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Ihre Mutter hat sie Eva genannt, damit sie Lust aufs Leben habe; und weil ihr Vater, ein Indio mit gelben Augen, zum Stamm der Söhne des Mondes gehörte, heißt sie Eva Luna. Ihr Lebensweg führt sie aus dem Haus des exzentrischen Ausländers Professor Jones in die Unter- und Halbwelt einer lateinamerikanischen Hauptstadt an der Karibikküste. Turbulente Ereignisse katapultieren das junge Mädchen in ein entlegenes Nest in tropischer Stille, wo sie Frieden, bald aber auch sinnliche Unruhe erlebt. Obwohl sie sich, neben der Liebe, eigentlich nur zum Geschichtenerzählen berufen fühlt, wird sie schließlich lebhaft hineingezogen mitten in die Sphäre politischer Gewalt.
»Die drei Romane markieren Etappen meines Lebens. Das Geisterhaus war Bewältigung meiner Erinnerung. Von Liebe und Schatten nahm mir meinen Haß und meine Wut. Eva Luna ist ein fröhliches Buch.« Isabel Allende
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Seitenzahl: 540
Ihre Mutter hat sie Eva genannt, damit sie Lust aufs Leben habe; und weil ihr Vater, ein Indio mit gelben Augen, zum Stamm der Söhne des Mondes gehörte, heißt sie Eva Luna. Ihr Lebensweg führt sie aus dem Haus des exzentrischen Ausländers Professor Jones in die Unter- und Halbwelt einer lateinamerikanischen Hauptstadt an der Karibikküste. Turbulente Ereignisse katapultieren das junge Mädchen in ein entlegenes Nest in tropischer Stille, wo sie Frieden, bald aber auch sinnliche Unruhe erlebt. Obwohl sie sich, neben der Liebe, eigentlich nur zum Geschichtenerzählen berufen fühlt, wird sie schließlich lebhaft hineingezogen mitten in die Sphäre politischer Gewalt.
»Eva Luna ist ein faszinierendes Feuerwerk aus Erlebtem und Erfundenem, eine farbenprächtige Mischung, genannt ›magischer Realismus‹, nach dem wir so süchtig sind.« stern
Isabel Allende, 1942 in Chile geboren, ging nach Pinochets Militärputsch 1973 ins Exil. Die Erinnerungen ihrer Familie, die untrennbar mit der Geschichte ihres Landes verwoben sind, verarbeitete sie in dem Weltbestseller Das Geisterhaus. Allende zählt zu den meistgelesenen Autorinnen weltweit, ihr gesamtes Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.
Isabel Allende
Eva Luna
Roman
Aus dem Spanischen vonLieselotte Kolanoske
Suhrkamp
Titel der 1987 bei Plaza & Jánes, Barcelona, erschienenen Originalausgabe: Eva Luna
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015
Der vorliegende Text folgt der 14. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 1897.
© Isabel Allende 1987
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1988
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Umschlagfoto: Isolde Ohlbaum
Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt
eISBN 978-3-518-74357-7
www.suhrkamp.de
Und sie sprach zu Scheherazade: »Ich bitte dich bei Allah, o Schwester, erzähle uns eine Geschichte, durch die wir uns die wachen Stunden dieser Nacht verkürzen können!«
(aus Tausendundeine Nacht)
Ich heiße Eva, das bedeutet Leben, wie in einem Buch zu lesen war, in dem meine Mutter nach einem Namen für mich suchte. Ich wurde geboren im hintersten Zimmer eines düsteren Hauses und wuchs auf zwischen alten Möbeln, lateinischen Büchern und menschlichen Mumien, aber das alles konnte mich nicht schwermütig machen, denn ich kam zur Welt mit einem Hauch Urwald in der Erinnerung. Mein Vater, ein Indio mit gelben Augen, war an jenem Ort zu Hause, wo hundert Flüsse zusammenfließen, er roch nach Wald und blickte nie hinauf in den Himmel, denn er war unter der Kuppel der Bäume groß geworden, und das Licht dünkte ihn schamlos. Consuelo, meine Mutter, verbrachte ihre Kindheit in einer verzauberten Region, wo Abenteurer durch die Jahrhunderte hin die Stadt aus purem Gold gesucht hatten – die Konquistadoren hatten sie erblickt, als sie sich über die Abgründe ihrer eigenen Gier gebeugt hatten. Sie war von der Landschaft geprägt, und es gelang ihr, dieses Prägemal auf mich zu übertragen.
Die Missionare lasen sie auf, als sie noch nicht laufen konnte, ein nacktes Tierchen, mit Dreck und Kot besudelt, das über die Anlegestelle kroch wie ein winziger Jonas, den ein Süßwasserwal ausgespien hatte. Als sie es badeten, entdeckten sie, daß dies zweifellos ein Mädchen war, was sie in einige Verwirrung gestürzt haben muß, aber nun war es einmal da, und es in den Fluß zu werfen ging nicht an, also wickelten sie es in eine Windel, um seine Blöße zu bedecken, träufelten ihm Zitronensaft in die eitrig verklebten Augen, um die Infektion zu heilen, und tauften es auf den ersten weiblichen Namen, der ihnen einfiel. Sie nahmen sich seiner Erziehung ohne viel Aufhebens an und suchten nicht lange nach Erklärungen für seine Herkunft, denn sie waren sicher, daß die göttliche Vorsehung, die es am Leben erhalten hatte, bis sie es fanden, auch weiterhin über seine körperliche und geistige Unversehrtheit wachen und es schlimmstenfalls zu anderen Unschuldigen in den Himmel hinaufholen würde.
Consuelo wuchs auf ohne einen festen Platz in der strengen Hierarchie der Mission. Sie war nicht eigentlich Dienstmagd, stand auch nicht auf derselben Stufe wie die Indios in der Schule, und wenn sie fragte, welcher der Ordensbrüder ihr Papa sei, bekam sie für ihre Unverschämtheit eine Ohrfeige. Mir erzählte sie, ein holländischer Seefahrer hätte sie in einem Boot ausgesetzt, aber das ist sicherlich ein Märchen, das sie später erfand, wenn meine bohrenden Fragen ihr lästig wurden. Ich glaube, daß sie in Wirklichkeit nicht wußte, woher sie stammte und auf welche Weise sie an jenen Ort geraten war.
Die Mission war eine kleine Oase inmitten einer üppigen Vegetation, die in sich verflochten und verstrickt bis zum Fuß gewaltiger, wie Irrtümer Gottes in den Himmel ragender geologischer Türme wuchert. Hier hat sich die Zeit in sich selbst gedreht, und die Entfernungen täuschen das Auge und verführen den Reisenden dazu, im Kreis zu gehen. Die dichte, feuchte Luft riecht nach Blumen, modrigem Laub, menschlichem Schweiß und tierischer Ausdünstung. Die Hitze ist drückend, keine lindernde Brise weht, die Steine glühen, und das Blut kocht in den Adern.
Gegen Abend wimmelt die Luft von phosphoreszierenden Moskitos, deren Stiche einem noch lange zu schaffen machen, und in den Nächten hört man das Schilpen der Vögel, das Kreischen der Affen und das ferne Donnern der Wasserfälle, die hoch oben in den Bergen entspringen und mit kriegerischem Gedröhn herabstürzen. Das bescheidene Missionsgebäude aus Stroh und Lehm mit einem hölzernen Turm aus kreuzweise übereinandergefügten Balken und einer Glocke, die zur Messe rief, balancierte wie alle Hütten ringsum auf Pfählen, eingegraben in den Schlamm eines Flusses mit schillernden Wassern, die sich im blendenden Widerschein des Sonnenlichts ins Grenzenlose verloren.
Es muß leicht gewesen sein, Consuelo schon von weitem zu erkennen, mit ihrem langen Haar, rot wie ein Leuchtzeichen in dem ewigen Grün dieser Welt. Ihre Spielkameraden waren ein paar kleine Indios mit vorstehenden Bäuchen, ein frecher Papagei, der das Vaterunser aufsagen konnte, in das er unanständige Schimpfworte mischte, und ein Affe, der an ein Tischbein gekettet war. Hin und wieder band sie ihn los, damit er sich im Wald eine Gefährtin suchte, aber er kam stets zurück, um sich an seinem angestammten Platz die Flöhe aus dem Fell zu pflücken. Zu der Zeit zogen schon die Protestanten im Urwald umher, verteilten Bibeln, predigten gegen den Vatikan und schleppten durch Sonne und Regen auf Karren ihre Klaviere mit, damit die Bekehrten bei Gottesdiensten unter freiem Himmel dazu singen konnten. Diese Konkurrenz verlangte von den Brüdern volle Aufmerksamkeit, sie kümmerten sich kaum noch um Consuelo, die dennoch am Leben blieb, von der Sonne verbrannt, mit Maniok und Fisch kümmerlich ernährt, von Parasiten befallen, von Moskitos zerstochen, frei wie ein Vogel. Zwar mußte sie bei den häuslichen Verrichtungen helfen, sich zu den Messen einfinden und ein paar Stunden Unterricht in Lesen, Rechnen und Katechismus absitzen, aber sonst hatte sie keine Pflichten, und so streifte sie umher, spürte unbekannte Pflanzen auf und jagte den Tieren nach, den Kopf voll von Bildern, Düften, Farben und von Geschichten, die vom jenseitigen Ufer mitgebracht wurden, und von Märchen und Mythen, die der Fluß herbeitrug.
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