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Nach einem schmerzhaften Verrat gelobt der unsterbliche Hüter der Nacht Hamish MacGregor, sich nie wieder mit einer menschlichen Frau einzulassen. Als er jedoch damit beauftragt wird, die Stadträtin Tessa Wallace vor den Dämonen der Angst zu beschützen, verwandelt sein unersättliches Verlangen nach ihr diese Routine-Mission bald in die größte Herausforderung seines Lebens. Gefangen zwischen tödlicher Gefahr und unsterblicher Leidenschaft müssen Tessa und Hamish zusammenarbeiten, um ihre Feinde zu besiegen und wieder Frieden in eine Stadt in Aufruhr zu bringen, und dabei feststellen, dass die Liebe das gefährlichste aller Abenteuer sein kann. Für Scanguards Fans: Wesley, der Hexer von Scanguards, taucht in diesem Buch auf! Lara Adrian, New York Times Bestseller Autorin der Midnight Breed Serie: "Bereiten Sie sich auf eine wilde Fahrt vor! Die Hüter der Nacht sind die Einzigen, die zwischen der Menschheit und der Dämonen stehen, die versuchen, die Welt zu beherrschen. Für rasante paranormale Liebesromane, bei denen viel auf dem Spiel steht, sollten Sie unbedingt Tina Folsom zu Ihrer Pflichtlektüre hinzufügen!" Über die Serie Die unsterblichen Hüter der Nacht können sich unsichtbar machen und schützen die Menschen seit Jahrhunderten vor der dunklen Macht der Dämonen der Angst. Die Hüter leben in Komplexen, die für Menschen und Dämonen gleichermaßen unsichtbar sind, aber die Gefahr ist nie weit entfernt. Nur die Hüter der Nacht stehen zwischen der Menschheit und den bösen Plänen der Dämonen, die Menschheit zu unterwerfen. Während sie die Menschen vor den Dämonen und ihrem bösen Anführer Zoltan, dem Großmächtigen, beschützen, müssen die Hüter ihr eigenes Leben riskieren, um ihre Mission zu erfüllen, ohne dass die Menschen herausfinden, wer sie sind. Doch nicht alles läuft nach Plan. Und selbst unsterbliche Hüter können sich verlieben. Hüter der Nacht Band 1 – Geliebter Unsichtbarer Band 2 – Entfesselter Bodyguard Band 3 – Vertrauter Hexer Band 4 – Verbotener Beschützer Band 5 – Verlockender Unsterblicher Band 6 – Übersinnlicher Retter Band 7 – Unwiderstehlicher Dämon Scanguards Vampire Band 1 - Samsons Sterbliche Geliebte Band 2 - Amaurys Hitzköpfige Rebellin Band 3 - Gabriels Gefährtin Band 4 - Yvettes Verzauberung Band 5 - Zanes Erlösung Band 6 - Quinns Unendliche Liebe Band 7 – Olivers Versuchung Band 8 – Thomas' Entscheidung Band 8 1/2 – Ewiger Biss Band 9 – Cains Geheimnis Band 10 – Luthers Rückkehr Band11 – Blakes Versprechen Band 11 1/2 – Schicksalhafter Bund Band 12 – Johns Sehnsucht Novelle – Brennender Wunsch Band 13 – Ryders Rhapsodie (Scanguards Hybriden - Band 1) Band 14 - Damians Eroberung (Scanguards Hybriden - Band 2) Band 15 - Graysons Herausforderung (Scanguards Hybriden - Band 3) Codename Stargate Band 1 - Ace – Auf der Flucht Band 2 - Fox – Unter Feinden Band 3 - Yankee – Untergetaucht Band 4 – Tiger – Auf der Lauer Der Clan der Vampire Der Clan der Vampire (Venedig 1 – 2) Der Clan der Vampire (Venedig 3 – 4) Der Clan der Vampire (Venedig 5) Jenseits des Olymps Band 1 - Ein Grieche für alle Fälle Band 2 - Ein Grieche zum Heiraten Band 3 - Ein Grieche im 7. Himmel Band 4 – Ein Grieche für Immer Die Hüter der Nacht Serie hat alles: Liebe auf den ersten Blick, von Feinden zum Liebespaar, Alpha-Helden, Leibwächter, Brüderschaft, Jungfrau in Not, Frau in Gefahr, verborgene Identität, Unsichtbarkeit, Seelenverwandte, gequälter Held , Altersunterschied, zweite Liebeschance, trauernder Geliebter, Rückkehr von Totgeglaubten, heimliches Baby, Entführungen, von Freundschaft zu Liebschaft, heimlicher Verehrer, unerwiderte Liebe, verbotene Liebe, Partner bei der Verbrechensbekämpfung.
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HÜTER DER NACHT – BAND 2
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
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Über die Autorin
Nach einem schmerzhaften Verrat gelobt der unsterbliche Hüter der Nacht Hamish MacGregor, sich nie wieder mit einer menschlichen Frau einzulassen. Als er jedoch damit beauftragt wird, die Stadträtin Tessa Wallace vor den Dämonen der Angst zu beschützen, verwandelt sein unersättliches Verlangen nach ihr diese Routine-Mission bald in die größte Herausforderung seines Lebens.
Gefangen zwischen tödlicher Gefahr und unsterblicher Leidenschaft müssen Tessa und Hamish zusammenarbeiten, um ihre Feinde zu besiegen und wieder Frieden in eine Stadt in Aufruhr zu bringen, und dabei feststellen, dass die Liebe das gefährlichste aller Abenteuer sein kann.
* * *
Copyright © 2016 Tina Folsom
Stadträtin Tessa Wallace stand auf dem weißen Umschlag. Keine Adresse. Keine Briefmarke. Doch als sie ihn aufriss und die Nachricht darin las, fing Tessa an zu zittern. Ihr Atem stockte und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Kalter Schweiß begann sich in ihrem Nacken zu sammeln.
Verlassen Sie das Rennen, solange Sie noch können. Oder wollen Sie enden wie der letzte Bürgermeister?
Die Nachricht war nicht unterzeichnet. Doch die Drohung war eindeutig. Jemandem gefiel die Tatsache nicht, dass sie für das höchste Amt der Stadt Baltimore kandidierte – ein Amt, das seit Bürgermeister John Yardleys Tod vor zwei Monaten unbesetzt war.
Einen Augenblick lang schloss sie die Augen und ließ ein zitterndes Seufzen über ihre Lippen entkommen. Sie hatte schon immer gewusst, dass Politik ein dreckiges und gefährliches Geschäft war. Der einzige Grund, warum sie nach dem verfrühten Tod des Bürgermeisters kandidierte, war, weil sie glaubte, dass der stellvertretende Bürgermeister Robert Gunn nicht der richtige Mann für den Job war. Seine aufhetzende Redensart verschlimmerte die Unruhen, die gegenwärtig in der Stadt tobten, nur noch mehr. Was diese Stadt brauchte, war ein Friedensstifter, kein ambitionierter Politiker, der keine Skrupel hatte, Verfügungen zu erlassen, die die Rechte von Minderheiten einschränkten. Er ging sogar so weit, Polizeigewalt gegen Schwarze und Latinos zu unterstützen, während weiße Kriminelle einen Freischein bekamen. Berichte über rassistisch motivierte Falschfestnahmen und illegale Eigentumsaneignungen häuften sich und Gunn sah nichts Falsches daran.
Doch trotz der Tatsache, dass Gunn eine schreckliche Wahl als Bürgermeister war, dachte sie nicht, dass er etwas so Gewagtes tun würde, wie Tessa zu bedrohen. Andererseits würde sie es jedoch seinen vielen Anhängern zutrauen, dass sie versuchten, sie einzuschüchtern, damit er ohne Gegenkandidat zur Wahl stand.
Ein kurzes Klopfen an der Tür erschreckte sie mehr, als es sollte. Bevor sie antworten konnte, wurde die Tür auch schon aufgerissen und Poppy Connor, ihre Wahlkampfmanagerin, stürmte herein. Die füllige Frau, die mehr Energie hatte als das Duracell-Häschen, hielt ein Blatt Papier hoch und grinste triumphierend.
„Frisch aus der Druckpresse! Die letzten Umfrageergebnisse.“
Poppy stolperte fast über ihre eigenen Füße, als sie zum Schreibtisch eilte und das Blatt vor Tessa platzierte.
Automatisch schaute Tessa darauf, doch sie bekam keine Gelegenheit, die Zahlen zu lesen, da Poppy bereits ankündigte: „Du liegst fünf Prozentpunkte vorne. Das verdient einen Toast.“ Aufregung sprühte aus ihrer Stimme und färbte ihr Gesicht. Als bräuchte Poppy einen Grund zum Trinken. Sie war schon immer ein Party-Girl gewesen.
Tessa zwang sich zu lächeln. „Das liegt immer noch innerhalb der Fehlertoleranz.“
Poppy schnalzte mit der Zunge. „Das hast du aber nicht gesagt, als Gunn vor zwei Wochen noch fünf Prozentpunkte vor dir lag.“ Sie deutete erneut auf das Blatt Papier. „Komm, sieh es dir doch an! Das ist ein gewaltiger Umschwung in nur zwei Wochen. Ich glaube, unsere Herangehensweise funktioniert. Du sprichst die Leute an. Sie sehen etwas in dir.“
Tessa zuckte mit den Schultern. Sie konnte sich nicht über die guten Neuigkeiten freuen, da sie immer noch an die Drohung denken musste. „Ja, vermutlich.“
Ihre Wahlkampfmanagerin warf ihr einen fragenden Blick zu. „Vermutlich? Was ist los? Ich dachte, dass du vor Freude über die Nachricht auf dem Tisch herumspringen würdest. Ist das nicht, was du wolltest. Willst du überhaupt gewinnen?“
Tessa hob die Augen. „Das tue ich. Die Einwohner von Baltimore verdienen etwas Besseres als Gunn. Aber ...“
„Aber was? Sag mir nicht, dass du nicht den Mumm dazu hast. Ich weiß, dass Leute dich wegen deiner Jugend und Unerfahrenheit angegriffen haben, aber davon darfst du dich nicht unterkriegen lassen.“
„Das tue ich auch nicht.“ Sie zögerte und überlegte, ob sie Poppy von der Drohung erzählen sollte. Dann atmete sie ein paar Mal durch. Vielleicht war es das Beste, die Sache einfach zu ignorieren. Jemand wollte also nicht, dass sie Bürgermeisterin wurde. Nicht wirklich überraschend.
Tessa setzte ein Lächeln auf. „Ich bin nur etwas erschöpft.“ Sie nahm das Blatt Papier in die Hand und studierte die Umfragewerte genauer. „Diese Zahlen sehen wirklich gut aus.“
Poppy beugte sich näher zu ihr und blickte über ihre Schulter. „Und sieh dir die Werte der Latinos und der schwarzen Wähler an.“
„Bei denen liege ich weit vorne.“
„In dieser demografischen Gruppe machst du ihn fertig!“, bestätigte Poppy.
„Aber wir müssen die Gewerkschaften auf unsere Seite bringen. Hast du die Rede –“
„Was ist das?“ Poppys Hand schoss an Tessas Schulter vorbei und zeigte auf den Zettel, der offen auf dem Schreibtisch lag, jetzt wo Tessa das Blatt mit den Umfragewerten in die Hand genommen hatte.
„Das ist nichts.“ Tessa versuchte, sich den Brief zu schnappen, bevor Poppy ihn nehmen konnte. Zu spät.
Poppy trat zurück und studierte die Nachricht, dann hielt sie sie hoch. „Nichts? Das ist eine Todesdrohung! Gott, Tessa, wann hast du die bekommen?“
„Sie lag auf meinem Tisch, als ich aus der Stadtratsversammlung zurückkam. Wahrscheinlich war es nur irgendein Verrückter.“ Sie nahm Poppy die Nachricht aus der Hand. „Ich nehme sie nicht ernst.“ Obwohl die drohenden Worte sie anfänglich in Angst versetzt hatten, würde sie das Poppy gegenüber nicht zugeben. Je weniger sie daraus machte, umso besser. „Wenn ich jede dumme Drohung ernst nehmen würde, würde ich nie meine Arbeit erledigen können.“
Poppy erstarrte. „Was sagst du da?“
„Ich sagte, dass ich das nicht ernst nehme.“
Poppy schüttelte den Kopf und packte Tessas Schultern, wobei sie sie fast aus dem Stuhl zog. „Sieh mich an.“ Poppy brachte ihr Gesicht näher. „Willst du damit sagen, dass das nicht die erste Drohung ist, die du bekommen hast?“
Tessas Atem stockte. Sie war noch nie sehr gut darin gewesen, etwas zu verheimlichen – oder zu lügen. Vielleicht hätte sie keine Politikerin werden sollen. Ihr Vater hatte ihr schon immer gesagt, dass sie zu ehrlich für diesen Beruf wäre. Zu gut, was auch immer das bedeutete.
Poppys Augen weiteten sich. „Oh mein Gott! Du hast bereits andere solcher Drohungen bekommen, oder?“
„Ich würde sie nicht Drohungen nennen“, sagte Tessa in dem Versuch, Poppys Besorgnis zu dämpfen.
„Wie würdest du sie dann nennen?“
Tessa zuckte mit den Schultern. Darauf hatte sie keine Antwort. Stattdessen zog sie die oberste Schublade ihres Schreibtisches auf. Darin lagen noch mehr Briefe, alle möglicherweise vom selben Absender, obwohl die vorherigen Nachrichten eher Vorschläge als Drohungen waren.
Poppy nahm einige der Briefe aus der Schublade. „Oh Scheiße, Tessa!“
Tessa beobachtete Poppy schweigend, während diese die Nachrichten überflog.
„Wann hast du die erste bekommen?“
„Vor ein paar Wochen, nachdem ich angekündigt hatte, dass ich für das Bürgermeisteramt kandidiere.“
Poppy zeigte auf die Briefe. „Die nehme ich mit.“
„Was willst du mit ihnen machen?“
„Sie jemandem zeigen, der dir helfen kann.“
Tessa sprang auf. „Ich kann mir selbst helfen!“
Poppy stemmte ihre Hände in die Hüften. „Nein, kannst du nicht. Nicht, wenn es um so etwas Ernstes wie das hier geht. Du brauchst einen Profi.“
„Einen Profi?“
„Ja, jemanden, der dich beschützen kann, denn als deine Wahlkampfmanagerin bin ich nicht nur dafür zuständig, dass du Stimmen bekommst, ich bin auch für deine Sicherheit verantwortlich.“ Sie zeigte auf die neueste Nachricht. „Ich werde nicht untätig herumstehen, während dich jemand offensichtlich lieber tot sehen will. Was wäre ich für eine Freundin, wenn ich das täte?“
„Du kannst mich dabei nicht einfach übergehen!“, protestierte Tessa. „Ich bin nicht in Gefahr. Das ist nur ein verärgerter Wähler, der lieber Gunn als Bürgermeister sehen würde.“
„Wie viele verärgerte Wähler kennst du, die Todesdrohungen schicken?“ Poppy blickte sie ernst an. „Du bekommst Schutz und damit basta!“
Jetzt schäumte Tessa. „Wenn du das tust, feuere ich dich!“
„Tu, was du nicht lassen kannst, aber wenn du keinen Schutz annimmst, werde ich diese Briefe deinem Vater zeigen. Wollen wir doch mal sehen, was er dazu zu sagen hat.“
Tessa fiel die Kinnlade herunter. Wenn ihr Vater Grund hatte anzunehmen, dass sie in Gefahr schwebte, würde er höchstpersönlich ins Rathaus marschieren und sie in Sicherheitsverwahrung stecken lassen. Er hatte schon immer sehr auf sie aufgepasst, auch wenn er nicht immer in der Lage gewesen war, sie zu beschützen. Ein einziges Mal nur hatte er versagt und das hatte ihn noch überfürsorglicher gemacht. Doch Tessa hatte nicht die Absicht, ihm wegen dieser Sache Sorgen zu bereiten. Er hatte genug am Hals.
„Das würdest du nicht wagen!“
„Oh, das würde ich, im Nu!“ Poppy verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Du hast die Wahl.“
Tessa presste die Lippen zusammen, denn sie wusste, dass sie diese Runde verloren hatte. „Ich hätte dich nie einstellen sollen. Freundschaft und Geschäft passen definitiv nicht zusammen.“
Poppy lächelte süß. „Schatz, mich einzustellen, war das Beste, was du je getan hast.“
Hamish trat aus dem Portal, das ihn von seinem eigenen Komplex in einen brachte, der Tausende von Meilen entfernt war. Die Reise hatte nur Sekunden gedauert. Das Portalsystem war das Haupttransportmittel der Hüter der Nacht und befähigte sie, in Krisenzeiten schnell handeln zu können. Doch es war gleichzeitig ihre Achillesferse: Sollte ein Dämon je eines ihrer Portale betreten, hätte er zu jeder ihrer Festungen Zutritt und könnte sie von innen heraus vernichten.
Cinead, ein Mitglied des Rats der Neun, ihrer Regierung, wartete bereits auf ihn.
„Du bist schnell gekommen“, sagte der ältere Politiker mit dem ausgeprägten schottischen Akzent.
„Du hast es wichtig klingen lassen.“
„Das ist es auch.“ Er zeigte zum Gang. „Komm mit.“
Als sie durch das Labyrinth aus Korridoren wanderten, warf Hamish seinem Mentor einen Seitenblick zu. In dunkler Hose und einem hellen Polohemd machte er eine beeindruckende Figur. Als er noch jünger war, war Cinead ein furchtloser Krieger gewesen, doch dann hatte er sich entschieden, sein Leben der Führung seiner Rasse als Mitglied des Rats der Neun zu widmen. Heute sah er müde und ernst aus.
„Was beunruhigt dich?“, fühlte sich Hamish verpflichtet zu fragen.
Cinead lächelte, doch es wirkte gezwungen. „Vieles.“ Er zeigte auf eine Tür, ging hindurch und verschwand direkt vor Hamishs Augen.
Hamish folgte ihm und erlaubte seinem Körper zu desintegrieren, damit er das massive Holz durchdringen und sich dahinter wieder materialisieren konnte, eine Fähigkeit, über die nur seine Rasse verfügte.
Auf diese Weise betrat er eine große Bibliothek mit einem bequemen Sitzbereich und Bücherregalen, so hoch das Auge sehen konnte. Cinead trat zum Kamin und berührte den Rahmen eines kleinen Bildes. Hamish hatte das Gemälde schon oft gesehen: ein Säugling auf einem Bärenfell. Der dunkelhaarige Junge lag splitterfasernackt auf dem Bauch. Ein Muttermal in Form einer Axt zierte eine Pobacke.
„Er wäre jetzt in deinem Alter, wenn er noch leben würde“, sagte Cinead in die Stille hinein. Ein unheimliches Echo begleitete seine Worte, als antworteten die Geister der Toten.
Hamish schluckte schwer und ihm wurde plötzlich die Bedeutung des heutigen Datums bewusst. „Wie lange ist es her?“
„Es sind auf den Tag genau zweihundert Jahre“, sagte Cinead und drehte sich zu ihm, „seit die Dämonen ihn getötet haben. Er war nur ein winziges Kind, hatte noch Windeln getragen.“ Er ging zur Couch, setzte sich und gab Hamish ein Zeichen, es ihm gleichzutun.
Hamish kam der Bitte nach.
„Ich glaube, ich werde auf meine alten Tage noch sentimental.“
Nicht, dass Cinead alt aussah; ihre Rasse alterte nicht schnell. Selbst im Alter von fast fünfhundert Jahren wirkte Cinead nicht älter als ein Mann Ende Vierzig. Seine Augen spiegelten jedoch die Weisheit und Erfahrung seines langen Lebens und den Schmerz und das Elend wider, das er durchlebt hatte.
„Ist das der Grund, warum du mich sehen wolltest? Um in Erinnerungen zu schwelgen?“ Wenn dem so wäre, hätte Hamish es ihm nicht verübelt. Cinead war wie ein zweiter Vater für ihn gewesen, nachdem Angus, Cineads einziges Kind, von ihren Erzfeinden, den Dämonen der Angst, getötet worden war.
Der ältere Hüter der Nacht schüttelte den Kopf. „Obwohl du mich an ihn erinnerst, oder eher daran, wie ich ihn mir in deinem Alter vorgestellt hätte, wenn sie ihn mir nicht genommen hätten. Trotzdem habe ich dich nicht gerufen, um mit dir über alte Zeiten zu sprechen.“ Er lächelte. „Ich bin auf alles, was du als Hüter erreicht hast, stolz, Hamish.“
Etwas beschämt von dem offenen und unerwarteten Lob, sagte Hamish: „Nur dank deiner Führung.“
„Du bist zu bescheiden. Noch eine deiner vielen positiven Eigenschaften, genau wie deine Einschätzungsgabe. Du hättest ein hervorragendes Mitglied des Rats der Neun abgegeben und –“
„Ich habe dir meine Gründe genannt, warum ich den Sitz im Rat abgelehnt habe, und ich dachte, dass du es verstan–“
„Ich habe es verstanden.“ Cinead hob seine Hand in einer beruhigenden Geste. „Keine Sorge. Du bist nicht hier, damit ich dich zu etwas überreden kann, was du offensichtlich nicht willst. Die beiden freien Positionen im Rat werden ohnehin gerade besetzt. Ich bin sogar froh, dass du ein Krieger geblieben bist. Draußen im Feld bist du für uns sowieso wertvoller. Besonders jetzt.“
Sofort in Alarmbereitschaft spürte Hamish, wie sich seine Wirbelsäule versteifte. „Was brauchst du?“
Cinead lächelte sanft. „Stets der eifrige Soldat. Das ist gut. Dies ist eine delikate Angelegenheit, eine, die einen Mann deines Urteilsvermögens und deiner Erfahrung bedarf. Einen Mann, der nicht zulässt, dass Gefühle seiner Pflicht im Wege stehen.“
Hamish zog eine Augenbraue hoch, unterbrach ihn jedoch nicht. Gefühle? Er hatte schon lange keine Gefühle mehr. Gefühle hatten ihn einst fast getötet; damals hatte er eine dicke Kette um sein Herz gelegt, eine, die er nie wieder entfernen wollte. Er war den anderen Hütern der Nacht gegenüber so loyal wie immer, besonders den Männern und Frauen seines Komplexes, und behandelte jeden Außenstehenden – besonders jene, die er zu beschützen beauftragt wurde – mit kühler Distanz und angemessenem Misstrauen. Vertrauen war etwas, das er dieser Tage nicht leicht vergab, denn der falschen Person zu vertrauen, könnte sein Ende bedeuten, oder das seiner Brüder und Schwestern.
„... Unruhen und Aufstände. Wir dürfen nicht zulassen, dass das so weitergeht. Verstehst du?“
Plötzlich wurde Hamish klar, dass Cinead angefangen hatte zu reden und er den halben Vortrag verpasst hatte.
„Ja, Sir.“ Er nickte schnell und blickte Cinead erwartungsvoll an, damit dieser weitersprach.
„Das passiert alles direkt vor deiner Haustür. Wir wussten, dass es nach dem unerwarteten Tod von Bürgermeister Yardley Probleme geben würde, jedoch konnten wir nicht vorhersehen, wie schlimm es werden würde.“
Hamish fing an zu verstehen, wovon Cinead sprach: von Baltimore, der Stadt, die er sein Zuhause nannte. Er rutschte in seinem Sessel nach vorne, während echtes Interesse in ihm aufkeimte. Obwohl er überall hingehen würde, wohin der Rat ihn schickte, zog er doch Missionen in der Nähe seiner Heimat vor, denn er war der Meinung – so wie jedes Football-Team – dass ihm das einen Heimvorteil gab. Und während der letzten zwei Monate war hier alles aus dem Ruder gelaufen: Die Verbrechensrate war in die Höhe geschossen, Demonstrationen waren brutaler geworden und Aufstände waren ausgebrochen.
„Vermutest du, dass Dämonen hinter den gegenwärtigen Unruhen stecken?“
Schließlich machte es Sinn. Die Dämonen der Angst nährten sich an Unruhen, Hass und Furcht. Das machte sie stärker. Sie nutzten jede Gelegenheit, Gewalt anzuzetteln, damit sie sich an der daraus resultierenden Angst laben konnten. Damit sie stärker würden und eines Tages hervortreten und über die Menschheit herrschen konnten. Und das Einzige, was zwischen den Menschen und ihrem Schicksal stand, waren die Hüter der Nacht, die es sich zu ihrer Mission gemacht hatten, die Pläne der Dämonen zu vereiteln.
Cinead tippte mit den Fingern gegen seine Lippen. „Ich bin mir nicht sicher. Aber was ich weiß ist, dass es eine Person gibt, die dem Ganzen ein Ende setzen und wieder Frieden in die Stadt bringen kann. Wir setzen große Hoffnung auf sie.“
„Sie?“
Cinead nickte. „Stadträtin Tessa Wallace. Sie versteht, in welcher Misere sich die Minderbemittelten der Stadt befinden. Die Menschen vertrauen ihr. Sie kandidiert für das Amt des Bürgermeisters.“
Hamish nickte. „Ich habe ein paar Nachrichtensendungen gesehen. Sie ist auf jeden Fall eine bessere Wahl als Gunn.“ Dann zuckte er mit den Schultern. „Und ich glaube, die Wähler wissen das auch. Da gibt es nichts für uns zu tun.“
„Im Gegenteil.“
Hamish zog eine Augenbraue hoch.
„Einer unserer Emissarii hat uns mitgeteilt, dass die Stadträtin Morddrohungen erhalten hat.“
„Von den Dämonen?“
„Wir sind uns nicht sicher. Auf jeden Fall wird es den Dämonen in die Hände spielen, wenn sie aus dem Rennen ausscheidet. Das dürfen wir nicht zulassen. In den zwei Monaten, seit Gunn nun als agierender Bürgermeister fungiert, hat er bereits zu viel Ärger verursacht und er scheint nicht die Absicht zu haben, seine Wähler zu beschwichtigen. Im Gegenteil: Seine Reden und seine Taten schüren nur weitere Gewalttaten und Proteste. Er entzweit die Stadt. Die Rassenbeziehungen sitzen auf einem Pulverfass, das jeden Moment explodieren könnte. Wir fürchten das Schlimmste, sollte er die Wahl gewinnen. Sollte jedoch ...“
„Sollte jedoch die Stadträtin gewinnen, glaubst du, dass sie die Lage in der Stadt wenden kann?“
„Mit deiner Hilfe, ja.“ Er beugte sich nach vorne. „Deshalb habe ich dich hergebeten.“
„Du willst, dass ich sie beschütze und sicherstelle, dass wer auch immer die Morddrohungen geschickt hat, sie nicht ausführen kann“, vermutete Hamish. „Nichts einfacher als das.“ Es wäre genau wie jeder andere Auftrag, den er in der Vergangenheit bekommen hatte. Was allerdings die Frage aufwarf, warum Cinead sich die Mühe gemacht hatte, ihn um ein persönliches Treffen zu bitten, wo er ihm doch den Auftrag auch auf üblichem Wege hätte zukommen lassen können.
„Ja, doch das ist nicht alles. Ich will auch, dass du sicherstellst, dass sie auf dem richtigen Pfad bleibt. Ich will, dass du ihr im Angesicht der Opposition, gegen die sie ankämpfen muss, Stärke verleihst.“
Hamishs Augenbrauen zogen sich zusammen. „Und wie soll ich das tun, wenn sie nicht einmal weiß, dass ich sie beschütze?“
Cinead lächelte und einen Augenblick lang glaubte Hamish einen winzigen Funken Verschmitztheit in den Augen des anderen Mannes zu sehen. „Das ist der Punkt, in dem sich dieser Auftrag von all deinen früheren Missionen unterscheidet. Sie wird wissen, dass du ihr Beschützer bist.“
Hamish sprang auf. „Willst du sagen, dass sie wissen wird, dass ich ein Hüter der Nacht bin?“
Cinead lachte. „Natürlich nicht. Soweit gehen wir nicht. Sie wird glauben, dass du ein menschlicher Bodyguard bist, der von einem wohlhabenden Anhänger engagiert wurde, um sicherzustellen, dass ihr nichts passiert. Aber das ist nicht alles. Die Leute um sie herum dürfen nicht wissen, wer du bist. Ihnen wirst du als ihr Freund vorgestellt. Dadurch hast du überall uneingeschränkt Zugang –“
„Moment mal!“ Hamish fuhr sich mit der Hand durch sein dunkles Haar. „Bei allem Respekt, das kommt nicht in Frage. Ich bin nicht der Richtige für so einen Auftrag.“
„Im Gegenteil, du bist genau der Richtige für diesen Auftrag.“
„Hast du vergessen, was mir widerfuhr?“ Denn er hatte das nicht. Wie könnte er den Betrug einer Frau, die er geliebt hatte, je vergessen? Einen Betrug, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Und jetzt erwartete sein Vorgesetzter, dass er vorgab, eine menschliche Frau zu lieben?
Cineads Stimme war ruhig und väterlich, als er fortfuhr. „Nein, ich habe nicht vergessen, was du durchgemacht hast. Und das ist genau der Grund, warum du der perfekte Kandidat bist. Du hast den Betrug gekostet. Und du hast seine Anzeichen gesehen. Du bist besser vorbereitet als jeder andere. Wäre es dir wirklich lieber, wenn ich die Mission an Manus vergebe? Oder Logan? Sie sind gute Hüter, versteh mich nicht falsch. Aber sie könnten der Verlockung einer Frau wie Tessa Wallace nicht widerstehen. Nicht, wenn sie vorgeben müssten, mit ihr zusammen zu sein.“
„Verlockung?“ Wovon zum Teufel sprach Cinead? Er hatte Fotos von der Stadträtin gesehen und obwohl sie sehr attraktiv, sogar schön war, verstand er nicht, worin die Gefahr lag. Sicher, Manus hatte den Ruf eines Frauenhelden, doch Hamish bezweifelte, dass Cinead das wusste. Ihr Komplex war eine verschworene Gruppe. Sie plauderten keine Geheimnisse aus.
„Es ist nicht ihre Schönheit, die Männer einfängt, obwohl sie durch diese angezogen werden. Es ist ihre Seele.“
Hamish zog eine Augenbraue hoch. „Ihre Seele?“
„Sie ist durch und durch gut. Alles, was sie tut, ist für das Wohl anderer. Sie hat keine einzige böse Faser in ihrem Körper und hegt nicht den geringsten bösen Gedanken.“
„Woher willst du das wissen?“
„Unser Emissarius beobachtet sie schon seit vielen Jahren. Ich vertraue ihm und seinem Urteilsvermögen. Genauso wie ich deinem vertraue.“ Cinead erhob sich langsam und trat auf Hamish zu. „Ich weiß, dass dein Herz brach, als du die Frau verloren hast, die du liebtest, und ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen, mein Sohn, aber das kann ich nicht. Doch vielleicht wird dir dieses gebrochene Herz helfen, diese Mission ohne emotionale Beteiligung auszuführen. Das kann ich bei Logan und Manus nicht sagen. Beide würden Emotionen in diese Mission miteinbringen und unser Ziel aufs Spiel setzen. Sie muss Bürgermeisterin werden. Baltimore braucht sie. Nichts und niemand darf sie vom rechten Weg abbringen.“
Hamish senkte seine Augenlider und seufzte. Er hatte nicht die Absicht, sich je wieder zu verlieben. Das war mit zu viel Gefahr verbunden. Aber das bedeutete nicht, dass ihm dieser Auftrag gefiel. Die ganzen Umstände waren unorthodox. Zu viele Dinge konnten schiefgehen. Die Hüter der Nacht agierten im Hintergrund. Ihnen waren Fähigkeiten gegeben worden, die sicherstellten, dass sie nie gesehen werden würden: die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen – etwas, das sie auf ihre Schützlinge ausweiten konnten, entweder durch Geisteskraft oder durch Berührung, wobei das letztere weniger Energie kostete. Sie hatten auch die Fähigkeit, durch Wände zu gehen, damit für sie kein Ort je unerreichbar war. Diese Fähigkeit konnten sie jedoch nicht auf ihre Schützlinge ausweiten.
Und jetzt wollte Cinead, dass er in der Öffentlichkeit agierte? Sichtbar für jeden?
„Und die Dämonen?“
„Was ist mit ihnen?“
„Sie werden erkennen, was ich bin, sobald sie mich mit ihr sehen.“ Sie würden seine Aura als die eines Hüters der Nacht erkennen, etwas, das nur andere paranormale Geschöpfe konnten. Menschen hatten diese Fähigkeit nicht.
„Ich weiß. Doch wir haben keine Wahl. Außerdem müssen wir aufgrund der Gerüchte über den neuen Dämonenherrscher annehmen, dass sie nun andere Taktiken anwenden. Zoltan ist innovativer als sein Vorgänger. Er wird so oder so herausfinden, dass wir sie beschützen. Er ist zu clever, um zu glauben, dass wir jemanden, der so wertvoll wie Tessa Wallace ist, ungeschützt lassen.“
Resigniert blickte Hamish Cinead direkt an. „Wen soll ich als Sekundant wählen?“
„Enya. Aber ich will, dass sie im Verborgenen bleibt. Miss Wallace soll nichts von ihr wissen. Nur für den Fall, dass wir ein Ass im Ärmel brauchen.“
Zumindest konnte Hamish diesem Befehl zustimmen. „Nun gut.“
Enya, die einzige Frau in seinem Komplex, würde als Backup fungieren, wenn Hamish nicht bei seinem Schützling sein konnte. Eine weise Wahl, denn trotz ihres kratzbürstigen Wesens war Enya eine gute Kriegerin und würde als Frau gegenüber dem Charme von Miss Wallace immun sein.
Genauso wie er dagegen immun sein würde.
„Anton Faldo?“ Tessa starrte Poppy mit offenem Mund an und blickte den Korridor im zweiten Obergeschoss des Rathauses, wo sich die Büros der Stadträte befanden, hinunter. Da sie wusste, dass dies nicht der richtige Ort war, um so ein heikles Thema zu besprechen, zeigte sie in Richtung ihres Büros, wobei sie zähneknirschend murmelte: „Bist du verrückt?“
„Er hat die richtigen Verbindungen“, sagte Poppy und folgte ihr ins Vorzimmer, wo mehrere Assistenten der Stadträte damit beschäftigt waren, sich um die Besucher und die Telefone zu kümmern.
Tessa eilte an Collette, ihrer Sekretärin, vorbei, drückte die Tür zu ihrem Büro auf und stürmte hinein. „Und was für Verbindungen!“, zischte sie, als Poppy das Büro betrat. „Faldo ist ein Gauner. Gegen ihn wurde schon mehrere Male ermittelt.“
„Er ist noch nie verurteilt worden“, warf Poppy ein.
Tessa schnaubte. „Nur weil er sich die besten Anwälte leisten kann, die für Geld zu haben sind. Und er schmiert wahrscheinlich jeden, der ihm im Weg steht. Der Mann bedeutet nichts als Ärger.“
„Er unterstützt deine Kampagne und –“
„Was?“
Poppy zog eine Grimasse. „Siehst du dir denn die Spendenberichte nicht an, die ich dir jeden Tag vorlege? Er ist einer deiner größten Spender.“
Tessa warf ihre Hände in die Luft. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Wenn das bekannt wurde, würde es ihre Karriere ruinieren.
„Ich dachte, du wüsstest das.“
Tessa ließ sich in ihren Stuhl fallen und stützte den Kopf auf ihre Hände. „Ich kann sein Geld nicht annehmen.“
„Du musst viel mehr als nur sein Geld nehmen. Du brauchst seine Hilfe.“
Tessa hob die Augen, um ihre Wahlkampfmanagerin anzusehen. Sie waren zusammen aufs College gegangen und sie hatte gedacht, dass sie Poppy in- und auswendig kannte. Hatten sie nicht immer dieselben Wertvorstellungen und dieselben hohen moralischen Standards geteilt? Was war mit ihrer Freundin geschehen? Hatte sie sich verkauft?
„Wie kannst du nur erwarten, dass ich von so einem Kriminellen Hilfe annehme? Er wird im Gegenzug dafür etwas wollen. Falls ich Bürgermeisterin werde, wird er Gefälligkeiten einfordern. Ich werde meine Integrität nicht an irgendeinen Gauner verkaufen!“
Poppy beugte sich über den Tisch. „Du musst pragmatisch sein. Faldos Spenden gehen über eine seiner Firmen. Niemand wird eins und eins zusammenzählen. Und bezüglich irgendwelcher Gefälligkeiten: Faldo versicherte mir, dass seine Hilfe an keinerlei Bedingungen geknüpft ist.“
„Und das glaubst du ihm?“ Denn Tessa tat das nicht. Schließlich war nichts umsonst. Besonders nicht in der Politik, wo alles seinen Preis hatte und jeder käuflich war.
Aber Poppy fuhr fort: „Außerdem, glaubst du wirklich, dass Gunn noch nie Spenden von pikanten Quellen angenommen hat?“
„Mir ist egal, was Gunn tut. Ich bin nicht wie er.“
Poppy seufzte. „Das weiß ich doch. Aber ich glaube nicht, dass du den Ernst deiner Situation erkennst. Jemand will dich umbringen und ich werde verdammt nochmal Faldos Angebot, dir einen Bodyguard zu stellen, nicht ausschlagen.“
„Einen Bodyguard? Du meinst einen seiner Gorillas?“
„Ich bin noch nie zuvor Gorilla genannt worden“, erklang eine tiefe Stimme von der Tür.
Erschrocken sprang Tessa auf und blickte an Poppy vorbei. Ein großer Mann lehnte lässig am Türrahmen. Er war etwa Mitte dreißig, hatte dichtes, dunkelbraunes Haar und einen Dreitagebart an seinem kantigen Kinn. Seine Augen waren dunkel – schokobraun, wenn sie sie beschreiben müsste. Seine Cargohose und sein sportliches Shirt umrissen seine muskulöse Figur und ließen ihn aussehen, als wäre er bereit für einen Kampf. Sie ließ ihre Augen über ihn schweifen und war nicht in der Lage wegzusehen. Noch nie hatte sie einen Mann mit so einer Präsenz gesehen. Er strotzte vor Selbstvertrauen. Es bestand kein Zweifel, dass seine bloße physische Nähe jeden einschüchtern konnte. Sein Foto könnte allerdings genauso gut im Lexikon neben dem Begriff Mädchenschwarm auftauchen.
Poppy wirbelte herum. „Sie müssen Mr. MacGregor sein. Mr. Faldo hat uns schon mitgeteilt, dass wir mit Ihnen rechnen können.“
„Ich hatte geklopft, aber niemand hat mich gehört.“ Der Mann schloss vorsichtig die Tür, ging Poppy entgegen und schüttelte ihr die Hand, wobei sein Blick an ihr vorbei zu Tessa wanderte. „Hamish MacGregor, zu Ihren Diensten. Aber niemand nennt mich Mr. MacGregor. Sagen Sie einfach Hamish.“
Erst jetzt konnte Tessa den leichten schottischen Akzent hören. Er verursachte ihr ein angenehmes Kribbeln und ließ ihren Puls schneller schlagen.
Poppy gab ein leises Lachen von sich, eines, das Tessa nur zu gut kannte: Es zeigte sich immer, wenn Poppy jemanden attraktiv fand. Und wer würde Hamish MacGregor nicht attraktiv finden? Doch Tessa würde sich von einem hübschen Gesicht und einem durchtrainierten Körper nicht von ihrer Überzeugung abbringen lassen, keine Hilfe von einem Kriminellen anzunehmen.
„Mr. Mac–“
„Und Sie müssen Miss Wallace sein“, unterbrach Hamish und trat um den Tisch herum, um ihr die Hand entgegenzustrecken.
Da sie nicht unhöflich sein wollte, fühlte sie sich verpflichtet, diese zu schütteln. „Ja. Aber wie ich bereits meiner Wahlkampfmanagerin gesagt habe, brauche ich keinen Bodyguard.“
Hamish zog einen seiner Mundwinkel nach oben. „Nach allem, was ich mitgehört habe, klang es eher so, als würden Sie nicht von einem von Mr. Faldos Gorillas beschützt werden wollen.“
Sie versteifte sich. Wie viel von ihrer Unterhaltung mit Poppy hatte er mitbekommen? „Nun, da wir so offen reden: Ich kann nicht mit Mr. Faldos ... ähm ... Geschäften in Verbindung gebracht werden.“
Er blickte sie jetzt musternd von oben bis unten an. „Ich bin kein Angestellter von Mr. Faldo, wenn Sie das beunruhigt.“
„Vielleicht nicht auf regelmäßiger Basis, aber er bezahlt Sie“, protestierte sie. Und das bedeutete, dass sie Faldo immer noch auf die eine oder andere Weise verpflichtet sein würde.
Hamish zog eine Augenbraue hoch. „Ich glaube, hier herrscht ein kleines Missverständnis. Mr. Faldo hat meine Dienste nur vermittelt. Er bezahlt mich nicht.“
Ihr Blick schwenkte zu Poppy, die sofort nickte. „Ich dachte, ich habe dir gesagt, dass ich die Gewerkschaft der Lebensmittelbranche angesprochen und dazu gebracht habe, die Ausgaben zu tragen.“
Beschämt stammelte Tessa: „Oh. Warum hast du das nicht ... ich ... ähm ...“
„Vermutlich habe ich’s vergessen. Ich habe zu viele Sachen am Hals“, antwortete Poppy und schaute auf die Uhr. „Apropos Sachen, ich habe ein Meeting mit einem Reporter. Muss los.“ Sie marschierte zur Tür. „War schön, Sie kennenzulernen, Hamish.“
„Poppy ... Das bedeutet nicht, dass ich das annehmen ...“ Aber Poppy war bereits verschwunden und hatte sie mit dem gut aussehenden Fremden alleine gelassen.
Die Sache würde nie funktionieren. Sie konnte diesen Mann nicht als ihren Bodyguard annehmen. Wie sollte sie mit ihm in ihrer Nähe ihre Arbeit erledigen? Außerdem, sollten Bodyguards nicht mit dem Hintergrund verschmelzen? Nie im Leben würde Hamish MacGregor einen Raum betreten können, ohne bemerkt zu werden. Im Gegenteil, alle Augen würden auf ihn gerichtet sein.
Sie räusperte sich. „Es tut mir leid, Mr. MacGregor –“
„Hamish“, korrigierte er sie sofort mit einem leise polternden Geräusch in seiner Stimme, das sie aus dem Konzept warf.
„Hamish, ich glaube nicht, dass das funktionieren wird.“
* * *
Was hatte Cinead gesagt?Durch und durch gut? Unwahrscheinlich! Tessa Wallace war streitsüchtig, stur und geradezu für die Sünde geschaffen. Die Art von Sünde, die einen zum Schwitzen und Keuchen brachte. Die Art von Sünde, der er abgeschworen hatte. Was hatte sich Cinead gedacht, als er ihm diese kampfbereite, kribbelige Schönheit mit dem langen dunkelbraunen Haar und diesen wunderschönen lavendelfarbigen Augen zugeteilt hatte?
„Sie werden sich nicht an mein Umfeld anpassen können“, sagte sie jetzt.
Hamish runzelte die Stirn. „Anpassen?“
„Alle werden sich fragen, wer Sie sind und ich will nicht, dass jemand weiß, dass ich einen Bodyguard habe. Es ist schon schlimm genug, dass ich einen brauche.“
Er zuckte mit den Schultern. „Deshalb werden Sie allen erzählen, dass ich Ihr Freund bin.“
Panik blitzte in ihren Augen auf. „Wie bitte?“
„Wir haben besprochen, dass es das Beste wäre, wenn ich mich als Ihr Freund ausgebe, um Fragen zu vermeiden. Das wird weniger Verdacht erwecken.“
Sie schluckte sichtlich. „Wir?“
„Mein Vorgesetzter und ich. Wir wissen, was wir tun.“ Obwohl Hamish Cineads Befehl nicht zustimmte. Aber die Tatsache, dass sein Schützling sich gegen diese Vorstellung wehrte, ließ ihn unfreiwillig die Vorteile solch eines Arrangements erkennen.
Tessa schüttelte den Kopf. „Das wird uns niemand abkaufen.“
„Dann müssen wir es eben glaubhaft aussehen lassen.“ Bei dem Gedanken daran, was das beinhalten könnte, spürte er, wie Adrenalin durch seine Adern schoss. Sofort schob er die Bilder aus seinen Gedanken. Er würde nicht den gleichen Fehler machen wie sein bester Freund Aiden, der sich in seinen Schützling Leila verliebt hatte. Obwohl sich in Aidens Fall alles zum Besten gewendet hatte, wusste Hamish aus eigener Erfahrung, dass nicht jeder so viel Glück hatte.
Hamish räusperte sich. „Gehen wir die Details durch.“
„Details?“, krächzte Tessa und starrte ihn an wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Offensichtlich gefiel ihr die Idee eines Pseudo-Freundes ebenso wenig wie ihm. Nicht dass sie beide in dieser Angelegenheit eine Wahl hatten. Sie würde sich ebenso wie er damit abfinden müssen.
„Ja, je eher wir die Einzelheiten besprechen, umso glatter wird alles laufen.“
„Mr. MacGregor –“
„Hamish! Tessa, wir werden uns duzen müssen, sonst kauft uns niemand ab, dass ich dein Freund bin.“
Er bemerkte, wie sie nervös ihre Hand an ihrem engen Rock rieb, der ihre schlanke Taille und ihre langen Beine akzentuierte. „Hamish, ich bin wirklich nicht sicher, wie das funktionieren soll. Ich kenne Sie nicht und Sie kennen mich nicht. Es gibt Hunderte von Gelegenheiten, bei denen wir ins Stolpern geraten können.“
„Das haben wir natürlich bedacht.“ Oder eher hatte das Cinead. „Deshalb wird es das Beste sein, wenn alle denken, dass wir erst seit Kurzem zusammen sind. Wie wäre es mit ein paar Wochen? So müssen wir nicht viel übereinander wissen.“
„Das stimmt schon“, räumte sie ein, „aber sollen Sie mich nicht die ganze Zeit beschützen?“
„Ja. Und?“
Sie seufzte, als wäre sie verärgert darüber, dass er nicht sofort wusste, worauf sie sich bezog. „Ich würde einen Mann nicht so häufig sehen, wenn ich ihn gerade erst kennengelernt habe. Das ist nicht realistisch.“
„Ist es schon, wenn es dich wirklich erwischt hat.“
„Aber –“
Er trat näher, sodass sie nur noch ein halber Meter trennte. „Warst du noch nie völlig in einen Mann verliebt, obwohl du ihn gerade erst kennengelernt hast?“ Ein Flackern in ihren Augen bedeutete ihm, dass sie diese Erfahrung schon einmal gemacht hatte. „Gut, dann musst du dich nur daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, und dich dementsprechend verhalten. Und ich mache es genauso und tue so, als würde ich es nicht aushalten, von dir getrennt zu sein. Solange die Leute sehen, dass wir uns wie ein Pärchen verhalten, das die Finger nicht voneinander lassen kann, werden sie nicht hinterfragen, warum ich dir nicht von der Seite weiche.“
Das war zumindest der Plan. Ein Plan, bei dem so viele Dinge schiefgehen konnten. Eine harmlose Berührung konnte zu mehr führen. Ein gespielter Kuss könnte ein Feuer entfachen, das nur schwer wieder zu löschen wäre. Es war besser, diesen Weg nicht einzuschlagen.
„Sobald die Bedrohung vorbei ist, werden wir ganz öffentlich Schluss machen und alles wird wieder so sein wie zuvor.“ Es würde keine emotionale Beteiligung geben und die körperliche Intimität, die sie in der Gegenwart anderer zeigen müssten, wäre nur Schauspielerei.
„Und wie wollen wir wissen, wann die Bedrohung vorüber ist?“
Er hatte nicht erwartet, dass sie diese Frage stellte, und er hatte keine vorgefertigte Antwort darauf. Zumindest keine Antwort, die er ihr geben konnte. Er und die anderen Hüter der Nacht würden beurteilen, ob die Bedrohung, die über ihr schwebte, verschwunden war, sobald ihrem unbekannten Feind klar wurde, dass sie kein leichtes Ziel war.
„Lass das mein Problem sein. Du konzentrierst dich einfach auf die Wahl. Ich brauche noch eine Kopie deines Terminplans für die kommende Woche, inklusive aller geschäftlichen und privaten Treffen. Ich muss sicherstellen, dass an den Veranstaltungsorten keine Gefahr besteht, und Nachforschungen über alle Anwesenden anstellen, bevor ich deine Teilnahme an den Veranstaltungen zulassen kann.“
„Zulassen?“ Sie sah ihn finster an. „Das kann nicht Ihr Ernst sein.“
Er neigte den Kopf zur Seite. „Sehe ich aus, als würde ich scherzen?“
„Nein, Sie sehen aus, als würden Sie gleich gefeuert werden“, knurrte Tessa mit den Händen an den Hüften und den Augen voller Gift. „Ich entscheide, an welchen Veranstaltungen ich teilnehme, nicht Sie!“
„Falsch.“
„Sie sind Ihrer Pflichten entbunden, Mr. MacGregor!“
„Das kannst du nicht machen.“
„Kann ich und werde ich. Ich werde mich nicht mit einem chauvinistischen Arsch abgeben, der denkt, er kann mich herumkommandieren.“
Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Wäre es dir lieber, dass dein Vater herausfindet, in welcher Gefahr du steckst? Soll er deine Freiheit beschneiden?“
Ihr Mund öffnete sich. „Woher zum Teu–“
„Whoa, so ein schöner Mund soll nicht fluchen.“ Und sie hatte einen schönen Mund, auch wenn Hamish gegenwärtig nicht schätzte, welch trotzige Worte dieser versprühte. „Ich habe mich informiert. Und etwas, das du noch weniger magst, als einen Bodyguard zu haben, ist, dass dein Vater herausfindet, dass du in Gefahr bist.“
Tessa atmete genervt aus. „Sie haben unrecht. Ich würde mich lieber mit meinem Vater anlegen, als vorzugeben, dass Sie mein Freund sind.“
Er lächelte sie verkrampft an. „Und ich dachte, dass du eine brave Tochter wärst, die das Herzleiden ihres Vaters nicht verschlimmern möchte.“
Bei ihrem Bluff ertappt, blickte sie ihn finster an. Mehrere Sekunden lang schien ein innerer Kampf in ihr zu wüten. Ihre Brust hob sich, ihre Hände ballten sich zu Fäusten und ihre Schultern versteiften sich. Stille breitete sich zwischen ihnen aus.
Dann gab sie ihm schließlich ihre Antwort. „Ich kann den Tag kaum erwarten, an dem wir uns trennen.“
„Das beruht auf Gegenseitigkeit.“ Hamish machte kehrt und ging zur Tür. „Ich finde selbst hinaus. Ich lasse mir deinen Terminplan von deiner Wahlkampfmanagerin geben.“
Denn bestimmt gab es Veranstaltungen, zu denen Tessa ihn nicht mitnehmen wollte und Poppy würde ihm zumindest diese nicht verheimlichen.
„Ich komme wieder, wenn du bereit bist, das Rathaus zu verlassen.“ Dann fügte er hinzu: „Und gewöhne dich daran, mich zu duzen.“
Hamish stürmte in die Herrentoilette – die glücklicherweise leer war –, rannte in eine der drei Kabinen und schlug die Tür so fest hinter sich zu, dass das ganze Bauwerk wackelte.
„Was war das denn?“
Er wirbelte herum und stand plötzlich Enya gegenüber, die sich direkt vor ihm materialisierte.
„Was war was?“, knurrte er. Einen Augenblick lang hatte er vergessen, dass Enya ihn zu dem ersten Treffen mit seinem Schützling begleitet hatte – auch wenn sie die ganze Zeit unsichtbar geblieben war, so wie Cinead es gewünscht hatte.
Bei ihrem Anblick – schwarze Shorts, ein ziemlich enges rotes Top sowie lange blonde Haare, die zu einem um ihren Kopf gelegten Zopf geflochten waren – hätte ein flüchtiger Beobachter nie erraten, was für eine ausgezeichnete Kämpferin sie war – furchtlos und tödlich. Sowohl mit ihren Händen als auch mit ihrer scharfen Zunge.
Enya verschränkte die Arme vor der Brust und warf ihm einen Verarsch-mich-nicht-Blick zu. „Interessante Herangehensweise, die du bei unserem neuen Schützling zeigst, Kumpel. Ich hoffe, das funktioniert.“
„Du bist mir unterstellt, also hinterfrage meine Autorität nicht.“ Als Sentinel, der leitende Hüter bei einem Auftrag, gab er die Befehle. Enya war nur sein Backup.
„Das würde mir nicht im Traum einfallen“, antwortete sie. Aber ihre Tonlage schimpfte ihre Worte Lügen und er hatte nicht die Absicht, sein Handeln zu rechtfertigen.
Wie hatte sich Cinead bei der Zuweisung des Auftrags mit Tessa Wallace nur so irren können? Der Emissarius, der behauptet hatte, sie wäre durch und durch gut, sollte sich den Kopf untersuchen lassen. Tessa war alles andere als das. Sie war streitlustig und stur. „Die Frau bedeutet nur Ärger.“
„Weil sie dir nicht zu Füßen gefallen ist und zu allem Ja, Sir! gesagt hat?“ Enya legte ihren Finger in einer spöttischen Denkerpose an ihre Lippen. „Hm. Macht Sinn.“
„Was ist dein verdammtes Problem?“
Enya zuckte mit den Schultern. „Ich habe kein Problem. Denn ich lasse mich nicht von meinen Emotionen übermannen.“
„Ich ebenso wenig!“ Doch Tessas Trotzhaltung seinem Vorschlag gegenüber hatte ihn verärgert. Nur auf rein professionelle Weise natürlich.
„Mein Fehler.“
Und jetzt ging ihm Enya richtig auf die Nerven, weil sie die Situation übertrieb und aus einer Mücke einen Elefanten machte. „Entschuldige dich nicht, wenn du es nicht ernst meinst.“
„Du verstehst es wirklich nicht, oder?“, fragte sie kopfschüttelnd und mit etwas sanfterem Blick.
„Was soll ich nicht verstehen?“
Sie deutete mit dem Daumen über ihre Schulter. „Eine Frau, die für das Amt des Bürgermeisters kandidiert, lässt sich nicht einfach so überrumpeln. Sie dazu zu bringen, gewissen Regeln zu folgen, damit du sie beschützen kannst, bedarf Fingerspitzengefühl. Und ich dachte, dass gerade du jede Menge davon hättest.“
„Es ist mir wohl gerade eben ausgegangen.“
Bei diesen Worten kicherte sie, ein liebliches Geräusch, das ihn daran erinnerte, warum er sie immer als jüngere Schwester gesehen und auch so behandelt hatte, obwohl sie gleichaltrig waren.
„Dann solltest du deinen Vorrat besser wieder auffüllen, denn du brauchst ihre Kooperation, wenn dieses ganze Falscher-Freund-Szenario funktionieren soll. Ich kann nur gewisse Sachen aus dem Schatten heraus machen.“
Er hob die Hand und stoppte sie. Er kannte seine Pflichten. „Ich brauche niemanden, der mir sagt, was ich tun muss. Womit wir nun bei deinen Pflichten wären.“ Es war das Beste, wenn er jetzt von sich ablenkte. Enya hatte für heute Morgen schon genug Staub aufgewirbelt.
„Keine Sorge, ich weiß, was ich zu tun habe“, sagte sie fast gelangweilt. „Ich bleibe im Büro und beobachte die Besucher und Mitarbeiter, die ein- und ausgehen. Und ich werde ihr nicht von der Seite weichen, bis du kommst und übernimmst.“
„Wenn sie irgendwelche Termine vereinbart oder Veranstaltungen zustimmt, die sie nicht in ihren Kalender schreibt oder ihrer Wahlkampfmanagerin mitteilt, muss ich davon erfahren.“
„Verstanden. Aber glaubst du wirklich, sie würde versuchen, sich an dir vorbeizuschleichen?“
„Ihr gefiel die Idee, dass ich sie zu jeder Veranstaltung begleite, nicht besonders.“
Enya verdrehte die Augen. „Sie ist nicht dumm. Sie weiß, dass sie in deiner Nähe bleiben muss, wenn sie sicher sein will. Sie muss sich nur an den Gedanken gewöhnen. Sie scheint mir eine unabhängige Frau zu sein, die es nicht gewohnt ist, um Erlaubnis zu bitten. Versetz dich nur einen Augenblick in ihre Lage. Würde es dir gefallen, wenn irgendein Fremder plötzlich auftaucht und dir sagt, dass du dies oder das nicht tun darfst, und er dir all deine Entscheidungen abnimmt? Antwort: Nein, das würde dir ganz und gar nicht gefallen.“
Er knurrte, wusste jedoch, dass Enya recht hatte.
„Warum machst du es ihr dann nicht etwas einfacher?“
„Wie denn?“
„Provoziere sie nicht. Sonst sträubt sie sich nur wie eine eingesperrte Löwin.“
Enyas letzte Worte weckten in ihm die Vorstellung, wie Tessa in einem verführerischen Outfit auf ihn zustürmte, ihn aufs Bett warf und bestieg ...
Verdammt!
Er fuhr sich mit zitternder Hand durchs Haar. Solche Fantasien hatte er schon lange Zeit nicht mehr gehabt. Nicht seit seiner unglückseligen Fast-Vereinigung mit Olivia – einer Frau, die von den Dämonen manipuliert worden war, um an ihn heranzukommen. Und er war darauf hereingefallen; er war ihr verfallen. Sehr sogar. Doch es war alles eine Lüge gewesen. Eine Lüge, die ihn fast getötet hätte. War es da überraschend, dass er eine Frau, die in ihm diese Gefühle weckte, anmotzte, um zu versuchen, sie davonzujagen, bevor er den gleichen Fehler nochmals beging? Bevor seine Emotionen wieder im Spiel waren und diese seinen Verstand vernebelten?
„... und vielleicht eine Schachtel Pralinen. Das wirkt immer Wunder. Jede Frau mag das“, sagte Enya.
„Was?“ Wie lange hatte er sich ausgeblendet?
„Warum zum Teufel mache ich mir überhaupt die Mühe, dir Ratschläge zu geben, wenn du gar nicht zuhörst?“
„Ich habe zugehört“, log er.
Sie sah ihm direkt in die Augen. „Was habe ich gesagt?“
„Dass ich ihr Pralinen schenken soll.“
„Und?“ Sie presste ihre Lippen fest zusammen.
Er suchte nach einer Antwort. „Was Nettes zu ihr sagen.“
Sichtlich überrascht zog Enya eine Augenbraue hoch. „Du hörst also doch gelegentlich zu.“
Glückstreffer. Schließlich war er nicht von gestern. Er war mit genügend Frauen zusammen gewesen, um zu wissen, wie man eine Frau beruhigte: ihr Komplimente machen, sie mit Geschenken überhäufen. Wie kompliziert konnte das schon sein?
„Trag nur nicht zu dick auf. Frauen können riechen, wenn ein Mann es nicht ehrlich meint.“
„Enya?“
„Ja?“
„Verschwinde! Meine Aufnahmefähigkeit für blöde Ratschläge hat für heute sein Limit erreicht.“
Kichernd entfernte sich Enya langsam und durchdrang die Metalltür, ohne sie zu öffnen, während ihr Körper gleichzeitig unsichtbar wurde. „Sie hat Mumm. Vielleicht kann ich etwas von ihr lernen.“
Er konnte ihr nicht das letzte Wort lassen, also schwang er die Tür der Kabine auf. „Du sollst einfach meine verdammten Befehle befolgen. Wenn du nicht gehorchen kannst –“
Doch Enya war bereits verschwunden. Stattdessen betrat ein Mann im Anzug die Herrentoilette und starrte ihn kopfschüttelnd an.
„Mann, erledigen Sie Ihr Geschäft im Privaten. Und um Gottes willen, reden Sie nicht damit.“
Fluchend eilte Hamish an ihm vorbei, wobei er in gleichem Maße von Scham wie von Wut überschwemmt wurde. Doch das war nicht einmal das Schlimmste. Für diese herrische Frau, die nicht wusste, was echte Gefahr war, den Freund zu mimen, war das größere Problem. Cinead hatte sich geirrt: Der Betrug, den Hamish erlitten hatte, hatte ihn nicht gegen die Anziehungskraft einer Frau immunisiert, die zu begehren er kein Recht hatte.
Aber er würde dafür nicht die Schuld auf sich nehmen. Nein, er hatte einen viel geeigneteren Sündenbock im Ärmel: Rasen. Jeder Hüter der Nacht erlebte den Paarungsruf, je näher er seinem zweihundertsten Geburtstag kam. Rasen, das Verlangen, eine Gefährtin zu finden und sich fortzupflanzen, beeinflusste einen Hüter der Nacht beinahe auf dieselbe Weise, wie eine läufige Hündin einen Hund verrückt machte. Aber Hamish war entschlossen, die Sache zu ignorieren – selbst wenn dieser Paarungsruf in der Form der begehrenswertesten Frau kam, der er je begegnet war.
Rasen konnte ihm den Buckel runterrutschen!
Als ihre Assistentin Collette, eine langbeinige schwarze Frau Mitte Vierzig, ihren Kopf in Tessas Büro steckte, blickte Tessa von ihren Akten hoch.
„Tessa, ich gehe jetzt“, sagte Collette. „Und das solltest du auch, wenn du es rechtzeitig zur Party schaffen willst. Der Verkehr ist höllisch. Hast du gehört, dass sie die Park Avenue wegen einer Demonstration gesperrt haben?“
„Oh Scheiße!“ Tessa schloss ihre Akte und sprang aus ihrem Stuhl auf, wobei sie gleichzeitig auf ihre Armbanduhr blickte. „Ich habe nicht mitbekommen, dass es schon so spät ist. Danke, Collette. Ist Poppy noch im Haus?“ Vielleicht könnte Poppy mit ihr fahren, damit sie nicht alleine mit ihrem Bodyguard sein müsste, der ihr am Nachmittag eine SMS geschickt hatte, dass er sie am Rathaus abholen würde, um sie zu der Veranstaltung zu begleiten.
„Nein, sie ist schon lange weg. Sie sagte, sie habe Meetings außer Haus. Ich glaube, sie wird dich auf der Party treffen.“
Tessa setzte ein gespieltes Lächeln auf, um ihre Enttäuschung zu verbergen. „Das ist perfekt, danke. Schönen Abend noch, Collette.“
„Dir auch, Tessa“, antwortete ihre Assistentin und schloss sanft die Tür hinter sich.
„Verdammt“, fluchte Tessa, als sie ihre Handtasche nahm.
Sie musste sich fertigmachen. Sie überprüfte schnell ihre Kleidung, stellte sicher, dass sie keine Flecken auf der Bluse hatte und zog dann ihr graues Jackett über. Sie hatte dieses Outfit heute Morgen bewusst gewählt, da sie es sowohl im Büro als auch auf der Veranstaltung tragen konnte und so keine Zeit vergeuden musste, um nach Hause zu fahren und sich umzuziehen.
Tessa zog einen Handspiegel aus der Tasche und begutachtete ihr Spiegelbild. Sahen ihre Wangen leicht gerötet aus? Sie zuckte mit den Schultern. Na und. Sie ging schließlich nicht auf die Veranstaltung, um einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen.
Ihr Magen knurrte. Kein Wunder. Sie hatte das Mittagessen ausgelassen, um einige besorgte Wähler zu empfangen, deren Familienmitglieder in die neuesten Ausschreitungen verwickelt waren. Sie waren außer sich gewesen und hatten um Hilfe gefleht und ihr beteuert, dass ihre Söhne nichts mit den Schlägereien zu tun hatten, die während einer Demonstration stattgefunden hatten. Nach zwei Stunden, in denen sie immer wieder dieselbe Geschichte gehört hatte, war sie erschöpft und den Tränen nahe gewesen. Etwas musste sich in dieser Stadt ändern.
Auf dem Weg hinaus schaltete sie das Licht aus, schloss die Tür und sperrte sie ab. Das Vorzimmer, das sich vier Assistenten teilten, die für verschiedene Stadträte arbeiteten, war leer. Sie durchschritt den Raum, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Sie wirbelte herum und klammerte sich instinktiv an ihre Handtasche, in der Hoffnung, dass diese ihr als Schutzschild gegen einen Angreifer diente. Sie erstarrte. Hinter ihr war niemand, nur die verschlossene Tür ihres Büros und Collettes sauberer Schreibtisch zu ihrer Linken.
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie blickte sich hektisch in alle Richtungen um, doch sie war alleine.
„Scheiße!“, fluchte sie leise.
Sie verlor definitiv den Verstand. Bis jetzt hatte sie es nicht zugeben wollen, aber die Morddrohung vor zwei Tagen hatte sie erschüttert, und die Ankunft des Bodyguards hatte ihr den Ernst ihrer Situation vor Augen geführt. Sie war in Gefahr, denn jemandem gefiel ihre politische Agenda nicht, wo sie doch nur Frieden und Wohlstand zurück in die Stadt bringen wollte. Die Einwohner von Baltimore brauchten sie und deshalb musste sie diese Wahl gewinnen. Und deshalb – auch wenn sie Hamishs Macho-Haltung nicht mochte – würde sie einfach mit ihrem überheblichen Bodyguard mitspielen müssen.
Und ihr Bodyguard wartete bereits auf sie, als sie die Lobby erreichte. Er hatte sich umgezogen und trug nun einen dunkelblauen Anzug mit einer lavendelfarbigen Krawatte. Aber selbst die elegante Kleidung konnte weder seine muskulöse Statur noch die Tatsache verbergen, dass er aussah, als könnte er mit bloßen Händen einen Panzer umwerfen. Zu ihrer Überraschung lächelte er sie an, als sie sich ihm näherte. Als sie ihn erreichte, beugte er sich vor und küsste sie auf die Wange.
„Du siehst toll aus, Tessa.“
Schockiert über die körperliche Intimität und das Kompliment erstarrte sie und war nicht in der Lage, einen zusammenhängenden Satz zu formen. Sie spürte, wie er noch näher kam und seine Hand auf ihr Kreuz legte, während er seinen Mund zu ihrem Ohr brachte.
„Jetzt sagst du, danke, dass du mich abholst, Hamish“, flüsterte er.