Es gibt so Tage ... - Karl Miziolek - E-Book

Es gibt so Tage ... E-Book

Karl Miziolek

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Beschreibung

Es gibt so Tage an denen ist vom ersten Blick an alles anders: Man gerät mitten ins Leben, Liebe, Hass und Eifersucht, Sterben, Weinen oder Lachen ... Eine Frau am Fenster schöpft Verdacht, eine andere verfällt dunklem Verlangen; ein Mann erhält am Bahnhof ein Geschenk, eine Frau kauft sich Glück, eine andere riskiert ihres für ihren Ehemann; ein Frühstück wird der Katze geopfert, eine griechische Idylle zur gefährlichen Falle ... Auf Lebensklugheit, genaue Beobachtungen und Freude am Experimentieren baut der Autor seine Gedankenspiele, kleinen Verwechslungskomödien und stimmungsvollen Genre-Variationen.

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Inhalt

Das Ritual

Der Fremde

Der Saunabesuch

Die Stille

Ein Sommerabend

Der Jaguar

Endlich geschafft

Der Roboter

Lebensspuren

Verliebt

Auf dem Weihnachtsmarkt

Die Nixen

Das Ritual

Als Alex noch berufstätig gewesen war, hatte er nie ausgiebig gefrühstückt. Eine Tasse Kaffee, meist in der Küche im Stehen hinuntergestürzt, die erste Zigarette – und los ging es zur Arbeit.

Nach seiner Pensionierung hatte sich das allerdings geändert. Das Frühstück lief zwar immer noch jeden Tag auf die gleiche Weise ab. Aber nun war es ein Ritual, das er genüsslich zelebrierte.

Während der Kaffee aus dem Automaten floss, ging Alex zum Briefkasten, um die Zeitung zu holen. Inzwischen waren die goldbraunen Brotscheiben schon aus dem Toaster gesprungen. Er machte es sich am Tisch im Esszimmer bequem, schlug die Zeitung auf und vertiefte sich darin. Dazu ließ er sich das Frühstück schmecken – das Rauchen hatte er sich inzwischen abgewöhnt.

So ging das bis zu jenem Morgen im Juli. Alex hatte einen Albtraum, erwachte und saß aufrecht im Bett. Er riss die Augen auf und sah gerade noch das Hinterteil der flüchtenden Katze, die ihm offenbar auf den Bauch gesprungen war.

Ihr war wohl langweilig gewesen.

Die Katze! Natürlich.

Jetzt kam sie wieder, machte einen Satz zurück aufs Bett, sah ihn mit ihren Bernsteinaugen durchdringend an, strich an seinen Armen und seinem Bauch entlang und schnurrte. Dann miaute sie. Sie hörte nicht auf, ihn zu bearbeiten.

An ein Weiterschlafen war nicht zu denken. „Ja, ich komm ja schon“, sagte er schlaftrunken, stieg aus dem Bett und latschte ins Vorzimmer.

Die Katze wies ihm ungeduldig den Weg in die Küche. Dort stand noch die angekrustete Schüssel vom Vorabend. Irgendwo in einem Sack musste das Katzenfutter sein, das ihm seine Tochter mitgegeben hatte.

Der Versuchung, den Inhalt einer Dose einfach in diese Schüssel zu leeren, widerstand er, er war nachdrücklich gewarnt worden, dass der kleine Racker keinesfalls einen Napf mit Futterresten anrühren würde. Also holte er, die Füße ständig umschmeichelt von dem aufgeregten Fellbündel, eine saubere Schüssel aus dem Küchenschrank, schaufelte umständlich das Futter hinein und stellte das Ganze auf den Boden. Das Kätzchen hatte keinerlei Interesse mehr an ihm und begann gierig zu fressen.

Wo blieb sein Frühstück? Und seine übliche Zeremonie? Erst jetzt konnte er damit beginnen. Und eigentlich war er viel zu früh dran.

Die neue Mode wiederholte sich jeden Tag, eine Woche lang. Jeden Morgen gab sie keine Ruhe, bis ihre Schüssel gefüllt und er wieder Luft für sie war. Er musste endlich ein Machtwort sprechen.

„Morgen ist Schluss damit! Zuerst kommt mein Frühstück, basta!“, sagte er entschlossen zur Katze.

Am nächsten Morgen weckte ihn der Stubentiger, wie üblich.

„Du weißt, ab heute bin zuerst ich dran“, sagte Alex, setzte eine gebieterische Miene auf und schaute das Kätzchen streng an. Er ließ sich Zeit, ging in aller Ruhe in die Küche und drehte den Kaffeeautomaten auf. Die Katze verfolgte ihn auf Schritt und Tritt, schlich um seine Beine herum und beobachtete ihn mit Argusaugen.

Während der Kaffee aus dem Automaten floss, ging er wie immer um seine Zeitung und legte sie auf den Tisch. Er trug den Toast auf einem Teller ins Esszimmer und ging noch einmal in die Küche zurück, weil er das Messer vergessen hatte. Als er zurückkam, thronte die Katze wie eine Sphinx majestätisch in voller Länge auf der Zeitung. Er versuchte, sie von dort wegzuschieben.

Sie stand auf, drehte sich um, streckte sich und hielt ihm dabei ihren Hintern ins Gesicht. Dabei riss sie ein paar feine Streifen Zeitungspapier aus dem Lokalteil.

„Dann werde ich eben zuerst meinen Kaffee trinken“, entschied Alex trotzig.

Doch kaum hatte er die duftende Tasse an die Lippen gesetzt, verlegte sich der kleine Quälgeist darauf, intensiv an seinen Händen entlang und an seiner Nase vorbeizustreichen, wobei er klagend miaute und deutliche Spuren auf dem Toast hinterließ. Schließlich musste Alex heftig nießen und konnte die Tasse nicht mehr rechtzeitig abstellen, sodass Kaffee auf den köstlich knusprigen Toast schwappte. Dort sammelte er sich in den Pfotenabdrücken.

„Ein gemütliches Frühstück sieht anders aus“, seufzte Alex, leicht demoralisiert.

Es reichte ihm jetzt. Er nahm die Katze und stellte sie auf den Boden. „Schluss jetzt!“, sagte er.

Sofort marschierte die kleine Katze unter triumphierendem Miauen aus dem Zimmer, mit hochgestelltem Schwanz, wie ein Fremdenführer, der seinen Regenschirm hochhält, um seine Gruppe zusammenzuhalten.

Der Lärm in der Küche ließ Alex nichts Gutes ahnen. Er trottete hinterher.

„Ist ja gut, du hast gewonnen“, sagte er lachend.

Der Fremde

Der Aufruf des Bürgermeisters kam der jungen Bäuerin gerade recht: „Wer bereit ist, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, bitte im Gemeindeamt melden!“

Es war Hochsommer und das Getreide wartete darauf, geerntet zu werden, doch ihr Mann fiel für Wochen aus. Ausgerechnet jetzt hatte er sich bei einem Unfall mit dem Traktor ein Bein und einen Arm gebrochen.

Der Bürgermeister wusste eine Lösung: „Ich habe einen jungen kräftigen Burschen für euch. Er kommt aus Afghanistan, hat in Kabul Landwirtschaft studiert und spricht Englisch – und sogar etwas Deutsch!“, sagte er zur Bäuerin, als diese im Gemeindeamt vorsprach.

„Das wäre ja die ideale Lösung“, erwiderte sie erfreut.

Am nächsten Tag kam der junge Mann in Begleitung des Bürgermeisters auf den Hof. „Das ist Navid“, stellte ihn der Bürgermeister vor.

Als die junge Frau ihn sah, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Er sah gut aus, war groß und gut gebaut, hatte kohlschwarze Augen und einen dunklen Teint. Sein schlankes Gesicht umrahmten schwarze Haare und ein Bart an Oberlippe und Kinn, der mit ein paar weißen Haaren meliert war. Lässig hatte er ein Tuch um den Kopf geschlungen.

Auch Navid konnte kaum den Blick von der Bäuerin lassen.

Er lebte sich gut auf dem Hof ein. Manches am bäuerlichen Alltag war hier anders als Navid es aus seiner Heimat kannte, speziell der Umgang mit den Maschinen, doch er lernte schnell. Weil es so viel Arbeit gab, verbrachten die Bäuerin und Navid den ganzen Tag auf den Feldern und im Stall. So lernten sie einander immer besser kennen, während den Bauern, der sich nur im Haus ein wenig nützlich machen konnte, die Eifersucht zu plagen begann. So froh er über die Hilfe war, er hatte auch bald bemerkt, dass der Fremde Gefallen an seiner Frau gefunden hatte und dass diese Sympathie nicht nur einseitig war.

Immer wieder sah die Bäuerin verstohlen zu Navid hinüber, wenn sie gemeinsam arbeiteten. Sein nackter muskulöser Oberkörper hatte es ihr angetan.

Navids schwarze Augen wiederum suchten ständig Blickkontakt, seine Hände immer nach einer Gelegenheit, sie zu berühren. Bei jedem seiner Blicke glaubte sie zu verbrennen. Jede seiner Berührungen ließ sie erschauern. Eines Tages kam es, wie es kommen musste...

In der Scheune zog sie ihre verschwitzte Bluse aus, da sie etwas am Rücken juckte. „Navid, kannst du einmal schauen?“, forderte sie ihn auf. Er trat dicht hinter sie und ergriff mit beiden Händen ihre prallen Brüste. „Ich sehe nichts. Nur dich“, hauchte er ihr ins Ohr. Da war es um sie geschehen: Willenlos gab sie sich ihm hin.

Von da an konnte die Bäuerin an nichts anderes mehr denken, fand tagsüber keine Ruhe und schlief keine Nacht durch.

Navid bedrängte sie noch dazu wieder und wieder. „Wie schön wäre es für uns beide, wenn dein Mann nicht wäre“, flüsterte er ihr im Vorbeigehen zu. Sie war entsetzt, und dennoch: Ihr selbst war schon der absurde Gedanke gekommen, was wäre, wenn …?

Gelang es ihr endlich einzuschlafen, kam derselbe Albtraum immer wieder.

Sie ging nachts in die Küche, fand dort ein im Mondlicht glänzendes Messer und rammte es dem schlafenden Ehemann ins Herz.

Navid, für den sie nun frei war, lachte.

Nach drei Wochen war der Bauer soweit, wenn auch nur humpelnd und mit Krücken, dass er sich freier bewegen und längere Strecken zurücklegen konnte.