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Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde (später auch: Das Waldröschen oder die Verfolgung rund um die Erde) ist der erste von fünf Kolportageromanen von Karl May, erschienen zwischen zwischen 1882 und 1884 in 109 Fortsetzungen. Dies ist Band 10.
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Seitenzahl: 393
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Erkämpftes Glück, Band 3
Karl May
Inhalt:
Karl May – Biografie und Bibliografie
Erkämpftes Glück, Band 3
1. Kapitel.
2. Kapitel.
3. Kapitel.
4. Kapitel.
5. Kapitel.
6. Kapitel.
7. Kapitel.
8. Kapitel.
9. Kapitel.
10. Kapitel.
11. Kapitel.
12. Kapitel.
13. Kapitel.
14. Kapitel.
15. Kapitel.
16. Kapitel.
17. Kapitel.
18. Kapitel.
19. Kapitel.
20. Kapitel.
21. Kapitel.
22. Kapitel.
23. Kapitel.
24. Kapitel.
25. Kapitel.
26. Kapitel.
27. Kapitel.
28. Kapitel.
Erkämpftes Glück, Band 3, Karl May
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849609603
www.jazzybee-verlag.de
Cover Design: © Can Stock Photo Inc. / javarman
Am 25. Februar 1842 wird Karl May wird als fünftes Kind des Webers Heinrich May und dessen Ehefrau Wilhelmine (geb. Weise) in Ernstthal (Sachsen) geboren. Obwohl er kurz nach seiner Geburt erblindet wird er im Alter von 5 Jahren von der Krankheit geheilt. Bereits mit 14 Jahren beginnt er eine Ausbildung zum Volksschullehrer, die er 1861 besteht. Noch im gleichen Jahr verliert May seinen Arbeitsplatz als Lehrer wegen wiederholten Diebstahls. Ab 1863 wird es ihm verboten zu unterrichten.
Von 1865 bis 1869 wird May immer wieder straffällig und muss von 1870 bis 1874 ins Gefängnis. Danach beginnt May zu schreiben und in "Der Deutsche Hausschatz" erscheinen erste Erzählungen: "Reiseabenteuer in Kurdistan", "Die Todeskaravane" oder "Stambul". Seine Romane erfahren immer mehr Zuspruch und 1893 erscheint die Winnetou-Reihe. Bis 1898 veröffentlicht May über 30 Bände mit immer steigender Auflage.
Erst 1899 unternimmt May erstmals eine Reise in den Orient, 1908 sieht er zum ersten Mal die Vereinigten Staaten. Alles was er geschrieben hatte war pure Fiktion! Er stirbt am 30. März 1912 an einem Herzschlag.
Zu seinen wichtigsten Werken zählen Durch die Wüste und Harem (1892) ,Durchs wilde Kurdistan (1892), Von Bagdad nach Stambul (1892), In den Schluchten des Balkan (1892), Durch das Land der Skipetaren (1892), Der Schut (1892), Winnetou I (1893), Winnetou II (1893), Winnetou III (1893), Orangen und Datteln (1893), Am Stillen Ozean (1894), Am Rio de la Plata (1894), In den Cordilleren (1894), Old Surehand I (1894), Old Surehand II (1895), Im Lande des Mahdi I (1896), Im Lande des Mahdi II (1896), Im Lande des Mahdi III (1896), Old Surehand III (1897), Satan und Ischariot I (1896) ,Satan und Ischariot II (1897), Satan und Ischariot III (1897), Auf fremden Pfaden (1897), „Weihnacht!“ (1897), Im Reiche des silbernen Löwen I (1898), Im Reiche des silbernen Löwen II (1898), Am Jenseits (1899), Der Sohn des Bärenjägers (1887), Der Geist des Llano estakato (1888), Der blaurote Methusalem (1888), Die Sklavenkarawane (1889/90), Der Schatz im Silbersee (1890/91), Das Vermächtnis des Inka (1891/92), Der Ölprinz (1893/94) und Der schwarze Mustang (1896/97).
Einige Zeit nach den Ereignissen bei Vater Pirnero saß der alte, brave Haziendero Pedro Arbellez in einer Stube am Fenster und blickte hinaus in die Ebene, auf der seine Herden wieder ruhig weiden konnten, da die kriegerische Bewegung sich nach Süden gezogen hatte.
Arbellez sah wohl aus. Er hatte sich vollständig wieder erholt; doch lag auf seinem Gesicht ein schwermütiger Ernst, der ein Widerschein der Stimmung seiner Tochter war, die sich unglücklich fühlte, weil sie den Geliebten verloren hatte.
Da sah Arbellez eine Anzahl Reiter von Norden her sich nähern. Voran ritten zwei Männer und eine Dame, und hinter diesen folgten etwa ein Dutzend Packpferde, die von drei Männern getrieben wurden.
»Wer mag das sein?« meinte Arbellez zu der alten Marie Hermoyes, die sich bei ihm befand.
»Wir werden es ja sehen«, meinte diese, nun auch hinaus nach der Ebene blickend. »Diese Leute kommen gerade auf die Hazienda zu und werden also wohl hier einkehren.«
Die Reiter, in solche Nähe gekommen, spornten ihre Tiere zu größerer Eile an und ritten bald durch das Tor in den Hof. Man denke sich das Erstaunen des Haziendero, als er Pirnero erkannte, und die Freude Emmas, als sie Resedilla und den Schwarzen Gerard erblickte, den sie ja von dem Fort Guadeloupe her kannte.
Es gab auf der Hazienda eine Aufregung, die sich nur langsam wieder legte, und ein Erzählen und Berichten, das kein Ende nehmen wollte.
Nur einer blieb sich gleich, ohne sich aufregen zu lassen, der Schwarze Gerard nämlich. Kaum war er dem Haziendero vorgestellt worden, so litt es ihn nicht länger in dem Zimmer; er ging hinaus ins Freie. Vor der Tür trat ihm der Doktor Berthold entgegen, der sich mit Doktor Willmann nebst Pepi und Zilli noch auf der Hazienda befand.
»Ah, welche Überraschung!« rief der Arzt »Monsieur Mason. Sie sind also gesund und wohl?« – »Gott sei Dank, ja«, antwortete der Gefragte. »Ich bin mit Pirnero und Resedilla soeben erst hier angekommen.« – »Die beiden sind da?« fragte der Arzt erstaunt. – »Ja.« – »In welcher Angelegenheit?« – »Hm! Ich will es eine Besuchsreise nennen. Pirnero ist ja mit Arbellez verwandt. Da oben gibt es nun eine Menge Szenen, eine Aufregung, ein Fragen und Horchen, daß ich förmlich geflohen bin. Aber, Monsieur, von unseren Bekannten ist ja kein Mensch zu sehen!« – »Wen meinen Sie?« – »Sternau.« – »Ah, der ist verschwunden.« – »Verschwunden? Was soll das heißen? Er ist verreist?« – »Nein. Er ist verschwunden, es muß ihm ein Unfall begegnet sein; das will ich mit diesem Wort sagen. – »So will ich hoffen, daß Sie sich irren.« – »Leider irre ich mich nicht. Sternau ist fort, und die anderen mit ihm, ohne daß wir wissen, wo sie sich befinden.« – »Die anderen? Wen meinen Sie?«
Der Arzt zählte ihm die Namen her.
»Tod und Teufel!« rief Gerard. »Das klingt ja grausig. Kommen Sie, kommen Sie, Monsieur! Wir gehen in den Garten, wo Sie mir alles erzählen werden.«
Der Arzt tat Gerard den Willen und berichtete, was geschehen war, von der Ankunft Donnerpfeils bis zum rätselhaften Verschwinden des alten Grafen.
Gerard hatte zugehört, ohne ein Wort dazu zu sagen. Als der Arzt aber geendet hatte, fragte er:
»Hat man nicht nach dem Grafen geforscht?« – »Natürlich hat man dies getan.« – »Mit welchem Erfolg?« – »Ohne jeden Erfolg.« – »Unmöglich! Hat man keine Spuren entdeckt?« – »Keine!« – »Aber man muß doch irgend etwas gesehen haben – die Tapsen von Menschen und Pferden.« – »Ach! Wer gibt darauf acht!« – »Aber der Graf kann doch nicht zum Fenster hinausgestiegen sein.« – »Man fand sein Fenster verschlossen!« – »Aber die Tür geöffnet?« – »Ja, wie ich glaube.« – »Sonderbar. War denn nicht ein guter Jäger in der Nähe, der die Umgebung hätte absuchen können?« – »Nein. Übrigens war die allgemeine Bestürzung außerordentlich. Jeder war auf das heftigste erschrocken und tat, was er nach seiner Weise für richtig hielt.« – »Hatten sich am Tag vorher nicht verdächtige Leute blicken lassen?« – »Nein.« – »War kein Besuch auf der Hazienda?« – »O doch!« – »Wer war es?« – »Der Sohn des Alkalden, der von Señor Mariano an den Grafen geschickt wurde.« – »Ah, da scheint es licht zu werden.« – »O nein, es wird vielmehr noch dunkler.« – »Wieso?« – »Dieser Bote ist uns auch ein Rätsel gewesen.« – »Das glaube ich«, meinte der Schwarze Gerard in fast mitleidigem Ton. »Was sollte er beim Grafen?« – »Señor Mariano schickte ihn, um sagen zu lassen, daß Josefa gefangen sei und man Pablo Cortejo auch baldigst festnehmen werde.« – »Wer war der Mann?« – »Er sagte, daß er der Sohn des Richters aus Sombrereto sei.« – »Und Ihr habt das geglaubt?« – »Natürlich. Er legitimierte sich ja mit dem Ring von Señor Mariano, den er mitbrachte.« – »Und den er wieder mitnahm?« – »Nein. Don Ferdinando hat ihn behalten. Der Ring ist Hunderttausende wert. Ihr seht also, daß der Mann ehrlich war.« – »Wann ging er wieder fort?« – »Am anderen Morgen.« – »Wer war bei ihm?« – »Kein Mensch. Ich habe ihn fortreiten sehen, es war am hellen Tag.« – »Hm!« brummte der Jäger nachdenklich. »Erlauben Sie! Verzeihen Sie! Das ist eine Sache, die sich keine Sekunde aufschieben läßt.«
Gerard drehte sich rasch um und eilte nach dem Haus zurück.
Dort weilten alle im Empfangszimmer. Pirnero und Resedilla hatten erwartet, Sternau und dessen Freunde auf der Hazienda zu sehen oder wenigstens gute Nachricht über sie zu erhalten. Es war leicht erklärlich, daß beide nach ihnen fragten, und so kam es, daß auch hier im Empfangszimmer dasselbe Thema verhandelt wurde, wie unten im Garten zwischen dem Arzt und Gerard.
Der alte Haziendero hatte eben von dem rätselhaften Verschwinden des Grafen erzählt, und alle hatten seinem Bericht gelauscht, als Gerard eintrat. Er hörte noch die Worte Pedros, der mit der Bemerkung schloß, daß der leibhaftige Teufel hierbei seine Hände im Spiel gehabt haben müsse.
Einige der Hörer schlossen sich diesem Urteil an, keiner aber kam auf den Gedanken, der allein der richtige war. Pirnero meinte sogar zu dem Haziendero:
»Also ihr habt noch nicht entdeckt, wohin der Graf verschwunden ist?« – »Nein. Es wird wohl auch niemand entdecken.« – »Oh, da dürftest du dich irren.« – »Wieso?« – »Weißt du, was ein Diplomat ist?« – »Ja.« – »Und ein Politiker?« – »Ja.« – »Nun also! Vor einem Diplomaten und Politiker bleibt nichts verborgen. Auch diese Sache wird bald an den Tag kommen.« – »Du meinst durch einen Politiker?« fragte Arbellez. – »Ja«, antwortete Pirnero in stolzem Ton. – »Wer sollte das sein?« – »Hm! Ahnst du das nicht?« – »Nicht im geringsten.« – »So bist du eben nicht das, was man einen Diplomaten nennt. Als Juarez bei uns in Fort Guadeloupe war, habe ich ihm höchst wichtige Ratschläge erteilt, er hat sie befolgt und gewinnt nun Schlacht auf Schlacht und Sieg auf Sieg.«
Arbellez machte ein sehr erstauntes Gesicht und sagte:
»Ah, meinst du etwa, aß du selbst...«
Er vollendete den Satz nicht, weil er die Gaben und Eigentümlichkeiten seines Schwagers sehr gut kannte.
»Was denn? So rede doch weiter! Daß ich selbst ...« – »Daß du selbst ein Politiker seiest?« – »Ja, dieses meine ich. Oder glaubst du das nicht?« – »Hm! Es müßte bewiesen werden.« – »Oho! Während der Anwesenheit Juarez' war ich nahe daran, Gouverneur einer der nördlichsten Provinzen zu werden.« – »Oho!« wiederholte Arbellez denselben Ausruf. – »Ja. Und ich bin auf dem Weg, mexikanischer Oberst zu werden.« – »Was du sagst!« – »Ja. Ich habe euch erzählt, daß ich alles verkauft habe. Ich bin frei und mein eigener Herr. Wir drei, ich, Resedilla und ihr Verlobter, werden große Vergnügungsreisen machen und uns dann in einer Residenz niederlassen, London, Paris oder Pirna. Das kann ich nur im Charakter eines bedeutenden Mannes tun, und darum will ich Oberst werden. Bin ich nicht ein Politiker?« – »Allerdings, nämlich, wenn wirklich alles so ist, wie du sagst.« – »Natürlich.« – »Und so meinst du also, daß du auch unser gegenwärtiges Rätsel lösen wirst?« – »Das versteht sich von selbst. Wer dem Präsidenten Ratschläge erteilt und nun Oberst werden will, dem wird es doch wohl gelingen, den Grafen Rodriganda aufzufinden.« – »Aber wie willst du das anfangen?« – »Da ich es eben erst erfahren habe, so hatte ich noch keine Zeit, es mir zu überlegen, werde aber schleunigst darüber nachdenken, lieber Schwager.«
Da fiel Gerard ein:
»Das ist nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich.« – »Wieso?« – »Unnötig, weil derjenige, der nicht sofort auf das Richtige kommt, es auch durch das schärfste Nachdenken nicht finden wird. Und schädlich, weil man durch das Nachsinnen viele kostbare Zeit verlieren würde, während der man zu handeln hat.« – »Ah, mein Junge, willst du etwa der Politiker sein, der hier gebraucht wird?« – »Ja. Ich bin überzeugt, daß ein echter, findiger Prärieläufer dazu gehört, das gutzumachen, was hier unterlassen worden ist.« – »Unterlassen?« fragte Arbellez. »Ich bin überzeugt, daß wir alles getan haben, was notwendig war, Aufklärung zu erhalten.« – »So? Nun, was habt Ihr denn getan?« – »Nun – hm, alles!« antwortete Arbellez, einigermaßen verlegen. – »Ah, ich sehe, wie es steht. Habt Ihr den Boden unter dem Fenster des Grafen untersucht?« – »Nein. Wozu wäre das nötig gewesen?« – »Der Graf wurde durch das Fenster entführt.« – »Unmöglich.« – »Warum unmöglich?« – »Weil das Fenster von innen verschlossen war.« – »Ja«, meinte Gerard mit einem überlegenen Lächeln. »Es gehört eben ein Jäger dazu, alles zu begreifen und sich alles zusammenzureimen. Wo liegt das Zimmer, in dem der Graf damals schlief?« – »Gleich nebenan.«
Gerard trat an eines der Fenster und untersuchte dasselbe.
»Eure Fenster sind sehr alt. Die Rahmen beginnen zu verwittern. Ist das mit dem Fenster in dem betreffenden Zimmer vielleicht ebenso?« – »Es ist ebenso alt wie diese hier.« – »Das höre ich gern. Wohin führt es?« – »Nach dem Hof.« – »Ist die Stelle des Hofes, die unter demselben liegt, viel betreten?« – »Gar nicht. Es liegen seit einigen Jahren Bausteine und einige Baumstämme da, die ich zur Ausbesserung des Stalles benutzen wollte, aber noch nicht benutzt habe.« – »Ist zwischen diesen Stämmen und Steinen und der Mauer Raum?« – »Ja.« – »Wieviel?« – »Drei Fuß ungefähr.« – »Und niemand kommt dorthin?« – »Kein Mensch.« – »Gut Ihr hättet dort suchen lassen sollen. Spuren nach monatelanger Zeit zu finden, ist nicht wahrscheinlich, aber ich will wenigstens nicht versäumen, nachzusehen. Führt mich doch einmal nach dem Zimmer!«
Gerards sicheres, bestimmtes Auftreten machte Eindruck. Voll der gespanntesten Erwartung begaben sich alle nach dem erwähnten Zimmer, wo Gerard sofort zum Fenster trat, um es zu öffnen und zu untersuchen. Sie folgten jeder seiner Bewegungen mit der größten Aufmerksamkeit. Es waren auch kaum drei Augenblicke vergangen, so zeigte es sich, daß er der richtige Mann sei, zu finden, was er suchte. Er wandte sich zu Arbellez:
»Habt Ihr irgend jemand im Verdacht gehabt, Señor?« – »Nein«, antwortete der Gefragte. – »Hm! Auch den Boten aus Sombrereto nicht?« – »Nein. Wie kann ein Verdacht auf ihn fallen? Er legitimierte sich durch den Ring, den er brachte.« – »Er ritt am hellen Tag wieder fort?« – »Ja, am hellen Morgen.« – »Habt Ihr seitdem aus Sombrereto eine Nachricht erhalten?« – »Von dem Richter oder seinem Sohn nicht.« – »Von wem sonst?« – »Von Lord Lindsay.« – »Ah. Der war ja auf der Hazienda, als der Graf verschwand.« – »Ja, er und Amy, seine Tochter. Sie begaben sich kurze Zeit darauf nach dem Hauptquartier des Juarez, und auf diesem Weg machte der Lord einen Abstecher nach Sombrereto.« – »Mit welchem Resultat?« – »Er ließ mir mitteilen, daß der Richter von Sombrereto weder einen Sohn habe, noch von der Angelegenheit etwas wisse.« – »Das dachte ich mir, aber man muß vorsichtig sein. War der Bote, den er sandte, zuverlässig?« – »Im höchsten Grade, denn es war einer meiner Vaqueros, den der Lord zu diesem Zwecke mitgenommen hatte.« – »Das beweist, daß der Lord klug war und dem vermeintlichen Sohn des Richters gleich von vornherein mißtraut hat.« – »Das hat er allerdings«, meinte die alte Marie Hermoyes. – »Ihr aber nicht?« fragte Gerard. – »Es war ja gar kein Grund dazu«, antwortete Arbellez. – »Auch nun noch nicht?« – »Hm! Das ist eben unbegreiflich. Wir haben ihn kommen und wieder fortreiten sehen, er war allein. Er hat den Ring gleich abgegeben. Wäre er ein schlechter Mensch gewesen, so hätte er denselben behalten, denn der Diamant war ein ganzes Vermögen wert.«
Gerard lächelte still vor sich hin, betrachtete das Fenster noch einmal und erwiderte:
»Auch dieser Fensterrahmen ist ziemlich morsch. Betrachtet Euch doch einmal diese Stelle im untersten Teil des Rahmens.«
Die Anwesenden taten dies und blickten ihn dann hilflos an.
»Nun, was habt Ihr gesehen, Señor Arbellez?« fragte er. – »Einen Strich, eine schmale Vertiefung im Rahmen«, antwortete dieser. – »Wie sieht diese Vertiefung aus?« – »Hm! Als ob man mit einem schmalen, stumpfen Gegenstand auf den Rahmen gedrückt hätte.« – »Nicht genauso«, entgegnete der Jäger. »Hier ist nicht gedrückt worden, sondern hier hat man etwas über den Rahmen gezogen. Seht Euch die Vertiefung genau an! Rührte sie von einem Strick her, so wäre sie glatt. Wie aber findet Ihr sie?« – »Rauh.« – »Ja, sie rührt augenscheinlich von einem Lasso her, der aus verschiedenen Riemen zusammengeflochten war. Dieser Lasso war nicht der eines Jägers, denn er war schlecht und holprig gearbeitet. Weiter! Welche Richtung haben die Holzfasern, die von dem Lasso am Rahmen abgeschliffen wurden?« – »Sie gehen nach außen«, antwortete Arbellez. – »Gut. Das beweist, daß am Lasso eine Last gehangen hat, die man nicht in das Zimmer, sondern aus demselben hinaus und hinunter in den Hof transportiert hat. Kommt mit hinab!«
Gerard verließ den Raum und begab sich in den Hof. Die anderen folgten. Sie begannen das, was er sagte, zu glauben.
»Ein verdammt gescheiter Kerl. Nicht wahr?« fragte Pirnero seinen Schwager leise. – »Es scheint so«, nickte dieser. – Ja, das kommt daher, daß er der Verlobte von Resedilla ist. Kennst du die Abstammung vom Vater auf die Tochter?« – »Nein.« – »Ich werde dir das zur passenden Zeit erklären. Von dieser Abstammung hat natürlich auch der Schwiegersohn seinen Profit. Doch sieh einmal, wie er hier unter den Steinen sucht.«
Gerard war über die Steine und Stämme auf den schmalen Raum gestiegen, der zwischen denselben und der Mauer lag. Er betrachtete jeden Zollbreit des Bodens mit großer Aufmerksamkeit. Da richtete er sich auf. Er mußte etwas gefunden haben, denn in seinem Gesicht machte sich ein Ausdruck der Genugtuung bemerkbar.
»Kommt einmal herüber, Señores und Señoritas«, sagte er. »Aber nehmt Euch in acht, hierher zu treten.«
Er deutete dabei nach der Stelle, die er meinte. Alle folgten seiner Aufforderung, und Gerard fragte:
»Was erblickt Ihr hier am Boden, Señor Arbellez?«
Der Haziendero betrachtete die Stelle genau und antwortete verlegen:
»Hm! Nicht eben sehr viel.« – »Also wenig. Aber was ist das Wenige?« – »Der Boden ist hart von Sand und Lehm; aber da gibt es doch einige Eindrücke.« – »Wieviel? Zählt sie einmal.« – »Eins, zwei drei – vier.« – »Richtig. Aber wovon mögen sie herrühren?«
Arbellez wollte auch scharfsinnig sein. Er betrachtete die Spuren mit der größten Aufmerksamkeit und antwortete dann:
»Mit zwei Instrumenten sind sie hervorgebracht.« – »Zwei Instrumente?« fragte Gerard lächelnd. – »Ja, ein breites und ein schmales, rund geformtes. Das letztere ist tiefer eingedrungen.« – »Hm! Ihr seid nicht weit vom Richtigen entfernt«, bemerkte Gerard. »Das Dach des Hauses springt vor und hält den Regen von dieser Stelle ab, kein Mensch ist hergekommen, und so ist es zu begreifen, daß diese Spuren sich erhalten haben. Freilich sind sie nicht mehr scharf und neu. Aber ich will Euch gleich anschaulich machen, wie sie entstanden sind.«
Er stellte sich aufrecht und blickte empor.
»Nehmen wir an«, fuhr er fort, »es werde da oben an einem Lasso ein Mann herabgelassen, den ich empfangen soll. Ich strecke die Arme nach ihm aus, um ihn zu erfassen. So! Wie stehen meine Füße dabei?« – »Auf den Zehen.« – »Gut. Meine Sohle macht also einen Eindruck in den Boden. Das ist das breite Instrument, von dem Ihr redet, Señor Arbellez. Weiter! Ich halte den Mann gefaßt, den er herabläßt, und bücke mich mit dieser Last langsam nieder, um sie auf die Erde zu legen. Paßt auf! So!«
Er tat, als ob er wirklich eine große Last in den Armen habe, und ahmte die beschriebenen Bewegungen nach. Indem er sich nun langsam bückte, fragte er:
»Seht meine Füße genau an! Welche Stellung haben sie?« – »Ihr kauert auf den Absätzen«, antwortete Arbellez. – »Richtig! Diese Absätze sind das scharfe, runde Instrument, von dem Ihr redet. Nun will ich zur Seite treten. Seht Euch die Spur an! Wird sie in drei oder vier Wochen nicht genau so sein wie die anderen?« – »Wahrhaftig! Gewiß! Sicher!« rief es aus aller Munde. – »Nun seht. Es ist einer zum Grafen gegangen, hat ihn im Schlaf überwältigt und am Lasso in den Hof hinabgelassen. Hier unten haben zwei Männer – denn wir haben die Eindrücke von vier Füßen – die Last in Empfang genommen. Jedenfalls sind noch mehrere dabei tätig gewesen. Der Haupttäter aber war jener Bote aus Sombrereto.«
Eine solche Erklärung hatte keiner erwartet. Sie sahen einander erstaunt an. Endlich meinte Pedro Arbellez:
»Ihr mögt recht haben, Señor Gerard, aber den Boten halte ich doch für unschuldig.« – »Wieso?« lächelte der Jäger. – »Er ging allein fort.« – »Das beweist nichts.« – »Wäre er der Täter, so hätte er sich des Nachts gleich mit den anderen entfernt.« – »Mein lieber Señor Pedro, Ihr betrachtet diese Sache nicht mit dem richtigen Auge. Dieser Bote war ein Schlaukopf. Was hättet Ihr wohl getan, wenn er früh verschwunden gewesen wäre?« – »Hm. Das wäre uns aufgefallen.« – »Richtig! Das hat er zu vermeiden gesucht. Er ist geblieben, um seinen Helfershelfern einen genügenden Vorsprung zu sichern.« – »Mein Gott, das klingt ja allerdings sehr wahrscheinlich. Aber er hat ja den Ring übergeben.« – »Deshalb haltet Ihr ihn für ehrlich?« – »Natürlich.« – »Ei, ei, Señor«, meinte Gerard kopfschüttelnd. »Wem gab er diesen wertvollen Ring?« – »Dem Grafen.« – »Wo ist der Graf?« – »Fort – natürlich!« – »Und der Ring?« – »Donnerwetter! Auch mit ihm fort – natürlich!« – »Nun, seht Ihr noch nichts ein?«
Da begann es im Kopf des guten Haziendero zu tagen.
»Heilige Madonna, ich begreife, was Ihr meint«, rief er. – »Nun?« – »Der Kerl konnte dem Grafen den Ring leicht geben, weil er wußte, daß sie beide wieder in seine Hände fallen würden.« – »Und das ist Euch nicht früher aufgefallen?« – »Wahrhaftig nicht.« – »Unbegreiflich. Selbst auch dann nicht, als Ihr die Nachricht vom Lord aus Sombrereto erhieltet?« – »Selbst dann nicht. Wir glaubten nämlich, daß wir uns verhört, daß wir den Boten falsch verstanden hätten. Es gibt nämlich auch ein Sombrera und ein Ombereto.« – »Daran glaube ich nicht! Übrigens hat sich der Bote einer sehr großen Unvorsichtigkeit schuldig gemacht. Liegt nicht Sombrereto nach Südwest von hier?« – »Ja. Es liegt seitwärts von Santa Jaga.« – »Sind nicht die Spuren von Büffelstirn und den anderen nach Santa Jaga gegangen?« – »Allerdings.« – »Das gibt eine sehr bemerkenswerte Übereinstimmung. Dieser Mensch hat uns, allerdings unwillkürlich und ganz gegen seine Absicht, einen Wink gegeben, nach welcher Richtung hin wir suchen müssen.« – »Gott sei Dank! Endlich gibt es einen Punkt, an den man sich halten kann«, rief der Haziendero.
Resedilla betrachtete den Geliebten mit stolzen Augen. Ihr Vater aber spreizte die Beine weit auseinander und fragte:
»Nun Schwager, glaubst du nun, daß es in Fort Guadeloupe Diplomaten und Politiker gibt?« – »Oh, darüber wollen wir nicht streiten«, antwortete Arbellez. »Nun ist es Hauptsache, sofort Boten auszusenden.« – »Wohin?« fragte Gerard rasch. – »Nach Santa Jaga, nach Sombrereto. Sie müssen die dortige Gegend absuchen.« – »Gemach, lieber Señor, Eure Boten würden alles verderben. Einer genügt.« – »Nur einer?« fragte Arbellez betroffen. – »Ja. Mehrere würden sich untereinander nur irremachen. Sie würden auffallen. Einer aber kann suchen, ohne auffällig zu werden. Natürlich muß es ein Mann sein, der so etwas versteht. Hm! Ich weiß einen, auf den wir uns vollständig verlassen können«, meinte Gerard, indem ein lustiges Lächeln um seine Lippen zuckte. – »Wer ist das?« fragte Arbellez. – »Hier unser guter Señor Pirnero.«
Pirnero warf einen erstaunten Blick auf den Sprecher, faßte sich aber sofort und antwortete:
»Ja, das weiß ich selbst. Gibt es einen, der sich zur Lösung dieser Aufgabe eignet, so bin ich es.« – »Ganz gewiß«, nickte Gerard.
Pirnero nahm eine stolze, siegesgewisse Miene an und fuhr fort:
»Es gehört ein tüchtiger Pfiffikus dazu, der zugleich sehr tapfer ist.« – »Gewiß, lieber Schwiegervater. Darum mache ich den Vorschlag, daß du nach Santa Jaga und Sombrereto reitest, um diese Angelegenheit endlich einmal aufzuklären.«
Da trat Pirnero einen Schritt zurück, streckte alle zehn Finger abwehrend von sich und rief:
»Ich?« – »Natürlich.« – »Ich soll dorthin reiten?« – »Ja.« – »Von wo keiner von ihnen allen wiedergekommen ist?« – »Leider. Doch wir alle sind überzeugt, daß du pfiffig und tapfer genug bist, um wiederzukommen.« – »Das ist ja über alle Zweifel erhaben. Aber, wenn ich nun doch nicht wiederkäme?« – »So würden wir dich suchen.« – »Was würde das mir nützen? Wißt ihr denn nicht, daß ein Feldherr sich stets um der Seinen willen zu schonen hat?« – »Das ist allerdings sehr richtig. Du betrachtest dich hier also als der Feldherr?« – »Natürlich! Ich gebe meine Einwilligung zu eurem Vorschlag und schicke einige Vaqueros nach Santa Jaga.« – »Pah. Das sind die Kerle nicht dazu. Wenn du nicht selbst reitest, so reite ich.« – »Ihr? Du? Nein. Mein Schwiegersohn soll sich nicht abermals in eine solche Gefahr begeben.« – »So halte ich alle die, die wir suchen und die wir so lieb haben, für verloren.« – »Donnerwetter, wirklich?« – Ja.« – »Das ist ja eine ganz verfluchte Geschichte. Sie sollen und müssen gefunden werden; aber ich bin so froh, endlich einmal einen Schwiegersohn zu haben, und nun soll ich gezwungen sein, ihn aufs Spiel zu setzen. Was sagst du dazu, Resedilla?«
Sie alle blickten auf das schöne Mädchen.
»Meine Braut ist gut und tapfer«, warf Gerard ein.
Da reichte sie ihm freudig die Hand und antwortete:
»Ich lasse dich nicht gern fort, Gerard, aber ich weiß, daß du es bist, der das vielleicht zustande bringt. Gehe in Gottes Namen, aber versprich mir, vorsichtig zu sein und dich zu schonen.« – »Habe keine Sorge, mein liebes Kind. Ich gehöre nicht mehr mir allein. Ich habe andere, heilige Verpflichtungen und werde mich sehr bedanken, etwas zu tun, was mir Schaden bringen kann.« – »Das nenne ich reden, als ob es in einem Buch geschrieben wäre«, meinte Pirnero. »Ist Resedilla tapfer, so will ich es auch sein. Gerard mag gehen, aber er darf nicht vergessen, daß er einen Schwiegervater hat, der ihn mit nach New York, Kopenhagen oder Pirna nehmen will. Wann geht es fort?« – »Für heute ist es zu spät«, antwortete Gerard. »Der Abend bricht bald herein. Aber morgen mit dem Frühesten steige ich in den Sattel.« – »Doch aber nicht allein?« – »Hm. Allein ist es mir am liebsten. Aber um euch zu beruhigen, will ich zwei Vaqueros mitnehmen, die euch Nachricht von mir bringen können.«
Somit war diese Angelegenheit geordnet, und der Rest des Tages verlief weniger aufgeregt als die vorherige Zeit.
Natürlich widmete Gerard der Geliebten den größten Teil des Abends, und noch ehe er sich zur Ruhe begab, mußte er ihr versprechen, nicht fortzureiten, bevor er nicht Abschied von ihr genommen habe.
In seinem Zimmer angekommen, schritt Gerard noch lange in demselben auf und ab, um nachzudenken, ob es nicht doch vielleicht noch irgend etwas gebe, was bei der Lösung seiner Aufgabe zu berücksichtigen sei. Er hatte sein Licht ausgelöscht und das Fenster geöffnet. Die Sterne blickten herab und spendeten soviel Helle, daß er ihren Strahl dem Talggeruch des Lichtes vorgezogen hatte.
Da war es ihm, als ob er unter sich ein Geräusch vernehme. Dies konnte eine ganz gewöhnliche Ursache haben, aber als Savannenläufer war er gewöhnt, nichts unberücksichtigt zu lassen. Er trat also an das Fenster und blickte hinab.
Aus dem Fenster, das unter dem seinigen lag, stieg ein Mann. Das konnte ein Vaquero sein, der irgendeiner Magd seine Huldigungen dargebracht hatte; aber in diesem Haus war schon zu viel geschehen, als daß Gerard sich mit einer solchen Vermutung hätte begnügen können.
»Halt! Wer ist da unten?« fragte er hinab.
Der Mann antwortete nicht und sprang eilig über den Hof hinüber nach dem Palisadenzaun zu.
»Halt, oder ich schieße!«
Da der Mann auch auf diesen Zuruf nicht hörte, so trat Gerard eilig vom Fenster zurück, um sein stets geladenes Gewehr zu ergreifen.
Der Sternenschein reichte nicht hin, ihm die Gestalt des Verdächtigen noch sehen zu lassen, aber er kannte ja die Richtung, die derselbe nach den Palisaden zu eingeschlagen hatte. Er drückte alle beide Läufe nacheinander ab, doch antwortete kein Schrei. Hätte er Schrot geladen gehabt, so hätte er wohl keinen Fehlschuß getan. Ein tüchtiger Jäger aber schießt nur mit Kugeln, und da ist es nicht möglich, ein so unsicheres Ziel zu treffen.
Seine Schüsse hallten im ganzen Gebäude wider. Aber damit begnügte er sich nicht. Im Nu hatte er die Revolver und das Messer zu sich gesteckt, im Nu war das eine Ende des Lassos an dem Bein des feststehenden Bettes befestigt, ebenso schnell ließ er sich aus dem Fenster hinab in den Hof, und noch war seit seinem zweiten Schuß nicht eine Minute vergangen, so hatte er sich bereits über die Palisaden geschwungen und horchte in die Nacht hinaus, ob irgendein Geräusch zu vernehmen sei.
Da, links von ihm und in gar nicht zu weiter Entfernung, ertönte das Schnauben eines Pferdes. Er zog den Revolver und eilte der Richtung zu. Aber noch ehe er den Platz erreichte, ertönte lautes Pferdegetrappel. Der Mann, den er fangen wollte, galoppierte davon.
Gerard blieb sofort stehen. Jetzt den Ort aufzusuchen, an dem das Pferd gestanden, wäre ein großer Fehler gewesen, denn er hätte mit seinen Füßen die Spuren verwischt, die ihm später von Nutzen sein konnten. Auch kehrte er nicht an derselben Stelle, an der er über die Palisaden gesprungen war, sondern an einer anderen nach dem Hof zurück. Auch hier galt es, die Spuren des unbekannten Mannes zu erhalten.
Die Bewohner der Hazienda waren durch die Schüsse alarmiert worden. Gerard eilte um das Gebäude herum, um den vorderen Eingang zu gewinnen. Dort hatte man bereits Lichter angebrannt. Ein Vaquero kam ihm entgegen.
»Ah, Señor Gerard«, sagte er, »man sucht Euch, man hat Euch vermißt.« – »Wo sind sie?« – »Überall. Man läuft hin und her und weiß nicht, was die Schüsse bedeuten.« – »Wie ruft man die Leute am schnellsten zusammen?« – »An der Tür des Speisesaales hängt eine Glocke. Läutet sie, so werden alle sich dort einstellen!«
Gerard befolgte den Rat und sah einen Bewohner der Hazienda nach dem anderen dort im Saal erscheinen. Die meisten waren mit Lichtern versehen. Auch Resedilla kam. Als sie Gerard erblickte, eilte sie mit einem Freudenruf auf ihn zu:
»Gott sei Dank, daß ich dich sehe! Ich hatte große Angst um dich!« – »Warum?« fragte er sie liebevoll. – »Wir hörten die Schüsse, wir suchten, ich kam in dein Zimmer und fand dein Gewehr. Die Läufe waren leer, und du warst fort. Bist du es, der geschossen hat?« – »Ja.« – »Warum?« – »Sogleich. Warte, bis alle beisammen sind!«
Dies dauerte nicht lange, und dann erzählte Gerard das Ereignis.
»Was für ein Raum liegt unter meinem Zimmer?« fragte er den Haziendero. – »Die Küche«, antwortete dieser. – »Wohnen alle Eure Vaqueros im Haus?« – »O nein. Die meisten kampieren des Nachts bei den Herden.« – »Bleibt eine Magd des Nachts in der Küche?« – »Nein«, antwortete Marie Hermoyes. »Die Küche ist leer und verschlossen. Ich habe den Schlüssel bei mir.« – »War das Fenster geöffnet?« – »Ja, damit die Hitze abziehen könne.« – »Glaubt Ihr, daß irgendein Vaquero des Nachts einsteigen werde, um sich irgend etwas zu holen?« – »Nein. Unsere Vaqueros haben alles, was sie wünschen. Sie brauchen nicht zu stehlen, und ich kenne keinen, den ich für fähig halte, es zu tun.« – »Ich frage nur, um ganz sicher zu gehen und nichts aus dem Auge zu lassen. Es gilt zunächst, zu sehen, ob die Küche noch verschlossen ist.«
Man begab sich in das Parterre, und da ergab sich, daß die Tür nicht geöffnet worden war. Marie Hermoyes wollte öffnen und eintreten, aber Gerard hielt sie zurück.
»Halt!« sagte er. »Wir müssen vorsichtig sein. Wartet hier, Señora Maria. Wir werden erst nach dem Hof gehen, um zu sehen, was dort zu bemerken ist.«
Es wurden Laternen angebrannt. Da durch das Küchenfenster zuweilen Wasser auf den Hof geschüttet wurde, so war unter demselben die Erde erweicht. Als Gerard hinleuchtete, fand er die ganz deutlichen Tapsen eines Mannes, der hier aus und eingestiegen war.
»Es stimmt«, sagte er. »Dieser Mensch ist nicht durch die Tür in die Küche gekommen. Er ist kein Vaquero, denn ein solcher trägt anderes Schuhwerk. Der Mann, von dem diese Spur stammt, hat einen kleinen Fuß und trägt feine Stiefel. Ich werde mir nachher diese Spur auf Papier zeichnen. Man kann nicht wissen, wozu ein solches Modell nützlich ist. Jetzt aber wollen wir in die Küche gehen.«
An der Küchentür angekommen, ließ Gerard öffnen, gebot aber, daß alle an der Tür bleiben sollten. Es galt zu erfahren, was der Mann hier gewollt hatte.
Er trat ein, den anderen voran, und untersuchte jeden Zollbreit des steinernen Bodens, ohne ein Wort zu sagen. Dann leuchtete er in allen Winkeln und auf den Tischen umher und gebot endlich Marie Hermoyes, nachzusehen, ob irgend etwas entwendet sei.
Sie fand alles in der größten Ordnung und sagte:
»Ich begreife nicht, was der Mensch hier gewollt hat. Wir werden das wohl auch nicht erfahren.« – »Oh«, meinte Gerard, »ich hoffe, daß wir es binnen zwei Minuten wissen. Wer ist zuletzt in der Küche gewesen, Señora?« – »Ich.« – »Habt Ihr da vielleicht ein kleines Fläschchen in der Hand gehabt?« – »Nein.« – »Hm. Ist Euch nicht ein Fläschchen bekannt, auf das dieser Stöpsel passen würde?«
Gerard bückte sich nieder und hob einen kleinen Kork empor, der in der unmittelbarsten Nähe des großen Wasserkessels am Boden lag. Marie wollte ihn in die Hand nehmen, um ihn genauer betrachten zu können, er aber sagte:
»Halt! Vorsicht! Man kann in solchen Dingen nie zu vorsichtig sein. Ihr könnt den Stöpsel so auch sehen.« – »Wir haben gar kein derartiges Fläschchen«, entschied Marie. – »Hm!« brummte Gerard nachdenklich vor sich hin, indem er den Kork noch einmal in das Auge faßte. »Dieser Stöpsel ist noch feucht, und der Teil, der durch den Hals des Fläschchens zusammengedrückt wurde, ist trotzdem noch nicht im geringsten aufgeschwollen. Ich wette meinen Kopf, daß dieser Kork noch vor einer halben Stunde in dem Fläschchen gesteckt hat. Der Fremde hat ihn verloren und gar nicht gesucht oder in der Finsternis nicht gefunden.«
»Was sollte er mit dem Fläschchen gemacht haben? Höchst sonderbar«, meinte Arbellez. – »Auch das werden wir hoffentlich erfahren«, antwortete der Jäger im zuversichtlichsten Ton.
Er trat an das Fenster und betrachtete dasselbe.
»Hier ist er eingestiegen«, erklärte er. »Sein Stiefel war mit nasser Erde beschmutzt, wovon ein Teil hier hängenblieb. Ein anderer Teil liegt hier.«
Er leuchtete dabei am Wasserkessel nieder, wo allerdings ein ziemlicher Brocken niedergetretener, nasser Erde lag.
»Was folgt daraus, daß die Erde hier am Kessel liegt, Señor Arbellez?« fragte er. – »Daß der Mann am Kessel gestanden hat«, antwortete der Haziendero. – »Richtig. Auch der Kork lag hier; er hat also hier das Fläschchen geöffnet. Aber wozu? Könnt Ihr Euch das vielleicht denken?« – »Oh, nicht im geringsten.« – »Nun, es sind hier nur zwei Fälle möglich. Erstens, ein fremder Mensch steigt mit einem winzigen, leeren Fläschchen in eine fremde Küche nächtlich ein, um sich am Kessel dasselbe mit Wasser zu füllen. Was sagt Ihr dazu?« – »Das wird niemand einfallen. Draußen fließt Wasser genug.« – »Gut und sehr richtig! Zweitens, ein fremder Kerl steigt während der Nacht heimlich mit einem vollen Fläschchen in eine fremde Küche ein, um dasselbe in den Kessel zu leeren oder auszuschütten! Was sagt Ihr dazu?« – »Bei Gott, das ist das wahrscheinlichere«, antwortete Arbellez. – »Oh, das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern wohl sicher.« – »Aber was mag er in dem Fläschchen gehabt haben?« – »Vielleicht erfahren wir es.« – »Und wozu hat er es in den Kessel ausgeschüttet?« – »Auch das werden wir sehen. Aber kann er etwa einen guten Zweck verfolgt haben?« – »Gewiß nicht.« – »Nun, ich habe das Wasser des Kessels bereits genau betrachtet. Señora Marie, ist etwas Fettiges gestern gekocht worden?« – »Nein«, antwortete die Gefragte. »In diesem Kessel wird nie eine Speise gekocht, er dient nur zur Erwärmung des Wassers, das wir anderweit brauchen. Und gestern ist er gar mit Sand ausgescheuert worden. Dann haben wir ihn mit gutem Quellwasser gefüllt. Das Wasser muß rein sein.« – »Kann es nicht ein wenig fettig sein?« – »Unmöglich.« – »Nun, an einigen Stellen des Randes haben sich Gruppen von winzigen, wasserhellen Fettaugen angesammelt. Die Señores Doktoren mögen näher treten, um sich dies zu betrachten.«
Wilmann und Berthold waren zugegen. Sie traten daraufhin zum Kessel und unterwarfen die Fettaugen einer genauen Betrachtung.
Sie schüttelten die Köpfe, tauschten leise ihre Ansicht aus, und dann fragte Berthold:
»Ist nicht ein wertloser Hund oder eine Katze zu haben?« – »Alle Teufel! Gift?« rief Arbellez, der sogleich begriff, um was es sich handelte. »Holt die alte taube Hündin und zwei Kaninchen herbei.«
Die verlangten Tiere wurden zur Stelle geschafft. Die beiden Ärzte ließen die Fettaugen des Wassers durch ein Stück Brot aufsaugen und gaben dies den Tieren zu fressen. Bereits nach zwei Minuten starben die beiden Kaninchen, ohne ein Zeichen des Schmerzes von sich zu geben, und nach abermals zwei Minuten fiel auch der Hund ganz plötzlich um, gerade so, als ob er umgeworfen worden sei. Er streckte die alten Glieder und war tot, ohne den leisesten Laut des Schmerzes von sich gegeben zu haben.
»Gift! Wirklich Gift!« rief es rundum. – »Ja«, meinte Doktor Berthold. »Aber dieses Gift ist mir unbekannt.« – »Mir auch«, fügte sein Kollege bei. – »Aber ich kenne es«, antwortete Gerard. »Es ist das Öl der fürchterlichen Pflanze, die von den Diggerindianern Klama-bale genannt wird, das heißt, Blatt des Todes. Ich habe die Wirkung dieses Giftes einige Male beobachtet.« – »Herrgott, welch eine Schlechtigkeit!« rief die alte Hermoyes. »Man steigt hier ein, um jemanden unter uns zu vergiften.«
Der Jäger schüttelte sehr ernst den Kopf.
Jemand unter uns?« sagte er. »Irrt Euch nicht, Señora. Wer Gift in den Kessel schüttet, aus dem für alle Wasser genommen wird, der will nicht einen einzelnen, sondern der will alle zugleich vergiften.«
Man kann sich denken, welchen Eindruck diese Worte machten, zumal sich ein jeder sagen mußte, daß Gerard recht habe.
»Wie sehr, wie sehr haben wir Gott zu danken, daß Ihr zu uns gekommen seid«, sagte Arbellez, vor Schreck fast zitternd. »Ohne Euren Scharfsinn wären wir alle morgen tot gewesen.«
Gerard antwortete trocken, ja beinahe vorwurfsvoll:
»Ein wenig von diesem Scharfsinn hätte Don Ferdinando retten können. Ihr aber habt seine Räuber entkommen lassen!« – »Ihr mögt recht haben, Señor! Aber bleiben wir bei der Gegenwart! Wer mag dieser Mensch gewesen sein? Wem mag daran liegen, daß sämtliche Bewohner dieses Hauses während eines Tages zugrunde gehen?«
Gerard zuckte fast mitleidig die Achseln und fragte: »Das ahnt Ihr nicht, Señor?« – »Nein«, lautete die Antwort. – »So denkt doch nur einmal darüber nach! Mir scheint es ganz und gar nicht schwer, das Richtige zu treffen. Seht Ihr denn nicht, daß es auf die Angehörigen der Familie de Rodriganda abgesehen ist?« – »Mein Gott, ja!« rief Arbellez. »Wie war es doch nur möglich, nicht auf diesen Gedanken zu kommen. Aber keiner von uns allen gehört zu dieser Familie.« – »Aber Ihr alle seid in ihre Geheimnisse eingeweiht.« – »Das ist allerdings richtig.« – »Sternau, die beiden Helmers und nach ihnen alle sind verschwunden, die um dieses Geheimnis wissen. Nun sind nur noch die Bewohner der Hazienda übrig. Und sie alle hat man auf einen Schlag mit Hilfe dieses Klama-bale, dieses Totenblattes, beseitigen wollen.« – »Das leuchtet ein. Aber wer mag der Täter sein?« – »Wer anders als Cortejo?« meinte die alte Marie Hermoyes. – »Cortejo«, nickte der Schwarze Gerard. »Cortejo oder eines seiner Werkzeuge. Es ist jedoch auch möglich, daß es nicht ein Verbündeter, sondern gerade ein Feind von ihm ist.« – »Wie wäre das möglich?« – »Hm! Man muß an alles denken. Cortejo scheint viele Werkzeuge zu haben. Um später ihrer Verschwiegenheit sicher zu sein, ist er gezwungen, sie zu opfern. Sind sie nicht ganz dumm, so müssen sie das einsehen, sie müssen vorsichtig sein, sie dürfen ihm nicht trauen. Landola ist sein Hauptverbündeter. Er ist Cortejo überlegen. Sollte er sich alles das, was er weiß, nicht auf die eine oder andere Weise zunutze machen? Kann es nicht noch einen anderen, einen zweiten oder dritten geben, von dem sich dasselbe sagen läßt? Ist es unmöglich, auf irgendeine Weise einen anderen als den Grafen Rodriganda unterzuschieben, wenn Mariano verschwunden ist, und wenn man dafür sorgt, daß auch der jetzige Graf Alfonzo vom Schauplatz tritt?« – »Dieser Gedanke ist ungeheuerlich«, sagte Arbellez. – »Ich will das gar nicht bestreiten«, antwortete Gerard. »Aber für einen Mann, der so viel erlebt hat, gibt es überhaupt nichts Ungeheuerliches mehr. Ich halte mich jetzt zunächst an die Tatsache, daß man die Bewohner der Hazienda vergiften wollte. Den Täter werde ich ergreifen, und er wird beichten müssen.« – »Aber wenn er nichts gesteht?« – »Pah!« antwortete der Jäger mit einer verächtlichen Handbewegung. »Ich möchte den Menschen sehen, der mir etwas verschweigt, wenn ich ihn in das Gebet nehme. Wir Savannenleute haben unsere unfehlbaren Mittel, einen jeden zum Sprechen zu bringen.« – »Und Ihr glaubt also, daß Ihr diesen Menschen in Wirklichkeit ergreifen werdet?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »Aber er hat einen großen Vorsprung.« – »Dieser wird ihm nichts nützen. Er bedient sich jetzt desselben Pferdes, mit dem er nach der Hazienda gekommen ist. Es wird ermüdet sein, und ich hoffe doch, daß Ihr mir und den beiden Vaqueros, die mich begleiten werden, frische und schnelle Tiere zur Verfügung stellen könnt.« – »Ihr sollt die besten Pferde erhalten, die ich besitze. Aber vielleicht hilft Euch das gar nichts.« – »Wieso?« – »Wenn der Mann aus der Umgegend ist, so hat er seine Heimat erreicht, ehe Ihr in den Sattel kommt. Was nützt Euch dann die Schnelligkeit Eurer Pferde?«
Gerard schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ihr seid so viel mit Präriejägern zusammengekommen«, antwortete er, »daß Ihr endlich einmal wissen könntet, daß keiner von ihnen einen Mann entkommen läßt, dessen Spur er einmal fand. Von ruhigem Schlaf ist nun doch keine Rede. Ich will mich zum Ritt vorbereiten. Denn wenn der Tag anbricht, suche ich die Fährte.«
Dies geschah. So lange es noch dunkel war, konnte man das Geschehen nur besprechen und sich in allerlei Vermutungen ergehen, aber sobald der Tag zu grauen begann, begab man sich zunächst nach dem Hof unter das Küchenfenster, wo Gerard mit Hilfe eines Papierblattes eine ganz genaue Zeichnung der Fußspur nahm, die dort zu finden war.
Sodann führte er die Freunde in das Freie nach dem Ort, wo er das Schnauben des Pferdes und sodann das Hufgetrappel vernommen hatte. Er brauchte nicht lange zu suchen. Er deutete auf ein Loch im grasigen Erdboden und fragte:
»Was hat dieses Loch zu bedeuten, Señor Arbellez?« – »Es ist hier ein Pferd angepflockt gewesen«, antwortete der alte Haziendero. – »Richtig. Der Mann hat sein Tier angepflockt und nicht angebunden. Er trägt also einen Lassopflock bei sich. Das ist auch ein Erkennungszeichen. Und nun seht Euch einmal diesen Kaktus an.«
Die erwähnte Pflanze stand in unmittelbarer Nähe des Loches, in dem der Pflock gesteckt hatte. Arbellez betrachtete sie mit großer Aufmerksamkeit und sagte:
»Hm! Ich bemerke gar nichts Außergewöhnliches.« – »Wirklich nicht?« – »Nein.« – »Und die anderen?«
Auch diese untersuchten den Kaktus, konnten jedoch auch nichts Auffälliges finden.
»Ja«, lachte Gerard, »ein Jäger sieht doch etwas mehr als ein Haziendero oder Vaquero. Was ist denn das, Señores?«
Er zog etwas von den Stacheln des Kaktus weg.
»Ein Pferdehaar«, meinte Arbellez. – »Ja, aber von welchem Teil des Pferdes?« – »Es ist ein Schwanzhaar.« – »Welche Farbe hat es?«
Arbellez betrachtete es genau und antwortete dann:
»Schwarz, aber von einem Rappen scheint es dennoch nicht zu sein.« – »Da habt Ihr recht«, meinte Gerard. »Es ist weder von einem Rappen, noch von einem Braunen. Es hat ganz die eigentümliche Melierung, die man nur bei dunklen Rotschimmeln trifft. Das Pferd hat mit dem Schwanz um sich geschlagen, und dabei ist dieses Haar an den Kaktusstacheln hängengeblieben. Das Pferd ist ein Rotschimmel. Es hat hier das Gras niedergetreten, aber eine deutliche Spur ist leider nicht zu sehen.« – »Das ist freilich schade«, meinte Arbellez im Ton des Bedauerns. – »Warum?« – »Rotschimmel gibt es viele, ein Irrtum ist also möglich. Hättet Ihr aber ein so genaues Bild von der Hufspur, wie Ihr sie vom Stiefel des Reiters habt, so wäre ein Erkennen leichter.«
Gerard lächelte in seiner ruhigen und doch überlegenen Weise und antwortete:
»So glaubt Ihr, daß ein solches Bild nicht zu bekommen sei?« – »Woher denn?« – »Am Bach dort. Seht, daß er hier links hinübergeritten ist. Er hat über den Bach gemußt, und dort wird sich wohl ein deutlicher Eindruck der Hufe finden lassen.«
Er hatte recht. Sie folgten ihm nach dem Wasser, und als sie dort ankamen, zeigte der weiche Uferboden ganz deutliche Eindrücke, die eine Papierzeichnung gestatteten.
»So!« meinte Gerard. Jetzt habe ich alles beisammen, und nun darf ich auch nicht säumen, aufzubrechen.«
Er begab sich in sein Zimmer zurück, um seine Waffen zu sich zu nehmen. Dort suchte ihn Resedilla auf, um ihm Lebewohl zu sagen. Sie umschlang und küßte ihn, als ob es gelte, auf ewig von ihm zu scheiden.
»Tröste dich, mein Herz!« bat er sie in beruhigendem Ton. »Wir werden uns ja sehr bald wiedersehen.« – »Kannst du das wirklich behaupten, mein Gerard?« – »Ja, Kind«, antwortete er. – »O nein. Weißt du nicht, daß die anderen nicht wiedergekommen sind, obgleich sie ganz dasselbe glaubten wie du?« – »Sie konnten nicht wissen, was ich weiß. Sie suchten Verlorene, ich aber verfolge Verbrecher.«
Es gelang Gerard wirklich, Resedilla zu beruhigen, und auch die anderen hatten ihn so gut kennengelernt, daß ihn ihr ganzes Vertrauen geleitete, als er endlich mit den zwei Vaqueros aus dem Tor ritt.
Er nahm die Spur da auf, wo sie über den Bach führte, und ließ sie keinen Augenblick lang aus den Augen. Selbst da, wo seine Begleiter nicht das mindeste von ihr merkten, zeigte er eine Sicherheit, die sie in Erstaunen setzte.
So ging es in höchster Eile den ganzen Tag hindurch, bis die Nacht hereinbrach und von einer Fährte nichts mehr zu erkennen war.
»Hier werden wir absitzen und übernachten«, sagte er, auf ein kleines Gebüsch deutend, das am Weg lag. – »Wird das kein Fehler sein?« fragte der eine Vaquero. – »Warum ein Fehler?« – »Hier ganz in der Nähe liegt die Estanzia des Señor Marqueso. Da ist der Mann ganz sicher eingekehrt.« – »Meint Ihr? Hm! Ein Mörder kehrt nicht ein, wenn er von dem Schauplatz seines Verbrechens kommt. Es liegt in seinem Interesse, sich von keinem Menschen sehen zu lassen. Übrigens sind wir ihm sehr nahe gekommen.« – »Wie weit?« – »Ich sah vorhin aus der Spur, daß er kaum noch eine Stunde weit vor uns ist. Sein Pferd ist müde. Morgen früh haben wir ihn sicher und fest.«
In dieser Überzeugung streckte Gerard sich in das Gras, um zu schlafen. Am anderen Morgen, bereits bei Tagesgrauen, wurde der Weg fortgesetzt. Die Pferde hatten ausgeruht und flogen munter über die Ebene hin. Da plötzlich hielt Gerard das seinige an.
»Hier hat er angehalten«, sagte er, auf eine vielfach zertretene Rasenstelle deutend. »Wollen sehen!«
Er sprang ab und untersuchte den Boden im Umkreis.
»Donnerwetter!« rief er dann. »Wo liegt die Estanzia, von der Ihr gestern abend redetet?« – »Da rechts drüben hinter den Büschen.« – »Wie weit hat man hin?« – »Zehn Minuten.« – »Er ist zu Fuß hinüber und zu Pferde wieder zurück. Seht, hier hat er seinen Rotschimmel angepflockt gehabt. Ich will doch nicht hoffen, daß er sich von der Estanzia ein Pferd geholt hat.« – »Das wäre verteufelt!« – »Und doch wird es so sein. Er ist zurückgekehrt, um den Rotschimmel vom Lasso zu befreien und ihn laufenzulassen. Hier habt Ihr die Spur dieses Tieres. Sie führt rückwärts. Der Schimmel ist ledig. Und hier haben wir die Fährte des anderen Pferdes, die nach Süden geht, also in der Richtung, die er ursprünglich eingeschlagen hatte. Reitet auf dieser Fährte langsam weiter. Ich muß nach der Estanzia.«
Sie gehorchten. In zehn Minuten sah Gerard das Haus vor sich liegen. Er sprang vom Pferd und trat in das Zimmer. Ein älterer Mann lag in der Hängematte und rauchte eine Zigarette.
»Seid Ihr der Estanziero Señor Marqueso?« fragte Gerard. – »Ja«, antwortete der Mann. – »Habt Ihr gestern ein Pferd verkauft?«
Da fuhr der Mann aus der Hängematte empor und rief: »Verkauft? Nein, das ist mir nicht eingefallen. Aber mein Fuchs muß sich verlaufen haben. Er war heute morgen fort.« – »Verlaufen? Hm! Könnte er nicht gestohlen worden sein?« – »Das ist allerdings möglich. Ihr seht mich allein, weil alle meine Leute ausgeritten sind, ihn zu suchen.« – »War dieser Fuchs ein schnelles Pferd?« – »Es war mein bester Läufer.« – »Verdammt.« – »Warum?« – »Ich verfolge einen Mörder von der Hacienda del Erina her. Er ritt einen müden Rotschimmel, und ich glaubte, ihn heute vormittag zu erreichen. Nun aber hat er Euch den Fuchs genommen, und ich kann ...« – »Donnerwetter! Also doch gestohlen?« unterbrach ihn der Mann. – »Ja. Hatte Euer Fuchs irgendein Zeichen?« – »Ein sehr häßliches. Die rechte Hälfte des Maules ist weiß und die linke schwarz.« – »Danke!«
Damit drehte Gerard sich um.
»Halt!« rief der Mexikaner hinter ihm her. »Wollt Ihr mir nicht wenigstens sagen, wo der Rotschimmel zu suchen ist? Dann hätte ich doch einigermaßen Ersatz.« – »Da drüben bei den Büschen findet Ihr die Spur«, antwortete Gerard, die Richtung mit der Hand bezeichnend.
Zugleich sprang er in den Sattel und galoppierte davon.