Erkämpftes Glück, Band 2 - Karl May - E-Book

Erkämpftes Glück, Band 2 E-Book

Karl May

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Beschreibung

Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde (später auch: Das Waldröschen oder die Verfolgung rund um die Erde) ist der erste von fünf Kolportageromanen von Karl May, erschienen zwischen zwischen 1882 und 1884 in 109 Fortsetzungen. Dies ist Band 9.

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Erkämpftes Glück, Band 2

Karl May

Inhalt:

Karl May – Biografie und Bibliografie

Erkämpftes Glück, Band 2

1. Kapitel.

2. Kapitel.

3. Kapitel.

4. Kapitel.

5. Kapitel.

6. Kapitel.

7. Kapitel.

8. Kapitel.

9. Kapitel.

10. Kapitel.

11. Kapitel.

12. Kapitel.

13. Kapitel.

14. Kapitel.

15. Kapitel.

16. Kapitel.

17. Kapitel.

18. Kapitel.

19. Kapitel.

20. Kapitel.

21. Kapitel.

22. Kapitel.

23. Kapitel.

24. Kapitel.

25. Kapitel.

26. Kapitel.

Erkämpftes Glück, Band 2, Karl May

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849609597

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Cover Design: © Can Stock Photo Inc. / javarman

Karl May – Biografie und Bibliografie

Am 25. Februar 1842 wird Karl May wird als fünftes Kind des Webers Heinrich May und dessen Ehefrau Wilhelmine (geb. Weise) in Ernstthal (Sachsen) geboren. Obwohl er kurz nach seiner Geburt erblindet wird er im Alter von 5 Jahren von der Krankheit geheilt. Bereits mit 14 Jahren beginnt er eine Ausbildung zum Volksschullehrer, die er 1861 besteht. Noch im gleichen Jahr verliert May seinen Arbeitsplatz als Lehrer wegen wiederholten Diebstahls. Ab 1863 wird es ihm verboten zu unterrichten.

Von 1865 bis 1869 wird May immer wieder straffällig und muss von 1870 bis 1874 ins Gefängnis. Danach beginnt May zu schreiben und in "Der Deutsche Hausschatz" erscheinen erste Erzählungen: "Reiseabenteuer in Kurdistan", "Die Todeskaravane" oder "Stambul". Seine Romane erfahren immer mehr Zuspruch und 1893 erscheint die Winnetou-Reihe. Bis 1898 veröffentlicht May über 30 Bände mit immer steigender Auflage.

Erst 1899 unternimmt May erstmals eine Reise in den Orient, 1908 sieht er zum ersten Mal die Vereinigten Staaten. Alles was er geschrieben hatte war pure Fiktion! Er stirbt am 30. März 1912 an einem Herzschlag.

Zu seinen wichtigsten Werken zählen Durch die Wüste und Harem (1892) ,Durchs wilde Kurdistan (1892), Von Bagdad nach Stambul (1892), In den Schluchten des Balkan (1892), Durch das Land der Skipetaren (1892), Der Schut (1892), Winnetou I (1893), Winnetou II (1893), Winnetou III (1893), Orangen und Datteln (1893), Am Stillen Ozean (1894), Am Rio de la Plata (1894), In den Cordilleren (1894),  Old Surehand I (1894), Old Surehand II (1895), Im Lande des Mahdi I (1896), Im Lande des Mahdi II (1896), Im Lande des Mahdi III (1896), Old Surehand III (1897), Satan und Ischariot I (1896) ,Satan und Ischariot II (1897), Satan und Ischariot III (1897), Auf fremden Pfaden (1897), „Weihnacht!“ (1897), Im Reiche des silbernen Löwen I (1898), Im Reiche des silbernen Löwen II (1898), Am Jenseits (1899), Der Sohn des Bärenjägers (1887), Der Geist des Llano estakato (1888), Der blaurote Methusalem (1888), Die Sklavenkarawane (1889/90), Der Schatz im Silbersee (1890/91), Das Vermächtnis des Inka (1891/92), Der Ölprinz (1893/94) und Der schwarze Mustang (1896/97).

Erkämpftes Glück, Band 2

1. Kapitel.

Endlich, nach so langer Zeit, wandert der freundliche Leser wieder einmal nach Spanien, und zwar nach jenem Dorf, wo unsere vielbewegte Erzählung begonnen hat.

Dort, im Wald von Rodriganda, lagerte eine Zigeunerbande, alt und jung bunt durcheinander. Die Älteste aber lag unter einer Art von Zelt, damit sie am Tag von der Sonnenglut und des Nachts von der fühlbaren Kühle nicht so viel zu leiden habe, eine Zartheit, die bei Zigeunern selten zu sein pflegt.

Diese Alte war Zarba, die Königin der Gitanos, die einstige, blühende Schönheit, die Rose Zingarita, die Cortejo vom Stamm gebrochen und dann fortgeworfen hatte.

Es war gegen Abend. Die Altmutter lag in tiefem Schlummer. Daher beobachtete man im Lager eine ungewöhnliche Ruhe. Infolge dieser Stille waren die Tritte eines Pferdes, das den Weg durch den Wald suchte, leichter zu vernehmen.

Alle lauschten. Die Tritte näherten sich. Bald wurde ein Reiter sichtbar, der auf ungesatteltem Pferd ohne Bügel saß und einen einfachen Strick als Zügel hatte. Alle sprangen auf. Sie kannten ihn.

»Jarko«, rief es rundum so laut, daß die Ältermutter erwachte. Sie erhob sich vom Lager und steckte den Kopf zum Zelt heraus. Sofort wurde es im Kreis der anderen ruhig.

Welch eigentümliches Gesicht war es doch, dem solche Ehrerbietung erwiesen wurde! War das wirklich jene Zarba, deren berauschende Schönheit solches Aufsehen erregt hatte? Falte legte sich an Falte, tief und breit, lederfarben und auch lederhart. Die Nase bog sich weit nach unten, die Zähne waren verschwunden, daher war die Mundgegend tief eingefallen, und so schien es, als ob das Kinn eine sehr energische Anstrengung machte, mit der Nasenspitze zusammenzustoßen.

Aber die Augen waren nicht alt geworden. Sie besaßen noch die ganze Glut und Schärfe der Jugend; in ihnen konnte es noch leuchtend aufflammen, in Liebe oder in Haß, ganz wie es kam.

»Jarko!« rief sie.

Der soeben Angekommene, der inzwischen vom Pferd gesprungen war, trat näher zu ihr heran.

»Setze dich, mein Sohn!« sagte sie. »Du bist sehr lange fern gewesen. Jetzt endlich bringst du mir Nachricht. Ich werde fragen, und du sollst mir antworten. Oder bist du müde? Hast du Hunger oder Durst, mein Sohn?«

Der Zigeuner schüttelte verächtlich den Kopf.

»Müdigkeit? Hunger oder Durst?« fragte er. »Was ficht das den Gitano an! Frage, Mutter, damit ich dir antworten kann!« – »So sage mir, ob du Deutschland glücklich erreicht hast.« – »Ich war in diesem Land.« – »Auch an dem Ort, nach dem ich dich sandte?« – »Auf dem Schloß Rheinswalden? Ja, da war ich auch.« – »So ist mein Wunsch erfüllt. Lebt Tombi noch?« – »Er lebt noch, ist gesund und freut sich seines Lebens.« – »Hast du nicht gesehen einen alten Mann, der krank in seinem Geist ist?« – »Ich habe ihn gesehen. Er spricht stets, daß er der gute, treue Alimpo sei. Man sagt, dieser Mann sei der eigentliche Graf de Rodriganda.« – »Was er ist, das geht dich nichts an. Welche Personen hast du noch dort gefunden?« – »Den Herzog von Olsunna.« – »Ich kenne ihn.« – »Die Herzogin, seine Frau.« – »Sie war meine Freundin.« – »Frau Rosa Sternau, die Tochter der Rodriganda.« – »Sie war die Wonne ihres Gatten. Gott hat ihn sterben lassen.« – »Ihr Töchterlein Rosa, genannt Waldröschen.« – »Ich habe sie als Kind gesehen und ihr die Hände auf das Haupt gelegt. Ist sie schön geworden?« – »Schöner als die Röte des Morgens.« – »Und gut?« – »Ihr Herz kennt nichts als Güte allein.« – »Gott wird sie segnen. Wen hast du noch gesehen?« – »Einen Offizier, der Kurt genannt wird. Er ist jung, aber er wird schnell ein großer Mann werden.« – »Er ist der Sohn des Steuermannes. Ich habe in den Sternen gelesen, daß ihm keine seiner Leuchten untergehen wird.« – »Sodann habe ich gesehen den alten Rodenstein.« – »Der Rodensteiner ist wie der Stein, der aus dem Feld gerodet wird. Er hat keinen Glanz und keine Politur und verwittert langsam.« – »Seinen Sohn, den Maler, und seines Sohnes Frau, die Herzogstochter.« – »Es sind zwei Herzen, die fest zusammenwuchsen, sie werden sich niemals fremd werden.« – »Sodann bekam ich von Tombi, deinem Sohn, einen Brief für dich.« – »Einen Brief? Gib ihn her! Der Gitano versteht nicht, einen Brief zu schreiben. Aber was er einmal schreibt, das wird von seinen Brüdern und Schwestern gelesen. Meine Augen sind noch scharf genug, die Worte zu sehen, die mir mein Sohn sendet, der der Sohn meines größten Feindes ist.«

Der Zigeuner gab Zarba ein Blatt Papier, worauf mehrere Zeilen mit schlechter Feder und noch schlechterer Tinte geschrieben waren. Dieses Blatt war in einen Leinwandlappen gewickelt gewesen. Sie verstand dennoch das undeutlich Geschriebene und las folgende Apostrophen:

Mutter.

Brief von Frau Sternau. Lebt noch. Auch Steuermann. Graf Ferdinando. Auch alle anderen. Sind in Mexiko. Ferdinando von Cortejo Pablo Gift. Scheintot. Schiff geschafft. Sklave geworden. Landola getan. Die anderen von Landola auf Schiff. Gefangen. Sollte sie töten. Schaffte sie auf eine wüste Insel. Sechzehn Jahre. Gerettet. Kommen bald nach Hause. Große Freude in Rheinswalden und Rodriganda. Rache bald und groß.

Sohn Tombi.«

Man sieht, daß dieser Brief ein früheres Datum hatte. Er war vor Geierschnabels Ankunft geschrieben, also zu einer Zeit, in der man noch nicht wußte, daß die Geretteten wieder verschwunden seien.

Zarba saß lange Zeit in tiefe Gedanken versunken. Dann barg sie den Brief in der Tasche des alten Gewandes und kam aus dem Zelt hervor. Sie steckte einen Dolch zu sich und entfernte sich aus dem Lager, ohne den Ihrigen ein Wort der Erklärung zu geben.

Ihre Schritte waren zwar langsam, aber fest und sicher. Sie schien, trotzdem es Winter war, nicht im geringsten zu frieren. War es vielleicht eine seelische Potenz, die ihr diese Wärme, diese Kraft erteilte?

Sie schritt geradewegs auf Schloß Rodriganda zu. Als sie das Portal erreichte, stand ein Diener unter demselben.

»Was willst du, Hexe?« fragte er.

Zarba antwortete nicht, sondern schritt an ihm vorüber. Da erfaßte er sie beim Arm und wiederholte:

»Was du willst, Hexe, habe ich gefragt!«

Sie blickte ihn ruhig an und antwortete:

»Weißt du nicht, daß ich hier stets Zutritt habe?« – »Ich weiß es. Aber sage mir, zu wem du willst.« – »Ist Graf Alfonzo da?« – »Nein.« – »Señor Cortejo?« – »Ja.« – »Schwester Clarissa?« – »Ja.« – »Wo befinden sich diese beiden?« – »Im Zimmer Cortejos.«

Zarba wußte sehr gut Bescheid im Schloß. Sie stieg also die beiden Treppen empor, horchte an der betreffenden Tür, und als sie hinter derselben eine männliche und eine weibliche Stimme vernahm, klopfte sie an. Drin erscholl der Ruf, und sie trat ein.

Cortejo saß mit Schwester Clarissa auf dem Sofa. Sie hatten auf dem Tisch vor sich ein höchst splendides Abendmahl stehen. Beider Züge verfinsterten sich, als sie bemerkten, daß Zarba die Eintretende sei.

»Was willst du?« fragte Cortejo barsch. – »Mich an deinem Feuer wärmen«, antwortete sie, indem sie die Achseln zusammenzog, wie jemand, den sehr friert, und sich an den prächtigen Marmorkamin kuschelte. – »Dich wärmen? Geh in den Wald zu den Deinen! Brenne dir dort ein Feuer an!« – »Im Schloß bei den Meinen ist es besser als im Wald.«

Cortejo blickte Zarba erstaunt an. Was hatte sie nur? Diese Zigeunerin besaß eine Macht, der er nicht gewachsen war. Sie wußte einiges aus seinem Leben. Daß sie noch mehr, daß sie alles wußte, ahnte er gar nicht. Wie oft hatte er ihren Tod gewünscht! Er hätte sich kein Gewissen daraus gemacht, sie zu töten, aber ein geheimnisvolles Etwas hatte ihn immer von der Ausführung dieses Gedankens abgehalten.

»Wen hättest du im Schloß, die du ›die Deinen‹ nennen könntest?« fragte Schwester Clarissa in stolzem, höhnischem Ton. – »Dich nicht«, antwortete die Gefragte.

Da brauste die Schwester auf.

»Weib!« rief sie. »Wagst du, mich du zu heißen! Mißbrauche unsere Geduld nicht auf solche Weise!« – »Was bist du anderes als ich?« fragte die Zigeunerin.

Clarissa antwortete nicht, aber sie wandte sich an Cortejo und rief:

»Schaffe diese Vagabundin fort! Auf der Stelle!«

Cortejo mußte gehorchen; er gebot der Zigeunerin:

»Gehe hinab und wärme dich beim Gesinde! Bei uns ist kein Raum für dich!«

Da war es, als ob der Körper Zarbas höher und breiter werde. Sie richtete sich empor, lehnte sich an den Kamin, verschränkte die Arme über der Brust und erwiderte mit Nachdruck:

»Zarba wird sich da wärmen, wo es ihr beliebt. Dieses Weib hat dir einen Sohn geboren, der noch lebt. Auch ich gab dir einen Sohn, der lebt. Wer ist mehr, sie oder ich? Freilich ist mein Sohn ein armer Gitano, während der ihrige jetzt Graf von Rodriganda ist.«

Die beiden erschraken so, daß ihnen das Blut in den Adern stockte. Erst nach längerer Pause sagte Cortejo:

»Zarba, um Gottes willen, was fällt dir ein! Du phantasierst!«

Sie zuckte die Achsel und antwortete:

»Wohl wäre es kein Wunder, wenn mir die Sinne verlorengegangen wären, aber Gott hat sie mir erhalten, damit es eine Anklägerin gebe, wenn die Zeit des Gerichtes über euch gekommen ist.«

Schwester Clarissa fuhr sich mit dem Riechfläschchen an die Nase.

»Dieses Weib ist wirklich wahnsinnig, oder es träumt ihm nur!« rief sie aus. – »Frevle nicht!« gebot Zarba. »Es wird für euch die Stunde kommen, wo der Wahnsinn für euch eine Wohltat wäre. Ihr werdet heulen und mit den Zähnen klappern, daß die Teufel gezwungen sein werden, Mitleid mit euch zu haben!«

Cortejo wußte nicht, was er denken und sagen sollte. Zarba, seine einstige Geliebte, seine Mitschuldige in so vielen Fällen, trat jetzt in dieser Weise gegen ihn auf? Was hatte das zu bedeuten? Er starrte sie lange an, und endlich fragte er:

»Was willst du denn eigentlich von uns?« – »Nur mich wärmen«, antwortete sie. »Wenn aber dieses Weib mich hinausweist, weil es denkt, mehr zu sein als ich, so zeige ich ihm, daß ich gleiche Rechte mit ihm habe. Ich verlange von dir für meinen Sohn eine Grafschaft, ebenso wie der ihrige eine erhalten hat.« – »Was redest du von meinen Söhnen?« – »Schweige!« erwiderte Zarba gebieterisch. »Wir beleidigen uns nicht, wenn wir gegenseitig die Wahrheit gestehen. Zarba ist mächtiger als du. Sie kann erretten und verderben.« – »Du irrst«, antwortete er. »Es kostet mich ein Wort, so bist du verloren!«

Cortejo hatte sich zusammengerafft. Er wollte nun diese Vagabundin loswerden. Vor Clarissa hatte er kein Geheimnis, er konnte mit der Zigeunerin ganz ohne Furcht sprechen.

»Sprich dieses Wort!« gebot sie ihm. – »Ich will dich nicht sehen, nicht hören; es soll sein, als ob du gestorben seiest. Gehst du mit darauf ein, so werde ich schweigen. Fährst du aber fort, Schloß Rodriganda zu besuchen, als ob du hereingehörtest, so übergebe ich dich der Gerechtigkeit.« – »Du?« fragte Zarba, indem sie leise in sich hineinkicherte. »Sage nur ein Wort von mir, so geht dein Kopf verloren!« – »Oho!« meinte er. »Denkst du der Nacht, als Graf Emanuel verschwand? Er lag krank. Da kamen Zigeuner durch die hintere Tür. Sie würgten ihn, trugen ihn fort, und am anderen Morgen fand man ihn in der Tiefe des Abgrundes. Kennst du die Zigeuner, die dies taten? Kennst du die Anführerin, die ihnen befohlen hatte, dies zu tun?« – »Ich kenne sie«, entgegnete Zarba ruhig. »Aber kennst du auch den, der dies von ihr bestellte und sie dafür bezahlte? Kennst du die fromme Schwester, mit der er den Streich beraten hatte?« – »Pah!« meinte Cortejo. »Wer kann mir etwas beweisen?« – »Und wer mir?« fragte sie. – »Ich«, antwortete er. »Ich beschwöre es. Du aber hättest gegen mich keinen Schwur. Du bist Zigeunerin.« – »Ich würde deines Schwures lachen.« – »Prahlerin! Mörderin! Das Blut Don Emanuels klebt an deinen Händen!«

Zarba lächelte wieder heimlich in sich hinein und erwiderte:

»Um zu beweisen, wer sein Mörder ist, müßte man erst nachweisen, wer ihn erblinden lassen wollte und ihm und seiner Tochter Gift eingab, um sie wahnsinnig zu machen; aber das ist nicht nötig. Ich lache eurer doch. Erinnerst du dich noch jenes deutschen Doktors Sternau, der den Grafen operierte?« – »Er war ein Scharlatan, der längst untergegangen ist.« – »Er war weder ein Scharlatan, noch ist er untergegangen. Daß er kein Scharlatan sei, bewies er, als die Leiche des Grafen aufgehoben wurde, indem er behauptete, es sei gar nicht die Leiche des Grafen.« – »Sie war es aber doch.« – »Nein, sie war es nicht. Sternau war ein gescheiter Arzt, und ich war keine Mörderin. Ich sollte den Grafen töten, aber ich holte ihn nur von euch fort, um sein Leben sicherzustellen, und ließ ihn nach einem Ort schaffen, wo er nicht zu finden war.«

Die beiden Zuhörer waren totenbleich geworden. Cortejo war vor Schreck emporgefahren, Clarissa aber niedergesunken.

»Lüge, Lüge!« rief der erstere. »Man fand ja die Leiche!« – »Das war der Körper eines am Tag vorher begrabenen Mannes. Ich ließ ihn ausgraben, zog ihm die Kleidung des Grafen an und stürzte ihn zum Felsen hinab; er wurde so zerschmettert, daß eine Täuschung sehr wahrscheinlich war.« – »Weib, Teufel, du lügst!« rief Cortejo. – »Glaube das immerhin. Aber Graf Emanuel lebt noch.« – »Wo hättest du ihn?« – »Da, wohin du nicht kommen kannst. Ferner nanntest du jenen Sternau untergegangen. Auch darin irrst du. Sternau lebt.«

Cortejo blickte Zarba überlegen an und antwortete:

»Er ist tot. Das weiß ich sehr genau.« – »Meinst du?« fragte sie, abermals in sich hineinlachend. »So ist wohl auch Graf Ferdinando tot?« – »Ja.« – »Und Mariano, der echte Rodriganda?« – »Den kenne ich nicht. Sie alle sind tot, während eines Schiffbruchs untergegangen.«

Zarba trat einen Schritt näher und meinte:

»Gasparino Cortejo, du irrst abermals. Henrico Landola hat euch ebenso schlecht bedient wie ich.« – »Was sagst du? Ich verstehe dich nicht.« – »Du sollst mich sogleich verstehen. Landola traute dir niemals. Er wollte eine Waffe gegen dich behalten, darum tötete er diejenigen nicht, die er töten sollte, sondern setzte sie auf einer wüsten Insel aus. Sechzehn Jahre waren sie dort, bis es ihnen kürzlich gelang, zu entkommen.«

Cortejo wußte nicht, was er denken sollte. Selbst wenn Zarba jetzt log, mußte sie sich doch im Besitz von Geheimnissen befinden, die er bisher für sein ausschließliches Eigentum gehalten hatte. Und was sie erzählte, das war diesem Landola zuzutrauen. Wie nun, wenn sie die Wahrheit sagte?

Es wurde ihm ganz schwindlig, und auch Clarissa ließ ein leises Stöhnen hören, das sie nicht zu unterdrücken vermochte. Sie schien also ganz seine eigenen Gedanken und Gefühle zu haben. Cortejo raffte sich jedoch zusammen und sagte in höhnischem Ton:

»Du erfindest sehr gut, Alte! Werde Kinderwärterin, es wird dir da nicht schwer werden, Ammenmärchen zu ersinnen.«

Zarba lachte überlegen auf und antwortete:

»Das spricht nur deine Angst, ich höre und sehe es dir an! Ich will dir aber noch mehr sagen. Ihr hielt Don Emanuel für tot, nun sollte auch Don Ferdinando sterben, damit dein Sohn das ganze Erbe empfange. Es wurde ihm ein Gift eingegeben, aber dieses Gift tötete nicht, sondern machte nur starrkrämpfig. Don Ferdinando starb, wurde beerdigt, aber bald wieder ausgegraben und von Landola in die Sklaverei geschafft. Auch er hat sich gerettet und lebt. Sie alle, Sternau, Ferdinando und Mariano sind in Mexiko.« – »Beweise es!« – »Meine Boten und Quellen brauchst du nicht zu kennen. Aber ich sage dir, daß es wahr ist.« – »Und wenn es wahr ist, warum sagst du mir es, Hexe?« fragte Cortejo wütend. »Etwa um mich zur Vorsicht zu mahnen, etwa um mir Zeit zu geben, mich zu retten?« – »Nein, denn zu retten bist du nicht«, hohnlachte Zarba. »Ich sage es dir nur, um mich an deiner Qual zu weiden. Du sollst das alles eher erfahren, um die Angst desto länger zu tragen.« – »Satan!« rief er. – »Teufel« antwortete sie. – »Es ist doch alles erlogen. Ich glaube dir kein Wort.«

Da klopfte es leise an, und der Diener, der vorhin am Portal gestanden hatte, trat ein. Er brachte mehrere Briefe, die vom Boten abgegeben worden waren. Als er sich entfernt hatte, betrachtete Cortejo die Kuverts.

»Aus Mexiko!« entfuhr es ihm beim Anblick eines der Briefe. – »Lies ihn!« gebot Zarba. »Vielleicht weißt du dann, ob ich dich belogen habe oder ob ich die Wahrheit sagte.«

Cortejo öffnete halb vorsätzlich und halb unwillkürlich das Kuvert und faltete das innenliegende Papier auseinander. Er las es. Seine Blicke wurden starr, er stieß einen tiefen, schweren Seufzer aus und sank auf das Kissen des Sofas zurück.

Schwester Clarissa konnte ihre Neugierde nicht besiegen. Sie nahm den Brief aus seiner Hand und las nun folgende Zeilen:

»Lieber Oheim!

In aller Eile schreibe ich Dir von der Hacienda del Erina aus, denn es hat sich Wichtiges oder vielmehr Schreckliches zugetragen. Landola hat uns betrogen. Die, die er töten sollte, leben alle. Auch die Nebenpersonen kennst Du aus unseren Briefen. Er hat sie auf einer einsamen Insel ausgesetzt, von der sie nun entkommen sind. Sie befinden sich in Fort Guadeloupe bei unserem Feind Juarez. Ich nenne Dir Sternau, Mariano, zwei Helmers, Büffelstirn, Bärenherz, Emma Arbellez und Karja. Auch Don Ferdinando ist bei ihnen; er ist nicht tot, sondern er lebt. Vater ist nicht da, und ich bin krank. Ich sandte ihm diese Nachricht nach, damit er Maßregeln ergreifen könne. Gelingt es uns nicht, die Genannten abermals in unsere Hände zu bringen, so sind wir unbedingt verloren. In größter Sorge Deine Nichte

Josefa.«

Der frommen Schwester sank die Hand mit dem Brief nieder. Zarba aber hustete herausfordernd und sagte:

»Nicht wahr, meine Nachricht bestätigt sich? Ich sehe es euch an!«

Da fuhr Cortejo empor.

»Schweig, Weib, sonst stopfe ich dir den Mund. Setze dir noch so viele Unwahrheiten zusammen, aber niemals wirst du deine Behauptung beweisen können, daß Graf Alfonzo ein falscher Rodriganda sei.« – »Meinst du?« lachte sie höhnisch. »Du irrst gewaltig, Gasparino Cortejo! Zunächst kann man dir beweisen, daß Mariano der echte Rodriganda ist. Der Räuber hat ihn nicht getötet. Und frage doch einmal deinen Sohn, den falschen Grafen, was ihm in Paris von einem Garotteur abgenommen wurde.« – »In Paris? Von einem Garotteur? Davon weiß ich nichts. Was sollte das gewesen sein?« – »Ich will es dir sagen. Es gibt Leute, die aus Gedächtnisschwäche oder anderen Ursachen alles aufschreiben, was sie tun oder was mit ihnen passiert. Diese Unvorsichtigen denken nie daran, daß ihre Aufzeichnungen in falsche Hände kommen können; ein solcher Schwachkopf ist dein Sohn. Er hat alle eure Geheimnisse notiert, und dieses Notizbuch wurde ihm von einem Garotteur abgenommen. Ich kenne den Inhalt Wort für Wort.« – »Himmel und Hölle, wer hat dieses Buch?« rief Cortejo, von dem Sofa auffahrend und auf die Zigeunerin zutretend. – »Das brauchst du nicht zu wissen.« – »Ah, du wirst es mir dennoch sagen! Ich lasse dich nicht eher fort, als bis du es gestanden hast.« – »Warte, ob es mir beliebt.« – »Nein, ich warte keinen Augenblick. Heraus damit.«

Cortejo faßte die Zigeunerin am Arm, stieß aber im nächsten Augenblick einen Schmerzensschrei aus. Zarba hatte ihren kleinen Dolch gezogen und ihm in die Hand gestoßen. Zugleich hatte sie mit der Geschwindigkeit eines Wiesels das Zimmer verlassen. Ehe Cortejo sie erreichen konnte, hatte sie hinter den Bäumen des Parks Schutz gefunden.

»Verdammte Schlange! Sticht wie eine Natter!« zürnte Cortejo, die Hand betrachtend. – »Bist du schwer verwundet, mein Lieber?« fragte Clarissa. – »Nein, der Stich ging zwischen zwei Fingern hindurch. Nicht der Rede wert. Aber desto mehr Stiche hat sie uns mit ihrer Zunge versetzt.« – »Es gilt uns vorzusehen, lieber Gasparino. Laß uns die einzelnen Punkte überlegen. Vorher aber sage einmal aufrichtig, ob es wirklich wahr ist von dem – Sohn.«

Der Gefragte zögerte mit der Antwort, endlich erwiderte er, sich ein Herz fassend:

»Hm, mag sein. Warum aber jetzt an solche Kleinigkeiten denken? Wir haben jetzt ganz andere Sachen zu überlegen. Zunächst Graf Ferdinando; er ist nicht gestorben.« – »Er wurde also nicht vergiftet, nicht getötet.« – »Hm. Wer trägt die Schuld?« – »Dein unvorsichtiger Bruder Pablo. Ich bin nicht klug oder schlecht genug, den Grund zu finden.« – »Ich glaube, ihn zu wissen.« – »Nun?« – »Er hat eine Tochter, und ich habe einen Sohn. Mein Sohn ist Erbe der Grafschaft; er sollte Josefa heiraten, damit das Mädchen teilnehmen könne an unserem Gewinn. Alfonzo mochte nicht. Jetzt fühlten sie sich zurückgesetzt und beschlossen, mir die Daumenschrauben anzulegen. Das war aber nur dann möglich, wenn sie Don Ferdinando nicht töteten, sondern zwar leben ließen, dabei aber unschädlich machten.« – »Das ist allerdings einleuchtend. Man wird sich zu revanchieren wissen. Was denkst du vom Wiedererscheinen der Verschwundenen?« – »Ich glaube es.« – »Ich halte es für einen Kunstgriff der Josefa.« – »Nein. Woher hätte Zarba denselben Gedanken?« – »Können die beiden nicht in Übereinstimmung handeln?« – »Nein. Ich bin überzeugt, daß Landola die ganze Sippschaft hat leben lassen.« – »Aber wozu? Doch zu seinem eigenen Schaden.« – Jetzt, ja, nicht aber sobald es ihnen nicht gelang, zu entkommen. Ich habe ihm seine Dienste reichlich bezahlt; er aber ist ein Mensch und nimmt also so viel wie möglich. Er hatte es in der Hand, die Gefangenen freizugeben; dies war das Rohr, mit dessen Hilfe er mich auspumpen konnte. Ich begreife nur nicht recht, warum er noch nicht damit begonnen hat.« – »Was aber nun tun? Die Wiedererschienenen müssen unbedingt so bald wie möglich verschwinden.« – »Das überlasse ich meinem Bruder. Für mich gibt es zwei Personen, die mir wichtiger sind als alle Sternaus und Marianos.« – »Wer?« – »Zarba und Landola. Ohne das Zeugnis dieser beiden kann uns kein Mensch etwas beweisen.« – »So mußt du diese beiden töten.« – »Die Zigeunerin jedenfalls.« – »Wann?« – »Noch heute. Sie weiß zu viel.« – »Und Landola?« – »Mit ihm müßte ich vorher Rücksprache nehmen. Vielleicht ist es besser, ihn noch so lange leben zu lassen, bis man ihn ausgenützt hat.« – »Befindet er sich noch in Barcelona?« – »Ja, er muß damals in Deutschland eine Unvorsichtigkeit begangen haben, da er sich sogar vor den spanischen Agenten verstecken muß. Dieser Bismarck beginnt den anderen Mächten zu imponieren. Schreiben wir übrigens Alfonzo, daß er uns von Madrid aus besuche. Auch er muß wissen, was geschehen ist und mit darüber verhandeln. Jetzt will ich mich vorbereiten.« – »Wegen Zarba?« – »Ja, und auch wegen Landola. Ich fahre noch in dieser Nacht nach Barcelona. In solchen Dingen kann man nicht schnell genug sein.« – »Aber auch nicht vorsichtig genug. Ich hoffe nicht, daß du dich in irgendeine Gefahr begibst.« – »Fällt mir gar nicht ein. Habe keine Angst.« – »Aber es liegt Schnee. Man wird deine Spur entdecken.« – »Man wird vielleicht eine Spur entdecken, aber die meinige nicht.« Sie trennten sich.

2. Kapitel.

Eine Stunde später verließ Cortejo aus einer Seitentür das Schloß. Er hatte sich von einem der Bediensteten eine Flinte heimlich weggenommen und ebenso von zwei anderen die Stiefel. Wechselte er die letzteren, so entstanden zweierlei Fährten. Auf jeden Fall aber paßten später seine eigenen Stiefel nicht in die Spuren.

Er machte einen Umweg und gelangte an den Platz, wo sich das Lager befand. Das Gewehr schußfertig, schlich er zwischen den Büschen heran. Er kannte das Leben in Zarbas Lager genau und wußte, daß man jetzt noch wach sei. Um die jetzige Zeit pflegte die Alte, eine Pfeife rauchend, noch vor ihrem Zelt zu sitzen, um den Erzählungen ihrer Horde zu lauschen.

Er nahte sich von der Seite, von der aus ihm Zarba gerade gegenübersitzen mußte. Ein Druck seines Fingers, und sie war für immer unschädlich gemacht.

So kroch er weiter und weiter, bis er die Randbüsche der Lichtung erreichte. Er blickte hindurch und stieß einen leisen Ruf der Überraschung aus. Das Lager war verschwunden.

Weshalb sind sie fort? Warum hatte die Alte nichts davon gesagt? Hatte sie etwa Angst ihres Dolchstiches wegen? Diese Fragen legte sich Cortejo vor. Aber sollte er zwecklos nach Hause zurückkehren? Nein. Die Gitanos konnten den Platz erst vor kurzer Zeit verlassen haben. Er konnte sie sehr bald erreichen und dann die Alte erschießen.

Er untersuchte also den Platz, um aus den Spuren zu ersehen, wohin sie sich gewandt hatten. Es wurde Cortejo sehr leicht, dies zu finden, und eben schickte er sich an, der breiten Fährte zu folgen, als er auf ein unvorhergesehenes Hindernis stieß.

»Halt!« rief es ihm entgegen.

Als er aufblickte, sah er vier Zigeunerburschen vor sich stehen.

»Was wollt ihr?« fragte er. – »Ah, Ihr seid es, Señor Cortejo. Was sucht Ihr hier?« – »Was geht euch das an?« – »Sehr viel. Wir hatten Euch hier erwartet.« – »Mich? Weshalb? Wozu?« fragte er erstaunt. – »Unsere Königin hat es uns befohlen.« – »Ah! Unglaublich! Wie konnte sie wissen, daß ich in den Forst mußte?« – »Als sie vom Schloß kam, befahl sie den schnellsten Aufbruch ...« – »Weshalb?« – »Wir wissen es nicht. Uns gebot sie, hier zurückzubleiben. Sie sagte uns, daß Señor Cortejo leise durch die Büsche komme und daß er die Spuren suchen werde, um uns zu folgen; das sollten wir nicht dulden.«

Cortejo begann zu ahnen, daß sein gegenwärtiges Unternehmen vollständig mißglückt sei.

»Warum solltet ihr das nicht dulden?« fragte er. – »Auch das wissen wir nicht.« – »Und wenn ich dann doch den Spuren folge?« – »Dann, verzeiht, Señor, haben wir den strengen Befehl, Euch ein wenig totzuschießen.« – »Donnerwetter! Das hat Zarba befohlen?« – Ja.« – »Und ihr würdet es auch tun?« – »Wir sind gewöhnt, ihr zu gehorchen, selbst wenn es uns das Leben kosten würde. Darum ist es am besten, Señor, Ihr erlaubt uns, Euch nach dem Schloß zurückzubegleiten.« – »Ich werde den Weg selbst finden.« – »Jawohl, aber wir wollen uns auch überzeugen, daß Ihr ihn wirklich gefunden habt. Kommt, Señor, es ist besser, Ihr geht freiwillig mit uns, als daß wir Euch zwingen müssen.« – »Gewalt wollt ihr anwenden, ihr Schurken?« – »Unter Umständen, ja, denn wir müssen gehorchen.« – »So kommt. Aber laßt euch um Gottes willen nicht in der Nähe des Schlosses erblicken.« – »Oh, Señor, wir sind im Gegenteil fest überzeugt, daß Ihr Euch außerordentlich freuen werdet, unsere Altmutter Zarba gesund und unbeschädigt in Rodriganda wiederzusehen.«

Bei diesen Worten nahmen die Zigeuner Cortejo in ihre Mitte und führten ihn von dannen. Er mußte sich darein fügen und konnte seinem Zorn nicht einmal durch Grobheiten Luft machen. Dieser Ärger wiederholte sich, als er Schwester Clarissa dieses Abenteuer erzählte.

»O weh«, meinte diese. »So ist sie entkommen?« – »Noch nicht. Ich forsche ihr nach. Mein muß sie werden.« – »So willst du die Zigeuner verfolgen?« – »Ja.« – »Doch sofort morgen früh?« – »Nein. Die Fahrt nach Barcelona ist notwendiger. Die Zigeuner entgehen mir nicht.«

Es war noch während der Nacht, als Cortejo sich unterwegs nach der genannten Stadt befand. Dort angekommen, ließ er seinen Wagen im Gasthof halten und begab sich zu Fuß nach einer der unscheinbarsten Seitenstraßen: Dort trat er bei einem armen Flickschuster ein, der von seiner an und für sich engen Wohnung ein Stübchen vermietet hatte. Der Inhaber desselben war kein anderer als Kapitän Henrico Landola, der allerdings unter einem anderen Namen hier wohnte.

Als Cortejo bei ihm eintrat, fand er ihn von Langeweile geplagt.

»Habt keine Sorge«, meinte er. »Ich bringe Euch ein Thema, das Euch sehr viel Kurzweil machen wird.« – »Mir sehr recht und lieb. Übrigens werde ich es nicht mehr lange hier aushalten. Die Nachforschungen nach mir sind eingeschlafen, und ich liebe Kampf und Arbeit mehr als Frieden und Faulheit.« – »Schön! Da könnte ich Euch gleich Arbeit geben.« – »Was für welche?« – »Eine Fahrt nach Mexiko.« – »Hm! Als Passagier oder mit eigenem Schiff?« – »Ganz nach Belieben. Man hat sich nämlich höheren Ortes sehr unzufrieden darüber ausgesprochen, daß die Überreste des Grafen Ferdinando drüben in Mexiko liegenbleiben, anstatt in der Familiengruft der Rodriganda beigesetzt zu werden. Um weitere Vorwürfe zu vermeiden, soll ein Mann hinübergeschickt werden, um den Sarg nebst Inhalt herüberzubringen. Wollt Ihr das übernehmen?« – »Hole Euch der Teufel!« antwortete Landola. – »Nicht! Warum nicht?« – »Eine Leiche an Bord bringt stets Unglück.« – »Aberglaube! Das habe ich doch bei Euch noch gar nicht bemerkt.« – »Meinetwegen. Laßt den alten Kerl ruhen, wo er ruht.« – »Wo denn?« – »Na, drüben in Mexiko. Wo denn sonst?« – »Oder in der Sklaverei?«

Landola erschrak, er fuhr zurück, blickte Cortejo starr an und fragte:

»Sklaverei? Wie meint Ihr das?« – »Na, daß Ihr den Grafen an Bord genommen und fortgeschafft habt.« – »Donnerwetter! So hat Euer Bruder den Mund doch nicht gehalten.« – »Also auf seinen Befehl mußtet Ihr das tun?« – »Ja.« – »Er galt also mehr als ich?« – »Pah; er war drüben, wo die Geschichte vorgenommen wurde. Da mußte ich mich natürlich nach ihm richten.« – »Soso! Habt Ihr Euch auch später in solcher Weise nach ihm gerichtet?« – »Daß ich nicht wüßte.« – »Zum Beispiel mit Sternau und Konsorten?« – »Die sind ja tot!« – »Oder auch in der Sklaverei?« – »Unsinn!« – »Oder auf einer Insel ausgesetzt?«

Bei dieser Frage zeigte sich Landolas Gesicht fast zinnoberrot. Woher hatte Cortejo das erfahren? Es gab keinen Zeugen seiner damaligen Taten und Handlungen. Schlug Cortejo vielleicht nur auf den Strauch? Das war doch möglich, darum antwortete Landola:

»Erlaubt Señor, daß ich Euch frage, ob Ihr gerade jetzt träumt.« – »Ja, mir hat geträumt. Wißt Ihr was?« – »Ich werde es wohl hören.« – »Ich will es Euch sagen. Mir träumte nämlich, daß Ihr um gewisser Gründe willen, die ich hier nicht des näheren zu erörtern brauche, jene Gefangenen damals nicht habt ertrinken lassen.« – »Alle Teufel! Was hätte ich denn sonst mit ihnen tun sollen?« – »Ihr habt sie eben auf irgendeine Insel gebracht, um sie gleich bei der Hand zu haben, wenn es einmal einen Streich gegen mich galt.«

Jetzt hatte die Verlegenheit des Kapitäns einen hohen Grad erreicht. Er sah ein, daß Cortejo wußte, was er sagte, aber dennoch fiel es ihm nicht ein, so ohne weiteres ein Geständnis abzulegen.

»Sagt doch einmal, Señor, was ich von Euch halten soll«, meinte er. – »Sagt Ihr das lieber mir. Ich habe Euch Eure Dienste zu jeder Zeit prompt und reichlich bezahlt, und nun muß ich in Erfahrung bringen, daß Ihr Unehrlichkeiten gegen mich begangen habt, die geradezu haarsträubend sind und mich in die schauderhafteste Verlegenheit bringen können.« – »Ich bitte euch, mir eine einzige Unehrlichkeit zu nennen.« – »Nun, eben die, daß Sternau und Konsorten nicht gestorben, sondern ausgesetzt worden sind.« – »Donnerwetter! Wie wolltet Ihr das beweisen?« – »Damit, daß sie alle, alle gerade jetzt drüben in Mexiko lebendig herumlaufen, und zwar im Hauptquartier des Präsidenten Juarez.«

Landola fuhr abermals erschrocken zurück.

»Das müßten ja Gespenster sein.« – »Dann wäre Don Ferdinando ebenfalls ein Gespenst, von dem Ihr doch zugebt, daß er lebt.« – »Der? Der wäre auch dabei?« – »Ja. Sie sind alle beisammen.«

Cortejo sprach diese Worte im höchsten Zorn. Landola konnte vor Schreck und Verlegenheit kaum ein Wort hervorbringen.

»Don Ferdinando soll dabeisein?« fragte er endlich. »Welch eine Fabel oder was für ein Märchen hat man Euch denn da aufgehängt?« – »Eine Fabel? Ein Märchen?« rief Cortejo. »Das wagt Ihr, mich zu fragen? Ihr, der doch am besten weiß, ob es eine Fabel oder ein Märchen ist! Wißt Ihr, daß dies eine Frechheit ist, die ihresgleichen sucht? Glaubt Ihr, daß ich anspannen lasse und von Rodriganda nach Barcelona komme, nur um Euch eine Fabel zu erzählen?«

Landola faßte sich. Er sah ein, daß er auf irgendeine Weise durchschaut worden sei, und nahm sich vor, durch ein forciertes Auftreten dem Gegner die Spitze zu bieten.

»Ihr sprecht von Frechheit«, sagte er in jenem kalten Ton, der vermuten ließ, daß in seinem Innern ein Vulkan in Tätigkeit sei. »Ich muß Euch ersuchen, auf dergleichen Ausdrücke sofort zu verzichten, wenn Ihr überhaupt wollt, daß ich Euch weiterhin Rede stehe. Ich bin kein Halunke.«

Ein drohender Blitz traf ihn aus Cortejos Augen. Derselbe zuckte verächtlich die Achseln und fragte:

»Wollt Ihr einen Menschen, der von der Polizei gesucht wird, etwa anders nennen?« – »Señor«, zürnte Landola in erhobenem Ton, »die gegen mich gerichteten Recherchen sind nur eine Folge meiner letzten politischen Tätigkeit.« – »Ah! Wirklich?« – »Ja. Ihr wißt, daß ich als Spaniens Emissär die Mittelstaaten Europas bereiste. Preußen will mich ausgeliefert haben.« – »Nur weil Ihr als Emissär agitiert habt?« – »Ja.« – »Lüge!« – »Señor Cortejo!« – »Ich wiederhole es: Lüge! Es wird Preußens erstem Minister nicht einfallen, Eure Auslieferung von Spanien zu verlangen, von Spanien, das ihn ganz einfach auslachen würde. Nach den bestehenden Gesetzen hat er kein Recht zu dieser Forderung.« – »O doch!« – »Nein, Politiker werden nicht ausgeliefert. Ihr seid für Spanien tätig gewesen, es würde Euch beschützen. Aber anstatt dies zu tun, fahndet es nach Euch. Sagt mir doch, warum?« – »Es tut nur zum Schein so, um Preußen zu beruhigen.« – »Pah, ich weiß es besser.« – »Wirklich? So redet doch.« – »Glaubt Ihr denn, daß ich mit den Kreisen, um welche es sich hier handelt, keine Verbindung unterhalte? Es sind Euch zur Ausführung Eurer Aufträge und zur Auszahlung an gewisse andere Agenten bedeutende Summen anvertraut worden. Ihr habt alles für Euch behalten. Ihr habt diese Summen einfach unterschlagen.« – »Señor, wollt Ihr diese Behauptung wohl sofort zurücknehmen?« – »Fällt mir nicht ein. Dieser Unterschleife wegen werdet Ihr nun auch noch von den hiesigen Behörden gesucht. Man will Euch nicht an Preußen ausliefern, aber man will Euch unschädlich machen auf irgendeine Weise.« – »Das soll man doch nur versuchen, ich würde reden.« – »Pah! Wenn man Euch erwischt, werdet Ihr spurlos verschwinden. Man wird Euch gar nicht Gelegenheit geben, zu sprechen.« – »Aber man wird mich auch nicht erwischen.« – »Traut Euch nicht zu viel zu. Wie nun, wenn ich den ersten besten Polizisten herbeirufe und ihm sage, daß Ihr Landola seid?« – »So würde ich als Arrestant einen Kollegen haben.« – »Wen denn? Etwa mich?« – »Ja. Ich würde Euch als Räuber und Mörder anzeigen. Ich würde alles erzählen, was ich von Euch weiß.« – »Ich würde darüber lachen.« – »Lange nicht.« – »Ihr würdet es gar nicht wagen, mich zu denunzieren.« – »So? Warum nicht?« – »Weil Ihr als Mitschuldiger, als der Ausführer meiner Pläne und Entwürfe eine wenigstens ebenso strenge Strafe finden würdet wie ich.« – »Glaubt Ihr wirklich, daß mich das abhalten könnte, Euch anzuzeigen?« – »Ja«, antwortete Cortejo im Ton der Sicherheit. – »Nun, da irrt Ihr Euch gewaltig.« – »Ihr würdet Euch dennoch hüten, Euch mit bestrafen zu lassen.« – »Ihr vergeßt Eure eigenen Reden. Ihr habt ja vorhin gesagt, daß man mich suche, um mich verschwinden zu lassen. Das heißt doch, daß ich durch Tod oder lebenslängliche Gefangenschaft unschädlich gemacht werden soll. Ist dies einmal der Fall, zeigt Ihr mich an, und ich werde infolgedessen gefangen, so kann mein Schicksal dadurch, daß ich Eure Taten verrate, kein schlimmeres werden.« – »Meinetwegen; ich würde mich den Teufel um das scheren, was Ihr von mir sagt.« – »Man würde Euch zwingen, Euch darum zu scheren.« – »Oh, im Gegenteil. Man würde Euch kein Wort glauben.« – »Ich würde Beweise bringen.« – »Woher wolltet Ihr diese nehmen?« – »Oh, es stehen mir ihrer genug zur Verfügung. Ich erwähne da zum Beispiel die verschiedenen Briefe und Instruktionen, die Ihr mir geschrieben und zugesandt habt.« – »Das macht mich nicht bange. Diese Sachen sind vernichtet.« – »Glaubt Ihr das wirklich?« fragte Landola verächtlich. – »Wir haben ja das Übereinkommen getroffen, gegenseitig alle diese Skripturen zu vernichten.« – »Das ist wahr. Auch bin ich vollständig überzeugt, daß Ihr alle meine Schreibereien verbrannt habt.« – »Natürlich!« – »Wirklich?« fragte Landola, einen forschenden Blick in sein Gesicht werfend. – »Es ist nichts mehr vorhanden. Ich habe mein Wort gehalten.« – »Das war sehr ehrlich, aber auch sehr dumm von Euch«, rief Landola, dem bei Cortejos Versicherung sichtlich leichter geworden war. »Dumm? Ich begreife das nicht ganz.« – »Nicht? Wirklich nicht? Diese Sachen könnten Euch doch als Beweise gegen mich dienen.«

Cortejo stieß ein höhnisches Lachen aus.

»Ihr nennt mich dumm?« sagte er. »Bekümmert Euch um Eure eigene Kurzsichtigkeit! Diese Sachen hätten zugleich als Beweise gegen mich gedient.« – »Ja, da sie zeigten, daß ich Eure Befehle ausgeführt habe. Und nun denkt Ihr wohl, daß ich diese letzteren auch vernichtet habe?« – »Ja. Ich sagte das bereits.« – »Ihr irrt Euch sehr. Es ist noch alles vorhanden.« – »So seid Ihr ein Verräter, ein Lügner. – »Meinetwegen.« – »Diese Schreibereien werden ja Euch selbst gefährlich.« – »Oho! Wollt Ihr die Güte haben, mir dies zu beweisen?« – »Alles das, was Ihr getan habt, ist dort verzeichnet!« – »Es ist daraus zu ersehen, was ich ausführen sollte, nicht aber, was ich wirklich ausgeführt habe. Wer kann mir beweisen, daß ich Euren Befehlen wirklich gehorsam gewesen bin?« – »Ich!« – »Das würde Euch schwerfallen.« – »Ich beschwöre es.« – »Und ich beschwöre das Gegenteil.« – »Wir stehen in einer mehr als zwanzigjährigen Verbindung. Dies würde nicht der Fall sein, wenn Ihr nicht getan hättet, was ich von Euch verlangte. Das werden die Richter annehmen.« – »Dieser Schluß ist nicht ganz sicher.« – »Nun gut. So bringe ich Zeugen.« – »Wen?« – »Don Ferdinando.« – »Der ist tot.« – »Er lebt. Ferner unseren Agenten Verdillo in Verakruz.« – »Er wird sich hüten, gegen sich selbst auszusagen.« – »Ich verrate, daß Ihr der Seeräuber Grandeprise seid.« – »Und von Euch ging das Unternehmen aus. Das Schiff gehörte Euch. Ihr strecktet das Geld dazu vor und erhieltet dafür die Hälfte des Gewinnes.« – »Die Hälfte? Oh, ich bin überzeugt, daß Ihr mich fürchterlich betrogen habt.«

Da lachte Landola auf und antwortete:

»Da könnt Ihr allerdings recht haben, mein verehrtester Señor.« – »Betrüger!« sagte Cortejo grimmig. – »Danke!« – »Schwindler!« – »Danke!« – »Ich habe mir dies längst gedacht.« – »Das konntet Ihr Euch vom ersten Augenblick an denken. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich neunzig Prozent des Ertrages für mich nahm.« – »Neunzig! Neunzig Prozent!« rief Cortejo erstaunt. – »Ja. Ihr saßt ruhig zu Hause und wartetet darauf, Euer Geld einstreichen zu können; ich aber und meine Jungens, wir hatten das Risiko. Wir mußten kämpfen, wir wagten das Leben, und für den Fall, daß wir besiegt wurden, erwartete uns der Strick um den Hals. Daher erhieltet Ihr den zehnten Teil. Es war genug, denn es belief sich auf ein ganzes Vermögen. Das übrige aber gehörte uns.« – »Alle Teufel! Zehnmal mehr als ich. Das müssen Millionen gewesen sein.« – »Natürlich.« – »Was habt Ihr um Gottes willen mit diesen Summen gemacht?« – »Verlebt, vertrunken, verspielt.« – »Alle Teufel! Welche albernen Kerle!« – »Albern? Pah! Wenn man heute nicht weiß, ob man morgen bereits aufgehängt wird, so genießt man den Augenblick. Wenn es Euch aber wohltuend berühren sollte, zu erfahren, daß doch nicht alles verjuchhet wurde, so will ich Euch aufrichtig gestehen, daß ich irgendwo an einem sehr verborgenen Platz eine Sparkasse habe.« – »Ah. Ihr habt Geld versteckt?« fragte Cortejo rasch. – »Ja.« – »Viel?« – »Es langt vollauf, um mich zur Ruhe zu setzen.« – »Wo ist der Platz?« – »Meint Ihr wirklich, daß ich Euch dies sagen werde?« – »Ich möchte nur wissen, in welchem Land es ist.« – »Auch das geht Euch nichts an!« – »Gut! Behaltet Euren Raub! Aber seid auch überzeugt, daß ich nun ganz so an Euch handeln werde, wie Ihr Euch gegen mich verhalten habt.«

Landola nickte langsam mit dem Kopf.

»Wollt Ihr mir wohl sagen, was Ihr damit meint?« fragte er. – »Ich werde nun jede Rücksicht, die ich für Euch hatte, verbannen.« – »Ich habe nichts dagegen.« – »Ich werde Rechenschaft fordern.« – »Worüber?« – »Daß Don Ferdinando noch lebt.« – »Beweist mir erst, daß er wirklich lebt.« – »Meine Nichte schreibt es mir.« – »Sie lügt.« – »Auch die Zigeunerin Zarba weiß es bereits.«

Landola entfärbte sich.

»Habt Ihr mit ihr gesprochen?« fragte er. – »Ja.« – »Über Don Ferdinando?« – »Ja.« – »Sie sagte, daß er noch lebe?« – »Sie wußte es ganz genau.« – »Nein, sie irrt sich. Er starb und wurde in Mexiko begraben.« – »Lüge! Er erhielt ein Gift, das scheintot macht!« – »Donnerwetter!« – »Ihr erschreckt jetzt? Ja, ich weiß alles! Der Graf wurde zwar begraben, aber wieder aus dem Sarg genommen und zu Schiff von Euch in die Sklaverei gebracht. Wollt Ihr das leugnen?«

Landola blickte Cortejo mit einem pfiffig-überlegenen Lächeln an und antwortete:

»Ihr meint, daß ich erschrecke? Bildet euch doch das nicht ein! Was Ihr sagt, oder was Ihr wißt, ist ganz gleichgültig. Von einem Leugnen kann gar keine Rede sein.« – »Ihr gebt also zu, daß der Graf lebt?« – »Ob er lebt, kann ich nicht wissen.« – »Aber Ihr gesteht, daß er damals nicht gestorben ist?« – »Das gebe ich zu.« – »Also doch! Ihr seid ein ganz gemeiner Betrüger!« – »Pah! Wir sind uns ebenbürtig!« – »Warum habt Ihr mich hintergangen?« – »Es geschah auf Wunsch Eures Bruders.« – »Also doch! Ganz so, wie ich es dachte! Aber welchen Grund gab mein Bruder an?« – »Keinen.« – »Er sagte Euch, warum Don Ferdinando sterben müsse?« – »Ja.« – »Nun, warum?« – »Um Alfonzo Platz zu machen.« – »Gut. So muß er Euch aber doch auch gesagt haben, warum der Don wieder auferstehen müsse.« – »Kein Wort. Ich dachte mir es selbst.« – »Da möchte ich wissen, was Ihr Euch gedacht habt.« – »Ihr könnt es erfahren. Wißt Ihr, daß Señorita Josefa in Alfonzo verliebt war?« – »Ja.« – »Sie wollte Gräfin von Rodriganda werden. Wäre sie es geworden, so brauchte der Graf nicht wieder von den Toten aufzuerstehen. Don Alfonzo aber mochte nichts von ihr wissen ...« – »Ich auch nicht. Ha, diese Vogelscheuche, und eine Gräfin Rodriganda!« – »Ihr mögt recht haben, aber sie und ihr Vater ärgerten sich darüber. Ihr und Alfonzo hattet alles, sie hatten nichts. Sie wollten auch ihren Anteil haben. Sie wollten über die mexikanischen Besitzungen der Familie verfügen.« – »Das haben sie auch getan.« – »Wirklich?« – »Ja. Ich habe von dem Ertrag der drüben liegenden Güter nicht einen Dollar erhalten.« – »Auch nicht verlangt?« – »O doch; aber man hörte nicht darauf.« – »So ist es mir begreiflich, warum Euer Bruder sich nicht mehr um den alten Grafen bekümmert hat. Hättet Ihr ihn nicht im ruhigen Genuß der Güter gelassen, so hätte ich den Don holen müssen.« – »Habt Ihr das mit ihm besprochen?« – »Nein. Er war sehr zurückhaltend, aber er hat es mir angedeutet.« – »Was hätte er mit dem Don gemacht?« – »Ihn wieder in seine Besitzungen eingesetzt, so daß Ihr gezwungen gewesen wäret, zu verzichten. Jedenfalls wäret dann Ihr und Don Alfonzo verloren gewesen.« – »Das soll er mir büßen! Aber, zum Teufel, wie konntet Ihr Euch zu einem solchen Verrat gegen mich verführen lassen?« – »Pah! Ich wurde gut dafür bezahlt. Wer mir am meisten gibt, dem diene ich am eifrigsten.« – »Ihr seid ein Halunke! Nun habt Ihr die Folgen, da Don Ferdinando wieder zurückgekehrt ist.« – »Also ist das wirklich wahr?« – »Vollständig.« – »Wie ist er losgekommen?« – »Wo habt Ihr ihn gehabt?« – »In Harrar. Der Zugang zu diesem Land ist außerordentlich schwierig, und die Flucht aus demselben geradezu eine Unmöglichkeit. Ich kann sein Wiederauftauchen nicht begreifen.« – »Man wird wohl Näheres darüber erfahren. Aber wie steht es nun mit den anderen allen, von denen Ihr schriebt, daß sie ertrunken seien?«

Landola lachte.

»Ihr behauptet, daß auch diese noch leben?« fragte er. – »Ja.« – »Und diese Behauptung ist wahr?« – »Ja.« – »Nun, so ist die Sache sehr einfach. Sie sind eben damals nicht ertrunken.«

Da fuhr Cortejo zornig auf:

»Wollt Ihr Euch etwa gar noch über mich lustig machen?« – »Fällt mir nicht ein. An Euch und dieser ganzen Angelegenheit ist nicht das mindeste Lustige zu bemerken.« – »Das denke ich auch. Die Sache ist nicht lustig, sondern geradezu höchst gefährlich. Aber warum habt Ihr diese Menschen denn damals nicht umgebracht?« – »Erstens war ich von Euch zu schlecht bezahlt worden und ...« – »Zu schlecht?« fiel Cortejo ein. »Seid Ihr verrückt?« – »Ich bin sehr bei Sinnen. Und sodann konnten mir diese Leute ja nichts mehr nützen, wenn sie tot waren.« – »Ah! Welchen Nutzen suchtet Ihr denn damals?« – »Das kann ich Euch aufrichtig sagen. Spitzbuben pflegen nicht immer ehrlich zu sein.« – »Das merke ich.« – »Wir beide sind Spitzbuben.« – »Donnerwetter!« – »Darum lag der Gedanke nahe, daß einmal die Zeit kommen könne, wo Ihr den Dank an mich vergessen würdet. Für diesen Fall hob ich mir meine Gefangenen auf.« – »Ihr habt sie also wirklich nach einer Insel gebracht?« – »Ja.« – »Wo liegt diese Insel?« – »Im großen Ozean.« – »Wie dumm. Wo die Schiffahrt jetzt dort so frequent ist?« – »Dumm? Ihr irrt da sehr. Die Insel war nur mir bekannt. Kein anderer Fuß hatte sie betreten.« – »Ihr seht aber jetzt, daß sie doch bekannt gewesen sein muß.« – »Nein, das sehe ich nicht.« – »Nun, die Gefangenen sind doch entkommen.« – »Vielleicht haben sie sich ein Floß gebaut.« – »Ah! Daran hattet Ihr damals gar nicht gedacht.« – »O doch. Es gab keinen einzigen Baum auf der Insel. Vielleicht ist dieses Eiland von einem anderen entdeckt worden. Er hat die Leute vorgefunden und mit nach Mexiko genommen.« – »Und das sagt Ihr so ruhig?« – »Soll ich mir eine Kugel durch den Kopf jagen?« – »Das allerdings nicht. Aber Euch selbst ohrfeigen, das könntet Ihr. Ihr habt so unverantwortlich leichtsinnig gehandelt, wie ich es gar nicht für möglich gehalten hätte. Wenn einer allein entkommen wäre! Aber alle! Aus welchen Personen bestand denn diese ganze Gesellschaft?« – »Aus Sternau ...« – »Hole ihn der Teufel! Eigentlich ist er an allem schuld.« – »Mariano ...« – »Der Schwindler!« – »Die beiden Häuptlinge ...« – »Der Apache und der Mixteka?« – »Ja. Ferner die Gebrüder Helmers und die beiden Mädchen.« – »Ihr meint Emma Arbellez und ihre Indianerin?« – »Ja.« – »Nun, diese alle sind jetzt wieder da. Don Ferdinando ist zu ihnen gestoßen.« – »Eine verfluchte Geschichte ist es allerdings.« – »Ihr habt sie Euch selbst eingebrockt.« – »Sogar gefährlich«, meinte Landola nachdenklich. – »Ja. Aber wißt Ihr, was das Gefährlichste daran ist?« – »Nun, was?« – »Daß sie sich im Hauptquartier des Juarez befinden.« – »Da schlage allerdings der Teufel drein! Juarez läßt nicht mit sich spaßen. Wenn er sich ihrer annimmt, so haben wir alles zu befürchten.« – »Das ist es eben. Nun könnt Ihr sehen, wie Ihr Euren Fehler wieder gutmacht.« – »Hm. Haltet Ihr dies für so schwer?«

– »Was denn sonst?«

Landola schritt einige Male im Zimmer auf und ab, dann blieb er vor Cortejo stehen und sagte:

»Wie man es nimmt, es ist schwer, aber auch leicht. Schwierig ist es, aber auf die leichte Achsel muß man es nehmen.« – »Was soll das heißen?« – »Es ist ein leichtes Gewissen dazu erforderlich.« – »Ah! Ihr meint ...« – »Ich meine, daß man hinübergehen muß, um das zu tun, was man früher unterlassen hat.« – »Sie aus dem Weg räumen?« – »Ja.« – »Hm. Etwa sie weder auf eine wüste Insel schaffen?« – »Alle Teufel! Diesmal sicherlich nicht.« – »Also sie wirklich töten?« – »Unbedingt.« – »Wer soll das übernehmen?« – »Ich.« – »Ihr? Das will überlegt sein.« – »Wieso?« – »Ich sehe mich gezwungen, in dieser Angelegenheit sehr vorsichtig zu handeln.« – »Ich auch.« – »Ich werde nur dann einen Handel abschließen, wenn ich überzeugt bin, nicht betrogen zu werden.« – »Ich ebenso.« – »Ihr gebt zu, daß jetzt davon die Rede ist, eine Unterlassungssünde von Euch wiedergutzumachen.« – »Es mag so sein.« – »Ihr gebt ferner zu, daß auch Euch daran liegen muß, daß diese Menschen unschädlich gemacht werden.« – »Ich will auch dies für jetzt nicht in Abrede stellen.« – »Und Ihr sagt, daß Ihr selbst dieses Unschädlichmachen übernehmen wollt?« – »Ja.« – »Nun, so werdet Ihr aus den oben angeführten zwei Gründen diese Arbeit jedenfalls unentgeltlich besorgen.« – »Fällt mir nicht ein.« – »Nicht? Warum nicht?« – »Einfach, weil ich mir dabei etwas verdienen will.« – »Ihr habt Euren Lohn bereits weg.« – »Das mag sein. Allein erstens war er zu karg, und zweitens liegen die Sachen jetzt ganz anders.« – »Das ist ganz allein Eure Schuld.« – »Die Arbeit wird schwieriger.« – »Eure Schuld.« – »Die Mitwisser haben sich vermehrt.« – »Eure Schuld.« – »Es müssen also viel mehr Personen stumm gemacht werden.« – »Allein Eure Schuld.« – »Vielleicht muß man sogar Juarez zum Schweigen bringen.« – »Eure Schuld.« – »Geht zum Satan mit diesem ›Eure Schuld‹! Es versteht sich ganz von selbst, daß es eine Riesenaufgabe ist, nach Mexiko zu gehen und so viele Personen umzubringen.« – »Das mag sein.« – »Das tut man nicht gratis.« – »Na, ich will Euch einmal fragen, wieviel Ihr verlangt.« – »Wieviel bietet Ihr?« – »Ich biete nichts. Der Verkäufer hat zu fordern.« – »Wißt Ihr noch, wieviel Ihr mir damals zahltet?« – »Ja.« – »Es waren hunderttausend Dollar.« – »Das stimmt.« – »Gebt Ihr jetzt zwei mal hunderttausend?« – »Nein.« – »Gut, so sind wir fertig.«

Landola drehte sich um und machte Miene, die Stube zu verlassen.

»Oho!« meinte Cortejo. »So rechnen wir nicht!«

Da wandte sich der Kapitän wieder zurück und fragte: »Wieso?« – »Ihr seid verpflichtet, Euren Fehler wiedergutzumachen.« – »Wollt Ihr mich etwa dazu zwingen?« – »Nein. Wir haben beide alle Veranlassung, uns nicht zu reizen, aber wir dürfen auch nicht unverständig sein.« – »Nun wohl. Warum seid denn Ihr da unverständig?«

Cortejo tat, als ob er ihn nicht verstehe, und fragte:

»Unverständig? Ich? Inwiefern denn?« – »Insofern, als Ihr mir nichts geben wollt.« – »Wer hat Euch denn dies gesagt?« – »Ich sehe es ja.« – »Pah! Ich bin zu einer Gratifikation bereit, aber zwei mal hunderttausend Dollar sind mir denn doch zu viel.« – »Nun, wieviel bietet Ihr?« – »Fünfzigtausend.« – »Unsinn!« – »Mehr kann ich nicht geben.« – »Wie? Ihr könnt nicht? Seid Ihr so arm? Ich denke, daß Euch die reiche Grafschaft Rodriganda gehört.« – »Das ist richtig. Ihr versteht mich falsch. Wenn ich sage, daß ich nicht mehr als fünfzigtausend geben kann, so meine ich nicht, daß ich arm bin, sondern daß ich überhaupt nicht mehr geben mag.« – »Warum?« – »Weil Ihr die Arbeit nicht allein machen werdet, könnt Ihr auch nicht den vollen Lohn erhalten.« – »Ah! Wer soll sich denn noch mit beteiligen?« fragte Landola sehr erstaunt. – »Ich«, antwortete Cortejo. – »Ihr?« rief Landola noch erstaunter als vorher. »Ihr wollt die Arbeit mit tun? Wie habe ich das zu verstehen?« – »Nun, sehr einfach. Ihr geht nach Mexiko, nicht wahr?« – Ja.« – »Ich gehe mit.«

Landola trat einen Schritt zurück und fragte, beinahe betroffen:

»Ihr?«

Cortejo nickte.

»Ihr wollt mitgehen?« – »Ja.« – »Nach Mexiko?« – »Ja doch!« – »Das ist unmöglich! Das kann ich gar nicht glauben!« – »Warum nicht?« – »Ihr könnt hier ja nicht abkommen. Man braucht Euch zu nötig.« – »Wer sagt Euch