichen Übereinkommen seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 fundiert sind (vgl. Aichele 2010, S. 14; Wernstedt & John-Ohnesorg 2010, S. 21).

Die UN-BRK definiert keine neuen Rechte, sondern präzisiert und konkretisiert die bestehenden Menschenrechte explizit für die Lebenssituationen behinderter Menschen. „Es geht dabei zunächst nicht allein um schnelle und vordergründige Maßnahmen, sondern um ein neues Denken. Denn die Konvention verlangt nach grundsätzlichen und nachhaltigen Überlegungen“, erklären Wernstedt und John-Ohnesorg (2010, S. 5) die Bedeutung der UN-BRK.

Sie spielt eine wichtige Rolle für die Umsetzung der Rechte für Menschen mit Behinderungen und ist mehr als eine einfache Wiederholung der vorher dargestellten Menschenrechte. Insbesondere der Aktionsplan gibt konkrete Hinweise für die Implementierung der geforderten Rechte. Die Leistung und der Gewinn der UN-BRK sind darin zu erkennen, dass sie die universellen Rechte aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen präzisiert und im selben Zuge die staatlichen Verpflichtungen für ihren Schutz konkretisiert (vgl. Aichele 2008, S. 5).

„Das Leitprinzip der Konvention ist die Menschenwürde. … Schlüsselbegriffe … sind Würde, Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung, Empowerment, Chancengleichheit und Barrierefreiheit“ (Wernstedt & John-Ohnesorg 2010, S. 11). „Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern“ (UN-BRK, Art. 1). Es wird deutlich, dass die UN-BRK die Menschenrechte für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen mit dem Ziel konkretisiert, ihre Chancengleichheit in der Gesellschaft zu fördern, was einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Rechte von weltweit rund 650 Millionen behinderten Menschen darstellt.

Die UN-BRK deckt das gesamte Spektrum menschenrechtlich geschützter Lebensbereiche ab und integriert bürgerliche, politische Rechte sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Dazu gehören beispielsweise das Recht auf Leben (Art. 10), das Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht und Schutz der Rechts- und Handlungsfähigkeit (Art. 12), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 14), das Recht auf unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gesellschaft (Art. 19), das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 21), das Recht auf Zugang zu Informationen (Art. 21), das Recht auf Bildung (Art. 24), auf Gesundheit (Art. 25) sowie auf Habilitation und Rehabilitation (Art. 26), das Recht auf Arbeit und Beschäftigung (Art. 27), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Art. 28), Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben (Art. 29), Teilhabe am kulturellen Leben sowie auf Erholung, Freizeit und Sport (Art. 30).

Die UN-BRK zielt auf die volle Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen, dabei ist die UN-BRK selbst schon ein inklusives Dokument, da unter der Leitlinie „Nichts über uns ohne uns“ weltweit viele behinderte Menschen und ihre Verbände, die ihre Erfahrungen und Perspektiven einbringen konnten, mitgearbeitet haben und deren aktive Mitwirkung zu diesem erfolgreichen Entstehungsprozess und der ganzheitlichen Fassung beigetragen hat (vgl. Bernstorff 2007, S. 1041 ff.; Wernstedt & John-Ohnesorg 2010, S. 21). Die universelle Beachtung der Rechte der behinderten Menschen ist damit gestärkt.

Die UN-BRK ergänzt das UN-Konventionssystem für Menschenrechte und „erweitert das Menschenrechtsverständnis auf innovative Weise“ (Aichele 2010, S. 19), da sie rechtlich feststellt, dass „die Perspektiven und vielfältigen Lebenslagen von Menschen mit Behinderung systematisch im Menschenrechtsschutz berücksichtigt“ (ebd.) werden sollen. Sie reflektiert auch die Entwicklung unserer Gesellschaft.

Die UN-BRK formuliert nicht nur die Menschenrechte für Menschen mit Behinderung, sondern schafft auch einen Rechtsrahmen, in dem die Ziele unter der Behindertenpolitik der Vertragsstaaten erreicht und die Menschenrechte gewährleistet werden können.

1.2 UN-Behindertenrechtskonvention in China

Erst am 7. November 2003 wurde die „Beijing Deklaration“ in der Sitzung zum Thema „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ von „Economic and Social Commission for Asia and the Pacific (ESCAP)“ ratifiziert. In der Deklaration haben China sowie über 20 weitere Staaten und Regionen ihren Zuspruch zur Entstehung der Konvention bekundet.

Anders als alle weiteren UN-Konventionen über Menschenrechte hat China von Anfang an den Prozess zum Anstoß, zur Verhandlung sowie zur Entstehung der UN-BRK begleitet. Mit der Genehmigung des Staatsrates hat China als einer der ersten Staaten die UN-BRK am 30. März 2007 unterzeichnet. Am 26. Juni 2008 wurde sie von der 3. Sitzung des 11. Nationalen Volkskongresses ratifiziert und ist am 31. August im selben Jahr in Kraft getreten.

Die Konvention bietet einen Rechtsrahmen für die Behindertenpolitik in China. In Bezug auf viele Politikbereiche werden in der UN-BRK konkrete Leitprinzipen aufgestellt, die für eine Umsetzung eine klare Handlungsorientierung bieten. Sie stärkt bereits vorhandene anerkannte Ziele der chinesischen Behindertenpolitik und leitet die Rechtsentwicklungen zu mehr Teilhabe und Selbstbestimmung ein.

Mit der vorbehaltlosen Ratifikation der Konvention hat sich China gegenüber der Welt, aber auch gegenüber allen Chinesen verpflichtet, die Konvention einzuhalten und umzusetzen. Der Anspruch, „Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern“ (UN-BRK, Art. 4), ist nun die Grundlage und der neue Maßstab für politisches Handeln in China. Damit bringt die chinesische Politik zum Ausdruck, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihre Verwirklichung in allen Politikbereichen einen großen Wert darstellen und von der chinesischen Gemeinschaft eingeräumt werden sollen. Es ist jetzt schon erkennbar, dass die UN-BRK in vielen Politikbereichen in China neue Akzente gesetzt hat.

Um den Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung zu verstärken, ist der „Staatsrat Arbeitskreis für Menschen mit Behinderungen“ 2 für die allgemeinen Angelegenheiten verantwortlich.

Während der Verhandlung und Ausfertigung der UN-BRK hat die chinesische Regierung schon angefangen, das „Behindertenschutzgesetz“ 3 zu revidieren. Das neue Gesetz ist am 1. Juli 2008 in Kraft getreten, in dem der neue Begriff „Verbot und Beseitigung der Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ nach UN-BRK erstmals auftaucht. Das revidierte Gesetz konkretisiert die Verantwortung und Verpflichtungen der Regierung und Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderung, wie z. B. Schutz für Rehabilitation, für Frühförderung, für Bildung und Fortbildung, für Arbeit, für Teilhabe und Selbstbestimmung usw.

2007 wurden „Arbeitsrechtliche Vorschriften für Menschen mit Behinderung“ 4 und im März 2008 wurde die „Stellungnahme zur Entwicklung des Behindertenwesens“ 5 vom Staatsrat des ZK der KP Chinas promulgiert. Dieses programmatische Dokument stellt umfassend die Bedeutung und die Leitgedanken zur Förderung und Entwicklung des Behindertenwesens dar und legt die aktuellen und zukünftigen Ziele, Aufgaben sowie wichtige Maßnahmen vor (vgl. CDPF 2010 (b); Duan 2011, S. 44 f.).

Um ein periodisches Ziel zu setzen, wurde im April 2009 der „Nationale Menschenrecht-Aktionsplan Chinas (2009 - 2010)“ 6 vom Staatsrat herausgegeben.

Ein Jahr später, also im März 2010, wurde die Richtlinie „Leitansichten über Beschleunigung des Aufbaus sozialer Sicherheitssysteme und Servicesysteme für Menschen mit Behinderung“ 7 vom Staatsrat verabschiedet. Unter der Richtlinie soll ein sozialer Sicherheits- und Servicesystemrahmen bis zum Jahr 2015 aufgebaut und bis zum Jahr 2020 beendet werden, damit die grundsätzlichen öffentlichen Serviceangebote, dies umfasst barrierefreie Lebensbedingungen, Krankenversicherungen, Rehabilitation für Menschen mit Behinderungen, vollständig erfüllt werden können. Weiterhin soll die Schulpflicht bis dahin für alle behinderten Kinder und Jugendlichen gelten. Das Bildungsniveau behinderter Menschen wird dann merklich erhöht und deren Teilhabe an der Gesellschaft ebenfalls erweitert (vgl. Staatsrat 2010).

Das „Fünf-Jahres-Programm des chinesischen Behindertenwesens (2011 - 2015)“ 8 ist unter der UN-BRK als eine nationale Strategie zur wirtschaftlichen Entwicklung und sozialen Koordinierung zu verstehen. Eine Reihe von Aufgaben, wie die Realisierung gleichberechtigter Teilhabe an der Gesellschaft, die Verbesserung der Lebensbedingungen sowie die Gestaltung der sozialen Umwelt, werden aufgestellt.

Darüber hinaus werden aktuell noch weitere Gesetze und Richtlinien entwickelt, die dem Kern der UN-BRK entsprechen, beispielsweise das „Gesetz für mentale Gesundheit“ 9, die „Barrierefreie-Umgebungs-Ordnung“ 10, „Vorschriften für Prävention von Behinderung und Rehabilitation der Behinderten“ 11 usw. (vgl. CDPF 2010 (b)).

Obwohl die Formulierung und Überarbeitung der relevanten Gesetze und Vorschriften in China den Geist des Übereinkommens aufmerksam reflektiert hat, ist jedoch die Verbesserung des Rechtssystems ein langer und komplexer Prozess, um sicherzustellen, dass alle Bestimmungen der einschlägigen Gesetze und Verordnungen im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen des Übereinkommens stehen (vgl. Duan 2011, S. 46). Beispielsweise sind nach He (2011) die Begriffe „universelles Design“ und „angemessene Vorkehrungen“ der UN-BRK im „Behindertenschutzgesetz“ (2008) noch nicht aufgenommen worden. Darüber hinaus werden die Rechte von Frauen und Kindern mit Behinderung noch nicht stark genug gewährleistet (vgl. S. 247).

Andererseits hängt die Lokalisierung des Übereinkommens in China weitgehend davon ab, ob und wie seine Ziele und Grundsätze mit den besonderen chinesischen Bedingungen, Traditionen sowie sozialen Kulturen kombiniert werden können. Denn der Begriff „Menschenrechte“ wurde in China erst vor 20 Jahren offiziell anerkannt und es ist eindeutig, dass viele Menschen noch keine klare Vorstellung von „Menschenrechten“ haben, geschweige denn ein tiefes Verständnis für „Menschenrechte von Menschen mit Behinderung“.

1.3 „Inklusive Bildung“ in der UN-BRK

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (Art. 26) vom 10. Dezember 1948 ist das Recht auf Bildung für behinderte Menschen als Menschenrecht schon festgeschrieben. Und im Sinne eines kulturellen Menschenrechtes gemäß Art. 13 des UN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 ist es anerkannt worden. Auch in der Kinderrechtskonvention von 1989 (KRK, Art. 28) wird Bezug auf dieses Menschenrecht genommen. Das Recht auf Bildung gilt als eigenständiges kulturelles Menschenrecht und thematisiert den menschlichen Anspruch auf freien Zugang zu Bildung, Chancengleichheit und das Schulrecht (vgl. Art. 13.1 des UN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte). In der UN-BRK wird es für die spezifische Gruppe von Menschen mit Behinderungen konkretisiert.

Bei der Umsetzung des Paradigmenwechsels, also vom Fürsorgeprinzip hin zur Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, kommt der Bildung eine entscheidende Schlüsselstellung zu, weil Bildung die Voraussetzung für ihre gelungene berufliche und gesellschaftliche Teilhabe schafft und ihre Rechte auf Selbstbestimmung entwickeln kann.

1.3.1 Inhalt des Artikels 24

Nach der UN-BRK ist die Teilhabe behinderter Menschen ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade. Im Sinne von Art. 24 der UN-BRK wird das Recht von Menschen mit Behinderung auf Bildung nicht nur anerkannt, sondern auch noch erweitert: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und (altersunabhängig) lebenslanges Lernen“ (Art. 24 Abs. 1) und stellen sicher, dass „Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden“ (Art. 24 Abs. 2 a)); dass „Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben“ (Art. 24 Abs. 2 b)). Die englische Originalfassung von der deutschen Übersetzung „integratives Bildungssystem“ ist „inclusive education system“. In der chinesischen Fassung wird es als „bao rong xing jiao yu zhi du“ (包容性教育制度) übersetzt. Diese Übersetzung „bao rong xing“ ist eine neue Bezeichnung bzw. eine inhaltliche Beschreibung über „Inklusion“, weil es auch in der chinesischen Fachsprache die Integration-Inklusion-Übersetzungsunschärfe gibt und gemäß dem gegenwärtigen Bildungssystem Chinas weder richtige „Inklusion“ noch richtige „Integration“, sondern eine andersartige Form der gemeinsamen Beschulung „sui ban jiu du“ (随班就读) in der Praxis ausgeführt wird. Daneben werden „Inklusion“ in der chinesischen Fachsprache als „quan na jiao yu“ (全纳教育) und „Integration“ als „rong he jiao yu“ (融合教育) anerkannt. Eine ausführliche Erklärung über diese chinesische Form eines inklusiven Bildungssystems „sui ban jiu du“ wird im Kapitel 1.4 vorgestellt.

Unter diesem Grundsatz der Inklusion erweitert die UN-BRK das Recht auf Bildung zu dem Recht auf inklusive Bildung. Behinderte und nicht behinderte Menschen haben demnach ein Recht darauf, gemeinsam zu lernen. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen haben das Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu einer wohnortnahen Regelschule (vgl. Aichele 2010, S. 16).

Kurz gesagt enthält der Art. 24 der UN-BRK zwei Verpflichtungen für die Vertragsstaaten: „Provide education to children, youth and adults with disabilities on an equal basis with other children; and Provide that education within an inclusive system“ (Inclusion International 2009, S. 129). Der zweite Aspekt wird dadurch begründet, dass das Recht auf qualitativ hochwertige Bildung nur in einem inklusiven Schulsystem gewährleistet werden kann (vgl. UN-BRK, Art. 24 Abs. 2; Art. 24 Abs. 1).

1.3.2 Was ist „inklusive Bildung“?

„Inclusion as we know it today has its origins in Special Education“ (UNESCO 2005, S. 9). „Inklusive Bildung“ bzw. „Inklusion“ ist ein Konzept, das sich in verschiedenen Staaten, verschiedenen Regionen und Städten, sogar verschiedenen Schulen unterscheidet (vgl. Inclusion International 2009, S. 20). Es geht um die Gesellschaft und um die Menschen, die in ihr leben. Inklusion gilt für alle Menschen und bewirkt in der Gesellschaft eine Veränderung im Denken und Handeln.

2006 beschreibt die UNESCO „inklusive Bildung“ als

„a process of addressing and responding to the diversity of needs of all learners through inclusive practices in learning, cultures and communities and reducing exclusion within and from education. It involves changes and modifications in content, approaches, structures and strategies, with a common vision which covers all children of the appropriate age range and a conviction that it is the responsibility of the regular system to educate all children“ (UNESCO 2005, S.13).

In „A Global Report“ (Inclusion International 2009, S. 20) wird „inklusive Bildung“ in zwei Punkten dargestellt:

„The concept of a high level paradigm shift for education systems to include and serve all children effectively; and

The specific mandate to have students with disabilities attend regular schools and classrooms with their nondisabled siblings and peers with the supports they require to succeed.“

Laut EENET (Enabling Education Network) (2012) wird „inklusive Bildung“ 12 als:

»

„acknowledges that all children can learn

»

acknowledges and respects differences (age, gender, ethnicity, language, disability, HIV status, etc)

»

enables education structures, systems and methodologies to meet the needs of all children

»

is part of a wider strategy to promote an inclusive society

»

is a dynamic process which is constantly evolving

»

need not be restricted by large class sizes or shortage of material resources“

dargestellt.

Obwohl es keine einheitliche Definition gibt, sollen in allen Definitionen gemäß den „Guidelines for Inclusion“ folgende Punkte hervorgehoben werden (UNESCO 2005, S. 15):

Inclusion is about:welcoming diversity; benefiting all learners, not only targeting the excluded; children in school who may feel excluded; providing equal access to education or making certain provisions for certain categories of children without excluding them.

Inclusion is not about:reforms of special education alone, but reform of both the formal and non-formal education system; responding only to diversity, but also improving the quality of education for all learners; special schools but perhaps additional support to students within the regular school system; meeting the needs of children with disabilities only; meeting one child’s needs at the expense of another child.

Was „inklusive Bildung“ (nicht) ist, interpretiert EENET (2012) noch detaillierter:

Inclusive education is …Inclusive education is not …… a constantly evolving process of change and improvement within schools and the wider education system to make education more welcoming, learner-friendly, and beneficial for a wide range of people… a one-off project that can be delivered and completed within a short timeframe… about restructuring education cultures, policies and practices so that they can respond to a diverse range of learners – male and female; disabled and non-disabled; from different ethnic, language, religious or financial backgrounds; of different ages; and facing different health, migration, refugee or other vulnerability challenges… focused just on developing education for disabled learners within mainstream settings… about changing the education system so that it is flexible enough to accommodate any learner… about trying to change the learner so that he/she can fit more conveniently into an unchanged education system… an ongoing effort to identify and remove barriers that exclude learners within each unique situation… based on following a set formula of actions that can be used in any situation… about identifying and removing barriers to learners’ presence in (access to) education, participation in the learning process, and academic and social achievement… focused just on helping learners to gain access to schools or classrooms… focused on solving attitude, practice, policy, environmental and resource barriers… just about overcoming financial and environmental challenges… a process in which all stakeholders should participate (teachers, learners, parents, community members, government policy-makers, local leaders, NGOs etc.)…a project that can be implemented solely by external experts or education officials… something that can happen outside the formal education system, as well as in formal school environments (inclusive education can happen in learning spaces that are non-formal, alternative, community-based etc,; with learners from young children through to elderly adults)… just a process that happens in formal schools

Tab. 1-1

Kinder mit Behinderungen, als eine der meistdiskriminierten Gruppen, sollen unter „Inklusion“ nicht mehr ausgeschlossen werden. Es gibt keine Ausgrenzung in der Gesellschaft. Menschen mit Behinderung werden von Anfang an wahrgenommen, anerkannt und selbstverständlich angenommen. Um eine inklusive Schule zu sein, sollen die Regelschulen die Individualität ihrer Schülerinnen und Schüler respektieren und sie als Vielfalt und Bereicherung anerkennen, anstatt das vermeintliche „Anderssein“ zum Grund des Ausgrenzens und Aussonderns zu machen. Hier wird auch eine weitere Frage dargelegt, wie die Schulen strukturiert sein müssen, damit sie für jeden zugänglich sind und an die individuellen Belange angepasst werden können.

1.3.3 Entwicklungsprozess zur „Inklusion“

Die „Guidelines for Inclusion“ der UNESCO veranschaulichen durch ein einfaches und sinnvolles Diagramm den Übergang der Bildung von der Exklusion zur Inklusion. In der ersten Phase wurde das Problem einfach nicht betrachtet (Verneinung). In der zweiten Phase wurde die Situation berücksichtigt (Annahme), aber als außerhalb des Systems angesehen, deswegen wird segregiert (zunächst auf Basis von Nächstenliebe und Wohlwollen, anschließend im Rahmen institutionalisierter Sonderpädagogik). Die dritte Phase ist „Verständigung“, was zur Integration führt, damit die Bildung auf individuelle spezielle Bedürfnisse ausgerichtet ist. Die vierte und auch letzte Phase gilt als Wissen und ist die Inklusion der Bildung (vgl. UNESCO 2005, S. 24).

Zur Entwicklung des Weges von der Exklusion zur Inklusion haben viele wichtige Schritte als Meilensteine beigetragen (vgl. ebd. S. 12 ff.):

» 1948: Universal Declaration of Human Rights hat das Recht auf freie Grundschulbildung für alle Kinder (Art. 26) sichergestellt.

» 1960: UNESCO Convention against Discrimination in Education

» 1989: Convention on the Rights of the Child stellt sicher, dass das Recht auf Bildung von allen Kindern nicht diskriminiert werden soll.

» 1990: World Declaration on Education for All (Jomtien) verstärkt die Idee von „education for all“, um die essentiellen Ansprüche auf Bildung zu erfüllen.

» 1993: UN Standard Rules on the Equalisation of Opportunities for Persons with Disabilities bestätigt nicht nur das gleichberechtigte Recht auf Bildung aller Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen, sondern stellt auch dar, dass Bildung in „integrated school settings“ und in „general school settings“ angeboten werden soll.

» 1994: Salamanca Statement und Framework for Action on Special Needs Education schreibt fest, dass „schools should accommodate all children regardless of their physical, intellectual, social, emotional, linguistic or other conditions. This should include disabled and gifted children, street and working children, children from remote or nomadic populations, children from linguistic, ethnic or cultural minorities and children from other disadvantaged or marginalized areas or groups“. Im „Salamanca Statement“ ist Bildung als ein elementares Recht von allen Kindern, auch Kindern mit Behinderungen anerkannt. Das Statement fordert auch ein inklusives Schulsystem, die Vielfältigkeit der Kinder soll in den Blick genommen werden: „regular schools … are the most effective means of combating discriminatory attitudes, creating welcoming communities, building an inclusive society and achieving education for all“.

» 2000: World Education Forum’s Dakar Framework for Action und Millennium Development Goals bestätigen die Forderung, eine kostenlose elementare Bildung bis 2015 für alle Kinder und Jugendlichen zugängig zu machen.

» 2001: UNESCO setzt ihre „EFA-Flagship-Programme“ ein, dadurch wird inklusive Bildung und das Recht auf Bildung von Menschen mit Behinderungen vorangetrieben.

» 2006: Art. 24 der UN-Convention on Rights of People with Disabilities über Bildungsrecht von Menschen mit Behinderungen

„Special education practices were moved into the mainstream through an approach known as ‚integration‘“ (ebd., S. 9). Nicht wenige Forschungen zeigen die Vorteile der inklusiven Bildung im Vergleich zur Sonderpädagogik auf und die Relevanz der Umsetzung damit, dass die geistige, emotionale, Verhaltens- und Sozialentwicklung der behinderten Kinder und Jugendlichen in einer Regelschule schneller ist als in einer Sonderschule (vgl. UNESO 2004, S. 164). „There is increasing recognition, especially in Europe that it is preferable for children with special needs to be taught in regular schools, albeit with various forms of special support. In recent years several developing countries have taken initiatives to promote inclusive schools“ (UNESCO 2007, S. 31). Dennoch sind die Prozesse und Ergebnisse der Integration je nach Land und Region unterschiedlich, auch in den entwickelten Ländern (vgl. SoVD 2009, S. 3 f.; Wernstedt & John-Ohnesorg 2010, S. 27 ff.).

Darüber hinaus müssen die Begriffe von „Integration“ und „Inklusion“ verglichen werden, da nicht nur bei der deutschen Fassung der UN-BRK, sondern auch im Rahmen der chinesischen „sui ban jiu du“ (chinesische inklusive Bildung, s. Kap. 1.4) eine Unterscheidung voneinander von Bedeutung ist. Integration ist also nicht Inklusion (vgl. Wernstedt & John-Ohnesorg 2010, S. 21; SoVD 2009, S. 3). Inklusive Bildung nimmt die Schülerinnen und Schüler in ihrer Gesamtheit in den Blick und teilt sie nicht in Gruppen ein. Während die Integration eine Anpassungsleistung vom „aussortierten“ behinderten Kind verlangt, bevor dieses in die Regelschule (zurück-)integriert werden kann, geht inklusive Bildung davon aus, dass die individuellen Bedürfnissen und Besonderheiten der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden und sich die Rahmenbedingungen des Regelschulsystems danach ausrichten müssen (vgl. ebd.).

1.4 Inklusive Bildung behinderter Kinder in China

Vor diesem oben genannten Hintergrund (s. Kap. 1.3) wird deutlich, dass das Thema „Bildung behinderter Kinder“ weltweit an Bedeutung gewonnen hat. „Die VR China ist ein Land mit Widersprüchen“ (Beck & Degenhardt 2011, S. 66). Während ihre erstarkte Wirtschafts- und Politikkraft von der ganzen Welt anerkannt und beachtet wird, ist die VR China im Bereich der Bildung von Menschen mit Behinderungen nicht entsprechend gewachsen (vgl. ebd., S. 66), obwohl der Staat eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen erlassen hat. Daher ist es notwendig, zu erfahren, wie sich Inklusion in China entwickelt und an welcher Stelle steht, wie die gegenwärtige Bildungssituation blinder und sehbehinderter Kinder in China aussieht. Diese Fragen werden im Folgenden auf Grundlage aktueller Studien und Statistiken behandelt. Dennoch ist der große Sprung zur Änderung der Bildungssituation behinderter Kinder nicht zu übersehen, vor allem der Prozess zur Inklusion. Um die inklusive Bildung behinderter Kinder in der VR China besser zu verstehen, muss auf den Entwicklungsprozess zur Inklusion zurückgeblickt werden. Die chinesischen Dokumente werden aufgrund nur sehr begrenzt vorhandener englischer und deutscher Literatur in der Regel von der Autorin selbst übersetzt.

Nach der Reform- und Öffnungspolitik Chinas 13 wurde ein sonderpädagogisches Schulsystem von der Frühförderung bis zum Gymnasium aufgebaut. Außerdem wird ein spezielles Curriculum-System für Schulen für blinde und sehbehinderte Kinder sowie Schulen für gehörlose und schwerhörige Kinder entwickelt. Eine sonderpädagogische Struktur, in der die Sonderschule als Rückgrat dient, Sonderklassen in der Regelschule etabliert sind und vorrangig gemeinsame Beschulung mit nicht behinderten Kindern und Jugendlichen („sui ban jiu du“) angestrebt wird, ist schon entstanden (vgl. UNESCO 2008, S. 12).

Der Entwicklungsprozess der Sonderpädagogik in China wird durch chinesische Politik geprägt. Jeder Fortschritt wurde nach einem wichtigen Gesetz, einer Vorschrift, einer Organisation oder einer wichtigen staatlichen Sitzung erreicht. Nach Hung (2011) haben drei wichtige Ereignisse zur Entwicklung chinesischer Sonderpädagogik beigetragen: das „Gesetz zur Schulpflicht in der VR China“ (Compulsory Education Law of the People’s Republic of China) 14 im Jahr 1986, die Gründung des chinesischen Behindertenverbandes im Jahr 1988 und „eine Reihe von Stellungnahmen zur Entwicklung der Sonderpädagogik“ 15 vom Staatsrat im Jahr 1989 (vgl. S. 55).

Entsprechend den verschiedenen Organen und Formen lassen sich die Vorschriften in zwei Teile unterteilen, erstens Vorschriften auf zentraler Ebene und zweitens Vorschriften auf lokaler Ebene. Deren Rechtskraft kann in fünf Stufen unterteilt werden: 1) Das Schulgesetz (Law of the People’s Republic of

China on Education)16 ist die Grundlage von Bildungsnatur, status und aufgaben. 2) Individuelles Bildungsgesetz: zur Anpassung innerhalb und außerhalb des Bildungssektors, wie z. B. das „Gesetz zur Schulpflicht in der VR China“ (Compulsory Education Law of the People’s Republic of China), das „Behindertenschutzgesetz“ (Law of the People’s Republic of China on the Protection of Disabled Person)17. 3) Bildungsadministrative Regeln und Vorschriften sind normative Dokumente, die hauptsächlich für die Durchführung des Schulgesetzes und individueller Gesetze sind, beispielsweise die „Regeln über die Bildung für Menschen mit Behinderungen“18. 4) Örtliche Vorschriften, autonome und gesonderte Regelungen wie z. B. „Peking Sonderpädagogik Bebauungsplan“19. 5) Vorschriften von der Regierung: z. B. „Maßnahmen für die Entwicklung der ‚sui ban jiu du‘ von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen“20 (vgl. Hao 2003, S. 73). Im Folgenden wird eine kurze Übersicht über wichtige politische Treffen und zusammenhängende Vorschriften, die die Entwicklung zur „inklusiven“ Bildung behinderter Kinder und Jugendliche beeinflusst haben, erarbeitet (s. Tab. 1-2).

1.4.1 Prozess zur inklusiven Bildung vor der Unterzeichnung der UN-BRK

Nach der Kulturrevolution erlebte China im sozialen Umfeld große Änderungen, insbesondere ist die Befreiung des ideologischen Feldes hervorzuheben. Entsprechend wurden die pädagogischen Gedanken entwickelt, dazu wurde eine Reihe von Vorschriften für allgemeine Grundschulbildung eingeführt.

Seit der 3. Plenarsitzung des 11. Nationalen Kongresses21 und insbesondere nach dem 12. Nationalen Kongress der Kommunistische Partei Chinas (KP Chinas)22 wurde die soziale Reform nicht nur in dem städtischen Wirtschaftssystem, sondern auch im Wissenschafts- und Techniksystem eingeführt. Dazu kommt erst im Jahr 1982 die Promulgation der „Konstitution (Grundgesetz) der Volksrepublik China“ (Constitution of the People’s Republic of China)23 als die Grundlage aller anderen Reformen. Darunter werden zum ersten Mal die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die selbständig „Citizens of the People’s Republic of China“ sind, bestimmt: „[they] have the right to material assistance from the State and society …The State and society help make arrangements for the work, livelihood and education of the blind, deaf-mutes and other handicapped citizens“ (Nationaler Volkskongress 1982, Art. 45).

Mit der „Entscheidung des ZK der KP Chinas über die Reform des Wirtschaftssystems“ (1984)24, in der Wissen und Talent als extrem wichtige Rolle der Reform und Entwicklung der nationalen Wirtschaft gesehen werden (vgl. Art. 9), ist die Reform des Bildungssystems zunehmend eine dringend zu lösende Aufgabe geworden und wurde durch die Gesetzgebung gefördert. In den folgenden zwei Jahren wurden deswegen nacheinander die „Entscheidung des ZK der KP Chinas über die Reform des Bildungssystems“ (1985)25 und das „Gesetz zur Schulpflicht in der VR China“

Tab. 1-2 Übersicht der wichtigen Schritte zur „inklusiven“ Bildung Chinas

(1986)26 umgesetzt. Im Art. 9 des Schulpflichtgesetzes wurde Bildung für behinderte Kinder gefordert: Lokale Volksregierungen sollen Sonderschulen und Sonderklassen (in Regelschulen) für blinde, taubstumme und geistig behinderte Kinder und Jugendliche einrichten (Nationaler Volkskongress 1986, Art. 9). Das Gesetz zeigt, dass die Schulpflicht in China auf der Rechtsumlaufbahn eingeschlagen ist, und fördert das Recht aller Bürgerinnen und Bürger auf die Schulpflicht zu gewährleisten.

Die erste Stichprobenerhebung bezüglich der Population der behinderten Menschen im Jahr 1987 zeigte eine riesige Gruppe von Menschen mit Behinderungen, und zwar 51.640.000. Laut dieser Erhebung beträgt die Zahl der behinderten Kinder von 0 bis 18 Jahren 10.740.000 und von 0 bis 14 Jahren 6.250.000 (vgl. Statistisches Amt der VR China 1987). Die Daten zeigten aber auch, dass der Lebens- und Beschäftigungsstatus sowie die Bildungssituation von Menschen mit Behinderungen problematisch waren. Maßnahmen zur Änderung der Situation wurden sowohl von der Gesellschaft als auch von der Gruppe selbst fokussiert. Am 11. März 1988 wurde der Behindertenverband Chinas27 auf der Grundlage des Chinesischen Verbands für Blinde und Taubstumme (1953)28 und des China-Wohlfahrtsfundaments für Behinderte (1984)29 gegründet. Der Behindertenverband ist eine der 19 sozialen Gruppen, die vom zentralen Organisationskomitee genehmigt und direkt von der zentralen Leitung verwaltet werden, deshalb ist der Verband eine „government and non-government“-Organisation. Bis heute ist der Behindertenverband eine riesige Institution mit einem großen Netzwerk von der zentralen Leitung, nämlich dem „Staatsrat Arbeitskreis für Menschen mit Behinderungen“30, bis zum Lokalkomitee geworden.

Kurz danach wurde die Entwicklungsplanung vom sonderpädagogischen Bildungswesen in dem ersten „Fünf-Jahres-Arbeitsplan des chinesischen Behindertenwesens (1988 - 1992)“31 formuliert. In dem Plan wurde eine konkrete Beschulungsquote behinderter Kinder in verschiedenen Zeiträumen und Gebieten festgeschrieben: In den kommenden fünf Jahren soll die Einschulungsquote blinder und gehörloser Kinder von derzeitig weniger als 6 % auf 10 % und 15 % erhöht werden; auch für geistig behinderte Kinder soll die Quote deutlich angehoben werden; in den reichen Regionen soll die Quote noch stärker verbessert werden (vgl. Staatsrat 1988, Art. 59). Darüber hinaus wurde der Begriff „sui ban jiu du“32 vorgebracht: Festhalten an verschiedenen Schulformen, einerseits sollen vorhandene Sonderschulen weiter gut laufen, eine Reihe neuer Sonderschulen soll aufgebaut werden, andererseits sollen wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um Sonderklassen in den Regelschulen und Kindergärten einzurichten sowie um „sui ban jiu du“ körperlich behinderter, leicht geistig behinderter, sehbehinderter33 und gehörloser Kinder in den Regelschulen zu erreichen (vgl. ebd. Art. 42).

Mit der Entwicklung der Reformen, der sozialistischen Modernisierung und der Verbesserung des Lebensstandards des Volkes ist die Sonderpädagogik immer anspruchsvoller geworden. Dennoch war Chinas Sonderpädagogik in der Quantität und Qualität nicht für die Bedürfnisse der Entwicklung der objektiven Situation geeignet. Zum Beispiel war die derzeitige Sonderpädagogik mit den wachsenden sozialen Bedürfnissen der behinderten Menschen erst unvereinbar; es fehlten spezielle Lehrkräfte, Ausstattung und schulische Bedingungen; in vielen Regionen stand Sonderpädagogik noch in einem leeren Zustand und die Einschreibung in die Schule war immer noch ein schwieriges Problem (vgl. Hua 2003, S. 65 f.). Um diese Situation zu ändern und das Recht auf Bildung von behinderten Kindern zu schützen, mussten wirksame Maßnahmen zur Weiterentwicklung der

Sonderpädagogik stattfinden. Die 1. nationale Konferenz für sonderpädagogische Arbeit34, ein Meilenstein in der Entwicklung der Sonderpädagogik Chinas, wurde vor diesem Hintergrund am 18. November 1988 in Beijing einberufen. Diese Konferenz konzentriert sich auf die Leitlinien zur Entwicklungsplanung und auf zutreffende politische Maßnahmen für die Umsetzung der Schulpflicht der behinderten Kinder und Jugendlichen. Diese Konferenz machte die Förderung der Schulpflicht von Kindern mit Behinderungen zu einer primären Aufgabe. Auf Grundlage der aktuellen nationalen Bedingungen – eine große Anzahl behinderter Kinder und davon 80 % in den weiten ländlichen Gebieten mit rückgehender Wirtschaft; eine geringe Zahl an Sonderschulen, die meistens in den Städten sind sowie keine Bereitschaft zum Aufbau eines kostenintensiven Sonderschulsystems – wurde „eine Reihe von Stellungnahmen zur Entwicklung der Sonderpädagogik“35 vom Staatsrat (1989) ausgestellt. Diese Verordnung besteht aus drei Dimensionen, nämlich Leitlinien und Politik, Zielen und Mission, Führung und Management. Insgesamt wurde ein Programm mit 22 Ideen für die Entwicklung der Sonderpädagogik erstellt. Das ist das erste spezialisierte Dokument zur Führung der Bildung für Menschen mit Behinderungen (vgl. Hung 2011, S. 56). In Art. 2 steht geschrieben: „Die Entwicklung der Sonderpädagogik muss eine Kombination von Ausweitung und Verbesserung sein, und Ausweitung ist der Schwerpunkt“ (vgl. Staatsrat 1989, Art. 2). Um den Schwerpunkt zu fördern, kann die Beschulungsform behinderter Kinder vielfältig sein. Beispielsweise sollen lokale Regelschulen die befähigten behinderten Kinder aufnehmen und es sollen Sonderklassen in den Regelschulen für schwerbehinderte Kinder eingerichtet werden (vgl. ebd. Art. 6).

Daran anschließend haben das staatliche Bildungsministerium, das Ministerium für zivile Angelegenheiten, die China Social Welfare Kommission36 und der Behindertenverband im Februar 1990 die 2. nationale Konferenz für sonderpädagogische Arbeit in Beijing einberufen.

Ob die Entwicklung des Behindertenwesens bei dem Tempo der sozialen Entwicklung mithalten kann, ist in Bezug auf die nationale Entwicklung und soziale Stabilität fraglich. Der aktuelle Stand des Behindertenwesens kann als ein soziales Problem nicht ignoriert werden. Mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung schätzt die Mehrheit der Menschen mit Behinderungen den Wert ihres Lebens mehr und hat die Möglichkeit einer breiten Beteiligung am sozialen Leben sowie zum Schutz ihrer legitimen Rechte und Interessen einzutreten. Die Gesetzgebung entsprach demnach den Anforderungen des Behindertenwesens. Von der internationalen Seite war die Gesetzgebung auch eine Anforderung des „Weltaktionsprogrammes für Menschen mit Behinderungen“, die durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen ratifiziert wurde. Auch die Generalversammlung erklärte 1981 das „Internationale Jahr der Menschen mit Behinderung“ und die „Behindertendekade der Vereinten Nationen 1983 - 1992“. Die Mitgliedsstaaten müssten Rechtsvorschriften erlassen, um die Ziele zu erreichen und die damit erforderte Rechtsgrundlage und Autorität zu etablieren. Am 28. Dezember 1990 wurde das „Behindertenschutzgesetz“37 verabschiedet, es ist am 15. Mai 1991 in Kraft getreten. Das Gesetz bezieht sich hauptsächlich auf die Bereiche Rehabilitation, Bildung, Beschäftigung und Wohlfahrt. Im Kapitel 2 wird über das Recht auf Bildung geschrieben: „The state shall guarantee the right of disabled persons to education“ (vgl. Nationaler Volkskongress 1990, Art. 18). „The principle of combining popularization with upgrading of quality shall be implemented in education of disabled persons, with emphasis on the former“ (ebd., Art. 20). „Ordinary educational institutions shall provide education for disabled persons who are able to receive ordinary education“ (ebd., Art. 22). Außerdem müssen während der Schulpflichtjahre kostenlose Lehrbücher und Unterhaltszuschüsse für arme, behinderte Schülerinnen und Schüler angeboten werden. Nach den Schulpflichtjahren sollen ihnen gemäß staatlichen Verordnungen Begünstigungen ermöglicht werden. Die Regierung ist für entsprechende Forschungen, z. B. Curriculum, Lehrmateriell, Hilfsmittel usw., verantwortlich (vgl. ebd., Kap. 3).

Unter dem Einfluss des Gesetzes zur Schulpflicht, des Behindertenschutzgesetzes sowie des „Reform- und Entwicklungsplans der chinesischen Bildung“ 38 (ZK der KP Chinas & Staatsrat 1993) wurden dann im Juli 1994 die „Maßnahmen für die Entwicklung der ‚sui ban jiu du‘ von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen“39 vereinbart. Diese Vorschrift schreibt, dass „sui ban jiu du“ die wichtige Form zur Entwicklung und Ausweitung der Schulpflicht für Kinder mit Behinderungen ist und den derzeitigen nationalen Bedingungen entspricht. Darüber hinaus hat sie weitergehende Bestimmungen über das Ziel, die Maßnahmen, entsprechende Bedingungen usw. von „sui ban jiu du“ erlassen (vgl. Bildungsministerium 1994). Im Art. 7 wird geschrieben, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in der nächstgelegenen Schule beschult werden („sui ban jiu du“) sollen, oder in der Stadt und dem Gebiet, das mit öffentlichen Transportmitteln gut erreicht werden kann, die dafür vorgesehenen Schulen besuchen können. Das Schulalter soll prinzipiell identisch sein wie bei nicht behinderten Kindern und kann im Sonderfall gelockert werden (vgl. ebd., Art. 8). Übrigens sollen nur ein oder zwei, maximal drei behinderte Kinder in einer Regelklasse beschult werden (vgl. ebd., Art. 9). Und wichtig ist es, dass Regelschulen alle behinderten Kinder und Jugendlichen, die im Bereich der Schuldienste wohnen und schulbefähigt sind, aufnehmen müssen (vgl. ebd., Art. 11).

Um das Recht auf Bildung von Menschen mit Behinderungen weiter auszubauen, wurden die „Regeln über die Bildung für Menschen mit Behinderungen“40 am 23. August 1994 formuliert. Eine Kombination von Sondereinrichtungen und Regelschulen soll je nach dem Behinderungsgrad berücksichtigt werden (vgl. Staatsrat 1994, Art. 3). Im Bereich der Frühförderung sollen normale Einrichtungen für vorschuljährige Kinder, während der Schulpflicht Regelschulen für „sui ban jiu du“ zur Verfügung stehen (vgl. ebd., Art. 10 und Art. 17).

Vor dem Hintergrund, die Reform des Bildungswesens zu vertiefen und eine qualitativ hochwertige Bildung41 zu schaffen, wurde der „Beschluss des ZK der KP Chinas und des Staatsrates zur Vertiefung der Bildungsreform und Förderung der qualitativen Bildung“42 im Jahr 1999, in der Zeit der Jahrhundertwende und 50 Jahre nach der Gründung der VR China, bekanntgegeben. Bildung für Menschen mit Behinderungen wird als ein Teil des Wegs zur qualitativ hochwertigen Bildung angesehen und demnach wurde die Erhöhung der Einschulungsquote behinderter Kinder und Jugendlicher betont (vgl. ZK der KP Chinas & Staatsrat 1999, Art. 8). Zwei Jahre danach wurde dann die 3. nationale Konferenz für sonderpädagogische Arbeit in Beijing veranstaltet.

Mit der rasanten Entwicklung des wirtschaftlichen und sozialen Wesens, insbesondere der Reform des Bildungssystems, sind viele neue Probleme für die Schulpflicht entstanden und müssen auf rechtlichem Wege gelöst werden. Anschließend hat der Staat eine Reihe neuer politischer Maßnahmen über die Schulpflicht ausgefertigt, die zu Rechtsnormen steigen müssten. Es ist schwierig gewesen, das ursprüngliche „Gesetz zur Schulpflicht“ an die neue Situation anzupassen, deshalb war eine Revidierung des „Gesetzes zur Schulpflicht“ notwendig. Im Jahr 2006 wurde das Gesetz revidiert43. In der revidierten Fassung wurde Bildung für behinderte Kinder und Jugendliche im Vergleich zu der alten Fassung erweitert. Zum Beispiel wurde im Art. 6 geschrieben: „The State Council and the local people’s governments at the county level and above shall reasonably allocate the educational resources … and guarantee that … disabled school-age children and adolescents receive compulsory education“ (Nationaler Volkskongress 2006, Art. 6). „The local people’s governments at the county level or above shall, where necessary, set up schools (classes) of special education so as to provide compulsory education to the school-age children and adolescents who have eyesight, hearing and intellectual impairments. The schools (classes) of special education shall have places and facilities which suit

the study, recovery and living features of the children with disabilities. Ordinary schools shall accept school-age children and adolescents with disabilities who are able to receive ordinary education, to study along with the normal classes and shall provide assistance for their study and recuperation“ (ebd., Art. 19).

Von der Gewährleistung des Rechtes behinderter Kinder auf Bildung bis zur Forderung auf „inklusive“ Bildung in normalen Einrichtungen ist es ein langer Entwicklungsprozess, in dem sich die chinesische Gesellschaft über die Wichtigkeit der Inklusion von behinderten Kindern und Jugendlichen bewusst werden muss.

1.4.2 Implementierung der inklusiven Bildung nach Unterzeichnung der UN-BRK

Mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Chinas in den letzten Jahren sind auch einige neue Situationen und Probleme bezüglich des Schutzes der Rechte und Interessen von Menschen mit Behinderungen entstanden. In erster Linie bestehen beispielsweise schwer zu erfüllende Bedarfe nach Rehabilitation, ein Mangel an Bildungseinrichtungen, eine niedrige Einschulungsrate sowie die hohe Analphabetenrate, eine schwierige Beschäftigungssituation sowie Probleme bei der Teilnahme an den öffentlichen Veranstaltungen (vgl. Wang 2008, S. 185). Nach der Unterzeichnung der UN-BRK 2007 und dem 17. Parteitag mussten daher weitere Schritte aufgezeigt werden.

Am 28. März 2008 wurde die „Stellungnahme zur Entwicklung des Behindertenwesens“44 von dem ZK der KP und dem Staatsrat formuliert. In dem Dokument wurde die Bedeutung des Behindertenwesens für die Gesellschaft und den Sozialismus noch einmal bekräftigt. Der erste Punkt des vierten Teils, nämlich die „Förderung der umfassenden Entwicklung der Menschen mit Behinderungen“45, hat sich ausdrücklich mit dem Schwerpunkt „Bildung“ auseinandergesetzt. Hier wurde die Stärkung des Lehrerpersonals, die Erhöhung der sonderpädagogischen Qualität sowie eine Nichtdiskriminierung bei der Aufnahme in alle Bildungseinrichtungen gefordert (vgl. ZK der KP & Staatsrat 2008, Art. 10). Kurz danach, also am 24. April, wurde die revidierte Fassung des „Behindertenschutzgesetzes“ vom 11. Nationalen Volkskongress ratifiziert. Beeinflusst von der UN-BRK hat das neue Gesetz im Vergleich zu dem vor 18 Jahren gestellten Schutzgesetz hier die Verwirklichung des Rechtes fokussiert (vgl. Wang 2008, S. 185 f.). Das Hauptziel dieser Revidierung ist es, eine Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am sozialen Leben sicherzustellen und somit eine umfassende Integration von Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft zu garantieren, dafür sollen per Gesetz die Diskriminierung beseitigt und Gleichberechtigung angestrebt werden (vgl. Kropp 2008, S. 85). Gemäß den Rechten von Menschen mit Behinderungen auf inklusive Bildung in der UN-BRK wurden einige wichtige Artikel entsprechend geändert, wie z. B. „Ordinary educational institutions shall be open to students with disabilities who are able to receive ordinary education, and offer them facilitation and help“ (Nationaler Volkskongress 2008, Art. 25). Nicht nur während der neunjährigen Schulpflicht, sondern auch in der Vorschule und im Gymnasium sollen befähigte Kinder und Jugendliche reibungslos von den normalen Einrichtungen aufgenommen werden (vgl. ebd.).

Ratifiziert wurde die UN-BRK von China also kurz vor den Paralympics 2008, was in Kombination mit den Paralympics ein klares Zeichen war, um die Aufmerksamkeiten der Gesellschaft zu wecken und zu gewinnen. Die Paralympics sind keineswegs das Ende, sondern der Anfang zur Verwirklichung des Menschenrechtes von Menschen mit Behinderungen. In dem folgenden Jahr wurde der „Nationale Menschenrecht-Aktionsplan Chinas (2009 - 2010)“46 veröffentlicht. Um den Geist der UN-BRK und der Paralympics weiter zu implementieren, sind die gleichberechtigten Rechte und Chancen auf Bildung nicht zu übersehen. Überwiegend fokussiert wurde im „Nationalen Menschenrecht-Aktionsplan Chinas (2009 - 2010)“ das Bildungsrecht von Kindern mit Behinderungen aus Zentral- und Westchina. Es wird gefordert, dass Sonderschulen in der Zukunft weiter ausgebaut und neugebaut werden sollen (vgl. Staatsrat 2009, Kap. 3, Art. 5).

Inhalte der Förderung der Bildung für Menschen mit Behinderungen werden in der „Stellungnahme zur weiteren Beschleunigung der Entwicklung vom sonderpädagogischen Bildungswesen“47 2009 deutlicher dargestellt. Gestützt darauf soll „sui ban jiu du“ umfassend vorangetrieben werden. Der Aufbau des Unterstützungs- und Gewährleistungssystems soll überwiegend gefördert werden, beispielsweise sollen alle Schulen mit neunjähriger Schulpflicht passende Bedingungen vorbereiten, damit die Bedürfnisse behinderter Kinder und Jugendlicher erfüllt werden können. Insbesondere wird den Sonderschulen und den Sonderpädagogen eine wichtige Rolle als Garantie der „sui ban jiu du“ zugeschrieben (vgl. Büro des Staatsrates 2009, Art. 12). An der kurz danach einberufenen 4. nationalen Konferenz für sonderpädagogische Arbeit48 wurden die zukünftigen Arbeitsschwerpunkte entworfen, nämlich die Erhöhung der Einschulungsquote behinderter Kinder, die Verstärkung der Konstruktion der Sonderschule sowie die Beförderung der Lehrerqualifikation und Lehrerbildung (vgl. Zhou 2009, S. 1). Dieses Dokument und die Konferenz eröffnen eine neue Stufe der sonderpädagogischen Entwicklung und fördern Bildungschancengleichheiten und soziale Harmonie (vgl. Piao 2009 (b), S. 12 f.).

Eine weitere Verordnung, die „Stellungnahme über Beschleunigung der Konstruktion des sozialen Sicherungs- und Servicesystems von Menschen mit Behinderungen“ 201049, hat das „Bildung-Service-System für Menschen mit Behinderungen“ vorgebracht. In den Schulpflichtjahren wird das Ende der 80er Jahre gestellte Bildungssystem fortgeführt, nämlich die Konzepte „Sonderschule als Rückgrat, ‚sui ban jiu du‘ und Sonderklasse als Hauptteil“50. Darüber hinaus soll das Gehalt der Lehrer mit der Umsetzung von „sui ban jiu du“ gekoppelt werden und die Arbeit „sui ban jiu du“ wird erstmals als eine unverzichtbare Aufgabe aller Lehrerinnen und Lehrer gestellt (vgl. Staatsrat 2010, Kap. 3, Art. 2).

Durch den „Nationalen langfristigen Bildungsreform- und Entwicklungsplan (2010 - 2020)“51 hat die chinesische Regierung die Schulbildung und Fortbildung der behinderten Kinder und Jugendlichen zu einem politischen Ziel gemacht. Erstmals befindet sich die Sonder(schul)bildung als eigenständiges Kapitel in einer staatlichen Verordnung. In Art. 10 des Plans werden drei Aspekte dargestellt:

» Unterstützung der Regierung und der Gesellschaft

» Entwicklung des sonderpädagogischen Bildungssystems

» Verbesserung der Qualität in Regelschulen und Sondereinrichtungen

Alle Schuleinrichtungen sollen entsprechende Bedingungen schaffen und anbieten, um „sui ban jiu du“ und Sonderklassen weitergehend zu vergrößern, damit mehr Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in die Schule gehen können. Darüber hinaus sind Bildung in Sekundarstufe II, Berufsbildung sowie Frühförderung für behinderte Kinder und Jugendliche von großer Bedeutung. Es ist aber nicht zu übersehen, dass Sondereinrichtungen, etwa Sonderschulen, Sonderklassen in der Regelschule und Kindertagesheime, derzeit bzw. mittel- und langfristig noch existieren. Aktuell werden mehr Sonderschulen in der Zukunft auf- bzw. ausgebaut, um zu sichern, dass bis 2020 in jeder Stadt oder in jedem Kreis mit über 300.000 Einwohnern mindestens eine Sonderschule zur Verfügung steht (vgl. Bildungsministerium 2010, Kap. 10, Art. 29). „Neben der ausdrücklichen Forderung … wird ebenso klar gefordert, Schulen jeder Art und auf jeder Ebene zu motivieren und zu unterstützen, Menschen mit Behinderungen aufzunehmen, damit der Umfang der integrativen/inklusiven Beschulung … und Sonderklassen an den Regelschulen erweitert werden kann“ (Beck & Degenhardt 2011, S. 67 f.). Jedoch bleibt in dem Plan bedauerlicherweise noch die Lücke, dass das spezielle Gesetz für Sonderpädagogik stets nicht in den Plan eingeschlossen wurde. Obwohl in den vergangenen relationalen Gesetzen, Vorschriften sowie Richtlinien wichtige Abschnitte über Gewährleistung der Sonderpädagogik festgestellt werden, ist es aber nicht ausreichend, Sonderpädagogik als einen unterstellten Teil zu betrachten. Ein gleichrangig wichtiges spezielles Gesetz für Sonderpädagogik wurde von vielen Experten und Sonderpädagogen gefordert. Aus den erfolgreichen Erfahrungen von anderen Ländern sollte ein Gesetz der Sonderpädagogik dem „Gesetz zur Schulpflicht“ gleichgestellt werden (vgl. Zhuo & Hung 2011, S. 38; Liu, X. 2007, S. 3 f.; Wang 2007, S. 3 f.; Chen & Ruan 2006, S. 48; Deng & Zhou 2005, S. 3 f.).

Mit dem großen Anspruch von Gesellschaft und der Berufung von Gelehrten wurde ein weiterer Schritt zur rechtlichen Entwicklung gemacht. Nach dem „Nationalen langfristigen Bildungsreform- und Entwicklungsplan (2010 - 2020)“ wurde 2010 die Revidierung der „Regeln über die Bildung für Menschen mit Behinderungen“ (The Regulations on the Education of Persons with Disabilities. Erstmalig ausgestellt am 21.07.1994) angefangen. Der überarbeitete Entwurf der Revision stand vom 25. Februar 2013 bis 25. März 2013 zur öffentlichen Kommentierung zur Verfügung. Zwar sind diese Regeln weniger verbindlich als das „Behindertenschutzgesetz“, doch wurde bei ihnen ein inhaltlicher Durchbruch erreicht. In dem Entwurf wurden die vorschulische Bildung, die neunjährige Schulpflicht sowie die weiterführende Bildung aller behinderten Kinder und Jugendlichen noch mal betont (vgl. Art. 13; Art. 14; Art. 20; Art. 21) und die inklusive Behindertenbildung wurde in diesem Entwurf als Kern betrachtet (vgl. Art. 4). Es wurde verdeutlicht, dass in China ein paralleler Bildungsmodus weitergeführt werden muss, nämlich Bildung in Regelschulen und Bildung in sonderpädagogischen Einrichtungen, aber die Beschulung in Regelschulen ist das Recht behinderter Kinder und Jugendlicher und sollte vorrangig gewährleistet werden (vgl. Art. 8; Art. 13; Art. 14; Art. 15; Art. 16). Weiterhin wurden die Themen sonderpädagogische Fortbildung der Lehrer und Finanzierung der Behindertenbildung betont und eine Reihe von Maßnahmen wurde vorgelegt (vgl. Art. 29; Art. 32; Art. 33; Art. 37; Art. 38; Art. 39).

Deutlich wird mit dem Rückblick auf den Entwicklungsprozess der „inklusiven“ Bildung Chinas von der Reform- und Öffnungspolitik bis zur Revidierung der „Regeln über die Bildung für Menschen mit Behinderungen“, dass begleitet von der Globalisierung und Entwicklung Chinas Behindertenrecht auf Bildung im gewissen Ausmaß von der chinesischen Regierung und Gesellschaft mehr Anerkennung und Aufmerksamkeit gewonnen hat.

Für China stellt Kegel (1991) in seiner Forschungsarbeit über das Behindertenwesen Chinas fest, dass behinderte Personen in der Volksrepublik eher und noch dazu relativ schnell im privaten Raum, in Familie, Nachbarschaft und Kommune, integriert werden, aber in Bereichen wie z. B. dem Arbeitsleben, beim Schul- und Universitätsbesuch und im öffentlichen Umgang noch weit davon entfernt sind, Ähnliches zu erfahren (vgl. S. 48). Dieses Urteil kann auch gegenwärtig, fast 20 Jahre später, noch weitgehend bestätigt werden. Die angestrebten Veränderungen und der Integrationsprozess sind nicht abgeschlossen und bedürfen noch Verbesserungen und Maßnahmen von politischer Seite. Staatliche Maßnahmen, die eine Integration von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft und im öffentlichen Raum fördern können, dienen dazu, dass die Lebensqualität Behinderter steigt, indem sie Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten zu gleichen Konditionen wie ihre nicht behinderten Mitmenschen nutzen können. Dabei soll es aber nicht nur zu einer starken Förderung von Heimen und speziellen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung kommen, die der Integration eher entgegenwirken. Der Fokus staatlicher Unterstützung sollte sich auf die Eingliederung der Menschen mit Behinderungen selbst und ihrer Familien richten, indem beispielsweise Schulen behinderte Kinder aufnehmen.