Ins Leben geschaut ... - Karl Miziolek - E-Book

Ins Leben geschaut ... E-Book

Karl Miziolek

4,6

Beschreibung

Geschichten über Kommen und Gehen, Finden und Verlieren werden zu einem gefühlvollen, leichtfüßigen Parcours durch das Leben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 58

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,6 (18 Bewertungen)
12
4
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Warum?

Dumm gelaufen

Das Konzert

Auf Abruf

Auf der Straße

Das Fenster

Mitternachtsmette

Kurschatten

Warum?

Leise fiel die Tür ins Schloss. Anton saß am Küchentisch und starrte durch das Vorzimmer auf die geschlossene Eingangstüre.

Es erschien ihm unglaublich, dass sie tatsächlich gegangen war, sang- und klanglos, ohne Streit, ohne Hass.

Er wusste zwar, dass Hilde nichts vom Streiten hielt. Aber so? Er war ratlos – warum – was war passiert? Sie hatten doch noch gemeinsam zu Abend gegessen.

Sein Atem wurde immer schwerer, als würde ihm jemand die Kehle zudrücken. Er musste hinaus in die frische Luft. Draußen peitschte ihm Regen ins Gesicht.

Mit hochgestelltem Kragen lief er planlos durch die Straßen. Er achtete nicht auf den Weg, stolperte mehr, als er ging, rannte gegen eine Straßenlaterne und fiel schließlich mitten in eine Pfütze. Triefend nass rappelte er sich hoch und hetzte weiter. Plötzlich stand er vor dem Fluss, der sich träge durch den Ort schlängelte. Eine Weile starrte er ins Wasser. „Warum?“, schrie er und hoffte, dass eine Antwort käme.

Es kam keine. Der Mond kräuselte sich silbern auf der Wasseroberfläche. Langsam spürte er die Nässe auf seiner Haut.

Er kam erst zu sich, als er in einer Kneipe saß und seinen Blick auf ein leeres Whiskyglas heftete.

In seinem Schädel rotierte nur der eine Gedanke, warum, warum, warum.

Dass er diese Frage von seinem Tisch aus immer lauter den anderen Gästen stellte, die sich irritiert nach ihm umsahen, fiel ihm nicht auf.

Sie hatten auch keine Antwort.

Als er noch einen Whisky verlangte, räumte der Wirt sein Glas weg und meinte, er belästige die Gäste, hier gebe es nichts mehr für ihn zu trinken, er solle nachhause gehen.

Dann war er zurück in seiner Wohnung. Als er im Badezimmer die nassen Kleider auszog, fiel sein Blick auf eine Fratze, die ihm aus dem Spiegel entgegengrinste.

Sie gefiel ihm nicht, offenbar war er noch nicht betrunken genug. Bewaffnet mit einer Flasche Whisky, die er sich aus der Hausbar holte, setzte er sich auf die Couch.

Seit zehn Jahren kannten sie sich nun. Sie waren einander auf einer Party eines Freundes begegnet. Sie teilten die Begeisterung für Kultur und Sport, deswegen waren sie sich rasch näher gekommen.

Hilde hatte nach ihrem Jurastudium gerade bei einer großen Anwaltskanzlei angefangen. Anton war kurz davor, sein Medizinstudium abzuschließen. Das einzige Problem bei dieser Beziehung waren ihre Wohnorte gewesen. Hilde wohnte in Graz, Anton in Wien.

Als Anton seinen Doktortitel erworben hatte und auf der Suche nach einer geeigneten Stelle war, nahm er das Angebot eines medizinischen Labors in Graz an. Hilde wollte, dass er bei ihr einzog.

Die Wohnung war zwar klein, aber sie sollte reichen, bis sie gemeinsam etwas Größeres gefunden hatten.

Sie entschieden sich bald für ein gemütliches Haus, nicht weit weg von der Stadt in einem kleinen Ort, von wo die tägliche Fahrt zur Arbeit nicht zu lange dauerte. Sie waren beide glücklich und beschlossen nun, nachdem einige Jahre vergangen waren, ihre Beziehung mit der Eheschließung zu krönen.

Doch einen Termin dafür konnten sie nicht finden. Sie legten ein Datum fest, kurz darauf wurde es wieder umgestoßen. Beide waren von ihren beruflichen Karrieren sehr in Anspruch genommen. Sie seien auch ohne Trauschein glücklich, trösteten sie sich. Die wenige Freizeit, die sie miteinander verbrachten, waren seltene Theaterbesuche oder eine kurze Radtour in die Umgebung.

Anton knallte mit dem Kopf auf die Tischplatte.

Die Flasche war leer.

Er krallte sich an der Tischkante fest, mühte sich langsam hoch und manövrierte sich schwankend zur Kommode, die er nur mehr verschwommen wahrnahm.

Nach einiger Zeit gelang es ihm, die oberste Schublade zu öffnen.

Da lag eine Pistole und daneben eine Schachtel Munition.

Er griff danach, wankte, beide fielen ihm aus der Hand. Gegen die Kommode gelehnt, sank er langsam auf die Knie. Warum, warum, lallte er immer wieder.

Er setzte die Pistole an die Schläfe und drückte ab.

Ein Knall ließ Anton im Bett hochfahren. Er war nass vor Schweiß. Zeit und Ort waren ihm für einen Moment unklar. Er war im Schlafzimmer.

Dann bemerkte er, dass der Wind das Fenster aufgestoßen hatte und den Vorhang wie eine Fahne ins Zimmer wehte. Er blickte zu Hilde neben sich, die ruhig und friedlich schlief. Sie hatte nichts mitbekommen. Was für ein irrer Traum.

Er schloss das Fenster und legte sich wieder ins Bett. Aber das Geträumte ließ ihn nicht mehr los.

So stand er auf – um Hilde zu überraschen, bereitete er das Frühstück.

Sie hatten es jeden Tag so eilig, dass es normalerweise aus einer im Stehen hinuntergegossenen Tasse Kaffee bestand.

Wie er den Tisch deckte mit dem schönen Porzellan und allem, was der Kühlschrank hergab, wirkte demgegenüber festlich. Selbst wenn Hilde nicht mehr als ihre üblichen paar Minuten für das Frühstück blieben, hoffte er, dass es heute für beide mehr Bedeutung bekam.

Hilde war sehr angetan von seiner Idee, und sie nahmen sich für das Frühstück mehr Zeit als sonst.

Anton wollte wissen, wann Hilde heimkommen werde, er plante, wenn sie nicht zu spät kam, zum Abendessen ein Fondue vorzubereiten.

Hilde hatte es schon wieder eilig, es werde vermutlich nicht so spät werden, sechs Uhr etwa – sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verließ das Haus.

Pünktlich um sechs stand das Fondue bereit. Anton hatte an alles gedacht.

Zwischen zwei Kerzen platzierte er den Caquelon auf dem Tisch und stellte kleine Schüsseln mit verschiedenen Soßen daneben, dazu Baguette und einen Kühler mit einer Flasche spritzigen Weißweins. Pünktlich kam auch Hilde heim, das war ungewöhnlich.

„Wie schön, dass du schon da bist“, begrüßte er sie.

Doch sie wirkte müde, abgespannt und zerstreut. Für Anton war das nichts Neues, in letzter Zeit hatte er diesen Eindruck schon öfter gehabt. Beim Essen versuchte er immer wieder ein Gespräch zu beginnen.

„Na, mein Schatz, wie war dein Tag“, fragte er.

Aber Hilde blieb abwesend und einsilbig.

„Stressig wie immer“, antwortete sie, verlor zum vierten Mal ihr Brotstück im Käse und fluchte leise.

Er schob ihre Unkonzentriertheit auf einen anstrengenden Arbeitstag und überging sie einfach. Nach dem Essen versuchte Anton mit einem Glas Château Lynch Moussas Pauillac Grand Cru, den sie so gerne mochte, ihre Stimmung zu heben.

„Komm, Liebling, vergiss die Kanzlei, genießen wir den Abend“, ermunterte er sie. Hilde lächelte, sah Anton tief in die Augen und küsste ihn.

„Entschuldige mich bitte kurz“, meinte sie und ging ins Badezimmer.

Anton war glücklich, dass Hilde nun endlich mit ihm gleichgestimmt schien, und hoffte auf einen schönen, harmonischen Abend.

Die Unruhe, die er nach dem Alptraum der vergangenen Nacht nicht mehr hatte loswerden können, nahm langsam ab.

Er machte es sich auf der Couch bequem und wartete.

Als Hilde zurückkam, war sie blass und verweint. Anton erschrak, stand auf und fragte, was denn los sei. „Anton, bitte setz dich“, sagte sie. „Ich muss dir ein Geständnis machen.“

Als Anton etwas antworten wollte, verschloss sie ihm mit einer kurzen, sanften Geste den Mund.