Entwicklung des europäischen Romans: Die berühmtesten Romane Flauberts - Gustave Flaubert - E-Book
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Entwicklung des europäischen Romans: Die berühmtesten Romane Flauberts E-Book

Gustave Flaubert

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Beschreibung

Gustave Flauberts Buch 'Entwicklung des europäischen Romans: Die berühmtesten Romane Flauberts' ist eine umfassende Analyse der Entwicklung des europäischen Romans und präsentiert eine eingehende Untersuchung seiner eigenen bedeutendsten Werke. Flaubert, ein Meister des literarischen Realismus, präsentiert in diesem Buch eine detaillierte Studie über die Entwicklung des Romans als literarische Form in Europa und seine eigenen einflussreichen Werke wie 'Madame Bovary' und 'Salammbô'. Sein präziser und eleganter Schreibstil veranschaulicht seine tiefgreifende Kenntnis der literarischen Tradition und seine Fähigkeit, komplexe Charaktere und Handlungen zu schaffen. Flaubert kontextualisiert seine Romane in Bezug auf andere bedeutende Werke der europäischen Literaturgeschichte und zeigt, wie sein Schreiben den Weg für zukünftige literarische Entwicklungen geebnet hat. Gustave Flaubert, einer der einflussreichsten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, war bekannt für seine präzise Sprache und seinen kritischen Blick auf die französische Gesellschaft seiner Zeit. Sein tiefes Verständnis der menschlichen Natur und sein Streben nach literarischer Perfektion führten dazu, dass er zu einem der wichtigsten Vertreter des literarischen Realismus wurde. Flauberts intensive Beschäftigung mit der Entwicklung des europäischen Romans spiegelt sein Engagement für die Literatur und sein Streben nach künstlerischer Exzellenz wider. Dieses Buch ist unverzichtbar für Literaturliebhaber, Studenten und Forscher, die sich für die Entwicklung des Romans in Europa interessieren und einen tiefen Einblick in die Werke eines der bedeutendsten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts gewinnen möchten. Flauberts tiefgründige Analyse seiner eigenen Romane und ihrer literarischen Bedeutung bietet eine faszinierende Perspektive auf die Entwicklung des europäischen Romans und wird Leserinnen und Leser dazu inspirieren, sich tiefer mit seiner Arbeit auseinanderzusetzen.

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Gustave Flaubert

Entwicklung des europäischen Romans: Die berühmtesten Romane Flauberts

Madame Bovary, Salambo, Die Schule der Empfindsamkeit & Gedanken eines Zweiflers

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1264-4

Inhaltsverzeichnis

Gedanken eines Zweiflers (Erinnerungen eines Verrückten)
Frau Bovary (Madame Bovary)
Salambo
Die Schule der Empfindsamkeit

Gedanken eines Zweiflers (Erinnerungen eines Verrückten)

Inhaltsverzeichnis

Mémoires d’un fou, Roman, 1838

Geschrieben 1838, als Flaubert 17Jahre alt war. (Aus dem Nachlass)

Im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen, überall, wo ihr geht, könnt ihr nicht einen Schritt tun, ohne daß Zwangsherrschaft, Ungerechtigkeit, Geiz, Habgier euch voller Selbstsucht zurückstoßen. Überall, sage ich euch, werdet ihr auf Leute geraten, die euch zurufen: »Geh mir aus der Sonne!« – »Hebe dich weg! Du betrittst den Sand, den ich mir auf die Erde gestreut!« – »Kehr um! Du bist auf meinem Grund und Boden!« – »Zurück! Du atmest Luft, die mir gehört!«

Ja, ja! Der Mensch ist ein durstiger Wanderer; er bittet um Trinkwasser; man verweigert es ihm, und er geht zugrunde.

Die Gewalt lastet schwer auf den Völkern, und ich fühle, es ist schön, sie von ihr zu befreien. Ich fühle, wie mein Herz bei dem Worte Freiheit vor Freude lauter klopft, wie ein Kinderherz vor dem Worte Gespenst. – Und doch ist eins wie das andere Wahn. Ein Trugbild, das verwehen, eine Blume, die verwelken muß. Mehr nicht.

So manche werden es versuchen, sie zu erringen, die herrliche Freiheit, die Fürstin aller Träume, den Abgott der Völker. Viele werden es wagen, aber sie werden unter der Last ihrer Bürde zusammenbrechen.

Es war einmal ein Pilger, der durch die große Wüste Afrikas wanderte. Er hatte die Kühnheit,

einen Weg einzuschlagen, der seine Reise um sieben Meilen verkürzte, dafür aber gefahrvoll war, reich an Schlangen, wilden Tieren und mühseligen Felsenstiegen.

Die Nacht brach an. Der Mann bekam Hunger. Er ward müde und matt. Er beschleunigte seinen Gang, um endlich sein Ziel zu erreichen. Doch auf Schritt und Tritt traf er Hemmnisse. Trotzdem verlor er seinen Mut nicht und ging herzhaft weiter.

Da sah er plötzlich vor sich einen ungeheuren Felsblock mitten auf seinem Wege, einem schmalen Saumpfade, der sich steil emporzog, überwachsen von Gestrüpp und Dornen. Er war also genötigt, den Stein bis zum Gipfel hinaufzuwälzen oder ihn zu überklettern oder zu warten bis zum Morgen, wo vielleicht andere Pilger kommen und ihm helfen könnten!

Aber er hatte solchen Hunger, und der Durst quälte ihn so gräßlich, daß er sich ermannte, alle seine Kräfte aufzubieten, um weiter zu kommen, bis zur nächsten Hütte, die noch vier Wegstunden fern war. Er begann mit Händen und Füßen am Felsblock in die Höhe zu klimmen.

Der Schweiß rann ihm in großen Tropfen von der Stirn, seine Arme stemmten sich mühevoll empor, und krampfhaft griffen seine Hände nach jedem Halm, der sich ihm bot; aber das Gras hielt ihn nicht, und er fiel enttäuscht zurück. Wieder und wieder erneute er seine Anstrengungen. Es war vergeblich.

Und immer schwächer wurde er von Fall zu Fall, immer kraftloser, immer verzweifelter. Er verfluchte Gott und lästerte ihn. Schließlich machte er einen letzten Versuch. Diesmal nahm er alle Kraft zusammen, die er noch hatte, und vor dem Aufstieg betete er zu Gott.

Ach, wie demütig, wie hehr, wie innig war dieses kurze Gebet! Weit entfernt, irgend etwas nachzuplärren, was ihn die Amme als kleines Kind gelehrt, waren Tränen seine Worte und Kreuzeszeichen seine Seufzer. Dann kletterte er hinan, fest entschlossen, Hungers zu sterben, wenn es ihm mißglückte.

Nun ist er am Werke. Er klimmt aufwärts; er kommt höher. Es sieht aus, als ziehe ihn eine helfende Hand empor zum Gipfel. Es ist ihm, als schaue er einem ihn rufenden Engel in das lächelnde Angesicht. Da mit einem Schlage ändert sich alles. Eine schreckliche Erscheinung übermannt seine Sinne. Er hört das Zischen einer Schlange, die am Gestein herabkriecht, auf ihn zu. Die Knie wanken ihm, seine Fingernägel, die sich um Felsenspitzen gekrallt hatten, verlieren ihren Halt …. Kopfüber fällt er in die Tiefe.

Was nun?

Er hat Hunger, ihn friert, er ist durstig. Der Wind pfeift über die endlose rote Wüste, und den Mond verdüstern Wolken.

Er fängt an zu weinen und sich zu ängstigen wie ein Kind. Er weint um seine Eltern, die vor Gram sterben werden, und er fürchtet sich vor den Raubtieren.

»Es ist Nacht,« jammert er. »Ich bin schwach und matt. Die Tiger werden kommen und mich zerreißen!« Lange wartet er, daß ihm irgendwer zu Hilfe käme. Aber es kamen die Tiger, zerfleischten ihn und schlurften sein Blut…..

Und wahrlich, ich sage euch, ebenso ergeht es euch, die ihr die Freiheit erobern wollt! Mutlos geworden in euren Anstrengungen, werdet ihr auf irgend jemanden warten, der euch helfen soll.

Und dieser Jemand wird nicht kommen! Nein!

Aber die Tiger werden kommen, euch zerfleischen und euer Blut trinken wie das des armen Wanderers.

Es ist so! Die Not herrscht über dem Menschen.

Ach, die Not, die Not! Ihr habt sie wohl nie verspürt, ihr, die ihr von den Lastern der Armen sprecht? Not ist ein Ding, das’ den Menschen packt, ihn auszehrt, ihn erdrosselt, ihm die Glieder abreißt und dann seine Knochen auf den Schindanger wirft. Not ist ein Ding, häßlich, fahl, stinkig, verkrochen in schmutzige Winkel und Löcher, hinter die Lumpen der Bettler, hinter die Röcke der Dichter. Die Not? Das ist der Mann mit den langen gelben Zähnen an Winterabenden an der Straßenecke, der euch im Grabeston zuflüstert: »Herr! Brot!« und dabei eine Pistole zieht… Die Not? Das ist der Spion, der euch umschleicht, eure Worte erjagt und dann zum Gewalthaber geht und ihm sagt: »Man macht eine Verschwörung! Man hat Gewehre…« Die Not? Das ist das Frauenzimmer, das euch unter den Bäumen der Promenade zupfeift. Ihr tretet heran. Die Frau trägt einen schäbigen alten Mantel. Sie öffnet den Mantel. Ein weißes Kleid schimmert darunter; aber dieses weiße Kleid ist voller Löcher. Und sie öffnet ihr Kleid und zeigt euch ihren Busen; aber dieser Busen ist schlaff, und drinnen wütet der Hunger! Ja, der Hunger, der Hunger! Überall der Hunger: in ihrem Mantel, dessen silberne Schließen versetzt, in ihrem Kleid, dessen Spitzen verschachert sind, in ihren Worten, die euch unter Weh und Leid zurufen: »Komm, komm!« Ja, Überall der Hunger, selbst in ihrem Busen, den sie eurer Lust verkaufen will! – Der Hunger, der Hunger!

Dieses Wort, oder vielmehr das Ding dahinter, hat die Revolutionen gemacht, und noch manche Revolution wird es bringen!

Das Unglück mit seinen tiefeingesunkenen Augen schreitet weiter und weiter. Es greift mit seinen Eisenkrallen nach Königshäuptern, und indem es ihre Kronen zerbricht, zertrümmert es ihnen die Hirnschale. Das Unglück schlägt die Machthaber tot. Es lauert am Bette der Großen; es hockt bei dem Kinde, verbrennt es, verschlingt es. Es bleicht aller Locken, höhlt aller Wangen, tötet alle. Es windet sich und kriecht wie eine Natter, und es zwingt die anderen, daß auch sie kriechen. Das Unglück ist unbarmherzig, unersättlich; sein Durst unlöschbar. Wie das Faß der Danaïden hat es keinen Boden. Seine Habsucht ist grenzenlos. Kein Mensch kann sich rühmen, seinen Fängen entgangen zu sein. Es hängt sich an die Jugend, umarmt sie, liebkost sie; aber seine Zärtlichkeiten sind wie die des Löwen; sie hinterlassen blutige Male. Es taucht plötzlich auf, mitten beim Feste, im vollen Lachen, bei Lust und Becherklang.

Mit besonderer Vorliebe trifft es gekrönte Häupter. Einst lebte in einem Keller des Louvre ein Mann, nein, ein Narr, und dieser Narr preßte sein bleigraues Antlitz in die Gitter des Fensters, durch dessen zerbrochene Scheiben die Nachtvögel flatterten. Er war in vergoldete Lumpen gehüllt. Goldene Lumpen! Stellt euch das vor und ihr werdet lachen! Seine Hände ballten sich vor Wut, sein Mund schäumte, seine ganz nackten Füße stampften auf die nassen Fliesen. Seht, das tat er, der Mann mit den goldenen Lumpen, weil er über sich Ballgetümmel, Gläsergeklirr und Orgelgebraus hörte. Dann starb der arme Narr. Man begrub ihn ohne Ehren, ohne Leichenreden, ohne Tränen, ohne Prunk, ohne Musik. Nichts von alledem! Es war König Karl VI.

Lange Zeit nach ihm lebte ein anderer Fürst, der ein noch gräßlicheres und grausameres Schicksal erlitt. Wer hätte in den heiteren Tagen seiner Kindheit gedacht oder gar gesagt, daß der schöne Kopf dieses jungen Mannes fallen werde vor der Zeit und von Henkershand? Eines Tages saß in einem Saale des Temple eine Familie, trostlos und heiße Zehren weinend, weil einer ihrer Zugehörigen sterben sollte, der Vater der Familie. Er umarmte seine Kinder und seine Frau, und als sie sich ausgeweint hatten und ihre Verzweiflungsschreie im Kerker verhallt waren, öffnete sich die Tür und ein Mann trat ein, der Gefängniswärter, und hinter ihm der Scharfrichter, der mit einem Schlage seiner Guillotine das ganze alte Königtum köpfte. Das Volk heulte vor Jubel um das Blutgerüst herum und rächte an diesem einen Haupte die Hinrichtungen von Jahrhunderten. Dieser Mann war Ludwig XVI.

Nicht viel später sank ein dritter König dahin. Aber unter dem Falle dieses Riesen erzitterte die ganze Welt. Armer großer Mann, gemordet von Nadelstichen wie ein Leu von Mücken! Wie erhaben war seine Wundergestalt bis zuletzt! Wie großartig noch auf dem Totenbette! Wie groß einst auf seinem Throne! Wie groß in der Seele seines Volkes!

Und was ist das alles? Ein Totenbett, ein Grab, ein Kaiserthron, ein Volk? Etwas, was den Teufel lachen macht! Nichts, nichts, dreimal nichts! Und doch war das Napoleon Bonaparte, der größte aller Herrscher, der größte aller Menschen!

Wahrlich, so muß es sein! Jedem das Seine! Die Not den Völkern, den Königen das Unglück!

Das Unglück, das Unglück! Das ist ein Wort, das über dem Menschen waltet wie das Verhängnis über den Jahrhunderten und die Revolution über der Kultur!

»Und was ist eine Revolution?« Ein Windeshauch, der über das Weltmeer streicht. Er verweht, und das Meer rauscht weiter.

»Und was ist ein Jahrhundert?« Ein Husch in der ewigen Nacht.

»Und was ist der Mensch?« Ach, der Mensch, was ist der? Was weiß ich davon? Fragt irgendein Gespenst, was das ist! Wenn es zu reden vermag, wird es euch antworten: »Ich bin der Schatten von dem und dem!«

»Der Mensch ist Gottes Ebenbild.«

Welches Gottes?

»Dessen, der da droben regiert!«

Ist er ein Sohn des Guten, des Bösen oder des Nichts? Wählt unter diesen dreien! Alle drei sind eines!

»Was? Du glaubst an nichts?«

Nein.

»Nicht an den Ruhm?«

Denke an den Neid!

»Nicht an die Wohltätigkeit?«

Und der Geiz?

»Nicht an die Freiheit?«

Siehst du denn nicht, daß der Terror den Nacken der Völker beugt?

»Nicht an die Liebe?«

Und das Dirnentum?

»Nicht an die Unsterblichkeit?«

In weniger denn einem Jahre haben die Würmer einen Leichnam zerfressen. Dann wird er zu Staub. Dann zu nichts. Dem Nichts folgt nichts. Nichts bleibt von uns übrig!

Eines Tages grub man eine Leiche aus. Man schaffte die Überreste eines berühmten Mannes nach einem andern Winkel der Erde. Das war eine der üblichen Feierlichkeiten, eine schöne prunkhafte Komödie wie ein richtiges Begräbnis, nur daß bei einem solchen der Leib des Toten noch frisch ist, bei einer Wiederausgrabung aber schon verfault.

Alle Anwesenden warteten auf den Totengräber, der sich schließlich nach zehn Minuten, ein Liedchen vor sich hersummend, einstellte, ein Biedermann, dem die Gegenwart keinen Kummer und die Zukunft keine Sorge bereitete. Er trug einen Hut aus Wachstuch und im Munde eine Tabakspfeife.

Die Erdschaufelei begann. Und bald erblickten wir den Sarg. Er war aus Eiche, aber doch schon morsch, denn ein einziger ungeschickter Spatenstich zertrümmerte ihn. Nun sahen wir den Toten, den Toten in seinem gräßlichen grauenhaften Zustande. Allerdings hinderte uns zunächst ein auffliegender dichter Dunst, ihn genau zu betrachten. Der Bauch war ihm zerfressen; seine Brust und seine Schenkel schimmerten in mattem Weiß. Wenn man näher herantrat, erkannte man ohne weiteres, daß dieses matte Weiß ein gierig fressendes Würmergewimmel war.

Es ward einem übel bei diesem Schauspiel. Ein junger Mann sank ohnmächtig hin.

Der Totengräber ließ sich nicht stören. Er nahm die stinkende Masse in seine Arme und trug sie zu einem Karren, der einige Schritte entfernt stand. Da er rasch ging, entfiel ihm das linke Bein der Leiche. Er hob es mit einem kräftigen Griff auf und nahm es auf den Rücken. Dann kam er wieder, um das Loch zuzuschaufeln. Da bemerkte er, daß er etwas vergessen hatte: den Kopf des Ausgegrabenen. Er zog ihn an den Haaren heraus. Ein scheußlicher Anblick, diese starren halbgeschlossenen Augen, dieses klebrige bleiche Antlitz mit den hervortretenden Backen und einem Fliegenschwarm auf den Lidern!

Das war also der berühmte Mann! Wo war sein Ruhm, seine Tugenden, sein großer Name?

Der berühmte Mann, das war das verweste, unkenntliche, häßliche Ding da vor uns, das einen abscheulichen Gestank verbreitete und das man nicht lange anschauen konnte!

Sein Ruhm? Ihr seht, man behandelte ihn wie einen gemeinen toten Hund. Alle Anwesenden waren aus Neugier hergekommen, gewiß nur aus Neugier, getrieben von jenem Gefühle, das den Menschen freudig stimmt, wenn er das Leid andrer Menschen sieht, – von jenem Gefühle, das die Weiber verlockt, ihre hübschen blonden Köpfe am Fenster zu zeigen, wenn unten eine Hinrichtung vor sich geht. Es ist die natürliche Wollust, die den Menschen zum Gräßlichen, Grausamen, Grotesken hinzieht.

Seine Tugenden? Man erinnerte sich ihrer nicht mehr. Sein Name? Der war verloschen, denn er hatte keine Kinder hinterlassen, und seine zahlreichen Neffen hatten seinen Tod längst herbeigesehnt.

Ist es auszudenken, daß der Tote da noch vor einem Jahre reich, glücklich, einflußreich war, daß man ihn mit Ehrentiteln anredete, daß er einen Palast bewohnte, und daß er nun nichts ist, daß man ihn als Leiche bezeichnet und daß er in einem Sarge modert! Ach, ein furchtbarer Gedanke! Und auch uns wird es ergehen wie diesem da! Uns allen, die wir jetzt leben, die wir die Abendluft atmen und den Duft der Blumen verspüren! »Man könnte verrückt darüber werden! Kommt denn wirklich auf diesen Augenblick nichts?« Nichts, für alle Ewigkeit nichts? »Das geht über den menschlichen Verstand! Soll es denn unumstößlich wahr sein, daß mit dem Ende dieses Lebens alles aus ist, aus für immerdar? Sagt, gibt es tatsächlich nichts weiter?«

Tor, betrachte einen Totenschädel!

»Aber die Seele?«

Ach ja, die Seele!

Wenn du neulich den Totengräber gesehen hättest, seinen schwarzen Wachstuchhut schief auf dem Ohre, sein Pfeifchen im Munde; wenn du gesehen hättest, wie er das verweste Bein auflas, und wie ihn dies nicht hinderte, dabei zu pfeifen und vor sich hinzuträllern: »Mädel, ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite!« – du hättest laut aufgelacht vor tiefem Mitleid und hättest gesagt: »Die Seele, das ist am Ende der üble Gestank, der aus einer Leiche aufsteigt!«

Trotzalledem ist es ein trübseliger Gedanke, daß nach dem Tode alles aus sein soll! Nein, nein, rasch einen Priester her! Einen Priester, der mir sagt, mir beweist, mich überzeugt, daß die Seele im menschlichen Körper vorhanden ist.

Einen Priester? Aber welchen soll man rufen? Der eine ist beim Erzbischof zu Tisch, der andre hält gerade Bibelstunde, und der dritte hat keine Zeit.

Ja, wollen sie mich denn in die Grube fahren lassen, mich, der ich die Hände vor Verzweiflung ringe, der ich Haß oder Liebe anrufe, Gott oder Teufel?

Ach, der Satan wird kommen. Ich fühle es.

Zu Hilfe!

Weh mir, niemand gibt mir Antwort!

Laßt uns weiter suchen!

Ich habe gesucht und habe nichts gefunden. Ich habe an die Tür geklopft. Niemand hat mir aufgetan, und man hat mich in Frost und Not schmachten lassen, so daß ich vor Mattigkeit beinahe gestorben wäre. – Als ich durch eine finstere, krumme, enge Gasse ging, hörte ich süßliche schamlose Reden, hörte Seufzer und Küsse dazwischen. Ich hörte Schreie der Wollust, und ich sah einen Pfaffen und eine Dirne, die Gott lästerten und sich in geilem Tanze drehten. Ich habe meinen Blick weggewandt und habe geweint. Mein Fuß stieß an etwas. Es war ein Kruzifix aus Erz. Der Heiland im Kot!

Das Kruzifix gehörte wohl dem Priester, der es beim Eintritt in das Haus von sich geworfen hatte wie eine Maske oder ein Karnevalskleid.

Jetzt sagt mir noch, das Leben sei keine gemeine Posse, wo doch der Priester seinen Gott wegwirft, um ein Freudenmädchen besuchen zu können! Trefflich! Der Teufel lacht. Seht ihr’s? Trefflich! Er triumphiert! Wahrlich, ich habe recht, Tugend ist Maske, Laster Wahrheit! Darum reden die Leute so wenig davon. Es ist zu schrecklich zu sagen. Trefflich! Das Heim des ehrsamen Mannes ist Lug und Trug; das Dirnenhaus ist Wahrheit. Das Brautgemach ist Betrug, der Ehebruch darin Wahrheit! Das Leben ist Wahn, der Tod Wahrheit! Kirche und Glaube sind Lügen; die Dirne ist wirklich und wahr. Das Gute ist falsch, und wahr ist der Tod!

Erhebt euer Geschrei, ihr Tugendbolde in gelben Glacéhandschuhen, schreit ach und weh, ihr, die ihr von Sittlichkeit redet und kleine Tänzerinnen aushaltet! Jammert nur, ihr, die ihr eher etwas für euren Hund als für euer Gesinde tut! Klagt, ihr, die ihr einen Menschen zum Tode verurteilt, der aus Not gemordet hat, und selber aus Mißachtung mordet! Zetert, ihr Richter, deren Amtsröcke Blutflecke zeigen! Zetert, ihr, die ihr Tag um Tag zu eurem Richterstuhl über die Köpfe derer hinwegschreiten müßt, die ihr auf dem Gewissen habt! Und ihr, ihr krummfingrigen Staatsdiener, wehklagt nur, ihr, die ihr euch der Gönnerschaft rühmt, die ihr einem Ehemanne angedeihen laßt, während ihr euch bei seiner Frau bezahlt macht! Während ihr dem armen Wicht ein Ämtchen verschafft, spuckt ihr seinem Weibe ins Gesicht!

Oft habe ich mich gefragt, warum ich lebe, zu welchem Zweck ich auf die Welt gekommen bin, und ich habe nichts gefunden als einen Abgrund hinter mir und einen Abgrund vor mir; mir zur Rechten und mir zur Linken, über mir und unter mir, Überall dunkle Nacht.

Warum ekelt mich alles hienieden an? Warum erscheinen mir Tag und Nacht, Regen und blauer Himmel immer wie trübe Dämmerung, in der eine rote Sonne hinter einem uferlosen Ozean untergeht?

»Und die Gedankenwelt?«

Ein anderer Ozean ohne Gestade, die Sintflut Ovids, ein grenzenloses Meer, dessen Ein und Aus der Sturm ist.

Erhaben einfältig, grausam närrisch ist das, was wir Gott nennen!

Man hat so oft von der Vorsehung und der himmlischen Güte gesprochen. Ich habe recht wenig Anlaß, daran zu glauben. Der Gott, der sich damit belustigt, die Menschen heimzusuchen, um zu sehen, bis zu welchem Grade sie zu leiden fähig seien, wäre der nicht ebenso stumpfsinnig-grausam wie ein Kind, das einem Maikäfer erst die Flügel abreißt, dann die Beine und schließlich den Kopf, wohlwissend, daß dies sein Tod ist?

Meiner Meinung nach ist die Eitelkeit der Grund aller menschlichen Handlungen. Wenn ich etwas geredet, etwas vollbracht, irgend etwas in meinem Leben getan hatte und meine Worte oder Taten genau untersuchte, fand ich immer diese alte Närrin, eingenistet in meinem Herzen oder, in meinem Hirne. Viele Menschen sind mir gleich; wenige haben den gleichen Freimut.

Diese vielleicht richtige Betrachtung habe ich aus Eitelkeit niedergeschrieben. Die Eitelkeit, nicht eitel erscheinen zu wollen, veranlaßt mich vielleicht, dies wieder auszustreichen.

Ich glaube, der letzte Ausdruck des Höchsten in der Kunst ist die Idee, das heißt die innere Gestaltung einer Vorstellung, etwas Blitzschnelles, Reingeistiges.

Wer hätte nicht die Wahrnehmung gemacht, daß der Menschengeist überladen ist von zusammenhanglosen, erschrecklichen, glutheißen Ideen und Vorstellungen? Die wissenschaftliche Zergliederung brächte es nicht fertig, sie zu beschreiben. Aber ein Buch davon wäre die Natur. Denn was ist die Dichtkunst, wenn nicht die erlesene Natur, der Inbegriff von Gemüt und Geist?

Ach, wenn ich ein Dichter wäre, wollte ich Schönes schaffen!

Das Leben ekelt mich an. Ich wünschte, ich wäre verreckt, bezecht oder ein Harlekin wie Gott!

Die Menschen können mich…..

Frau Bovary (Madame Bovary)

Inhaltsverzeichnis

Madame Bovary, 1858

Erstes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zweites Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Drittes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Letztes Kapitel

Erstes Buch

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Es war Arbeitsstunde. Da trat der Rektor ein, ihm zur Seite ein »Neuer«, in gewöhnlichem Anzuge. Der Pedell hinter den beiden, Schulstubengerät in den Händen. Alle Schüler erhoben sich von ihren Plätzen, wobei man so tat, als sei man aus seinen Studien aufgescheucht worden. Wer eingenickt war, fuhr mit auf.

Der Rektor winkte ab. Man setzte sich wieder hin. Darauf wandte er sich zu dem die Aufsicht führenden Lehrer.

»Herr Roger!« lispelte er. »Diesen neuen Zögling hier empfehle ich Ihnen besonders. Er kommt zunächst in die Quinta. Bei löblichem Fleiß und Betragen wird er aber in die Quarta versetzt, in die er seinem Alter nach gehört.«

Der Neuling blieb in dem Winkel hinter der Türe stehen. Man konnte ihn nicht ordentlich sehen, aber offenbar war er ein Bauernjunge, so ungefähr fünfzehn Jahre alt und größer als alle andern. Die Haare trug er mit Simpelfransen in die Stirn hinein, wie ein Dorfschulmeister. Sonst sah er gar nicht dumm aus, nur war er höchst verlegen. So schmächtig er war, beengte ihn sein grüner Tuchrock mit schwarzen Knöpfen doch sichtlich, und durch den Schlitz in den Ärmelaufschlägen schimmerten rote Handgelenke hervor, die zweifellos die freie Luft gewöhnt waren. Er hatte gelbbraune, durch die Träger übermäßig hochgezogene Hosen an und blaue Strümpfe. Seine Stiefel waren derb, schlecht gewichst und mit Nägeln beschlagen.

Man begann die fertigen Arbeiten vorzulesen. Der Neuling hörte aufmerksamst zu, mit wahrer Kirchenandacht, wobei er es nicht einmal wagte, die Beine übereinander zu schlagen noch den Ellenbogen aufzustützen. Um zwei Uhr, als die Schulglocke läutete, mußte ihn der Lehrer erst besonders auffordern, ehe er sich den andern anschloß.

Es war in der Klasse Sitte, beim Eintritt in das Unterrichtszimmer die Mützen wegzuschleudern, um die Hände frei zu bekommen. Es kam darauf an, seine Mütze gleich von der Tür aus unter die richtige Bank zu facken, wobei sie unter einer tüchtigen Staubwolke laut aufklatschte. Das war so Schuljungenart.

Sei es nun, daß ihm dieses Verfahren entgangen war oder daß er nicht gewagt hatte, es ebenso zu machen, kurz und gut: als das Gebet zu Ende war, hatte der Neuling seine Mütze noch immer vor sich auf den Knien. Das war ein wahrer Wechselbalg von Kopfbedeckung. Bestandteile von ihr erinnerten an eine Bärenmütze, andre an eine Tschapka, wieder andre an einen runden Filzhut, an ein Pelzbarett, an ein wollnes Käppi, mit einem Worte: an allerlei armselige Dinge, deren stumme Häßlichkeit tiefsinnig stimmt wie das Gesicht eines Blödsinnigen. Sie war eiförmig, und Fischbeinstäbchen verliehen ihr den inneren Halt; zu unterst sah man drei runde Wülste, darüber (voneinander durch ein rotes Band getrennt) Rauten aus Samt und Kaninchenfell und zuoberst eine Art Sack, den ein vieleckiger Pappdeckel mit kunterbunter Schnurenstickerei krönte und von dem herab an einem ziemlich dünnen Faden eine kleine goldne Troddel hing. Diese Kopfbedeckung war neu, was man am Glanze des Schirmes erkennen konnte.

»Steh auf!« befahl der Lehrer.

Der Junge erhob sich. Dabei entglitt ihm sein Turban, und die ganze Klasse fing an zu kichern. Er bückte sich, das Mützenungetüm aufzuheben. Ein Nachbar stieß mit dem Ellenbogen daran, so daß es wiederum zu Boden fiel. Ein abermaliges Sich-darnach-bücken.

»Leg doch deinen Helm weg!« sagte der Lehrer, ein Witzbold.

Das schallende Gelächter der Schüler brachte den armen Jungen gänzlich aus der Fassung, und nun wußte er gleich gar nicht, ob er seinen »Helm« in der Hand behalten oder auf dem Boden liegen lassen oder aufsetzen sollte. Er nahm Platz und legte die Mütze über seine Knie.

»Steh auf!« wiederholte der Lehrer, »und sag mir deinen Namen!«

Der Neuling stotterte einen unverständlichen Namen her.

»Noch mal!«

Dasselbe Silbengestammel machte sich hörbar, von dem Gelächter der Klasse übertönt.

»Lauter!« rief der Lehrer. »Lauter!«

Nunmehr nahm sich der Neuling fest zusammen, riß den Mund weit auf und gab mit voller Lungenkraft, als ob er jemanden rufen wollte, das Wort von sich: »Kabovary!«

Höllenlärm erhob sich und wurde immer stärker; dazwischen gellten Rufe. Man brüllte, heulte, grölte wieder und wieder: »Kabovary! Kabovary!« Nach und nach verlor sich der Spektakel in vereinzeltes Brummen, kam mühsam zur Ruhe, lebte aber in den Bankreihen heimlich weiter, um da und dort plötzlich als halbersticktes Gekicher wieder aufzukommen, wie eine Rakete, die im Verlöschen immer wieder noch ein paar Funken sprüht.

Währenddem ward unter einem Hagel von Strafarbeiten die Ordnung in der Klasse allmählich wiedergewonnen, und es gelang dem Lehrer, den Namen »Karl Bovary« festzustellen, nachdem er sich ihn hatte diktieren, buchstabieren und dann noch einmal im ganzen wiederholen lassen. Alsdann befahl er dem armen Schelm, sich auf die Strafbank dicht vor dem Katheder zu setzen. Der Junge wollte den Befehl ausführen, aber kaum hatte er sich in Gang gesetzt, als er bereits wieder stehen blieb.

»Was suchst du?« fragte der Lehrer.

»Meine Mü…«, sagte er schüchtern, indem er mit scheuen Blicken Umschau hielt.

»Fünfhundert Verse die ganze Klasse!«

Wie das Quos ego bändigte die Stimme, die diese Worte wütend ausrief, einen neuen Sturm im Entstehen.

»Ich bitte mir Ruhe aus!« fuhr der empörte Schulmeister fort, während er sich mit seinem Taschentuche den Schweiß von der Stirne trocknete. »Und du, du Rekrut du, du schreibst mir zwanzigmal den Satz auf: Ridiculus sum!« Sein Zorn ließ nach. »Na, und deine Mütze wirst du schon wiederfinden. Die har dir niemand gestohlen.«

Alles ward wieder ruhig. Die Köpfe versanken in den Heften, und der Neuling verharrte zwei Stunden lang in musterhafter Haltung, obgleich ihm von Zeit zu Zeit mit einem Federhalter abgeschwuppte kleine Papierkugeln ins Gesicht flogen. Erwischte sich jedesmal mit der Hand ab, ohne sich weiter zu bewegen noch die Augen aufzuschlagen.

Abends, im Arbeitssaal, holte er seine Ärmelschoner aus seinem Pult, brachte seine Habseligkeiten in Ordnung und liniierte sich sorgsam sein Schreibpapier. Die andern beobachteten, wie er gewissenhaft arbeitete; er schlug alle Wörter im Wörterbuche nach und gab sich viel Mühe. Zweifellos verdankte er es dem großen Fleiße, den er an den Tag legte, daß man ihn nicht in der Quinta zurückbehielt; denn wenn er auch die Regeln ganz leidlich wußte, so verstand er sich doch nicht gewandt auszudrücken. Der Pfarrer seines Heimatdorfes hatte ihm kaum ein bißchen Latein beigebracht, und aus Sparsamkeit war er von seinen Eltern so spät wie nur möglich auf das Gymnasium geschickt worden.

Sein Vater, Karl Dionys Barthel Bovary, war Stabsarzt a.D.; er hatte sich um 1812 bei den Aushebungen etwas zuschulden kommen lassen, worauf er den Abschied nehmen mußte. Er setzte nunmehr seine körperlichen Vorzüge in bare Münze um und ergatterte sich im Handumdrehen eine Mitgift von sechzigtausend Franken, die ihm in der Person der Tochter eines Hutfabrikanten in den Weg kam. Das Mädchen hatte sich in den hübschen Mann verliebt. Er war ein Schwerenöter und Prahlhans, der sporenklingend einherstolzierte, Schnurr-und Backenbart trug, die Hände voller Ringe hatte und in seiner Kleidung auffällige Farben liebte. Neben seinem Haudegentum besaß er das gewandte Getue eines Ellenreiters. Sobald er verheiratet war, begann er zwei, drei Jahre auf Kosten seiner Frau zu leben, aß und trank gut, schlief bis in den halben Tag hinein und rauchte aus langen Porzellanpfeifen. Nachts pflegte er sehr spät heimzukommen, nachdem er sich in Kaffeehäusern herumgetrieben hatte. Als sein Schwiegervater starb und nur wenig hinterließ, war Bovary empört darüber. Er übernahm die Fabrik, büßte aber Geld dabei ein, und so zog er sich schließlich auf das Land zurück, wovon er sich goldne Berge erträumte. Aber er verstand von der Landwirtschaft auch nicht mehr als von der Hutmacherei, ritt lieber spazieren, als daß er seine Pferde zur Arbeit einspannen ließ, trank seinen Apfelwein flaschenweise selber, anstatt ihn in Fässern zu verkaufen, ließ das fetteste Geflügel in den eignen Magen gelangen und schmierte sich mit dem Speck seiner Schweine seine Jagdstiefel. Auf diesem Wege sah er zu guter Letzt ein, daß es am tunlichsten für ihn sei, sich in keinerlei Geschäfte mehr einzulassen.

Für zweihundert Franken Jahrespacht mietete er nun in einem Dorfe im Grenzgebiete von Caux und der Pikardie ein Grundstück, halb Bauernhof, halb Herrenhaus. Dahin zog er sich zurück fünfundvierzig Jahre alt, mit Gott und der Welt zerfallen, gallig und mißgünstig zu jedermann. Von den Menschen angeekelt, wie er sagte, wollte er in Frieden für sich hinleben.

Seine Frau war dereinst toll verliebt in ihn gewesen. Aber unter tausend Demütigungen starb ihre Liebe doch rettungslos.

Ehedem heiter, mitteilsam und herzlich, war sie allmählich (just wie sich abgestandner Wein zu Essig wandelt) mürrisch, zänkisch und nervös geworden. Ohne zu klagen, hatte sie viel gelitten, wenn sie immer wieder sah, wie ihr Mann hinter allen Dorfdirnen her war und abends müde und nach Fusel stinkend aus irgendwelcher Spelunke zu ihr nach Haus kam. Ihr Stolz hatte sich zunächst mächtig geregt, aber schließlich schwieg sie, würgte ihren Grimm in stummem Stoizismus hinunter und beherrschte sich bis zu ihrem letzten Stündlein. Sie war unablässig tätig und immer auf dem Posten. Sie war es, die zu den Anwälten und Behörden ging. Sie wußte, wenn Wechsel fällig waren; sie erwirkte ihre Verlängerung. Sie machte alle Hausarbeiten, nähte, wusch, beaufsichtigte die Arbeiter und führte die Bücher, während der Herr und Gebieter sich um nichts kümmerte, aus seinem Zustande griesgrämlicher Schläfrigkeit nicht herauskam und sich höchstens dazu ermannte, seiner Frau garstige Dinge zu sagen. Meist hockte er am Kamin, qualmte und spuckte ab und zu in die Asche.

Als ein Kind zur Welt kam, mußte es einer Amme gegeben werden; und als es wieder zu Hause war, wurde das schwächliche Geschöpf grenzenlos verwöhnt. Die Mutter nährte es mit Zuckerzeug. Der Vater ließ es barfuß herumlaufen und meinte höchst weise obendrein, der Kleine könne eigentlich ganz nackt gehen wie die Jungen der Tiere. Im Gegensatz zu den Bestrebungen der Mutter hatte er sich ein bestimmtes männliches Erziehungsideal in den Kopf gesetzt, nach welchem er seinen Sohn zu modeln sich Mühe gab. Er sollte rauh angefaßt werden wie ein junger Spartaner, damit er sich tüchtig abhärte. Er mußte in einem ungeheizten Zimmer schlafen, einen ordentlichen Schluck Rum vertragen und auf den »kirchlichen Klimbim« schimpfen. Aber der Kleine war von friedfertiger Natur und widerstrebte allen diesen Bemühungen. Die Mutter schleppte ihn immer mit sich herum. Sie schnitt ihm Pappfiguren aus und erzählte ihm Märchen; sie unterhielt sich mit ihm in endlosen Selbstgesprächen, die von schwermütiger Fröhlichkeit und wortreicher Zärtlichkeit überquollen. In ihrer Verlassenheit pflanzte sie in das Herz ihres Jungen alle ihre eigenen unerfüllten und verlorenen Sehnsüchte. Im Traume sah sie ihn erwachsen, hochangesehen, schön, klug, als Beamten beim Straßen-und Brückenbau oder in einer Ratsstellung. Sie lehrte ihn Lesen und brachte ihm sogar an dem alten Klavier, das sie besaß, das Singen von ein paar Liedchen bei. Ihr Mann, der von gelehrten Dingen nicht viel hielt, bemerkte zu alledem, es sei bloß schade um die Mühe; sie hätten doch niemals die Mittel, den Jungen auf eine höhere Schule zu schicken oder ihm ein Amt oder ein Geschäft zu kaufen. Zu was auch? Dem Kecken gehöre die Welt! Frau Bovary schwieg still, und der Kleine trieb sich im Dorfe herum. Er lief mit den Feldarbeitern hinaus, scheuchte die Krähen auf, schmauste Beeren an den Rainen, hütete mit einer Gerte die Truthähne und durchstreifte Wald und Flur. Wenn es regnete, spielte er unter dem Kirchenportal mit kleinen Steinchen, und an den Feiertagen bestürmte er den Kirchendiener, die Glocken läuten zu dürfen. Dann hängte er sich mit seinem ganzen Gewicht an den Strang der großen Glocke und ließ sich mit emporziehen. So wuchs er auf wie eine Lilie auf dem Felde, bekam kräftige Glieder und frische Farben.

Als er zwölf Jahre alt geworden war, setzte es seine Mutter durch, daß er endlich etwas Gescheites lerne. Er bekam Unterricht beim Pfarrer, aber die Stunden waren so kurz und so unregelmäßig, daß sie nicht viel Erfolg hatten. Sie fanden statt, wenn der Geistliche einmal gar nichts anders zu tun hatte, in der Sakristei, im Stehen, in aller Hast in den Pausen zwischen den Taufen und Begräbnissen. Mitunter, wenn er keine Lust hatte auszugehen, ließ der Pfarrer seinen Schüler nach dem Ave-Maria zu sich holen. Die beiden saßen dann oben im Stübchen. Mücken und Nachtfalter tanzten um die Kerze; aber es war so warm drin, daß der Junge schläfrig wurde, und es dauerte nicht lange, da schnarchte der biedere Pfarrer, die Hände über dem Schmerbauche gefaltet. Es kam auch vor, daß der Seelensorger auf dem Heimwege von irgendeinem Kranken in der Umgegend, dem er das Abendmahl gereicht hatte, den kleinen Vagabunden im Freien erwischte; dann rief er ihn heran, hielt ihm eine viertelstündige Strafpredigt und benutzte die Gelegenheit, ihn im Schatten eines Baumes seine Lektion hersagen zu lassen. Entweder war es der Regen, der den Unterricht störte, oder irgendein Bekannter, der vorüberging. Übrigens war der Lehrer durchweg mit seinem Schüler zufrieden, ja er meinte sogar, der »junge Mann« habe ein gar treffliches Gedächtnis.

So konnte es nicht weitergehen. Frau Bovary ward energisch, und ihr Mann gab widerstandslos nach, vielleicht weil er sich selber schämte, wahrscheinlicher aber aus Ohnmacht. Man wollte nur noch ein Jahr warten; der Junge sollte erst gefirmelt werden.

Darüber hinaus verstrich abermals ein halbes Jahr, dann aber wurde Karl wirklich auf das Gymnasium nach Rouen geschickt. Sein Vater brachte ihn selber hin. Das war Ende Oktober.

Die meisten seiner damaligen Kameraden werden sich kaum noch deutlich an ihn erinnern. Er war ein ziemlich phlegmatischer Junge, der in der Freizeit wie ein Kind spielte, in den Arbeitsstunden eifrig lernte, während des Unterrichts aufmerksam dasaß, im Schlafsaal vorschriftsmäßig schlief und bei den Mahlzeiten ordentlich zulangte. Sein Verkehr außerhalb der Schule war ein Eisengroßhändler in der Handschuhmachergasse, der aller vier Wochen einmal mit ihm ausging, an Sonntagen nach Ladenschluß. Er lief mit ihm am Hafen spazieren, zeigte ihm die Schiffe und brachte ihn abends um sieben Uhr vor dem Abendessen wieder in das Gymnasium. Jeden Donnerstag abend schrieb Karl mit roter Tinte an seine Mutter einen langen Brief, den er immer mit drei Oblaten zuklebte. Hernach vertiefte er sich wieder in seine Geschichtshefte, oder er las in einem alten Exemplar von Barthelemys »Reise des jungen Anacharsis«, das im Arbeitssaal herumlag. Bei Ausflügen plauderte er mit dem Pedell, der ebenfalls vom Lande war.

Durch seinen Fleiß gelang es ihm, sich immer in der Mitte der Klasse zu halten; einmal errang er sich sogar einen Preis in der Naturkunde. Aber gegen Ende des dritten Schuljahres nahmen ihn seine Eltern vom Gymnasium fort und ließen ihn Medizin studieren. Sie waren der festen Zuversicht, daß er sich bis zum Staatsexamen schon durchwürgen würde.

Die Mutter mietete ihm ein Stübchen, vier Stock hoch, nach der Eau-de-Robec zu gelegen, im Hause eines Färbers, eines alten Bekannten von ihr. Sie traf Vereinbarungen über die Verpflegung ihres Sohnes, besorgte ein paar Möbelstücke, einen Tisch und zwei Stühle, wozu sie von zu Hause noch eine Bettstelle aus Kirschbaumholz kommen ließ. Des weiteren kaufte sie ein Kanonenöfchen und einen kleinen Vorrat von Holz, damit ihr armer Junge nicht frieren sollte. Acht Tage darnach reiste sie wieder heim, nachdem sie ihn tausend-und abertausendmal ermahnt hatte, ja hübsch fleißig und solid zu bleiben, sintemal er nun ganz allein auf sich selbst angewiesen sei.

Vor dem Verzeichnis der Vorlesungen auf dem schwarzen Brette der medizinischen Hochschule vergingen dem neubackenen Studenten Augen und Ohren. Er las da von anatomischen und pathologischen Kursen, von Kollegien über Physiologie, Pharmazie, Chemie, Botanik, Therapeutik und Hygiene, von Kursen in der Klinik, von praktischen Übungen usw. Alle diese vielen Namen, über deren Herkunft er sich nicht einmal klar war, standen so recht vor ihm wie geheimnisvolle Pforten in das Heiligtum der Wissenschaft.

Er lernte gar nichts. So aufmerksam er auch in den Vorlesungen war, er begriff nichts. Um so mehr büffelte er. Er schrieb fleißig nach, versäumte kein Kolleg und fehlte in keiner Übung. Er erfüllte sein tägliches Arbeitspensum wie ein Gaul im Hippodrom, der in einem fort den Hufschlag hintrottet, ohne zu wissen, was für ein Geschäft er eigentlich verrichtet.

Zu seiner pekuniären Unterstützung schickte ihm seine Mutter allwöchentlich durch den Botenmann ein Stück Kalbsbraten. Das war sein Frühstück, wenn er aus dem Krankenhause auf einen Husch nach Hause kam. Sich erst hinzusetzen, dazu langte die Zeit nicht, denn er mußte alsbald wieder in ein Kolleg oder zur Anatomie oder Klinik eilen, durch eine Unmenge von Straßen hindurch. Abends nahm er an der kargen Hauptmahlzeit seiner Wirtsleute teil. Hinterher ging er hinauf in seine Stube und setzte sich an seine Lehrbücher, oft in nassen Kleidern, die ihm dann am Leibe bei der Rotglut des kleinen Ofens zu dampfen begannen.

An schönen Sommerabenden, wenn die schwülen Gassen leer wurden und die Dienstmädchen vor den Haustüren Ball spielten, öffnete er sein Fenster und sah hinaus. Unten floß der Fluß vorüber, der aus diesem Viertel von Rouen ein häßliches Klein-Venedig machte. Seine gelben, violett und blau schimmernden Wasser krochen träg zu den Wehren und Brücken. Arbeiter kauerten am Ufer und wuschen sich die Arme in der Flut. An Stangen, die aus Speichergiebeln lang hervorragten, trockneten Bündel von Baumwolle in der Luft. Gegenüber, hinter den Dächern, leuchtete der weite klare Himmel mit der sinkenden roten Sonne. Wie herrlich mußte es da draußen im Freien sein! Und dort im Buchenwald wie frisch! Karl holte tief Atem, um den köstlichen Duft der Felder einzusaugen, der doch gar nicht bis zu ihm drang.

Er magerte ab und sah sehr schmächtig aus. Sein Gesicht bekam einen leidvollen Zug, der es beinahe interessant machte. Er ward träge, was gar nicht zu verwundern war, und seinen guten Vorsätzen mehr und mehr untreu. Heute versäumte er die Klinik, morgen ein Kolleg, und allmählich fand er Genuß am Faulenzen und ging gar nicht mehr hin. Er wurde Stammgast in einer Winkelkneipe und ein passionierter Dominospieler. Alle Abende in einer schmutzigen Spelunke zu hocken und mit den beinernen Spielsteinen auf einem Marmortische zu klappern, das dünkte ihn der höchste Grad von Freiheit zu sein, und das stärkte ihm sein Selbstbewußtsein. Es war ihm das so etwas wie der Anfang eines weltmännischen Lebens, dieses Kosten verbotener Freuden. Wenn er hinkam, legte er seine Hand mit geradezu sinnlichem Vergnügen auf die Türklinke. Eine Menge Dinge, die bis dahin in ihm unterdrückt worden waren, gewannen nunmehr Leben und Gestalt. Er lernte Gassenhauer auswendig, die er gelegentlich zum besten gab. Béranger, der Freiheitssänger, begeisterte ihn. Er lernte eine gute Bowle brauen, und zu guter Letzt entdeckte er die Liebe. Dank diesen Vorbereitungen fiel er im medizinischen Staatseramen glänzend durch.

Man erwartete ihn am nämlichen Abend zu Haus, wo sein Erfolg bei einem Schmaus gefeiert werden sollte. Er machte sich zu Fuß auf den Weg und erreichte gegen Abend seine Heimat. Dort ließ er seine Mutter an den Dorfeingang bitten und beichtete ihr alles. Sie entschuldigte ihn, schob den Mißerfolg der Ungerechtigkeit der Examinatoren in die Schuhe und richtete ihn ein wenig auf, indem sie ihm versprach, die Sache ins Lot zu bringen. Erst volle fünf Jahre darnach erfuhr Herr Bovary die Wahrheit. Da war die Geschichte verjährt, und so fügte er sich drein. Übrigens hätte er es niemals zugegeben, daß sein leiblicher Sohn ein Dummkopf sei.

Karl widmete sich von neuem seinem Studium und bereitete sich hartnäckigst auf eine nochmalige Prüfung vor. Alles, was er gefragt werden konnte, lernte er einfach auswendig. In der Tat bestand er das Examen nunmehr mit einer ziemlich guten Note. Seine Mutter erlebte einen Freudentag. Es fand ein großes Festmahl statt.

Wo sollte er seine ärztliche Praxis nun ausüben? In Tostes. Dort gab es nur einen und zwar sehr alten Arzt. Mutter Bovary wartete schon lange auf sein Hinscheiden, und kaum hatte der alte Herr das Zeitliche gesegnet, da ließ sich Karl Bovary auch bereits als sein Nachfolger daselbst nieder.

Aber nicht genug, daß die Mutter ihren Sohn erzogen, ihn Medizin studieren lassen und ihm eine Praxis ausfindig gemacht hatte: nun mußte er auch eine Frau haben. Selbige fand sie in der Witwe des Gerichtsvollziehers von Dieppe, die neben fünfundvierzig Jährlein zwölfhundert Franken Rente ihr eigen nannte. Obgleich sie häßlich war, dürr wie eine Hopfenstange und im Gesicht so viel Pickel wie ein Kirschbaum Blüten hatte, fehlte es der Witwe Dubuc keineswegs an Bewerbern. Um zu ihrem Ziele zu gelangen, mußte Mutter Bovary erst alle diese Nebenbuhler aus dem Felde schlagen, was sie sehr geschickt fertig brachte. Sie triumphierte sogar über einen Fleischermeister, dessen Anwartschaft durch die Geistlichkeit unterstützt wurde.

Karl hatte in die Heirat eingewilligt in der Erwartung, sich dadurch günstiger zu stellen. Er hoffte, persönlich wie pekuniär unabhängiger zu werden. Aber Heloise nahm die Zügel in ihre Hände. Sie drillte ihm ein, was er vor den Leuten zu sagen habe und was nicht. Alle Freitage wurde gefastet. Er durfte sich nur nach ihrem Geschmacke kleiden, und die Patienten, die nicht bezahlten, mußte er auf ihren Befehl hin kujonieren. Sie erbrach seine Briefe, überwachte jeden Schritt, den er tat, und horchte an der Türe, wenn weibliche Wesen in seiner Sprechstunde waren. Jeden Morgen mußte sie ihre Schokolade haben, und die Rücksichten, die sie erheischte, nahmen kein Ende. Unaufhörlich klagte sie über Migräne, Brustschmerzen oder Verdauungsstörungen. Wenn viel Leute durch den Hausflur liefen, ging es ihr auf die Nerven. War Karl auswärts, dann fand sie die Einsamkeit gräßlich; kehrte er heim, so war es zweifellos bloß, weil er gedacht habe, sie liege im Sterben. Wenn er nachts in das Schlafzimmer kam, streckte sie ihm ihre mageren langen Arme aus ihren Decken entgegen, umschlang seinen Hals und zog ihn auf den Rand ihres Bettes. Und nun ging die Jeremiade los. Er vernachlässige sie, er liebe eine andre! Man habe es ihr ja gleich gesagt, diese Heirat sei ihr Unglück. Schließlich bat sie ihn um einen Löffel Arznei, damit sie gesund werde, und um ein bißchen mehr Liebe.

Zweites Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Einmal nachts gegen elf Uhr wurde das Ehepaar durch das Getrappel eines Pferdes geweckt, das gerade vor der Haustüre zum Stehen kam. Anastasia, das Dienstmädchen, klappte ihr Bodenfenster auf und verhandelte eine Weile mit einem Manne, der unten auf der Straße stand. Er wolle den Arzt holen. Er habe einen Brief an ihn.

Anastasia stieg frierend die Treppen hinunter und schob die Riegel auf, einen und dann den andern. Der Bote ließ sein Pferd stehen, folgte dem Mädchen und betrat ohne weiteres das Schlafgemach. Er entnahm seinem wollnen Käppi, an dem eine graue Troddel hing, einen Brief, der in einen Lappen eingewickelt war, und überreicht ihn dem Arzt mit höflicher Gebärde. Der richtete sich im Bett auf, um den Brief zu lesen. Anastasia stand dicht daneben und hielt den Leuchter. Die Frau Doktor kehrte sich verschämt der Wand zu und zeigte den Rücken.

In dem Briefe, den ein niedliches blaues Siegel verschloß, wurde Herr Bovary dringend gebeten, unverzüglich nach dem Pachtgut Les Bertaur zu kommen, ein gebrochenes Bein zu behandeln. Nun braucht man von Tostes über Longueville und Sankt Victor bis Bertaur zu Fuß sechs gute Stunden. Die Nacht war stockfinster. Frau Bovary sprach die Befürchtung aus, es könne ihrem Manne etwas zustoßen. Infolgedessen ward beschlossen, daß der Stallknecht vorausreiten, Karl aber erst drei Stunden später, nach Mondaufgang, folgen solle. Man würde ihm einen Jungen entgegenschicken, der ihm den Weg zum Gute zeige und ihm den Hof aufschlösse.

Früh gegen vier Uhr machte sich Karl, fest in feinen Mantel gehüllt, auf den Weg nach Bertaur. Noch ganz verschlafen überließ er sich dem Zotteltrab seines Gaules. Wenn dieser von selber vor irgendeinem im Wege liegenden Hindernis zum Halten parierte, wurde der Reiter jedesmal wach, erinnerte sich des gebrochnen Beines und begann in seinem Gedächtnisse alles auszukramen, was er von Knochenbrüchen wußte.

Der Regen hörte auf. Es dämmerte. Auf den laublosen Ästen der Apfelbäume hockten regungslose Vögel, das Gefieder ob des kühlen Morgenwindes gesträubt. So weit das Auge sah, dehnte sich flaches Land. Auf dieser endlosen grauen Fläche hoben sich hie und da in großen Zwischenräumen tiefviolette Flecken ab, die am Horizonte mit des Himmels trüben Farben zusammenflossen; das waren Baumgruppen um Güter und Meiereien herum. Von Zeit zu Zeit riß Karl seine Augen auf, bis ihn die Müdigkeit von neuem überwältigte und der Schlaf von selber wiederkam. Er geriet in einen traumartigen Zustand, in dem sich frische Empfindungen mit alten Erinnerungen paarten, so daß er ein Doppelleben führte. Er war noch Student und gleichzeitig schon Arzt und Ehemann. Im nämlichen Moment glaubte er in seinem Ehebette zu liegen und wie einst durch den Operationssaal zu schreiten. Der Geruch von heißen Umschlägen mischte sich in seiner Phantasie mit dem frischen Dufte des Morgentaus. Dazu hörte er, wie die Messingringe an den Stangen der Bettvorhänge klirrten und wie seine Frau im Schlafe atmete…

Als er durch das Dorf Vassonville ritt, bemerkte er einen Jungen, der am Rande des Straßengrabens im Grase saß.

»Sind Sie der Herr Doktor?«

Als Karl diese Frage bejahte, nahm der Kleine seine Holzpantoffeln in die Hände und begann vor dem Pferde herzurennen. Unterwegs hörte Bovary aus den Reden seines Führers heraus, daß Herr Rouault, der Patient, der ihn erwartete, einer der wohlhabendsten Landwirte sei. Er hatte sich am vergangenen Abend auf dem Heimwege von einem Nachbar, wo man das Dreikönigsfest gefeiert hatte, ein Bein gebrochen. Seine Frau war schon zwei Jahre tot. Er lebte ganz allein mit »dem gnädigen Fräulein«, das ihm den Haushalt führte.

Die Radfurchen wurden tiefer. Man näherte sich dem Gute. Plötzlich verschwand der Junge in der Lücke einer Gartenhecke, um hinter der Mauer eines Vorhofes wieder aufzutauchen, wo er ein großes Tor öffnete. Das Pferd trat in nasses rutschiges Gras, und Karl mußte sich ducken, um nicht vom Baumgezweig aus dem Sattel gerissen zu werden. Hofhunde fuhren aus ihren Hütten, schlugen an und rasselten an den Ketten. Als der Arzt in den eigentlichen Gutshof einritt, scheute der Gaul und machte einen großen Satz zur Seite.

Das Pachtgut Bertaur war ein ansehnliches Besitztum. Durch die offenstehenden Türen konnte man in die Ställe blicken, wo kräftige Ackergäule gemächlich aus blanken Raufen ihr Heu kauten. Längs der Wirtschaftsgebäude zog sich ein dampfender Misthaufen hin. Unter den Hühnern und Truthähnen machten sich fünf bis sechs Pfauen mausig, der Stolz der Güter jener Gegend. Der Schafstall war lang, die Scheune hoch und ihre Mauern spiegelglatt. Im Schuppen standen zwei große Leiterwagen und vier Pflüge, dazu die nötigen Pferdegeschirre, Kumte und Peitschen; auf den blauen Woilachs aus Schafwolle hatte sich feiner Staub gelagert, der von den Kornböden heruntersickerte. Der Hof, der nach dem Wohnhause zu etwas anstieg, war auf beiden Seiten mit einer Reihe Bäume bepflanzt. Vom Tümpel her erscholl das fröhliche Geschnatter der Gänse.

An der Schwelle des Hauses erschien ein junges Frauenzimmer in einem mit drei Volants besetzten blauen Merinokleide und begrüßte den Arzt. Er wurde nach der Küche geführt, wo ein tüchtiges Feuer brannte. Auf dem Herde kochte in kleinen Töpfen von verschiedener Form das Frühstück des Gesindes. Oben im Rauchfang hingen naßgewordene Kleidungsstücke zum Trocknen. Kohlenschaufel, Feuerzange und Blasebalg, alle miteinander von riesiger Größe, funkelten wie von blankem Stahl, während längs der Wände eine Unmenge Küchengerät hing, über dem die helle Herdflamme um die Wette mit den ersten Strahlen der durch die Fenster huschenden Morgensonne spielte und glitzerte.

Karl stieg in den ersten Stock hinauf, um den Kranken aufzusuchen. Er fand ihn in seinem Bett, schwitzend unter seinen Decken. Seine Nachtmütze hatte er in die Stube geschleudert. Es war ein stämmiger kleiner Mann, ein Fünfziger, mit weißem Haar, blauen Augen und kahler Stirn. Er trug Ohrringe. Neben ihm auf einem Stuhle stand eine große Karaffe voll Branntwein, aus der er sich von Zeit zu Zeit ein Gläschen einschenkte, um »Mumm in die Knochen zu kriegen«. Angesichts des Arztes legte sich seine Erregung. Statt zu fluchen und zu wettern – was er seit zwölf Stunden getan hatte – fing er nunmehr an zu ächzen und zu stöhnen.

Der Bruch war einfach, ohne jedwede Komplikation. Karl hätte sich einen leichteren Fall nicht zu wünschen gewagt. Alsbald erinnerte er sich der Allüren, die seine Lehrmeister an den Krankenlagern zur Schau gerragen harten, und spendete dem Patienten ein reichliches Maß der üblichen guten Worte, jenes Chirurgenbalsams, der an das Öl gemahnt, mit dem die Seziermesser eingefetter werden. Er ließ sich aus dem Holzschuppen ein paar Latten holen, um Holz zu Schienen zu bekommen. Von den gebrachten Stücken wählte er eins aus, schnitt die Schienen daraus zurecht und glättete sie mit einer Glasscherbe. Währenddem stellte die Magd Leinwandbinden her, und Fräulein Emma, die Tochter des Hauses, versuchte Polster anzufertigen. Als sie ihren Nähkasten nicht gleich fand, polterte der Vater los. Sie sagte kein Wort. Aber beim Nähen stach sie sich in den Finger, nahm ihn in den Mund und sog das Blut aus.

Karl war erstaunt, was für blendendweiße Nägel sie hatte. Sie waren mandelförmig geschnitten und sorglich gepflegt, und so schimmerten sie wie das feinste Elfenbein. Ihre Hände freilich waren nicht gerade schön, vielleicht nicht weiß genug und ein wenig zu mager in den Fingern; dabei waren sie allzu schlank, nicht besonders weich und in ihren Linien ungraziös. Was jedoch schön an ihr war, das waren ihre Augen. Sie waren braun, aber im Schatten der Wimpern sahen sie schwarz aus, und ihr offener Blick traf die Menschen mit der Kühnheit der Unschuld.

Als der Verband fertig war, lud Herr Rouault den Arzt feierlich »einen Bissen zu essen«, ehe er wieder aufbräche. Karl ward in das Esszimmer geführt, das zu ebener Erde lag. Auf einem kleinen Tische war für zwei Personen gedeckt; neben den Gedecken blinkten silberne Becher. Aus dem großen Eichenschranke, gegenüber dem Fenster, strömte Geruch von Iris und feuchtem Leinen. In einer Ecke standen aufrecht in Reih und Glied mehrere Säcke mit Getreide; sie hatten auf der Kornkammer nebenan keinen Platz gefunden, zu der drei Steinstufen hinaufführten. In der Mitte der Wand, deren grüner Anstrich sich stellenweise abblätterte, hing in einem vergoldeten Rahmen eine Bleistiftzeichnung: der Kopf einer Minerva. In schnörkeliger Schrift stand darunter geschrieben. »Meinem lieben Vater!«

Sie sprachen zuerst von dem Unfall, dann vom Wetter, vom starken Frost, von den Wölfen, die nachts die Umgegend unsicher machen. Fraulein Rouault schwärmte gar nicht besonders von dem Leben auf dem Lande, zumal jetzt nicht, wo die ganze Last der Gutswirtschaft fast allein auf ihr ruhe. Da es im Zimmer kalt war, fröstelte sie während der ganzen Mahlzeit. Beim Essen fielen ihre vollen Lippen etwas auf. Wenn das Gespräch stockte, pflegte sie mit den Oberzähnen auf die Unterlippe zu beißen.

Ihr Hals wuchs aus einem weißen Umlegekragen heraus. Ihr schwarzes, hinten zu einem reichen Knoten vereintes Haar war in der Mitte gescheitelt; beide Hälften lagen so glatt auf dem Kopfe, daß sie wie zwei Flügel aus je einem Stücke aussahen und kaum die Ohrläppchen blicken ließen. Über den Schläfen war das Haar gewellt, was der Landarzt noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Ihre Wangen waren rosig. Zwischen zwei Knöpfen ihrer Taille lugte – wie bei einem Herrn – ein Lorgnon aus Schildpatt hervor.

Nachdem sich Karl oben beim alten Rouault verabschiedet hatte, trat er nochmals in das Eßzimmer. Er fand Emma am Fenster stehend, die Stirn an die Scheiben gedrückt. Sie schaute in den Garten hinaus, wo der Wind die Bohnenstangen umgeworfen hatte. Sich umwendend, fragte sie:

»Suchen Sie etwas?«

»Meinen Reitstock, wenn Sie gestatten!«

Er fing an zu suchen, hinter den Türen und unter den Stühlen. Der Stock war auf den Fußboden gefallen, gerade zwischen die Säcke und die Wand. Emma entdeckte ihn. Als sie sich über die Säcke beugte, wollte Karl ihr galant zuvorkommen. Wie er seinen Arm in der nämlichen Absicht wie sie ausstreckte, berührte seine Brust den gebückten Rücken des jungen Mädchens. Sie fühlten es beide. Emma fuhr rasch in die Höhe. Ganz rot geworden, sah sie ihn über die Schulter weg an, indem sie ihm seinen Reitstock reichte.

Er hatte versprochen, in drei Tagen wieder nachzusehen; statt dessen war er bereits am nächsten Tag zur Stelle, und von da ab kam er regelmäßig zweimal in der Woche, ungerechnet die gelegentlichen Besuche, die er hin und wieder machte, wenn er »zufällig in der Gegend« war. Übrigens ging alles vorzüglich; die Heilung verlief regelrecht, und als man nach sechs und einer halben Woche Vater Rouault ohne Stock wieder in Haus und Hof herumstiefeln sah, hatte sich Bovary in der ganzen Gegend den Ruf einer Kapazität erworben. Der alte Herr meinte, besser hätten ihn die ersten Ärzte von Yvetot oder selbst von Rouen auch nicht kurieren können.

Karl dachte gar nicht daran, sich zu befragen, warum er so gern nach dem Rouaultschen Gute kam. Und wenn er auch darüber nachgesonnen hätte, so würde er den Beweggrund seines Eifers zweifellos in die Wichtigkeit des Falles oder vielleicht in das in Aussicht stehende hohe Honorar gelegt haben. Waren dies aber wirklich die Gründe, die ihm seine Besuche des Pachthofes zu köstlichen Abwechselungen in dem armseligen Einerlei seines tätigen Lebens machten? An solchen Tagen stand er zeitig auf, ritt im Galopp ab und ließ den Gaul die ganze Strecke lang kaum zu Atem kommen. Kurz vor seinem Ziele aber pflegte er abzusitzen und sich die Stiefel mit Gras zu reinigen; dann zog er sich die braunen Reithandschuhe an, und so ritt er kreuzvergnügt in den Gutshof ein. Es war ihm ein Wonnegefühl, mit der Schulter gegen den nachgebenden Flügel des Hoftores anzureiten, den Hahn auf der Mauer krähen zu hören und sich von der Dorfjugend umringt zu sehen. Er liebte die Scheune und die Ställe; er liebte den Papa Rouault, der ihm so treuherzig die Hand schüttelte und ihn seinen Lebensretter nannte; er liebte die niedlichen Holzpantoffeln des Gutsfräuleins, die auf den immer sauber gescheuerten Fliesen der Küche so allerliebst schlürften und klapperten. In diesen Schuhen sah Emma viel größer aus denn sonst. Wenn Karl wieder ging, gab sie ihm jedesmal das Geleit bis zur ersten Stufe der Freitreppe. War sein Pferd noch nicht vorgeführt, dann wartete sie mit. Sie hatten schon Abschied voneinander genommen, und so sprachen sie nicht mehr. Wenn es sehr windig war, kam ihr flaumiges Haar im Nacken in wehenden Wirrwarr, oder die Schürzenbänder begannen ihr um die Hüften zu flattern. Einmal war Tauwetter. An den Rinden der Bäume rann Wasser in den Hof hinab, und auf den Dächern der Gebäude schmolz aller Schnee. Emma war bereits auf der Schwelle, da ging sie wieder ins Haus, holte ihren Sonnenschirm und spannte ihn auf. Die Sonnenlichter stahlen sich durch die taubengraue Seide und tupften tanzende Reflexe auf die weiße Haut ihres Gesichts. Das gab ein so warmes und wohliges Gefühl, daß Emma lächelte. Einzelne Wassertropfen prallten auf das Schirmdach, laut vernehmbar, einer, wieder einer, noch einer …

Im Anfang hatte Frau Bovary häufig nach Herrn Rouault und seiner Krankheit gefragt, auch hatte sie nicht verfehlt, für ihn in ihrer doppelten Buchführung ein besondres Konto einzurichten. Als sie aber vernahm, daß er eine Tochter hatte, zog sie nähere Erkundigungen ein, und da erfuhr sie, daß Fräulein Rouault im Kloster, bei den Ursulinerinnen, erzogen worden war, sozusagen also »eine feine Erziehung genossen« hatte, daß sie infolgedessen Kenntnisse im Tanzen, in der Erdkunde, im Zeichnen, Sticken und Klavierspielen haben mußte. Das ging ihr über die Hutschnur, wie man zu sagen pflegt.

»Also darum!« sagte sie sich. »Darum also lacht ihm das ganze Gesicht, wenn er zu ihr hinreitet! Darum zieht er die neue Weste an, gleichgültig, ob sie ihm vom Regen verdorben wird! Oh dieses Weib, dieses Weib!«

Instinktiv haßte sie Emma. Zuerst tat sie sich eine Güte in allerhand Anspielungen. Karl verstand das nicht. Darauf versuchte sie es mit anzüglichen Bemerkungen, die er aus Angst vor einer häuslichen Szene über sich ergehen ließ. Schließlich aber ging sie im Sturm vor. Karl wußte nicht, was er sagen sollte. Weshalb renne er denn ewig nach Bertaur, wo doch der Alte längst geheilt sei, wenn die Rasselbande auch noch nicht berappt habe? Na freilich, weil es da ›eine Person‹ gäbe, die fein zu schwatzen verstünde, ein Weibsbild, das sticken könne und weiter nichts, ein Blaustrumpf! In die sei er verschossen! Ein Stadtdämchen, das sei ihm ein gefundenes Fressen.

»Blödsinn!« polterte sie weiter. »Die Tochter des alten Rouault, die und eine feine Dame! O jeh! Ihr Großvater hat noch die Schafe gehütet, und ein Vetter von ihr ist beinahe vor den Staatsanwalt gekommen, weil er bei einem Streite jemanden halbtot gedroschen hat! So was hat gar keinen Anlaß, sich was Besonders einzubilden und Sonntags aufgedonnert in die Kirche zu schwänzeln, in seidnen Kleidern wie eine Prinzessin. Und der Alte, der arme Schluder! Wenn im vergangenen Jahre die Rapsernte nicht so unverschämt gut ausgefallen wäre, hätte er seinen lumpigen Pacht nicht mal blechen können!«

Die Freude war Karl verdorben. Er stellte seine Ritte nach Bertaur ein. Seine Frau hatte ihn nach einer Flut von Tränen und Küssen und unter tausend Zärtlichkeiten auf ihr Meßbuch schwören lassen, nicht mehr hinzugehen. Er gehorchte. Aber in seiner heimlichen Sehnsucht war er kühner; da war er empört über seine tatsächliche eigne Feigheit. Und in naivem Machiavellismus sagte er sich, gerade ob dieses Verbots habe er ein Recht auf seine Liebe. Was war die ehemalige Witwe auch für ein Weib: sie war spindeldürr und hatte häßliche Zähne; Sommer wie Winter trug sie denselben schwarzen Schal mit dem über den Rücken herabhängenden langen Zipfel; ihre steife Figur stak in den immer zu kurzen Kleidern wie in einem Futteral, und was für plumpe Schuhe trug sie über ihren grauen Strümpfen.

Karls Mutter kam von Zeit zu Zeit zu Besuch. Dann wurde es noch schlimmer; dann hackten sie alle beide auf ihn ein. Das viele Essen bekäme ihm schlecht. Warum er dem ersten besten immer gleich ein Glas Wein vorsetze? Und es sei bloß Dickköpfigkeit von ihm, keine Flanellwäsche zu tragen.

Zu Beginn des Frühlings begab es sich, daß der Vermögensverwalter der Frau verwitweten Dubuc, ein Notar in Ingouville, samt allen ihm anvertrauten Geldern übers Meer das Weite suchte. Nun besaß sie allerdings außerdem einen Schiffsanteil in der Höhe von sechstausend Franken und ein Haus in Dieppe. Aber von allen diesen vielgepriesenen Besitztümern hatte man nie etwas Ordentliches zu sehen bekommen. Die Witwe hatte nichts mit in die Ehe gebracht als ein paar Möbel und etliche Nippsachen. Nunmehr ging man der Sache auf den Grund, und da stellte sich denn heraus, daß besagtes Haus bis an die Feueresse mit Hypotheken belastet, daß kein Mensch wußte, wieviel Geld wirklich mit dem Notar zum Teufel gegangen, und daß die Schiffshypothek keine tausend Taler wert war. Folglich hatte die liebe Frau Heloise geflunkert. In seinem Zorn warf der alte Bovary einen Stuhl gegen die Wand, daß er in tausend Stücke ging, und machte seiner Frau den Vorwurf, sie habe den Jungen in das Unglück gestürzt und ihn mit einer alten Kracke eingespannt, die des Futters nicht einmal mehr wert sei.

Sie fuhren nach Tostes. Es kam zu einer Auseinandersetzung und zu heftigen Szenen. Heloise warf sich weinend in die Arme ihres Gatten und beschwor ihn, sie den Eltern gegenüber in Schutz zu nehmen. Karl wollte die Partei seiner Frau ergreifen. Aber das nahmen ihm die Alten übel. Sie reisten ab.

Diesen Schlag vermochte Heloise nicht zu verwinden. Acht Tage darnach, als sie dabei war, Wäsche im Hofe aufzuhängen, bekam sie einen Blursturz, und am andern Morgen war sie tot.

Als Karl vom Friedhofe zurückkam, fand er im Erdgeschoß keinen Menschen. Er stieg die Treppe hinauf. Wie er in das Schlafzimmer trat, fiel sein Blick auf einen Rock Heloisens, der am Bette hing. Er lehnte sich gegen das Schreibpult und blieb da hocken, bis es dunkel wurde, in schmerzliche Träumereien versunken. Alles in allem hatte sie ihn doch geliebt …

Drittes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Eines Vormittags erschien Vater Rouault und brachte das Honorar für den behandelten Beinbruch: fünfundsiebzig Franken in blanken Talern und eine Truthenne. Er hatte Karls Unglück erfahren und tröstete ihn, so gut er konnte.