Esmeralda in Nöten - Stephanie Schnee - E-Book

Esmeralda in Nöten E-Book

Stephanie Schnee

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Beschreibung

"Esmeralda in Nöten" präsentiert eine Sammlung surrealistisch-expressionistischer Kurzgeschichten. Menschen, in Ausnahmesituationen beleuchtet: Sie sind in einer eigenen Wirklichkeit gefangen, erleben Verzerrungen und Brüche im Alltag, sie deuten und begreifen sich neu. Das Innere des Menschen tritt an die Oberfläche, erhält eine eigene Gestalt. Existenzielle Fragestellungen erscheinen nur lösbar, wenn der Leser sich von Beginn der Erzählungen an mit Protagonisten konfrontiert sieht, die gewandelt, in neuem Gewand, oft dem eines Tieres, in Szene gesetzt werden – wobei das Fantastische literarisches Ausdrucksmittel bleibt. 

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Stephanie Schnee

Esmeralda in Nöten

Außer der Reihe 18

Stephanie Schnee

ESMERALDA IN NÖTEN

Außer der Reihe 18

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Februar 2017 p.machinery Michael Haitel

Titelbild: Stephanie Schnee

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 078 8

Der Schriftsteller, der sich als Hund verkleidete

Der junge Mann war etwas steif vom Sitzen über den vielen Büchern. Nun dehnte er sich. Er bog das Kreuz hohl durch, empfand dabei aber wieder jenen stechenden Schmerz in Brust und Armen. Da hatte er es also wieder mal geschafft! Ganz elend war ihm zumute. Kurz machte er sich klein, schob im Sitzen sogar die Knie an den Leib, wölbte die Schultern nach vorne bis tief über die schmale Brust und sackte gewissermaßen in sich zusammen. Dabei überkam den jungen Mann der Gedanke, ob er für dieses eine Mal nicht besser dran wäre, wieder zum Bett zurückzukehren und zu vergessen, was ihn im Augenblick, neben dem Ziehen in der Brust, so sehr peinigte. Was, wenn er einfach alles liegen ließe? Er erwog das Für und Wider. Gleichzeitig, und ohne dass er den Gedanken hätte abstellen können, dachte er an seinen Hunger, der ihn bald zum Wahnsinn trieb, und daran, wie anders alles aussähe, wenn er ihn doch stillen könnte.

»Man muss dankbar sein, wenn man überhaupt über die Runden kommt«, sprach er stattdessen mit leiser, angerauter Stimme den Selbstbetrug aus. In die Augen trat wieder jener vergeistigte, beinah verklärte Ausdruck. Das war nun einmal seine Art, sich um Bescheidenheit im Leben zu bemühen. Der Hund lag reglos und wie versteinert unter dem Tisch. Matteo hatte großes Mitleid mit ihm. Aber was sollte er machen? Er sah noch einmal zum Fenster hinaus, das sich wie blind gegen die Nacht stellte. Und wenn er heute darauf verzichtete? Der junge Mann zweifelte, erschrak richtiggehend, richtete sich dann aber, noch immer von der eigenen Unruhe beseelt, wieder auf. Er warf die Schultern zurück und bügelte sich mit der flachen Hand das Haar aus der Stirn.

Schließlich schalt er sich einen Dummkopf, dass er auch jetzt noch, so kurz vor der Vollendung, überhaupt Skrupel hegte. Gleichzeitig litt er unter dem inneren Zerwürfnis. Ein zweiter Blick zu seinem Bett hin, an dessen Ende sich die Blätter des Manuskripts bauchig aufwölbten, beschwichtigte ihn wieder. Jetzt war er wieder überzeugt davon, wie richtig alles gewesen war, was er in den letzten Wochen und Monaten unternommen hatte.

»Das hast du gut gemacht!«, sprach er, nicht ganz aufrichtig, zu sich selbst, die Ellenbogen gegen den schmalen Fenstersims gestützt. Das Mansardenzimmer war jetzt kalt und überdies verschattet. Matteo, trotz der ihn noch immer in Beschlag nehmenden seelischen Kämpfe, empfand auch ungeachtet der äußeren Umstände so etwas wie Vorfreude.

»Na, dann, wohl bekomm’s!«, sprach er. Im Geiste durchmaß er die letzten verbleibenden Stunden bis zur Vollendung seines Manuskripts. Wie lange arbeitete er schon daran, Buchstabe für Buchstabe gegeneinanderstellend, Fülle und Form des Geschriebenen fein bemessend und gut abwägend, bis er das Gefühl hatte, jetzt stimmte es, jetzt war der Satz gut abgezirkelt und hatte seinen verdienten Platz?

Das Manuskript war inzwischen so weit gediehen, dass er heute Abend das Schlusskapitel schreiben würde.

Die Welt wird weinen, wenn sie es liest, dachte er recht zuversichtlich von seinem Werk. Wie beiläufig warf er einen Blick in den Spiegel, der schräg stand, das Zimmer aber belebte, sobald Matteo sich davor schob.

Er war noch jung! Er würde noch Zeit genug haben, das auszukosten, was man ihm für all seine literarischen Mühsale und Kunstfertigkeiten würde erstatten wollen.

Matteo furchte die Brauen und machte sich wichtig. Noch einmal betrachtete er sich eingehend in dem Spiegel. Er hätte sich eine anziehende Erscheinung nennen können, wäre da nicht das gewisse verhärmte Etwas in seinem Gesicht gewesen, jene verräterischen Schmisse, die eigentlich gar keine waren, sondern nur Kummerfalten um den Mund herum. Die Wangen waren ein wenig hohl und der Teint viel zu blass.

Zu dem Rüden unter dem Tisch sprach er: »Nur noch ein letztes Mal, dann wird alles gut!«

Trotzdem war ihm dabei ein wenig unwohl zumute. Roland lag lang hingestreckt, die Läufe mittlerweile in Unruhe. Der Brustkorb hob und senkte sich wie unter einer schweren Last. Schon bereute Matteo das, was er sich anschickte zu tun. Zum einen war es, um sich abzulenken, dass er die Gegenstände in seinem Zimmer durchzuzählen begann, sie herbetete als lückenloses Inventar. Dann wieder wollte er sichergehen, dass sich auf den Tischen und Schränken nichts befand, woran der Jagdhund Schaden hätte nehmen können – oder umgekehrt, was Roland hätte zu Bruch gehen lassen können.

Letztlich trat er auf leisen Sohlen hinter den Hund, um ihn nicht zu erschrecken. Es war gut, dass jener so fest schlief. So würde er weniger mitbekommen von der grausamen Tat. Matteo versuchte sich zu entsinnen, wann genau es gewesen war, dass er die Fähigkeit zur Verwandlung an sich wahrgenommen hatte. Vielleicht im Juni vor zwei Jahren? Es war heiß gewesen. Er, der noch immer ohne eine Beschäftigung gewesen war, die seinen Alltag hätte absichern können, er hatte auf einmal wieder jenen nagenden Hunger verspürt, der die Eingeweide im Leerlauf beschäftigt.

Als ihm zusätzlich ganz schwach wurde in seiner Kammer, mal die Zähne fest aufeinander schlagend, als mahlten sie ferne, ausgedachte Speisen, mal eine Träne des Trotzes oder des Unmutes weinend, war es dann, dass er begann, Roland aufs Äußerste zu beneiden. Matteo ließ sich langsam nieder auf alle viere und befleißigte sich darin, die Lefzen des Hundes auseinanderzubiegen, um sich den kräftigen Fang zu besehen.

Wenigstens der Hund hatte ab und zu zu fressen! Hing da nicht noch ein kleiner Essengeruch zwischen den Zähnen? Er kraulte ihn an den Flanken, wo er es besonders liebte.

Und genau in diesem Augenblick war es dann, dass die Nachbarin vom dritten Stock etwas zu ihnen heraufrief: Sie hätte da etwas für den Rüden und er solle nur ja kommen.

Matteo, dem die Knie zitterten, als er sich erhob, er konnte sein Glück nicht fassen: Wie gut, dass er einen Hund besaß! So kam er wenigstens doch ab und zu unter die Menschen. Schnell bürstete er sich das Haar, das in letzter Zeit begonnen hatte, ihm büschelweise auszugehen. Dann pfiff er nach dem Hund und stieg mit zitternden Knien und einem Herzen voller Erwartungen die paar Stufen nach unten.

Die Nachbarin war eine in Matteos Augen gewaltige Erscheinung, ihr Nacken von dicken Wülsten durchsetzt, welche den jungen Mann in seinem Hunger an von Butter glänzende Teigrollen erinnerten!

Er versuchte sich bei seinem Eintreten von dem Schmerz in seinen Eingeweiden abzulenken und hielt Umschau in der recht behaglich eingerichteten Wohnung. Tatsächlich atmete er das, was ihn jetzt umgab, ein wie ein Schiffbrüchiger. Dennoch lief er nicht Gefahr, unangenehm aufzufallen, denn die Fürsorge der Frau galt allein dem Hund! Gerade neigte sie sich zu demselben herab, sodass die prallen Brüste in dem Dekolleté kurz deren obersten Rundungen preisgaben. Die Frau presste Roland fest an sich, und Matteo hätte schwören mögen, dass der Jagdhund die Berührung genoss.

»Komm doch, fein, fein!«, lockte die Frau den Rüden damals.

Und dann noch: »Dir stehen ja die Rippen aus dem Leib!«

Matteo musste bei diesen Worten unwillkürlich an sich herabblicken. Das Hemd war grob verkantet zwischen den einzelnen Rippen, so viel Spielraum war dazwischen. Und auch zwischen Brustbein und Schambein galt es, eine Kluft zu überwinden. Hier flatterte der Stoff des Hemdes wie über einem Abgrund, denn Matteo, der Schriftsteller, der Künstler, er hatte wirklich schon seit Tagen nichts als nur ein paar Rosinen gepickt!

Wie war dies möglich, dass sich die Frau einzig und allein des Hundes bekümmerte? Die Gerüche aus der Küche ließen seine Eingeweide kollern wie eine mit Kieseln bespickte Trommel.

»Das duftet aber fein!«, hasardierte er. Die Frau deutete die Aussage indes falsch.

»Ja, da ist was Feines für den Kleinen. Das wird ihm schmecken!«, sprach sie, wobei ihre Gesichtszüge eine süßliche Mimik annahmen, wie von Zucker beträufelt. Mit ihrer feisten Hand streichelte sie Roland immer wieder über den Hinterkopf. Der Mensch aber, er spürte, dass er würde gehen müssen, sollte nicht bald ein Verbrechen geschehen! Unterdessen zog die Frau mit weichen und irgendwie fließenden Bewegungen einen Blechnapf zu Roland herüber. Der Napf war gefüllt mit Fleischbrocken. Und ihn anzuschauen war für Matteo, trotz der Absicht zu gehen, das tiefere Bedürfnis. Der Gedanke an das Buch, an dem er schrieb, ließ ihn indes bei Vernunft bleiben. Er schützte Arbeit vor und bat die Frau, den Hund nach beendigter Mahlzeit einfach in den Hausflur zu entlassen. Er würde seinen Weg schon finden. Daraufhin stammelte er einen Dank, den er gerade noch so über die Lippen bekam, denn die Kehle war ihm ganz furchtbar rau.

Er setzte zurück, etwas link, und stolperte schließlich zur Türschwelle, woraufhin er sehr mühsam Stufe für Stufe den ersten Treppenabsatz zu seiner Wohnung erklomm. Es gab einen polternden Laut, Matteos überreizte Nerven hatten ihm einen Halt vorgespiegelt, den er nicht besaß. So griff er daneben, das Geländer, das er nah bei sich wähnte, es wich zurück und ließ ihn ins Leere greifen. Im Fallen flammte kurz die Hoffnung auf, der Lärm würde die anderen Mitbewohner auf seinen Zustand aufmerksam machen. Er blieb sogar ein wenig länger liegen als nötig. Für einen Sturz und geschundene Glieder durfte man sich schon ordentlich trösten lassen! Aber es geschah nichts! Die Wohnungstüren blieben verschlossen.

Als er so dalag, gingen dem jungen Mann allerlei Bilder durch den Kopf. Er schwor zum ersten Mal bei sich, dass er auch einmal ein Hund sein wolle, den die Frauen herzen!

Wie einfach es dann wäre mit dem Schreiben von Büchern!, schoss es ihm damals durch den Sinn.

Schließlich gelangte er dann doch noch irgendwie in seine Kammer. Roland kam bald nach, zufrieden mit der Rute wedelnd, und ließ sich mit offenem Fang sowie tropfender Zunge zu seinen Füßen nieder.

Er verausgabt die Wärme der Mahlzeit!, ging es Matteo durch den Sinn, jäh ein Gefühl unverhohlenen Neides verspürend.

»Ich wünschte«, sprach er leise, »ich wünschte, ich könnte für ein paar Stunden dieser Hund sein!«

Und dann war es auch schon geschehen. Matteo verspürte einen mächtigen Sog.

Das ist das Ende von allem!, dachte er noch. Er empfand einen Druck gegen Stirn und Schläfen sowie einen reißenden Schmerz in den Schultern. Der Nacken und die Gliedmaße wurden ihm schwer. Matteo wähnte sich sterbend, unterdessen der Sog immer heftiger und drängender wurde. Er roch mit einem Mal ganz aufdringlich den Afterschweiß des Rüden. Schlimmer noch: Er sah, wie ihm die behaarte Gesäßbacke des Hundes mehr und mehr entgegenwuchs!

»Ich falle, ich falle!«, schrie er von Todesfurcht gepeinigt, überhaupt nicht verstehend, was mit ihm geschah. Doch die Laute kamen nicht aus seinem Mund, es war wie in einem Albtraum. Nur nach innen gab es den Widerhall. Und dann drang er urplötzlich mit dem Gesicht voran durch den Anus des Hundes ein!

Matteo erlebte von Neuem die Stunde seiner Geburt, allerdings richtungsverkehrt und wider das natürliche Geschehen! Im Innern des fremden Leibes hatte er dann kurz zu kämpfen, bis der Hund draußen war. Matteo sah mit Rolands Augen. Vor ihm stand er selbst, das heißt, sein körperliches Gebilde, das Gesicht völlig unbewegt, die Augen starr und erloschen.

Ein Seelenloser!, stöhnte Matteo im Leib des Hundes. Sodann zog Roland in den Menschen ein. Es gab einen sichtbaren äußeren Ruck, ein Beben lief durch den Körper des Menschen, durch seine Hülle. Gleich belebten sich die Augen, und was Matteo darin lesen konnte, das war blankes Entsetzen.

Roland kam mit dem neuen Zustand nicht zurecht. In den ersten Augenblicken war es für Matteo ja auch nicht leicht gewesen, das Gleichgewicht zu bewahren – in mehrfacher Hinsicht. Doch auf vier Läufe gestützt und so nah dem Boden konnte ihm glücklicherweise nicht allzu viel passieren. Auch das Bewusstsein, das bessere Los gezogen zu haben, verlieh ihm ein neuerliches Gefühl von Kraft und Überlegenheit. Er blickte noch ein paar Mal bedauernd zu Roland, der, panisch darum bemüht, dem Gefängnis eines menschlichen Leibes zu entrinnen, wie ein Irrwisch durchs Zimmer fegte. Schließlich verkantete er sich mit der einen Sohle des Schuhes am Fußboden und schlug der Länge nach hin. Auf seiner Stirn klaffte gleich eine rot geränderte Wunde.

»Eine schöne Bescherung ist das, was er da mit mir anstellt«, brummte Matteo recht unzufrieden mit Hundestimme. Doch er ließ den Menschen liegen – was hätte er sonst auch tun können?

Mit dem rechten Vorderlauf kratzte er kurze Zeit darauf an der Eingangstür und brachte es schließlich zuwege, dass die Tür nachfederte und er durch den freigegebenen Spalt entwischen konnte. Bei seinem Einzug in Rolands Körper war Matteo sofort klar, dass seine dringlichsten Bedürfnisse jeweils mit ihm gingen. Allerdings gab es da einen wesentlichen und auch merkbaren Unterschied zu seinem vorherigen Zustand: Diese seine Bedürfnisse erlebte er nun vom Standpunkt eines Hundes aus!

Wohl empfand Matteo den noch immer reißerischen, sich in seine Magengrube hinein wühlenden Schmerz eines Hungernden. Aber dieser ewige Feind des schreibenden Menschen war nun nicht mehr etwas, das ihn schwächte, sondern vielmehr stählte. Es war wie bei einem richtigen Tier! Auch die Sinne, über die er verfügte, waren die eines Tieres: Matteo roch einfach alles in diesem Haus. Selbst über weitere Entfernungen hinweg roch er mit ungetrübtem Vermögen!

Flugs hängte er die Schnauze zwischen zwei Gitterstreben des Handlaufs und durchwitterte die Luft nach sämtlichen Gerüchen des Treppenhauses. Ganze Schwaden von fettem, triefendem Gulasch wehten zu ihm herauf. Matteo wollte das Gulasch, um jeden Preis wollte er das Gulasch!

In einem Satz war er unten. Mit steifer Rute stellte er sich vor die Tür der Nachbarin und kratzte dann, mit bereits triefenden Lefzen, am Briefkastenblech, sodass es deutlich schepperte. Matteo hatte noch nie gebellt, doch er wusste, dies war der rechte Augenblick dazu. Noch ehe der Laut verging, wurde die Türe bereits aufgezogen. Hals und Wangen der Frau waren rot betupft, so sehr freute sie sich über die Rückkehr des Hundes.

»Aber Roland, Jungchen, da bist du ja wieder!«

Den eigenen Sohn hätte sie nicht herzlicher empfangen können.

Matteo streckte die Zunge aus dem Maul, denn das war nicht allzu schwer. Mit der Schnauze voran deutete er gegen die Küchentür. Die Frau verstand und schlug, geschmeichelt, die Hände vors Gesicht.

»Wie brav du bist«, sagte sie mit einem glücklichen Lächeln. Sie tat eine einladende Handbewegung, ganz und gar fürstlich, und Matteo ließ sich nicht zweimal bitten. In der Küche war die Luft regelrecht dick von abgestandenen Aromen. Sofort speichelte der Schriftsteller in dem Rüden reichlich ein. Gut, dass ein Hund um so vieles ausdauernder ist als ein junger Künstler! Kelle auf Kelle häufte die Frau von ihrem eigenen Gulasch in den Blechnapf. Matteo wollte schon die Lippen zuspitzen und auf die Speise blasen, als er gerade noch rechtzeitig merkte, dass er dies ja nicht könne. Notgedrungen blickte er Hilfe suchend zu der Frau, die Ohren spitz und die Rute zwischen die Hinterbacken eingekeilt. Die Nachbarin half, rührte um in dem Napf, und schon bald war das Essen so weit herabgekühlt, dass Matteo seiner ungezügelten Gier freien Lauf lassen konnte. Er empfand ein beinah orgiastisches Vergnügen beim Fressen, vor Genugtuung stieg ihm das Wasser in die Augen. Die Frau schlug wieder und wieder die Hände über dem Kopf zusammen, denn der dankbare Hund Matteo weinte tatsächlich ein kleines Rinnsal Tränen.

Das war also an einem Nachmittag vor zwei Jahren geschehen. Gleich nach dem Mahl, nach kurz erwogener, dann knapp gezollter Dankbarkeit, hatte Matteo jedoch nur noch ein Begehr gekannt: Das Fell wollte er gleich wieder von sich abstreifen, um sich dann wieder erstarkt, erneut als schöpferisch tätiger Mensch ausweisen zu können!

Er kehrte ungehindert zu seiner Wohnung zurück. Kurz vor der Haustür musste er indes abrupt abbremsen. Es schnaubte und stöhnte da drinnen. In seine eigene Kehle stieg deutlich ein Grollen, denn Matteo fürchtete sich instinktmäßig. Er duckte sich und verharrte kurz mit aufgestellten Nackenhaaren hinter der Tür. Dann schon übernahm der Mensch Matteo wieder die weiteren Zielsetzungen.

Mit einem Bugsieren des Schädels stieß er die Tür auf: Roland war da drinnen wie wahnsinnig. Taumelnd verdrehte er die Augen in dem todesbleichen, von Grimassen verzerrten Gesicht, bis die Iris abtauchte, und richtete sie blicklos gegen den Himmel. An der Oberlippe hingen regelrechte Schaumblasen.

Das ganze Zimmer war wüst durcheinandergebracht, der Tisch zerhauen und die Brettkonsole, welche Matteos anfängliche literarische Bemühungen in Form kleiner Heftsammlungen getragen hatte, sie hing weit abgewinkelt von der Wand herab. Sein Herz schlug einen unausgesetzten Trommelwirbel, als er dessen gewahr wurde, wie sehr Roland sich selbst zugerichtet hatte: Das eine Hosenbein war aufgeschlitzt, und über den frei gelegten menschlichen Schenkel liefen richtungsverschiedene Kratzspuren. Und Matteo, er wusste ja nicht einmal, wie zurückkehren zu seiner Gestalt!

Er machte sich klein und duckte sich gegen den Boden, sodass er Roland, der den Schaum zwischen seinen Lippen weiter sprudeln ließ, nicht weiter auffallen konnte. Anschließend dachte er, er müsse sich umgehend auf diesen seinen menschlichen Leib besinnen, um so den Einstieg zu finden. Gleich konzentriere er sich auf ihn, noch immer in kauernder, regloser Stellung, und durchwanderte im Geiste die verschiedensten Körperteile, bis er endlich, anfänglich eher leise, dann schon verstärkt, die kleine Brise, den kleinen Sog aufkommen fühlte.

Matteo wollte schon erleichtert aufatmen, doch es war nun doch nichts gewesen mit dem Sog, auf alle Fälle nichts Gerichtetes, vielleicht sogar nur eine Täuschung.

Wie gelange ich nur dorthin zurück?, überlegte er fieberhaft, unterdessen Roland in immer kürzerer Abfolge kehlige Laute ausstieß. Sobald Matteo sich den menschlichen Anus vor Augen hielt, sah er nur dunkel auf dunkel, und der Sog ebbte wieder ab. Knapp über dem Bauch fand er dann schließlich die Eintrittspforte. Er schloss sofort die Augen, was bei seinem Hundeäußeren sehr philosophisch aussah, und richtete seine gesamte geistige Energie auf den Bauchnabel des Menschen. Der Sog wurde zu einem lauten Wind in seinem Innern. Matteo wehte aus unmittelbarer Nähe das Bild … seiner Mutter an! In gleitenden, fließenden Bewegungen lief sie auf ihn zu, ihre Füße über einen betupften Wolkenhimmel hinweg setzend.

Der Schriftsteller genoss die übersinnliche Erfahrung, bis er jäh verstand, was es mit den Bildern für eine Bewandtnis auf sich hatte! Mit dem Austritt und Wiedereintritt in seinen Körper war jeweils Todesgefahr verbunden!

So nah kam er in diesem Augenblick dem vorzeitigen Ableben, dass die zärtlichsten Bilder seiner ersten Kindheit, leicht verzerrt, in sein Bewusstsein gespült wurden.

Matteo wollte schreien, um Hilfe rufen, er war schon am Ersticken, da erblasste die Erscheinung in einem Nu. Ihre Konturen verliefen sich in ferne Nebel. Gleichzeitig wurde der Sog immer heftiger. Matteo gierte mit dem Kopf nach vorn und saß plötzlich mit dem ganzen Leib wie auf einem Katapult. Er rutschte abwärts, von einem ohrenbetäubenden Sirren umgeben.

Als es dann wieder still wurde, schien sich sein geschundener Körper ein wenig zu entspannen zu wollen. Matteo erlangte wieder klares Bewusstsein. Im rechten Bein stellten sich augenblicklich Schmerzen ein. Dabei roch es in seinem Innern aber noch ganz aufdringlich nach Hund! Er verstand, dass er Roland zum Gehen auffordern müsse. Wie ein Hund allerdings diese geistige Anstrengung bewältigen sollte, das war ihm rätselhaft. Genug: Roland selbst verstand, was von ihm verlangt wurde. Und er flüchtete nachgerade aus dem menschlichen Verlies! Es gab einen leisen Knall. Der Muskeltonus in Matteos menschlichem Leib schwächte sich sofort ab.

Er war wieder allein in seinem Körper und Roland wieder der Jagdhund, der er schon immer hatte sein wollen. Nur dass er jetzt alles andere als gelassen auf diesen Zustand reagierte. Er jaulte und wimmerte und wehklagte in einer Tour, wodurch sein Winseln von überallher gehört werden konnte.

Über seinen Körper liefen förmlich Wellen von Angst, regelrechte Panik durchflutete ihn. So sehr zitterte der arme Rüde, dass er dadurch sogar verschiedene Gegenstände im Zimmer in Bewegung brachte: Die Bücher auf den Borden hüpften auf und nieder. Matteo streckte die Hand nach dem Tier aus, um es zu beruhigen, doch Roland wich zurück.

»Na komm schon, ist ja nichts gewesen«, versuchte der Künstler den noch immer am ganzen Leibe bebenden Hund zu beschwichtigen. Roland bleckte als Antwort kurz die Zähne, woraufhin bei ihm verschiedene Bewusstseinsstufen augenscheinlich ineinander übergingen: Der nächste Augenblick sah ihn nämlich darüber, dass er es gewagt hatte, dem jungen Herrn gegenüber ein ungeziemendes Betragen an den Tag zu legen, in weitere Verzweiflung geraten.