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Auf der Grundlage von Klarheit, Selbstachtung und Verlässlichkeit können sich Kinder sicher fühlen, und es wird wieder möglich, auch die erfreulichen Seiten des Miteinanders zu pflegen. Christiane Kutik schildert im Besonderen zwölf Bereiche, die unsere Aufmerksamkeit als Eltern und Erzieher verdienen: Rollenklarheit, Respekt, Regeln, Rhythmus, Rituale, Resonanz, Rückhalt, Raum, Ruhe, Religio, Regeneration und Reflexion. Christiane Kutik, erfahrene Erzieherin und Elterncoach, zeigt in ihrem Buch zwölf konkrete Wege zu einem stressfreien, beglückenden Leben mit Kindern.
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Seitenzahl: 112
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Christiane Kutik
Zwölf Kraftquellen für das Familienleben
EINFÜHRUNG
1. ROLLENKLARHEIT
2. RESPEKT
3. REGELN
4. RHYTHMUS
5. RITUALE
6. RESONANZ
7. RÜCKHALT
8. RAUM
9. RUHE
10. RELIGIO
11. REGENERATION
12. REFLEXION
CHRISTIANE KUTIK IM GESPRÄCH
ANMERKUNGEN UND LITERATURHINWEISE
Wenn ein Kind geboren wird, überwiegen Glück und Freude. «Wie geht es euch?» – «Wunderbar!», heißt es dann. Wenige Wochen oder Monate später noch einmal nachgefragt, zeigt sich oft ein anderes Bild. Tränen kullern, und Mütter berichten, wie sie mit ihren Nerven am Ende sind. «Mein Kind hält mich ständig auf Trab. Immer will es im Mittelpunkt stehen. Nichts kann ich mal für mich allein machen. Ich bin fix und fertig.»
Der Alltag mit einem Kind wird heutzutage zunehmend als schwierig erlebt. Eltern wollen ihrem Nachwuchs alles recht machen. «Ich will ja auch von meinem Kind gemocht werden», heißt es beispielsweise. Wenn dann trotzdem – vielmehr gerade deswegen – Stress entsteht, kann die anfängliche Freude leicht abhanden kommen. Doch der dringende Wunsch ist da, den Erziehungsalltag wieder in ein ruhigeres Fahrwasser zu navigieren. «Ich möchte, dass das Familienleben weniger anstrengend wird und friedlicher, damit wir miteinander auch wieder gute Zeiten erleben können.»
Ja, das ist möglich! Wie wir Erwachsenen die Weichen dafür stellen können, das zeigt dieses Buch. Es sind zwölf Schritte, die helfen, den Alltag zu entstressen und ihm wieder Qualität zu geben.
Eine Grundstruktur gibt dem Familienalltag Halt und Orientierung: Es sind Rollenklarheit, Respekt, Regeln und Rhythmus. Wo Kinder erleben, dass Eltern in ihrer Rolle klar, eindeutig und verlässlich sind, wo Respekt und gewisse Regeln vorgelebt und eingefordert werden, wo es einen klaren Tagesrhythmus und feste Zeiten gibt, auf die Verlass ist, fallen die größten Stressfaktoren weg. Das ist die Basis.
Qualitäten schaffen wir, indem wir die Übergänge im Tagesablauf durch schöne Rituale anbahnen, die regelmäßig wiederkehren. Qualitäten schaffen wir auch, indem wir den Kindern Resonanz sowie Rückhalt und Raum geben, um sich angenommen zu fühlen und selbst eigene Fähigkeiten zu erobern. Qualitäten bringen bewusst gefasste Zeiten der Ruhe und der Religio. Wesentlich ist außerdem, dass sich Eltern feste Zeiten der Regeneration sowie der Reflexion einräumen, damit sie wieder frische Kräfte schöpfen können.
Eltern sein heißt: Wegweiser sein. Und Kinder wünschen sich das auch! Je stärker sie uns herausfordern, umso deutlicher ist dieser Wunsch. Es ist unsere Aufgabe, voranzugehen und Kindern zu geben, was sie heute so nötig brauchen: Anstrengungen, an denen sie wachsen können, sowie Geborgenheit und Halt und Liebe. Liebe – dazu gehört auch: den Mut haben, Stellung zu beziehen, eine Haltung haben, auch mal Frust in Kauf nehmen, anstatt Kindern immer alles recht machen wollen. Wo Reibung ist, entsteht Wärme.
Machen wir uns auf den Weg, auf dass Glück und Freude bald wieder eine zentrale Rolle spielen.
Christiane Kutik
im Sommer 2018
Auf einem Bürgersteig, direkt neben einer belebten Straße. Seit fünf Minuten reden die Eltern auf ihren Zweijährigen ein: «Willst du lieber im Buggy fahren, oder willst du zu Fuß gehen?» – Der Bub trippelt hin und her. Die Eltern sind ratlos. «Na, nun entscheide dich endlich! Was magst du denn? Willst du sitzen, oder sollen wir dich fahren?»
Der Bub verzieht das Gesicht. Jetzt fängt er an zu weinen.
«Also, zu weinen brauchst du nun wirklich nicht», meint der Vater.
«Wir haben dich ja gefragt.»
Fragen, Fragen, Fragen. Viel Zeit, viele Worte und viel Energie werden darauf verwendet. Die Eltern sind sichtlich genervt, weil ihr Sohn nicht vernünftig antwortet. Aber kann ein so kleines Kind das überhaupt?
Dieser Bub weint nicht wegen des Buggys. Er weint, weil er völlig überfordert ist. Mit seinen zwei Jahren kann er noch gar nicht so abwägen wie ein Erwachsener. Auch mit vier, fünf, sechs Jahren können Kinder das noch nicht.
Das weist unter anderem Anna Jean Ayres in ihren grundlegenden Untersuchungen nach. Sie kommt zu dem Schluss: «Höhere intelektuelle Fähigkeiten entwickeln sich erst nach dem Alter von sieben Jahren.»1
Kinder sind auch keine Bestimmer, keine Kumpel, sondern auf dem Weg, eigene Fähigkeiten zu entwickeln. Damit dies gelingt, brauchen sie – ebenso wie ein Lehrling den Meister braucht – Eltern, die führen und anleiten und spiegeln.
Deswegen ist es wichtig, unbedingt davon wegzukommen, das Kind in eine Machtposition zu hieven, der es nicht gewachsen ist. Weg von der ständigen Fragerei: «Willst du dies oder lieber das?» Weg vom dauernden Erklären und Überzeugen – auch wenn es Mode ist, bereits mit den Kleinsten alles auszudiskutieren.
Wir können es ja selbst beobachten: Die Folge ist immer Stress – für alle. Erwachsene ärgern sich, wenn ein Kind nicht «weiß», was es will. Und das Kind wird nervös, unsicher und «schwierig», wenn es bei uns Erwachsenen keinen Halt findet. Auf dem Weg zum «Erziehen mit Gelassenheit» hilft nur eine klare Verteilung der Rollen.
Es ist unsere Aufgabe als Erwachsene, unsere «Erziehungsrolle» klar anzunehmen und Verantwortung zu ergreifen, anstatt ein Kind zu allem und jedem zu befragen. Im Gegensatz zu einem Kind verfügen wir über Lebenserfahrung, die uns nützt, eine Sache situationsgerecht einzuschätzen und das Kind anzuleiten. Tun wir dies, so geben wir ihm das, worauf es angewiesen ist: das Gefühl, dass die Großen wissen, wo es langgeht. Das gibt ihm Halt und Sicherheit. Das ist tätige Liebe. Denn jetzt muss das Kind seine Lebenskräfte nicht permanent für Nebensächlichkeiten verausgaben. Es kann Kind sein und sich an uns als Vorbild orientieren.
«Aber ich frage mein Kind, weil ich es ihm doch recht machen will», lautet ein häufiges Argument. Doch beobachten wir einmal, wie das dauernde Befragen – «Willst du dies oder lieber das?» – auf die Kinder wirkt. Sind sie dadurch etwa entspannt, gelassen, glücklich? Im Gegenteil. Sie sind ständig gefordert, ihre Notsignale auszusenden – wie Schreien, Weinen, Zetern. Und warum ist das so?
Kleine Kinder leben von Augenblick zu Augenblick. Sie sind genauso unstet wie ein Schmetterling: Da glitzert etwas, hier bewegt sich etwas, dort duftet etwas – ständig kommt ihnen etwas anderes in den Sinn, das ihr Interesse weckt. Kinder wollen alles. Das ist ihre Natur. Deswegen ist Ärger vorprogrammiert, wenn wir von ihnen klare Entscheidungen erwarten.
«Was willst du denn heute zum Mittagessen?», fragt die Mutter ihren Dreijährigen im Supermarkt. «Magst du Brokkoli? Wir könnten aber auch Nudeln essen. Oder magst du lieber Pfannekuchen?» Hin und her. Stress. «Brokkoli», sagt das Kind endlich. Die Mutter kauft ihn und bereitet ihn zu. Doch bei Tisch gibt’s auf einmal Krach, weil Lukas den Teller wegschiebt. «Aber das hast du dir doch gewünscht», klagt die Mutter, und sie ärgert sich, weil ihr Kind wieder mal «nicht weiß, was es will».
Solcher Ärger ist definitiv vermeidbar, wenn wir uns etwas Grundlegendes klarmachen: Ein Kind ist ein Kind und kein Kumpel. Einem Kumpel kann ich sagen: «Du, ich koch dir heute was Schönes. Worauf hast du denn Lust?» Wünscht er sich etwa «Brokkoli mit einer leckeren Gorgonzola-Sahnesoße», so können wir sicher sein: Er freut sich, wenn es das Gewünschte dann auch gibt. – Mit Kindern funktioniert das so nicht. Daher: Ein Kind Kind sein lassen und endlich den Mut haben, selbst zu entscheiden, statt bei allem und jedem seine Zustimmung zu erheischen.
Wie tief das Verlangen der Kinder nach Orientierung ist, beschreibt Jacques Lusseyran sehr treffend.2 Als «das Glück meiner Kindheit» bezeichnet er «dieses wunderbare Gefühl, noch nicht auf eigene Rechnung zu leben, sondern sich ganz, mit Leib und Seele, auf andere zu stützen, welche einem die Last abnehmen». Er nennt das «die magische Rüstung, die, ist sie einem erst einmal umgelegt, Schutz gewährt für das ganze Leben».
Auch unsere Kinder brauchen diese «magische Rüstung» – und wir geben sie ihnen, indem wir ganz klar die Verantwortung übernehmen. Schließlich legt auf einem Schiff ja auch nicht der Matrose den Kurs fest, sondern der Kapitän.
Was tun, wenn ich mein Kind nicht frage und es sagt: «Schmeckt mir nicht»?
Sich der eigenen Vorbildrolle bewusst sein, denn das Kind schaut alles von uns ab. Lecker kochen – das geht auch ohne großen Aufwand: Einfache Gerichte herstellen, die wenig Arbeit machen, zum Beispiel ein schöner goldgelber Safranreis. Die Kinder keinesfalls aus der Küche wegschicken, «weil’s dann schneller geht» (siehe hierzu auch das Kapitel «Raum» auf Seite 91 ff.), sondern Sie von klein auf einbeziehen und auf Kinderweise mittun lassen: Kartoffeln waschen, Gemüse schneiden, Salatsoße umrühren.
So sind sie schon mal mit allen Sinnen dabei, riechen den leckeren Duft, wenn beispielsweise Zwiebeln in Butter angeschmurgelt werden. Die Magensäfte fließen zusammen. Anschließend alles nett anrichten und mit einem liebevoll gedeckten Tisch gleichzeitig den Schönheitssinn wecken.
Und dann beim Essen weiter Vorbild bleiben. Selbst mit Freude essen – genussvoll: «Hm, die Salatsoße schmeckt ja heute besonders gut. Herrlich, mit den frischen Kräutern und der Zitrone!»
Und wenn das Kind immer noch sagt: «Schmeckt mir nicht»? Kinder sagen das oft, um zu testen, was passiert. Merken sie dann: «Immer, wenn ich das sage, sind die Erwachsenen so richtig aufgeregt. Und ich kann das machen», so ist das ein faszinierendes Erlebnis von Eigenmacht.
Humor löst die Sache leichter, als gleich gekränkt zu sein. Wir können einfach sagen: «Schade, dass es dir nicht schmeckt.» Und dann unbeirrt genussvoll weiteressen.
Lassen wir außerdem das Nötigen: «Probier halt, wenigstens ein Stück.» Kinder richten sich an dem aus, was wir selbst tun und vorleben. Darauf dürfen wir vertrauen. Die besten Motivatoren für unsere Kinder sind daher nicht Worte und Argumente – wirksam ist vielmehr unser Vorbild.
«Wir brauchen unsere Kinder nicht zu erziehen, sie machen uns ja doch alles nach!» Dieser treffende Satz war in einer S-Bahn-Unterführung zu lesen.
Kinder akzeptieren den Erwachsenen, der in seiner Rolle eindeutig ist. Der klar sagt, wo es langgeht – und wie es geht. Erstaunlich rasch verstehen sie auf einmal, was gemeint ist.
Unterwegs in der Straßenbahn. An der ersten Tür hinter der Fahrerkabine steigt ein Vater mit seinem etwa dreijährigen Sohn im Kinderwagen zu. Der Bub klettert aus dem Wagen und trommelt gegen die Fahrerkabine. Der Vater: «Magst du einen Keks?» Der Kleine guckt kurz und trommelt mit beeindruckender Lautstärke weiter. Der Vater: «Magst du was trinken?» Er reicht dem Kind die Trinkflasche. Doch es macht weiter.
Die Straßenbahn hält. Der Schaffner kommt aus seiner Kabine. Er blickt dem Kind in die Augen und sagt: «So, du bist jetzt still, sonst kann ich nicht Straßenbahn fahren.»
Das Kind schaut mit großen Augen an dem Mann hoch. Augenblicklich ist es ruhig.
Wieso akzeptiert das Kind diesen Erwachsenen? Er tut etwas sehr Wesentliches: Er sagt ihm, was er jetzt im Moment von ihm erwartet: «So, du bist jetzt still …»
Das ist eine klare Handlungsanweisung. Die hätte bestenfalls bereits der Vater geben sollen, denn Kinder können nicht riechen, was, wo, wann, wie gilt.
Anzuleiten statt abzulenken ist die Elternaufgabe. Hier leitet der Schaffner an. Es sind nicht nur seine Worte, die wirken. Es ist seine vollkommene Präsenz. Auch die Art, wie er dasteht. Keine Spur von Unsicherheit. Sein Blick, seine Gesten sprechen eine eindeutige Sprache. Das Kind weiß sofort, woran es ist. Und darum geht es. Kinder wollen wissen, woran sie sind.
Rollenklarheit ist der Schlüssel zur Erziehung mit mehr Gelassenheit. Wir müssen endlich weg von der falschen Vorstellung, es sei «Kindesmisshandlung», wenn Eltern ihre Rolle ganz klar annehmen.
Das Gegenteil ist wahr.
Kinder sind Kinder und auf dem Weg, auf allen Ebenen zu lernen und eigene Fähigkeiten zu erwerben. Sie sind ganz klar keine Partner, keine Chefs und keine Bestimmer.
Und Eltern sind keine Kumpel, keine «besten Freunde», keine «Dauer-Wunscherfüller.»
Sondern?
Als Eltern sind wir zunächst einmal auf dem Weg, das Elternsein zu lernen. Wir haben ja anfangs noch so wenig Erfahrung, machen Fehler und sind ungeschickt. Das gehört dazu. Doch was wir nie vergessen dürfen, ist dies: Als Eltern sind wir Vorbilder – ob wir es wollen oder nicht. Wir sind sozusagen permanent auf der Bühne. Und Kinder spiegeln alles: Sind wir Erwachsenen unsicher, so sind sie verunsichert. Haben wir aber eine Haltung, so geben wir ihnen Halt.
Rollenklarheit beginnt im Kopf. Wichtig ist, dass wir Erwachsenen erst einmal erkennen, wie notwendig sie ist. «Not-wendig» – was für ein treffendes Wort! Rollenklarheit hilft in der Tat, Erziehungsnöte zu wenden.
Raus aus dem sogenannten «ganz alltäglichen Wahnsinn» geht es, sobald wir Erwachsenen Mut fassen und wieder selbst die Leitung übernehmen. Es ist unsere natürliche Aufgabe, zu führen und zu entscheiden, was, wann, wo und wie gilt.
Selbst klar sein, das hilft zum Einüben:
«Rollenklarheit!» Dieses Wort können wir uns als Eltern auf den Spiegel, ins Notizbuch oder auf die Pinnwand schreiben. Dorthin, wo wir es immer wieder vor Augen haben. Damit wir nicht ständig Eulen nach Athen tragen und uns dann ärgern, wenn ein Kind uns nicht versteht.
«Unser Kind ist besonders schwierig, nie macht es, was es soll.» So die Mutter der vierjährigen Johanna. «Zum Beispiel am Abend, wenn ich ihr den Schlafanzug anziehe. Dann schreit sie und ruft ‹blöde Mama› – und zieht alles gleich wieder aus. So ist das jeden Tag. Nur wenn ich brülle, klappt es. Aber danach geht es mir gar nicht gut. Dann hab’ ich ein schlechtes Gewissen.»
Was tun, damit Johanna versteht und alle wieder tief Luft holen können?