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Wer eine Sprache richtig gut lernen möchte, kommt um ihre Sprichwörter nicht herum. Das Buch enthält rund 1200 Sprichwörter, die sprachlich und sachlich erläutert wie auch zeitlich eingeordnet werden. Eine aufschlussreiche Einleitung führt in den Band ein, die abschließenden Literaturhinweise bieten Anknüpfungspunkte für eine noch intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema. Von »Absence makes the heart grow fonder« bis »Zeal without knowledge is the sister of folly«. • Redewendungen verstehen und anwenden lernen • Alphabetisch angeordnet für schnelles, gezieltes Nachschlagen • Mit Worterklärungen für ein besseres Grundverständnis der englischen Wendungen Niveau B1–C1 (GER)
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Seitenzahl: 151
Reclam premium Sprachtraining
Reclam
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 961956
Durchgesehene und aktualisierte Ausgabe 2021
1988, 2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2024
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-961956-9
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014628-6
www.reclam.de
Einleitung
A
B
C
D
E
F
G
H
I
J
K
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W
Y
Z
Editorische Notiz
Im Glossar verwendete Abkürzungen
Literaturhinweise
I. Bibliographien
II. Sprichwörter-Zeitschriften
III. Studien
IV. Internationale Sprichwörtersammlungen
V. Angloamerikanische Sprichwörtersammlungen
Wer eine Fremdsprache erlernt und diese vor allem auch volkssprachlich beherrschen will, der wird sich zweifelsohne mit den geläufigen Sprichwörtern auseinandersetzen müssen. In Bezug auf die angloamerikanische Sprache fällt dabei auf, dass Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten und natürlich die zahllosen Idiome eine beachtliche Rolle im mündlichen sowie schriftlichen Verkehr spielen. Ob man nun ein Gespräch in einem Wirtshaus führt, einen Spielfilm im Fernsehen anschaut, ein Werk von Geoffrey Chaucer (um 1340–1400), William Shakespeare (1564–1616), Charles Dickens (1812–70), James Joyce (1882–1941) oder Ernest Hemingway (1899–1961) liest, eine Reklameseite in einer Zeitschrift betrachtet oder ganz einfach die Tageszeitung überfliegt, überall stößt man auf sprichwörtliche Wendungen, deren Sinn gewöhnlich nicht sofort aus den Einzelwörtern zu erkennen ist. Es handelt sich gerade bei den Sprichwörtern um sprachliche Fertigwaren, die als Formeln in den Sprachverlauf integriert werden, um mit einer gewissen Autorität allgemeingültige Aussagen zu machen. Einheimische Sprachteilnehmerinnen und -teilnehmer verstehen die meist metaphorischen Texte und wissen ihre allgemeine Bildersprache den gegebenen Umständen entsprechend aufzuschlüsseln.
Natürlich kennen nicht alle Engländerinnen und Engländer, Amerikanerinnen und Amerikaner jedes englischsprachige Sprichwort, und manche veralteten Sprichwörter sind auch ihnen inzwischen unverständlich geworden. Doch es gibt ohne Zweifel ein gewisses ›sprichwörtliches Minimum‹ für jede Sprache, das allen Sprachteilnehmerinnen und -teilnehmern geläufig ist. Man könnte z. B. behaupten, dass es im Englischen wie auch im Deutschen, Französischen, Russischen usw. etwa rund dreihundert Sprichwörter gibt, die wirklich auch heute noch im Umlauf sind. Selbstverständlich enthält die vorliegende Auswahl angloamerikanischer Sprichwörter das englische sprichwörtliche Minimum (die besonders populären Sprichwörter sind im Glossar als solche gekennzeichnet). Da uns in dieser Auswahl jedoch mehr Platz zur Verfügung stand, sind wir über das englische Sprichwörterminimum hinausgegangen. Trotzdem sei hier betont, dass nur solche Sprichwörter aufgenommen wurden, die heute, wenn auch mit unterschiedlicher Frequenz, im mündlichen oder schriftlichen Sprachgebrauch auftreten.
Blättert man nun unsere Zusammenstellung durch, so fällt sofort auf (vgl. die Daten der Erstbelege hinter jedem Sprichworttext sowie die Erläuterungen im Glossar), dass manche Sprichwörter uralt sind, d. h. sie gehen auf die klassische Antike oder auf die Bibel zurück. Andere Texte wiederum stammen aus dem Mittelalter und vor allem aus der Zeit von Shakespeare. In ganz Europa waren ja das 16. Jahrhundert und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts das »goldene Zeitalter« der Sprichwörter. Doch auch in den folgenden Jahrhunderten kamen neue Sprichwörter auf. Mancher Erstbeleg lässt sich bei Charles Dickens oder Benjamin Franklin (1706–1790) auffinden, und das ›Erfinden‹ von Sprichwörtern hat bis zum heutigen Tage nicht aufgehört. Jede Zeit bringt neue Sprichwörter hervor, während ältere Sprichwörter, die den modernen Zuständen nicht mehr entsprechen, langsam aus dem Sprachgebrauch verschwinden. Wie Einzelwörter sind auch Sprichwörter keine leblosen Gebilde. Sie kommen und gehen, und doch gibt es selbstverständlich einen recht stabilen Grundstock von Sprichwörtern, wie es ja auch einen Grundwortschatz gibt.
Doch woher kommen die Sprichwörter im Allgemeinen, und was sind die Quellen für das englische Sprichwort im Besonderen? Jedes Sprichwort geht zurück auf ein Individuum, das einen Gedanken in besonders prägnanter und eingängiger Form zum ersten Mal ausdrückt. Dieser individuelle Ausspruch wird dann von anderen Sprachteilnehmerinnen und -teilnehmern rezipiert, wobei es zu Variantenbildungen kommen kann. Am Anfang ist das neue Sprichwort vielleicht erst in einer größeren Familie bekannt, doch dann hört man es möglicherweise im ganzen Dorf, in einer Stadt, einem Bezirk, einem Bundesland, einer Nation und schließlich sogar durch Lehnübersetzungen in benachbarten Ländern. Auf diese Weise sind viele klassische Sprichwörter in die heutigen Nationalsprachen Europas entlehnt worden. Man denke nur einmal an das lateinische Sprichwort »manus manum lavat«, das in vielen Sprachen genaue wörtliche Entsprechungen hat: »Eine Hand wäscht die andere«, »One hand washes the other« (vgl. Nr. 437 unserer Sammlung), »Une main lave l’autre« (frz.), »Una mano lava l’altra« (ital.), »Una mano lava a la otra« (span.), »Ruka ruku moet« (russ.) usw. Viele englische Sprichwörter gehen auf solche klassischen Sprichwörter zurück, die meistens ihre wortwörtlichen Entsprechungen im gesamteuropäischen Raum haben. Es handelt sich dabei um sehr populäre Sprichwörter, die natürlich auch für die Spracherlernerinnen und -erlerner relativ einfach sind, da sie dasselbe Vokabular und dieselbe Struktur aufweisen. So dürften im Deutschen gängige klassische Sprichwörter wie »Die Liebe ist blind« oder »Die Zeit fliegt« unschwer in ihren englischen Übertragungen »Love is blind« (Nr. 618) und »Time flies« (Nr. 1013) zu erkennen sein. Viele dieser Sprichwörter sind im Mittelalter durch die Mönchskultur bzw. durch Übersetzungsübungen an Klosterschulen in die Vulgärsprachen übersetzt worden. Eine große Vermittlungsrolle nehmen aber auch Erasmus von Rotterdams (um 1466–1536) Adagia (1500, 21515 [u. ö.]) ein, eine humanistische Sprichwörtersammlung, deren klassisches Sprichwortgut durch die vielen Übersetzungen in Europa bekannt wurde.
Dasselbe gilt natürlich auch für die zahlreichen international verbreiteten Bibelsprichwörter. Nehmen wir einmal nur das bekannte Sprichwort »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein« (Matthäus 4,4). Wieder haben wir Paralleltexte wie »Man does not live by bread alone« (Nr. 647), »L’homme ne vit pas de pain seulement« (frz.), »L’uomo ne vive di pan solo« (ital.), »El hombre no vivirá de solo pan« (span.), »Ne edinym khlebom zhiv chelovek« (russ.) usw. Auch diese Sprichwörter dürften Nichtmuttersprachlerinnen und -muttersprachlern kaum Schwierigkeiten machen, denn biblisches Sprichwortgut gehört wenigstens in Europa zur Allgemeinbildung.
Glück haben wir auch mit einer dritten Quelle für mehr oder weniger gesamteuropäische Sprichwörter. Hier handelt es sich um mittelalterliche lateinische Sprichwörter, die durch das religiöse sowie weltliche Schrifttum über Europa verbreitet wurden und dann in die aufblühenden Nationalsprachen übersetzt wurden. Als bekanntes Beispiel zitieren wir »vox populi, vox Dei«, das folgendermaßen lehnübersetzt wurde: »Volkes Stimme, Gottes Stimme«, »The voice of the people is the voice of God« (Nr. 1087), »La voix du peuple est la voix de Dieu« (frz.), »Voce di popolo voce di Dio« (ital.), »La voz del pueblo es la voz de Dios« (span.), »Glas naroda, glas bozhii« (russ.) usw. Übersetzungsschwierigkeiten können hier höchstens auftreten, wenn einem eine gewisse Vokabel nicht bekannt ist. Aber ansonsten dreht es sich um ideen-, wort- und strukturgleiche Sprichwörter, die alle auf derselben Quelle basieren.
Klassische Sprichwörter, Bibelsprichwörter sowie lateinische Sprichwörter des Mittelalters bilden also in ihren wortgetreuen Übersetzungen den Grundstock der Sprichwörterschätze der europäischen Sprachen. Im Englischen befinden sich viele der Erstbelege dieser Sprichwörter in den Werken von Geoffrey Chaucer, der aber auch Sprichwörter bringt, die auf englischem Grund und Boden entstanden sind. So finden wir z. B. Sprichwörter wie »A guilty conscience needs no accuser« (Nr. 180), »Haste makes waste« (Nr. 449) und »Everything has an end« (Nr. 298) als englische Erstbelege bei Chaucer. Später hat dann Shakespeare viele Sprichwörter, die vor ihm nicht zu belegen sind, wie etwa »Brevity is the soul of wit« (Nr. 102), »Care killed the cat« (Nr. 122) und »If two ride on a horse, one must ride behind« (Nr. 1061). Im amerikanischen Englisch war es Benjamin Franklin, der nicht nur englisches Sprichwortgut durch seinen von ihm während fünfundzwanzig Jahren herausgegebenen Poor Richard’s Almanack (1733–58) in Nordamerika verbreitete, sondern auch neue kurzgefasste Weisheiten formulierte, die dann zu geläufigen Sprichwörtern wurden. Als Beispiele seien genannt »Happy is the country which has no history« (Nr. 187), »Experience keeps a dear school« (Nr. 310) und »Half the truth is often a whole lie« (Nr. 1050).
Außer literarischen Werken, die von Literaturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, Volkskundlerinnen und Volkskundlern zur Genüge nach Sprichwörtern untersucht worden sind (vgl. die auf S. 142 zusammengestellten Bibliographien), spielen natürlich auch die vielen Sprichwörtersammlungen eine große Rolle in Bezug auf die Überlieferungsgeschichte von Sprichwörtern. Die englische Sprache ist besonders reich an Sprichwörtersammlungen, ja man könnte behaupten, dass die englische Parömiographie (vgl. die Bibliographie) vom Spätmittelalter bis zu neueren Sammlungen geradezu exemplarisch ist. Um die historisch und vergleichend angelegten wissenschaftlichen Sammlungen unseres Jahrhunderts von F. P. Wilson, Bartlett Jere Whiting und Archer Taylor kann man Engländer sowie Amerikaner beneiden. Doch auch die frühen Sammlungen sind gerade für Erstbelege von ungemeiner Bedeutung. In John Heywoods (um 1497 – um 1580) Dialogue conteinyng the nomber in effect of all the prouerbes in the englishe tongue (London 1546) z. B. finden wir zum ersten Mal Sprichwörter belegt wie »Beggars can’t be choosers« (Nr. 70), »Cut your coat according to your cloth« (Nr. 160) und »Gold may be bought too dear« (Nr. 422). In George Herberts (1593–1633) Sammlung Outlandish Proverbs (London 1640) entdecken wir die Erstbelege der Sprichwörter »A penny saved is a penny earned« (Nr. 772), »A place for everything, and everything in its place« (Nr. 787) und »Where there’s a will, there’s a way« (Nr. 1129). Als dritte ältere Sammlung erwähnen wir noch James Howells (um 1594–1666) vergleichende Sammlung Paroimiographia. Proverbs, or Old sayed sawes & adages in English, Italian, French, and Spanish, whereunto the British are added (London 1659), die u. a. Erstbelege für die folgenden Sprichwörter enthält: »It is no use crying over spilt milk« (Nr. 203), »There is reason in the roasting of eggs« (Nr. 845) und »All work and no play makes Jack a dull boy« (Nr. 1167).
Für die neueren Sprichwörter des 19. und 20. Jahrhunderts liegen gerade mit Bezug auf das amerikanische Englisch sehr gute wissenschaftliche Sammlungen von Archer Taylor und Bartlett Jere Whiting vor (vgl. unsere Bibliographie). Auch John Simpson hat in seinem The Concise Oxford Dictionary of Proverbs (Oxford 1982) etliche moderne Sprichwörter aufgenommen. Erwähnt seien als Beispiele »Garbage in, garbage out« (Nr. 395), »If anything can go wrong, it will« (Nr. 1180), »Life begins at forty« (Nr. 590) und »It takes two to tango« (Nr. 976), die verdeutlichen, dass Sprichwörter auch durch Schlager, Reklamen, Buchtitel und überhaupt durch die Massenmedien hervorgebracht werden können. Die schnelle und allgemeine Verbreitung solcher Neuformulierungen macht deutlich, welche Macht die Massenmedien in Bezug auf die formelhafte Sprache haben. Oft werden solche Sprichwörter dann auch fast gleichzeitig in europäische Sprachen lehnübersetzt. Man denke nur an die bekannten deutschen Übersetzungen der Sprichwörter »A woman without a man is like a fish without a bicycle« (Nr. 1152) und »One picture is worth a thousand words« (Nr. 780), die im Deutschen als »Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad« und »Ein Bild ist tausend Worte wert« kursieren.
An dieser Stelle taucht nun die berechtigte Frage auf, was denn eigentlich ein Sprichwort ausmacht? Man möchte meinen, dass nichts einfacher wäre als ein Sprichwort zu definieren. Beschäftigt man sich dann mit der umfangreichen wissenschaftlichen Sprichwortliteratur (vgl. unsere Bibliographie), so wird sehr schnell deutlich, dass es Dutzende von Sprichwörterdefinitionen von Aristoteles (384–322 v. Chr.) bis zu den modernen Parömiologinnen und Parömiologen (Sprichwortforscherinnen und -forschern) gibt, dass aber scheinbar bisher immer noch nicht eine zufriedenstellende Definition formuliert werden konnte. Es ist hier nicht der Ort, all diese Definitionen zu diskutieren. Wir begnügen uns damit, folgende Arbeitsdefinition aufzustellen: Sprichwörter sind allgemein bekannte, fest geprägte Sätze, die eine Lebensregel oder Weisheit in prägnanter, kurzer Form ausdrücken und die für einen gewissen Zeitraum im mündlichen und schriftlichen Verkehr im Umlauf waren oder sind. Es gehören also ein gewisses Alter und eine relative Volksläufigkeit zum Sprichwort, die man unter dem Begriff der »Traditionalität« (engl. traditionality) zusammenfassen könnte. Und hier liegt das eigentliche Problem aller Sprichwortdefinitionen. Während wir die Struktur, den Stil, die Form usw. der Sprichwörter detailliert beschreiben können, kann die Traditionalität einer Aussage nicht allein mithilfe des vorliegenden Textes erkannt werden. Es gehört immer eine Erforschung der Überlieferungsgeschichte und Popularität eines Textes dazu, um die sprichwörtliche Traditionalität zu belegen. Eine Definition kann also durchaus das Wort »Traditionalität« enthalten, doch ist dabei der isolierte Text allein nicht maßgebend. Dieses Problem wird sofort deutlich, wenn wir Sprichwörter einer fremden Kultur betrachten. Wenn ein Engländer einen Satz mit vielen strukturellen und stilistischen Merkmalen der Sprichwörter auf ein Stück Papier schreiben würde, wären manche, deren Muttersprache nicht Englisch ist, nicht in der Lage zu entscheiden, ob es sich nun um ein Sprichwort handelt oder nicht. Es fehlt ihnen einfach der sprachkulturelle Hintergrund, der Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern das Alter sowie die Volksläufigkeit eines wirklichen Sprichwortes spürbar bzw. erkennbar macht.
Das Problem der Sprichwörtlichkeit wird noch dadurch vergrößert, dass wir nur von einem relativen Alter und einer unbestimmbaren Geläufigkeit sprechen können. Niemand kann beantworten, wie lange eine Aussage im Umlauf und wie verbreitet sie sein muss, um als Sprichwort qualifiziert werden zu können. Gerade heute kann ein Werbespruch durch die Massenmedien sehr schnell populär und bekannt werden. Aber wie lange muss dieser Spruch dann im Umlauf gewesen sein, um als Sprichwort zu gelten? Eine Woche ist gewiss zu kurz, aber ist ein Jahr lang genug? Wer entscheidet, ob der Schlagertitel »It takes two to tango« aus dem Jahre 1952 ein Sprichwort oder ein Zitat ist? Hier zeigt sich deutlich, wie kompliziert es gerade für Nichtmuttersprachler sein muss, besonders die neueren Sprichwörter einer Fremdsprache zu erkennen. Wir sehen aber auch daran, dass zuweilen neue Sprichwörtersammlungen erstellt werden müssen, um auch moderne Sprichwörter zu registrieren. Heutzutage kommen uns dabei demoskopische Forschungsmethoden zur Hilfe, und es wäre überhaupt an der Zeit, viel mehr Feldforschung zum heute gebräuchlichen Sprichwortgut zu veranstalten. Für viele Sprichwörter aus älteren Kulturstufen ist die Zeit der Volksläufigkeit längst vorüber, und sie existieren als ehemals gängige Sprichwörter nur noch als »tote« Überbleibsel in der älteren Literatur und in den historischen Sprichwörtersammlungen. Die neuen zu Sprichwörtern gewordenen Aussagen oder Zitate aus der Literatur, der Werbung, der Graffiti-Szene, der Musik usw. aber fehlen meist noch in den Sammlungen. Hier liegt viel Forschungsarbeit vor uns, und wir haben wenigstens versucht, einige der neueren Sprichwörter aufzunehmen, die bisher in noch keiner Sammlung vertreten sind. Als Beispiel sei hier nur das um 1950 in den Südstaaten Amerikas aufgekommene Sprichwort »Different strokes for different folks« (Nr. 959; dt. etwa »Jedem das Seine«) angeführt, das dann 1971 durch den Schlager »Everyday People« der Gruppe »Sly and the Family Stone« in ganz Amerika populär wurde. Inzwischen ist diese Formulierung eines der bekanntesten und gängigsten Sprichwörter in den Vereinigten Staaten, und selbstverständlich hat es auch bereits Eingang in den Sprachverkehr Großbritanniens und sicherlich auch anderer englischsprachiger Länder gefunden.
Zum Glück ist die Traditionalität nur ein Aspekt, der ein Sprichwort als solches kennzeichnet. Es gibt darüber hinaus noch eine Menge anderer Merkmale, die eine Aussage als sprichwörtlich erscheinen lassen. Da wäre einmal die Kürze von Sprichwörtern, wie z. B. »First come, first served« (Nr. 168), »Hunger breaks stone walls« (Nr. 510) und »Easier said than done« (Nr. 882). Im Durchschnitt enthalten Sprichwörter etwa vier bis sieben Wörter, aber es gibt natürlich auch hier wieder Ausnahmen. Die kürzesten Sprichwörter haben zwei Wörter, sozusagen ein Thema und einen Kommentar, wie etwa »Time flies« (Nr. 1013). Doch dann gibt es auch sehr populäre Sprichwörter, die bedeutend länger sind, wie z. B. »Early to bed and early to rise, makes a man healthy, wealthy, and wise« (Nr. 67). Trotzdem können wir allgemein sagen, dass Sprichwörter sich durch ihre Kürze auszeichnen, was natürlich auch ihre Erinnerung und Wiederholbarkeit ermöglicht. Es ist auch interessant zu bemerken, dass selbst relativ kurze Sprichwörter wie »The early bird catches the worm« (Nr. 82) oft gar nicht komplett zitiert werden. Solche Texte sind so bekannt, dass lediglich darauf angespielt wird, wie etwa in »You know ›the early bird‹« oder »Don’t forget about ›the early bird‹«. Auch deshalb sollte im Fremdsprachenunterricht unbedingt wenigstens das sprichwörtliche Minimum der Zielsprache unterrichtet und erlernt werden. Sprichwörter sowie deren verkürzte Anspielungen werden laufend verwendet, und erst eine Kenntnis der gebräuchlichsten Sprichwörter macht eine problemlose Verständigung in der Fremdsprache möglich.
Natürlich gibt es auch noch zahlreiche poetische und stilistische Merkmale, die die Sprichwörtlichkeit einer Aussage begünstigen. Wir geben im Folgenden einige Beispiele für die wichtigsten dieser Aspekte: Alliteration: »Many a little makes a mickle« (Nr. 601), »Live and let live« (Nr. 604), »Money makes the mare to go« (Nr. 702); Reim: »Man proposes, God disposes« (Nr. 649), »No pains, no gains« (Nr. 762), »Seeing is believing« (Nr. 898); Parallelismus: »Easy come, easy go« (Nr. 167), »A penny saved is a penny earned« (Nr. 772), »Waste not, want not« (Nr. 1097); Ellipse: »Once bitten, twice shy« (Nr. 86), »Out of sight, out of mind« (Nr. 913), »Nothing ventured, nothing gained« (Nr. 1074). Erwähnt werden soll auch, dass es gewisse fundamentale Sprichwortstrukturen gibt, auf die Dutzende von Sprichwörtern aufbauen. Da wären z. B. »Where there is X, there is Y«, »No X without Y«, »Like X, like Y«, »One X does not make a Y« usw. Solche Strukturformeln helfen uns selbstverständlich, Texte wie »Where there is smoke there is fire« (Nr. 932), »No smoke without fire« (Nr. 931), »Like father, like son« (Nr. 333) und »One swallow does not make a summer« (Nr. 969) als Sprichwörter zu erkennen. Das sind alles wichtige Merkmale, und doch gibt es Sprichwörter wie »A liar ought to have a good memory« (Nr. 588) oder »There is nothing new under the sun« (Nr. 967), die keines davon aufweisen. Trotzdem können wir feststellen, dass mit steigender Anzahl sprichwörtlicher Merkmale in einer Formulierung sich auch ihre Chance erhöht, zum Sprichwort zu werden. Das ist natürlich auch der Grund dafür, warum das relativ neue amerikanische Sprichwort »Different strokes for different folks« (Nr. 959) so schnell bekannt geworden ist. Es hat Reim, Wiederholung, Parallelismus, Ellipse und Kürze, und außerdem enthält es natürlich auch ein Körnchen Weisheit.
Außer solchen ›äußeren‹ stilistischen und strukturellen Merkmalen gibt es auch noch inhaltlich interessante Besonderheiten wie Personifikation, Hyperbel, Paradoxon, Metapher usw. Durch das Stilmittel der Personifikation zeichnen sich solche bekannten Sprichwörter wie »Misery loves company« (Nr. 686), »Hunger is the best sauce« (Nr. 512) und »Love laughs at locksmiths« (Nr. 619) aus. Als Beispiel für eine Hyperbel sei das Bibelsprichwort »It is easier for a camel to go through a needle’s eye, than for a rich man to enter into the kingdom of God« (Nr. 728) zitiert, und für das Paradoxon verweisen wir auf »The nearer the church, the farther from God« (Nr. 151). Was die Metaphorik von Sprichwörtern betrifft, so sei erwähnt, dass es Forscherinnen und Forscher gibt, die eigentlich nur bildhafte Sprichwörter als echt anerkennen wollen. In der Tat ist die Mehrzahl der Sprichwörter metaphorisch; man denke nur an Texte wie »A stitch in time saves nine« (Nr. 951), »New brooms sweep clean« (Nr. 106), »Never look a gift horse in the mouth« (Nr. 402), »The pitcher goes so often to the well that it is broken at last« (Nr. 784) usw. Aber es gibt dennoch auch zahlreiche gängige Sprichwörter wie »Honesty is the best policy« (Nr. 487) oder »A woman’s work is never done« (Nr. 1166), die keine Metaphern enthalten. Doch zweifelsohne ist es gerade die Bildlichkeit der Sprichwörter, die sie im Sprachgebrauch als besonders effektiv auftreten lässt.
Natürlich ermöglichen es uns vor allem die metaphorischen Sprichwörter, indirekte oder figurative Aussagen zu machen, statt alles direkt und ohne Umschweife auszudrücken. Indem wir eine realistische Situation in ein metaphorisches Sprichwort ›übersetzen‹, können wir ein spezifisches Problem verallgemeinern und es als ziemlich normales Lebensphänomen hinstellen. Statt ein Kind wegen seiner Ungeduld auszuschimpfen, dürfte es vielleicht genügen, das Sprichwort »A watched pot never boils« (Nr. 797) anzuwenden. Das Sprichwort »Money is the root of all evil« (Nr. 698) passt genau, um einen geldgierigen Menschen zu beschreiben, der bei einer Bank Geld unterschlagen hat. Und wir können natürlich auch ein Sprichwort wie »Strike while the iron is hot« (Nr. 532) benutzen, um jemandem Mut zuzusprechen, der eine große Entscheidung treffen muss. Sprichwörter sind demnach vorgeformte Strategien, um mit mehr oder weniger typischen und sich oft wiederholenden Situationen fertig zu werden. Erst indem