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Mit diesem Buch liegt nun der dritte Band der besonders populären Diamond Heart Series auch in deutscher Sprache vor. In dieser Reihe sind Vorträge von A.H. Almaas zu wesentlichen Fragen des menschlichen Lebens und der inneren Suche zusammengestellt. Auch geht er ausführlich auf typische Fragen zu verschiedenen Themen ein, die auf dem Weg zu innerer Verwirklichung von Bedeutung sind. Die Bücher der "Diamond Heart Series" sind revolutionär in ihrer Synthese westlicher und östlicher Ansätze – in ihrer Zusammenführung psychologischer und spiritueller Entwicklung. Almaas schreibt aus unmittelbarer persönlicher Erfahrung, und seine Sprache hat wie jeder Ausdruck unvergänglicher Weisheit die einfache Kraft und den tiefen Klang der Wahrheit.
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Seitenzahl: 376
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A.H. Almaas
Die Bedeutung des Lebens
Übersetzung aus dem Amerikanischen
Peter Brandenburg
Arbor Verlag
Freiburg im Breisgau
Vorwort
Einführung in Band III
Die Flamme der Suche
Bist du da?
Wer bin ich?
Der Abgrund
Essenz und das Ichideal
Auflösung der Identifikation und Sich-Einlassen.
Nicht-Warten
Selbstverwirklichung unterstützen
Das Dilemma der Grenzen
Wissen und das Gute
Sein und Verstehen
Reagieren, Sein und Tun
Menschsein, Verletzbarkeit und Sein
Originaltitel: Diamond Heart Book Three –
Being and the Meaning of Life
Copyright © 1990 A-Hameed Ali
Copyright © der deutschen Ausgabe: 2000 Arbor Verlag, Freiamt
Published by Arrangement with
Diamond Books, Berkeley California, USA
Titelfoto: Klaus Ender
Bearbeitung: Stephan Schuhmacher
Alle Rechte vorbehalten
E-Book 2021
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978-3-86781-153-8
Es ist sehr schwer, jemandem dieses Gefühl zu erklären, dem es vollkommen fehlt, besonders da es keine anthropomorphe Auffassung Gottes gibt, die diesem Gefühl entspricht. Das Individuum fühlt die Nichtigkeit menschlicher Begierden und Ziele und die sublime und wunderbare Ordnung, die sich in der Natur wie in der Welt der Gedanken offenbart. Es betrachtet individuelle Erfahrung als eine Art Gefängnis und möchte das Universum als ein einziges bedeutsames Ganzes erfahren.
Albert Einstein
in: Mein Weltbild
Wir leben in einer Welt der Geheimnisse, der Wunder und der Schönheit. Aber die meisten von uns haben selten Teil an dieser wirklichen Welt und sind sich eher einer anderen Welt bewußt, die vor allem aus Streit, Leiden und Sinnlosigkeit besteht. Das liegt vor allem daran, daß wir unser volles menschliches Potential nicht verwirklichen und leben. Dieses Potential kann durch die Verwirklichung und Entwicklung der menschlichen Essenz aktualisiert werden. Die menschliche Essenz ist der Teil von uns, der angeboren und wirklich ist und an dieser wirklichen Welt teilhaben kann.
Die Reihe »Der diamantene Weg des Herzens«, ist eine Niederschrift von Vorträgen, die ich in Kalifornien und Colorado im Verlauf mehrerer Jahre vor Gruppen, welche sich der inneren Arbeit widmen, als Teil der Arbeit dieser Gruppen gehalten habe. Der Zweck dieser Vorträge ist es, Menschen, die sich intensiv mit der schwierigen Arbeit essentieller Verwirklichung befassen, Anleitung und Orientierung zu geben.
Die Vorträge sind so angeordnet, daß sie die verschiedenen Zustände und Stufen der Verwirklichung in der Reihenfolge zeigen, in der sie beim typischen Schüler auftreten – wenigstens bei unserer Lehrmethode, dem Diamantenen Weg. Sie widmen sich zuerst den Zuständen, dem Wissen und den Fragen, die am meisten gebraucht werden, wenn wir mit der Arbeit an uns selbst anfangen, schreiten zu Stufen zunehmender Tiefe und Differenziertheit fort und gipfeln in einem detaillierten Verständnis der reifsten Zustände und der Voraussetzungen von Verwirklichung.
Jeder Vortrag erhellt einen bestimmten Zustand von Essenz oder Sein. Die relevanten psychologischen Themen und Barrieren werden genau und eingehend diskutiert. Dabei wird modernes psychologisches Verständnis in Beziehung zum Zustand des Seins und zu Denken und Bewußtsein, Leben und dem Prozeß innerer Entfaltung des einzelnen gesetzt.
Daher ist diese Buchreihe nicht nur eine detaillierte und spezifische Anleitung für den Schüler, sondern auch ein Ausdruck und eine Manifestation der Entfaltung der menschlichen Essenz, wie sie das Geheimnis, das Wunder, die Feinheit und den Reichtum der wirklichen Welt, unseres wahren Erbes, enthüllt. Jeder Vortrag ist eigentlich der Ausdruck eines bestimmten Aspektes oder einer Dimension des Seins, wie er sich als Antwort auf die aktuellen Bedürfnisse der Schüler im Bewußtsein des Lehrers einstellt. Der Lehrer handelt sowohl als eine Verkörperung einer solchen Realität als auch als ein Kanal für das lebendige Wissen, das Teil dieser Verkörperung ist.
Es ist mein Wunsch, daß mehr meiner Mitmenschen an unserer wirklichen Welt teilhaben und die unglaubliche Schönheit und Integrität schmecken, die darin bestehen, ein Mensch, eine volle Manifestation der Liebe zur Wahrheit zu sein.
Der Prozeß essentieller Selbstverwirklichung durchläuft verschiedene Stufen, von denen jede mit bestimmten essentiellen Zuständen, psychologischen Themen und einer daraus resultierenden Weisheit korrespondiert. Wie diese Stufen begrifflich gefaßt werden, hängt zum Teil von der Lehre ab, der man folgt, und zum Teil vom Fokus des Studiums. Beim Diamantenen Weg ist die Lehre an der natürlichen und spontanen Enthüllung der Wahrheit der Seele orientiert, zu der es kommt, wenn man die eigene Erfahrung, motiviert durch die reine Liebe zur Wahrheit und der Freude an ihr, untersucht.
Die erste natürliche Stufe ist die Entdeckung von Essenz, welche die wahre Natur der Seele ist. Essenz wird in der unmittelbaren Erfahrung als grundlegende Präsenz entdeckt. Sie zeigt sich in vielen Qualitäten, die wir Aspekte nennen. Sie wird als das erkannt, was sie ist, und als die wahre Lösung für die verschiedenen existentiellen Mängel und Sehnsüchte des Ego und seiner Persönlichkeit verstanden. Die zweite Stufe ist dann das objektive Verstehen des Ego und des Verstandes (mind), wobei wir die Weisheit benutzen, die aufgrund der Präsenz von Essenz verfügbar ist. Der Kontrast zu Essenz fungiert als Spiegel, in dem man die Persönlichkeit des Ego auf eine präzise und klare Weise wahrnehmen kann.
Das macht es dann möglich, zur dritten Stufe zu gelangen, auf der sich das Identitätsgefühl vom Ego zu Essenz verschiebt. Das erste Buch dieser Serie konzentrierte sich auf die erste Stufe und das zweite Buch auf die zweite. Im vorliegenden Band geht es vor allem um die dritte Stufe, die eigentliche Selbstverwirklichung. Es geht hier nicht um die verschiedenen Mängel, Konflikte und Sehnsüchte der Persönlichkeit, sondern um das Selbst und die Identität. Es geht darum zu sehen, daß es immer noch Identifikation mit dem Ego gibt, auch wenn Essenz entdeckt und als das verstanden ist, was sie ist. Auf dieser Stufe hat man mehr mit dem Thema zu tun, daß man ein Wesen (entity) ist, welches Essenz erfährt, als mit der Entdeckung, daß Essenz das eigentliche Selbst und die eigentliche Identität ist.
Diese Verschiebung der Identität verlagert das eigene Zentrum vom Ego zur Essenz und macht damit die Präsenz von Essenz zum Zentrum des eigenen Erfahrungshorizonts. Damit hinterfragt man tief verwurzelte und bisher nicht in Frage gestellte Ichstrukturen und löst sie auf. Das Selbstverständnis und die Sicht des Universums werden grundlegend transformiert. Von vielen Dingen, die man bisher für universale Tatsachen der Realität gehalten halt, erkennt man hier, daß sie nur auf Glauben und naiven Annahmen beruhen.
Das führt auch zu Objektivität in Bezug auf Essenz selbst, denn jetzt erfährt man sie eher aus ihrer eigenen Perspektive als aus der der Persönlichkeit. Man erkennt Essenz als Sein (Being), als Zeitlosigkeit und als das ewige Jetzt. In diesem Buch wird der Zustand der Selbstverwirklichung diskutiert, seine individuellen wie auch universellen Dimensionen – wobei die erstere, die um Zeitlosigkeit zentriert ist, als der Eingang zur letzteren fungiert, die um die Jetztheit des Einsseins (oneness) von Sein zentriert ist.
Die eigentlichen Erfahrungen, Verwirklichungen, Einsichten und die daraus resultierende Weisheit, werden im Detail behandelt und die entsprechenden Themen und Strukturen des Ego so weit geklärt, daß man sie in sich selbst erkennen kann. Die Zustände und Themen, die diskutiert werden, sind von fortgeschrittener Art, und der Leser muß sie mit seiner innersten Erfahrung in Beziehung bringen, um zu vermeiden, daß das Material zu rein intellektuellem Wissen degeneriert. Diese Bücher sollen für den Leser von praktischem Nutzen sein. Damit man die wahre Nahrung verdauen kann, die man aus den Untersuchungen dieses Buches gewinnen kann, ist es notwendig, daß der Leser sich ganz darauf einläßt, indem er seine Erfahrung mit der Art Aufrichtigkeit betrachtet, die von jedem Schüler der inneren Arbeit verlangt wird.
Warum bin ich hier? Wohin gehe ich? Wir müssen schauen, wie ehrlich wir mit uns sein können, wenn wir versuchen, diese Fragen zu beantworten. Diese beiden Fragen hängen miteinander zusammen. Die meisten Menschen denken nämlich, sie wären hier, weil es ein Ziel gibt; sie wollen irgendwohin gehen. Wohin wollt ihr gehen? Ihr glaubt wahrscheinlich, ihr wißt es - oder? Glaubt ihr, daß ich weiß, wohin ihr gehen sollt? Wenn ihr glaubt, daß ich es weiß, kann ich es euch dann sagen? Und wenn ich es euch sage, werdet ihr dann folgen? Könnt ihr mir folgen?
Das sind Fragen, die ihr mit eurem Verstand (mind) nicht beantworten könnt. Das sind Fragen, die Fragen bleiben sollten. Versucht nicht, sie einfach mental zu beantworten. Diese Fragen sind wie eine Flamme. Wenn ihr sie mit eurem Verstand beantwortet, dann löscht ihr die Flamme, weil der Kopf die Antworten auf diese Fragen nicht weiß und nicht wissen kann. Wenn ihr sie mit eurem Kopf beantwortet und glaubt, ihr wißt, dann ist die Frage verschwunden. Wenn ihr glaubt, daß ihr solche Fragen beantwortet habt, dann ist die Flamme aus und ihr forscht nicht mehr.
Wenn ihr euch auf dieser Ebene mit Antworten einrichtet, dann lebt ihr wie die meisten Menschen, die davon ausgehen, daß sie wissen, warum sie hier sind und wohin sie gehen. Solch ein Leben fühlt sich typischerweise flach und bedeutungslos an. Ein Leben ohne fundamentales Infragestellen ist ein Leben, das nach Formeln gelebt wird, nach dem, was man von anderen gehört hat. Aber warum solltet ihr glauben, was andere euch über das Leben erzählen? Ihr wißt eigentlich nicht, was für euch wahr ist, was für euch wichtig ist, was für euch richtig ist.
Es ist besser unwissend zu bleiben, als Wissen vorzutäuschen. Wenn ihr wißt, daß ihr unwissend seid, und nicht etwas anders vorgebt, dann ist da eine Frage, die lebendig bleibt und weiter in euch brennt, ein tiefer Hunger nach Wahrheit.
Wenn ihr jeden Augenblick eures Lebens betrachtet, zum Beispiel diesen Moment, dann seht ihr, daß ihr die meiste Zeit über glaubt, ihr wüßtet, was in diesem Moment das Beste für euch ist. Ihr denkt, fühlt und verhaltet euch so, als wüßtet ihr, was geschehen soll, als wüßtet ihr, was ihr wollt und was zu wollen wichtig ist. Ihr lebt euer Leben von Moment zu Moment in dem Glauben, daß ihr wißt, wie ihr sein solltet. Woher kommt dieses Wissen?
Das meiste stammt aus eurer frühen Kindheit, sowohl aus dem, was euch unmittelbar beigebracht wurde, als auch aus dem, was ihr indirekt aus eurer Umgebung aufgenommen habt. Manches stammt aus dem, was ihr gehört oder gelesen habt. Es ist konditioniertes Wissen. Was auch immer seine Quelle ist, konditioniertes Wissen ist für die Beantwortung fundamentaler Fragen, wie der Frage danach, warum wir hier sind, nutzlos. Das konditionierte Wissen sagt, daß ich hier bin, damit ich glücklich werde, erfolgreich werde, es mir gut gehen lasse, das bekomme, wovon ich glaube, daß ich es möchte, damit ich meine Träume erfülle, jemanden bekomme, der mich liebt, oder viel Geld verdiene. Die Konditionierung ist einfach ein Überlebensmechanismus. Ihr habt überlebt, ihr seid hier - also hat das Wissen seine Funktion erfüllt und tut es immer noch. Wenn ihr weiter bloß überleben wollt, dann tut das von mir aus. Aber wie unterscheidet ihr euch dann von einem Tier, einem Insekt, das geboren wird, lebt und stirbt?
Woher wißt ihr, daß das Wissen, welches ihr von anderen bekommt, die Wahrheit ist? Woher wißt ihr, daß eure Lehrer, ja selbst die großen Philosophen, die Antwort haben, die für euch paßt? Jesus hat gesagt, daß ihr euren Nächsten lieben sollt. Wißt ihr wirklich, daß es das ist, was ihr tun müßt? Buddha hat gesagt, daß Erleuchtung das Beste ist. Woher wißt ihr, daß es das ist, was ihr braucht?
Manche Leute sagen, ihr müßt lernen, ihr selbst zu sein. Das klingt gut. Manche sagen, ihr sollt frei sein von eurer Persönlichkeit und eure Essenz entwickeln. Das klingt toll. Woher wißt ihr, daß das eure Probleme lösen wird? Ihr wißt nicht wirklich, ob irgendeine dieser Ideen für euch von Bedeutung oder wahr ist. Ihr könnt das nicht mit Sicherheit wissen, bevor ihr selbst experimentiert und aus eigener Erfahrung gelernt habt. Bis dahin beruht euer Handeln auf Überzeugung oder Glauben (faith or belief). Wenn ihr ohne es in Frage zu stellen davon ausgeht, daß das, was jemand sagt, die Wahrheit ist, dann wird eure innere Flamme erlöschen. Ihr werdet glauben, die Fragen beantwortet zu haben, wenn ihr sie noch längst nicht beantwortet habt; jemand anders hat das getan. Und er hat sie nicht für euch beantwortet, sondern für sich selbst. Wir beruhigen uns mit dem Glauben, daß andere wissen und wir ihr Wissen benutzen können. Das ist ein sehr beruhigender Gedanke; er bestärkt uns darin, faul zu sein. Wir beruhigen uns damit, daß wir uns sagen: „Jemand anders weiß, und irgendwann werde ich dazu kommen, es zu studieren. Das Wissen existiert schon und steht mir immer zur Verfügung.“
Aber wißt ihr, ihr selbst, wirklich in eurem Herzen, was geschehen soll? Erlaubt ihr euch selbst jemals, wirklich zu fragen, eine brennende Frage in euch zu tragen - und die Flamme nicht schnell mit der ersten Antwort auszulöschen, die ihr hört? Ihr löscht die Flamme, damit ihr zu eurem Gefühl von Bequemlichkeit und Sicherheit zurückkehren könnt.
Jemand sagt euch, es wäre gut, aufmerksam zu sein, gewahr zu sein. Versucht ihr das, dann hilft es tatsächlich ein wenig - aber ihr wißt immer noch nicht, ob es die Antwort ist. Ihr wißt nicht, ob es wirklich euer Problem löst. Und wenn ihr glaubt, daß ihr es wißt, dann belügt ihr euch selbst. Ihr müßt die Frage lebendig halten, während ihr euch selbst erforscht.
Unsere Fragen danach, warum wir hier sind und wohin wir gehen, sind unbequem, aber sie sind echte Fragen für jeden Menschen. Wenn ihr sie nicht stellt und ihnen erlaubt, chronisch offene Fragen zu bleiben, dann werdet ihr niemals selbst wissen, worum es eigentlich geht. Ihr werdet nie wissen, wer ihr seid, warum ihr hier seid und wohin ihr geht. Euer Kopf ist voller Ideen und Träume und Pläne darüber, was euch erfüllen könnte, was euch glücklich machen, was euch befreien wird. Aber diese Ideen bringen die Frage zum Schweigen, beruhigen euren Verstand (mind) und löschen die Flamme.
Fangt also in dem Bewußtsein (awareness) an, daß ihr die Antworten nicht wißt. Und seid euch der fieberhaften Versuche eures Kopfes bewußt, euch davon zu überzeugen, daß ihr sie kennt. Es ist nicht nur so, daß ihr die Antworten nicht kennt, ihr wißt nicht einmal, ob diese Fragen überhaupt beantwortet werden können. Könnt ihr den Fragen erlauben, offen zu bleiben, wenn ihr nicht wißt, ob es eine Antwort gibt? Könnt ihr so aufrichtig gegenüber euch selbst sein? Ihr glaubt, ihr wäret hier, weil ihr glaubt, hier etwas bekommen zu können, weil ihr glaubt, hier etwas erfahren zu können, weil ihr hofft, hier eine gewisse Freiheit finden zu können. Aber wißt ihr das wirklich? Seid ihr sicher, daß das, was wir hier tun, richtig für euch ist? Könnt ihr jemals sicher sein, wenn ihr diese Frage nicht für euch selbst beantwortet?
Vielleicht kennt ihr die Vorstellung, daß ihr andere lieben müßt, wenn ihr selbst geliebt werden wollt, daß ihr selbstlos sein sollt. Das klingt gut. Das ist das, was die großen Meister sagen. Aber für euch ist es Hörensagen, ein Gerücht, eine Möglichkeit, die es wert ist, untersucht zu werden. Es ist noch nicht Wissen. Ist es möglich, eure Vorstellungen, eure Gedanken, euer Wissen beiseite zu lassen und die Untersuchung zuzulassen? Könnt ihr die Frage so stehen lassen? Könnt ihr eine Weile all eure Formeln vergessen, alles was ihr gehört oder gelesen habt, alles was eure Eltern gesagt oder nicht gesagt haben, was all die großen Lehrer gesagt haben, und mit der Frage allein bleiben? Warum seid ihr hier? Wohin geht ihr? Worum geht es eigentlich? Könnt ihr diese Frage in aller Intensität zulassen - könnt ihr diese Flamme in euch brennen lassen, ohne sie mit einer Antwort löschen zu müssen?
Können wir dieses Forschen in uns, in unserem Herzen, in unserem Bauch, in unserem Sein tiefer werden lassen? Können wir unser Sein ein Fragezeichen, eine Sehnsucht sein lassen? Es ist eine Suche ohne Motiv, eine Suche, die nicht von der Idee eines irgendwohin Gehens abhängt. Es gibt kein Ziel in Sicht, deshalb wird die Frage eine Flamme, die weiter brennt und mit der Zeit intensiver wird. Deckt sie nicht zu, löscht sie nicht aus, und laßt sie nicht ausgehen; laßt sie einfach sein. Laßt sie euch verzehren. Laßt sie all eure Ideen und Überzeugungen davon wegbrennen, wie die Dinge sein sollten. Laßt sie all eure Konzepte von Gut und Böse wegbrennen. Laßt dieses Forschen sich vertiefen und ausdehnen, damit ihr vergessen könnt. Laßt alles los, was ihr gelernt habt ... wenigstens für eine gewisse Zeit.
Könnt ihr als eine Frage, als ein Forschen nach der Wahrheit existieren? Seid ihr bloß hier, um zu leben, zu arbeiten, zu essen, zu lieben, zu hassen, um Kinder zu haben und zu sterben? Könnt ihr loslassen, was ihr zu besitzen glaubt? Kann sich euer Geist (mind) all euren Besitzes, eurer Überzeugungen, Theorien, allen Wissens, allen Verstehens entledigen und einfach als eine Suche, als ein reines Forschen verweilen, das nicht von irgend jemandem oder irgendetwas beeinflußt ist, nicht einmal von eurer eigenen Vergangenheit? Auch wenn ihr in der Vergangenheit Liebe und Freiheit und Entspannung und so weiter empfunden habt – was läßt euch glauben, daß ihr diese Dinge in diesem Moment braucht? Die Einsichten, die ihr in der Vergangenheit hattet, waren vielleicht richtig – aber woher wißt ihr, daß sie das sind, was ihr jetzt und in Zukunft braucht? Alles, was ihr tun könnt, um das herauszufinden, ist sie loslassen. Könnt ihr vollkommen unwissend, nicht-wissend bleiben? Könnt ihr euren Geist loslassen, eurem Geist nichts aufdrängen, und zugleich nicht absterben, nicht unbewußt werden?
Können wir uns von allen Einflüssen befreien, von den Einflüssen der Ideen anderer und von unserer eigenen Vergangenheit, und als ein Forschen im Jetzt verweilen? Ihr könnt beobachten, daß ihr jedesmal, wenn jemand etwas sagt, das wahr klingt, oder jedesmal, wenn ihr eine Einsicht habt, sagt: „Wunderbar, das muß es sein.“ Ihr wollt die Flamme löschen. Ihr wollt, daß die erste Antwort, die kommt, das Fragen zum Schweigen bringt.
Warum haben wir es so eilig damit, Antworten zu haben? Wir stürzen uns auf das erste Heilsversprechen, das kommt. Warum nicht bei der Frage bleiben? Was läßt euch denken, daß Erlösung die Antwort ist, daß Freiheit die Antwort ist? Was läßt euch denken, daß Erleuchtung die Antwort ist? Was läßt euch denken, daß Liebe die Antwort ist? Ihr habt vielleicht das Gefühl, daß ihr diese Dinge wollt – aber woher wißt ihr, daß sie zu bekommen, das Beste ist, was euch in diesem Moment passieren kann? Woher wißt ihr, ob ihr tot oder lebendig sein, reich oder arm, frei oder versklavt sein sollt? Ist es möglich, euren Geist frei sein zu lassen?
Ich versuche nicht, euch eine Antwort zu geben; ich gebe euch nur eine Frage. Ihr müßt euer Sein wie eine Flamme, eine himmelwärts strebende Flamme lodern lassen, ohne vorgefaßte Ideen davon, wohin sie strebt. Nur intensiv brennen, tief wissen wollen, die Wahrheit sehen wollen, ohne irgendwelchen vorgefassten Meinungen zu folgen, total in der Gegenwart sein mit der Frage an sich und sie alle Ideen, alle Überzeugungen, alle Konzepte – auch die, die ihr von den großen Lehren gelernt habt – wegbrennen lassen. Wenn ihr diese Flamme nicht ganz und gar zulaßt, werdet ihr dann jemals in eurem Leben Ruhe finden? Werdet ihr jemals Ruhe finden, solange ihr eure Frage überdeckt, sie beantwortet, bevor sie wirklich beantwortet ist? Werdet ihr jemals wirklich mit der Antwort eines anderen Menschen zufrieden sein?
Wie ihr seht, ist es eine ganz persönliche Suche. Es ist eure Situation, euer Leben, euer Geist; niemand sonst kann diese Fragen für euch beantworten. Was auch immer an Antworten von außen kommt, es gehört nach außen; ihr könnt es einmal anprobieren, aber ihr müßt eure eigenen Forschungen anstellen. Ihr könnt jeden Vorschlag, jede Anleitung untersuchen, aber ihr müßt das Fragen in Gang halten. Bringt es nicht einfach zum Schweigen, weil ihr etwas gehört habt, das richtig klingt. Ohne dieses aufrichtige Infragestellen, diese motivlose Suche - ohne diese Flamme - kann die innere Arbeit nicht getan werden. Ohne diese Flamme folgt man bei jeder Arbeit einfach bestimmten Vorstellungen und Überzeugungen.
Die innere Arbeit muß sich an eurer eigenen Erforschung der Fragen orientieren; die innere Arbeit, die wir hier tun, weist nur eine Richtung. Eure Motivation muß rein, echt und wahr sein; eure Flamme muß da sein, sonst werdet ihr die innere Arbeit für den falschen Zweck benutzen. Ihr werdet einer Vorstellung folgen und irgendwohin gelangen, aber nicht unbedingt dahin, wohin euer Sein euch ohne Mühe bringen würde. Ihr könnt dieses und jenes entwickeln, frei werden von diesem und jenem – aber woher wißt ihr, ob ihr damit eure Bestimmung erfüllt? Ihr denkt vielleicht, ihr solltet liebevoller oder weniger ängstlich sein, ihr solltet es angenehmer haben oder solltet entspannter, reicher oder schöner sein. Vielleicht sollt ihr es, vielleicht nicht. Das sind nur Ideen, Vorstellungen. Aber wahres Infragestellen, aufrichtiges Infragestellen hat kein bestimmtes Ziel. Wenn ihr glaubt, daß ihr ein Ziel habt, ein festes Ziel, und wenn ihr denkt, daß ihr dorthin gehen werdet, dann habt ihr die Flamme schon ausgelöscht. Wenn ihr euch gesagt habt, daß ihr hier seid, weil ihr erleuchtet sein wollt, weil ihr frei sein wollt, weil ihr liebevoll sein wollt, dieses oder jenes sein wollt, dann bedeutet das, daß ihr schon wißt.
Aber ihr wißt nicht, nicht wirklich. Zu glauben, daß ihr wißt, wäre eine Lüge. Es ist wahr, daß es eine Frage gibt und daß ihr die Antwort nicht wißt - das ist die Wahrheit. Die aufrichtigste Antwort, die ihr auf die Frage „Warum bin ich hier?“ geben könnt, ist: „Ich hier bin, weil ich nicht weiß.“ Der echteste Grund für euer Hiersein wäre, daß ihr die Flamme des Forschens anfachen wollt.
Diese Fragen sind nicht theoretisch oder philosophisch. Sie stellen sich an der Wurzel und im Herzen eures Lebens, sie sind für jeden Moment eures Lebens bedeutsam, was immer ihr tut. Wenn ihr nicht wißt, aber so tut, als wüßtet ihr, vertut ihr den Augenblick. Das wäre eine totale Verschwendung, gleich was ihr tut. Es ist nicht nur so, daß die Vorstellung, die ihr in eurem Kopf habt, vielleicht die falsche für euch ist. Die Tatsache, daß es eine Vorstellung und keine unmittelbare Wahrnehmung ist, löscht die Flamme der Suche aus, und eure Entfaltung ist blockiert. Wann immer die Antwort nicht eine unmittelbare Wahrnehmung ist, wird sie eure Erfahrung blockieren oder entstellen.
Was ich sage, soll euch nicht dazu bringen, euch selbst vorzuwerfen, daß ihr zu wissen glaubt. Es geht nicht um den Versuch, euch „gut“ zu machen. Nein, wir versuchen, die Wahrheit zu sehen. Ihr müßt klar sehen, auf welche Weise ihr die Flamme ausblast und wie ihr ständig die Frage zum Schweigen bringt.
Ihr arbeitet vielleicht an euch und macht eine wunderbare Erfahrung, habt eine wichtige Einsicht oder erlebt einen tollen Zustand. Aber woher wißt ihr, daß diese wunderbare Erfahrung genau das ist, was ihr jetzt braucht? Woher wißt ihr, daß das Wissen, das ihr zu bekommen glaubt, eure Probleme lösen wird? Die Flamme muß weiter brennen. Das Feuer der Untersuchung muß genährt werden, muß wachsen, intensiver werden, sich vertiefen. Unser Forschen darf nicht darauf ausgerichtet sein, das Fragen zu reduzieren, sondern es wachsen zu lassen. Die Flamme muß den ganzen Rest wegbrennen, muß zunehmen, bis sie sich selbst dadurch beantwortet, daß sie selbst die Erfüllung wird. Das Feuer dieses Forschens kann alles Unwichtige wegbrennen, den ganzen Widerstand, sämtliche Ideen, die ganzen Ablagerungen der Vergangenheit, damit ihr wirklich sehen könnt, was eigentlich da ist – das ganze Bild im gegenwärtigen Moment, ohne von etwas aus der Vergangenheit oder von der Erfahrung eines anderen Menschen abhängig zu sein. Wenn ihr im jeweiligen Augenblick ohne irgendeinen Einfluß wißt, dann könnt ihr ganz mit eurer eigenen Wahrheit allein sein. Ansonsten ist offensichtlich, daß ihr nicht mit Sicherheit wissen könnt. Nur mit dieser Sicherheit kann Leben bedeutungsvoll werden. Wenn ihr aus euch selbst heraus wißt, wer ihr seid, dann werdet ihr wissen, wohin ihr geht, und ihr werdet erfüllt sein.
Ja, es gibt hier Führung und Hilfe, aber nicht um euch Antworten zu geben, sondern nur um euch zu helfen, selbst zu forschen. Die innere Arbeit, die wir hier machen, ist dazu da, eure eigene innere Entwicklung zu ermutigen, was immer das sein mag, euch zu helfen, mit eurem Forschen allein zu bleiben. Es kann schwierig sein, mit sich selbst allein zu bleiben. Wir werden gewöhnlich nicht darin unterstützt oder dazu ermutigt, unser Sein einfach sein zu lassen, authentisch und nicht eine Imitation oder eine Reaktion zu sein. Ihr könnt offen sein und auf das hören, was andere vorschlagen, aber diese Dinge sind nur Möglichkeiten. Ihr müßt immer noch selbst in der Intimität eures eigenen Herzens forschen. Ist diese Antwort eure eigene Erfahrung, eure Antwort? Ihr müßt vollkommen offen sein und dürft das, was ihr hört, nicht dazu benutzen, euch zu beruhigen. Ihr müßt es benutzen, um eurem Forschen Nahrung zu geben.
Könnt ihr euch selbst ganz intim mit euch selbst, vollkommen unbeeinflußt und unparteiisch sein lassen? Könnt ihr dieses Forschen, diese Flamme, in der Intimität, im äußersten Alleinsein in eurem Inneren brennen lassen?
Vor ein paar Wochen haben wir gefragt: „Warum seid ihr hier?“ Jetzt kommen wir zu einer noch grundlegenderen Frage. „Seid ihr hier?“ Seid ihr wirklich hier in diesem Raum? Ich meine nicht, ob euer Körper hier ist, denn das ist ja ganz offensichtlich der Fall. Aber seid ihr hier? Habt ihr das Gefühl, daß ihr hier in diesem Raum seid? Seid ihr gewahr, daß ihr hier präsent seid, und seid ihr eurer wirklichen Erfahrung in diesem Augenblick gewahr? Oder habt ihr euch in Gedanken, Phantasien, Pläne oder emotionale Reaktionen verloren? Seid ihr hier, oder seid ihr mit Mögen und Nichtmögen beschäftigt? Seid ihr hier, oder seid ihr damit beschäftigt, euch und alles andere zu beurteilen?
Seid ihr jetzt hier, oder versucht ihr, hier zu sein, und strengt euch pro forma an, weil wir gerade darüber sprechen? Seid ihr aller Dinge und eines jeden um euch herum gewahr? Seid ihr eurer Umgebung gewahr, oder habt ihr euch in einen Wirbelwind von Gedanken verloren? Wenn ihr auf die Frage „Seid ihr hier?“ antwortet, kommt es nicht darauf an zu versuchen, gut oder richtig zu sein. Es ist nur wichtig, aufrichtig für euch selbst zu erforschen, ob ihr hier seid oder nicht. Seid ihr in eurem Körper oder geistesabwesend, oder seid ihr seiner nur teilweise gewahr? Wenn ich sage: „Seid ihr in eurem Körper?“, dann meine ich: „Füllt ihr euren Körper vollkommen aus?“ Ich möchte wissen, ob ihr in euren Füßen seid oder nur Füße habt. Lebt ihr in ihnen, oder sind sie einfach Dinge, die ihr gebraucht, wenn ihr geht? Seid ihr in eurem Bauch, oder wißt ihr nur einfach ganz vage, daß ihr einen Bauch habt? Oder ist er einfach nur für das Essen da? Seid ihr wirklich in euren Händen, oder bewegt ihr sie aus der Ferne? Seid ihr in euren Zellen anwesend, präsent, und bewohnt ihr euren Körper und füllt ihn aus? Wenn ihr nicht in eurem Körper seid, welche Bedeutung hat dann in diesem Moment eure Erfahrung? Bereitet ihr euch vor, so daß ihr in der Zukunft hier sein könnt? Stellt ihr Bedingungen, indem ihr euch sagt „Wenn dies und jenes geschieht, dann habe ich Zeit, dann werde ich hier sein“? Wenn ihr nicht hier seid, wofür spart ihr euch dann auf?
Unabhängig von den Geschichten, die ihr euch selbst erzählt – in diesem Moment, genau in diesem Moment, gibt es nur diesen Moment, hier, jetzt. Nichts anderes existiert. Für eure unmittelbare Erfahrung ist nur das Hier und Jetzt relevant. Nur Jetzt ist wirklich. Und so ist es immer. In jedem Augenblick existiert nur dieser Augenblick. Wir müssen uns also fragen, warum wir uns zurückhalten und abwarten, auf den richtigen Zeitpunkt warten, darauf warten, daß in der Zukunft die richtigen Umstände eintreten. Vielleicht kommt nie der richtige Zeitpunkt. Vielleicht werden sich die richtigen Bedingungen, die ihr im Kopf habt, für euch nie alle zugleich einstellen. Wann wollt ihr dann anfangen zu existieren? Wann wollt ihr anfangen, hier zu sein und zu leben? Unabhängig von den Vorstellungen über Vergangenheit und Zukunft, die eure Erfahrung beherrschen, existiert genau in diesem Moment nur dieser Moment, und nur dieser Moment hat eine Bedeutung für euch. Die unmittelbarste und offensichtlichste Tatsache, die in der Erfahrung gegeben ist, ist die, daß dieser Moment, das Hier und Jetzt, alles ist, was existiert. Das ist alles, was es in diesem Moment gibt. Was immer in diesem Moment geschieht, das ist euer Leben. Die Zukunft ist nicht euer Leben, sie kommt nie an. Was wirklich hier ist, ist immer nur dieser Moment.
Könnt ihr euch selbst also sein lassen? Ich schlage euch nicht vor, euch sein zu lassen sollt, damit ihr irgend etwas bekommt oder tut, nicht einmal damit ihr irgend etwas versteht. Ich meine: einfach nur sein. Gebt ihr euch das einfache Privileg zu sein, zu existieren? Warum glaubt ihr, das, was ihr tut, was ihr habt, was ihr bekommt oder nicht bekommt, könne wichtiger sein als einfach hier zu sein? Warum wollt ihr immer etwas bekommen oder irgendwohin gelangen? Warum nicht einfach entspannen und hier sein, einfach in all euren Zellen existieren, euren ganzen Körper bewohnen? Wann werdet ihr euch von euren erhabenen Beschäftigungen herablassen und einfach da landen, wo ihr seid?
Hört auf, nach allen möglichen Dingen zu streben, hört auf zu träumen, Pläne zu schmieden, zu arbeiten, etwas zu erreichen, euch zu bemühen, zu bewegen, hört auf zu manipulieren, zu versuchen etwas zu sein, zu versuchen irgendwohin zu gelangen. Ihr vergeßt das Einfachste und Offensichtlichste, und das ist: hier sein. Wenn ihr nicht in eurem Körper seid, dann verpaßt ihr die Quelle aller Bedeutsamkeit, allen Sinns und aller Befriedigung. Wie könnt ihr Befriedigung empfinden, wenn ihr nicht hier seid? Wir verpassen das, was wir sind, und das ist im wesentlichen Seiendsein (beingness), Existenz. Wenn wir nicht hier sind, existieren wir nur an den Rändern der Wirklichkeit. Wir schätzen einfaches sein nicht genug. Stattdessen legen wir Wert auf das, was wir erreichen wollen oder was wir besitzen wollen. Das ist unser größter Fehler. Das nennt man den „großen Verrat“.
Wir streben immer nach Lust, wir suchen auf viele Weisen unermüdlich nach Glück und verpassen vollkommen die einfachste, grundlegendste Lust, die eigentlich auch die größte Lust ist: einfach hier sein. Wenn wir wirklich präsent sind, dann besteht die Präsenz selbst aus Fülle, Zufriedenheit und seliger Lust.
Unsere Gewohnheiten und unsere Konditionierung lassen uns den größten Schatz, den wir haben, unser Geburtsrecht, vergessen - die Lust und Leichtigkeit der Existenz. Wir denken, wir werden Lust oder Freude haben, wenn wir einen bestimmten Plan ausführen, wenn ein bestimmter Traum wahr wird, wenn uns jemand mag, an dem uns liegt, wenn wir eine wunderbare Reise machen. Diese Haltung ist eine Schmähung dessen, was wir sind. Wir sind die Lust, wir sind die Freude, wir sind die tiefste Bedeutsamkeit und der höchste Wert. Wenn wir das begreifen, dann sehen wir, daß es lächerlich ist zu meinen, wir würden Lust und Freude durch diese äußeren Dinge bekommen, - dadurch, daß wir dieses oder jenes tun, Anerkennung oder Liebe von dieser oder jener Person bekommen. Wir sehen dann, daß wir falsch informiert waren; wir haben vor der falschen Tür gewartet.
Glück, Wertgefühl und Lust sind nicht das Ergebnis von irgendetwas. Diese Qualitäten sind Teil unserer grundlegenden Natur. Wenn wir uns einfach erlauben zu sein, dann sind sie unsere natürliche Erfahrung. Ihr seid das Wertvollste im Universum, aber ihr verhaltet euch so, als wäret ihr das Kümmerlichste, Trivialste, was es gibt. Es gehört wirklich nicht viel dazu, das zu sehen. Haltet einfach diesen Wirbelwind eurer Gedanken an. Laßt zu, daß ihr euch entspannt und einfach da seid. Ihr könnt euch das erlauben, wo immer ihr seid. Ihr müßt nicht auf den Kanarischen Inseln sein, um glücklich sein zu können. Ihr müßt nicht mit jemandem zusammen sein, in den ihr verliebt seid oder der euch liebt, um glücklich zu sein. Wenn ihr eurem Glück Bedingungen auferlegt, dann macht ihr euch selbst schlecht. Natürlich könnt ihr auf den Kanarischen Inseln glücklich sein und auch mit jemandem, den ihr liebt – aber wie steht es mit dem Rest der Zeit?
Erst gebt ihr euch selbst auf, und dann fangt ihr an, nach Befriedigung zu suchen. Ihr habt das Gefühl, daß etwas fehlt; deshalb seid ihr immer auf der Suche, werdet immer hektischer, während nichts von dem, was ihr euch aneignet oder erreicht, euch erfüllt. Zu diesem ganzen Muster kommt es, weil ihr aufgehört habt zu sein. Wenn ihr euch einfach da sein laßt, dann müßt ihr nirgendwohin gehen und nach nichts suchen, weil alles da ist. Es ist nicht so, daß nur bestimmte Menschen damit zufrieden sind, einfach nur zu sein, und andere nicht. Wir alle fühlen uns befriedigt, wenn wir wir selbst sind. Das ist eine Eigenschaft unserer menschlichen Natur. Es gehört zu unserer natürlichen Ausstattung. Es ist die Bedeutung des Menschseins. Alles, was wir tun müssen, ist, uns sein zu lassen.
Wenn ihr euch in diesem Moment einfach fühlt, auch wenn ihr euer Sein vielleicht nicht auf eine volle, befriedigende Weise fühlt, dann werdet ihr ganz natürlich dessen gewahr, was euer Sein blockiert. Was hält mich davon ab, in diesem Moment zu sein? Warum möchte ich woandershin? Warum denke ich dauernd darüber nach, was mich glücklich machen wird? Wir können auf eine natürliche Weise neugierig werden und anfangen, nach und nach die Überzeugungen, Hoffnungen und Ängste aufzudecken, die uns daran hindern, unseres Seins gewahr zu sein.
Wenn wir innehalten und nachdenken, dann erkennen wir, daß Glück nicht etwas ist, das wir irgendwo bekommen können, und auch nicht das Resultat von irgendetwas, das wir unternehmen. Das Gewebe unseres Seiendseins (beingness) an sich ist selbst das, wonach wir eigentlich immer suchen. Wir suchen Lust, Freude, Glück, inneren Frieden, Stärke, Macht. Aber das sind einfach Aspekte unserer Existenz. Unsere Natur, unser Ursprung ist das Kostbarste, was es gibt. Die Existenz an sich ist eine Freude, eine Wonne. Diese Existenz, diese Freude ist das Zentrum der Wirklichkeit, zu jeder Zeit.
Weil wir unseren Ursprung und unsere wahre Natur vergessen, neigen wir dazu, an den Rändern unserer Existenz zu bleiben und uns niemals in unserem Zentrum und von unserem Zentrum aus leben zu lassen. Das ist eine ziemlich tragische Geschichte. Wenn euch Lehrer sagen, daß ihr schlaft oder euch verirrt habt, dann meinen sie, daß ihr von eurer Existenz abgeirrt seid. Ihr schlaft in Bezug auf euer Seiendsein. Aber genau genommen habt ihr euch nicht in dem Sinn verirrt, daß ihr irgendwo anders wart – erst wart ihr verirrt, und jetzt seid ihr hier. Eigentlich wart ihr die ganze Zeit hier. Ihr seid eigentlich immer hier gewesen, aber ihr habt immer woanders gesucht. Euer Seiendsein ist das, was spürt, was schaut, was fühlt.
Wir sind Seiendsein (beingness), nicht ein Gedanke, der auf einen anderen Gedanken folgt. Wir sind etwas viel Fundamentaleres, etwas viel Substantielleres als das. Wir sind ein Seiendsein, eine Existenz, eine Präsenz, die die Gegenwart durchtränkt und unseren Körper füllt. Wir entfernen uns so weit von uns selbst, aber das, wonach wir suchen, ist so nah. Wir richten unsere Aufmerksamkeit dauernd darauf, ob die Situation dem entspricht, was wir wollen, oder nicht. Ist sie gut oder schlecht? Aber die Bedeutung jeder Erfahrung ist unsere reine Präsenz, nichts anderes. Der Inhalt jeder Erfahrung ist einfach eine äußere Manifestation dieser zentralen Präsenz.
Welchen Sinn hat es also zu warten? Worauf genau wartet ihr? Wird euch irgendjemand das geben, was ihr immer gewollt habt? Wird ein Zug vom Himmel kommen und euch tolle Sache bringen? Aber nichts, was je geschehen kann, kann so gut, so kostbar wie das sein, was und wer ihr seid.
Was euch davon abhält zu sein, präsent zu sein, ist nichts als eure Hoffnung auf die Zukunft. Die Hoffnung darauf, daß etwas anders werden wird, läßt euch weiter einer Phantasie von der Zukunft nachjagen. Aber das ist eine Fata morgana, ihr werdet nie dorthin gelangen. Die Fata morgana hält euch davon ab, das Offensichtliche, die Kostbarkeit des Seins, zu sehen. Sie ist ein großer Irrtum, ein großes Mißverständnis dessen, was euch befriedigt. Wenn ihr der Fata morgana folgt, dann lehnt ihr euch selbst ab.
Wenn ihr euch sein laßt, euch in die Wirklichkeit einsinken laßt, kann es allerdings dazu kommen, daß ihr unangenehme Dinge erlebt: aber das sind einfach die Barrieren, die euch daran hindern zu sein. Mit der Zeit, durch die Präsenz, werden sie sich auflösen. Es kann sein, daß ihr Unbehagen, Angst, Verletztheit, verschiedene negative Gefühle verspürt. Das sind die Dinge, denen ihr auszuweichen versucht, indem ihr nicht hier seid. Aber sie sind nur die Ansammlung dessen, was ihr unter den Teppich der Unbewußtheit gekehrt habt; das seid nicht ihr. Das sind die Dinge, denen ihr auf dem Weg zum Seiendsein begegnet und mit denen ihr euch konfrontiert. Wenn wir diese Gefühle anerkennen und verstehen, während wir präsent sind, dann lösen sie sich auf, weil die Vorstellung von uns selbst, auf der sie beruhen, nicht wirklich ist.
Wenn sich die Illusionen auflösen, dann wird das, was wirklich, was eure Natur ist, an die Oberfläche kommen und bleiben. Ihr macht einen Reinigungsprozeß durch, nicht weil Sein selbst beschmutzt ist, sondern weil ihr so viele Annahmen und Meinungen über die Wirklichkeit angesammelt habt. Wenn ihr weiter hofft und euch selbst Geschichten erzählt, dann werdet ihr weiter im Zustand des Schlafes bleiben, weil die Wirklichkeit immer noch so ist, wie sie ist, ob es euch gefällt oder nicht. Die Fata morgana hat sich für euch noch nicht verwirklicht, und das wird sie auch nicht tun, wenn ihr noch länger darauf beharrt. Möchtet ihr, daß es irgendwie anders ist? Könnt ihr euch vorstellen, daß euer Glück von etwas anderem abhängt als von eurer Natur?
Unsere Arbeit hier besteht nicht darin, irgendwohin zu gelangen oder etwas zu erreichen, sondern darin, eurem Sein zu erlauben hervorzutreten. Bewohnt einfach euren Körper. Wir sprechen hier nicht über etwas, das ihr gelegentlich tut, wenn ihr meditiert – und den Rest der Zeit macht ihr dann die wichtigen Dinge in eurem Leben. Tatsächlich denken wir so: „Ich meditiere jetzt, und dann mache ich mit meinem Tag weiter, mache mit meinen wichtigen Terminen weiter.“ Was ist wichtig? Ihr seid wichtig. Ihr müßt nicht irgendetwas Wichtiges tun, um wichtig zu sein. Ihr müßt nicht die Erleuchtung erlangen oder eine edle Tat vollbringen, um eurem Leben Wichtigkeit zu verleihen. Ihr seid. Das ist das Wichtigste, was es gibt. Ihr seid etwas ganz Besonderes, immer. Ihr seid nicht deshalb wichtig, weil jemand denkt, daß ihr etwas Besonderes seid, noch aufgrund irgendwelcher ungewöhnlichen Fähigkeiten oder Leistungen. Ihr seid wichtig aufgrund eurer Natur, ihr könnt nicht anders als wichtig und kostbar sein. Nichts kann das beweisen oder widerlegen.
Ihr seid wichtig, weil es ohne eure wirkliche Präsenz keine Bedeutsamkeit im Leben, keinen Wert im Leben gibt. Wenn ihr eurer Existenz gewahr seid, dann ist die Erfahrung ungetrübte Lust. Diese Lust ist da, unabhängig davon, was ihr tut - den Fußboden schrubben, auf die Toilette gehen, irgendetwas Wunderbares schaffen. Jeder Augenblick ist kostbar und voll gelebt. Ihr seid nicht die Gefühle oder die Gedanken oder der Inhalt eures Bewußtseins. Nichts davon ist das, was und wer ihr seid. Ihr seid die Fülle eures Seins, die Substanz eurer Präsenz.
Vor einiger Zeit habe ich die Frage gestellt: „Warum seid ihr hier?“ Bei einer anderen Gelegenheit habe ich gefragt: „Seid ihr hier?“ Ich weiß nicht, ob ihr bei diesen Fragen geblieben seid und sie für euch selbst untersucht habt. Heute werde ich eine dritte Frage stellen, die eine natürliche Weiterentwicklung dieser Fragen ist: „Wer seid ihr?“
Die Antwort auf diese Frage ist keine Formulierung. Wenn also euer Kopf eine herbeizaubert, dann beachtet sie nicht. Wir werden erforschen, ob es möglich ist, die Frage zu beantworten: „Wer bin ich?“ Ich werde euch keine Antworten geben, aber ich werde euch helfen, die Untersuchung zu führen, indem ich euch Fragen stelle, und ihr könnt sie erforschen, während wir sprechen.
Man sagt immer: „Ich bin ...“ und „Ich möchte ...“; wir wollen also sehen, was „ich“ ist. Wir setzen nicht von vornherein voraus, daß es so etwas wie ein „Ich“ gibt. Wir wollen nicht mit Annahmen beginnen. Wir gehen also nicht davon aus, daß es eine Antwort gibt oder daß es eine einzige Antwort gibt oder daß es keine Antwort gibt. Wir gehen nicht davon aus, daß die Antwort, wenn es eine gibt, in Worten ausgedrückt werden kann. Wir wollen für alle Möglichkeiten offen sein. Wir wollen die Frage in vollkommener Offenheit stellen, bei einer vollkommenen Abwesenheit von Annahmen. Diese Untersuchung wird allein auf unserer Neugier und auf unserem Interesse beruhen, die Wahrheit zu finden. Was ist die Wahrheit, die es hier für euch gibt?
Wenn ihr fragt: „Wer bin ich?“, dann fällt euch vielleicht etwas ein wie: „Ich bin derjenige, der dies und jenes getan hat.“ Oder: „Ich bin einsfünfundachtzig groß.“ oder: „Ich wiege sechundsiebzig Kilo.“ Feststellungen, Bilder und Wahrnehmungen kommen euch vielleicht in den Sinn. Wir sagen nicht, daß ihr all das nicht seid, wir wollen vielmehr erforschen, ob ihr das seid oder nicht.
Wir gehen nicht von der Annahme aus, daß ein Selbst gefunden werden kann, oder daß man es, wenn es gefunden werden kann, beschreiben kann. Wir wollen untersuchen, wer ihr seid - ob es wirklich so etwas gibt, und wenn es so etwas gibt, was es ist und ob man es kennen kann. Ihr denkt wahrscheinlich: „Natürlich habe ich ein Selbst, und ich weiß, was es ist, oder wenn ich es nicht weiß, dann werde ich es eines Tages wissen.“ Ich sage euch also, geht nicht von dieser Annahme aus. Ihr sagt: „Moment mal, was ist dann noch übrig?“ Nichts ist übrig - das ist der Punkt.
Ihr merkt, wir gebrauchen die Wörter „Ich“ und „Selbst“, und wir denken, fühlen und verhalten uns, als gäbe es hier etwas, daß unser „Selbst“ ist. Wir haben schon ein Gefühl oder eine Ahnung, daß es ein „Selbstsein“ (selfhood) gibt, daß es ein „Ichsein“ (me-ness) gibt. Jetzt wollen wir untersuchen, was es mit diesem Gefühl eines Selbst auf sich hat. Was ist dieses Gefühl, eine Person, ein Selbst, eine Identität zu sein? Worauf bezieht ihr euch, wenn ihr sagt: „Ich bin“, „Ich möchte“, „Ich mag“, „Ich mache“ oder „Ich mache nicht“?
Ihr habt in der Vergangenheit vielleicht eine Erfahrung gehabt und dabei das Gefühl gehabt: „Das bin ich.“ Vielleicht hat das gestimmt, vielleicht nicht. Auch wenn es stimmt ist, daß ihr euch damals selbst erkannt habt, habt ihr jetzt vielleicht ein anderes Selbst. Wir wollen wissen, was eure Erfahrung jetzt ist. Wir wollen genau hier sein, genau in diesem Moment. Laßt uns erforschen, was wir glauben, statt es ungeprüft vorauszusetzen. Wenn ihr erfahren habt, was ihr als euer wahres Selbst wahrnehmt, dann kann es leicht sein, daß ihr denkt: „Ich habe mich selbst erfahren und das ist es. Von jetzt an werde ich immer glücklich sein.“ Gut, das kann sein, aber wir wollen wissen, wie es genau jetzt ist. Könnt ihr die Frage mit Bestimmtheit beantworten, ihr selbst in genau diesem Moment, wenn ihr fragt: „Wer bin ich?“
Etwas, das uns bei unserer Untersuchung helfen kann, ist, das Gefühl von „Ich“, das Gefühl eines Selbst, mit dem zu verbinden, was man „Identität“ oder „Identifikation“ nennt. Herausfinden, wer ihr seid, heißt in erster Linie eure Identität finden. Ihr könnt die Verbindung zwischen Identität und Identifikation sehen, wenn ihr eure Erfahrung irgendeines Augenblicks betrachtet und seht, daß ihr euch genau in dem Moment mit etwas identifiziert, daß ihr euch für etwas Bestimmtes haltet. Ihr seid euch dessen, wofür ihr euch haltet, vielleicht nicht bewußt, aber in jedem Moment haltet ihr euch für etwas oder für jemanden.
Wir wollen also untersuchen, für was oder für wen ihr euch in jedem Moment haltet, und es hinterfragen. Seid ihr das wirklich? In jedem Moment gibt es eine Identifikation, in gewissem Sinn das Empfinden eines Selbst: „Ich schaue zu“ oder „Ich sitze“. Wenn ihr „ich“ sagt, dann ist dieses „Ich“ an etwas gebunden. Ist das, woran ihr das „Ich“ festmacht, das, was ihr wirklich seid?
Wenn ihr zum Beispiel meditiert – wer meditiert dann? Wer sitzt in diesem Moment? Seid eurer Erfahrung gewahr. Schaut, ob ihr diese Frage beantworten könnt. Was ist es, woran ihr das „Ich“ festmacht? Wer bin ich, der sitzt? Mit größter Wahrscheinlichkeit werdet ihr sehen, daß ihr das „Ich“ an eurem Körper festmacht. Es ist der Körper, der sitzt. Wenn ihr also sagt „Ich sitze“, sagt ihr dann damit nicht: „Ich bin der Körper“? Ihr haltet euch nicht für ein Gefühl oder eine Wahrnehmung, weil Gefühle nicht sitzen, weil der Geist (mind) nicht spazierengeht. Der einzige Teil, der sitzt, geht und sich bewegt, ist der Körper.
Wir sehen, daß die Identifikation mit dem Körper mächtig und beständig ist. Sie ist viel subtiler und tiefer, als wir uns gewöhnlich vorstellen. Natürlich können sich manche Menschen nichts anderes vorstellen - „Was könnte ich denn sonst sein?“ Es ist nicht leicht, die Identifikation mit dem Körper aufzulösen, weil wir uns unser ganzes Leben lang für unseren Körper gehalten haben. Ich sage nicht, daß ihr irgendetwas tun müßt, um das zu ändern; ihr sollt euch nur bewußt sein, daß das der Fall ist. Seid ihr euch wirklich bewußt, daß ihr glaubt, euer Körper zu sein?