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Das große Finale der internationalen Bestseller-Saga!
William Warwick, der aus bestem Hause kommt, ist von einem Wunsch erfüllt: In seinem Streben nach Gerechtigkeit möchte er die Karriereleiter des britischen Polizeiapparats durchlaufen – vom einfachen Streifenbeamten bis zum Commissioner.
Im siebten Band der Saga um William Warwick zieht der internationale Bestsellerautor Jeffrey Archer wieder alle Register.
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Seitenzahl: 500
Veröffentlichungsjahr: 2025
William Warwick, der aus bestem Hause kommt, ist von einem Wunsch erfüllt: In seinem Streben nach Gerechtigkeit möchte er die Karriereleiter des britischen Polizeiapparats durchlaufen – vom einfachen Streifenbeamten bis zum Commissioner.
Im siebten Band der Saga um William Warwick zieht der internationale Bestsellerautor Jeffrey Archer wieder alle Register.
JEFFREYARCHER zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Welt. Seine Bücher sind in 97 Ländern erschienen und erreichen eine Gesamtauflage von 275 Millionen Exemplaren. Archer ist ein akribischer Arbeiter, der von einem einzigen Roman bis zu vierzehn Fassungen zu Papier bringt. Dabei schöpft er aus einem ungeheuren Erfahrungsschatz – seine bewegte Karriere in der Politik kommt ihm ebenso zugute wie seine Begeisterung für die Künste und sein langjähriges Netzwerk an Freunden mit außergewöhnlichen Biografien. Seit über fünfzig Jahren ist er mit Dame Mary Archer verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne und fünf Enkelkinder. Archer lebt abwechselnd in London, Grantchester in Cambridge und auf Mallorca, wo die erste Fassung jedes seiner Romane entsteht.
Mehr Informationen zum Autor auf heyne.de/archer
JEFFREY ARCHER
AUGE UM AUGE
TEIL 7 DER WARWICK-SAGA
Aus dem Englischen übersetzt
von Martin Ruf
WILHELMHEYNEVERLAG
MÜNCHEN
Die Originalausgabe An Eye for an Eye erschien 2024 bei HarperCollins, London.
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Vollständige deutsche Erstausgabe 02/2025
Copyright © 2024 by Jeffrey Archer
Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Thomas Brill
Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design
unter Verwendung von Motiven von © Arcangel (Collaboration JS, Roy Bishop)
Satz: KCFG-Medienagentur, Neuss
ISBN: 978-3-641-32468-1V001
www.heyne.de
Alison Prince
(1963 – 2023)
Simon Winchcombe Henry Howard Hartley sah den Premierminister zum ersten Mal an jenem Morgen und seinen Vater zum letzten Mal in jener Nacht.
Dazu kam es folgendermaßen.
Während der letzten zweihundert Jahre hatten die männlichen Mitglieder der Familie entweder den geistlichen Stand gewählt und ihre Tage als Bischöfe beendet oder waren Mitglieder des Unterhauses geworden, um schließlich einer Regierung als Minister der Krone beizutreten.
Simons Vater, der Sehr Ehrenwerte John Hartley PCKBEMC, war keine Ausnahme dieser Regel und beendete seine Karriere als Innenminister, bevor er als Lord Hartley of Bucklebury einen Sitz im Oberhaus erhielt. Seine Gattin Sybil war zunächst und vor allem Hausfrau und Mutter, die sich gelegentlich wohltätigen Aufgaben widmete, was von der Gemahlin eines Hartley durchaus erwartet wurde. Als Sybil ihren Sohn Simon zur Welt brachte – alle Kinder der Hartleys wurden nach Jüngern Jesu benannt –, nahmen beide an, dass er der Familientradition folgen und entweder Bischof oder Minister einer Regierung werden würde. Wenn er das getan hätte, wäre diese Geschichte nie geschrieben worden.
Doch Simon Hartley, ihr einziges Kind, zeigte schon sehr früh keinerlei Interesse an der Familientradition, als er im Alter von elf Jahren ein Stipendium der North London Grammar School erhielt, obwohl man ihm einen Platz in Harrow, der Alma Mater der Familie, angeboten hatte. Nach Beendigung der Schule schrieb er sich am King’s College in London ein, um Jura zu studieren, anstatt das King’s College in Cambridge zu besuchen, um Vorlesungen in Religion oder Politikwissenschaften zu hören.
Als Simon drei Jahre später seinen Abschluss machte, ließ er eine weitere Gewohnheit der Hartleys hinter sich, indem er das erste Familienmitglied wurde, das sein Examen mit Auszeichnung bestand, anstatt, wie üblich, nur mit »gut« oder gelegentlich sogar nur mit »befriedigend«. Und als sei das noch nicht genug, zog Simon, nachdem er die Universität verlassen hatte, nach Boston, wo er sich einem Haufen Kolonialisten in einer Einrichtung anschloss, die als Harvard Business School bezeichnet wurde und von der sein Vater nicht wusste, ob sie seine Wertschätzung verdiente.
Nachdem er zwei Jahre später in jenem anderen Cambridge seinen Abschluss gemacht hatte, kehrte er in seine Heimat zurück, wo man ihm in der City of London Dutzende Posten anbot. Schließlich begann er als Praktikant in der Kestrals Bank, wo man ihm ein Einstiegsgehalt bezahlte, das weit über dem lag, was sein Vater jemals als Minister der Krone verdient hatte.
Während der nächsten zehn Jahre verließ er nur selten den Finanzdistrikt, die sogenannte Square Mile, wo er Geschäfte abschloss, die seine Kollegen geradezu mit Ehrfurcht erfüllten und die seiner Bank ein Vermögen einbrachten.
Mit vierzig Jahren heiratete er Hannah, eine ebenso schöne wie begabte Frau, die ihm zwei Söhne schenkte, von denen keiner den Namen eines Jüngers trug, denn sie hießen Robert und Christopher; darüber hinaus war er als jüngster Direktor des Unternehmens in den Vorstand von Kestrals aufgenommen worden. Es galt allgemein als ausgemacht, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er Vorstandsvorsitzender der Bank werden würde.
Und es wäre in der Tat dazu gekommen, hätte er nicht einen Anruf aus Downing Street Nummer 10 erhalten, in dem man ihn bat, den Premierminister aufzusuchen, um eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung mit ihm zu besprechen.
Als Simon den Amtssitz des Premierministers verließ, hatte er Mr. Blair versprochen, dass er über dessen Vorschlag nachdenken und ihm bis Ende der Woche seine Entscheidung mitteilen würde.
Sobald Simon auf der Whitehall war, rief er ein Taxi, das ihn zum Bahnhof Paddington brachte, wo ihm noch genügend Zeit blieb, den Zug zum Familienstammsitz in Berkshire zu erreichen.
Während der Fahrt nach Bucklebury dachte er über das Angebot des Premierministers nach und darüber, wie seine Familie wohl auf die Neuigkeiten reagieren würde. Sein Vater würde ihm erklären, dass ihm keine Wahl bliebe, und dabei mehrmals Wörter wie »Ehre«, »Pflicht« und »Selbstaufopferung« wiederholen. Simon war nicht sicher, wie Hannah reagieren würde, wobei er kaum daran zweifelte, dass seine beiden Söhne im Teenageralter sich sehr entschieden ausdrücken würden, was ihre Einstellung zu den Menschenrechten – oder zu deren massiver Einschränkung – in Saudi-Arabien betraf, besonders wenn es um die Lage von Frauen ging.
Mit trauriger und verlorener Miene erwartete Hannah Simon am Bahnhof.
Er küsste sie auf die Wange, nahm auf dem Beifahrersitz ihres Autos Platz und fragte sofort: »Wie geht es Vater?«
»Nicht besser, fürchte ich«, antwortete sie, startete den Motor und ließ den Mini vom Parkplatz auf die Hauptstraße rollen. »Deine Mutter hat heute Morgen mit dem Arzt gesprochen, und er sagt, dass es nur noch wenige Wochen oder vielleicht auch nur noch Tage dauern wird, bis …«
Beide schwiegen, während Hannah auf eine ruhige Landstraße abbog, zu deren Seiten sich weite grüne Felder erstreckten, auf denen sich Schafe in kleinen Gruppen zusammendrängten, was vermuten ließ, dass es bald regnen würde.
»Ich weiß, dass er sich darauf freut, dich zu sehen«, sagte Hannah, indem sie das Schweigen brach. »Erst vor ein paar Stunden sagte er, dass er einige Familienangelegenheiten mit dir besprechen muss.«
Simon wusste genau, woran sein Vater dachte, und er war sich schmerzlich bewusst, dass eine dieser Angelegenheiten nicht länger ignoriert werden konnte.
Einige Meilen später bog Hannah von der Landstraße ab, reduzierte die Geschwindigkeit und folgte langsam der langen Auffahrt, die nach Hartley Hall führte, dem Landsitz, wo die Familie seit 1562 wohnte.
Als Hannah anhielt, öffnete sich die Vordertür, und Lady Hartley erschien auf der Türschwelle. Sie kam die Stufen herab, um die beiden zu begrüßen, wobei sie ihren Sohn herzlich umarmte und ihm ins Ohr flüsterte: »Ich weiß, dass dein Vater mit dir sprechen möchte. Vielleicht solltest du gleich zu ihm nach oben gehen, während ich für den Rest der Familie den Tee vorbereite.«
Simon ging ins Haus und schritt langsam die Treppe hinauf. Auf dem Treppenabsatz blieb er stehen und warf einen bewundernden Blick auf das Ölporträt seines berühmten Vorfahren, des Sehr Ehrenwerten David Hartley MP, bevor er leise an die Schlafzimmertür klopfte.
Sein letzter Besuch lag nur wenige Tage zurück, doch seither hatte sich der Zustand seines Vaters unübersehbar verschlechtert. Simon erkannte die gebrechliche Gestalt mit dem ausgedünnten Haar und der fahlen Haut kaum wieder, die, den Kopf gegen zwei Kissen gelehnt, aufrecht im Bett saß. Schwer atmend streckte sein Vater eine knochige Hand aus, die Simon festhielt, während er sich neben ihn aufs Bett setzte.
»Also, warum wollte der Premierminister dich sprechen?«, lauteten die ersten Worte des Vaters, noch bevor er seinen Sohn begrüßte.
»Er hat mich gebeten, die Führung einer britischen Delegation nach Saudi-Arabien zu übernehmen, um ein größeres Rüstungsabkommen auszuhandeln.«
Sein Vater konnte nicht verbergen, wie überrascht er war. »Das wird nicht gerade große Zustimmung finden«, sagte er. »Wenigstens nicht bei den eher linken Mitgliedern in der Partei des Premierministers, die uns immer wieder daran erinnern, dass die Saudis Gewerkschaften nach wie vor verboten haben.«
»Mag sein«, sagte Simon. »Doch wenn es uns gelingt, den Vertrag abzuschließen, werden unsere Gewerkschaften die vielen Tausend Arbeitsplätze begrüßen, die dadurch überall im Land entstehen werden.«
»Nicht zu vergessen die Millionen, die der Finanzminister zusätzlich einnehmen würde.«
»Milliarden«, sagte Simon. »Und Blair hat mich immer wieder daran erinnert, dass der Vertrag an die Franzosen gehen wird, wenn wir ihn nicht bekommen.«
»Grund genug für dich, diesem Vorschlag nachzukommen, mein Junge«, sagte sein Vater, »und da du unweigerlich mehrere Wochen fort sein wirst, vielleicht sogar mehrere Monate, müssen wir über ein, zwei Dinge sprechen, bevor du gehst.«
»So wandelt alte Ordnung sich und weichet Neuem«, fuhr der alte Mann fort, indem er seinen Lieblingsdichter zitierte, »weshalb ich nur hoffen kann, dass du zu gegebener Zeit zurückkehrst und in Hartley Hall wohnen und dich um deine Mutter kümmern wirst. Das ist die natürliche Ordnung der Dinge.«
»Du hast mein Wort darauf«, versprach Simon.
»Und ich will nicht, dass sich deine Mutter über finanzielle Dinge Sorgen macht. Sie gibt Kellnern noch immer einen Shilling Trinkgeld und hält das für extravagant.«
»Keine Angst, Vater«, sagte Simon. »Ich habe bereits einen Treuhandfonds auf ihren Namen eingerichtet, den ich persönlich für sie verwalten werde. Sie wird sich also über irgendwelche temporären finanziellen Probleme keine Sorgen machen müssen.«
»Und dann wäre da noch die wichtige Frage«, sagte sein Vater, »wie du mit Jeffersons Unabhängigkeitserklärung verfahren willst. Wie du weißt, befindet sie sich seit über zweihundert Jahren im Besitz unserer Familie. Wir hätten die Wünsche des Präsidenten schon lange erfüllen sollen. Angesichts dessen habe ich einen Termin beim amerikanischen Botschafter vereinbart, um ihm die Reinschrift zu übergeben und ebenso den Brief, der zeigt, dass dieser große Mann stets die Absicht hatte, sie dem amerikanischen Volk zu hinterlassen.«
»›Zu gegebener Zeit‹«, mahnte Simon ihn.
»Um fair zu sein«, sagte der alte Mann, »ist es mir nie in den Sinn gekommen, dass sie einen zusätzlichen Wert haben könnte, der über den einer historischen Erinnerung hinausgeht. Doch kürzlich habe ich gelesen, dass eines der von Benjamin Franklin gedruckten Exemplare der Unabhängigkeitserklärung für über eine Million Dollar verkauft wurde, und da habe ich mir zum ersten Mal Sorgen gemacht.«
»Es gibt keinen Grund, besorgt zu sein, Vater. Sobald die Verhandlungen über das Rüstungsabkommen abgeschlossen sind, werde ich, wenn ich wieder zu Hause bin, unverzüglich die amerikanische Botschaft aufsuchen und die Erklärung in deinem Namen dem Botschafter übergeben.«
»Zusammen mit dem Brief, in dem Jefferson seinen Wunsch ausdrückt, dass sie dem Kongress übergeben werden soll, was die Leute daran erinnern wird, dass unsere Familie ihre Rolle in einer historischen Fußnote gespielt hat. Die anderen fünf Briefe sollten jedoch im Familienarchiv verbleiben und müssen an deinen Erstgeborenen weitergereicht werden, der, wie ich zu hören glaube, sich diesem Zimmer nähert – es sei denn, es handelt sich um ein Rudel Wolfshunde, das gleich vor der Tür stehen wird.«
Simon lächelte. Er war froh, dass sein Vater seinen Sinn für Humor nicht verloren hatte. Er stand vom Bett auf und öffnete die Tür, sodass der Rest der Familie eintreten konnte.
Robert war der Erste, der seinen Großvater begrüßen wollte, doch noch bevor er das Bett erreicht hatte, sagte der alte Mann: »Robert, ich muss sicher sein, dass du die Worte wiederholen kannst, die Thomas Jefferson deinem großen Vorfahren vor über zweihundert Jahren geschrieben hat.«
Robert grinste und sah durchaus selbstzufrieden aus. Er reckte sich und begann. »Sehr geehrter Mr. Hartley.«
»Datum und Adresse«, wollte der alte Mann wissen.
»Hôtel de Langeac, Paris, 11. August 1787.«
»Fahre fort«, sagte sein Großvater.
»Ich hoffe, Sie gestatten mir, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen, indem Sie mir erlauben, Ihnen meine Reinschrift der Unabhängigkeitserklärung zuzusenden, welche ich zuvor dem Kongress zur Begutachtung geschickt habe. Sie werden sehen, dass darin jene beiden Klauseln enthalten sind, die Sie und ich in London diskutiert haben, nämlich die Abschaffung der Sklaverei und unsere zukünftige Beziehung zu König Georg III., sobald wir eine unabhängige Nation geworden sind. Mein Freund undKollege Benjamin Franklin hat Kopien davon angefertigt und diese den interessierten Parteien zur Verfügung gestellt. Zu meiner nicht geringen Bestürzung wurden beide Klauseln abgelehnt, als die Kongressmitglieder darüber abgestimmt haben. Doch ich möchte nicht, dass Sie glauben, ich hätte mir Ihren klugen und gut begründeten Rat nicht zu Herzen genommen und nicht versucht, die Kongressmitglieder vom Wert Ihres Urteils zu überzeugen.
Sobald Sie Gelegenheit hatten, die Reinschrift in Ruhe durchzusehen, könnten Sie vielleicht so freundlich sein, sie mir zu gegebener Zeit zurückzugeben. Ich dachte, Sie würden vielleicht gerne erfahren, dass ich die Absicht habe, diese Erinnerung der Nation zu hinterlassen, damit zukünftige Generationen von Amerikanern das ganze Ausmaß dessen zu schätzen lernen, was die Gründungsväter zu erreichen versuchten, und nicht zuletzt die Rolle, die Sie dabei gespielt haben. Ich freue mich darauf, irgendwann in Zukunft von Ihnen zu hören. Seien Sie meiner Hochachtung und meines Respekts versichert.
Ich verbleibe Ihr gehorsamster und bescheidenster Diener,
Thomas Jefferson.«
Simon legte den Arm um seine Mutter, während sein Sohn den Vortrag des Briefes beendete, den er, wie sein Vater und sein Großvater vor ihm, auswendig gelernt hatte.
»Wirst du mir versprechen, deinen Erstgeborenen diese Worte zu lehren und dafür zu sorgen, dass er sie an seinem zwölften Geburtstag ebenso wiederholen kann?«, fragte Lord Hartley.
»Ich gebe dir mein Wort«, sagte Robert.
Simon konnte die Tränen nicht zurückhalten, als er das zufriedene Lächeln im Gesicht seines Vaters bemerkte, obwohl er fürchtete, er würde den alten Mann zum letzten Mal sehen.
»Ich glaube, das ist die außergewöhnlichste Versammlung an Talent und menschlichem Wissen, die jemals im Weißen Haus zusammengekommen ist, ausgenommen vielleicht jene Gelegenheiten, bei denen Thomas Jefferson alleine speiste.«
Präsident John F. Kennedy in seiner Rede anlässlich eines Dinners zu Ehren von Nobelpreisträgern am 29. April 1962
Als das Auto zum Stehen kam, warf ein Wachmann einen Blick in den Fond, bevor die Schranke sich hob und der Chauffeur der langen Auffahrt folgen konnte, bis er schließlich vor einer palastartigen Villa haltmachte, die aussah, als hätte man sie aus Monte Carlo hierher versetzt. Die Saudis sind in der Lage, alles zu kopieren, was man mit Geld kaufen kann, dachte Simon, während er ausstieg und auf den Club zuging.
Nach einem Crashkurs des Verteidigungsministeriums, der dazu dienen sollte, »sich mit den Gepflogenheiten des Landes vertraut zu machen«, war Simon eine Woche lang in Riad. Eine kleine Gruppe von Fachleuten hatte ihn über alles informiert – von den Kolben in U-Boot-Motoren über Bräuche und Überzeugungen, welche die Scharia betrafen, bis hin zur korrekten Anrede gegenüber Fürsten von königlichem Geblüt. Ein gewisser Mr. Trevelyan vom Außenministerium begleitete ihn, um ihn zu unterstützen, doch heute Abend war Simon alleine.
Er wollte Hani Khalil treffen, den hiesigen Unterhändler, der ihm vom Botschafter empfohlen worden war. Obwohl die Kestrals Bank die Beteiligung von Mittelsmännern nicht gerne sah, wenn es darum ging, auf einem unvertrauten Gebiet Geschäfte zu machen, war die britische Regierung weit weniger zimperlich, was unter anderem daran lag, dass ihre Konkurrenten bei diesem Rüstungsabkommen – die Franzosen, die Italiener und die Amerikaner – allesamt in der realen Welt lebten.
Simon wusste bereits, dass die offizielle Vergütung für einen Unterhändler zehn Prozent der Geschäftssumme betrug, und wenn einer dieser Unterhändler bereit war, die Aufgabe für weniger zu übernehmen, dann lag das nur daran, dass er nicht das Ohr des Ministers hatte. Wenn jemand mehr verlangte, war er gierig und schöpfte von beiden Seiten Geld ab. Simon wollte weder Ersteres noch Letzteres, und er war sich bewusst, dass seine wichtigste Entscheidung darin bestehen würde, den richtigen Menschen zu finden, der die Briten bei einem so wichtigen Vertrag repräsentierte, wenn diese überhaupt eine Chance haben wollten, das Geschäft vor den Franzosen abzuschließen. Am Ende hatte er sich widerwillig für einen libanesischen Handelsagenten namens Hani Khalil entschieden, der, wie man ihm versicherte, bei Prinz Majid bin Talal Al Saud, dem Verteidigungsminister, Gehör finden würde.
Simon war eingeladen worden, Khalil heute Abend wenige Meilen außerhalb Riads in dessen Club zu treffen, welcher zwar offiziell Overseas Club hieß, doch, wie der Botschafter ihn gewarnt hatte, allgemein unter dem Namen »Kompromiss-Club« bekannt war.
Als er sich der Eingangstür näherte, musste Simon nur den erlauchten Namen Hani Khalil murmeln, und schon wurde er vom Geschäftsführer in Empfang genommen und durch einen langen Korridor in einen palastartigen Raum geführt. Man geleitete ihn zu einem Mann, der am Ende der Bar saß und neben dem ein leerer Barhocker stand.
Der Mann trug einen modischen, eleganten Anzug, der wahrscheinlich in der Savile Row geschneidert worden war. Er hatte ein Lächeln aufgesetzt, als seien sie alte Freunde, obwohl sie einander noch nie gesehen hatten.
»Mein Name ist Hani Khalil«, erklärte er und reichte seinem Gegenüber die Hand. »Danke, dass Sie mich aufgesucht haben. Der Verteidigungsminister hat mich darum gebeten, Sie in Riad willkommen zu heißen und Ihnen zu versichern, wie sehr er sich darauf freut, Sie kennenzulernen.« Wieder bedachte er Simon mit demselben warmen Lächeln wie bereits einen Augenblick zuvor. »Was darf ich Ihnen bestellen?«
»Nur einen Orangensaft«, sagte Simon, indem er der Warnung des Botschafters folgte. Über die Jahre hinweg hatte Simon oft mit Haien zu tun gehabt, von denen sich einige im selben Wasser tummelten wie Khalil. Einige waren im Gefängnis gelandet, während andere zum Ritter geschlagen wurden. Er hatte gelernt, mit beiden zu leben.
Sobald er Platz genommen hatte, sah sich Simon in der Lounge um, die mit teuren Gemälden, stilvollen Möbeln und Frauen, die den Besuchern zur Verfügung standen, geschmückt war.
»Jemand von Ihrem Ruf«, sagte Khalil, »dürfte sich zweifellos bewusst sein, dass es nur zwei ernsthafte Kandidaten gibt, die für das Rüstungsabkommen in Betracht kommen: die Franzosen und die Briten.«
»Was ist mit den Amerikanern?«, fragte Simon, obwohl er wusste, warum diese kürzlich einen taktischen Rückzieher gemacht hatten.
»Solange Gore noch immer hofft, Präsident zu werden, sind sie nicht mehr im Rennen«, sagte Khalil. »Er ist ganz offensichtlich nicht daran interessiert, mit einem Geschäft in Verbindung gebracht zu werden, das seine jüdischen Unterstützer zu Hause vielleicht daran hindern könnte, ihm finanziell unter die Arme zu greifen.«
»Und die Italiener?«, fragte Simon.
»Wollen ein zu großes Stück vom Kuchen«, sagte Khalil. »Es wissen ohnehin alle, dass sie die notwendige Ausrüstung nicht liefern können, weshalb sie eigentlich niemals richtig im Spiel waren.«
Obwohl Simon bisher nichts erfahren hatte, das er nicht schon wusste, entwickelte er nach und nach ein Gespür für den Mann, der neben ihm saß. Er brachte die nächste, gründlich eingeübte Zeile seines Textes vor: »Aber das gilt nicht für die Franzosen.«
»Sie haben recht, mein Freund, die Franzosen sind Ihre einzigen echten Konkurrenten. Aber mit mir als Ihrem Repräsentanten kann ich Ihnen versprechen, dass sie mit leeren Händen nach Paris zurückkehren werden«, sagte Khalil in einem Ton, als sei der Vertrag bereits unterzeichnet.
»Und was erwarten Sie als Gegenleistung für Ihre Dienste?«, fragte Simon.
»Sie wissen zweifellos, dass die übliche Rate bei solchen Geschäften zehn Prozent beträgt, Simon.«
»Zehn Prozent von drei Milliarden Pfund ist sehr viel Geld, Mr. Khalil.«
»Und zehn Prozent von nichts ist nichts«, erwiderte Khalil. »Sie dürfen nicht vergessen, dass der Minister eine große Familie zu versorgen hat, und ein Familienmitglied im Besonderen wird ein großes Stück vom Kuchen beanspruchen, während ich mich mit einigen wohlverdienten Krümeln zufriedengeben muss, wie ich Ihnen versichern kann.«
»Ein Familienmitglied im Besonderen?«, wiederholte Simon.
»Prinz Ahmed bin Majid, der zweite Sohn des Verteidigungsministers, der seit vielen Jahren ein enger Freund von mir ist. Tatsächlich haben wir zusammen schon mehrere Geschäfte abgeschlossen.«
Das Außenministerium hatte Simon bereits eine dicke Akte über Prinz Ahmed bin Majid zukommen lassen, und es war nicht als Schmeichelei gedacht, wenn die Beamten ihn als »Schwarzen Prinz« bezeichneten.
»Ich habe für morgen früh um zehn Uhr eine Audienz für Sie bei Prinz Majid arrangiert«, fuhr Khalil fort, »weshalb ich Sie heute Abend sprechen musste.«
Simon hörte sich an, wie Khalil ihm ein wenig zu begeistert zu versichern versuchte, dass der Vertrag so gut wie unter Dach und Fach war. Das überzeugte ihn nur umso mehr davon, dass Khalil und der Schwarze Prinz am Ende mit mehreren Millionen Pfund auf einem Schweizer Bankkonto dastehen würden, während er selbst dem Premierminister erklären musste, warum das Geschäft bereits entschieden war, bevor er auch nur aus dem Flugzeug gestiegen war.
Simon nippte an seinem Orangensaft, während Khalil sich nicht so zurückhaltend zeigte, sondern dem Barmann gestattete, ihm eine braune Flüssigkeit aus einer Flasche einzuschenken, von der das Etikett entfernt worden war, welches ein zufriedenes Moorhuhn darstellte. Er versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was der irdische Vertreter des Verteidigungsministers sagte.
»Wie ich sehe, ist Paolo Conti, Ihr italienischer Konkurrent, heute ebenfalls bei uns.«
Simon ließ seinen Blick durch die Lounge schweifen und sah einen Mann, der den Arm um eine attraktive junge Blondine gelegt hatte, während seine andere Hand auf ihrem Oberschenkel ruhte. Der Italiener wirkte leicht betrunken, aber er hatte ja schließlich auch am nächsten Morgen keinen Termin beim Minister. Laut den Informationen des Außenministeriums war Mr. Conti bekannt für sein typisch italienisches gutes Aussehen und seine Mafiakontakte, und die Tatsache, dass die Italiener in die engere Auswahl gekommen waren, galt unter Diplomaten lediglich als »Aktion zur Wahrung des Gesichts«.
Khalil nahm einen weiteren Schluck Whisky und bemerkte dann: »Das ist noch so ein Geschäft, das er nicht abschließen wird.«
Simon musterte die Frau, die neben Conti saß und an einem Glas Champagner nippte, etwas genauer. Sie schien Ende zwanzig, vielleicht auch Anfang dreißig, und es konnte kein Zweifel darüber bestehen, wie sie ihren Lebensunterhalt verdiente. Der schwarze Lederminirock und die dünne Seidenbluse wären auf den Straßen von Riad nicht geduldet worden – und nicht einmal in den über die Stadt verteilten Fünf-Sterne-Hotels. Doch in Privatclubs wie diesem galten solche Regeln nicht, wie die spärlich gekleideten Frauen und die Regale voller Flaschen ohne Etikett zeigten.
»Conti denkt, dass er immer noch eine Chance hat«, sagte Khalil, während der aufmerksame Barmann ihm einen neuen Schuss des verbotenen Nektars in sein Glas einschenkte.
»Bei der jungen Frau oder was den Vertrag betrifft?«, fragte Simon.
»Bei beidem«, antwortete Khalil. »Conti weiß nicht, dass Avril eine der Favoritinnen von Prinz Ahmed ist, und wenn er auftaucht und sieht, dass sie mit einem anderen Mann zusammen ist, werden die Fetzen fliegen, glauben Sie mir. Der Sohn des Ministers hat eine kurze Zündschnur, und ich habe so das Gefühl, dass Conti sie anzünden wird.«
»Darf ich annehmen, dass Avril sich über die Konsequenzen im Klaren ist, sollte der Prinz hier erscheinen?«
»Sie begreifen schnell, Simon, und deshalb würde ich Ihnen raten, zurück ins Hotel zu fahren, bevor Prinz Ahmed eintrifft. Inzwischen werde ich den Italiener aus der engeren Auswahl entfernen, es sei denn, Sie haben Interesse an Avril, nachdem der Prinz gegangen ist.«
»Nein, vielen Dank«, sagte Simon. »Ich glaube, ich werde Ihren Rat annehmen und früh zu Bett gehen.« Er sah nicht noch einmal zu Avril hinüber und dachte an Hannah, die wahrscheinlich gerade das Abendessen für die Jungs vorbereitete, während die beiden ihre Hausaufgaben machten. Er selbst hatte seine Hausaufgaben gemacht; jetzt sehnte er sich nur noch nach einem erholsamen Schlaf.
»Übrigens«, sagte Khalil, als Simon sein Glas leerte, »Avril ist keine Französin. In Wahrheit ist ihr Name Jenny Prescott, und sie kommt aus einem Ort, der Cleethorpes heißt.«
Simon lachte, als die Tür am anderen Ende der Lounge aufflog und ein halbes Dutzend Männer in langen weißen Thawbs und Kufijas hereinmarschierten, als gehöre ihnen der Club – was wahrscheinlich sogar zutraf. Es war offensichtlich, bei wem es sich um Prinz Ahmed bin Majid Al Saud handelte und welche Rolle die Höflinge zu spielen hatten, wenn sie auch weiterhin auf der Gehaltsliste stehen wollten.
Kaum dass Avril den Prinzen sah, zog sie sich zurück, obwohl Conti seine Hand auf ihrem Oberschenkel liegen ließ. Das Ergebnis entsprach genau dem, was Khalil vorhergesagt hatte, denn der Prinz schritt rasch durch die Lounge, schob den Italiener ohne Vorwarnung zur Seite und setzte sich zwischen die beiden.
»Du kannst dich verpissen, Itaker«, sagte der Prinz auf Arabisch. Es war nicht nötig, das Gefühl, das seine Worte zum Ausdruck brachten, in irgendeine andere Sprache zu übersetzen.
Conti erhob sich unsicher, die Faust halb erhoben. Obwohl der Prinz sich duckte, streifte ihn der Schlag des Italieners und riss ihm die Kufija vom Kopf, wodurch seine Glatze sichtbar wurde, was dem Prinzen eindeutig nicht gefiel.
Simon konnte nicht glauben, was vor seinen Augen geschah, und es wurde schnell klar, dass viele der anderen Gäste ebenso überrascht waren. Nur Khalil blieb so ungerührt, als hätte er gleichsam das Drehbuch dazu geschrieben.
Während der Prinz seine Kopfbedeckung zurechtrückte, hob Conti die Faust ein zweites Mal, doch schon stürzten sich zwei von Ahmeds Leibwächtern auf ihn, packten ihn bei den Armen und hielten ihn fest. Sie wollten ihn gerade nach draußen bringen, als Conti sich trotzig vorbeugte und dem Prinzen ins Gesicht spuckte. Ahmed sprang ihm sofort entgegen, und es sah aus, als wolle Conti sich dadurch verteidigen, dass er den Fürsten bei der Kehle packte, was Ahmed nur noch wütender machte.
Bevor die Aufpasser des Prinzen Conti wegschaffen konnten, zog Ahmed einen kurzen Dolch mit geschwungener Klinge aus seinem Thawb und stach dem Angreifer, ohne auch nur einen Augenblick lang darüber nachzudenken, in die Brust. Avril stieß einen schrillen Schrei aus, während Ahmed Conti lachend wegschubste.
Die Leibwächter ließen von dem Mann ab, den sie festgehalten hatten, und konnten nur noch zusehen, wie Conti auf dem Boden zusammensank und nach Atem ringend seine Brust umklammerte.
Simon war entsetzt, und obwohl der Botschafter ihn vor dem Schwarzen Prinzen gewarnt hatte, war er darauf nicht vorbereitet. Er wandte sich dem Barmann zu und rief: »Um Himmels willen, holen Sie einen Krankenwagen«, aber der Mann rührte sich nicht.
»Es wäre das Beste, sich nicht einzumischen«, sagte Khalil, »besonders im Hinblick darauf, dass er der Sohn des Verteidigungsministers ist, und ohne seine Unterstützung wird es nicht Ihr Name sein, der unter dem Vertrag steht.«
Simon zögerte, während Avrils Schreie verstummt waren und sie in Tränen ausgebrochen war. Der Prinz ignorierte sie, beugte sich vor und zog langsam den Dolch aus Contis Brust, woraufhin dieser ein langes, wimmerndes Stöhnen ausstieß, das ein zufriedenes Lächeln in Ahmeds Gesicht zauberte.
Von tiefem Grauen erfüllt sah Simon, wie mehrere andere Ausländer die Lounge unauffällig zu verlassen begannen, da sie mit dem Drama, das sich hier abspielte, nichts zu tun haben wollten. Simon hätte sich ihnen gerne angeschlossen, doch er wurde einfach nicht fertig mit dem, was sich direkt vor seinen Augen abspielte.
Ein älterer Mann, der Simon bisher nicht aufgefallen war, ging ruhig durch den Raum und flüsterte etwas in das Ohr des Prinzen. Ahmed zögerte kurz, bevor er die Klinge seines Dolches an Contis Hosenbein abwischte. Dann rückte er erneut seine Kufija zurecht und ging langsam auf die Tür zu, die einer seiner Begleiter für ihn geöffnet hatte. Er warf einen Blick zurück, aber nicht auf sein Opfer, sondern auf Avril.
»Wenn du immer noch hoffst, dein gutes Aussehen zu behalten«, sagte Ahmed und fuhr mit dem Dolch vor seiner Kehle entlang, »dann hältst du gefälligst den Mund.« Er schob den Dolch zurück in die Scheide und ging davon, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Mit einer Ausnahme folgte ihm seine gesamte Entourage.
Simon konnte den Blick nicht von Conti abwenden, der immer noch versuchte, den Blutstrom zu stoppen, der inzwischen wie Wasser aus einem Hahn aus seiner Wunde rann. Khalil schien der Einzige im Raum zu sein, der ruhig blieb, als betrachte er eine Szene aus einem Horrorfilm, von dem er bereits wusste, wie er enden würde.
»Es gibt nichts, was Sie jetzt noch für ihn tun könnten«, sagte Khalil und legte seine Hand nachdrücklich auf Simons Arm. »Am besten gehen Sie, bevor die Polizei eintrifft, und wenn Sie morgen den Verteidigungsminister treffen, sollten Sie stets daran denken, dass Sie niemals hier waren.«
Simon rührte sich immer noch nicht, obwohl der Klang der Polizeisirene bereits lauter wurde.
»Ich werde Sie um halb zehn in Ihrem Hotel abholen, sodass uns genügend Zeit bis zum Termin beim Minister bleibt.«
Simon starrte den Italiener an, der sich nicht mehr bewegte, und fand sich widerwillig damit ab, dass er ihm nicht helfen konnte. Nachdem er einen letzten Blick auf den ausgestreckt am Boden liegenden Körper geworfen hatte, verließ er den Club. Sobald er draußen war, setzte er sich auf die Rückbank des Autos, das auf ihn gewartet hatte.
»Zurück ins Hotel«, sagte er, während der Klang der Sirene immer näher kam. »Los!«, fügte er mit festerer Stimme hinzu, als ein Polizeifahrzeug um die Ecke bog und kurz darauf mit quietschenden Bremsen vor dem Clubeingang anhielt.
In diesem Augenblick hörte er eine zweite Sirene, und wieder fühlte er sich schuldig, weil er dem Italiener nicht zu Hilfe geeilt war.
Simon betete, dass die zweite Sirene zu einem Krankenwagen gehörte und dieser noch rechtzeitig eintreffen würde.
Unterdessen trat der Mann, der als die rechte Hand des Prinzen galt, auf Khalil zu, und ohne dass ein Wort zwischen ihnen gefallen wäre, reichte er dem libanesischen Unterhändler ein dickes Geldbündel. Dann verschwand auch er ohne einen Blick auf das Opfer.
Khalil fischte einige Banknoten aus dem Bündel und reichte sie dem Barmann, den er als Ersten bezahlte; der Mann steckte das Geld sogleich ein. Dann bot er Avril einen Bonus an, doch sie warf ihm das Geld ins Gesicht. Khalil zuckte mit den Schultern, sammelte die Scheine auf und gab einigen der jungen Frauen, die in der Lounge geblieben waren, jeweils eine kleinere Summe. Sie würden zu Protokoll geben, dass sie nichts gesehen hatten; es wäre nicht das erste Mal.
Gerade als er einem Kellner dessen Teil der Summe überreichte, stürmte die Polizei herein. Khalil hatte noch immer die Hälfte des Geldes in der Hand, die er sofort dem leitenden Beamten übergab, der die Scheine einsteckte, bevor er seine Aufmerksamkeit dem Opfer zuwandte, das in einer Blutlache auf dem Boden lag.
Nachdem er das gesamte Bakschisch verteilt hatte, verließ Khalil selbst den Club, ohne bei dieser Gelegenheit auf seinen zehn Prozent zu bestehen.
Aber schließlich hatte er die Aussicht auf einen viel höheren Gewinn.
Nachdem Simon von seinem Fahrer zurück ins Hotel gebracht worden war, nahm er den Aufzug zu seiner Suite im obersten Stock, zog sich aus und duschte lange, bevor er auf sein Bett sank.
Er konnte nicht schlafen, denn der reale Albtraum wiederholte sich unablässig, ohne dass er irgendwo den entsprechenden Knopf hätte drücken müssen. Er versuchte, sich auf die sorgfältig formulierten Fragen zu konzentrieren, die er dem Verteidigungsminister stellen musste, wenn er überhaupt irgendeine Chance haben wollte herauszufinden, ob dieser wusste, was sein Sohn und Khalil im Schilde führten. Sollte der Minister Bescheid wissen, würde er noch am selben Nachmittag das Flugzeug zurück nach London nehmen, denn von Mord stand nichts in irgendeinem Vertrag, den Simon bereit gewesen wäre, zu unterschreiben.
Doch seine Gedanken kehrten immer wieder zu Conti zurück, dem man gewissermaßen einen Vertrag ausstellte, über den er niemals verhandelt hatte. Wieder betete er, dass der Krankenwagen noch rechtzeitig eingetroffen war.
Simon erwachte um kurz nach fünf, von Kopf bis Fuß mit klebrigem Schweiß bedeckt. Er nahm eine weitere lange, kalte Dusche, doch nichts konnte die Erinnerung an die vergangene Nacht abspülen.
Er zog einen Bademantel an, setzte sich auf den Bettrand und fing an, eine Reihe von Fragen zu notieren, die, wie er hoffte, den Minister in trügerischer Sicherheit wiegen sollten. Schließlich gab er auf und zog sich an: einen marineblauen Anzug, der die Zustimmung seines Vaters gefunden hätte, ein weißes Hemd, das er zum ersten Mal tragen würde, und eine grüne Seidenkrawatte, die von seiner Frau ausgesucht worden war. Er begann, in der Suite auf und ab zu gehen, wobei er alle paar Minuten einen Blick auf die Uhr warf, während er darauf wartete, dass Khalil ihn abholen würde.
Dann gab sich Simon noch einmal die allergrößte Mühe, seine Fragen in die richtige Reihenfolge zu bringen. Er war sich bewusst, wie viel auf dem Spiel stand, da die langfristigen Folgen des Drei-Milliarden-Pfund-Vertrages mindestens über ein Jahrzehnt hinweg seinen Landsleuten Arbeitsplätze und ein Einkommen verschaffen würden.
Falls die Saudis sich für den Vorschlag der Briten aussprachen, würde eine Milliarde Pfund in die Staatskasse fließen, wovon einhundert Millionen auf ein Nummernkonto in Genf überwiesen würden, ohne dass irgendjemand nachfragte, wer dieses Geld nutzte und auf welche Weise.
Eine zweite Milliarde würde überwiesen werden, sobald die Ausrüstung auf den Weg nach Riad gebracht worden war.
Und die letzte Zahlung über eine weitere Milliarde würde getätigt werden, sobald die Ausrüstung sicher in Riad angekommen wäre, und zwar zusammen mit sechshundert exzellent ausgebildeten Fachleuten, die während des nächsten halben Jahres die örtlichen Seeleute, Piloten, Ingenieure und Infanteristen darin unterrichten würden, wie ihre neue Ausrüstung zu bedienen war.
Wieder warf Simon einen Blick auf die Uhr, denn er war sich bewusst, dass Minister jemanden stundenlang warten lassen konnten, während er selbst zum Termin an diesem Vormittag pünktlich zu sein hatte.
Als schließlich die Tür aufging, nahm Simon an, dass Hani Khalil eingetroffen war, um ihn abzuholen, bevor sie zum Ministerium fahren würden. Doch zu seiner Überraschung marschierten drei Männer in Polizeiuniform unangekündigt in die Suite.
»Sind Sie Simon Hartley?«, fragte ein Offizier mit drei silbernen Sternen auf den Schulterklappen, noch bevor Simon reagieren konnte.
»Ja«, sagte Simon, ohne zu zögern, denn er nahm an, dass sie ihn zum Büro des Verteidigungsministers begleiten sollten.
Aber die beiden jüngeren Offiziere traten wortlos nach vorn, packten Simon bei den Armen, drehten sie ihm auf den Rücken und legten ihm Handschellen an.
Simon wollte gerade protestieren, als Khalil die Suite betrat. Sein Gesichtsausdruck verriet keine Überraschung. Simon war überzeugt davon, dass man ihm die Handschellen sogleich wieder abnehmen und ihn freilassen würde, doch sein Unterhändler schwieg noch immer mit unbewegter Miene, als der leitende Beamte in entschiedenem Ton sagte: »Sie sind festgenommen, Mr. Hartley.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Simon sich so weit erholt hatte, dass er fragen konnte: »Was wirft man mir vor?«
»Mord«, sagte der Polizeichef, während die beiden anderen Polizisten ihn aus der Suite führten.
Artemisia Warwick stand auf Zehenspitzen und zog einen Atlas vom obersten Brett des Bücherschranks. Sie legte ihn auf den Küchentisch und schlug das Register ganz hinten im Buch auf. Ihr Blick schweifte über die lange Liste der Länder, bis sie das »S« erreicht hatte. Dann blätterte sie nach vorn bis zur Seite 126 und studierte jene gewaltige Landmasse, die als der Nahe Osten bezeichnet wurde.
Sie wandte sich ihrem Bruder zu, der seine Cornflakes aß, und fragte sich, ob er die Antwort kannte.
»Warum sind wir so abhängig vom Öl?«, sagte sie. Sie war nicht sicher, wer als Erster antworten würde.
»Denk darüber nach«, erwiderte ihr Vater. »Wir brauchen das Öl für unsere Kraftwerke, ganz zu schweigen von allem Übrigen von Autos bis hin zu Flugzeugen.«
»Und weil wir nicht genügend eigenes haben«, fügte ihre Mutter hinzu, »müssen wir uns darauf verlassen, dass andere Länder es uns liefern.«
»Einschließlich Saudi-Arabien, so wie es aussieht«, sagte Artemisia. Es gelang ihr nicht, die Verachtung in ihrer Stimme zu unterdrücken.
»Und was hat Saudi-Arabien getan, um dich heute Morgen so wütend zu machen?«, erkundigte sich ihr Vater und ließ seine Zeitung sinken.
»Es ist nicht so sehr das Land, das mich ärgert«, sagte Artemisia, »sondern vielmehr die Labour-Regierung, die versucht, ein Rüstungsabkommen einzufädeln, um sich Öllieferungen zu sichern.«
»Das nennt man Tauschhandel«, versuchte ihr Vater ihr zu versichern. »Wir liefern den Saudis Waffen, und im Gegenzug erhalten wir Öl von ihnen. Das ist nichts Neues.«
»Aber«, sagte Peter, indem er sich auf die Seite seiner Schwester schlug, »du erklärst uns immer wieder, dass doppeltes Unrecht noch kein Recht ergibt.«
»Warum glaubst du, dass die Regierung irgendetwas falsch macht?«, fragte Beth, die derselben Ansicht wie ihre Tochter war, aber wollte, dass diese selbst ihre Sache vertrat.
»Wenn ich in jenem Land geboren worden wäre«, sagte Artemisia und sah ihrer Mutter dabei direkt ins Gesicht, »würde man mich niemals als gleichberechtigt behandeln.«
»Beispiele?«, sagte Beth. »Mit Verallgemeinerungen kommst du nicht durch. Fakten tragen bei einer Auseinandersetzung den Sieg davon.«
»Frauen haben in Saudi-Arabien noch immer nicht das Recht zu wählen, obwohl wir bereits im 21. Jahrhundert leben.«
»Wenn Arte nicht in London, sondern in Riad geboren worden wäre«, warf Peter ein und legte seinen Löffel weg, »wäre es ihr nicht erlaubt, zusammen mit Jungs in eine Schule zu gehen.«
»Und wenn man schwul ist«, sagte Artemisia, womit sie ihre Mutter und ihren Vater gleichermaßen überraschte, »könnte es sein, dass man auf dem Marktplatz gesteinigt wird.«
»Ich glaube, du wirst herausfinden, dass dieser barbarische Brauch seit einiger Zeit nicht mehr praktiziert wird«, sagte William. »Tatsächlich ist es so, dass der neue saudische Staatschef allgemein als aufgeklärter gilt und im Begriff ist, weitreichende Reformen auf den Weg zu bringen.«
»Für die Frauen, die zu Hause herumsitzen müssen, während ihre weniger befähigten Brüder einer überbezahlten Arbeit nachgehen, sind sie nicht weitreichend genug.«
»Was hast du heute vor, Beth?«, fragte William seine Frau, da er annahm, dass er die aus einer einzigen Person bestehende Minderheit bildete, wenn es um die Saudis und um Öllieferungen ging.
»Ich werde versuchen, irgendwie mit unseren unzureichenden finanziellen Mitteln zurechtzukommen«, sagte Beth. »Was für jeden, der eine Galerie wie das Fitzmolean leitet, durchaus nicht ungewöhnlich ist«, fügte sie mit einem schiefen Lächeln hinzu. »Doch diesmal muss ich zusätzlich eine halbe Million aufbringen.«
»Brauchst du diesmal ein neues Dach oder eine neue Heizungsanlage?«, fragte William.
»Ein neues Bild«, sagte Beth, »oder, um genauer zu sein, ein altes Bild. Dem Fitzmolean wurde für eine Million Pfund eine seltene Zeichnung eines Engels von Rembrandt angeboten, welche der Künstler als Vorbereitung für das entsprechende Gemälde angefertigt hat. Die Regierung hat sich einverstanden erklärt, uns Pfund für Pfund dieselbe Summe zur Verfügung zu stellen, sofern es uns gelingt, in kurzer Zeit die erste halbe Million aufzubringen.«
»Wann endet die Frist?«, fragte William.
»Schon Ende des Monats«, antwortete Beth, »und wenn wir bis dahin unsere Hälfte nicht zusammenhaben, wird die Zeichnung auf den freien Markt kommen und wahrscheinlich ins Ausland gehen. Wir würden sie wohl nie wieder zu Gesicht bekommen. Wir haben bereits die Marke von zweihunderttausend Pfund überschritten, aber ich weiß einfach nicht, ob wir rechtzeitig den vollen Betrag bekommen werden.«
»Wenn dir jemand aus Saudi-Arabien eine halbe Million anbieten würde«, sagte Artemisia, die nicht gewillt war, ihr Thema so schnell fallen zu lassen, »würdest du sie nehmen?«
William sah zu Beth. Er war froh, dass man nicht ihm diese Frage gestellt hatte.
»Das hätte ich nicht zu entscheiden«, sagte Beth. »Aber wenn der Vorstand mich um meine Ansicht bitten sollte, würde ich empfehlen, das Angebot anzunehmen, denn dadurch würde es Millionen von Frauen ermöglicht, Rembrandts Meisterwerk zu sehen.«
»Worunter keine einzige aus Saudi-Arabien wäre«, erinnerte Artemisia ihre Mutter.
»Vielleicht haben wir nicht das Recht«, schlug William vor, der die Entschlossenheit seiner Tochter auf die Probe stellen wollte, »die Gesetze und Bräuche eines anderen Landes zu missbilligen.«
»Möglicherweise«, sagte Artemisia, »aber wir haben das Recht, keine Geschäfte mit einem Land zu machen, das Frauen die Gleichberechtigung verwehrt.«
»Aber es war niemand Geringerer als Winston Churchill«, sagte William, »der erklärte, er ziehe Gespräche einem Krieg vor, wenn es um den Umgang mit seinen Feinden ging.«
»Gilt das auch für Miles Faulkner?«, fragte Peter, was seinen Vater verstummen ließ. »Denn ich habe so das Gefühl, dass er sich nicht auf ein Gespräch einlassen würde, wenn es um seine Feinde geht, und ich habe gehört, wie Mum gesagt hat, dass man ihn in ein paar Wochen aus dem Gefängnis entlassen wird.«
»Nun, ich glaube, ich muss los«, sagte William, »wenn ich nicht zu spät zur Arbeit kommen will.«
Der Rest der Familie brach in lautes Gelächter aus.
»Habe ich irgendetwas Falsches gesagt?«, fragte William, als er vom Tisch aufstand.
»Nein«, sagte Beth. »Ich glaube, es geht eher um das, was du nicht gesagt hast.«
Artemisia schloss den Atlas mit einem Knall und legte ihn wieder in das oberste Fach des Bücherschranks, während Peter seinem Vater die Tür aufhielt.
Der Gefangene 4602 hielt eine Tasse dampfenden Kaffees in der einen und einen Dessertkeks in der anderen Hand. Er starrte aus einem Fenster auf einen Streifen grünen Grases; hätte es die fast fünf Meter hohe, von Stacheldraht gekrönte Mauer jenseits des Platzes nicht gegeben, hätte er genauso gut zu Hause in Cadogan Place sein können anstatt in der Bibliothek eines Gefängnisses mit eher weniger strengen Sicherheitsbestimmungen.
Miles Faulkner stellte seine Tasse auf den Ausleihtisch und warf einen Blick auf den Kalender an der Wand. Noch achtzehn Tage, dann wäre seine Haftstrafe zu Ende und man würde ihn entlassen, nachdem er drei Jahre zum Wohlgefallen Ihrer Majestät abgesessen hatte wegen seines Versuchs, die Kronjuwelen zu stehlen und William Warwick endgültig zu Fall zu bringen. Obwohl der Diebstahl misslungen und er selbst es war, den man schließlich zu Fall gebracht hatte, hatte er die letzten drei Jahre nicht verschwendet, sondern bereits Pläne entwickelt, das Leben von Chief Superintendent William Warwick und das seiner perfekten Frau auf den Kopf zu stellen. Wenn sie sich auch nur einen Augenblick lang einbildeten, dass Miles seine Lektion gelernt hatte und ein anderer Mensch geworden war, sollten sie besser noch einmal nachdenken. In diesem Fall heilte die Zeit eben nicht alle Wunden.
An der Bibliothekstür erklang ein Klopfen. Langsam ging Miles hinüber und öffnete sie. Vor ihm stand der Gefängnisbeamte Simpson draußen in der Kälte.
»Guten Morgen, Mr. Faulkner«, sagte er und überreichte dem leitenden Bibliothekar ein Exemplar der Financial Times.
»Guten Morgen, Bill«, erwiderte Miles.
»Brauchen Sie sonst noch etwas?«, fragte der diensthabende Beamte, dessen Einkommen jedes Mal ein wenig stieg, wenn er im Auftrag des Häftlings den lokalen Zeitungsverkäufer aufsuchte.
»Im Augenblick nicht, aber falls sich irgendetwas ergeben sollte, wird Tulip sich bei Ihnen melden«, sagte Miles und schloss die Tür.
Miles ging zu seinem Stuhl am Fenster zurück, setzte sich und begann die Morgenzeitung zu lesen, während Tulip, sein engster Vertrauter, ihm eine weitere Tasse Kaffee zubereitete – schwarz, heiß und dampfend, mit einem Löffel Zucker.
Er wandte sich dem Wertpapierindex der Zeitung zu, dem sogenannten Footsie 100, und studierte seine Aktien. Während seiner Haft waren sie in einem Jahr um neun Prozent gestiegen, und sein Börsenmakler hatte in seinem Namen weiter gehandelt, als rufe Miles selbst noch immer aus seiner Wohnung in Chelsea an.
Jeder Gefängnisbeamte wusste, dass Miles irgendwo in der Bibliothek ein Handy versteckt hatte, doch nur Tolstoi war sich darüber im Klaren, wo genau es sich befand: in einem Exemplar von Krieg und Frieden auf dem obersten Regal der Klassiker-Abteilung. Kein Buch, das regelmäßig ausgeliehen wurde.
Miles schlug die Seite um und stellte zufrieden fest, dass sein Vermögen intakt geblieben war, obwohl er seiner Exfrau Christina noch immer jeden Monat Alimente bezahlen musste, die, so hatte der Richter entschieden, es ihr ermöglichen sollten, jenen Lebensstil aufrechtzuerhalten, an den sie sich gewöhnt hatte.
Er blätterte weiter, bis ihm im Kunstteil eine Überschrift ins Auge fiel: FITZMOLEANVERSUCHT, EINEMILLIONAUFZUBRINGEN, UMREMBRANDT-ZEICHNUNGZUSICHERN. Miles las den Artikel langsam, aber schließlich hatte er auch jede Menge Zeit.
Die dritte Lektüre eines Interviews mit der Museumsdirektorin Dr. Beth Warwick bestätigte ihm, dass Rembrandts Jakobs Kampf mit dem Engel, eine seltene vorbereitende Zeichnung des holländischen Meisters, von der Galerie für eine Million Pfund erworben werden konnte, sofern das Fitzmolean nach den Richtlinien des Gesetzes der neuen Regierung zur Erleichterung der Steuerlast bei Erbschaften selbst eine halbe Million Pfund aufbringen würde; dies galt jedoch nur, wenn die Galerie ihren gesamten Anteil bis Ende Juni vorweisen konnte. Dr. Warwick erklärte gegenüber dem Kunstredakteur der Financial Times, dass es bisher nur gelungen war, 214.000 Pfund aufzubringen, und sie nicht mehr davon ausging, dass der volle Betrag bis zum entscheidenden Termin zu erreichen war. Sollte es sich tatsächlich so verhalten, erklärte Dr. Warwick, würde das Meisterwerk zweifellos für eine viel höhere Summe auf dem freien Markt verkauft werden.
Langsam bildete sich in Miles’ Kopf eine Idee. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen, aber nicht weil er müde war, sondern weil er sich darauf konzentrieren wollte, einen Weg zu finden, um sich Dr. Warwicks Situation zunutze zu machen.
Tulip schenkte Miles den frischen Kaffee ein, aber es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, die Gedanken seines Herrn und Meisters zu unterbrechen. Er wollte Miles nicht verärgern, solange immer noch die Chance bestand, dass er in achtzehn Tagen den Posten des Chefbibliothekars von ihm übernehmen würde. Also stellte er den Topf zurück auf den kleinen Gasring und fuhr fort, die kürzlich zurückgegebenen Bücher an ihre korrekten Plätze auf den Regalen zu stellen. Sobald diese Aufgabe beendet war, würde er sich auf seine Morgenrunde begeben und die überfälligen Bücher von Häftlingen einsammeln, die entweder sehr langsam lasen oder die man lieber nicht bitten sollte, sie selbst zurückzubringen.
Die Morgenrunden waren für Tulip nichts weiter als ein Vorwand, seine Mithäftlinge aufzusuchen und allerlei Insiderinformationen aufzuschnappen, die er an Miles weitergeben konnte, damit dieser jedem im Gefängnis einschließlich des Direktors einen Schritt voraus war.
Tulip schob seinen kleinen Bücherwagen leise durch die Tür, wobei er darauf achtete, seinen Boss nicht zu stören.
Als Tulip nach der Türklinke griff, schlug Miles ein Auge auf. »Ich muss Billy den Fälscher sprechen«, verkündete er. »Sag ihm, dass er morgen nach dem Frühstück in die Bibliothek kommen soll.«
Mit Freuden nimmt Mrs. Christina Faulkner die Einladung von Lord und Lady Mulberry an, sich ihnen beim Royal Ascot anlässlich des British Champions’ Day anzuschließen.
Christina stellte die Einladungskarte auf den Kaminsims und dachte bereits über die neuen Kleider nach, die sie benötigen würde, und natürlich über einen neuen Hut, der nicht unbemerkt bleiben durfte. Sie hatte an diesem Morgen über wenig anderes nachgedacht. Sobald ein Taxi sie in Mayfair abgesetzt hatte, machte sie sich mit der Überzeugung einer wahren Shopaholic an ihre Aufgabe.
Sie verbrachte die erste halbe Stunde damit, langsam eine Seite der Bond Street hinauf und noch langsamer die andere Seite hinabzugehen, bevor sie vor dem Geschäft von Armani stehen blieb – einem Italiener, der wusste, dass vierzig nur eine Zahl war. Eleganz und Stil hingegen kannten kein Alter.
Sie probierte mehrere Kleider aus und besonders eines hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt. Obwohl es ein wenig teurer war – eher Giorgio Armani anstatt Emporio Armani –, musste man sich stets bewusst sein, dass es hier um das Royal Ascot ging. Christina bat den Verkäufer, es einzupacken, bevor sie ihm ihre Kreditkarte gab. Während sie wartete, dachte sie darüber nach, welche Etablissements sie mit ihrer Gegenwart beehren würde, um das Ensemble mit einem Hut und einem neuen Paar Schuhe zu vervollständigen, als der Verkäufer sie aus ihren Überlegungen riss.
»Entschuldigen Sie, Madam«, sagte der Mann, »aber ich fürchte, Ihre Karte konnte bedauerlicherweise nicht akzeptiert werden.« Der Bond-Street-Ausdruck für: »Sie wurde abgelehnt.«
»Nicht akzeptiert?«, wiederholte sie. »Das ist unmöglich. Versuchen Sie es noch einmal.«
»Gewiss, Madam«, sagte er und eilte davon, nur um wenige Minuten später mit demselben verlegenen Gesichtsausdruck zurückzukehren.
»Ich werde mich sofort darum kümmern«, sagte Christina, zog ihr Handy aus der Tasche und ging die Liste mit ihren Kontakten durch.
»Craig Trotman«, sagte eine Stimme, nachdem sie eine Nummer gewählt hatte.
»Mr. Trotman, hier ist Christina Faulkner«, verkündete sie in einem Ton, als spreche sie mit einem Bankangestellten und nicht mit dem stellvertretenden Direktor. »Sie haben mich gerade in eine überaus peinliche Situation gebracht.«
»Es tut mir leid, so etwas zu hören, Mrs. Faulkner«, sagte Trotman. »Kann ich Ihnen in irgendeiner Weise eine Hilfe sein?«
»Das können Sie allerdings«, sagte Christina. »Ich habe gerade ein exquisites Kleid von Armani gekauft«, sagte sie und hielt kurz inne, bevor sie fortfuhr, »für das Royal Ascot, wo ich Gast der Mulberrys sein werde, und als ich meine Kreditkarte vorgelegt habe, konnte sie nicht akzeptiert werden. Zweifellos gibt es eine einfache Erklärung dafür?«
»Könnten Sie bitte einen Augenblick am Apparat bleiben, während ich mir die Sache ansehe, Mrs. Faulkner?«
»Zweifellos eine technische Panne«, sagte Christina, was dem Verkäufer ein Lächeln entlockte.
Christina begann im Geschäft auf und ab zu gehen, wobei sie vorgab, sich andere Stücke anzusehen, während sie darauf wartete, dass Mr. Trotman sich wieder melden würde.
In einer weitaus weniger ansprechenden Umgebung hörte Tulip das Handy klingeln und sah schnell zur Bibliothekstür, während Miles zur Abteilung mit den Klassikern ging und den Tolstoi vom obersten Regal nahm. Er holte das Handy heraus, drückte auf den grünen Knopf und hörte zu.
»Guten Morgen, Mr. Faulkner, hier ist Craig Trotman«, flüsterte der stellvertretende Bankdirektor. »Sie haben mich gebeten, Ihnen Bescheid zu sagen, wenn Ihre ehemalige Gattin«, er zögerte, »vorübergehender Unterstützung bedarf.«
»Und, braucht sie die?«, fragte Miles.
»Ich fürchte, so verhält es sich in der Tat, Sir. Es geht nur um einen kleinen Betrag, aber sie hat ihren Kreditrahmen bereits weit überschritten. Doch vielleicht sehen Sie sich in der Lage, die Kosten zu übernehmen?«
»Wie viel?«, wollte Miles wissen, der ahnte, dass Christina am anderen Ende der Verbindung wartete.
»Vierzehnhundert Pfund, Sir, für ein Kleid von Armani, das sie für das Royal Ascot erstehen möchte.«
»Sagen Sie ihr, sie soll zusehen, dass sie Land gewinnt«, sagte Miles. »Aber vielen Dank, dass Sie mich informiert haben.« Er drückte auf den roten Knopf des Handys und legte es zurück zwischen die Seiten 320 und 572 von Krieg und Frieden. Dann stellte er den Tolstoi wieder zurück an seinen Platz auf dem obersten Regal neben Auferstehung. Tulip öffnete die Bibliothekstür.
»Sind Sie noch dran, Mrs. Faulkner?«, fragte Trotman, indem er zum anderen Telefon wechselte.
»Das bin ich absolut.«
»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie Ihren Kreditrahmen überschritten haben.« Er fügte nicht hinzu: »In bedeutender Höhe.«
»Und mir tut es leid, Ihnen mitteilen zu müssen, Mr. Trotman, dass ich, falls Sie sich nicht bereit erklären, diese lächerliche Summe zur Verfügung zu stellen, ich darüber nachdenken muss, mein Konto zu einer anderen Bank zu transferieren.«
»Wie Sie wünschen, Madam.«
Christina schaltete ihr Handy aus und marschierte aus dem Geschäft hinaus auf die Bond Street, wobei sie einen amüsierten Verkäufer und ein Kleid von Armani zurückließ. Sie kam an Ferragamo, Prada und Cartier vorbei, ohne auch nur einen Blick in deren Schaufenster zu werfen. Als Christina das Ritz erreichte, wurde sie vom dortigen Portier gegrüßt. Sie betrat das Hotel jedoch nicht, sondern ging weiter und hoffte, dass sich noch etwas in ihrem Kühlschrank befand.
Sobald der Scheck mit Miles’ monatlicher Unterhaltszahlung gutgeschrieben war, hatte Christina den Eindruck, dass ihr nach drei Wochen des Verzichts auf Champagner eine Belohnung zustand – Bond Street oder Tramp –, und sie kam zu dem Schluss, dass ein Abend in ihrem Lieblingsnachtclub sie aufheitern würde, selbst wenn sie sich die Gesellschaft eines jüngeren Mannes nicht mehr leisten konnte und sich mit einem Caesar Salad und vielleicht einem oder zwei Gläsern Champagner zufriedengeben musste.
Christina erreichte den Club auf modische Art recht spät und für den abendlichen Anlass modisch gekleidet, auch wenn ein nicht ganz so wohlgesinnter Beobachter ihren Rock für ein wenig zu kurz für jemanden in ihrem Alter gehalten hätte.
Tony Guido, der Oberkellner, führte seinen Gast an den üblichen Tisch, und kurz darauf stand ein Glas Champagner vor ihr.
»Wir haben Sie vermisst, Mrs. Faulkner«, sagte Tony, »aber zweifellos haben Sie den Frühling am Mittelmeer verbracht.«
»St. Paul de Vence und danach am Comer See«, sagte Christina, obwohl sie mehrere Wochen lang ihre Wohnung in Chelsea kaum verlassen hatte. Christina wusste, dass sie die Rechnung gerade so würde bezahlen können. Trotzdem nippte sie unbeeindruckt an ihrem Champagner und ließ ihre Blicke durch den spärlich erhellten Raum schweifen, der voller hinreißender Männer war, von denen zu viele von wunderschönen jungen Frauen begleitet wurden.
Sie hatte sich gerade schweren Herzens gegen ein zweites Glas Champagner entschieden, als der Oberkellner an ihren Tisch trat, sich vorbeugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. »An der gegenüberliegenden Seite des Saals sitzt ein Gentleman, der sich gefragt hat, ob Sie ihm vielleicht Gesellschaft leisten möchten.«
Christina spähte über das gut besuchte Tanzparkett hinweg und sah einen attraktiven Mann mittleren Alters, der alleine an einem Tisch saß und mit seinem Glas spielte. Sie wollte ihm gerade ein warmes Lächeln schenken, als eine atemberaubende junge Frau sich zu ihm setzte. Christinas Blick wanderte zu dem Gast am nächsten Tisch.
»Aber er sieht so aus, als würde es nicht mehr lange dauern, bis er seinen Busfahrschein hervorkramt!«, entgegnete sie.
»Mag sein«, sagte der Oberkellner, »aber wenn man der Liste der Superreichen in der Sunday Times glauben darf, dann ist Mr. W. T. Hackensack III. auf Platz neunzehn der reichsten Männer Amerikas.«
»Tatsächlich?«, sagte Christina und erwiderte sein Grinsen. Sie wartete einige Augenblicke, dann stand sie auf und ging langsam über das Tanzparkett. Der Herr erhob sich, als sie noch ein paar Schritte entfernt war, und nahm erst wieder Platz, nachdem sie sich gesetzt hatte.
»Hi, ich bin Wilbur«, sagte er mit einem Akzent, der niemanden im Zweifel darüber gelassen hätte, von welchem Kontinent er stammte.
»Christina Faulkner«, sagte sie und reichte ihm ihre Hand.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken bestellen?«, fragte er, doch der Oberkellner war bereits mit neuen Getränken an ihren Tisch getreten.
»Leben Sie in London, Wilbur, oder besuchen Sie einfach nur unsere heimischen Gestade?«, fragte sie, indem sie ihre Sondierungsaktivitäten aufnahm.
»Ich bin zu Besuch hier«, sagte er, während sie anstießen. »Ich bin dabei, mich auf das zu begeben, was Ihre Landsleute einst die große europäische Tour nannten.«
»Ganz alleine?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Ich fürchte, ja. Meine Frau und ich hatten geplant, die Reise zu Beginn meiner Rente anzutreten. Doch unglücklicherweise ist Irene vor ein paar Monaten an Krebs gestorben, als alles bereits gebucht war, und ich habe beschlossen, die Reise trotzdem zu unternehmen.«
»Wie traurig«, sagte Christina. »Und es gibt keine Kinder, die Sie begleiten könnten?«, setzte sie ihre Sondierung fort.
»Es gibt zwei Söhne, die jetzt die Geschäfte führen, aber sie konnten sich nicht loseisen. Ehrlich gesagt habe ich schon mit dem Gedanken gespielt, dass ich genauso gut früher als geplant wieder nach Columbus zurückkehren könnte.«
»Ich war noch nie in Ohio«, sagte sie, womit sie versuchte, ihr Gegenüber zu beeindrucken.
»Das sollten Sie. Es ist voller großartiger Parks, Theater und Galerien.«
»Ich bin im Vorstand einer Galerie«, sagte Christina und wartete auf die naheliegende Frage.
»Von welcher?«
»Dem Fitzmolean«, sagte Christina.
»Voller holländischer Meisterwerke, wie man mir gesagt hat. Das Museum steht auf der Liste der Orte, die ich besuchen möchte.«
»Es wäre mir eine Freude, für Sie dort eine Führung zu veranstalten, Wilbur, falls Sie noch ein paar Tage in der Stadt sind.«
»Ich bin bis Ende der Woche hier.«
»Und Sie wohnen in der Nähe?«
»Einfach die Straße hinauf. Im Ritz.«
»Mein Lieblingshotel«, versicherte sie ihm. Wenigstens das war die Wahrheit.
»Dann hätten Sie vielleicht Lust, sich mir irgendwann diese Woche zum Lunch anzuschließen? Das heißt, wenn Sie nicht zu sehr …«
»Ich bin gerade noch rechtzeitig zum Beginn der Saison aus Südfrankreich zurückgekommen«, sagte Christina. »Ich genieße es so sehr, beim Royal Ascot zu sein. Aber natürlich haben Sie selbst ein berühmtes Pferderennen in Columbus«, sagte sie in der Hoffnung, dass dies zutraf.
»Beulah Park«, sagte Wilbur, »wo ich viele glückliche Stunden damit zugebracht habe zu sehen, wie meine Pferde nicht in den abgegrenzten Bereich der Sieger geführt wurden.«
Christina lachte und hob ihr Glas. »Dann sind Sie also im Pferdezüchtergeschäft, Wilbur?«, fragte sie.
»Nichts so Glamouröses, fürchte ich. Ich kümmere mich um Abfall.«
»Abfall?«, wiederholte sie, als sei das ein Wort, mit dem sie nicht vertraut war.
»Meine Firma sammelt Müll ein, verbrennt ihn und lässt alles wiederverwerten, was die Leute nicht mehr wollen. Dank meines Urgroßvaters«, nun hob auch er sein Glas noch einmal, »der die Firma vor über einhundert Jahren gegründet hat, konnten wir seither ein recht auskömmliches Leben führen, was wir auch weiterhin tun werden, solange es Politiker gibt, die für ihren Wahlkampf Spenden sammeln.«
»Wie kommen Politiker dabei ins Spiel?«, fragte Christina, die aufrichtig verwirrt war.
»Sie wollen regelmäßig wiedergewählt werden, und wenn man in Ohio ein Geschäft führt und dabei überleben möchte, muss man lernen, mit ihnen zu leben.«
»Welche Partei unterstützen Sie?«, fragte Christina, die sich bemühte, bei diesem Thema mitzukommen.
»Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner«, gestand Wilbur. »Wir sind ein sogenannter Swing State, weshalb ich nie sicher sein kann, ob die Grand Old Party oder die Donkeys das nächste Mal an der Macht sein werden. Aber das hindert die beiden nicht daran, an meine Tür zu klopfen und meinen Beitrag zu erbitten. Und wenn auch nur die kleinste Aussicht besteht, dass der Betreffende gewählt wird, bekommt er ihn. So kann ich nicht verlieren.«
»Das kann nicht ganz billig sein«, sagte Christina.
»Das ist es auch nicht. Und bei neunzehn Bürgermeistern, einunddreißig staatlichen Gesetzgebern und zahllosen Polizeichefs, ganz abgesehen von einem Governor und zwei Senatoren, kostet mich das mehrere Millionen im Jahr. Aber unser System ist so korrupt, dass ich jeden Beitrag steuerlich anrechnen lassen kann, sogar wenn ich beide Seiten unterstütze.«
»Aber für wen entscheiden Sie sich am Wahltag?«, neckte Christina ihn.
»Für keinen und für beide, je nachdem, mit wem ich zum Zeitpunkt der Wahl spreche. Wann immer sie fragen, schwöre ich, dass sie meine Stimme bekommen, aber in Wahrheit gehe ich nie zur Wahl. Ein Rat, den mein Großvater mir gegeben hat und den ich an meine beiden Söhne weitergegeben habe.«
Christina lachte laut; es war ein ehrliches Lachen. Sie war überrascht, wie sehr sie Wilburs Gesellschaft genoss.
»Aber genug von mir«, sagte Wilbur. »Vielleicht möchten Sie mir ja erzählen, warum eine so schöne Frau wie Sie ganz alleine ist?«
Elf Uhr. Miles hatte den Zeitpunkt sorgfältig ausgewählt. Weil die Bibliothek erst in einer Stunde öffnen würde, konnte er davon ausgehen, dass sie ungestört blieben. Unter dem fadenscheinigen Vorwand, dass Billy Mumford einen Katalog der Werke Rembrandts besorgen müsse, damit er mit seiner Arbeit fortfahren konnte, war Tulip bereits gegangen, um den Häftling aus der Kunsthandwerkerabteilung abzuholen. Das stimmte sogar, denn der Gefängnisbeamte Simpson hatte sich in der Nacht zuvor eine Spendenaufforderung des Fitzmolean geben lassen und am Morgen in Miles’ Zelle gebracht.
Als Tulip mit Mumford im Schlepptau auftauchte, führte Miles seinen Gast zum einzigen anderen Stuhl im Raum. Er wartete, bis Mumford Platz genommen hatte, während Tulip für beide Kaffee und ein Tablett mit Dessertkeksen vorbereitete, die der Gefängnisdirektor Miles überlassen hatte – das Äquivalent eines Mittagsmahls im Savoy, wenn man im Gefängnis saß.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Faulkner?«, fragte Billy, der sich durchaus bewusst war, dass niemand vom Chefbibliothekar zu Kaffee und Keksen eingeladen wurde, es sei denn, dieser wollte etwas von einem.
Sieben kostbare Minuten waren bereits vergangen, bevor die Bibliothek um zwölf öffnen würde, weshalb Miles keine Zeit mehr verlor.
»Zunächst, Billy, würde ich gerne wissen, ob man sich auf die Gerüchte verlassen kann, die im Gefängnis gerade die Runde machen.«
»Welche?«, fragte Billy.
»Dass Sie einmal einen Murillo gefälscht haben, der seinen Weg in den Prado fand.«
»Das war der Grund, warum ich schließlich in Scrubs gelandet bin«, gestand Billy, als zwei Tassen dampfenden schwarzen Kaffees auf den Tisch zwischen ihnen gestellt wurden.
»Aber bis dahin hatten Sie es geschafft, mehrere Experten zum Narren zu halten.«
»Für etwas mehr als ein Jahr«, sagte Billy, »und es war nicht das Bild, weswegen ich aufgeflogen bin, sondern weil irgendein Bastard mich im Austausch gegen eine leichtere Strafe verpfiffen hat.«