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Karl May

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Beschreibung

Dieses eBook: "Erzgebirgische Dorfgeschichten" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Karl Mays Erzgebirgische Dorfgeschichten sind eine Reihe von Erzählungen aus dessen Frühwerk. Eine Auswahl erschien aus strategischen Gründen zusammen mit zwei Erzählungen des Spätwerks in einer Anthologie gleichen Namens 1903. Diese Werke gehören zur Gattung der Dorfgeschichten und spielen in Mays erzgebirgischer Heimat. Fast alle Werke enthalten Anspielungen auf dessen Biografie, allerdings verarbeitete er in diesen Erzählungen zudem die authentischen Eindrücke seiner erzgebirgischen Heimat und des Sozialmilieus. An typischen Elementen der Gattung Dorfgeschichte finden sich die romantisierenden (Nutzung von Dialekt im Gespräch, Liebes- und Heiratsepisoden) und moralisierenden Züge. Hinzu tritt noch eine Vermischung mit dem kriminalistischen Schema. Die Charaktere sind übertrieben als gut oder böse dargestellt, wobei am Ende immer die Gerechtigkeit siegt. Hatte May allgemein mit seinem Frühwerk literaturpädagogische Ziele, so wollte er mit seinen Dorfgeschichten "den Leser (und den Autor) ermahnen und warnen, ihn erschrecken und aufrütteln". Inhalt: Sonnenscheinchen Des Kindes Ruf Der Einsiedel Der Dukatenhof Vergeltung Das Geldmännle Karl Friedrich May (1842-1912) war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen. Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Bekannt wurde er vor allem durch seine sogenannten Reiseerzählungen, die vorwiegend im Orient, in den Vereinigten Staaten und im Mexiko des 19. Jahrhunderts angesiedelt sind. Besondere Berühmtheit erlangten die in drei Bänden zusammengefassten Geschichten um den Indianer Winnetou. Viele seiner Werke wurden verfilmt, für die Bühne adaptiert oder zu Hörspielen verarbeitet.

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Karl May

Erzgebirgische Dorfgeschichten

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-0908-1

Inhaltsverzeichnis

Vorwort.
Sonnenscheinchen.
Des Kindes Ruf.
Der Einsiedel.
Der Dukatenhof.
Vergeltung.
Das Geldmännle.

Vorwort.

Inhaltsverzeichnis

Komm, lieber Leser, komm! Ich führe Dich hinauf in das Gebirge. Du kannst getrost im Geiste mit mir gehen. Der Weg ist mir seit langer Zeit bekannt.

Ich baute ihn vor nun fast dreissig Jahren, und Viele, Viele kamen, die meine Berge kennen lernen wollten, doch leider nur, um sich zu unterhalten! Dass es auch Höhen giebt, in denen man nach geistgem Erze schürft, das sahen sie bei offnen Augen nicht, und darum ist es unentdeckt geblieben.

Ich führte sie dann einen anderen Weg, der von der flachen Wüste aufwärts stieg, durch fremdes Land und fremde Volker führte und oben enden wird bei Marah Durimeh. Auf diesem Weg begann man, zu begreifen. Man sah nun endlich ein, was die Erzählung ist: nur das Gewand für geistig frohes Forschen. Man hat gelernt, zum Sinn hinabzusteigen, der uns des Erzes Adern, der Tiefe Reichthum zeigt. Wer das ihm Nahe nicht verstehen will, den muss man klüglich in die Ferne leiten, wenn auch auf die Gefahr, dabei verkannt zu werden!

Heut kehr ich nun ins Vaterland zurück, um jenen alten Weg aufs Neue zu betreten. Er ist nicht weit und auch nicht unbequem. Er führt nur auf ein kleines »Musterbergle«. Wir nehmen uns ein »Sonnenscheinchen« mit, so einen Seelenstrahl, der uns zu leuchten hat, bis wir an unser kleines »Häusle« kommen. Im »Bergle« giebt es Silber, wohl auch ein wenig Gold. Das wird bewacht vom Geist des Neubertbauers. Wer diesen Geist, den doppelten, begreift, der darf den Schatz und dann auch selbst sich heben!

Radebeul, im Mai 1903. Karl May.

Sonnenscheinchen.

Inhaltsverzeichnis

Der Herr Major fuhr durch das Dorf. Die Frau Major saß neben ihm. Und auch das ›Majörle‹ war dabei, das kleine.

Man kannte den Herrn Major im ganzen Orte, und einen Einzigen ausgenommen, hatte ihn jedermann lieb. Er gehörte zu jenen im Dienste unnachsichtig strengen Offizieren, die aber, sobald sie den Zivilrock tragen, dann gegen alle Menschen mild und freundlich sind. Und heute war er in Zivil! Der weiche Felbelhut saß ihm hinten im Nacken, sodaß das braune Gesicht mit der hohen Stirn ganz zu sehen war, unter welcher die hellen Augen nach allen Seiten lachten.

Die Frau Major war eine schöne, schlanke, aber blasse Dame. Sie trug zwar einen Schleier, hatte ihn aber trotz des Sonnenscheins, der rundum licht auf den Fluren lag, zurückgeschlagen, um die gesunde, reine Bergesluft frei einatmen zu können. Ihre Augen hatten fast die Farbe der Veilchen, die sich schon hier und da im Grase sonnten; sie schaute so sinnend, so eigentümlich träumerisch in die Welt hinein. Was für Augen das wohl waren? Diese Frage wußte der Herr Lehrer am besten zu beantworten. Er war in den vorigen Ferien in der Residenz gewesen und hatte bei Majors mitspeisen dürfen. Da hatte er mit der Dame viel gesprochen und dann nach seiner Rückkehr im Dorfe berichtet: »Sie ist hochgebildet und außerordentlich ideal; darum faßt sie alles von der poetischen Seite auf. Ja, sie macht sogar Gedichte, wenn es paßt!«

Das ›Majörle‹, welches im Wagen rückwärts saß, war nicht in Zivil. Seine elfjährige Gestalt steckte in der schönen, bunten Uniform, welche ihm zu Weihnachten vom Christkindlein beschert worden war. Daheim durfte sie nur im Zimmer getragen werden; auf der Straße war es verboten. Aber hier im Dorfe, das war etwas ganz anderes! Das ›Majörle‹ hatte rundweg erklärt, daß es diese Reise in das Gebirge nicht mitmachen werde, wenn es die Uniform nicht anziehen dürfe, und dieser militärisch feste Wille war nach langen, elterlichen Gegenreden schließlich mit dem schuldigen Respekt begriffen und ausgeführt worden. In der Rangliste der Knabenzeit steht das ›Majörle‹ über dem Major. Man hat ihm zu gehorchen!

Heut' war ein wunderbarer, einzigschöner Frühlingstag. Die Luft schien still zu stehen, doch fühlte man den Hauch des jungen Lebens, welcher aus dem Munde des Lenzes geht, wenn dieser der Natur leise verkündet, daß er nun wieder blühen und duften lassen werde. Die Sonne hatte den Mittagspunkt noch nicht erreicht, schien aber schon so warm wie sonst im Mai. Es war, als habe sie die Leute sogar aus der Kirche gelockt. Der Sonntags-Frühgottesdienst war zu Ende, und die Besucher desselben kamen, die Gesangbücher in den Händen, aus dem hohen, breiten Tore, um sich heimkehrend im Dorfe zu verteilen. Diejenigen von ihnen, welche dem Wagen des Majors begegneten, grüßten mit jener warmen Höflichkeit, der man es ansieht, daß sie aus dem Herzen kommt. Er dankte, indem er den Hut abnahm. Frau Major nickte freundlich. Das ›Majörle‹ legte das Zeige- und Mittelfingerchen an die betreßte Mütze und machte dazu eine Miene, als ob es über ihm gar keine höhere Charge gäbe. Das war so seine selbstbewußte Art, die höchstwahrscheinlich von seinen vielen, vornehmen Ahnen stammte.

Warum schauten die Dorfbewohner, nachdem sie freundlich gegrüßt hatten, dann mit so bedenklicher Miene hinter dem Wagen her? Das hatte seinen Grund, und jeder kannte ihn. Draußen vor dem Orte lag der Pachthof, welcher dem Major gehörte. Der alte Pächter, welcher ihn stets gut bewirtschaftet hatte, lebte nicht mehr, und sein Sohn war leichten Sinnes und liebte die Arbeit weniger als das Vergnügen. Er war unverheiratet. Ein rechter Bauer aber braucht eine brave, arbeitsame Bäuerin, die scharfe Augen hat und alles wohl zusammenhält. Wer sich auf fremdes Gesinde verläßt, der kann leicht rückwärts, selten vorwärts kommen, zumal, wenn er das Wirtshaus mehr als seine Felder, und Kartenspiel und Trunk mehr als die Arbeit liebt. Und leider war dies bei dem Pachthofer der Fall.

Für kurze Zeit nach seines Vaters Tode war es wohl gegangen. Da hatte er einen fleißigen Knecht, der sich des Hofes annahm, als ob es zu seinem eigenen Vorteil sei. Das war der Felber Fritz, der beim Militär gestanden und dort gelernt hatte, pünktlich, treu und arbeitsam zu sein. Seit dieser aber ganz plötzlich seinen Dienst verlassen und sich mit einer gewaltigen Ohrfeige von seinem Herrn verabschiedet hatte, waren die Erträgnisse des Pachthofes von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Man sprach davon, daß die Zinsen schon seit längerer Zeit nicht bezahlt worden seien. Der Major hatte sich bei dem Gemeindevorstand brieflich Auskunft eingeholt, und als er nun heute nach dem Tode des alten Pächters zum ersten Male wieder im Dorfe erschien, verstand es sich ganz von selbst, daß er gekommen sei, um persönlich nachzusehen, wie es um sein Eigentum stehe.

Der Pachthof lag am oberen Ende des Dorfes. Der Major ließ aber den Wagen schon früher halten, um auszusteigen. Man wollte überraschen. Das ›Majörle‹ ging hinter seinen Eltern. Es nahm den Säbel hoch in den gekrümmten Arm und kniff das eine Auge vornehm zu, als ob es ein Monokel vor demselben eingeklemmt habe. Man sah das Tor von weitem. Es gab über ihm eine Sonnenuhr, die jedenfalls von einem schon längst verstorbenen Dorfkünstler gemalt worden war. Sie stellte einen Engel dar, von welchem sehr schön gelbgefärbte Strahlen ausgingen. Seine Wangen glühten wunderbar zinnoberrot, und die Augen waren ganz ausgesprochen himmelblau. Die Stundenziffern standen auf den beiden Flügeln.

Vor diesem Bilde stand in der Mitte des Weges ein kleines Mädchen, vielleicht acht Jahre alt. Ueber sein sauberes Sonntagskleidchen hingen zwei dicke, lange, goldblonde Flechten herab, geschmückt mit einem blauseidenen Zigarrenbande. Die Wangen glänzten vor Gesundheit, wenn auch nicht ganz so rot wie die des Engels, in dessen Anblick das kleine, holde Wesen so vertieft war, daß es die drei Herankommenden gar nicht bemerkte. Die Frau Major blieb überrascht stehen.

»Welch ein schönes Kind!« sagte sie in gedämpftem Tone. »Wie schmuck und rein! Da kann man wohl schon freundlich auf die Mutter schließen!«

Der Major nickte beistimmend. Das ›Majörle‹ aber ging stracks auf das Mädchen zu, ließ den Säbel rasselnd fallen, stemmte beide Fäuste in die Hüften und fragte:

»Wer bist du? Und warum stehst du hier vor unserem Tor?«

Das Kind drehte sich zu ihm herum und betrachtete ihn mit großen, klaren Augen. Etwas so Schönes wie diese seine Uniform hatte es noch nie gesehen. Dennoch klang seine Stimme vollständig furchtlos, als es antwortete:

»Ich bin das Sonnenscheinchen. Dieses Tor ist nicht euer, sondern unser. Wer bist denn du?«

»Ich bin das ›Majörle‹« sagte er. »Mama nennt mich so. Und dieses Tor war schon unser, als ich noch das ganz kleine Hauptmännle war. Der da drin wohnt, ist unser Pächter. Wir sind reich, sehr reich!«

Er richtete sich bei diesen Worten so hoch auf, wie er konnte. Sie aber entgegnete, ohne sich imponieren zu lassen:

»Euer Pächter? Das ist nichts! Er hat von meinem Vater eine Maulschelle bekommen. Das weiß das ganze Dorf. Mein Vater war der Oberknecht. Das ist mehr als ein ›Majörle‹. Und reich sind wir auch. In meiner Sparbüchse sind schon dreizehn Pfennige. Willst du sie sehen, so komm'! Ich zeige sie dir!«

»Ja,« nickte er, mehr aus Höflichkeit als aus Hochachtung. »Wir müssen aber erst mit dem Pächter reden. Wo wohnst du denn?«

»Wo es am schönsten ist: ›Im Sonnenschein‹. So nennt man unser Haus. Willst du, daß ich auf dich warte an der Straße?«

»Ja.«

»Gut! Aber erst muß ich essen. Wir haben heut' Klöße mit Sauerkraut, weil Sonntag ist. Da bleibt nichts übrig. Aber Kaffee kannst du nachher mit trinken. Da sitzen wir vor der Tür. Leb' wohl!«

Sie reichte ihm die Rechte und sah ihm dabei innig und freundlich in die Augen. Da vergaß das ›Majörle‹ alle seine Ahnen; es bückte sich nieder, drückte seine Lippen auf das kleine Kinderhändchen und sagte:

»So küßt man der Dame die Hand, wenn sie einem gefällt. Ich bin dir gut und komme ganz bestimmt!«

Das Kind wollte gehen, da strich ihm die Frau Major über das reiche, blonde Haar und sprach:

»Du bist also das Sonnenscheinchen. Wer hat dich so genannt?«

»Das weiß ich nicht,« lautete die Antwort. »Vielleicht der liebe Gott!«

»Das wird wohl richtig sein. Nun geh' zu deiner Mutter! Es ist fast Essenszeit. Sie wird auf dich warten!«

Dann fuhr sie, zu dem Major gewendet, fort:

»Nicht nur ein schönes, sondern auch ein kluges Kind. Weit über sein Alter entwickelt. Bedächtig und resolut. Ein lebendiges Frühlingsgedicht!«

Er nickte nur. Der Anblick des Pachthofes hatte seine bisher heitere Stimmung verscheucht. Nun öffnete er das Tor; sie traten ein. Das Sonnenscheinchen aber lief in großer Eile das Dorf hinab und an der Kirche vorüber, bis links der Gasthof lag und rechts an der Lehne des Berges ein hellgestrichenes Häuschen stand, dessen Schornstein gastlich rauchte. Auf der Bank vor der Tür saßen ein junger Mann und eine ältere Frau, des Kindes Vater, der Felber Fritz, und seine Schwiegermutter, die Botenfrau, welche die Verbindung des Dorfes mit der zwei Wegstunden entfernten Stadt unterhielt. Eine Eisenbahn gab es damals noch nicht. Als beide das Kind kommen sahen, rief ihm die Großmutter entgegen:

»Sonnenscheinchen, wir haben dich gesucht! Wo bist du denn gewesen?«

»Beim Uhrenengel war ich nur! Ich wollte ihn fragen, ob wir bald essen werden,« lautete die Auskunft.

»Was hat er denn gesagt?«

»Er meinte, es sei noch gar nicht eilig. Der schwarze Strich ging noch nicht gerade herunter. Ich wollte darauf warten; da aber kam das ›Majörle‹, welches denkt, daß wir kein Geld haben. Ich werde ihm aber meine Sparbüchse zeigen. Darf ich, Großmutter? Ich hole sie mir gleich.«

Hierauf verschwand das Mädchen, ohne die Antwort abzuwarten, im Innern des Hauses.

»Das ›Majörle‹! So also wird der Junge genannt,« setzte die Botenfrau das unterbrochene Gespräch mit ihrem Schwiegersohn fort. »Hast du ihn vorhin, als sie vorbeifuhren, zum ersten Male gesehen?«

»Nein,« antwortete er. »Als Offiziersbursche seines Vaters wurde ich sehr oft zur Aushilfe des Kindermädchens kommandiert. Er war damals ungefähr ein Jahr alt und wurde das ›Hauptmännle‹ geheißen. Inzwischen ist sein Vater avanciert, der Knabe natürlich mit.«

»Ob der Major dich wohl noch kennt?«

»Möglich, obgleich er mich seitdem nicht mehr gesehen hat.«

»Auch nicht, als du auf seinem Pachthof dientest?«

»Nein. Er war während dieser Zeit niemals hier oben. Ich habe mich des Hofes redlich angenommen, erstens aus Pflichtgefühl, und zweitens auch um des Majors willen, der mir ein guter Herr gewesen ist. Ich wollte verhüten, daß sein Besitztum so weit heruntergebracht werde, wie es nun jetzt geschehen ist. Da aber kam jene Ohrfeige, die ich jetzt wohl fast bereuen möchte.«

»Bereuen?« fragte sie verwundert. »Wie kannst du es bereuen, daß du meine Tochter, deine ehemalige Braut und jetzige Frau, gegen einen so zudringlichen Menschen in Schutz genommen hast? Das war ja deine Pflicht!«

»Ich hätte aber doch besonnener sein können, wenigstens nicht gleich zuschlagen sollen. Deine Tochter, die Paule, war ein hübsches, braves Mädchen. Sie ist noch jetzt die hübscheste und beste Frau im ganzen Dorfe. Der Pachthofer wollte sie haben. Sie wies ihn ab. Schon das mußte ihn kränken. Als er aber erfuhr, daß sie mich, seinen Knecht, lieber habe als ihn, da war das eine Beleidigung, die ihn ergrimmen mußte. Er hatte getrunken, als er mich mit ihr traf. Er war berauscht. Darum versuchte er es, auf mich einzuschlagen. Er hatte vergessen, daß ich viel stärker bin als er. Meine Ohrfeige warf ihn sofort nieder. Ich ließ ihn liegen, holte meine Sachen und ging vom Hofe ab. Hätte ich mich damals beherrscht, so wäre ich bei ihm geblieben und müßte mir jetzt nicht vorwerfen, schuld zu sein, daß er und der Pachthof nun so weit heruntergekommen sind.«

Da legte die Schwiegermutter die Hand auf seinen Arm, sah ihm liebevoll in das Gesicht und sagte:

»Fritz, lieber Fritz, also das ist es, was dich quält? Vorwürfe machst du dir? Du Braver! Da muß ich helfen. Da muß ich dir sagen, was wir bisher verschwiegen haben. Du weißt, wir reden nicht gern über andere Leute. Sogar den Pachthofer haben wir schonen wollen, obgleich er es an Paule nicht verdiente. Du glaubst, es sei seine Absicht gewesen, sie zu heiraten? Da irrst du dich! Er, der sich für den Vornehmsten hält, und sie, die Tochter der Botenfrau? Das wäre ihm niemals eingefallen! Er hat ihr das auch ganz regelrecht gerade ins Gesicht gesagt. Da erhielt er von ihr das, was du nicht weißt, nämlich eine Ohrfeige, schon vor deiner!«

»Ist's wahr, Mutter?« rief da Felder, indem er von der Bank aufsprang.

»Ja, es ist wahr,« antwortete sie. »Und trotzdem ist er noch ferner um das Haus hier geschlichen und hat sie verfolgt auf Schritt und Tritt, bis es dann durch dich zur zweiten Maulschelle kam. Da hatte er endlich genug!«

»Das wußte ich freilich nicht! Aber es sind Jahre darüber hingegangen, und er hat die beiden Hiebe vergessen und vergeben. Du weißt es ja, wie freundlich er seit längerer Zeit gegen mich ist. Er hat mir schon manchen Gefallen getan, ohne daß ich ihn darum bat!«

»Er will dich täuschen, Fritz! Gerade diese Freundlichkeit macht mich bedenklich. Er sucht etwas an dir. Er hat dich schon zwei- oder dreimal mit ins Wirtshaus genommen und die Zeche für dich bezahlt. Das macht mich bang. Du gehst sonst nie zum Trunk. Was will er dort mit dir? Wer den Pachthofer kennt, der weiß, daß er nie etwas verzeiht. Sei vorsichtig, mein Sohn; nimm dich in acht! Er ist ja auch nicht mehr der, der er früher war, sondern ein Heruntergekommener. Wie lange wird es noch dauern, so jagt ihn der Major vom Hofe. Willst du vielleicht der Freund und Kumpan eines solchen Menschen werden? Da sei Gott vor!«

In diesem Augenblicke trat das Sonnenscheinchen unter die Tür und sagte:

»Die Klöße sind fertig. Ihr sollt kommen, sagt die Mutter!«

Sie folgten diesem Rufe. In der Wohnstube stand Frau Paule wartend am gedeckten Tische. Ihr Mann hatte sie ›hübsch‹ genannt. Er hatte recht; sie war es wirklich. Ihr starkes, schönes, blondes Haar war nur um einen Schein dunkler als das ihres Kindes, und so ein liebes Gesicht wie sie kann nur eine Frau haben, die sich in ihrem Hause glücklich fühlt. Als sich jedes an seinen Platz gestellt und die Hände gefaltet hatte, erhob das Sonnenscheinchen seine Stimme und betete, die Augen begehrlich auf die dampfenden Klöße gerichtet:

»Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast. Amen!«

Dann tat es einen Freudensprung und fügte schnell hinzu:

»Heut' ist aber der Herr Jesus gut, sehr gut!«

Die Eltern lachten über diesen begeisterten Andachtsschluß, und hierauf erging es der kleinen Beterin wie einst dem braven Feldhauptmann Schweppermann: Sie bekam gleich zwei Klöße auf einmal. Infolgedessen war sie so beschäftigt, daß sie vollständig vergaß, zu erzählen, was sie mit den vornehmen Leuten am Tor des Pachthofes gesprochen hatte. Selbstverständlich hätte man die kindliche Einladung zum Kaffee auch nicht als bindend für das ›Majörle‹ betrachtet, und noch viel weniger für dessen Eltern. Aber Kaffee wurde trotzdem bereitet; das war man für Sonntags so gewöhnt. Deshalb wurde nach dem Essen der Tisch hinaus vor die Bank am Hause getragen, zwei Stühle dazu, und nun, indem die Mutter den braunen Trank aufgoß, der mehr nach Zichorie als nach wirklichen Bohnen duftete, kam dem Sonnenscheinchen plötzlich die Besinnung, daß es die Sparbüchse in der Tasche habe und an der Straße auf das ›Majörle‹ warten wolle!

Das Kind sagte kein Wort, weil es sich seiner Vergeßlichkeit schämte, und ging den kurzen Hang hinab, um aufzupassen, ob der Erwartete kommen werde. Da standen rechts und links die duftenden Veilchen, die Sonnenscheinchen liebte. Ob die vornehme Frau, die so freundlich war, wohl auch Veilchen gern hatte? Das Mädchen begann zu pflücken, und noch hatte es kein ganzes Dutzend zusammen, so sah es den offenen Wagen kommen und das ›Majörle‹ und seine Eltern drin. Er hielt am Gasthof an, wo die drei ausstiegen. Das Kind sah, daß sie hinein wollten. Darum lief es schnell hin, drückte der Frau Major die Blumen in die Hand und sagte zu dem Knaben, indem es nach dem Tische vor dem Häuschen deutete:

»Der Kaffee ist gleich fettig, und die Sparbüchse habe ich auch. Nun müßt ihr aber gleich kommen!«

Der Major hatte sehr ernst ausgesehen; jetzt lächelte er. Die Frau Majorin schaute sehr vergnügt darein; das ›Majörle‹ aber fühlte sich als Herr der Situation. Es streckte dem Sonnenscheinchen seinen rechten Arm hin und sagte:

»Hänge ein!«

Dieses verstand ihn nicht und fragte darum verwundert:

»Wo hinein willst du mich hängen?«

Da sah er sie so etwas von oben herunter an und erklärte ihr:

»Wenn man eine Dame zum Kaffee führt, so legt sie ihre Hand so hier auf den Arm. Dann geht man mit ihr fort. Handschuhe brauchst du nicht, denn wir sind auf dem Dorfe. Also komm!«

Er klemmte ihre linke Hand in den Winkel seines rechten Ellbogens und ging mit ihr über die Straße hinüber, ohne sich um die Folgsamkeit seiner Eltern zu bekümmern. Diese blickten einander fragend an. Dann schaute der Major hinüber nach dem Häuschen. Dort hatte man den Vorgang wohl bemerkt. Felber befand sich in größter Verlegenheit über die Kühnheit seines Töchterchens. Er hatte sich von seiner Bank erhoben und strich den Schnurrbart genau in derselben Weise wie damals, wenn er, als zu der Frau Hauptmann kommandiertes Kindermädchen, sich irgend einer Ungeschicklichkeit schuldig gemacht hatte.

»Du, den sollte ich kennen!« sagte der Major.

»Ich auch,« stimmte sie bei.

»Ist das nicht der Gefreite Fritz Felber, unser ehemaliger Bursche?«

»Die Namen merke ich mir ja nie. Aber einer unserer Burschen ist's.«

»Na, dann getrost hinüber, wenn auch nicht wegen des Kaffees! Man sieht es ihm deutlich genug an, daß er gar nichts davon weiß, daß er ihn unserem Jungen schuldig ist!«

»Ein kleines, allerliebstes Abenteuer,« nickte sie, »welches du dir auf den Aerger gönnen darfst!«

Als die beiden drüben ankamen, hatte sich das ›Majörle‹ mit dem Sonnenscheinchen schon gemütlich an den Tisch gesetzt. Die Botenfrau war vor Angst im Hause verschwunden. Paule stand verlegen an der Tür. Felber klappte die Absätze zusammen, drückte die Brust heraus und legte die Fingerspitzen an den Rand der Militärmütze, die er nicht besaß. Der Major klärte mit einigen Worten alles auf und erteilte dann seine Befehle. Er verlangte noch drei Stühle und dazu die abhanden gekommene Schwiegermutter. Als diese vier Gegenstände herbeigeschafft worden waren, erkundigte er sich, ob die Klöße wirklich alle geworden seien. Ein allgemeines ›Ja‹ ertönte.

»Gut, dann also Kaffee!« lachte er. »Ob wir ihn hier oder drüben im Gasthof trinken, das bleibt sich gleich.«

»Nur hier, aber Kuchen dazu!« bestimmte das ›Majörle‹.

»Du kriegst Brot mit Butter drauf, weiter nichts!« wies ihn das Sonnenscheinchen zurecht. »Kuchen gibt es nur zur Kirmes und zu Weihnacht. Da kommst du wieder. Ich backe ihn dir selber!«

Das ließ sich hören. Der kleine Gebieter zeigte sich zufrieden. Frau Paule aber zog sich zurück, um die gewöhnliche Zahl der Bohnen um einige zu vermehren und dafür die Zichorie zu subtrahieren. Dann saßen alle fröhlich um den Tisch. Die Kleinen hatten sich sehr Wichtiges zu sagen. Die Großen aber sprachen zunächst von vergangenen Kindermädchenzeiten. Dann erwähnte der Major den Grund seiner heutigen Anwesenheit. Er hatte schnell erkannt, daß sein einstiger Bursche ein urteilsfähiger und ehrenwerter Mann geworden sei, obgleich er zu den sogenannten armen Leuten zählte. Darum sagte er ihm offen, daß er nahe daran stehe, den Pachthofer fortzujagen. Da wagte es Felber, für diesen zu bitten. Er brachte seine Gründe vor, die freilich nicht so recht begeistern wollten. Der Major hörte ihn ruhig an, gab ihm dann die Hand und sagte:

»Felber, Sie sind ein braver Kerl! Verstehen Sie denn von der Landwirtschaft etwas?«

»Ich denke, ja!« antwortete der Gefragte. »Ich war ja Oberknecht auf Ihrem Hofe.«

»Wann?«

»Bis zu meiner Verheiratung.«

»Hm! Sonderbar! Also ungefähr bis zu der Zeit, wo die Zahlungen begannen, unregelmäßig zu werden! Das läuft nämlich schon so fast acht Jahre lang. Wie ist Ihr Häuschen hier zu der Bezeichnung ›Im Sonnenschein‹ gekommen?«

»Weil es am Hange liegt, den die Sonne von früh bis abends trifft, und vielleicht auch, weil – weil – –«

Er stockte und sah verlegen zu Frau Paule hinüber.

»Na, werdet nicht so rot, Kinder!« lächelte der Major. »Ich weiß ebensogut wie Ihr, daß es für gute, liebe Frauen Kosenamen giebt. Habe ich es getroffen?«

Felber nickte.

»Sie haben Ihre junge Frau gern ›Sonnenschein‹ genannt. Das ist ruchbar geworden. Und als sich hierzu gar noch ein kleines ›Sonnenscheinchen‹ gesellte, da wurde Ihr Haus dann allgemein ›Zum Sonnenschein‹ genannt?«

»Erraten, Herr Major!«

»Wissen Sie, daß der Pachthof früher auch ›Zum Sonnenschein‹ geheißen hat?«

»Ja. Alte Leute erzählen noch davon.«

»Das war wohl wegen der schöngemalten Sonnenuhr mit ihren gelben Strahlen. Inneren Sonnenschein hat es in diesem alten Hause nur selten gegeben. Ich meine, daß er ihm endlich nötig wäre. Doch – hm! Sie haben ein gutes Wort für den Pachthofer eingelegt, und das soll nicht daneben gefallen sein. Ich will es also noch einmal mit ihm versuchen. Ich wiederhole es, Sie sind ein braver Kerl! – – Jetzt, Kinder, steckt Eure Kapitalien wieder in die Büchse, und tut auch das dazu!«

Das ›Sonnenscheinchen‹ hatte nämlich seine Sparbüchse hervorgezogen, um zu beweisen, daß es reich sei. Es war eine jener runden, tönernen, die man nicht öffnen kann. Man hat sie zu zerschlagen, wenn man zu seinem Gelde kommen will. Aber das kluge Kind hatte eine Art des Schüttelns entdeckt, bei welchem die Stücke einzeln in dem Spalt erschienen und dann vollends hervorgezogen werden konnten. Auf diese Weise hatte es jetzt seine dreizehn Pfennige zum Vorschein gebracht und stritt sich nun mit dem ›Majörle‹ herum, welches behauptete, daß das noch lange kein so übermäßiger Reichtum sei. Der Major aber hatte während seiner letzten Worte einen Louisdor aus seiner Börse genommen. Den legte er dem Sonnenscheinchen hin.

»Wieviel ist das?« fragte das Kind, indem es die schöne, glänzende Münze gegen die Sonne hielt.

»Fünf Taler! Herr Major?« rief Felber aus, beinahe erschrocken über die reiche Gabe.

»Hörst du? Fünftausend Taler!« wiederholte das ›Majörle‹ seiner kleinen Nachbarin, ohne zu fragen, ob es erlaubt sei, drei Nullen als Vergrößerungsgläser zu benutzen.

»Fünftausend! Ist das wahr?«

Das Sonnenscheinchen hatte noch keinen klaren Begriff von Tausenden, aber daß es un-, un-, unendlich viel sei, das ahnte es.

»Natürlich! Fünftausend! Man bekommt einen ganzen Pachthof dafür!« versicherte das überschwengliche ›Majörle‹. »Komm, tu' jetzt alles schnell wieder in die Büchse. Erst warst du arm; jetzt aber bist du durch meinen Papa reich geworden, fast reicher noch als ich, denn mir gibt er immer nur so lumpige, silberne Viergroschenstücke!«

Er warf seinem Vater einen vernichtenden Blick hinüber und half dann, das Geld wieder in die Büchse heimsen. Als dies geschehen war, brachen die Herrschaften auf. Felbers gingen mit bis an den Wagen.

»Das ist ein Mietwagen aus der Stadt,« erklärte das ›Majörle‹. »Er kostet zehn Neugroschen für die Stunde. Vorher fuhren wir auf der Bahn. In Dresden aber haben wir unsere eigenen Pferde zum Reiten und zum Fahren, und Wagen dazu, sogar auch einen Schlitten. Vielleicht lade ich dich zu meinem Geburtstag ein, Sonnenscheinchen. Du hast mir sehr gefallen!«

Der Herr Major gab, ehe er einstieg, den Felbers allen die Hand. Die Frau Major folgte diesem Beispiel und küßte dann Sonnenscheinchen noch extra auf den wohlgespitzten Mund. Das ›Majörle‹ nickte den neugierig herbeigeeilten Dörflern huldreich zu. Dann zogen die Pferde an, und als der Wagen hinter der nächsten Krümmung des Weges verschwunden war, drängten sich die Leute an Felber heran, um ihrer Freude über die ihm widerfahrene große Ehre Ausdruck zu verleihen. Er schien um wenigstens fünfhundert Prozent in ihrer Achtung gestiegen zu sein. Sie wollten erfahren, wie er zu dieser Ehre gekommen sei. Er sollte erzählen. Sie trennten ihn von Schwiegermutter, Frau und Kind. Und als er bat, daß man ihn doch gehen lassen möge, wurde er einfach umringt und, halb gezogen, halb geschoben, in die Gaststube des Wirtshauses gebracht, wo man ihn zwang, sich niederzusetzen und Bericht zu erstatten.

Frau Paule nahm das Sonnenscheinchen an der Hand und ging mit ihm und der Mutter nach dem Häuschen zurück. Dort setzten sie sich wieder an den Tisch, wo es noch Kaffee gab, weil die sehr bauchige Kanne nicht leergetrunken worden war. Natürlich wurde von den beiden Frauen der Besuch auf das ausführlichste durchbesprochen. Während dies geschah, beschäftigte sich das Kind in seiner stillen Weise, wobei es unter dem Stuhle, auf welchem die Frau Major gesessen hatte, etwas liegen sah, was sich da jedenfalls nicht auf dem rechten Platze befand. Das Sonnenscheinchen hob es auf und brachte es der Mutter. Es war ein kleines Buch, in welchem ein Bleistift steckte. Auf der vorderen Seite des Einbandes war in goldenen Buchstaben das Wort ›Poesie‹ zu lesen. Paule schlug es auf und sah die beschriebenen Blätter nach. Sie hatte ihre Schulzeit gut angewendet und war noch heute eine fleißige Leserin. Mutter brachte aus der Leihbibliothek in der Stadt oft Bücher mit, aus denen Abends vorgelesen wurde. Das war ihrem Manne lieber als die unnütze Weise, in welcher andere oft bis spät in die Nacht hinein im Gasthofe saßen. Darum machte es der Paule keine Mühe, zu erkennen, was für ein Buch das Kind gefunden hatte.

»Die Frau Major muß es mit dem Tuche aus der Tasche gezogen haben,« sagte sie. »Da ist es heruntergefallen, ohne daß wir es gesehen haben. Es stehen lauter Gedichte drin. Die hat die Frau Majorin wohl selbst gemacht, denn es ist vieles ausgestrichen und verändert worden. Auch heute hat sie gedichtet. Das sehe ich am Datum auf der letzten Seite und auch an der Ueberschrift. Die lautet: ›Sonnenscheinchen.‹ Mutter, ist das nicht sonderbar?«

»Freilich wohl!« antwortete die Gefragte. »Ein Gedicht über unser Kind! Wann mag sie es wohl gemacht haben?«

»Vielleicht während der Major mit dem Pächter verhandelte. Sie wird nicht haben zuhören wollen und ist derweile in den Garten oder sonstwohin gegangen. Das Sonnenscheinchen hat ihr gefallen, und wenn man einmal Dichterin ist, so macht man gleich über alles Reime, was man gut leiden mag. Wenn ich gescheiter wäre, so dichtete ich auch nur über unsern Sonnenschein und sonst über nichts weiter.«

»Wie lautet denn das Gedicht?«

»Es sind nur vier Zeilen. Sie ist wohl nicht ganz fertig geworden damit. Höre einmal zu!«

Sie las es vor. Es gefiel beiden ungemein. Dann wurde besprochen, wie das Buch der Besitzerin zuzustellen sei. Paule dachte an ihre Freundin, die Frau Lehrerin.

»Weißt du, Mutter,« sagte sie, »ich wollte sowieso heute nachmittag ein Stündchen zu ihr gehen. Da nehme ich das Buch mit. Der Herr Lehrer weiß, wie man das fein macht. Er packt es schön sauber ein, und dann geben wir es auf die Post.«

»Das ist das Richtige,« nickte die Botenfrau. »Aber lies es noch einmal vor, damit ich es auswendig lerne. Ein Gedicht auf unser Sonnenscheinchen, das muß man fest im Kopf behalten, damit man es nicht gar wieder vergißt!«

Paule las es zum zweiten Male vor, und wieder, wieder und immer wieder. Großmutters Kopf schien hart zu sein; das Gedicht kam gar nicht leicht hindurch. Da lachte das Sonnenscheinchen und sagte:

»Ich habe aufgepaßt und weiß es schon ganz gut. Soll ich es sagen?«

Und ohne die Erlaubnis abzuwarten, sagte es die vier Zeilen gleich dreimal hintereinander so richtig her, daß die Botenfrau die Hände zusammenschlug und erstaunt ausrief:

»Ja, was ist denn das? Da ist ja das Ei wirklich einmal klüger als die Henne! Wirst du es aber auch nicht wieder vergessen, Sonnenscheinchen? Das darfst du nicht, denn es ist für dich gemacht!«

»Ich vergesse es nicht, Großmutter. Ich gehe jetzt hinter den Garten und setze mich unter den Holunderbusch. Da sage ich es ganz laut so lange her, bis es fest angewachsen ist.«

Das Kind eilte fort. Die beiden Frauen gingen in das Haus, aus welchem bald darauf die Paule wieder trat. Sie hatte die Sonntagsjacke angezogen, um zur Frau Lehrerin zu gehen. Das Schulhaus lag von hier aus straßenab; darum sah sie es nicht, daß soeben der Pachthofer von oben kam und in das Wirtshaus ging, in welchem sich ihr Mann befand. Er schaute finster drein, fast wie verstört. Die Unterredung mit dem Major hatte ihn in Grimm gebracht.

Bald hierauf kam auch die Botenfrau wieder aus dem Hause. Sie hatte die Brille auf der Nase, die alte, angeerbte, mit großen, runden Gläsern, und ihr Sonntags-Nachmittags-Gebetbuch in der Hand. Damit setzte sie sich abermals an den Tisch, um ihrer Andacht nachzugehen. Die Brille wollte zwar die Zeilen nicht so ganz genau bis heran an das Auge ziehen, aber die Buchstaben waren von doppelter Größe, und wenn man das Buch so ziemlich auswendig kann, so merkt man es beinahe gar nicht, daß man überhaupt niemals in eine Schule gegangen ist, in der man das Lesen lernen konnte. Aber wenn man Botenfrau ist und sich täglich allerlei anzumerken hat, so kommt das Lesen mit dem Schreiben ganz von selbst. Es braucht ja nicht ganz genau so nach der Schnur zu gehen, wie andere Leute sich einbilden.

Großmutter las also in ihrem Buche, so gut sie konnte.

Der Zeigefinger diente ihr als Wegweiser über die Zeilen, und wenn er einmal von einer hinweg auf eine falsche rutschte, so war das kein Unglück. Die Brille wurde geputzt, und dann ging es auf einer noch falscheren fröhlich weiter. So las und rutschte sie sich immer tiefer in ihre Gedanken hinein, daß sie aufgehört zu haben schien, etwas anderes zu hören und zu sehen. Sie bemerkte nicht, wie überlaut es jetzt drüben in der Gaststube herging. Durch die Fenster derselben schallte, obgleich sie geschlossen waren, wüster Lärm. Allerlei halb- oder unerwachsenes Volk sammelte sich vor dem Gasthofe an, als ob es da ein ungewöhnliches Ereignis zu erwarten gäbe. Tische und Stühle wurden gerückt, so laut, daß man es bis herüber hörte. Endlich klirrte gar eine Scheibe, und ein Bierglas flog heraus. Zu gleicher Zeit kam die Wirtin aus dem Hause und über die Straße herübergerannt.

»Botenfrau!« rief sie den Hang herauf. »Komm schnell; hol' deinen Schwiegersohn, sonst gibt es ein Unglück drüben in der Stube!«

Die Angeredete ließ vor Schreck das Buch auf die Erde fallen, sprang auf, nahm die Brille ab, legte sie auf den Tisch und fragte:

»Ein Unglück? Was ist denn geschehen?«

»Der Pachthofer ist ganz außer sich vor Wut. Er sagt, Felber habe ihn beim Herrn Major angeschwärzt. Er will ihn erschlagen. Man hält die beiden fest; sie wollen aneinander!«

»Herrgott! Der liebe Mensch, der Fritz! Er ist ja ganz unschuldig! Er hat den Herrn Major sogar gebeten, den Pachthofer zu behalten!«

Mit diesen Worten eilte die Großmutter den Hang hinab und über die Straße hinüber. In diesem Augenblicke kam das Sonnenscheinchen hinter dem Garten vor. Es sah die Botenfrau laufen und rief ihr nach:

»Großmutter, geh' nicht fort! Ich kann es jetzt; es ist nun angewachsen. Ich will es dir sagen und dann auch noch dem Vater. Der hat es noch nicht gehört.«

Als es sah, daß auf diese seine Worte nicht geachtet wurde, lief es hinterdrein, um sich Gehör zu verschaffen. Es sah die Großmutter in der Gasthofstür verschwinden. Dahin rannte es auch. Als es dort ankam, hörte es die laute, zornige Stimme des Vaters aus der offenen Stube schallen. Da wurde ihm himmelangst. Im Hausflur standen Leute, durch welche Großmutter sich drängte. Das Kind wand sich bis zu ihr hindurch und faßte sie am Rocke. So wurde es mit bis in die Stube gezogen, in welcher der Pachthofer sich soeben auf Felber gestürzt hatte, um ihn mit einem Messer zu erstechen. Sie rangen miteinander. Nun getraute sich des Messers wegen niemand mehr, den Pächter anzufassen. Er schäumte vor Wut. Felder versuchte, ihm vor allen Dingen die Waffe zu entreißen.

Auch er war zornig, hatte aber die Ueberlegung nicht verloren. Bei seiner wohlbekannten Körperkraft stand zu erwarten, daß es ihm gelingen werde, den Gegner unschädlich zu machen; nur durfte man ihn nicht hindern, so zuzugreifen, wie er wollte. Das begriff aber seine Schwiegermutter nicht. Sie sprang auf ihn zu und faßte ihn am Arm, indem sie bat, daß er mit ihr kommen solle.

»Laß mich los, Mutter!« rief er.

»Nein, nein!« antwortete sie. »Ich halte dich fest, bis du mitgehst.«

Sie hing sich so an ihn, daß er sich fast nicht rühren konnte.

»Laß mich los!« wiederholte er, indem die Adern seiner Stirn schwollen. »Wenn du mich hältst, so gibt es einen Mord!«

»Herrgott, ein Mord!« zeterte sie. »Du mußt mit fort, mit fort, gleich auf der Stelle!«

Sie zwang ihn, den bewaffneten Arm des Pachthofers, den er bisher festgehalten hatte, freizugeben. Dieser holte aus und stach zu. Es gelang Felber, sich halb auf die Seite zu biegen. Der Stich streifte seinen Hals. Da war es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei. Er riß die Mutter von sich los und schleuderte sie auf die Seite. Dann bückte er sich, um den Pachthofer zu unterlaufen, faßte ihn unter beiden Armen, hob ihn empor, schleuderte ihn auf die Diele nieder, daß es nur so krachte, warf sich auf ihn und riß ihm das Messer aus der Hand.

In diesem Augenblicke herrschte tiefe Stille in der Stube. Es war der Moment vor einer fürchterlichen Tat. Kein Mensch wagte, einen Laut auszustoßen, als Felder nun das Messer hob, um den erhaltenen Stich zurückzugeben. Kein Mensch? O doch!

Großmutter lag am Boden. Neben ihr stand das Sonnenscheinchen. Es fühlte eine entsetzliche Angst in sich. Der Vater kniete auf dem Pächter, hatte mit der Linken seinen Hals umklammert und in der Rechten das Messer. Er sah so aus, daß man sich vor ihm fürchten mußte. Niemand sprach. Aber das Kind fühlte, daß man gerade jetzt etwas sagen müsse; es wußte nur nicht, was. Da fiel ihm das Gedichtchen ein, wegen dessen es der Großmutter ja nachgelaufen war. Es faltete die Händchen, drängte die Tränen der Angst, welche hervorbrechen wollten, zurück und rief:

»Vater, ich kann es; ich habe es gelernt; ich werde es dir sagen.«

Als Felber die liebe, klare Stimme seines Kindes hörte, wandte er den Kopf, hielt aber den Pächter um so fester. Reden konnte er nicht; dazu war er zu erregt. Da tat das Sonnenscheinchen zwei Schritte auf ihn zu und sprach deutlich und ohne allen Anstoß:

»Komm mit hinaus in meinen Sonnenschein. Ich bin der Frühling. Laß dich doch erflehen! Der liebe Gott schickt mich zu dir herein. Du sollst mit mir hinaus ins Freie gehen!«

Was nun geschah, das läßt sich unmöglich erzählen. Worte reichen dazu nicht aus. Felber schloß zunächst für ein paar Augenblicke die Augen, als ob in seinem Innern etwas vor sich gehe, was niemand von außen sehen dürfe. Dann stieß er einen Schrei aus, der laut durch die Stube schmetterte und noch draußen auf der Straße gehört werden konnte. Hierauf schnellte er sich empor, warf das Messer weit von sich und stürzte auf sein Kind zu. Er kniete vor ihm nieder, drückte es an sich und rief, es küssend und immer wieder küssend:

»Mein Sonnenscheinchen, mein liebes, liebes Sonnenscheinchen – – – –! Ja, ja, es ist richtig: Der liebe Gott hat dich von draußen hereingeschickt –! Was hätte ich getan – – was, was? – – Das war der Mord, der Mord! – – – – Es war finster vor meinen Augen, ganz finster, dunkel, dunkel! Da kamst du, der liebe, helle Sonnenschein. Da wurde es wieder licht – – licht – – – licht – – –! Ja, komm, komm, komm – – – hinaus ins Freie! Der Spruch, den du gesagt hast, ist mir unbekannt – aber das weiß ich, daß er vom Himmel gekommen ist, damit du deinen Vater retten mögest. – – Hinaus ins Freie! Auch du mit, meine Mutter! – – Das soll das letzte Mal im Leben sein, daß ich mich vom Zorn um den Verstand bringen lasse!«

Er hob das Sonnenscheinchen empor an seine Brust, reichte der Schwiegermutter die Hand und ging mit beiden hinaus, ohne sich um den Pachthofer zu bekümmern, der aufgestanden war und vor sich hinschaute, als ob ihm alle seine Gedanken abhanden gekommen seien. Felber wollte geradeswegs heimgehen, blieb aber auf der Mitte der Straße stehen, weil er die Paule kommen sah. Ihr Besuch war beendet. Sie hatte das Notizbuch als Paketchen in der Hand. Und weiter unten, wer kam denn da? Das war ja der Wagen des Herrn Majors wieder! Warum war er umgekehrt?

Was niemand bisher beachtet hatte, das sah die Paule sofort, als sie ihren Mann erreichte. Sie wurde leichenblaß, schlug die Hände zusammen und rief erschrocken aus:

»Fritz, was ist mit dir? Du blutest ja! Herrgott, du armer, armer Mann!«

Sie riß ihm das Kind vom Arme, das Tuch vom Halse und den Kragen auseinander. Er aber lächelte ihr glücklich zu und antwortete:

»Keine Angst, Paule! Es kann nicht gefährlich sein, denn ich fühle fast gar keinen Schmerz.«

»Aber das Blut, das Blut! Bist du etwa gar gestochen worden?«

»Ein kleines bißchen nur, kaum durch die Haut.«

»Nein, nein! Ich sehe es ja, der Stich geht tief in das Fleisch! Wer ist's gewesen? O, was frage ich denn! Dort steht er drin am Fenster. Ich sehe ihn, den Pachthofer; kein anderer kann – –«

Sie wurde unterbrochen, denn jetzt war der Wagen da und blieb neben ihnen halten.

»Da seid Ihr ja,« sagte die Frau Major. »Ich muß meine ›Poesie‹ bei Euch verloren haben. Ich vermisse sie; darum sind wir umgekehrt.«

»Hier ist das Buch,« antwortete die Paule, indem sie das Päckchen in den Wagen reichte und dann schnell wieder zu ihrem Manne trat. »Es lag unter dem Stuhle. Ich wollte es Ihnen mit der Post schicken.«

Während sie das sagte, hielt sie ihr Taschentuch an die Wunde, um das Blut zu stillen. Dadurch wurden die Herrschaften aufmerksam. Der Major stieg rasch aus dem Wagen und griff nach Felbers Hals.

»Sie bluten!« rief er aus. »Ah, ein Stich! Zwar nicht gefährlich, aber gleich neben der Ader. Lassen Sie es getrost laufen. Wir verbinden Sie dann. Vor allen Dingen: Wer hat Sie gestochen und warum?«

Er fragte das sehr energisch. Felder zögerte zu antworten, aber einer der Bauern, welche hinter ihm herausgekommen waren, berichtete in kurzen Worten, was geschehen war. Er hielt sich dazu für verpflichtet, weil er der Gemeindevorstand war.

»Wo ist der Messerheld?« fragte ihn hierauf der Major, der als geistesgegenwärtiger und resoluter Mann sofort wußte, was zu geschehen hatte.

»Noch drin in der Stube!«

»So kommen Sie mit herein! Ich werde die Sache untersuchen.«

Und zur Frau Major gewendet, fuhr er fort:

»Du fährst mit Felber und seiner Frau nach der Apotheke. Dort laßt ihr euch Verbandzeug geben, um ihn zu verbinden. Du verstehst das ja vortrefflich. Dann kommt ihr zu mir. Ich werde entweder im Gasthof oder da drüben im ›Sonnenschein‹ sein. Der Junge mag aussteigen und inzwischen mit bei der Schwiegermutter bleiben.«

Der Major verstand zu kommandieren. Was er gesagt hatte, geschah sehr schnell, und niemand schien damit zufriedener zu sein, als das ›Majörle‹.

»Komm, Sonnenscheinchen,« sagte es, als der Wagen fort und der Vater hineingegangen war. »Ich weiß, was wir machen werden.«

»Was?« fragte das Kind.

»Euer Häuschen ist die Apotheke. Ich werde gestochen, und du verbindest mich.«

»Aber wer soll dich denn stechen?«

»Das wird die Schwiegermutter besorgen. Sie nimmt das größte Messer, was ihr habt, oder gar hier meinen Säbel. Habt ihr Blut?«

»Nein!«

»Aber Leinwand, Kattun und Bindfaden?«

»Das mag die Großmutter suchen. Ich weiß nicht, wo es steckt. Aber der Schlüssel zu der Lade hängt am Nagel.«

»Den werden wir schon kriegen. Also komm!«

Großmutter hatte das alles gehört. Sie schmunzelte dazu und ging, den Kindern voran, hinüber nach dem Häuschen, um alles zusammenzusuchen, was ihr für dieses Spiel als unerläßlich schien. Die Szene desselben wurde hinter in den Garten verlegt. Aber grad, als es zum ›Stechen‹ kommen sollte, stellte es sich heraus, daß die Botenfrau das Spiel nicht mitmachen könne, weil sie sich von der Wirklichkeit zu sehr angegriffen fühlte. Sie behauptete, daß sie sich ein bißchen niederlegen müsse, weil ihr der Schreck noch jetzt in allen Gliedern liege. Doch störte das die Kleinen nicht.

Das ›Majörle‹ behauptete, daß es sich auch ohne Schwiegermutter zu behelfen wissen werde, und so zog diese, die beiden allein lassend, sich vollständig beruhigt in das Haus zurück.

Inzwischen war der Herr Major durch die große Stube des Gasthofes nach dem daneben liegenden, sogenannten ›Herrenstüble‹ gegangen, in welchem die Sitzungen des Dorfgemeinderates abgehalten zu werden pflegten. Im Vorübergehen hatte er befohlen, daß weder der Pachthofer, noch einer der anwesenden Zeugen sich entfernen dürfe. Er besaß als Gutsherr das volle Recht dazu. Er begann das Verhör, indem er erst die Zeugen einzeln kommen ließ. Der Pachthofer sollte dann der letzte sein. Es sollte aber anders werden, als er dachte.

Der Wagen kehrte nämlich schon nach kurzer Zeit zurück. Felber war verbunden worden und kam mit der Frau Major und Paule nach dem Stüble. Als er hörte, wie streng der Herr Major das Geschehene nehmen wollte, bat er um Gnade für den Pachthofer.

»Er wird arretiert und in die Stadt in das Gericht geschafft,« erklärte der Gutsherr. »Es liegt schwere Körperverletzung vor. Einen Zoll weiter nach rechts, so hätte er die Schlagader zerschnitten, und Sie, Felber, wären jetzt eine Leiche!«

»So bitte ich, auch mich mit arretieren zu lassen, Herr Major!« antwortete der Genannte.

»Sie? Unsinn! Weshalb?«

»Wegen Mordversuchs! Wäre mein Kind nicht gekommen, so hätte ich den Pachthofer ganz gewiß erstochen.«

»Aber Sie haben es nicht getan, und das genügt. Selbst wenn Sie es getan hätten, wären Sie zu entschuldigen gewesen, da ein Akt der Notwehr vorlag.«

»Das war nicht mehr Notwehr. Ich bin stärker als er. Ich mußte ihm das Messer nehmen, und damit war es gut!«

»Aber Ihre Schwiegermutter erhöhte durch ihr unbedachtsames Dareinmischen die Gefahr, in der Ihr Leben stand. Sie haben gar keine Veranlassung, sich selbst anzuklagen. Der Pachthofer hat begonnen, und Sie sind ruhig und kaltblütig geblieben, bis er zum Messer griff. Er beschuldigte Sie, ihn bei mir verleumdet zu haben, während Sie mich doch grad im Gegenteil bewegten, ihn nicht fortzujagen, was ich nun aber unbedingt tun werde.«

»Aber Herr Major, ich bitte – –«

»Keine Bitte mehr!« unterbrach ihn der Offizier. »Sie wissen nicht, wie ich geschäftlich mit ihm stehe. Er ist nicht nur ein säumiger Zahler, sondern ein Lump, ein Fälscher und Betrüger. Wenn ich ihn anzeigen wollte, so würde er bestraft, auch ohne daß er Sie gestochen zu haben braucht. Hören wir die Zeugen weiter!«

Er hatte das in einem Tone gesagt, der keinen weiteren Einspruch duldete. Darum war Felber für jetzt still, nahm sich aber vor, den mißlungenen Versuch doch nicht gänzlich aufzugeben.

Als alle Zeugen vernommen worden waren und ganz genau dasselbe ausgesagt, also vollständig entlastend für Felber gesprochen hatten, wurde der Pachthofer hereingerufen. Er kam. Sein Aussehen war das eines Menschen, der sich seiner Schuld zwar wohl bewußt ist, sie aber nicht bereut. Der Blick, den er auf Felber warf, sagte deutlich, daß der Verwundete sich auch ferner in acht zu nehmen hatte. Der Major bemerkte das, und darum fühlte er sich noch weniger zur Milde gestimmt, als vorher.

»Gibt es hier bei der Ortspolizei Handschellen?« fragte er den Vorstand.

»Nein,« antwortete dieser. »Hier im Dorfe wurde noch nie so etwas gebraucht.«

»Nun, so genügen wohl ein paar feste Stricke auch, einen Mörder und Betrüger nach dem Stadtgefängnis zu schaffen.«

Bei dieser Drohung wurde es dem Pachthofer denn doch angst, zumal sie nur die Einleitung zu dem bildete, was erst noch folgen sollte. Aber der Mensch denkt, und – das ›Majörle‹ lenkt. Die strenge Einleitung bekam eine ganz andere Fortsetzung, als selbst der Major erwartet hatte. Es erhob sich nämlich grad jetzt draußen in der Vorderstube eine so laute Lustigkeit, daß der Offizier von seinem Stuhle aufstand, um sie sich zu verbitten. Er öffnete die Tür und schaute zornig hinaus. Aber was er da zu sehen bekam, das verwandelte den Ernst seiner Miene sofort in ein heiteres Lächeln, gegen welches er vergeblich kämpfte. Man sah sogar, daß er sich auf die Lippen biß, um nicht in das Gelächter einzufallen, welches er hatte tadeln wollen.

Wer aber war es, der diesen Ernst so schnell in dies fröhliche Lächeln verwandelt hatte? Natürlich das ›Majörle‹ mit seinem Sonnenscheinchen! Der Herr Major machte die Tür nun so weit auf, daß auch die anderen sehen konnten, was seiner Gemütsstimmung diese plötzliche Wendung gegeben hatte.

Man denke sich: Sie kamen beide sehr langsam und sehr bedächtig durch den vorderen Raum auf das Herrenstüble zugeschritten, voran das Sonnenscheinchen als barmherzige Schwester, und hinter ihr das ›Majörle‹, als der Gestochene, der von ihr verbunden worden war.

Die ›Barmherzige‹ trug auf dem Kopfe das Nähkörbchen ihrer Mutter, welches mit Bindfaden unter dem Kinn festgebunden war. »Jede Pflegerin muß eine solche Haube haben,« hatte das ›Majörle‹ behauptet. Darüber hing ein weißer Schleier, der aber eigentlich das heutige, neuwaschene Sonntagshandtuch war. Der blaue Mantel, welcher von der Schulter der Kleinen wallte, war Paules Scheuerschürze. Und an den Füßen schlingerten des Vaters wollene Wintersocken, weil das ›Majörle‹ gesagt hatte, daß die barmherzigen Schwestern nicht mit den Schuhen klappern dürften, weil die Kranken das nicht vertragen könnten. Um den Hals trug sie als Zeichen ihrer Berufstätigkeit eine Schnur, an welcher ein halbes Dutzend alte, leere Arzneiflaschen klirrten, die man auf dem Scherbenhaufen entdeckt hatte. Das liebe, rosige Gesichtchen strengte sich an, so würdevoll wie möglich dreinzuschauen, während die kleinen Händchen sich bemühten, Großmutters schweren, uralten Botenfrauregenschirm vollständig aufgespannt hoch über den Kopf zu halten.

Und das ›Majörle‹ gar! Es war sehr schwer verwundet, das sah man ihm gleich auf den ersten Blick an. Und zwar nicht etwa nur am Halse, wie Fritz Felber! Es schien an einer höchst lebensgefährlichen Bataille teilgenommen zu haben, denn seiner Blessuren waren wenigstens vier, und zwar alle sehr bedenklich! Die ganze Stirn war bis über das eine Ohr hinweg fest zugeklebt. Da das die Mütze störte, so war sie verkehrt aufgesetzt worden, also mit dem Schirm nach hinten. Der Hals steckte ganz in Watte, welche noch rot von dem vergossenen Blute war. Der rechte Arm war sehr dick mit Werg umwickelt und hing in einer Leinwandbinde, die früher jedenfalls ein Rockbund gewesen war. Das linke Bein schien doppelt verletzt zu sein, denn es war bis ganz herauf geschient und unter den Schienen sehr stark mit rotem Flanell umwunden. Wenn man einen Arm in der Binde hat, so kann man selbstverständlich keinen Waffenrock tragen. Darum hatte das ›Majörle‹ den seinen nur übergehängt. Das gab den Verwundungen eine Glaubwürdigkeit, welche ganz bedeutend durch das leidende, schmerzentstellte Gesicht des armen Invaliden unterstützt wurde.

So kamen die beiden hintereinander her, langsam, traurig, matt und hinfällig zum Erbarmen. Das ›Majörle‹ konnte kaum mehr fort, was wegen seines geschienten Beines ja auch begreiflich war. Es stöhnte! Das Sonnenscheinchen verzog keine Miene. Es war sich seiner traurigen und doch so menschenfreundlichen Pflicht wohl bewußt. Darum sagte es auch gleich, noch ehe es in die Stube trat:

»Da bringe ich ihn! Nun muß er nur noch ›Lebenstropfen‹ trinken. Großmutter hat ein Pflaster; das fand ich aber nicht. Sonst wäre er schon jetzt wieder gesund!«

Nun wollte sie herein, konnte aber wegen des großen Regenschirmes nicht. Der Herr Major nahm ihn ihr ab. Ihre Eltern befanden sich in größter Verlegenheit; sie wollten zanken, aber die Frau Major verbot es ihnen. Die Dame lachte, was sie nur lachen konnte, und da hielt sich ihr Herr Gemahl auch nicht mehr zurück; er stimmte ein. Felbers nun ebenso!

»Aber Kinder, Kinder, wer hat euch denn auf diese kostbare Idee gebracht?« fragte die Gutsherrin, indem sie sich zu dem Sonnenscheinchen niederbog und es aus die Wange küßte. »Welch eine Maskerade! Wer hat dich denn so angezogen?«

»Ich und das ›Majörle‹,« antwortete das Kind.

»Und Großmutter hat geholfen?«

»Nein, die schläft. Sie hatte den Schreck in allen Gliedern. Da bin ich auf den Stuhl gestiegen und habe den Schlüssel geholt. Der Regenschirm stand hinterm Kanapee.«

»Und du?« wandte sich die Frau Major an den Blessierten. »Wo sind denn alle diese Wunden her?«

»Vom Pachthofer!« antwortete er.

»Dem soll es schlecht gehen! Wir lassen ihn in das Gefängnis stecken!«

»Nein!«

»Warum nicht?«

»Ich habe es auch gesagt, aber Sonnenscheinchen will nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil – weil – nun, weil das Sonnenscheinchen eben nicht will! Und da habe ich versprochen, daß ich den Pachthofer laufen lassen werde. Siehst du, daß er mich in den Hals gestochen hat?«

»Freilich wohl. Der Verband ist ja ganz blutig.«

»Das ist bloß nur Himbeersaft,« erklärte das Sonnenscheinchen. »Wir haben noch eine halbe Flasche voll. Die steht draußen im Gewölbe.«

»Und die Watte?«

»Die ist aus meiner Bettdecke. Sie hat ein Loch. Ich stopfe sie wieder hinein.«

Alles lachte.

»Aber die Verwundung am Kopfe,« fuhr die Frau Major fort, »die ist bedenklich!«

»Ja, das ganze Ohr ist weg!« nickte das Sonnenscheinchen. »Wir haben es zugeklebt.«

»Womit?«

»Mit Papier, Wasser und Kartoffelmehl. Das ist übrig geblieben von den Klößen heut'. Es war noch in der Futterschüssel für die Ziege.«

Wieder ertönte allgemeines Lachen.

»Und der rote Flanell hier am Bein?« lautete die weitere Erkundigung.

»Das ist der alte Rock von meiner Mutter. Sie hat ihn zertrennt. Ich bekomme einen neuen daraus.«

Da richtete sich die Frau Major wieder auf und fragte Paule:

»Sie müssen solche abgebrauchte Sachen umarbeiten? Reicht Ihr Einkommen nicht zu, neue zu kaufen?«

»Man will doch vorwärts kommen,« antwortete die Gefragte. »Man muß etwas zurücklegen für die alten Tage. Da muß man sparsam sein. Und wenn man es richtig macht und zufrieden ist, wird auch das Alte wieder neu.«

Da richtete die Frau Major einen langen, fragenden Blick auf ihren Mann. Er verstand sie und nickte. Hierauf reichte sie der Paule die Hand hin und sagte:

»Sie denken brav, Frau Felber. Es wird wohl bald auch zu einem neuen Röckchen reichen für Ihr Sonnenscheinchen. Jetzt setzt euch nieder, Kinder, bis wir hier fertig sind!«

»Ich kann doch nicht,« antwortete das ›Majörle‹, auf sein Bein deutend.

»Da will ich helfen,« erbot sich Felber.

Er kauerte sich zu dem Knaben nieder, um ihn von den Schienen, vom Flanell und Werg zu befreien. Als dies geschehen war, untersuchte er auch den Verband des Kopfes. Da stand es freilich schlimm.

»Das kann stundenlang dauern, wenn es nicht schmerzen soll,« sagte er. »Das Kartoffelmehl hat sich mit dem Haar verkleistert und ist ganz hart geworden. Es muß langsam aufgeweicht werden.«

Schon wollte der Herr Major eine ernste Miene machen, da aber wußte das Sonnenscheinchen guten Rat

»Das ›Majörle‹ bleibt bei uns,« sagte es. »Wir halten die ganze Nacht den Kopf unter den Wassertrog, da ist das Mehl morgen früh wieder herunter.«

Da konnte der Gutsherr wieder lachen.

»Angenehme Situation,« sagte er. »Will doch selbst mal nachschauen, wie es mit dieser schweren Wunde steht.«

Er untersuchte den Verband und sah sich dann gezwungen, einzugestehen:

»Der Junge leidet allerdings an einer geradezu urweltlichen Verkleisterung. Ich bin überzeugt, daß wir wenigstens drei bis vier Stunden warme Umschläge machen müssen, um ihn von den Ueberresten der Klöße zu befreien. Wo ist der Wirt?«

Der war im Gastzimmer. Er kam auf diesen Ruf herbei.

»Sagen Sie dem Kutscher, daß er ausspannen soll!« wurde ihm befohlen. »Wir bleiben heute bei Ihnen. Im Gutshofe zu wohnen, ist für die gegenwärtigen Umstände unmöglich. Da muß erst ein neuer, ehrlicher Pächter her, der kein solcher Raufbold ist wie dieser hier.«

Hierdurch wurde die Aufmerksamkeit wieder auf den Pachthofer gelenkt, der während der ganzen Kinderszene bewegungslos an der Wand gelehnt hatte. Die beiden Worte ›Handschellen‹ und ›Gefängnis‹ hatten ihm angst gemacht. Er wußte recht wohl, daß es nur auf den Gutsherrn ankam, wenigstens das zweite dieser Worte wahr zu machen, und war zu einem schnellen Entschluß gekommen. Jetzt, da die Verhandlung mit ihm wieder beginnen sollte, trat er von der Wand weg an den Tisch und sagte:

»Herr Major, lassen Sie mich los, und geben Sie mir dreihundert Taler für alles, was mir gehört, so gehe ich nach Amerika, hier von der Stelle weg, gleich so, wie ich dastehe! Ich gehe gar nicht erst nach dem Hof zurück.«

Der Major schien über diesen unerwarteten Antrag gar nicht zu erstaunen.

»Ja, ja, Amerika!« sagte er. »Das kann ich mir wohl denken. Wenn einer abgewirtschaftet hat oder überhaupt nicht arbeiten will, der trachtet nach Amerika. Deutschland hat noch Platz genug für Abertausende von ehrlichen und arbeitsamen Leuten. Wenn mir jemand sagt, er wolle nach Amerika, so denke ich mir gleich, was mir beliebt. Unter hundert, die das tun, sind siebzig Taugenichtse, zwanzig überspannte Menschen und nur zehn Vernünftige, die aber geschäftlich hinüber müssen.«

»Ich werde aber fortkommen; doch dreihundert Taler brauche ich dazu, weniger nicht. Ueberlegen Sie es sich, Herr Major! Was nützt es Ihnen und der Gemeinde, wenn Sie unbarmherzig sind?«

Da rutschte das Sonnenscheinchen vom Stuhle herunter, auf den es sich gesetzt hatte, ging hin zu ihm und sagte:

»Du brauchst Geld, Pachthofer?«

»Ja,« antwortete er verlegen.

»Wirst du meinen Vater wieder stechen?«

»Nein!«

»Weißt du noch, daß du mir einmal einen Apfel gegeben hast und zwei Pflaumen, als deine Gartentür offen stand und ich dich darum bat?«

»Ja, das weiß ich noch.«

»Da warst du gut. Und ich bin auch gut, und der Vater auch und der Herr Major auch und die Mutter und sogar auch das ›Majörle‹. Wir geben dir fünftausend Taler. Die habe ich von dem Herrn Major bekommen. Und dazu auch noch dreizehn Pfennige, die ich schon erst hatte. Ich schüttele dir das ganze Geld heraus. Die Sparbüchse aber mußt du mir lassen, weil die von meiner Großmutter ist. Darum gebe ich sie nicht her.«

Das Kind griff in die Tasche, wo die Büchse noch immer steckte, und zog sie hervor. Da eilte die Frau Major hin zum Sonnenscheinchen, drückte es an sich und sagte:

»Du liebes, liebes, gutes Kind! Wie hast du uns beschämt! Komm, gib mir deine Sparbüchse! Du sollst nichts herausnehmen, sondern ich tue dir noch etwas hinein. Da, setze dich wieder auf deinen Stuhl! Du bekommst alles, was ich bei mir habe.«

Sie schüttete den Inhalt ihres kleinen, feinledernen Geldtäschchens vor das Kind hin auf den Tisch, und als dieses fragend aufschaute, erklärte sofort das ›Majörle‹:

»Nimm es nur, und stecke es in die Büchse, Sonnenscheinchen! Mama gibt es dir sehr gern, und auch ich habe nichts dagegen. Nur versteht es sich ganz von selbst, daß du mir dafür drei Stunden lang warme Umschläge machst, denn du bist ja diejenige, die mich angekleistert hat.«

Auch der Gutsherr schien gerührt zu sein. Er ging im Zimmer hin und her, um zu überlegen. Dann blieb er stehen und sagte zu seinem bisherigen Pächter:

»Wohlan, ich will noch einmal Nachsicht mit dir haben, Bursche. Aber ich stelle meine Bedingungen. Es fällt mir nicht etwa ein, dich hier zu unterstützen, ohne die Gewißheit zu haben, daß wir dich wirklich los sind. Höre, was ich dir sage, kurz und bündig!«

In den Augen des Pachthofers flammte es auf, doch beherrschte er sich. Der Major sprach weiter:

»Du gehst hier von der Stelle weg und kommst niemals wieder in das Dorf. Heute gebe ich dir zehn Taler als Reisegeld bis zur Residenz. Ich werde morgen abend dort eintreffen und dir morgen vormittag hier und in der Stadt deine Legitimationen besorgen. Uebermorgen kommst du zu mir! Mein Diener fährt mit dir nach Hamburg oder Bremen und bringt dich auf das Schiff. Fünf Minuten, bevor es abgeht, verläßt er es und gibt dir vorher die dreihundert Taler. Was du hier begangen hast, verjährt erst nach wenigstens zehn Jahren. Lässest du dich während dieser Zeit hier im Orte blicken, wirst du arretiert und so gewiß bestraft, wie ich jetzt vor dir stehe. Und ebenso sicher geschieht dies, wenn es dir etwa einfallen sollte, dich heute noch hier im Orte herumzutreiben. Das ist es, was ich will, und dabei hat es zu bleiben. Bist du einverstanden?«

Das hatte der Pachthofer nicht erwartet. Es sträubte sich in ihm alles, sich in dieser Weise behandeln zu lassen, aber er hatte seinen Zorn niederzudrängen und überlegte nur ganz kurze Zeit. Dann holte er tief Atem und sagte wie einer, der einem unwiderstehlichen Zwange folgt:

»Gut, ich bin's zufrieden. Hier in diesem Neste bleibe ich doch nun einmal nicht, und je eher ich fortkomme, desto besser ist's; den neuen Pächter aber, den kenne ich schon. Ich werde an ihn denken.«

Ohne auf diese Worte zu achten, zahlte ihm der Gutsherr die zehn Taler auf den Tisch. Der Pachthofer strich sie ein, ließ ein nur halb unterdrücktes, feindliches Lachen hören und wendete sich zum Gehen. Schon hatte er die Tür erreicht, da war es, als ob plötzlich etwas seine Schritte hemme. Er blieb stehen, drehte sich dann mit einem schnellen Rucke um und ging auf das Sonnenscheinchen zu, welches soeben das letzte Geldstück von der Frau Major in die Sparbüchse gesteckt hatte.

»Sonnenscheinchen,« sagte er, »du hast dreizehn Pfennige?«

»Ja,« antwortete es.

»Das ist eine Unglückszahl. Ich will dich davon erlösen und sie mit mir nehmen, weil du vorhin so gut mit mir warst. Schenke mir den dreizehnten Pfennig!«

»Ja, aber welcher ist der dreizehnte?«

»Der, welchen du mir zuerst herausschüttelst; denn alles, was ich in die Hand nehme, läuft zum Unglück aus.«

Da begann das Kind, die Büchse zu schütteln. Bald schaute einer der Pfennige durch die Spalte. Das Sonnenscheinchen zog ihn vollends hervor, hielt ihn dem Pachthofer hin und sagte:

»Ist dieser das Unglück?«

»Ja!«

»Da schüttele ich noch einmal!«

Sie tat das, bis ein zweiter Pfennig erschien, und gab diesen dem Pächter mit den Worten:

»Der ist das Glück, den sollst du haben; den anderen aber nicht!«

»Das Glück!« rief er aus. »Wäre das doch wahr! Sonnenscheinchen, diesen Pfennig hebe ich mir auf, bis ich sterbe. Wenn du einmal etwas recht Schweres von mir verlangen solltest, so erinnere mich an ihn. Dann tue ich es, mag es sein, was es will!«

Er steckte das kleine Geldstück sorgfältig in eine besondere Tasche, legte seine Hände auf des Kindes Haupt, ließ sie einige Augenblicke liegen und ging dann fort, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Im Herrenstüble war es für einige Zeit still. Der Erzgebirger pflegt von solchen Augenblicken zu sagen: ›Da ist ein guter Engel hier gewesen‹! Die Augen waren alle auf das herzige Kind gerichtet, welches selbst bei so einem Menschen, wie der Pachthofer war, ein edles Gefühl hervorgerufen hatte.

Nun steckte das Sonnenscheinchen die Sparbüchse in die Tasche, schaute sich um, weil alles schwieg, und sagte dann:

»Das ›Majörle‹ ist jetzt schon überall wieder gesund, nur am Kopf nicht. Da braucht er mich nicht mehr zum Pflastermachen. Ich ziehe mich aus.«