Riley, eine Entscheidung fürs Leben - Anja Rosok - E-Book

Riley, eine Entscheidung fürs Leben E-Book

Anja Rosok

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Beschreibung

Joshua lebt allein mit seinem Vater auf einer Farm nordöstlich von Alice Springs. Trotz seiner europäischen Wurzeln sind Nungen und Dujah seine engsten Freunde in dem für ihn noch fremden Land. Eines Tages findet er ein niedergestrecktes Känguru. Es schützt über den Tod hinaus das heranwachsende Leben in seinem Beutel. Vom Stammesältesten wird Joshua dieses kleine Joey zum Verzehr geschenkt. Warum ihm diese Ehre zuteilwird, ahnt er nicht. Eine bewegende Reise durch das rote Zentrum Australiens mit seinen Schwierigkeiten, Gefahren, Mythen und Emotionen.

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Seitenzahl: 90

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Dies ist eine fiktive Geschichte.

Alle Charaktere, Namen, sämtliche Orte, Handlungen und Dialoge sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und ihren Reaktionen sind rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Erstmalig erschien der Roman im Juli 2011

im Noel-Verlag/Oberhausen/Oberbayern.

Die überarbeitete Neuauflage mit vielen weiteren Bildern steht ab Oktober 2018 wieder allen Leserinnen und Lesern zur Verfügung.

Viel Vergnügen bei dieser Reise.

Was ist schon Zeit?

Inhaltsverzeichnis

Irgendwo nordöstlich von Alice Springs

Der Fund

Riley

Erste Schritte

Aussichten

Das Fest

Die Qual der Wahl

Der Entschluss

Wildnis

Zeit

Der Busch

Traumzeitwesen

Loslassen

Der Touri

Jahre später

Zum Nachdenken

Irgendwo nordöstlich von Alice Springs

„Joshua, steh auf! Es wird Zeit.“

„Dad, es ist Sonnabend. Die Schule sieht mich heute bestimmt nicht!“ Ich drehte mich wieder um und brummelte in mein Kissen.

„Joshua, raff dich auf. Onemah hat uns gebeten, ihm bei seiner Herde zu helfen.“

„Onemah?“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und dachte an Nungen, Onemahs Sohn. Ich sprang aus dem Bett, schlüpfte in die zerknautschte Jeans und das alte T-Shirt. Dann nahm ich immer zwei Stufen gleichzeitig die Treppe hinunter.

„Gewaschen, Junge?“

„Nicht nötig, oder meinst du, es stört die Schafe? Wir sind doch unter uns.“

Schon saßen wir im Pickup und fuhren durch das gekippte Gatter.

Ich lebte mit meinem Vater auf einer kleinen Farm abseits des Highways, irgendwo nordöstlich von Alice Springs, in der Nähe eines kleinen Dorfes. Wir züchteten Schafe und waren froh darüber, dass unsere Farm sowohl mit Weidegras, als auch mit ein paar Bäumen gesegnet war. Später sollte ich mal weiter nördlich in Darwin studieren und mich unter das Volk mischen, das selbst von der Herkunft her schon so gemischt war. Aber mir gefiel es hier, wo wir lebten. Begrenzt war unser Grund durch eine kleine Gebirgskette, eher eine Hügellandschaft, die mit dem Ayers Rock nicht zu vergleichen ist. Und trotzdem war sie für mich immer schon die Miniaturausgabe dieses schattenspendenden Uluru, wie die Einheimischen ihn nannten. Nur selten verirrten sich Touristen auf unsere Farm. Der Hof war - einmal vom Highway abgebogen - nur über lange verzweigte Sandwege hinter einer kleinen Waldgruppe zu entdecken.

Es war noch früh, aber die Sonne kroch schon hinter dem Horizont hervor. Die warmen Strahlen vermischten sich mit den Rottönen der Erde und deuteten bereits auf den Beginn der Hitzemonate hin, die nun vor uns lagen. Die Zeit der

Niederschläge und der kühleren Tage war vorbei. Der Pickup rollte über den Sand und bahnte sich seinen Weg aus dem Hinterland heraus zum Stuart. Je offener das Gelände wurde, desto trockener wurde der Boden.

Dad fuhr mit mir die asphaltierte Straße entlang und bog dann vom Stuart Highway nach Westen wieder auf sandige Wege ab. Für jemanden, der hier fremd war, sah die unendliche Weite in sich gleich aus. Aber mein Vater und ich kannten jeden Stein, jeden Strauch und jede Unebenheit im Boden. So oft waren wir schon zu Onemah gefahren und er zu uns.

„Hey, da seid ihr ja!“ Im Hintergrund heulte ein Dingo, den Onemah zum Schutz auf seinem Hof hielt.

„Entschuldige, Onemah, aber er wollte erst nicht aufstehen. Sind wir viel zu spät?“

„Lenk, was ist schon Zeit? Wenn dein Sohn das Glück hatte aufzuwachen und bei uns als Mensch weiterleben darf …“

Australiens Gefahr, über Nacht von einem giftigen Tier gebissen oder in der Wildnis von einem Tier getötet zu werden, lag in diesen Worten. Onemah machte uns wieder einmal klar, wie unwichtig alles sein kann.

Mit einer speziellen Handabschlagkombination begrüßte er zuerst mich: „Na, ein bisschen strubbelig heute!“ Dabei wuschelte er mir mit seiner dunklen Hand durch meine blonden Haare. Danach schlug er meinem Vater freundschaftlich auf die Schulter.

„Hab´ den Jungs Bescheid gesagt. Sie sind schon im Stall.“

„Im Stall?!“, dachte ich und blickte auf die Wellblechhütte hinter Onemah, die wie durch ein Wunder von dem letzten Wirbelsturm verschont geblieben worden war.

„Komm, Junge!“ Bestimmend schob er mich vorwärts.

Onemah war noch einer der echten Aborigines, zumindest, was das Aussehen anging. Seine schokoladenbraune Haut und sein gegerbtes Gesicht verliehen ihm das typische Äußere. Sein gekräuseltes, schwarzes Haar, das schon von einigen grauen Härchen durchzogen war, hatte er mit einer dünnen Schnur aus Naturfasern oberhalb der Stirn abgebunden. Der zottelige Vollbart wucherte wild und war nur unter der breiten Nase, die wie die eines Sportboxers aussah, ordentlich gestutzt. Seine Augen wirkten klein unter den wulstigen Augenbrauen, lächelten uns aber freundlich an. Aus dem Stall stürmte Nungen. Er trug das

gleiche ockerfarbene Hemd aus Cordstoff wie sein Vater. Bis auf den Bart war er ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Nur, dass seine Haut glatter war.

„Hi, Josh, hau rein! Hast du gefrühstückt?“ Mein Magen knurrte. „Geht schon.“ Schnell hielt ich mir den Bauch, um das Grummeln zu unterdrücken. „Später vielleicht. Ich halt´s noch aus.“

„Gut, dann wollen wir mal! Hab gestern mit Dad die Zäune kontrolliert. Alles okay.“

„Das Gras muss saftig grün sein, durch den Regen der letzten Tage.“

„Welches Gras? Die Büschel? Aber es wird für einige Zeit reichen, die Viecher satt zu kriegen.“

Schon betraten wir den Stall. Unsere Unterhaltung erstarb, sonst hätten wir uns anschreien müssen, so laut blökten die Wollträger.

Die meisten Einheimischen züchteten Schafe im südlichen Teil des fünften Kontinents. Trotz der harten Arbeit hatten sich die beiden Farmer mit ihren Herden hier angesiedelt. Sie starteten vor sieben Jahren fast gleichzeitig dieses Pilotprojekt.

Es war Lenk und Onemah zu verdanken, dass sich mittlerweile in kleinen Schritten eine Freundschaft entwickelte, die die gewaltsamen Konflikte zwischen den europäischen Siedlern und den Ureinwohnern in diesem Gebiet verringerte. Die Aborigines wurden langsam europäischer und die Siedler profitierten von den Erfahrungen der Ureinwohner.

Es war bereits Mittag geworden.

Die Schafe waren geschoren und ein Mädchen mit krausem Bubikopf brachte Brot und Suppe.

„Frühstück!“, entfuhr es mir und als ich aufblickte, erstarrte ich sofort. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass deine Cousine da ist?“ Hektisch strich ich mir durchs Haar und wischte nervös über die Stirn.

„Hätte das was geändert? Du wirst ja rot, Mann!“ „Vom Arbeiten. Du siehst, dass ich schwitze?“ Schon schob ich den Arm vors Gesicht und schnüffelte unbemerkt unter den Achseln. Nur leicht verzog ich die Nase.

Dujah war älter geworden. Hübsch schlug ihr Kleid eine Welle vor der Brust. Ihre dunkle Haut schimmerte durch den Stoff. Die Taille hatte ihr Aussehen verändert. Sie lächelte mir zu. Konnte sie Gedanken lesen?

Sofort senkte ich den Blick auf meine staubigen Schuhe. Verlegen versuchte ich, das Schwarze unter den Fingernägeln zu entfernen.

„Lass nur. Es steht für das Element Erde. Wie geht es dir, Josh? Schön, dich wiederzusehen.“ Sie kam direkt auf mich zu.

„Gut!“, brachte ich heraus, griff in den Korb und biss sofort eine Ecke des Brotes ab.

„Schwirr ab, Dujah! Lass ihn essen. Er hat noch nicht gefrühstückt!“

Sie warf Nungen einen bösen Blick zu und verschwand. „Sie gefällt dir, was?“

Im Reflex zog ich die Schultern hoch und kaute weiter. „Du ihr auch. Sie hat ständig nach dir gefragt. Immer wenn sie mit uns telefonierte, wollte sie wissen, was du machst. Ich hab ihr natürlich deine lieben Grüße ausgerichtet!“ „Was“, rief ich und spuckte dabei Brotkrümel.

„Klar, kann mir keinen besseren Verwandten vorstellen. Wird ´ne coole Hochzeit!“, lachte er und schlug mir auf den Rücken.

Ich war nicht sicher, ob ich deshalb hustete oder schon vorher gehustet hatte und jetzt dankbar über diesen Schlag ins Kreuz war.

Der Fund

Nachdem wir gegessen hatten, trieben wir die Schafe unter der Mittagsonne zur Weide. Das Gatter stand auf.

„Peach, hiergeblieben!“ Obwohl Nungen schrie, rannte der pfirsichbraune Hund los. Am Ende der Koppel preschte er in eine Handvoll wildlebender Dingos und trieb sie auseinander. Die Schwänze eingekniffen wichen sie erst zurück, stellten sofort die Haare auf und wollten auf den Einzelkämpfer losstürmen. Als sie die Männer laut tosend heranrücken sahen, versuchten sie jedoch, einen Fluchtweg am Zaun zu finden.

„Joshua, hier herüber!“, schrie mein Dad. „Jungs, treibt die Schafe in die Ecke. Die Hunde reißen uns sonst alles nieder“, schrie ein anderer. „Ihr müsst ausweichen! Wir scheuchen die Biester von hinten durchs offene Gatter.“ „Seht zu, dass die Schafe ruhig bleiben“, ergänzte Onemah.

„Leichter gesagt, als getan! Unsere Daddies haben gut reden.“ Ich tippte mir an die Stirn und zwinkerte Nungen zu. Aber wir taten, wie sie uns befohlen hatten.

Plötzlich wirbelte Nungen hektisch mit den Armen herum, als würde er einen angreifenden Basketballspieler blocken. „Josh, pass auf. Es büchst bei dir aus und rennt den Wildhunden direkt entgegen. Die nehmen sich einen Snack für unterwegs mit. Peach, los! Hierher!“

„Kein Problem, das hab ich voll im Griff! Und außerdem erkennen die Dingos gar nicht, dass dieses nackte Gerippe einst ein Schaf gewesen ist. Bei dem Horror-Outfit ergreifen die von selbst die Flucht.“ Es ekelte mich ein wenig.

„Los!“, befahl Nungen.

Ohne zu zögern warf ich mich auf das Tier und packte zu. Es war warm und so ungewöhnlich glatt, wenn man bedenkt, dass es sich um ein Wollschaf handelte. Obwohl sich die Haut des Tieres in Falten legte, konnte es mir nicht mehr entkommen.

Mittlerweile hatten die Männer die Wildhunde von der Koppel vertrieben und schlossen das Gatter.

„Was haben die hier gemacht und warum waren die so angriffslustig?“

„Hast du es nicht gesehen, Onemah? Sie hatten die Schnauzen blutig.“

„Hier herüber!“, rief einer der Aborigines und deutete auf ein dahingestrecktes Känguru. Ich setzte das zappelnde Gerippe ab und ging zu ihnen.

Im Halbkreis umzingelten sie ein totes Tier. Es war ein großes Tier. Es lag auf der Seite, die kräftigen Sprungbeine nach hinten gestreckt. Blutverschmiert war sein Hals. Rücken und Leib waren unversehrt. Lange konnte es noch nicht her sein, dass sie es so traktiert hatten. Mir wurde bei dem Anblick mulmig.

„So ein Mist.“ Lenk griff sich unter den Cowboy-Hut und kratzte sich das bisschen Haar, das er darunter verbarg. „Ob es krank war und jetzt deine Herde angesteckt hat?“

„Das glaube ich nicht. Es wollte meiner Herde das Gras wegfressen. Dieses Mistvieh. Da hat es sich wohl im Zaun verheddert. War für das Rudel leichte Beute. Gut so!“, erklärte ihm sein Freund. „Jouw, also haben WIR jetzt leicht Beute gemacht“, rieb sich Nungen die Hände.

„Uah, bist du von allen guten Geistern verlassen? Du reibst dir sogar noch den Wanst!“ Zornig schlug ich ihm vor den Bauch und stieß ihn beiseite.

Das Tier lag da, unschuldig in seinem hellen Fell. Hätte man nur die Hinterläufe und den langen Schwanz gesehen, hätte man meinen können, es schliefe.

„Wieso?“, fragte Nungen, „was meinst du

eigentlich, wie wir unseren Festbraten nach Hause schaffen, wenn du mit deinem Dad zum Feiern kommst? So einfach kann es sein.“ Er lachte, sah jedoch die Missachtung in meinen