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"Karl Mays Erzgebirgische Dorfgeschichten" sind eine Reihe von Erzählungen aus Karl Mays Frühwerk. Eine Auswahl erschien 1903 aus strategischen Gründen zusammen mit zwei Erzählungen des Spätwerks in einer Anthologie unter dem Titel "Erzgebirgische Dorfgeschichten". Diese Werke gehören zur Gattung der Dorfgeschichten und spielen in Mays erzgebirgischer Heimat.
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort.
Sonnenscheinchen.
Des Kindes Ruf.
I.
II.
III.
Der Einsiedel.
I.
II.
III.
Der Dukatenhof.
1. Der Köpfle-Franz.
2. Aus vergangener Zeit.
3. Ein Gottesgericht.
4. Gesühnte Schuld.
Vergeltung.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VIII.
Das Geldmännle.
I.
II.
III.
IV.
V.
Karl May
Erzgebirgische Dorfgeschichten
*
Autorisierte Ausgabe.
Belletristischer Verlag, Dresden-Niedersedlitz. (Reprint )
Vorwort.
Komm, lieber Leser, komm! Ich führe Dich hinauf in das Gebirge. Du kannst getrost im Geiste mit mir gehen. Der Weg ist mir seit langer Zeit bekannt.
Ich baute ihn vor nun fast dreissig Jahren, und Viele, Viele kamen, die meine Berge kennen lernen wollten, doch leider nur, um sich zu unterhalten! Dass es auch Höhen giebt, in denen man nach geistgem Erze schürft, das sahen sie bei offnen Augen nicht, und darum ist es unentdeckt geblieben.
Ich führte sie dann einen anderen Weg, der von der flachen Wüste aufwärts stieg, durch fremdes Land und fremde Volker führte und oben enden wird bei Marah Durimeh. Auf diesem Weg begann man, zu begreifen. Man sah nun endlich ein, was die Erzählung ist: nur das Gewand für geistig frohes Forschen. Man hat gelernt, zum Sinn hinabzusteigen, der uns des Erzes Adern, der Tiefe Reichthum zeigt. Wer das ihm Nahe nicht verstehen will, den muss man klüglich in die Ferne leiten, wenn auch auf die Gefahr, dabei verkannt zu werden!
Heut kehr ich nun ins Vaterland zurück, um jenen alten Weg aufs Neue zu betreten. Er ist nicht weit und auch nicht unbequem. Er führt nur auf ein kleines »Musterbergle«. Wir nehmen uns ein »Sonnenscheinchen« mit, so einen Seelenstrahl, der uns zu leuchten hat, bis wir an unser kleines »Häusle« kommen. Im »Bergle« giebt es Silber, wohl auch ein wenig Gold. Das wird bewacht vom Geist des Neubertbauers. Wer diesen Geist, den doppelten, begreift, der darf den Schatz und dann auch selbst sich heben!
Radebeul, im Mai 1903. Karl May.
Sonnenscheinchen.
Der Herr Major fuhr durch das Dorf. Die Frau Major saß neben ihm. Und auch das ›Majörle‹ war dabei, das kleine.
Man kannte den Herrn Major im ganzen Orte, und einen Einzigen ausgenommen, hatte ihn jedermann lieb. Er gehörte zu jenen im Dienste unnachsichtig strengen Offizieren, die aber, sobald sie den Zivilrock tragen, dann gegen alle Menschen mild und freundlich sind. Und heute war er in Zivil! Der weiche Felbelhut saß ihm hinten im Nacken, sodaß das braune Gesicht mit der hohen Stirn ganz zu sehen war, unter welcher die hellen Augen nach allen Seiten lachten.
Die Frau Major war eine schöne, schlanke, aber blasse Dame. Sie trug zwar einen Schleier, hatte ihn aber trotz des Sonnenscheins, der rundum licht auf den Fluren lag, zurückgeschlagen, um die gesunde, reine Bergesluft frei einatmen zu können. Ihre Augen hatten fast die Farbe der Veilchen, die sich schon hier und da im Grase sonnten; sie schaute so sinnend, so eigentümlich träumerisch in die Welt hinein. Was für Augen das wohl waren? Diese Frage wußte der Herr Lehrer am besten zu beantworten. Er war in den vorigen Ferien in der Residenz gewesen und hatte bei Majors mitspeisen dürfen. Da hatte er mit der Dame viel gesprochen und dann nach seiner Rückkehr im Dorfe berichtet: »Sie ist hochgebildet und außerordentlich ideal; darum faßt sie alles von der poetischen Seite auf. Ja, sie macht sogar Gedichte, wenn es paßt!«
Das ›Majörle‹, welches im Wagen rückwärts saß, war nicht in Zivil. Seine elfjährige Gestalt steckte in der schönen, bunten Uniform, welche ihm zu Weihnachten vom Christkindlein beschert worden war. Daheim durfte sie nur im Zimmer getragen werden; auf der Straße war es verboten. Aber hier im Dorfe, das war etwas ganz anderes! Das ›Majörle‹ hatte rundweg erklärt, daß es diese Reise in das Gebirge nicht mitmachen werde, wenn es die Uniform nicht anziehen dürfe, und dieser militärisch feste Wille war nach langen, elterlichen Gegenreden schließlich mit dem schuldigen Respekt begriffen und ausgeführt worden. In der Rangliste der Knabenzeit steht das ›Majörle‹ über dem Major. Man hat ihm zu gehorchen!
Heut' war ein wunderbarer, einzigschöner Frühlingstag. Die Luft schien still zu stehen, doch fühlte man den Hauch des jungen Lebens, welcher aus dem Munde des Lenzes geht, wenn dieser der Natur leise verkündet, daß er nun wieder blühen und duften lassen werde. Die Sonne hatte den Mittagspunkt noch nicht erreicht, schien aber schon so warm wie sonst im Mai. Es war, als habe sie die Leute sogar aus der Kirche gelockt. Der Sonntags-Frühgottesdienst war zu Ende, und die Besucher desselben kamen, die Gesangbücher in den Händen, aus dem hohen, breiten Tore, um sich heimkehrend im Dorfe zu verteilen. Diejenigen von ihnen, welche dem Wagen des Majors begegneten, grüßten mit jener warmen Höflichkeit, der man es ansieht, daß sie aus dem Herzen kommt. Er dankte, indem er den Hut abnahm. Frau Major nickte freundlich. Das ›Majörle‹ legte das Zeige- und Mittelfingerchen an die betreßte Mütze und machte dazu eine Miene, als ob es über ihm gar keine höhere Charge gäbe. Das war so seine selbstbewußte Art, die höchstwahrscheinlich von seinen vielen, vornehmen Ahnen stammte.
Warum schauten die Dorfbewohner, nachdem sie freundlich gegrüßt hatten, dann mit so bedenklicher Miene hinter dem Wagen her? Das hatte seinen Grund, und jeder kannte ihn. Draußen vor dem Orte lag der Pachthof, welcher dem Major gehörte. Der alte Pächter, welcher ihn stets gut bewirtschaftet hatte, lebte nicht mehr, und sein Sohn war leichten Sinnes und liebte die Arbeit weniger als das Vergnügen. Er war unverheiratet. Ein rechter Bauer aber braucht eine brave, arbeitsame Bäuerin, die scharfe Augen hat und alles wohl zusammenhält. Wer sich auf fremdes Gesinde verläßt, der kann leicht rückwärts, selten vorwärts kommen, zumal, wenn er das Wirtshaus mehr als seine Felder, und Kartenspiel und Trunk mehr als die Arbeit liebt. Und leider war dies bei dem Pachthofer der Fall.
Für kurze Zeit nach seines Vaters Tode war es wohl gegangen. Da hatte er einen fleißigen Knecht, der sich des Hofes annahm, als ob es zu seinem eigenen Vorteil sei. Das war der Felber Fritz, der beim Militär gestanden und dort gelernt hatte, pünktlich, treu und arbeitsam zu sein. Seit dieser aber ganz plötzlich seinen Dienst verlassen und sich mit einer gewaltigen Ohrfeige von seinem Herrn verabschiedet hatte, waren die Erträgnisse des Pachthofes von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Man sprach davon, daß die Zinsen schon seit längerer Zeit nicht bezahlt worden seien. Der Major hatte sich bei dem Gemeindevorstand brieflich Auskunft eingeholt, und als er nun heute nach dem Tode des alten Pächters zum ersten Male wieder im Dorfe erschien, verstand es sich ganz von selbst, daß er gekommen sei, um persönlich nachzusehen, wie es um sein Eigentum stehe.
Der Pachthof lag am oberen Ende des Dorfes. Der Major ließ aber den Wagen schon früher halten, um auszusteigen. Man wollte überraschen. Das ›Majörle‹ ging hinter seinen Eltern. Es nahm den Säbel hoch in den gekrümmten Arm und kniff das eine Auge vornehm zu, als ob es ein Monokel vor demselben eingeklemmt habe. Man sah das Tor von weitem. Es gab über ihm eine Sonnenuhr, die jedenfalls von einem schon längst verstorbenen Dorfkünstler gemalt worden war. Sie stellte einen Engel dar, von welchem sehr schön gelbgefärbte Strahlen ausgingen. Seine Wangen glühten wunderbar zinnoberrot, und die Augen waren ganz ausgesprochen himmelblau. Die Stundenziffern standen auf den beiden Flügeln.
Vor diesem Bilde stand in der Mitte des Weges ein kleines Mädchen, vielleicht acht Jahre alt. Ueber sein sauberes Sonntagskleidchen hingen zwei dicke, lange, goldblonde Flechten herab, geschmückt mit einem blauseidenen Zigarrenbande. Die Wangen glänzten vor Gesundheit, wenn auch nicht ganz so rot wie die des Engels, in dessen Anblick das kleine, holde Wesen so vertieft war, daß es die drei Herankommenden gar nicht bemerkte. Die Frau Major blieb überrascht stehen.
»Welch ein schönes Kind!« sagte sie in gedämpftem Tone. »Wie schmuck und rein! Da kann man wohl schon freundlich auf die Mutter schließen!«
Der Major nickte beistimmend. Das ›Majörle‹ aber ging stracks auf das Mädchen zu, ließ den Säbel rasselnd fallen, stemmte beide Fäuste in die Hüften und fragte:
»Wer bist du? Und warum stehst du hier vor unserem Tor?«
Das Kind drehte sich zu ihm herum und betrachtete ihn mit großen, klaren Augen. Etwas so Schönes wie diese seine Uniform hatte es noch nie gesehen. Dennoch klang seine Stimme vollständig furchtlos, als es antwortete:
»Ich bin das Sonnenscheinchen. Dieses Tor ist nicht euer, sondern unser. Wer bist denn du?«
»Ich bin das ›Majörle‹« sagte er. »Mama nennt mich so. Und dieses Tor war schon unser, als ich noch das ganz kleine Hauptmännle war. Der da drin wohnt, ist unser Pächter. Wir sind reich, sehr reich!«
Er richtete sich bei diesen Worten so hoch auf, wie er konnte. Sie aber entgegnete, ohne sich imponieren zu lassen:
»Euer Pächter? Das ist nichts! Er hat von meinem Vater eine Maulschelle bekommen. Das weiß das ganze Dorf. Mein Vater war der Oberknecht. Das ist mehr als ein ›Majörle‹. Und reich sind wir auch. In meiner Sparbüchse sind schon dreizehn Pfennige. Willst du sie sehen, so komm'! Ich zeige sie dir!«
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