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"Weihnachten kommt immer plötzlich" "Wie?" "Wie der Schnee!" An Eldemirs Stand für magische Weihnachtsbäume dürfen Kinder ihren Baum aussuchen. Wenn man sie lässt. Was ist, wenn Erwachsene es besser wissen? Eine zauberhafte Adventskalendergeschichte zum Mitgestalten in 24 Kapiteln
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Seitenzahl: 90
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Diese Adventskalendergeschichte kann
* in einem Stück vorgelesen werden oder
* kapitelweise Tag für Tag an den ersten 24 Tagen des Dezembers,
* gerne in der Vorweihnachtszeit und ebenso
* immer dann, wenn euch danach ist.
Ein Bildchen vorweg schmückt jedes Kapitel. Es darf von dir ausgemalt werden, wenn du magst.
Dies ist eine fiktive Geschichte.
Alle Charaktere, Namen, sämtliche Orte, Handlungen und Dialoge sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und ihren Reaktionen sind rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Nach und nach hatte sich eine weiße Decke auf Dächer, Wege und Straßen gelegt.
Allmählich hörten die Flocken auf zu tanzen. Der Scheibenwischer pausierte. Im Auto war es mollig warm. Harmonische Klänge hallten aus dem Radio.
Egal, an welchem Haus sie vorbeifuhren, überall leuchteten die geschmückten Fenster. Der große Tannenbaum des Bürgermeisters strahlte in seinem Vorgarten.
Dann bogen sie in die erste Sternstraße ein. Sie führte, genau wie die anderen vier, direkt auf den Marktplatz zu, um im Ring um ihn herum zu verschmelzen. Von den Sternen aus betrachtet sah dieser Ort selbst aus wie ein Stern, der hinabgeglitten war und sich friedlich ausgebreitet hatte. Funkelnde Lichter fuhren auf die Mitte zu, vermischten sich mit den fließenden und den stockenden und verließen das Zentrum wieder in roten Lichtstreifen.
Die Melodie im Radio stoppte. Der Sprecher verlas die Fünf-Uhr-Nachrichten, anschließend die winterlichen Wetteraussichten für heute, morgen und fürs Wochenende.
„Jawoll!“, freute sich Papa Kobinian, „so nah haben wir noch nie parken können.“
Er hatte die letzte Nische direkt am Rande des Platzes bekommen. Sie war eng aber ausreichend.
„Das Glück ist auf unserer Seite. Eins sage ich euch, Jungs: Wir werden den Schönsten finden. Mama wird staunen.“
Über die Schulter hinweg machte er den beiden ein Zeichen. Daumen und Zeigefinger bildeten einen Kreis. Das eine Auge kniff er zu.
„Sollen wir? Auf geht´s!“
Er schnallte sich ab, ergriff den Mantel und den Hut vom Beifahrersitz und stieg aus. Zunächst zog er sich an, klopfte die Falte in seinem Hut neu und rückte ihn auf dem Kopf zurecht. Den Kragen schlug er hoch. Dann öffnete er die hintere Tür des Kombis. Dabei achtete er darauf, keine Macken in den Wagen zu stoßen – weder in seinen noch in den, der neben seinem stand.
„Hey, hey, hey. Macht mal schön langsam! Klaus! Kai?“
Die Zwillinge in ihren gleichfarbigen Schneejacken balgten sich auf dem Rücksitz darum, wer als Erster aussteigen durfte.
Nebeneinander quetschten sie sich aus dem Auto heraus und purzelten in den Schnee. Sofort sprangen sie auf.
Als hätte man sie nach stundenlanger Fahrt endlich freigelassen, rannten sie hintereinander her. Sie nutzten die Platanen, um sich zu verstecken. Im nächsten Moment stürmten sie wieder los. Der eine jagte den anderen, der andere den einen. Wer genau wen, konnte nur ihre Mutter sagen. Aber sie war daheimgeblieben, um den Teig für die Plätzchen vorzubereiten.
„Jungs! So wartet doch! Wir gehen hier entlang“, rief ihnen ihr Vater nach.
Das hörten sie nicht. Sie flitzten im Slalom um die Bäume herum. Lichterketten, die in den Ästen hingen, tanzten über ihren Mützen. Um sie herum glitzerte und funkelte es. Der Schnee unter den Stiefeln der Jungen knirschte. Sie schlitterten vor und zogen eine Spur hinter sich her.
Durch eine Schneise zwischen zwei Buden bahnte sich Herr Kobinian den Weg auf den Platz. Der Duft gebrannter Mandeln zog an ihm vorbei. Auf der Bühne spielte ein Blockflötenchor „Ihr Kinderlein kommet“ und ein Mädchen an der Hand seiner Oma sang den Text dazu.
„Hört, hört meine Kinderlein“, rief Herr Kobinian in die Richtung, aus der er gekommen war. Seine Hände formten einen Trichter. „Nun kommet.
Endlich!“
Klaus und Kai hüpften um die Passanten herum. Sie folgten dem dunklen Hut ihres Vaters, der über allen Köpfen zu sehen war. Obwohl sie zuvor in die andere Richtung gerannt waren, hatten sie ihn bald eingeholt und stürmten an ihm vorbei auf den Brunnen zu. Da war er.
Er stand genau in der Mitte des Platzes. Seine fünf verzierten Wasserhähne, aus denen seit Wochen kein Tropfen mehr floss, zeigten auf die fünf Sternstraßen, die zum Platz hinführten.
Heute Abend schimmerten die Hähne golden. Sie konnten es genau sehen.
Schnee bedeckte die Steinskulpturen. Er hatte den steinernen Bauern und Mägden ein weißes Gewand übergestülpt. Angestrahlt von den Lichtern funkelten einzelne Kristalle. Trotz der Kälte wurde es jedem Betrachter warm ums Herz. Rund um den Brunnen herum war der Stand eingezäunt. Genau zu diesem wollten sie.
„Jetzt reißt euch mal zusammen! Was soll Eldemir von uns denken?“
Scheinbar verstopften die Wollmützen die Ohren der Zwillinge.
„Ja, sagt einmal: Habt ihr mich nicht verstanden?
Jungs, es reicht!“ Rechts und links packte Papa Kobinian zu. Sogleich hatte er die Zwillinge fest im Griff.
Gezwungen gesittet marschierten sie auf den alten Mann zu, der unter dem Schild am Eingang des Standes wartete.
„Eldemirs magische Weihnachtsbäume“, las Klaus.
Kai gluckste: „Guck mal, wie der da steht und wartet. Als hätte er das ganze Jahr nach uns Ausschau gehalten.“
Gekrümmt stand Eldemir in seinem Patchwork-Mantel aus Fellfetzen neben einer Tanne. Er lachte und winkte. Hinter seinem krausen Vollbart kamen gelbe, teils abgebrochene Zähne zum Vorschein.
Freundlich streckte er Vater seine von Gicht verformte Hand entgegen.
Herr Kobinian ließ Kai los und drückte die fingerlosen Handschuhe des Buckeligen. Er spürte die spröde Haut auf seinem Handrücken und bemerkte das Schwarze unter Eldemirs Fingernägeln. Mit solchem Dreck kamen seine Jungen immer nach Hause, aber sie hätten damit nicht wieder unter Leute gehen dürfen. Da achteten sie drauf.
Eldemir schien es egal zu sein oder hatte er gar niemanden daheim, der ihm das sagte? Wo wohnte er eigentlich?
Streng roch es nach Harz.
„Eldemir, seien Sie gegrüßt.“ Vater lächelte, löste seine Hand aus dem Griff und versuchte, sie unbemerkt an seinem Kaschmirmantel von etwas zu säubern, das ihn nicht beschmutzt hatte.
„Hallo Herr Kobinian, Ihre Zwillinge sind aber mächtig gewachsen.“
Beide Jungen streckten ihre Brust vor und hoben die Nasen.
„Hoffentlich habt ihr euch sonst nicht verändert.“
Er zwinkerte ihnen zu. „Herr Kobinian, Sie können stolz auf die beiden sein. Wie lang ist es nun her? Wann trafen wir uns zuletzt? Ich schätze auf den Tag genau vor einem Jahr.“
Papa Kobinian schaute auf die Uhr und nickte.
„Herr Eldemir, und dann erinnern Sie sich noch an unseren Namen?“ Er stockte kurz, kombinierte und lachte verlegen: „Natürlich erinnern Sie sich. Wie dumm von mir.“ Vater senkte den Kopf und lugte schief unter seiner Hutkrempe hervor.
„Ja, ja, Herr Kobinian. Wie könnte ich Sie und Ihre Jungs je vergessen.“ Wieder zwinkerte er den beiden Jungen zu. „Sie hatten gewiss ein schönes Fest mit Ihrer Familie und meinem Baum? So ist es mir zumindest zugetragen worden.“
Die Zwillinge fragte er: „Was wünscht ihr euch denn in diesem Jahr?“
„Neue Fußballschuhe!“
„Und einen Ball!“
„Den man auch im Schnee gut sehen kann.“
Klaus hatte in den Schnee gegriffen und daraus eine Kugel geformt. Er schmiss sie Kai vor den Bauch. Als Torwart fing dieser den Schneeball auf. Wie ein Profi ließ er sich fallen.
Im Gegensatz zu Vater Kobinian freute sich Eldemir über die Lebendigkeit der beiden. Sie bewarfen sich mit Schneebällen, trafen Bauch, Schulter und sogar direkt ins Gesicht. Klaus spuckte den Schnee aus, bevor er erneut eine Kugel formte. Sie lachten. Es war genau wie vor einem Jahr.
Eldemir schmunzelte und wendete sich ab.
In seiner Drehbewegung wehte der Patchworkmantel auf, sodass zu befürchten war, einzelne Fellfetzen könnten sich lösen.
Beschwörend sprach er zu seinen Bäumen:
„Ihr habt´s gehört. Gleich ist es soweit.
Macht euch bereit.
Gleich kann es geschehen.
Sie müssen den einen, den besonderen sehen.“
Eldemir hatte in seinen Bart genuschelt, Herr Kobinian die Stirn in Falten gelegt und die Augen zu Schlitzen verengt. So sehr sich der Vater der Zwillinge auch anstrengte, er verstand den alten Mann nicht.
„Alter Tüddelkopf“, dachte er und ermahnte lautstark seine Kinder: „Jungs, Schluss! Ihr reißt euch heute zusammen! Dieses Jahr wollen wir nicht … nicht schon wieder …“
„Zu spät!“, lachte Eldemir. Dreimal stuckte er mit seinem knochigen Stock auf den Boden. Schnee rieselte von den Nadelspitzen. Ein zartes Glockengeläut ertönte. In den Augen der Zwillinge funkelte es. Wind huschte um ihre Hosenbeine und glitt die Tannen empor. Ein Rascheln war zu spüren. Die Schneekristalle auf dem Brunnen blitzten auf. Alle waren bereit für die Wahl des Baumes. Alle?
Klaus riss Kai die Wollmütze vom Kopf und warf sie in die Luft. Sie traf den Hut von Papa Kobinian und fiel zu Boden. Der Hut selbst purzelte ebenfalls herab, landete nicht im Schnee.
Der Wind hatte ihn erfasst und wirbelte ihn hoch.
„Kai schau! Die Wasserhähne pusten wieder“, lachte Klaus.
Der schwarze Hut tanzte in der Luft. An der nächsten Düse wirbelte eine weiße Schneewehe in ihn hinein. Einem Startschuss gleich hüpften die Jungen dem Hut nach. Dieses Mal steckte ihr Vater nicht darunter, sondern wedelte mit den Armen hinter der Rasselbande her.
Um den Brunnen herum versuchten sie, das purzelnde, rollende, fliegende Ding zu erhaschen. Vergebens. Der Hut flog durch die Reihen der Tannen und Fichten. Klaus und Kai freuten sich. Sie spielten das Spiel mit. Sie jagten dem Hut nach, wie Skifahrer im Slalom durch die Tore flitzen. Dabei stießen sie die aufgereihten Bäume aus ihren Ständern und kippten sie rechts und links zur Seite.
„Nicht schon wieder“, jammerte Papa Kobinian, „hört das denn nie auf?“
Eldemir lachte. Er war nicht mehr der Jüngste, schaffte es aber rechtzeitig, zwei Tannen aufzufangen, bevor sie die Frau mit dem singenden Kind und den Opa mit Gehwägelchen streiften.
„Stopp! Hilfe! Lass das! Ich krieg keine Luft mehr“, röchelte Klaus. „Kai, hör auf! Sofort! Mein Hals!“, prustete er weiter.
Kai, der neben ihm hergelaufen war, war sich keiner Schuld bewusst. Er hatte weder versucht, seinen Bruder wegzurempeln, noch ihn an der Kleidung zurückzuhalten. Und trotzdem zog etwas an Klaus´ Hals.
Papa Kobinian kam herbeigeeilt. Er hielt den Zappelnden an beiden Armen fest.
„Beruhige dich, mein Junge! Du machst es nur schlimmer. Halt still!“ Fest drückte er ihn. „Du schnürst dir selbst die Luft ab. Warte! Dein Schal ist es. Er hat sich verfangen.“