Ewige Feinde - Jeffrey Archer - E-Book

Ewige Feinde E-Book

Jeffrey Archer

0,0
10,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach dem Tod seines langjährigen Feindes Miles Faulkner soll William Warwick bei der Londoner Polizei neue Aufgaben übernehmen. Vorher aber begibt er sich mit seiner geliebten Frau Beth auf große Urlaubsreise. Mit dem Schiff setzen die beiden nach New York über, wo sie einige der besten Museen der Welt besuchen wollen. Doch die Überfahrt wird jäh gestört, als der Vorsitzende der Schifffahrtsgesellschaft unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt. Und als wäre das nicht genug, stößt William auf Hinweise, dass Faulkner weiterhin seinen Geschäften nachgeht. War das vermeintliche Begräbnis des genialen Kunstfälschers etwa nur ein Täuschungsmanöver?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 449

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DASBUCH

London: Die Metropolitan Police ruft eine neue Abteilung ins Leben, die sich ungelösten Fällen aus der Vergangenheit annehmen soll. Aber wie überführt man einen Mörder, dessen Spur bereits kalt ist?

Genf: Der berüchtigte Millionär, Kunstsammler und verurteilte Betrüger Miles Faulkner wird für tot erklärt – seltsam nur, dass ein Anwalt die Geschäfte in seinem Namen fortführt.

Atlantik: An Bord einer Luxusfähre mit Kurs auf New York kommt das Oberhaupt einer einflussreichen Familiendynastie ums Leben. Wer hatte seine Finger im Spiel?

Detective Chief Inspector William Warwick muss sein ganzes Können aufwenden, um die Fäden zusammenzuführen.

DERAUTOR

Jeffrey Archer zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Welt. Seine Bücher sind in 97 Ländern erschienen und erreichen eine Gesamtauflage von 275 Millionen Exemplaren.

Archer ist ein akribischer Arbeiter, der von einem einzigen Roman bis zu vierzehn Fassungen zu Papier bringt. Dabei schöpft er aus einem ungeheuren Erfahrungsschatz – seine bewegte Karriere in der Politik kommt ihm ebenso zugute wie seine Begeisterung für die Künste und sein langjähriges Netzwerk an Freunden mit außergewöhnlichen Biografien.

Seit über fünfzig Jahren ist er mit Dame Mary Archer verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne und fünf Enkelkinder. Archer lebt abwechselnd in London, Grantchester in Cambridge und auf Mallorca, wo die erste Fassung jedes seiner Romane entsteht.

Mehr Informationen zum Autor auf heyne.de/archer

JEFFREY ARCHER

EWIGEFEINDE

TEIL 4 DERWARWICK-SAGA

Roman

Aus dem Englischen

übersetzt von Martin Ruf

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe Over my Dead Body erschien 2021 bei HarperCollins, London.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2021 by Jeffrey Archer

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Thomas Brill

Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design

unter Verwendung von Motiven von © Trevillion Images

(CollaborationJS)

Satz: KCFG–Medienagentur, Neuss

ISBN: 978-3-641-29410-6V001

www.heyne.de

Für Jack

1

»Sind Sie ein Detective, Sir?«

William sah zu dem jungen Mann auf, der ihm diese Frage gestellt hatte. »Nein. Ich bin stellvertretender Direktor der Midland Bank in Shoreham, Kent.«

»Dann«, fuhr der junge Mann fort, der nicht überzeugt wirkte, »können Sie mir sicher sagen, was der Umtauschkurs zwischen Dollar und Pfund betrug, als heute Morgen der Markt für Fremdwährungen eröffnet wurde.«

Kurz bevor William am Abend zuvor auf das Schiff gekommen war, hatte er einhundert Pfund in Dollar umgetauscht. Jetzt versuchte er, sich daran zu erinnern, wie viel er für sein Geld bekommen hatte, doch er zögerte zu lange.

»Ein Dollar und vierundfünfzig Cent pro Pfund«, sagte der junge Mann, bevor William antworten konnte. »Also entschuldigen Sie, wenn ich Sie frage, warum Sie nicht zugeben wollen, dass Sie ein Detective sind.«

William legte das Buch, das er gelesen hatte, auf den Tisch vor sich und musterte den jungen, ernsten Amerikaner genauer, der sehr bemüht war, nicht wie ein Kind zu wirken, obwohl er sich noch nicht einmal regelmäßig rasieren musste. Sein Gegenüber kam ihm wie ein Privatschüler vor, der sich aufs College vorbereitete – ein »preppy«.

»Können Sie ein Geheimnis für sich behalten?«, flüsterte er hinter vorgehaltener Hand.

»Ja, natürlich«, sagte der junge Mann, der verletzt klang.

»Dann setzen Sie sich«, sagte William und deutete auf den bequemen Stuhl gegenüber. Er wartete, bis der junge Mann Platz genommen hatte. »Ich mache Urlaub und habe meiner Frau versprochen, dass ich während der nächsten zehn Tage niemandem verraten werde, dass ich bei der Polizei bin. Denn würde ich das tun, liefe ein endloser Strom von Fragen praktisch darauf hinaus, dass es überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen meiner Arbeit und meinem Urlaub gibt.«

»Aber warum haben Sie sich dafür entschieden, zur Tarnung einen Banker zu spielen?«, fragte der junge Mann. »Denn ich vermute, Sie kennen nicht einmal den Unterschied zwischen einer Tabellenkalkulation und einer Bilanz.«

»Meine Frau und ich haben lange darüber nachgedacht, bevor wir uns für den Banker entschieden haben. Ich bin in den Sechzigerjahren in Shoreham aufgewachsen, einer Kleinstadt in England, und der dortige Filialleiter war ein Freund meines Vaters. Also dachte ich, ich könnte ein paar Wochen lang damit durchkommen.«

»Was war noch in der engeren Auswahl?«

»Immobilienmakler, Autoverkäufer und Bestattungsunternehmer. Bei allen waren wir sicher, dass niemand endlose Fragen dazu stellen würde.«

Der junge Mann lachte.

»Welchen Beruf hätten Sie gewählt?«, fragte William, indem er sich bemühte, die Initiative zurückzuerlangen.

»Profikiller. Dann hätte mir auch niemand weitere Fragen gestellt.«

»Ich hätte sofort gewusst, dass das eine Tarnung ist«, sagte William und machte eine wegwerfende Geste. »Denn kein Profikiller hätte mich gefragt, ob ich bei der Polizei bin. Er hätte es bereits gewusst. Was machen Sie in Wirklichkeit, wenn Sie kein Profikiller sind?«

»Ich bin in meinem letzten Jahr auf der Choate in Connecticut, wo wir auf den Besuch einer Uni vorbereitet werden.«

»Wissen Sie schon, was Sie tun wollen, wenn Sie mit der Schule fertig sind? Vorausgesetzt, dass Sie nicht mehr vorhaben, Profikiller zu werden?«

»Ich werde nach Harvard gehen, um Geschichte zu studieren, und später suche ich mir eine Uni für Jura.«

»Woraufhin Sie zweifellos in eine bekannte Anwaltsfirma eintreten werden, wo man Sie in kürzester Zeit zum Juniorpartner machen wird.«

»Nein, Sir. Ich möchte später ein Vertreter des Gesetzes werden. Nach einem Jahr als Redakteur der Law Review werde ich zum FBI gehen.«

»Für jemanden, der so jung ist wie Sie, scheinen Sie Ihre Karriere ganz genau geplant zu haben.«

Der junge Mann runzelte die Stirn. Offensichtlich fühlte er sich wiederum verletzt, weshalb William rasch hinzufügte: »Ich war in Ihrem Alter genauso. Ich wusste schon mit acht Jahren, dass ich Detective werden und bei Scotland Yard landen würde.«

»Warum haben Sie so lange gebraucht?«

William lächelte den aufgeweckten jungen Mann an, der zweifellos die Bedeutung des Wortes »frühreif« kannte, ohne zu begreifen, dass es auf ihn zutraf. Doch William gestand sich ein, dass er als Schuljunge unter demselben Problem gelitten hatte. Er beugte sich vor, streckte die Hand aus und sagte: »Detective Chief Inspector William Warwick.«

»James Buchanan«, erwiderte der junge Mann und schüttelte Williams Hand mit festem Griff. »Darf ich fragen, wie Sie einen so hohen Rang erlangen konnten? Denn wenn Sie in den Sechzigerjahren zur Schule gegangen sind, dann können Sie nicht älter als …«

»Was macht Sie so sicher, dass man Ihnen einen Platz in Harvard anbieten wird?«, sagte William, indem er versuchte, diesen Vorstoß zu parieren. »Sie können nicht älter sein als …«

»Siebzehn«, sagte James. »Ich habe einen Notendurchschnitt von 4,8 und gehöre zu den Klassenbesten, weshalb ich zuversichtlich bin, dass ich bei den Zugangsprüfungen zur Universität gut abschneiden werde.« Er hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Darf ich annehmen, dass Sie es zu Scotland Yard geschafft haben, Chief Inspector?«

»Ja«, sagte William und fühlte wieder festen Boden unter den Füßen.

Zwar war er es gewohnt, von Anwälten der Gegenseite in die Mangel genommen zu werden und nicht von Teenagern, doch er genoss die Begegnung. »Aber wenn Sie so ein kluger Kopf sind, warum haben Sie dann nicht vor, Anwalt zu werden oder in die Politik zu gehen?«

»Es gibt viel zu viele Anwälte in Amerika«, sagte James und zuckte mit den Schultern. »Und die meisten von ihnen enden damit, Rettungswagen hinterherzujagen.«

»Und Politik?«

»Ich käme nicht gut damit zurecht, mit lächelndem Gesicht Idioten ertragen zu müssen, und ich möchte nicht für den Rest meines Lebens von den Launen der Wähler abhängig sein oder mir von Lobbygruppen meine Ansichten diktieren lassen.«

»Wohingegen, falls Sie Direktor des FBI werden sollten …«

»Dann wäre ich mein eigener Herr und direkt dem Präsidenten unterstellt. Und ich würde ihm nicht immer sagen, was ich vorhabe.«

William lachte den jungen Mann an, der offensichtlich nicht an Selbstzweifeln litt.

»Und Sie, Sir«, sagte James, der inzwischen entspannter klang, »sind Sie dabei, Commissioner der Metropolitan Police zu werden?« William zögerte. »Sie glauben ganz eindeutig, dass diese Möglichkeit besteht«, fuhr James fort, bevor William antworten konnte. »Darf ich Sie noch etwas fragen?«

»Ich kann mir nicht vorstellen, was Sie aufhalten sollte.«

»Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Eigenschaften eines erstklassigen Ermittlers?«

William dachte eine Weile lang über die Frage nach, bevor er antwortete. »Natürliche Neugierde«, sagte er schließlich. »Sodass man sofort in der Lage ist, etwas zu entdecken, das sich nicht ganz richtig anfühlt.«

James nahm einen Stift aus der Innentasche seiner Jacke und begann, Williams Worte auf die Rückseite der Alden Daily News zu notieren.

»Ebenso sollten Sie fähig sein, Verdächtigen, Zeugen und Kollegen die richtigen Fragen zu stellen. Vermeiden Sie es, Vermutungen anzustellen. Und vor allem müssen Sie geduldig sein. Was auch der Grund dafür ist, warum Frauen oft die besseren Polizisten sind als Männer. Und schließlich müssen Sie in der Lage sein, alle Ihre Sinne zu benutzen – Sehvermögen, Gehör, Tastsinn, Geruch und Geschmack.«

»Ich bin nicht sicher, ob ich Sie ganz verstehe.«

»Was wahrscheinlich sonst noch nie vorgekommen ist«, erwiderte William. Er bereute seine Worte sofort, doch sein Gegenüber lachte zum ersten Mal. »Schließen Sie die Augen«, sagte William. Er wartete kurz und fügte dann hinzu: »Beschreiben Sie mich.«

Der junge Mann nahm sich Zeit für seine Antwort. »Sie sind dreißig, höchstens fünfunddreißig. Etwa einen Meter fünfundachtzig groß, blondes Haar, blaue Augen, um die achtundsiebzig Kilo. Fit, aber nicht so fit wie früher. Irgendwann vor längerer Zeit hatten Sie eine schwere Schulterverletzung.«

»Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich nicht mehr so fit bin wie früher?«, fragte William in defensivem Ton.

»Sie haben um die drei Kilo Übergewicht, und da dies der erste Tag Ihrer Reise ist, können Sie dem endlosen Strom an Mahlzeiten, der üblicherweise auf einem Schiff serviert wird, nicht die Schuld dafür geben.«

William runzelte die Stirn. »Und die Verletzung?«

»Die obersten beiden Knöpfe Ihres Hemds sind offen, und als Sie sich vorgebeugt haben, um mir die Hand zu geben, habe ich unmittelbar unter Ihrer linken Schulter eine verblasste Narbe bemerkt.«

William erinnerte sich wie so oft an seinen Mentor, Constable Fred Yates, der ihm das Leben gerettet und dabei sein eigenes geopfert hatte. Die Polizeiarbeit war nicht immer so romantisch, wie einige Autoren einen glauben machen wollten. Rasch wandte er sich einem anderen Thema zu. »Welches Buch lese ich gerade?«

»Unten am Fluss von Richard Adams. Und bevor Sie fragen, Sie sind auf Seite einhundertdreiundvierzig.«

»Und meine Kleider? Was verraten die Ihnen?«

»Ich muss gestehen«, erwiderte James, »dass diese ein ziemliches Rätsel für mich sind. Ich bräuchte mehrere Fragen, bevor ich eine Antwort riskieren könnte und das auch nur, wenn Sie mir die Wahrheit sagen würden.«

»Nehmen wir an, ich bin ein Krimineller, der Ihre Fragen erst beantwortet, nachdem er seinen Anwalt angerufen hat.«

James zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Das wäre für sich genommen bereits ein Hinweis.«

»Warum?«

»Es würde darauf schließen lassen, dass Sie zuvor schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, und wenn Sie die Telefonnummer Ihres Anwalts auswendig wissen, dann trifft diese Schlussfolgerung auch ganz gewiss zu.«

»Okay. Nehmen wir an, ich habe keinen Anwalt, aber genügend Fernsehserien gesehen, um zu wissen, dass ich keine Ihrer Fragen beantworten muss. Was konnten Sie herausfinden, ohne mir eine Frage zu stellen?«

»Ihre Kleidung ist nicht teuer, wahrscheinlich von der Stange gekauft, und doch reisen Sie erster Klasse.«

»Was schließen Sie daraus?«

»Sie tragen einen Ehering, also könnte Ihre Frau reich sein. Oder vielleicht arbeiten Sie gerade an einem besonderen Auftrag.«

»Keines von beidem«, sagte William. »Das ist der Punkt, an dem das bloße Beobachten endet und die eigentliche Ermittlungsarbeit beginnt. Aber nicht schlecht.«

Der junge Mann öffnete die Augen und lächelte. »Ich denke, jetzt bin ich an der Reihe, Sir. Bitte schließen Sie die Augen.«

William schien überrascht, führte das Spiel jedoch fort.

»Beschreiben Sie mich.«

»Aufgeweckt, selbstbewusstes Auftreten und zugleich unsicher.«

»Unsicher?«

»Schon möglich, dass Sie zu den Besten Ihrer Klasse gehören, aber Sie sind trotzdem eifrig bemüht, andere zu beeindrucken.«

»Was habe ich an?«, fragte James.

»Ein weißes Hemd mit Button-down-Kragen, möglicherweise von Brooks Brothers. Dunkelblaue Shorts, weiße Baumwollsocken und Turnschuhe von Puma, obwohl Sie nur selten – wenn überhaupt – ins Fitnessstudio gehen.«

»Wie können Sie sich dessen so sicher sein?«

»Als Sie auf mich zugekommen sind, habe ich gesehen, dass Sie Ihre Füße nach außen stellen. Wären Sie ein Sportler, würden sie gerade nach vorn zeigen. Wenn Sie mir nicht glauben, schauen Sie sich die Fußabdrücke von olympischen Läufern auf der Aschenbahn an.«

»Irgendwelche besonderen Kennzeichen?«

»Sie haben ein winziges Muttermal unter Ihrem linken Ohr, das Sie zu verstecken versuchen, indem Sie Ihr Haar lang wachsen lassen, obwohl es geschnitten werden muss, wenn Sie zum FBI gehen.«

»Beschreiben Sie das Bild hinter mir.«

»Ein Schwarz-Weiß-Foto dieses Schiffes, der Alden, die am dreiundzwanzigsten Mai 1977 den Hafen von New York verlässt. Sie wird von einer Flottille kleinerer Schiffe begleitet, was darauf schließen lässt, dass es sich um ihre Jungfernfahrt handelt.«

»Warum heißt das Schiff Alden?«

»Das ist eine Frage, die sich nicht auf eine Beobachtung bezieht«, sagte William, »sondern auf Wissen. Wenn die Antwort für mich wichtig wäre, könnte ich sie später immer noch herausfinden. Weil der erste Eindruck oft täuscht, sollten Sie sich nicht auf Vermutungen einlassen. Aber wenn ich raten müsste – was man als Ermittler nicht tun sollte –, würde ich, da das Schiff zur Pilgrim Line gehört, vermuten, dass Alden der Name eines der ursprünglichen Pilger war, die 1620 mit der Mayflower von Plymouth nach Amerika gekommen sind.«

»Wie groß bin ich?«

»Sie sind drei Zentimeter kleiner als ich, aber wenn Sie aufgehört haben zu wachsen, werden Sie drei Zentimeter größer sein. Sie wiegen um die fünfundsechzig Kilo und haben gerade erst angefangen, sich zu rasieren.«

»Wie viele Menschen sind an uns vorbeigekommen, seit Sie die Augen geschlossen haben?«

»Eine Mutter mit zwei Kindern, eines davon ein kleiner Junge, der Bobby heißt, beide Amerikaner. Und einen Augenblick später einer der Schiffsoffiziere.«

»Woher wissen Sie, dass es ein Offizier war?«

»Ein Deckhelfer, der in die andere Richtung ging, nannte ihn ›Sir‹. Darüber hinaus ein älterer Herr.«

»Woher wissen Sie, dass er alt war?«

»Er hat einen Gehstock benutzt, und es hat eine Weile gedauert, bis das Klopfen des Stocks gegen den Boden verklungen war.«

»Ich bin so gut wie blind«, sagte James, als William die Augen öffnete.

»Nicht im Geringsten«, sagte William. »Jetzt bin ich an der Reihe, dem Verdächtigen ein paar Fragen zu stellen.« Mit konzentriertem Gesicht setzte sich James kerzengerade hin. »Ein guter Ermittler sollte sich immer auf Fakten verlassen und nichts als gegeben hinnehmen, weshalb ich als Erstes herausfinden muss, ob Fraser Buchanan, der Vorstandsvorsitzende der Pilgrim Line, Ihr Großvater ist.«

»Ja, das ist er. Und mein Vater Angus ist der stellvertretende Vorsitzende.«

»Fraser, Angus und James. Das deutet auf eine schottische Herkunft.« James nickte. »Zweifellos gehen die beiden davon aus, dass auch Sie zu gegebener Zeit Vorstandsvorsitzender werden.«

»Ich habe ihnen bereits klargemacht, dass das nicht geschehen wird«, sagte James, ohne zu zögern.

»Nach allem, was ich über Ihren Großvater gelesen oder gehört habe, ist er es gewohnt, seinen Willen durchzusetzen.«

»Stimmt«, erwiderte James. »Aber manchmal vergisst er, dass wir aus demselben Stall kommen«, fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu.

»Ich hatte dasselbe Problem mit meinem Vater«, gestand William. »Er ist Strafverteidiger und Kronanwalt. Er war stets davon überzeugt, dass ich ebenfalls Anwalt werden und mit ihm gemeinsam vor Gericht – at the bar – plädieren würde, obwohl ich ihm schon sehr früh gesagt habe, dass ich Kriminelle hinter Gitter bringen und nicht exorbitante Honorare dafür kassieren wollte, ihnen eine Gefängnisstrafe zu ersparen.«

»George Bernard Shaw hatte recht«, erklärte James. »Uns trennt eine gemeinsame Sprache. Bar bedeutet für Sie Gerichte und Anwälte. Für einen Amerikaner bedeutet es hohe Hocker und Hochprozentiges.«

»Ein geschickter Krimineller wird stets versuchen, das Thema zu wechseln«, sagte William. »Doch ein erfahrener Ermittler wird niemals zulassen, dass er den Faden verliert. Sie haben nicht auf meine Frage geantwortet, was Ihr Großvater davon hält, dass Sie nicht vorhaben, eines Tages das Unternehmen zu leiten.«

»Ich fürchte, mein Großvater ist schlimmer als Ihr Vater«, sagte James. »Er hat bereits gedroht, mich aus seinem Testament zu streichen, wenn ich nach meinem Studium in Harvard nicht in das Unternehmen eintrete. Aber solange meine Großmutter noch am Leben ist, würde sie nie zulassen, dass so etwas geschieht.«

William lachte leise.

»Ich hoffe, dass das nicht zu aufdringlich ist, Sir, aber würden Sie mir vielleicht gestatten, auf dieser Reise etwa eine Stunde am Tag mit Ihnen zu verbringen?«, fragte James. Sein Selbstbewusstsein schien plötzlich verschwunden.

»Es würde mich freuen. Morgens etwa um diese Zeit würde mir passen, denn dann ist meine Frau in ihrem Yogakurs. Es gibt nur eine Bedingung: Sollten Sie sie jemals zufällig treffen, dürfen Sie ihr nicht verraten, worüber wir gesprochen haben.«

»Und worüber habt ihr gesprochen?«, fragte Beth, die plötzlich neben den beiden auftauchte.

James sprang auf. »Über den Goldpreis, Mrs. Warwick«, sagte er mit ernster Miene.

»Dann werden Sie sehr schnell festgestellt haben, dass mein Gatte nur sehr wenig von diesem Thema versteht«, sagte Beth und schenkte dem jungen Mann ein warmherziges Lächeln.

»Ich wollte James gerade sagen«, erwiderte William, »dass meine Frau viel klüger ist als ich, weshalb sie auch Kuratorin der Gemälde im Fitzmolean Museum ist, während ich ein bloßer Detective Chief Inspector bin.«

»Der jüngste in der Geschichte der Met«, sagte Beth.

»Sollten Sie jedoch gegenüber meiner Frau das Wort Met benutzen, würde sie annehmen, dass Sie über eines der besten Museen der Welt sprechen und nicht über die Londoner Polizei.«

»Ich war so froh, dass es Ihnen gelungen ist, den Vermeer zurückzubekommen«, sagte James, indem er sich an Beth wandte.

Jetzt war es Beth, die überrascht war. »Ja«, brachte sie schließlich heraus. »Und glücklicherweise kann er nicht noch einmal gestohlen werden, weil der Dieb tot ist.«

»Miles Faulkner«, sagte James, »der in der Schweiz an einem Herzanfall gestorben ist.«

William und Beth sahen einander an, sagten jedoch kein Wort.

»Sie haben sogar die Beerdigung besucht, Chief Inspector. Wahrscheinlich um sich selbst davon zu überzeugen, dass er tot ist.«

»Wie können Sie nur so etwas wissen?«, fragte William, nachdem er sich wieder gefasst hatte.

»Ich lese jede Woche den Spectator und den New Statesman, die mich über die Ereignisse in Großbritannien auf dem Laufenden halten, und dann versuche ich, mir eine Meinung dazu zu bilden.«

»Daran zweifle ich nicht im Geringsten.«

»Ich freue mich, Sie morgen wiederzutreffen, Sir«, sagte James. »Es wird mich dann sehr interessieren herauszufinden, ob Sie es für möglich halten, dass Miles Faulkner noch am Leben ist.«

2

Als Miles Faulkner kurz nach acht am folgenden Morgen durch den Speisesaal des Savoy schlenderte, sah er, dass sein Anwalt bereits an seinem gewohnten Tisch Platz genommen hatte. Niemand achtete auf ihn, als er sich zwischen den anderen Gästen zu ihm hindurchschlängelte.

»Guten Morgen«, sagte Booth Watson und blickte zu seinem Mandanten auf, einem Menschen, den er nicht mochte und dem er nicht vertraute. Doch Faulkner war der Einzige, der ihm einen Lebensstil ermöglichte, den jemals zu erreichen nur wenige seiner Anwaltskollegen hoffen konnten.

»Guten Morgen, BW«, erwiderte Miles, als er sich ihm gegenübersetzte.

Sogleich erschien ein Kellner mit aufgeschlagenem Notizblock und erhobenem Stift. »Was wünschen die Gentlemen an diesem Morgen?«, fragte er.

»Ein komplettes englisches Frühstück«, sagte Miles, ohne einen Blick auf die Speisekarte zu werfen.

»Und für Sie das Übliche, Sir?«

»Ja«, bestätigte Booth Watson, während er seinen Mandanten genauer betrachtete. Er musste sich eingestehen, dass der Schweizer Schönheitschirurg erstklassige Arbeit geleistet hatte. Niemand hätte in ihm den Mann wiedererkannt, der aus dem Gefängnis geflohen, zu seiner eigenen Beerdigung erschienen und kürzlich von den Toten auferstanden war. Der Mensch, der ihm gegenübersaß, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem erfolgreichen Unternehmer, welcher einst eine der großen privaten Kunstsammlungen besessen hatte, sondern sah vielmehr genauso wie ein pensionierter Marinekapitän und Veteran des Falklandkrieges aus, der auf den Namen Ralph Neville hörte. Doch wenn William Warwick jemals herausfinden sollte, dass seine alte Nemesis noch am Leben war, würde er nicht ruhen, bis dieser Mann wieder hinter Gittern saß. Für Warwick ginge es um etwas Persönliches bei diesem Mann, der seinen Fängen entkommen und die Metropolitan Police zum Narren gehalten hatte. Ein Mann, der …

»Warum wollten Sie mich so dringend sprechen?«, fragte Miles, nachdem der Kellner sich zurückgezogen hatte.

»Eine Journalistin aus dem Investigativteam der Sunday Times hat gestern angerufen und mich gefragt, ob ich etwas über einen Raffael wüsste, der kürzlich bei Christie’s verkauft wurde und sich hinterher als Fälschung herausgestellt hat.«

»Was haben Sie ihr gesagt?«, fragte Miles nervös.

»Ich habe ihr versichert, dass das Original aus der Privatsammlung des verstorbenen Miles Faulkner stammt und immer noch in der Villa seiner Witwe in Monte Carlo hängt.«

»Nicht mehr lange«, vertraute Miles seinem Anwalt an. »Nachdem Christina herausgefunden hatte, dass sie doch keine Witwe ist, blieb mir keine andere Wahl, als die gesamte Sammlung an einen sichereren Ort zu bringen, bevor die Bilder ihr in die Hände fallen würden.«

»Und wo wäre das?«, erkundigte sich Booth Watson, der sich fragte, ob er wohl eine ehrliche Antwort bekommen würde.

»Ich habe einen Ort gefunden, an dem es keine Nachbarn gibt, die mich ausspionieren könnten, und an dem die Einzigen, die in der Lage wären, mich mit ihrem Schmutz zu überziehen, ein paar vorüberfliegende Möwen sind«, war alles, was Miles dazu sagte.

»Freut mich zu hören, denn ich glaube, es könnte klug sein, England für ein paar Wochen zu verlassen, bevor Sie wieder als Captain Neville auftreten. Der Zeitpunkt könnte nicht günstiger sein, denn Chief Inspector Warwick und seine Frau genießen gerade ihren Urlaub in New York.«

»Einen Urlaub, den Christina für sie organisiert hat, um sicherzustellen, dass sie keinen Schaden anrichten, wenn meine Frau und ich zum zweiten Mal heiraten.«

»Aber ich dachte, Beth Warwick würde Christinas Brautjungfer werden?«

»Das sollte sie tatsächlich, aber das war, bevor Christina herausgefunden hat, warum ich es mir nicht leisten kann, an Bord der SSAlden gesehen zu werden.«

»Sie müssen zugeben, dass Ihre Ex-Frau manchmal von Nutzen für Sie sein kann«, sagte Booth Watson, »und eine dieser Gelegenheiten besteht darin, dass Sie sich der engen Beziehung bedienen können, die Christina mit Mrs. Warwick aufgebaut hat.«

»Ehrlich gesagt, BW, wäre es noch besser, wenn Christina niemals herausgefunden hätte, dass ich noch am Leben bin. Also erklären Sie mir bitte, warum ich diese verdammte Frau ein zweites Mal heiraten soll.«

»Weil es am Ende alle Ihre Probleme lösen wird«, sagte Booth Watson. »Vergessen Sie nicht, dass sie der einzige Mensch ist, der Chief Inspector Warwick im Auge behalten kann, ohne dass er jemals misstrauisch werden würde.«

»Aber was ist, wenn sie die Seiten wechselt?«, fragte Miles.

»Das ist unwahrscheinlich, solange Sie es sind, der die Macht über das Geld hat.«

Miles wirkte nicht überzeugt. »Das wäre nicht mehr so, wenn die Öffentlichkeit erfährt, wer Captain Ralph Neville in Wirklichkeit ist, und ich wieder im Gefängnis lande.«

»Christina würde immer noch zuerst an mir vorbeimüssen, und dann würde sie sehr schnell herausfinden, auf welcher Seite ich stehe.«

»Aber Sie haben schließlich keine Wahl«, sagte Miles. »Denn Sie würden der Anwaltskammer erklären müssen, warum Sie während der letzten Jahre einen flüchtigen Kriminellen vertreten haben, von dem Sie durchaus wussten, dass er Ihr ehemaliger Mandant war.«

»Was ein Grund mehr ist«, sagte Booth Watson, »dafür zu sorgen, dass Christina ein bindendes Dokument unterzeichnet, das dafür sorgen wird, dass sie, sollte sie die Vereinbarung brechen, genauso viel zu verlieren hätte wie jeder von uns.«

»Und sorgen Sie dafür, dass sie diese Vereinbarung unterschreibt, bevor sie Captain Neville heiratet – und auf jeden Fall, bevor die Warwicks nach Blighty zurückkehren.«

»Blighty?«, sagte Booth Watson.

»So pflegt Captain Neville sich auszudrücken, alter Junge«, sagte Miles, der sich dabei anhörte, als sei er ganz zufrieden mit sich. »Wann werden Sie Christina treffen?«

»Morgen früh habe ich in der Kanzlei einen Termin mit ihr, bei dem ich die Vereinbarung Punkt für Punkt mit ihr durchsprechen und sie besonders auf die Konsequenzen hinweisen will, die sich ergeben würden, falls sie nicht unterschreibt.«

»Gut. Denn sollte sie jemals auf die Idee kommen, sie könnte sich meine Kunstsammlung unter den Nagel reißen, indem sie einfach ihrer Freundin Beth erzählt, dass Miles Faulkner noch am Leben und putzmunter ist …«

»Dann würden Sie in Pentonville frühstücken und nicht im Savoy.«

»Falls es so weit kommen sollte«, sagte Miles, »würde ich nicht zögern, sie umzubringen.«

»Das habe ich ihr bereits unmissverständlich klargemacht«, sagte Booth Watson, als der Kellner mit ihrem Frühstück kam. »Obwohl ich gestehen muss, dass ich das in der schriftlichen Vereinbarung nicht ganz so explizit formuliert habe.«

»Ein komplettes englisches Frühstück, Madam?«

»Ganz gewiss nicht, Franco«, sagte Beth mit einem Blick auf das Namensschild auf der Jacke des Kellners. »Wir beide nehmen Cornflakes mit Melone und etwas braunen Toast.«

»Wir können Ihnen drei Arten von Melonen anbieten, Madam. Galiamelonen, Honigmelonen oder Wassermelonen.«

»Wassermelone, vielen Dank«, sagte William.

»Eine kluge Wahl«, sagte Beth. »Ich habe irgendwo gelesen, dass ein Gast auf einer Kreuzfahrt durchschnittlich ein Kilo pro Tag zunimmt.«

»Dann wollen wir dankbar dafür sein«, sagte William, »dass wir nach New York fahren und nicht nach Sydney.«

»Ich wäre ganz zufrieden damit, in diesem schwimmenden Palast nach Sydney zu schippern«, gestand Beth, während sie sich im Saal umsah. »Sind dir die Kleinigkeiten aufgefallen, für die man hier überall so aufmerksam sorgt? Jeden Tag frische Decken, Tischtücher und Stoffservietten. Und wenn man in die Kabine zurückkehrt, ist das Bett bereits gemacht und die Kleider vom Tag zuvor aufgehängt und verstaut. Außerdem mag ich es, wie jeden Tag unsere Wäsche in kleinen Weidenkörben zurückgebracht wird. Es muss Dutzende Mitarbeiter geben, die sich Tag und Nacht geradezu sklavisch damit abmühen, dass alles so reibungslos läuft.«

»Achthundertdreißig Filipinos arbeiten unter Deck, Madam«, sagte der Kellner und lachte leise. »Sie sorgen für unsere eintausendzweihundert Gäste. Heutzutage verfügen wir allerdings über einen Maschinenraum, weshalb die Galeerensklaven nicht mehr rudern müssen.«

»Und der Mann, der am Kopfende des Tisches in der Mitte des Saals sitzt, hat die Oberaufsicht über die Sklaven?«, fragte Beth.

»Ja, das ist Captain Buchanan«, sagte Franco, »der, wenn er nicht gerade Sklaven auspeitscht, Vorstandsvorsitzender der Pilgrim Line ist.«

»Captain Buchanan?«, erkundigte sich William.

»Ja. Der Vorsitzende hat im Zweiten Weltkrieg als Marineoffizier gedient. Es interessiert Sie vielleicht zu erfahren, dass er ein Freund des verstorbenen Miles Faulkner und dessen Frau Christina ist, die, wie der Zufall so will, uns angerufen und uns mitgeteilt hat, dass Sie beide ihre Plätze einnehmen würden. Außerdem hat sie darum gebeten, dass wir uns besonders um Sie kümmern.«

»Tatsächlich?«, sagte William.

»Ist das die Frau des Vorsitzenden, die am anderen Ende des Tisches sitzt?«

»Ja, Madam«, antwortete Franco. »Mr. und Mrs. Buchanan sind fast immer die Ersten, die zum Frühstück kommen«, fügte er hinzu, bevor er sich zurückzog, um ihre Bestellung zu bearbeiten.

»Er sieht nicht weniger beeindruckend aus als Miles Faulkner«, sagte Beth, die den Vorsitzenden genauer betrachtete. »Obwohl er seine Talente offensichtlich dazu verwandt hat, etwas viel Wertvolleres zu erreichen, als seine Mitmenschen zu berauben.«

»Fraser Buchanan wurde 1921 in Glasgow geboren«, sagte William. »Er verließ die Schule mit vierzehn und ging als Deckhelfer zur Handelsmarine. Als der Krieg ausbrach, wurde er der Royal Navy als Matrose zugeteilt, doch er brachte es schon bald bis zum Leutnant auf der HMSNelson. Obwohl er 1945 zum Kapitän befördert wurde, quittierte er wenige Tage nach Kriegsende den Dienst. Er kehrte nach Schottland zurück und kaufte eine kleine Fähre, die Passagiere und Fahrzeuge zwischen dem Festland und der Insel Iona transportierte. Jetzt besitzt er eine Flotte von sechsundzwanzig Schiffen, und die Pilgrim Line wird, was Größe und Ansehen betrifft, nur noch von Cunard übertroffen.«

»Diese Informationen hat dir zweifellos der junge James geliefert, während ich in meinem Yogakurs war«, sagte Beth mit fragendem Unterton.

»Nein. Man kann die Geschichte des Unternehmens im Ship’s Log nachlesen, das ich auf meinem Nachttisch gefunden habe«, antwortete William, als Franco ihnen zwei Schalen Cornflakes sowie zwei Scheiben Wassermelone und Toast servierte.

»Wer ist das, der gerade neben Mrs. Buchanan Platz genommen hat?«, flüsterte William.

»Seien Sie nachsichtig mit meinem Mann«, sagte Beth. »Er ist ein Detective, und für ihn ist das Leben eine endlose Ermittlung.«

»Das ist Hamish Buchanan«, sagte Franco, »der älteste Sohn des Vorsitzenden. Bis vor Kurzem hatte er den stellvertretenden Vorsitz des Unternehmens inne.«

»Bis vor Kurzem?«, entgegnete William überrascht. »Aber er kann keinen Tag älter als vierzig sein.«

»Benimm dich«, sagte Beth.

»Wenn man der Presse glauben darf«, gestand Franco, »wurde er bei der letzten Jahreshauptversammlung durch seinen Bruder Angus ersetzt. Angus ist gerade hereingekommen, zusammen mit seiner Frau Alice und ihrem gemeinsamen Sohn …«

»James«, sagte William.

»Ah«, sagte Franco. »Sie haben den Wunderknaben bereits kennengelernt.«

»Und die Dame, die gerade zur Linken von Mr. Buchanan Platz genommen hat? Mir ist aufgefallen, dass sie sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, den Vorsitzenden zu begrüßen.«

»Das ist Mr. Hamishs Frau Sara.«

»Warum ist sie bereit, eine solche Reise zu machen, wenn ihr Mann gerade gefeuert wurde?«, fragte Beth.

»Ersetzt durch seinen Bruder Angus, lautet die offizielle Formulierung«, erwiderte Franco und schenkte ihr eine Tasse dampfend heißen schwarzen Kaffee ein. »Und da Mr. Hamish immer noch einer der Direktoren des Unternehmens ist, gehen alle Beteiligten davon aus, dass er an der Vorstandssitzung teilnehmen wird, die traditionell am letzten Tag der Reise stattfindet.«

»Sie scheinen bemerkenswert gut informiert, Franco«, sagte William.

Franco äußerte sich nicht dazu und ging weiter zum nächsten Tisch.

»Wie unterhaltsam diese Reise doch geworden ist«, sagte Beth. Sie unterdrückte ein Gähnen, während sie noch immer zum Tisch des Vorsitzenden hinübersah. »Ich frage mich, wer die Frau ist, die sich den anderen gerade angeschlossen hat.«

»Du bist schlimmer als ich«, sagte William. Er beobachtete, wie James und Hamish sich erhoben und eine ältere Frau am Tisch Platz nahm. »Sie scheint etwa so alt zu sein wie der Vorsitzende, und da beide rotes Haar haben, wäre ich nicht überrascht, wenn sie seine Schwester wäre.« William fuhr fort, die Sitzordnung zu studieren, wobei ihm auffiel, dass der Vorsitzende den anderen ihre Plätze sorgfältig zugeteilt hatte, um dafür zu sorgen, dass er stets die Kontrolle behielt.

»Du kannst jederzeit James fragen, wer sie ist, während ich in meinem Yogakurs bin, aber vergessen wir die Familie Buchanan für einen Augenblick. Ich möchte dir nämlich sagen, was ich für unsere Woche in New York geplant habe.«

»Ich vermute, das Met steht ganz oben auf deiner Liste«, sagte William, »und ich bin sicher, dass mehr als ein Besuch nötig sein wird.«

»Drei«, sagte Beth. »Alles vor 1850 am Sonntag. Die Kunst der amerikanischen Ureinwohner am Montag, und am Mittwoch möchte ich die Impressionisten-Sammlung sehen. Tim Knox hat mir versichert, nur das Musée d’Orsay besitzt eine noch bessere.«

»Puh! Bekommen wir wenigstens am Dienstag und am Donnerstag einen Boxenstopp?«, fragte William, nachdem er einen Schluck Kaffee getrunken hatte.

»Auf keinen Fall. Am Dienstag werden wir die Frick Collection besuchen, wo …«

»Wir ein bemerkenswertes Holbein-Porträt von Thomas Cromwell und Bellinis Der heilige Franziskus in Entrückung sehen werden.«

»Manchmal vergesse ich, dass du ein Höhlenmensch mit einer profunden Halbbildung bist.«

»Was ich neben der Universität meiner Frau zu verdanken habe«, sagte William. »Und am Donnerstag?«

»Geht es weiter zum MoMA. Eine Gelegenheit, die besten Beispiele des Kubismus zu sehen: Picasso und Braque. Dann finden wir auch heraus, ob du beide voneinander unterscheiden kannst.«

»Stehen ihre Namen nicht unten auf den Bildern?«, neckte sie William.

»Das ist für Touristen, mit denen wir an den Abenden nichts zu tun haben werden.«

»Mit wem bekommen wir es dann zu tun?«

»Wir haben Karten für das Lincoln Center. Das New York Symphony Orchestra spielt Brahms.«

»Das muss das zweite Klavierkonzert in B-Dur sein«, sagte William. »Eines deiner Lieblingsstücke.«

»Aber ich habe auch eines deiner Lieblingsstücke nicht vergessen«, erwiderte Beth. »Denn am Freitagabend, einen Tag vor unserer Rückreise, haben wir Karten für Ella Fitzgerald in der Carnegie Hall.«

»Wie hast du das geschafft? Der Auftritt muss seit Monaten ausverkauft sein!«

»Christina hat sich darum gekümmert. Sie kennt jemanden aus dem Verwaltungsrat.« Beth hielt kurz inne, bevor sie hinzufügte: »Ich fange an, mich wegen ihr schuldig zu fühlen.«

»Warum? Sie hatte einen guten Grund, diese Reise nicht anzutreten: Sie wird Captain Neville heiraten und war hocherfreut, jemanden zu finden, der im letzten Augenblick ihren Platz übernehmen konnte.«

»Es ist die Heirat, wegen der ich mich schuldig fühle. Vergiss nicht, dass sie mich ursprünglich gebeten hat, ihre Brautjungfer zu sein. Aber weil wir ihr großzügiges Angebot angenommen haben, verpasse ich die Hochzeit.«

»Kam dir das nicht wie ein merkwürdiger Zufall vor?«

»Eigentlich nicht. Der fünfzehnte August war der einzige Samstag vor Ende September, an dem die beiden in Christinas Gemeindekirche in Limpton-in-the-Marsh heiraten konnten, weshalb sie die Tickets für diese Reise übrig hatte. Wir sollten einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen.«

William kam zu dem Schluss, dass das nicht der richtige Zeitpunkt war, um Beth zu sagen, dass es ihn nur einen Anruf gekostet hatte, um herauszufinden, dass Christinas Gemeindekirche den beiden auch vierzehn Tage früher zur Verfügung gestanden hätte, woraufhin es ihr und Captain Ralph Neville problemlos möglich gewesen wäre, ihre Flitterwochen auf dem Schiff zu verbringen. Hätte er sich jedoch geweigert, die Reise gemeinsam mit Beth zu unternehmen, um Christina und ihren neuen Ehemann genauer im Auge behalten zu können, wäre es sehr gut möglich gewesen, dass seine Frau ohne ihn mit dem Schiff in den Sonnenuntergang gefahren wäre.

»Hast du bemerkt, dass Sara Buchanan kein Wort mit dem Vorsitzenden gesprochen hat, seit sie sich gesetzt hat?«, fragte Beth, die noch immer zum Tisch der Familie hinübersah.

»Vielleicht weil er ihren Mann als stellvertretenden Vorsitzenden gefeuert hat«, erwiderte William, während er etwas Butter auf seine zweite Scheibe Toast strich.

»Und was ist dir denn so aufgefallen, während du so getan hast, als würdest du mir zuhören?«

»Hamish Buchanan ist in ein Gespräch mit seiner Mutter vertieft, während James so tut, als habe er kein Interesse daran, obwohl er auf jedes Wort achtet.«

»Wovon er dir zweifellos in allen Einzelheiten berichten wird, nachdem du ihn für diese Reise als deinen verdeckten Ermittler rekrutiert hast.«

»James hat sich diesen Posten selbst verschafft, und als Enkel des Vorsitzenden ist er in einer hervorragenden Position, um mir einen endlosen Strom an Insider-Informationen zu liefern.«

»Für einen Mann sind es Informationen«, sagte Beth. »Für eine Frau ist es Tratsch.«

»James hat mir bereits anvertraut, dass er nicht überrascht wäre, wenn während der Reise ein Riesenstreit ausbrechen würde«, fügte William hinzu, indem er Beths Bemerkung ignorierte.

»Ich wäre zu gerne ein Salzstreuer auf diesem Tisch«, gestand Beth.

»Benimm dich, oder ich nehme den jungen Mann genauer unter die Lupe, der deinen Yogakurs leitet.«

»Er heißt Stefan. Alle anderen Frauen in mittlerem Alter aus dem Kurs schwärmen von ihm«, seufzte sie. »Weshalb meine Chancen nicht besonders gut stehen.«

»Du bist keine Frau mittleren Alters«, sagte William und nahm ihre Hand.

»Danke, Höhlenmensch. Aber nur für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt hast: Ich habe meinen dreißigsten Geburtstag schon zwei Mal gefeiert, und die Zwillinge kommen bald in den Kindergarten.«

»Ich frage mich, wie unsere Eltern mit ihnen zurechtkommen.«

»Dein Vater wird mit Artemisia verschiedene Straftaten begehen …«

»Während deine Mutter Peter das Zeichnen beibringt.«

»Die Kinder haben wirklich Glück«, erklärten beide gleichzeitig.

»Trotzdem sollten wir jetzt in die Gegenwart zurückkehren«, bemerkte Beth und griff nach den täglich neu gedruckten Nachrichten über die Schiffsveranstaltungen. »Im Auditorium gibt es heute Morgen einen Vortrag, den ich mir gerne anhören würde.«

William hob eine Augenbraue.

»Lady Catherine Whittaker über die Opern von Puccini.«

»Ich glaube fast, das schenke ich mir. Wobei es sich um die Frau von Mr. Justice Whittaker handeln könnte«, sagte William und sah sich im Saal um. »Es wäre faszinierend, ein wenig mit ihm zu plaudern.«

»Und heute Abend gibt es im Theater eine weitere Veranstaltung«, fuhr Beth fort. »Diesmal tritt Lazaro auf, ein Zauberer, der sein Publikum anscheinend zu schockieren und zu überraschen versteht, denn er lässt vor aller Augen Gegenstände und sogar Passagiere verschwinden. Wir könnten entweder in die Vorstellung um sieben oder in die um neun gehen.«

»Wann möchten Sie zum Dinner kommen?«, fragte Franco, als er an ihren Tisch zurückkehrte und ihnen jeweils eine zweite Tasse Kaffee einschenkte.

»Um welche Zeit erscheinen der Vorsitzende und seine Familie üblicherweise am Abend?«

»Gegen halb neun, Sir. Sie nehmen dann einen Cocktail, bevor sie zu speisen beginnen.«

»Dann essen wir ebenfalls um diese Zeit.«

»Was hast du vor?«, fragte Beth und musterte ihren Mann genauer.

»Ich habe das Gefühl, dass es dabei mehr Schocks und Überraschungen geben wird und sogar vielleicht mehr Menschen vor unseren Augen verschwinden werden, als Lazaro das im Theater zuwege bringt.«

3

Booth Watson erhob sich hinter seinem Schreibtisch, als seine Besucherin widerwillig das Büro betrat. Mrs. Christina Faulkner nahm ihm gegenüber Platz, ohne dem Anwalt ihres Mannes die Hand zu geben.

Booth Watson betrachtete die elegant gekleidete Dame, die elf Jahre lang mit seinem Mandanten verheiratet gewesen war.

Die beiden hatten zahllose Affären gehabt, lange bevor Christina die Scheidung in die Wege leitete. Nachdem Miles wegen des Diebstahls eines Caravaggios verurteilt und inhaftiert worden war, schien es Christina, als habe sie eine stärkere Position gewonnen; später glaubte sie, mit seinem Tod alles verloren zu haben. Doch auch diese Einschätzung sollte sich noch einmal ändern, als sie bei der Beerdigung erschien und herausfand, dass ihr vermeintlich verstorbener Ehemann noch am Leben war und sich mit ihr in irgendeiner Weise einigen musste, wenn er auch weiterhin als tot gelten wollte. Man musste Christina nicht sagen, dass durch dieses Ereignis die Karten noch einmal völlig neu gemischt wurden.

Die glückliche Witwe hatte ebenfalls herausgefunden, dass es sogar besser war, wenn Miles Faulkner – oder Captain Ralph Neville, in den er sich inzwischen verwandelt hatte – noch lebte, denn so bekam sie den Zugriff auf mindestens die Hälfte von Miles’ märchenhafter Kunstsammlung, auf welche sie zuvor in der ursprünglichen Scheidungsvereinbarung verzichtet hatte.

Booth Watson war sich durchaus bewusst, dass er sich auf unsicherem Terrain bewegte, aber er hatte noch immer ein Ass im Ärmel: Christinas Liebe zum Geld.

»Ich dachte, wir sollten uns darüber unterhalten, was nach der Hochzeit geschehen wird, Mrs. Faulkner«, sagte Booth Watson.

»Darf ich fragen, was Sie und Miles in meinem Interesse beschlossen haben?«, fragte Christina.

»Es sollte eigentlich keine größeren Unterschiede zur gegenwärtigen Situation geben«, erwiderte Booth Watson, der den höhnischen Unterton ignorierte. »Sie werden Ihr Haus auf dem Land behalten und ebenso die Wohnung in Belgravia. Nur Monte Carlo wird in Zukunft für Sie tabu sein.«

»Er hat jemand anderen gefunden, nicht wahr?«

Einen anderen Ort, hätte Booth Watson ihr mitteilen können, doch das gehörte nicht zu seinen Anweisungen. »Sie werden auch weiterhin zweitausend Pfund pro Woche für Ihre Ausgaben erhalten und können Ihre Haushälterin, Ihr Dienstmädchen und Ihren Chauffeur behalten.«

»Und haben Sie beide auch schon entschieden, wo Sie meine Flitterwochen verbringen werden?«, fragte Christina, die sich keine Mühe gab, ihren Sarkasmus zu verbergen.

»Miles wird während der nächsten Monate nur wenig Zeit in England verbringen, weshalb Sie beide eine reine Zweckehe führen werden. Ich habe in diesem Sinne eine bindende Vereinbarung aufgesetzt, die für Sie zur Unterschrift bereitliegt. Denken Sie stets daran, dass Sie für Ihr Schweigen mehr erhalten, als Sie jemals hoffen konnten. Sie brauchen sich nicht die Mühe machen, das Dokument zu lesen, denn es wird keine Veränderungen geben.«

»Dann werden wir also nicht zusammenleben?«, fragte Christina, wobei sie sich bemühte, schockiert zu klingen.

»Das war nie vorgesehen, wie Sie sehr wohl wissen. Miles hat nichts dagegen, wenn Sie Ihren gegenwärtigen Lebensstil so weiterführen wie bisher. Aber er bittet Sie, in Zukunft etwas diskreter vorzugehen und bereit zu sein, ihn zu Veranstaltungen, die man als offiziell bezeichnen könnte, als Mrs. Ralph Neville zu begleiten.«

»Und wenn ich nicht bereit bin zu unterschreiben?«, sagte Christina und lehnte sich zurück, obwohl Booth Watson bereits den Deckel von seinem Füllfederhalter streifte, die letzte Seite der Vereinbarung aufschlug und auf die betreffende Zeile deutete.

»Dann werden Sie vollkommen mittellos sein und in einem Obdachlosenheim enden.«

»Während Miles lange Zeit im Gefängnis verbringen wird. Es sei denn …«

»Es sei denn?«, wiederholte Booth Watson.

»Es sei denn, er gibt mir die zusätzliche Million, die mir in der ursprünglichen Scheidungsvereinbarung versprochen wurde. Ich muss Sie nicht daran erinnern, Mr. Booth Watson, dass Miles tot ist. Genau wie Sie war ich in Genf bei seiner Beerdigung zugegen, wo mich Ihre Trauerrede sehr berührt hat. Sollte die Polizei herausfinden, dass es sich nicht um seine Asche handelt, die mir von einem willfährigen Priester ausgehändigt wurde, wird es sehr viel mehr als eine Million sein, die er am Ende wird opfern müssen. Sollte Miles sich jedoch nicht in der Lage sehen, Wort zu halten, können Sie den Hochzeitskuchen zurückschicken und den Caterer absagen.«

Ein langes Schweigen folgte, während jeder darauf wartete, dass der andere blinzelte.

»Und erinnern Sie ihn daran, dass ich noch immer seine Asche habe, die nichts Geringeres als meine Lebensversicherung darstellt, sollte er nicht liefern.«

»Lebensversicherungen zahlen üblicherweise nur, wenn man stirbt.«

»Ich habe die Urne in meinem Testament Detective Inspector Warwick vermacht, was Miles helfen dürfte, zu einer Entscheidung zu gelangen.«

»Sie sollten vorsichtiger sein«, sagte William, als er sich in einer Nische dem Nachwuchsdetektiv gegenübersetzte. »Wenn ich ein Profikiller wäre, wüsste ich genau, wo ich Sie um diese Tageszeit finden würde, wodurch es für mich viel leichter wäre, Sie zu erledigen. Wenn Sie ein guter Ermittler werden wollen, können Sie es sich nicht leisten, ein Gewohnheitstier zu sein. In Zukunft, James, erwarte ich von Ihnen, dass Sie mich finden. Und ich werde nie zwei Mal am selben Ort sein.«

»Aber es ist nicht gerade wahrscheinlich, dass sich ein Profikiller an Bord eines Luxusliners aufhält.«

»Es sei denn, sein Opfer ist auf dem Weg nach New York, womit wir über zweitausend Verdächtige hätten.«

»Ich habe gesehen, wie Sie heute Morgen mit Ihrer Frau gefrühstückt haben«, sagte James, der mit ihrer Unterhaltung vorankommen wollte.

»Gehen Sie niemals von Vermutungen aus«, sagte William. »Eröffnen Sie jede Ermittlung mit einer leeren Seite.«

»Aber Sie haben sie mir als Ihre Frau vorgestellt.«

»Das beweist überhaupt nichts.«

»Sie trug einen Ehering.«

»Man hat schon von verheirateten Frauen gehört, die eine Affäre haben.«

»Ich glaube nicht, dass eine Geliebte Ihr Frühstück für Sie bestellt hätte«, gab James zurück, indem er den Kampf aufnahm.

»Eine plausible Überlegung, aber nicht jenseits vernünftiger Zweifel, wie man bei uns wortwörtlich sagt. Wie lautet der entsprechende juristische Ausdruck in Amerika?«

»Nach Abwägung aller Umstände«, erwiderte James. »Mir ist ebenfalls aufgefallen, dass Ihre Frau mehr an unserem Tisch interessiert schien als an ihrem eigenen«, fuhr er fort. Er ließ nicht zu, dass William das Thema wechselte.

»Das nennt man Ehe«, sagte William und lachte leise. »Aber ich muss zugeben, dass sie Ihre Familie bereits in die Figuren eines Schauerromans verwandelt hat, nachdem unser Kellner ihr dazu einige saftige Einzelheiten liefern konnte.«

»Franco«, sagte James. »Er bedient seit mehr als dreißig Jahren auf den Schiffen meines Großvaters. Niemand kennt das Unternehmen oder die Familie besser. Mein Großvater hat ihm einen Posten als Oberkellner auf der Pilgrim, unserem Flaggschiff, angeboten, aber er hat den Vorschlag des alten Mannes abgelehnt.«

»Warum sollte er so etwas tun?«, fragte William.

»Er hat mir gesagt, er wolle den Kontakt mit den Passagieren nicht verlieren, aber ich vermute, es ist wahrscheinlicher, dass er nicht auf die Trinkgelder verzichten will, die er auf jeder Fahrt bekommt.« James hielt kurz inne. »Ich glaube nicht, dass Franco sein richtiger Name ist, und er ist sicherlich auch kein geborener Italiener.«

»Der Beweis?«, forderte William ihn auf.

»Gelegentlich verschwindet sein Akzent, und einmal habe ich ihn nach seiner Meinung über Caruso gefragt, und es war offensichtlich, dass er von dem großen Tenor nie gehört hat.«

»Das ist ein ausreichender Grund für einen Verdacht, aber kein Beweis. Obwohl ich glaube, dass er tatsächlich etwas verheimlicht.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Diesen bestimmten Blick, wenn jemand hört, dass ich bei der Polizei bin, habe ich früher schon gesehen.«

»Er saß eine kurze Zeit im Gefängnis, bevor er zum Unternehmen kam«, sagte James. »Aber das weiß nicht einmal mein Großvater.«

»Wie haben Sie es herausgefunden?«

»Ich habe früher einmal eine Reise gemacht, die in Southampton begann, und er bat darum, einem anderen Tisch zugeteilt zu werden.«

»Konnten Sie aufklären, warum?«

»Einer der Passagiere kam aus einem Ort namens Hackney, und ich sah, dass er Franco wiedererkannte. Ich habe dafür gesorgt, dass er und seine Frau im Austausch gegen Informationen für einen Abend am Kapitänstisch sitzen durften. Nicht einmal Franco weiß, dass ich es weiß. Aber vergessen Sie nicht, auch mein Großvater ist nur dank der Gnade Gottes heute noch so munter. Auch bei ihm stand es manchmal ziemlich knapp, und dazu kommt noch ein Erscheinen vor Gericht, bei dem die Geschworenen zu dem Schluss kamen, die Vorwürfe seien ›nicht bewiesen‹.«

»Ein nicht gerade subtiles schottisches Urteil. Üblicherweise bedeutet es, dass der Richter und die Geschworenen kaum einen Zweifel daran hegen, dass der Angeklagte schuldig ist, die Beweise für eine Verurteilung aber nicht ausreichen. Wenn man jedoch die Höhen erklimmen will, die Ihr Großvater erreicht hat, muss man, so vermute ich, wahrscheinlich das eine oder andere Risiko eingehen, besonders wenn man mit nichts anfängt.«

»Großvater begann sogar mit weniger als nichts. Als sein Vater starb, ließ er eine Frau und zwei Kinder mit Schulden um die einhundert Pfund zurück. Stellen Sie sich nur mal vor, wie viel Geld das heute wäre. Sie hat Jahre gebraucht, um die Summe zurückzuzahlen, was wahrscheinlich auch der Grund dafür war, warum sie so früh gestorben ist.«

»Und es erklärt vielleicht auch, warum er so streng zu seinen Kindern ist.«

»Der Beweis?«, forderte James ihn auf, indem er seinen Lehrer nachahmte.

»Franco hat mir gesagt, dass Ihr Onkel Hamish kürzlich bei der Jahreshauptversammlung als stellvertretender Vorsitzender des Unternehmens entlassen wurde. Um fair zu sein, ich glaube, er hat das Wort ›ersetzt‹ benutzt.«

»Das weiß jeder«, erwiderte James. »Die Presse auf beiden Seiten des Atlantiks hat ausführlich darüber berichtet. Ich habe gehört, wie mein Vater zu meiner Mutter gesagt hat, dass nur die Gesetze gegen Verleumdung die Zeitungen daran gehindert haben, alle Einzelheiten der Geschichte zu veröffentlichen.«

Franco erschien mit einem Tablett Kaffee und heißer Schokolade.

»Soll ich dem Chief Inspector die Geschichte darüber erzählen, wie mein Vater stellvertretender Vorsitzender wurde, Franco?«, fragte James, als eine Tasse heißer Schokolade vor ihm auf den Tisch gestellt wurde.

»Solange Sie mich aus dem Spiel lassen«, erwiderte Franco und verschwand noch schneller, als er aufgetaucht war.

»Ich bezweifle, dass Sie oder Ihr Vater die ganze Geschichte kennen«, sagte William. »Ich vermute, der Vorsitzende hat Geheimnisse, die er mit ins Grab nehmen möchte.«

»Großtante Flora dürfte die ganze Geschichte kennen«, sagte James zuversichtlich.

»Großtante Flora?«, fragte William und ließ ihren Namen in der Luft hängen – in der Hoffnung, den jungen Mann zu noch größeren Indiskretionen zu verführen.

»Nachdem Großvater zur Handelsmarine gegangen war, wurde seine Schwester Flora das erste Mitglied unserer Familie, das eine Universität besucht hat. Nachdem sie in Glasgow ihr Examen in Mathematik gemacht hatte, studierte sie Rechnungswesen und schloss als Beste ihres Jahrgangs ab. Oder besser gesagt: Es hieß, sie gehöre zu den Besten. Anscheinend schafften ihre Dozenten es nicht, sich einzugestehen, dass eine Frau fähiger sein konnte als jeder Mann, der damals bei ihnen seine Prüfung machte. All das geschah etwa zu der Zeit, als Großvater aus der Royal Navy entlassen wurde, nachdem er König und Vaterland mit Auszeichnung gedient hatte – woran er uns ständig erinnert. Dann brachte er irgendwie genügend Geld zusammen, um, wie er sich ausdrückte, ein klappriges Fährunternehmen zu kaufen, das Fahrzeuge und Passagiere vom Festland zur Insel Iona transportierte.«

»Ich selbst bin auf einem dieser Boote gefahren«, sagte William.

»Großtante Flora sagte ihm, dass sie ihn für verrückt hielt, aber da es nicht viele Firmen gab, die Frauen nach dem Krieg eine ernsthafte Anstellung boten, trat sie nach einigem Zögern in das Unternehmen ein und kümmerte sich um die Bücher. Ihre Lieblingsbemerkung lautet bis heute: ›Er hat die Pfund aufgebracht, und ich habe mich um die Pennys gekümmert.‹ Doch trotz ihrer angeborenen Vorsicht und ihres ausgeprägten gesunden Menschenverstandes wäre das Unternehmen bei mehr als einer Gelegenheit fast untergegangen.«

»Welcher Selfmade-Millionär hatte irgendwann in seiner Karriere dieses Problem denn nicht?«

»Bei einer Gelegenheit trennten Großvater nur vierundzwanzig Stunden von der Bankrotterklärung, und er hätte sie in der Tat abgegeben, wenn die Dundee Bank of Trade and Commerce ihm nicht zu Hilfe gekommen wäre. Nicht einmal ich habe herausgefunden, wie er das geschafft hat. Nur eines weiß ich mit Sicherheit: Als sein erstes Kreuzfahrtschiff auf dem Clyde gebaut wurde, konnte er irgendwann die Löhne der Dockarbeiter nicht mehr bezahlen, und sie drohten mit Streik. Er hat mir einmal erzählt, dass er eine ganze Woche lang nicht schlafen konnte, und dieser Mann hat während jeder Nacht der Atlantikschlacht tief und fest geschlafen.«

»Ich habe alles über die Rolle, die er bei diesem Feldzug gespielt hat, im Ship’s Log gelesen.«

»Auf das man sich nicht verlassen sollte«, sagte James, womit er gleichsam eine Andeutung machte.

»Warum nicht?«, fragte William interessiert.

»Großvater hat es selbst geschrieben. Oder, um genauer zu sein: Sollte ich vor Gericht aussagen müssen, würde ich erklären, dass er jedes Wort davon seiner Privatsekretärin Kaye Patterson diktiert hat.«

»Bei der es sich, wie ich annehme, um die Dame handelt, die beim Frühstück neben Ihnen saß.«

»Nicht schlecht, Chief Inspector. Aber wenn ich Ihnen sagen würde, dass mein Großvater zwei Sekretärinnen hat, von denen nur eine korrekt schreiben kann und die andere nicht, welche wäre dann Kaye?«

»Diejenige, die es kann.«

»Was macht Sie so sicher?«

»Ihre Großmutter schien sich angeregt mit ihr zu unterhalten, was sie offensichtlich genossen hat«, sagte William gerade, als Franco wieder bei ihnen erschien.

»Möchten die Herren noch etwas?«, fragte er.

»Nein, vielen Dank, Franco«, antwortete James.

»Warum will Franco, dass die Passagiere glauben, er sei aus Italien?«, fragte William, nachdem der Kellner gegangen war.

»Er hat mir einmal gesagt, dass er bessere Trinkgelder bekommt, wenn die Passagiere glauben, er sei Italiener.«

»Mir war nicht klar, dass man den Mitarbeitern Trinkgelder geben soll«, sagte William ein wenig verlegen.

»Erst wenn wir in New York anlegen«, beruhigte ihn James. »Man wird in Ihrer Kabine kleine braune Umschläge hinterlegen, die für Ihr Zimmermädchen und Ihren Kellner gedacht sind. Üblich sind jeweils einhundert Dollar, es sei denn, Sie finden, dass die beiden ihre Arbeit ganz besonders gut erledigt haben.«

»Sie bewundern Ihren Großvater, nicht wahr?«, sagte William, der James nicht so schnell vom Haken lassen wollte.

»Hemmungslos. Er ist der Grund, warum ich sicher davon ausgehen kann, einen Platz in Harvard zu bekommen.«

»Wegen seines Geldes und seiner Verbindungen?«

»Nein, auf die werde ich nicht zurückgreifen. Sondern auf etwas viel Wichtigeres. Ich habe seine Energie und seinen Kampfgeist geerbt, obwohl mir sein unternehmerisches Genie fehlt.«

»Ich vermute, er hofft immer noch darauf, dass Sie eines Tages Vorstandsvorsitzender des Unternehmens werden. Dann sollte die Möglichkeit bestehen, sein unternehmerisches Genie in sichere Hände zu legen.«

»Das wird nie geschehen. Mein Vater mag ihm durchaus auf seinem Weg folgen. Ich nicht.«

»Wie sieht Ihr Onkel Hamish die ganze Sache?«

»Er glaubt, er hat immer noch eine Chance, Vorstandsvorsitzender zu werden, denn sonst würde er sich nicht ständig hier herumdrücken und sich und seine Frau dadurch erniedrigen, dass er uns auf dieser Reise begleitet.«

»Ist es so schlimm?«

»Schlimmer. Ich glaube, er würde alles tun, um zu verhindern, dass mein Vater den Vorsitz übernimmt. Und wenn nicht er, dann zweifellos Tante Sara.«

»Aber Ihr Großvater hat seine Einstellung in dieser Frage doch absolut deutlich gemacht, indem er Hamish als stellvertretenden Vorsitzenden durch Ihren Vater ersetzt hat.«

»Sicher, aber vergessen Sie nicht, dass Onkel Hamish noch immer im Vorstand sitzt, und niemand weiß, auf welche Seite sich Großtante Flora begeben wird, wenn es an der Zeit ist, den nächsten Vorsitzenden vorzuschlagen. Gut möglich, dass ihre Stimme den Ausschlag gibt. Wobei ich jedoch noch nie gehört habe, wie Großvater die Worte ›in Pension gehen‹ über die Lippen gekommen sind.«

»Warum wissen Sie so viel darüber, was vor sich geht? Sie sind doch nur …«

»Ein Schuljunge? Das ist noch so etwas, das ich zu meinem Vorteil genutzt habe. Als ich herangewachsen bin, war meinen Eltern nicht klar, dass ich auf jedes Wort geachtet habe, das von ihnen am Frühstückstisch gesprochen wurde. Aber seit Kurzem sind sie alle viel vorsichtiger geworden, besonders Onkel Hamish, weshalb ich in Zukunft viel subtiler vorgehen muss. Und da kommen Sie ins Spiel.«

Wieder war William überrascht, aber er musste James nicht nach dessen Plänen fragen.

»Ich werde Ihnen alles berichten, was ich über meine Familie weiß, wenn Sie mir zeigen, wie ich es für mich verwenden kann. Ihr Wissen und Ihre Erfahrung werden mich in die Lage versetzen, Onkel Hamish stets einen Schritt voraus zu sein.«

»Aber warum wollen Sie sich diese Mühe machen, wenn Sie kein Interesse daran haben, in das Unternehmen einzutreten?«

»Ich möchte immer noch, dass mein Vater der nächste Vorsitzende wird, damit ich eines Tages Besitzer der Pilgrim Line sein werde.«

»Sie können ›hinterhältig‹ zu den Eigenschaften hinzufügen, die Sie von Ihrem Großvater geerbt haben«, sagte William und schenkte James ein warmes Lächeln.

»Vielleicht. Aber trotzdem muss ich gerissener sein als mein Onkel Hamish und verschlagener als Tante Sara, wenn ich überhaupt eine Chance haben soll, das Unternehmen zu erben. Sie sollten nicht vergessen, dass auch die beiden Kinder haben, die nur wenige Jahre jünger sind als ich.«

»In diesem Fall sollten Sie nicht mehr wie ein Detective denken, sondern wie ein Krimineller.«

4

»Sie hat was verlangt?«, fragte Miles, als der Kellner ihnen beiden dampfend heißen Kaffee einschenkte.

»Die Million, die ihr in der ursprünglichen Scheidungsvereinbarung zugesagt worden war«, antwortete Booth Watson.

»Aber unglücklicherweise bin ich gestorben, bevor die Vereinbarung unterzeichnet wurde.«