10,99 €
Der große Debütroman von Jeffrey Archer
Harvey Metcalfe ist hochintelligent, reich - und ein Betrüger. Sein jüngster Coup: Mit leeren Versprechungen und vorgetäuschten Geschäften hat er vier wohlhabende Männer über Nacht um ihr Vermögen gebracht. Doch diesmal hat er sich die Falschen ausgesucht. Seine Opfer haben sich verbündet, um Metcalfe mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Gemeinsam wollen sie ihn exakt um den Betrag erleichtern, den sie zuvor verloren haben: eine Millionen US-Dollar. Ein gewagtes Spiel beginnt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 380
Harvey Metcalfe ist hochintelligent, reich – und ein Betrüger. Sein jüngster Coup: Mit leeren Versprechungen und vorgetäuschten Geschäften hat er vier wohlhabende Männer über Nacht um ihr Vermögen gebracht. Doch diesmal hat er sich die Falschen ausgesucht. Seine Opfer haben sich verbündet, um Metcalfe mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Gemeinsam wollen sie ihn exakt um den Betrag erleichtern, den sie zuvor verloren haben: eine Million US-Dollar. Ein gewagtes Spiel beginnt.
Jeffrey Archer, geboren 1940 in London, verbrachte seine Kindheit in Weston-super-Mare und studierte in Oxford. Archer schlug zunächst eine bewegte Politikerkarriere ein. Mit seinem Debüt »Es ist nicht alles Gold, was glänzt« legte er den Grundstein für eine beispiellose Schriftstellerkarriere, »Kain und Abel« war sein Durchbruch, er wurde weltberühmt. Mittlerweile zählt Jeffrey Archer zu den erfolgreichsten Autoren Englands. Seine historischen Reihen »Die Clifton-Saga« und »Die Warwick-Saga« begeistern eine stetig wachsende Leserschar. Archer ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in London, Cambridge und auf Mallorca.
JEFFREY ARCHER
ROMAN
Aus dem Englischen von Suzanne Annette Gangloff
WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN
Die Originalausgabe NOT A PENNYMORE, NOT A PENNYLESS erschien erstmals 1976 bei Macmillan.Erstmals im Deutschen erschienen 1978 bei Schneekluth Verlag, München.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
Neuausgabe 09/2024
Copyright © 1976 by Jeffrey Archer
Copyright © 1978 der deutschsprachigen Ausgabe by Schneekluth Verlag, München
Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: DASILLUSTRAT, München unter Verwendung von Motiven von Shutterstock (Bragin Alexey und ABC vector)
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978- 3- 641-21798-3
www.heyne.de
»Jörg, rechne heute um 18 Uhr mitteleuropäischer Zeit mit dem Eingang von sieben Millionen Dollar vom Crédit Parisien auf Konto Nr. 2, und bring sie über Nacht bei erstklassigen Banken und Top-Handelsfirmen unter. Oder investiere sie auf dem Eurodollar-Nachtmarkt. Verstanden?«
»Ja, Harvey.«
»Platziere eine Million Dollar bei der Banco do Minas Gerais in Rio de Janeiro auf die Namen Silverman und Elliott, und kündige das kurzfristige Darlehen bei der Barclays Bank, Filiale Lombard Street. Verstanden?«
»Ja, Harvey.«
»Kauf zu Lasten meines Warenkontos Gold bis zum Betrag von zehn Millionen Dollar, und warte dann auf weitere Anweisungen. Versuche, bei niedrigem Kurs zu kaufen, und überstürze nichts – hab Geduld. Verstanden?«
»Ja, Harvey.«
Harvey Metcalfe war sich darüber im Klaren, dass diese letzte Ermahnung überflüssig war. Jörg Birrer gehörte zu den konservativsten Bankiers von Zürich und – was für Harvey noch wichtiger war – hatte sich in den letzten 25 Jahren auch als einer der gerissensten erwiesen.
»Kannst du mich am Dienstag, dem 25. Juni, um 14 Uhr in Wimbledon treffen – Centre-Court, an meinem üblichen Obligationsinhaberplatz?«
»Ja, Harvey.«
Damit war das Gespräch beendet. Harvey sagte nie auf Wiedersehen. Er verstand nichts von gepflegten Umgangsformen, die das Leben angenehmer gestalteten, und mittlerweile war er zu alt, sie noch zu lernen. Er griff erneut zum Telefon, wählte die sieben Nummern, die ihn mit dem Lincoln Trust in Boston verbinden würden, und verlangte seine Sekretärin. »Miss Fish?«
»Ja, Sir.«
»Suchen Sie die Prospecta-Oil-Akte heraus und vernichten Sie sie. Vernichten Sie die ganze darüber vorhandene Korrespondenz, und lassen Sie auch nicht die geringste Spur davon übrig. Verstanden?«
»Ja, Sir.« Der Hörer wurde wieder aufgelegt. Harvey Metcalfe hatte während der letzten 25 Jahre dreimal ähnliche Anweisungen gegeben, und Miss Fish hatte inzwischen gelernt, keine Fragen zu stellen.
Harvey Metcalfe holte tief Atem, er seufzte beinahe – ein Aufatmen triumphierender Befriedigung. Er war nun mindestens 25 Millionen Dollar schwer, und nichts konnte ihn aufhalten. Er öffnete eine Flasche Krug Champagner, Jahrgang 1964, importiert von der Firma Hedges & Butler, London. Er schlürfte ihn in kleinen Schlucken und zündete sich eine von den Romeo-y-Julieta-Churchill-Zigarren an, die ein italienischer Einwanderer einmal im Monat in Kisten zu 250 Stück für ihn aus Kuba herüberschmuggelte. Dann lehnte sich Harvey zurück zu einem friedlichen kleinen Feierstündchen. In Boston, Massachusetts, war es 12.20 Uhr – Zeit zum Lunch. In England war es 18.20 Uhr. Dort kontrollierten in der Harley Street, der Bond Street und der King’s Road in London und im Magdalen College in Oxford vier einander völlig unbekannte Männer in der letzten Ausgabe des Londoner »Evening Standard« den Börsenkurs der Prospecta Oil. Er lag bei 9,10 Dollar. Alle vier waren reiche Leute, die ihre bereits erfolgreichen Karrieren endgültig zu konsolidieren hofften. Morgen würden sie ohne einen Pfennig dastehen.
Auf legale Weise in den Besitz einer Million zu gelangen, ist seit jeher schwierig gewesen. Auf illegale Weise zu einer Million zu kommen, war immer schon etwas leichter. Eine Million zu behalten, nachdem man sie einmal gemacht hat, dürfte wahrscheinlich das Schwierigste sein. Henryk Metelski gehörte zu den wenigen Männern, die alle drei dieser Kunststücke fertiggebracht hatten. Die legal erworbene Million folgte allerdings erst auf die Million, zu der er illegal gekommen war. Aber was ihn allen anderen meilenweit voraus sein ließ, war die Tatsache, dass es ihm gelang, alles zu behalten.
Henryk Metelski war am 17. Mai 1909 in der Lower East Side von New York geboren worden und erlebte die Depression in seinen entscheidenden Entwicklungsjahren. Seine Eltern waren um die Jahrhundertwende nach Amerika ausgewanderte Polen. Henryks Vater war von Beruf Bäcker und hatte in New York, wo die polnischen Einwanderer sich darauf spezialisiert hatten, dunkles Roggenbrot zu backen und kleine Restaurants zu unterhalten, rasch Arbeit gefunden. Beide Eltern hätten es so gern gesehen, wenn Henryk mit Erfolg ein Studium absolviert hätte, aber er zeigte keinerlei Begabung in dieser Hinsicht und hatte sich an seiner Highschool nie durch besondere Leistungen hervorgetan. Er war ein durchtriebener, aufgeweckter kleiner Bursche, jedoch wenig geschätzt von seinen Lehrern wegen seiner völligen Gleichgültigkeit gegenüber den bewegenden Geschichten vom Unabhängigkeitskrieg und von der Freiheitsglocke und wegen der Kontrolle, die er über den schwarzen Markt in leichtem Rauschgift und Alkohol unter den Schülern ausübte. Klein-Henryk teilte nicht die Ansicht, dass die besten Dinge im Leben umsonst zu haben seien, und die Jagd nach Geld und Macht war für ihn etwas so Natürliches wie das Jagen von Mäusen für eine Katze.
Als Henryk zu einem pickeligen Vierzehnjährigen erblüht war, starb sein Vater an einer Krankheit, die wir heute unter dem Namen Krebs kennen. Seine Mutter überlebte den Tod ihres Mannes nur um wenige Monate, und dem einzigen Kind blieb es nun überlassen, sich selbst großzuziehen. Henryk hätte eigentlich im Bezirkswaisenhaus für mittellose Kinder untergebracht werden sollen. Aber in den Zwanzigerjahren war es nicht schwer für einen Jungen in New York, von der Bildfläche zu verschwinden – sehr viel schwieriger dagegen war es zu überleben. Henryk wurde ein Meister in dieser Disziplin – ein Training, das ihm in seinem späteren Leben sehr zustattenkommen sollte.
Er trieb sich in New Yorks East Side herum, mit eng geschnalltem Gürtel und weit offenen Augen, putzte hier Schuhe, spülte dort Geschirr und hielt unermüdlich Ausschau nach einem Einstieg in das Labyrinth, in dessen Innerstem Reichtum und Prestige lagen. Er entdeckte schließlich auch einen, als sein Zimmergenosse, Jan Pelnik, ein Botenjunge an der New Yorker Börse, sich durch den Genuss einer mit Salmonellen gespickten Wurst zeitweise selbst außer Gefecht gesetzt hatte. Henryk, entsandt, um den Chefboten von diesem Missgeschick zu unterrichten, stapelte die Lebensmittelvergiftung zu einer Tuberkulose hoch und empfahl sich selbst als Anwärter auf die somit frei gewordene Stelle. Dann suchte er sich ein anderes Zimmer und nahm, angetan mit seiner neuen Uniform, seine Arbeit auf.
Die meisten Botschaften, die er in den frühen Zwanzigerjahren auszutragen hatte, waren mit der Empfehlung »Ankauf« versehen. Viele von ihnen wurden umgehend befolgt, denn damals herrschte eine Zeit des Booms. Henryk sah Männer von geringen Fähigkeiten Vermögen machen, während er nur ein Beobachter war. Sein Instinkt trieb ihn zu jenen Leuten, die in einer Woche an der Börse mehr Geld machten, als er mit seinem Lohn in einem ganzen Leben würde verdienen können.
Er machte es sich zur Aufgabe zu lernen, wie die Börse funktionierte, belauschte Gespräche, las Botschaften und brachte heraus, welche Zeitungen man lesen muss. Als Achtzehnjähriger verfügte er über vier Jahre Erfahrung in Wall Street – vier Jahre, die für die meisten Botenjungen nichts weiter bedeutet haben dürften, als durch Flure zu hasten und Papiere zu überbringen. Für Henryk Metelski hingegen kamen diese vier Jahre praktisch einem Magistergrad von der Harvard Business School gleich (damals konnte er nicht ahnen, dass er eines Tages Vorträge vor diesem erlauchten Gremium halten würde).
Im Juli 1927 sollte er eines Vormittags eine Botschaft bei Halgarten & Co., einer angesehenen Maklerfirma, abliefern, und machte dabei seinen üblichen kleinen Umweg über die Toilette. Er hatte ein System entwickelt, das darin bestand, sich in einer der Kabinen einzuschließen, die Mitteilung, die er überbringen sollte, zu lesen, zu überlegen, ob sie für ihn wertvoll sein könnte, und wenn das der Fall war, Witold Gronowich anzurufen, einen älteren Polen, der eine kleine Versicherungsmaklerfirma für seine Landsleute betrieb. Nach Henryks Schätzung nahm er selbst durch die Informationen, die er auf diese Weise übermittelte, pro Woche 20 bis 25 Dollar zusätzlich ein. Gronowich, der ohnehin nicht in der Lage war, größere Summen auf dem Markt zu investieren, ließ niemals etwas über seinen jungen Informanten durchsickern.
In der Kabine dämmerte es Henryk, dass er dabei war, eine Mitteilung von beachtlicher Bedeutung zu lesen. Der Gouverneur von Texas stand im Begriff, der Standard Oil Company die Erlaubnis zu erteilen, eine Pipeline von Chicago nach Mexiko fertigzustellen, nachdem alle anderen betroffenen Behörden diesem Vorschlag bereits zugestimmt hatten. An der Börse wusste man, dass die Gesellschaft diese letzte Erlaubnis fast ein Jahr lang zu erhalten versucht hatte. Die Botschaft sollte unmittelbar John D. Rockefellers Makler, Tukker Anthony, übermittelt werden, und zwar sofort. Die Bewilligung dieser Pipeline würde automatisch den gesamten Norden einer Belieferung mit Öl erschließen, und das würde erhöhte Gewinne bedeuten. Henryk begriff sofort, dass die Standard-Oil-Aktien auf dem Markt unaufhaltsam steigen würden, sobald die Neuigkeit eingeschlagen hätte – umso mehr, als Standard Oil bereits 90 Prozent der Ölraffinerien in Amerika kontrollierte.
Normalerweise würde Henryk diese Information sofort an Mr Gronowich weitergegeben haben – und er war auch drauf und dran, dies zu tun –, als er bemerkte, wie ein ziemlich übergewichtiger Mann, der die Toilette ebenfalls gerade verließ, einen Zettel verlor. Da im Augenblick niemand sonst anwesend war, hob Henryk das Papier auf und zog sich erneut in seine Kabine zurück, überzeugt, es handle sich bestenfalls um eine weitere Information. Tatsächlich war es ein Scheck über 50 000 Dollar zur Barauszahlung an eine Mrs Rose Rennick.
Henry überlegte blitzschnell. Eiligst verließ er die Toilette und stand bald darauf mitten in der Wall Street. Er ging zu einem kleinen Café in der Rector Street, wo er sorgfältig seinen Plan ausarbeitete und ihn sogleich in die Tat umzusetzen begann.
Zunächst löste er den Scheck bei einer Zweigstelle der Morgan Bank auf der südwestlichen Seite der Wall Street ein; er wusste, dass man ihn, da er die schicke Uniform eines Boten der Börse trug, für nichts anderes als für den Austräger irgendeiner distinguierten Firma halten würde. Sodann kehrte er zur Börse zurück und kaufte von einem auf eigene Rechnung arbeitenden Makler 2500 Standard-Oil-Aktien zu 19,85 Dollar pro Stück, wobei ihm nach Abzug der Maklergebühren 126,61 Dollar übrig blieben. Diese 126,61 Dollar zahlte er auf ein Depositenkonto bei der Morgan Bank ein. Schwitzend vor gespannter Erwartung einer Bekanntgabe durch das Gouverneursbüro, verrichtete er weiterhin die gewohnten Handlungen seines normalen Arbeitstages, war jedoch innerlich zu sehr mit Standard Oil beschäftigt, um mit den auszutragenden Botschaften noch seine Umwege über die Toilette zu machen.
Aber er wartete vergebens auf eine Bekanntgabe. Henryk konnte nicht wissen, dass diese bis zum offiziellen Börsenschluss um 16 Uhr zurückgehalten wurde, da der Gouverneur selbst überall Aktien aufkaufte, wo immer er sie nur mit seinen schmutzigen Fingern erwischen konnte, und damit den Kurs bis Geschäftsschluss auf 20,25 Dollar hochtrieb, ohne dass irgendeine offizielle Bekanntgabe erfolgt wäre. Henryk ging an diesem Abend nach Hause, völlig versteinert vor Angst, einen katastrophalen Fehler begangen zu haben. Er sah sich bereits im Gefängnis landen, seine Stellung verlieren und alles, was er sich in den letzten vier Jahren aufgebaut hatte.
In dieser Nacht konnte er keinen Schlaf finden und wurde zunehmend unruhiger in seinem kleinen Zimmer. Um ein Uhr morgens hielt er es nicht mehr länger aus, stand auf, rasierte sich, zog sich an und nahm einen Zug zur Grand Central Station. Von dort lief er zu Fuß zum Times Square, wo er mit zitternden Händen die erste Ausgabe des »Wall Street Journal« kaufte. Und da stand es in schreienden Schlagzeilen: GOUVERNEURBEWILLIGTROCKEFELLERÖLPIPELINERECHTE; und darunter eine Zwischenüberschrift: Standard-Oil-Aktien – Lebhaftes Geschäft erwartet.
Völlig benommen ging Henryk in das nächste 24-Stunden-Café in der östlichen 42. Straße, bestellte einen enormen Hamburger mit Pommes frites und verschlang beides wie ein Mann seine Henkersmahlzeit vor dem Gang zum elektrischen Stuhl und nicht etwa wie sein Antrittsmahl auf dem Weg zu Glück und Erfolg. Er las sämtliche Einzelheiten auf Seite eins und deren Fortsetzung auf Seite 14, und um vier Uhr früh hatte er die drei ersten Ausgaben der »New York Times« und die ersten zwei Ausgaben der »Herald Tribune« gekauft. Henryk eilte nach Hause, schwindelig vor freudiger Erregung, und warf sich in seine Uniform. Um acht Uhr traf er an der Börse ein und verrichtete geistesabwesend und automatisch seine tägliche Arbeit, in Gedanken mit nichts anderem beschäftigt als mit dem zweiten Teil seines Planes.
Als die Börse offiziell geöffnet wurde, ging Henryk hinüber zur Morgan Bank und nahm ein Darlehen von 50 000 Dollar gegen seine 2500 Standard-Oil-Aktien als Sicherheit auf, deren Eröffnungskurs an diesem Morgen bei 21,30 Dollar lag. Er zahlte die 50 000 Dollar auf sein Depositenkonto ein und wies die Bank an, ihm eine schriftliche Zahlungsanweisung, ausgestellt auf den Namen von Mrs Rose Rennick, auszuhändigen. Damit verließ er das Gebäude und suchte Adresse und Telefonnummer seiner ahnungslosen Wohltäterin heraus.
Mrs Rennick, eine Witwe, die ihren Lebensunterhalt aus den ihr von ihrem verstorbenen Mann hinterlassenen Investitionen bezog, bewohnte eine kleine Mietwohnung in der Park Avenue, einer der elegantesten Gegenden New Yorks. Sie war etwas überrascht, als ein gewisser Henryk Metelski anrief und bat, sie in einer dringenden Privatangelegenheit persönlich sprechen zu dürfen. Eine abschließende Erwähnung der Firma Halgarten & Co. flößte ihr etwas mehr Vertrauen ein, und sie erklärte sich zu einem Treffen im Waldorf-Astoria um 16 Uhr bereit.
Henryk war nie zuvor im Waldorf-Astoria gewesen, aber nach vier Jahren bei der Börse gab es kaum ein Hotel oder Restaurant, das er nicht dem Namen nach aus den Unterhaltungen anderer Leute kannte. Er wusste, dass Mrs Rennick viel eher dazu bereit sein würde, ihn dort zum Tee zu treffen, als dazu, einen Mann mit dem dubiosen Namen Henryk Metelski in ihrer Privatwohnung zu empfangen, zumal sein polnischer Akzent am Telefon deutlicher durchschlug als im persönlichen Gespräch.
Als Henryk in dem mit weichem Spannteppich ausgelegten Foyer des Waldorf-Astoria stand, errötete er ob seiner Naivität in Fragen des Geschmacks, was Herrenbekleidung anbelangte. Er bildete sich ein, dass alle ihn anstarrten, und so vergrub er seine kurze, allzu füllige Gestalt in einem großen Ledersessel. Einige der anderen Gäste des Waldorf-Astoria waren ebenfalls reichlich füllig; allerdings war Henryk ziemlich sicher, dass in diesem Falle wohl eher Pommes de Terre Maître d’Hôtel im Spiel gewesen sein dürften als einfache Pommes frites. Es hatte keinen Sinn mehr zu wünschen, er hätte sein schwarzes gewelltes Haar mit etwas weniger Pomade traktiert, und zu bedauern, dass seine Absätze so schief getreten waren. Er kratzte an einem lästigen Pickel in seinem Mundwinkel. Sein Anzug, in dem er sich unter seinen Freunden so souverän und wohlhabend vorkam, spiegelte, saß allzu knapp, war billig und peinlich auffällig. Henryk passte nicht in das vornehm zurückhaltende Interieur des Hotels und noch viel weniger zu den anderen Hotelgästen. Zum ersten Mal in seinem Leben empfand er ein Gefühl der Unzulänglichkeit, und so verdrückte er sich sachte in den Jefferson Room, versteckte sich hinter einer Ausgabe des »New Yorker« und betete, dass sein Gast bald kommen möge. Kellner flitzten devot um die reich beladenen Tische herum und straften Henryk instinktiv mit hochnäsiger Verachtung. Einer von ihnen war ausschließlich damit beschäftigt, im Raum herumzugehen und mit einer weiß behandschuhten Hand elegant Zuckerstückchen mit einer Silberzange anzubieten: Henryk war zutiefst beeindruckt.
Einige Minuten später erschien Rose Rennick mit zwei kleinen Hunden und einem unbeschreiblichen Hut. Henryk stellte fest, dass sie über sechzig, übergewichtig, übermäßig aufgemacht und übertrieben angezogen aussah. Aber sie besaß ein warmes Lächeln, und sie schien jedermann zu kennen, wie sie von Tisch zu Tisch ging und mit den Stammgästen der Waldorf-Astoria-Teestunde jeweils ein paar Worte wechselte. Schließlich erreichte sie den Tisch, den sie richtig als den Henryks erraten hatte, und war bei dessen Anblick reichlich betroffen – nicht nur, weil seine Kleidung sie seltsam berührte, sondern weil er sogar noch jünger aussah als die achtzehn Jahre, die er zählte.
Mrs Rennick bestellte Tee, während Henryk seine Geschichte erzählte: Wie da ein unglücklicher Fehler mit ihrem Scheck unterlaufen sei, der am Tage zuvor versehentlich seiner Firma gutgeschrieben worden wäre. Seine Firma hatte ihn nun angewiesen, den Scheck mit dem Ausdruck ihres Bedauerns unverzüglich an Mrs Rennick zurückzugeben. Daraufhin überreichte er ihr die Zahlungsanweisung über 50 000 Dollar und erklärte, er würde seine Stellung verlieren, wenn sie darauf bestünde, die Angelegenheit weiterzuverfolgen, da er allein für den Irrtum verantwortlich sei. Tatsächlich war Mrs Rennick erst an diesem Morgen vom Fehlen des Schecks in Kenntnis gesetzt worden und wusste nichts von dessen Einlösung, da besagter Vorgang erst einige Tage später auf ihrem Kontoauszug aufgetaucht wäre. Henryks durchaus echte Beklemmung, als er diese Geschichte herunterstotterte, hätte selbst einen kritischeren Beobachter der menschlichen Natur als Mrs Rennick getäuscht. Sie war sofort einverstanden, die Angelegenheit fallen zu lassen, nur allzu erfreut, ihr Geld wiederzuhaben; und da dies in Form einer Zahlungsanweisung von der Morgan Bank geschehen war, hatte sie nichts verloren. Henryk stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und begann endlich, sich zu entspannen und sich wohlzufühlen. Er winkte sogar den Ober mit dem Zucker und der silbernen Zange herbei.
Nachdem eine angemessene Zeit verstrichen war, erklärte Henryk, er müsse nun zurück zu seiner Arbeit, dankte Mrs Rennick, bezahlte die Rechnung und ging. Draußen auf der Straße pfiff er vor Erleichterung. Sein neues Hemd war klitschnass vor Schweiß, aber er befand sich wieder im Freien und konnte durchatmen. Seine erste größere Operation war ein Erfolg gewesen.
Er stand in der Park Avenue, belustigt darüber, dass der Schauplatz seiner Begegnung mit Mrs Rennick das Waldorf-Astoria gewesen war – eben jenes Hotel, in dem John D. Rockefeller, der Präsident der Standard Oil, eine Suite hatte. Henryk war zu Fuß gekommen und hatte den Haupteingang benutzt, während Mr Rockefeller etwas früher mit der Untergrundbahn eingetroffen und in seinem Privatlift zu den Waldorf Towers hinaufgefahren war. Wenige Bürger von New York wussten, dass Rockefeller sich seinen eigenen privaten U-Bahnhof etwas mehr als 15 Meter unter dem Waldorf-Astoria hatte bauen lassen, damit er nicht vor aller Augen die Strecke von acht Straßenblöcken bis zur Grand Central Station zurücklegen musste, da zwischen dem Großbahnhof und der 125. Straße keine U-Bahnhaltestelle lag. (Der Privatbahnhof existiert noch heute, aber im Waldorf-Astoria wohnen keine Rockefellers mehr, und die U-Bahn hält dort niemals an.) Während Henryk sich mit Mrs Rennick über die 50 000 Dollar unterhielt, diskutierte Rockefeller mit Präsident Coolidges Finanzminister, Andrew W. Mellon, über eine Investition von fünf Millionen Dollar.
Tags darauf ging Henryk wie gewöhnlich wieder zu seiner Arbeit. Er wusste, dass er die Aktien vor Ablauf von fünf Tagen zu Geld machen musste, um seine Schulden bei der Morgan Bank und beim Börsenmakler zu begleichen – ein Aktienkauf an der New Yorker Börse ist innerhalb von fünf Werktagen oder sieben Wochentagen zu bezahlen. Am Fälligkeitstag standen die Aktien bei 23,30 Dollar. Er verkaufte zu 23,15 Dollar, beglich sein Kontodefizit in Höhe von 49 625 Dollar und hatte, nach Abzug aller Spesen, einen Gewinn von 7490 Dollar gemacht, den er bei der Morgan Bank stehen ließ.
Während der nächsten drei Jahre rief Henryk Mr Gronowich nicht mehr an, sondern begann, auf eigene Rechnung zu arbeiten, zunächst allerdings mit kleineren Beträgen. Die Zeiten waren immer noch gut, und wenn er auch nicht jedes Mal einen Profit erzielte, so hatte er es doch zu einer gewissen Fertigkeit in der Handhabung des gelegentlichen Baissemarktes sowie in der des üblicheren Haussemarktes gebracht. Sein auf dem Baissemarkt praktiziertes System bestand darin, Leerverkäufe auf Baisse zu tätigen – ein von moralisch denkenden Kaufleuten nicht sonderlich geschätztes Geschäftsgebaren –, und er beherrschte bald die Kunst, Aktien, die er nicht besaß, zu verkaufen in Erwartung eines darauffolgenden Kurseinbruchs. Sein Instinkt für die Börsentendenzen verfeinerte sich ebenso rasch wie sein Geschmack hinsichtlich seiner Garderobe, und die in den Hinterstraßen der Lower East Side erlernten Schliche kamen ihm sehr zustatten. In Henryks Augen war die Welt nichts als ein Dschungel – zuweilen trugen die Löwen und die Tiger allerdings Anzüge.
Als die Börse 1929 zusammenbrach, hatte er seine anfänglichen 7490 Dollar in 51 000 Dollar flüssige Mittel verwandelt, indem er jede Aktie, die er besaß, mit Profit weiterveräußert hatte. Er war in eine elegante Wohnung in Brooklyn umgezogen und fuhr einen ziemlich auffälligen Stutz-Zwölfzylinder. Henryk war sich schon sehr früh in seinem Leben darüber im Klaren, dass er mit drei wesentlichen Nachteilen geboren worden war: seinem Namen, seiner Herkunft und seiner Mittellosigkeit. Das Geldproblem hatte begonnen, sich von selbst zu lösen, und so beschloss er, die beiden anderen Makel auszumerzen. Zunächst ersuchte er darum, seinen Namen durch Gerichtsbeschluss in Harvey David Metcalfe umzuändern. Danach brach er jegliche Beziehung zu seinen Freunden aus dem polnischen Milieu ab, und so besaß er, als er im Mai 1930 mündig wurde, einen neuen Namen und eine neue Vergangenheit.
Später im gleichen Jahr lernte er Roger Sharpley kennen, einen jungen Mann aus Boston, der die Im- und Exportfirma seines Vaters geerbt hatte, spezialisiert auf die Einfuhr von Whisky und auf die Ausfuhr von Pelzen. In Choate und später im Dartmouth College erzogen, besaß Sharpley die Selbstsicherheit und den Charme der Bostoner oberen Zehntausend – Eigenschaften, um die die übrigen Amerikaner diese so oft beneiden. Er war groß und blond und sah aus wie ein Wikingerspross. Umgeben von der Aura des begabten Dilettanten, konnte er nur feststellen, dass die meisten Dinge ihm fast von selbst zufielen, besonders Frauen. Alles in allem verkörperte er das völlige Gegenteil von Harvey, und gerade dieser Gegensatz brachte sie zusammen.
Für Roger gab es nur ein einziges Ziel: zur Marine zu gehen. Aber nach Absolvierung seines Examens in Dartmouth hatte er wegen der schlechten Gesundheit seines Vaters in die Familienfirma eintreten müssen. Er war nur wenige Monate dort tätig gewesen, als sein Vater starb. Roger hätte Sharpley & Son liebend gern an den erstbesten Interessenten verkauft, aber sein Vater Henry hatte in einem Postskriptum zu seinem Testament bestimmt, dass der Erlös zwischen seinen Verwandten aufgeteilt werden müsste, falls die Firma vor Rogers vierzigstem Geburtstag (dem letztmöglichen Termin, zu dem man in die US-Navy eintreten kann) verkauft würde.
Harvey ließ sich Rogers Problem lange und reiflich durch den Kopf gehen. Nach zwei ausgedehnten Sitzungen mit einem geschickten New Yorker Anwalt schlug er Roger schließlich folgenden Verfahrensweg vor: Harvey würde 49 Prozent von Sharpley & Son für 100 000 Dollar und die jeweils ersten 20 000 Dollar vom Gewinn jedes Jahres kaufen. Im Alter von 40 Jahren würde Roger die verbleibenden 51 Prozent für weitere 100 000 Dollar abtreten. Der Aufsichtsrat würde aus drei Mitgliedern bestehen – Harvey, Roger und einem dritten, von Harvey zu ernennenden –, wodurch Harvey die uneingeschränkte Kontrolle zufiele. Harvey hätte nichts dagegen einzuwenden, dass Roger in die Marine eintreten und lediglich zu den jährlichen Aktionärsversammlungen erscheinen würde.
Roger vermochte sein Glück kaum zu fassen. Er konsultierte niemanden in der Firma Sharpley & Son, da er nur zu gut wusste, dass man versuchen würde, ihn von diesem Schritt abzubringen. Damit hatte Harvey gerechnet und seine Jagdbeute somit richtig eingeschätzt. Nach nur wenigen Tagen Bedenkzeit stimmte Roger dem Vorschlag zu und erklärte sich damit einverstanden, den Vertrag in New York ausfertigen zu lassen – weit genug von Boston entfernt, um sicherzugehen, dass niemand in der Firma etwas von dem erfahren würde, was vor sich ging. Inzwischen begab sich Harvey wiederum zur Morgan Bank, wo er mittlerweile als kreditwürdiger Kunde galt. Der Direktor erklärte sich bereit, ihm bei seinem neuen Unternehmen mit einem Darlehen von 50 000 Dollar unter die Arme zu greifen. Diese Summe, zuzüglich seiner eigenen 50 000 Dollar, versetzten Harvey in die Lage, 49 Prozent von Sharpley & Son zu kaufen und damit der fünfte Präsident der Firma zu werden. Die rechtsgültigen Unterlagen wurden am 14. Oktober 1930 in New York unterzeichnet.
Roger reiste umgehend nach Newport, Rhode Island, ab, um seinen Offizierslehrgang in der US-Navy anzutreten. Harvey begab sich zur Grand Central Station, um den Zug nach Boston zu nehmen. Seine Tage als Botenjunge bei der New Yorker Börse waren vorüber. Er war 21 Jahre alt und Präsident seiner eigenen Firma.
Stets verstand es Harvey, das, was in den Augen der meisten eine Katastrophe war, in einen Triumph zu verwandeln. Das amerikanische Volk stöhnte noch immer unter der Prohibition, und wenngleich Harvey Pelze exportieren konnte – Whisky durfte er nicht einführen. Gerade das hatte der Firma jedoch in den letzten Jahren eine Gewinneinbuße eingetragen. Aber Harvey gelang es mit Hilfe einer kleinen Bestechung, in die der Bürgermeister von Boston, der Polizeipräsident und die Zollbeamten an der kanadischen Grenze hineinverwickelt wurden – dazu einer Zahlung an die Mafia, um sicherzustellen, dass seine Produkte die Restaurants und Kneipen auch wirklich erreichten –, dass die Whiskyimporte zu- statt abnahmen. Die Firma Sharpley & Son verlor ihre altgedienten und bewährten Mitarbeiter und ersetzte sie durch die kleinen Ungeheuer, die in Harvey Metcalfes persönlichen Dschungel besser hineinpassten.
Von 1930 bis 1933 erweiterte Harvey Schritt für Schritt seine Machtposition; als aber Präsident Roosevelt dem überwältigenden Druck der Öffentlichkeit nachgab und die Prohibition schließlich aufgehoben wurde, verlor Harvey damit auch seinen Spaß an der Sache. Er ließ die Firma weiterhin mit Whisky und Pelzen handeln, während er selbst neue Gebiete für sich zu erschließen suchte. Im Jahre 1933 feierte Sharpley & Son das hundertjährige Bestehen der Firma. In drei Jahren hatte Harvey 97 Jahre Firmenansehen verspielt und den Gewinn verdoppelt. Zwölf Jahre später hatte er mehrere Millionen Dollar angehäuft und begann, sich zu langweilen. Er fand, es sei an der Zeit, sich von Sharpley & Son zu trennen. In fünfzehn Jahren hatte er den Gewinn von 30 000 Dollar auf 910 000 Dollar gesteigert. Er verkaufte die Firma für 7 100 000 Dollar, zahlte 100 000 Dollar an die Witwe von Captain Roger Sharpley von der US-Navy aus und behielt sieben Millionen Dollar für sich selbst.
Zur Feier seines 36. Geburtstages kaufte Harvey zum Preis von vier Millionen Dollar eine kleine kränkelnde Bank in Boston mit dem Namen Lincoln Trust. Zu dieser Zeit beliefen sich ihre Erträge auf ungefähr 500 000 Dollar pro Jahr, sie besaß ein ansehnliches Gebäude im Zentrum von Boston und einen makellosen Ruf. Harvey genoss es, Präsident einer Bank zu sein, aber das förderte keineswegs seine Ehrenhaftigkeit. Jedes anrüchige Geschäft in Boston und Umgebung schien fortan über den Lincoln Trust abgewickelt zu werden, und obgleich Harvey dessen Gewinne innerhalb von nur fünf Jahren auf zwei Millionen Dollar pro Jahr erhöhte, hätte sein persönlicher Ruf nicht tiefer sinken können.
Der nächste Wendepunkt in Harveys Leben kam, als er im Frühling 1949 Arlene Hunter begegnete. Sie war die einzige Tochter des Präsidenten der First City Bank in Boston. Harvey hatte sich niemals ernsthaft für Frauen interessiert. Sein Hauptanliegen war immer gewesen, Geld zu machen, und obgleich er das andere Geschlecht als nützliche Freizeitgestaltung betrachtete, empfand er es per Saldo als etwas Störendes. Nachdem er jedoch inzwischen ein mittleres Alter erreicht hatte und keinen Erben besaß, dem er sein Vermögen hätte hinterlassen können, fand er, es sei an der Zeit, zu heiraten und einen Sohn zu zeugen. Wie alles, was er in seinem Leben getan hatte, dachte er auch dieses Problem sehr sorgfältig durch.
Harvey lernte Arlene kennen, als sie einunddreißig war. Der Kontrast zwischen ihr und Harvey hätte eklatanter nicht sein können. Sie war fast 1,80 Meter groß und schlank. Wenngleich nicht reizlos, besaß sie doch kein Selbstvertrauen und fürchtete allmählich, die Chance für eine Eheschließung sei an ihr vorübergegangen. Die meisten ihrer Schulfreundinnen waren mittlerweile bei ihrer zweiten Scheidung angelangt und bemitleideten sie von Herzen. Nach der prüden Diszipliniertheit ihres Vaters fand Arlene Vergnügen an Harveys extravagantem Gehabe. Sie dachte oft, ihr Vater sei im Grunde schuld daran, dass sie sich in Gesellschaft von Männern ihres Alters niemals wohlgefühlt hatte. Sie hatte nur eine Affäre gehabt, und diese war infolge ihrer völligen Ahnungslosigkeit ein katastrophaler Reinfall gewesen. Harvey fand keinen Anklang bei Arlenes Vater, was ihn für sie nur noch anziehender machte. Nicht dass ihr Vater jemals einen der Männer, mit denen sie verkehrt hatte, gebilligt hätte – aber diesmal war er im Recht. Harvey seinerseits war sich bewusst, dass er von einer Verbindung der First City Bank mit dem Lincoln Trust nur profitieren konnte, und in diesem Sinne spekulierte er – wie er es immer getan hatte – auf Gewinn.
Arlene und Harvey heirateten 1951. Sie ließen sich in Harveys Haus in Lincoln, Massachusetts, nieder, und kurz darauf wurde Arlene schwanger. Fast auf den Tag ein Jahr nach ihrer Hochzeit schenkte sie Harvey eine Tochter.
Sie tauften sie Rosalie. Sie wurde Harveys Augapfel, und er war sehr enttäuscht, als ein Prolaps mit kurz darauf folgender Hysterektomie die Gewissheit brachte, dass Arlene ihm keine weiteren Kinder würde gebären können. Er schickte Rosalie zu Bennetts, der besten Mädchenschule in Washington, wo sie ein Stipendium für Vassar gewann, um dort Englisch als Hauptfach zu studieren. Das freute sogar den alten Hunter, der sich inzwischen mit Harvey abgefunden hatte und seine Enkelin anbetete. Nach Abschluss ihres Examens setzte Rosalie ihre Ausbildung an der Sorbonne fort wegen der heftigen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen ihr und ihrem Vater herrschten über die Art von Freunden, mit denen sie Umgang pflegte: besonders jene mit langen Haaren, die nicht nach Vietnam gehen wollten. Zum endgültigen Krach kam es, als Rosalie die Meinung vertrat, dass die moralische Haltung eines Menschen nicht allein von der Länge seiner Haare oder seinen politischen Ansichten bestimmt würde.
Inzwischen hatte Harvey sein Heim mit wundervollen Antiquitäten und Gemälden gefüllt, war zu einem Experten des Impressionismus geworden und hatte eine echte Liebe zu diesem Stil entdeckt – eine Liebe, die sich im Laufe vieler Jahre entwickelt und auf die seltsamste Weise entzündet hatte. Ein Kunde von Sharpley & Son, der der Firma noch einen erheblichen Betrag schuldete, stand unmittelbar vor dem Bankrott. Harvey hörte davon und ging zu ihm, um ihn zu stellen, aber der Zusammenbruch war bereits in vollem Gange, und es bestand auch nicht die geringste Hoffnung, irgendwelcher flüssigen Mittel habhaft zu werden. Harvey hatte nicht die Absicht, mit leeren Händen fortzugehen, und nahm den einzigen greifbaren Vermögenswert des Mannes mit, einen auf 10 000 Dollar geschätzten Renoir.
Eigentlich hatte Harvey die Absicht gehabt, das Bild zu verkaufen, bevor ihm nachgewiesen werden konnte, dass er als bevorzugter Gläubiger gelten müsste; aber er war hingerissen von den zarten Pastellschattierungen, und aus dieser jüngsten Beute erwuchs der Wunsch nach weiteren Besitztümern dieser Art. Als er entdeckte, dass Gemälde nicht nur eine gute Kapitalanlage darstellten, sondern dass er darüber hinaus auch noch Gefallen an ihnen fand, wuchs seine Sammlung im gleichen Maß wie seine Liebe zu ihr. Zu Beginn der Siebzigerjahre besaß Harvey schließlich einen Manet, zwei Monets, einen Renoir, zwei Picassos, einen Pissarro, einen Utrillo, einen Cézanne und Bilder der meisten anerkannten kleineren Meister. Er wünschte sich nunmehr sehnlichst einen van Gogh, und erst kürzlich war ihm das »Hôpital de St. Paul à St. Rémy« bei der Sotheby Park Bernet Gallery in New York durch die Lappen gegangen, als Dr. Armand Hammer von der Occidental Petroleum ihn überboten hatte – 1 200 000 Dollar waren wirklich ein klein wenig zu viel gewesen. Schon 1966 war es ihm nicht gelungen, die Nr. 49 »Mademoiselle Ravoux« von den Londoner Kunsthändlern Christie Manson & Woods zu erstehen: Reverend Theodore Pitcairn, der die Neue Kirche Unseres Herrn von Bryn Athyn in Pennsylvania vertrat, hatte ihn übertrumpft und dadurch seinen Appetit nur noch stärker angeregt. Der Herr gibt, und bei dieser Gelegenheit hatte der Herr genommen. Obgleich man das in Boston nicht in vollem Ausmaß zu würdigen vermochte, wurde überall sonst anerkannt, dass Harvey eine der hervorragendsten Impressionistensammlungen der Welt besaß. Sie war beinahe ebenso wertvoll wie die von Präsident Nixons Botschafter in London, Walter Annenberg, der gleich Harvey zu den wenigen Leuten gehörte, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Sammlung aufgebaut hatten. Harveys andere große Liebe gehörte seiner preisgekrönten Orchideensammlung; er war bei der Frühjahrsblumenausstellung von New England dreimal Sieger geworden.
Harvey pflegte nunmehr einmal im Jahr nach Europa zu reisen. Er hatte in Kentucky ein erfolgreiches Gestüt eingerichtet, und es bereitete ihm Freude, seine Pferde in Longchamp und in Ascot laufen zu sehen. Ebenso liebte er es überaus, als Zuschauer in Wimbledon dabei zu sein, das in seinen Augen noch immer das hervorragendste Tennisturnier der Welt war. Es amüsierte ihn, auch in Europa, wo er immer die Möglichkeit hatte, sein Schweizer Bankkonto in Zürich etwas aufzufüllen, hin und wieder Geschäfte zu machen. Er hatte ein Schweizer Bankkonto gar nicht nötig, aber irgendwie empfand er eine diebische Freude dabei, Onkel Sam hereinzulegen.
Obgleich Harvey mit den Jahren gesetzter geworden war und seine zweifelhafteren Geschäfte etwas eingeschränkt hatte, konnte er niemals einem Risiko widerstehen, wenn er meinte, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach bestens auszahlen würde. Solch eine glänzende Gelegenheit bot sich ihm im Jahre 1964, als die britische Regierung Lizenzen für die Forschung nach Nordseeöl und dessen Förderung ausschrieb. Zu diesem Zeitpunkt hatten weder die britische Regierung noch die mit dieser Angelegenheit befassten Beamten eine Ahnung von der zukünftigen Bedeutung des Nordseeöls und von der Rolle, das es eines Tages in der englischen Politik spielen würde. Hätte die Regierung geahnt, dass die Araber 1974 der übrigen Welt die Pistole auf die Brust setzen und dass im britischen Unterhaus dann elf schottische Nationalisten als Parlamentsmitglieder sitzen würden, würde sie mit Sicherheit völlig anders gehandelt haben.
Am 13. Mai 1964 legte der Minister für Energie dem Parlament die »Gesetzesurkunde – Nr. 708 – Kontinentalsockel-Öl« vor. Harvey las dieses Dokument mit großem Interesse, da er glaubte, hierin sehr wahrscheinlich Mittel und Wege gefunden zu haben, einen besonders großen Coup zu landen. Er war geradezu fasziniert von Absatz 4 und 5:
»Personen, die Bürger des Vereinigten Königreiches und seiner Kolonien und im Vereinigten Königreich wohnhaft sind oder die im Vereinigten Königreich amtlich eingetragene Körperschaften bzw. juristische Personen sind, können sich in Übereinstimmung mit diesen Bestimmungen bewerben um:
eine Produktionsbohrungslizenz odereine Aufschlussbohrungslizenz.«Nachdem er die Bestimmungen in ihrer Gesamtheit studiert hatte, lehnte er sich zurück und dachte gründlich nach. Um sich eine Produktions- und Aufschlussbohrungslizenz zu sichern, war nur ein geringer Geldbetrag erforderlich. Absatz 6 lautete:
»1. Für jeden Antrag auf eine Produktionsbohrungslizenz ist eine Gebühr von zweihundert Pfund zu entrichten und zusätzlich eine Gebühr von fünf Pfund für jeden Nordseeblock nach den ersten zehn Blöcken, für die dieser Antrag gestellt wird.
2. Für jeden Antrag auf eine Aufschlussbohrungslizenz ist eine Gebühr von zwanzig Pfund zu entrichten.«
Wie leicht könnte Harvey, im Besitz einer solchen Lizenz, nach außen hin den Eindruck eines riesigen Unternehmens kreieren: Sein Name würde in einem Atemzug mit Shell, BP, Gulf, Occidental und all den anderen großen Ölgesellschaften genannt werden!
Er las die Bestimmungen wieder und wieder durch und konnte es kaum fassen, dass die britische Regierung ein derartiges Potenzial gegen eine so geringe Investition aus der Hand gab. Lediglich das Antragsformular, ein kompliziertes und peinlich genaues Dokument, machte ihm zu schaffen. Harvey war kein britischer Staatsangehöriger, keine seiner Gesellschaften war britisch, und er wusste, er würde bei seiner Bewerbung Schwierigkeiten bekommen. Ihm war klar, dass sein Antrag von einer britischen Bank unterstützt werden und dass er eine Gesellschaft gründen müsse, deren Direktoren der britischen Regierung Vertrauen einflößten.
Dies bedenkend ließ er Anfang 1964 eine Gesellschaft mit dem Namen »Prospecta Oil« in England eintragen, mit Malcolm, Bottnick und Davis als ihren Anwälten und Barclays Bank, die bereits den Lincoln Trust in Europa vertrat, als Bankverbindung. Lord Hunnisett wurde Vorsitzender, und diverse distinguierte Herren traten dem Aufsichtsrat bei, darunter zwei ehemalige Parlamentsmitglieder, die beim Wahlsieg der Labourpartei 1964 ihre Sitze verloren hatten. Als Harvey entdeckte, wie streng die Gesetze für die Gründung einer Handelsgesellschaft in England waren, beschloss er, für die Hauptgesellschaft die Aktienzulassung an der kanadischen Wertpapierbörse zu beantragen und die englische Gesellschaft lediglich als Tochtergesellschaft zu führen. Prospecta Oil gab zwei Millionen 10-Cent-Aktien zu 50 Cent aus, die sämtlich durch Beauftragte für Harvey aufgekauft wurden. Außerdem zahlte er 500 000 Dollar in die Barclays Bank, Zweigstelle Lombard Street, ein.
Nachdem er auf diese Weise die Fassade errichtet hatte, ließ Harvey durch Lord Hunnisett die Lizenz bei der britischen Regierung beantragen. Die im Oktober 1964 gewählte neue Labourregierung war sich über die Bedeutung des Nordseeöls ebenso wenig im Klaren wie die zurückgetretene der Konservativen. Die Forderung der Regierung für eine Lizenz belief sich auf einen Pachtzins von 12 000 Pfund im Jahr und 12,5 Prozent Einkommensteuer zuzüglich einer weiteren Kapitalertragssteuer auf die Gewinne; aber das würde kein Problem darstellen, da nach Harveys Plan die Gesellschaft gar keine Gewinne machen sollte.
Am 22. Mai 1965 veröffentlichte der Minister für Energie in der »London Gazette« den Namen der Firma Prospecta Oil in der Liste der zweiundfünfzig Gesellschaften, denen Förderlizenzen erteilt worden waren. Am 3. August 1965 erfolgte mit Gesetzesurkunde Nr. 1531 die endgültige Zuweisung der Felder. Das der Prospecta Oil zugeteilte Gebiet lag auf 51°50’00“Nord, 2°30’20“Ost, ein Bohrfeld, das an eines der British Petroleum angrenzte.
Voller Hoffnung wartete Harvey darauf, dass eine der Gesellschaften, die Felder in der Nordsee erworben hatten, auf Öl stoßen würde. Es wurde eine lange Wartezeit: Erst im Juni 1970 konnte die British Petroleum in ihrem Forties-Feld einen größeren wirtschaftlichen Treffer verzeichnen. Die British Petroleum hatte über eine Milliarde Dollar in die Nordsee investiert, und Harvey würde einer der Hauptnutznießer sein. Er hatte wieder einmal mit Erfolg auf Sieg gesetzt und machte sich daran, den zweiten Teil seines Planes in die Tat umzusetzen.
Anfang 1972 mietete er eine Ölbohranlage, die er mit viel Trara und Publicity zum Prospecta-Oil-Bohrfeld hinausschleppen ließ. Er mietete die Anlage zu der Bedingung, dass er den Vertrag erneuern könnte, wenn die Bohrung erfolgreich sein würde, warb die von den Regierungsbestimmungen gerade noch erlaubte Mindestzahl von Leuten an und begann, bis zu 1830 Meter Tiefe zu bohren.
Nach Beendigung dieser Bohrung entließ er alle Beteiligten, ließ jedoch die Firma Reading & Bates, von der er die Anlage gemietet hatte, wissen, dass er diese in nächster Zukunft wieder benötigen und daher die Miete weiterzahlen würde.
Nun kaufte Harvey während der nächsten beiden Monate die ausgegebenen Prospecta-Oil-Aktien – täglich mehrere tausend Stück – von seinen eigenen Beauftragten auf dem offenen Markt zurück. Jedes Mal, wenn die Wirtschaftsjournalisten von der britischen Presse sich telefonisch erkundigten, warum diese Aktien ständig stiegen, antwortete der junge Public-Relations-Sprecher im Büro der Prospecta Oil entsprechend seinen Anweisungen, dass er im Augenblick keinen Kommentar dazu geben könne, dass die Firma aber demnächst eine Presseinformation herausgeben würde. Einige Zeitungen zählten zwei und zwei zusammen und kamen dabei zu ungeheuerlichen Ergebnissen. Die Aktien stiegen stetig von 50 Cents auf fast drei Dollar. Harveys Generaldirektor in England, Bernie Silverman, konnte sich nur allzu gut denken, was sein Boss im Schilde führte – er war an derartigen Operationen schon in der Vergangenheit beteiligt gewesen. Seine Hauptaufgabe bestand darin, sämtliche Vorkehrungen zu treffen, dass niemand eine direkte Verbindung zwischen Metcalfe und der Prospecta Oil herstellen bzw. nachweisen konnte.
Im Januar standen die Aktien bei sechs Dollar. Nun war es so weit, dass Harvey zum dritten Teil seines Plans übergehen konnte, nämlich den soeben von Prospecta Oil eingestellten jungen Harvardabsolventen namens David Kesler als ahnungslosen Köder auszuwerfen.
David rückte seine Brille auf der Nase zurecht und las die Anzeige im Wirtschaftsteil des »Boston Globe« noch einmal, um auch ganz sicher zu sein, dass er nicht träumte. Sie war ihm geradezu auf den Leib geschrieben.
»Ölgesellschaft mit Sitz in Kanada, im Begriff, umfangreiche Vorhaben in der Nordsee vor Schottland durchzuführen, sucht jungen leitenden Angestellten mit Erfahrung auf dem Aktienmarkt und im finanziellen Marketing. Jahresgehalt 20 000 Dollar. Wohnung wird gestellt. Arbeitsplatz London. Bewerbungen an Box Nr. 217A.«
David war sich bewusst, dass dies weitere Möglichkeiten in einem aufstrebenden Industriezweig erschließen musste, und empfand die Anzeige wie eine persönliche Herausforderung. Er erinnerte sich an das, was sein Studienleiter in Sachen Europageschäft immer zu sagen pflegte: »Wenn Sie in Großbritannien arbeiten müssen, suchen Sie sich am besten die Nordsee aus. Außer ihr ist nichts groß an diesem Land. Viel Öl an vielen Stellen bedeutet viele geschäftliche Chancen für jene, die den Mut haben, mit Leib und Seele einzusteigen.«
David Kesler war ein magerer, jungenhafter Amerikaner mit einem Bürstenhaarschnitt, der einem Leutnant der Marine-Landetruppen besser angestanden hätte, von frischer Gesichtsfarbe und unbezähmbarem Eifer, beseelt von dem glühenden Wunsch des frischgebackenen Harvard-Business-School-Absolventen, im Geschäftsleben zu reüssieren. Er hatte insgesamt fünf Jahre in Harvard verbracht, die drei ersten mit dem Studium der Mathematik und die beiden letzten drüben auf dem anderen Ufer des Charles River, auf der Business School. Soeben hatte er sein Examen bestanden und war wohl versehen mit einem M.A. (Master of Arts) und einem M.B.A. (Master of Business Administration), auf der Suche nach einer Stellung, die ihn belohnen würde für seine ihm durchaus bewusste außergewöhnliche Fähigkeit, hart zu arbeiten. Er war niemals ein brillanter Student gewesen, und er beneidete die geborenen Akademiker unter seinen Kommilitonen, für die post-Keynes’sche Wirtschaftstheorien viel eher ein Vergnügen denn harte Arbeit bedeuteten. David hatte wie ein Besessener gearbeitet und seine Nase nur vom Buch erhoben, um sein tägliches Trimm-Dich in der Turnhalle zu absolvieren und gelegentlich an einem Wochenende den Harvard Jocks bei der Verteidigung der Ehre ihrer Universität auf dem Football- oder Basketballplatz zuzusehen. Er hätte gern selbst mitgespielt, aber das hätte weniger Zeit zum Büffeln bedeutet.
Er las die Anzeige ein drittes Mal und tippte einen sauberen Brief an die angegebene Chiffre. Es verstrichen ein paar Tage, und dann kam die Antwort, die ihn zu einem Interview am darauffolgenden Mittwoch um 15 Uhr in einem Hotel am Platz aufforderte. Talentsucher für große Gesellschaften wählten oft einen solchen Treffpunkt für ihre Interviews in einer Universitätsstadt. David betrat um 14.45 Uhr das Copley Square Hotel in der Huntingdon Avenue in einem Zustand erheblicher Adrenalinausschüttung. Während er in einen kleineren Verhandlungsraum geführt wurde, sagte er sich immer wieder das Harvard-Business-School-Motto vor: »Wirk britisch, denk jiddisch.«
Drei Herren, die sich als Silverman, Cooper und Elliott vorstellten, interviewten ihn. Bernie Silverman, ein grauhaariger New Yorker mit karierter Krawatte und im Besitz einer massiven Erfolgsausstrahlung, führte das Gespräch. Cooper und Elliott saßen da und beobachteten David schweigend. Das brachte ihn nicht aus der Fassung: Er wusste, dass er gut aussah, und fühlte, dass er »ankam«.
Silverman verwendete beträchtliche Zeit darauf, David eine verlockende Beschreibung der Entwicklung der Gesellschaft und ihrer künftigen Zielsetzungen zu geben. Harvey hatte Silverman gut dressiert, und dieser besaß bis hinein in seine sorgfältig manikürten Fingerspitzen das ganze aalglatte fachmännische Geschick, das die rechte Hand des Chefs bei einem Metcalfe-Coup brauchte.
»Das wäre es also, Mr Kesler. Wir haben uns an einer der großartigsten und meistversprechenden wirtschaftlichen Unternehmungen der Welt beteiligt, der Suche nach Öl in der Nordsee vor Schottland. Unsere Gesellschaft Prospecta Oil hat die Unterstützung einer der größten Banken Amerikas. Wir haben Lizenzen von der britischen Regierung zugesprochen bekommen, und wir sind im Besitz der finanziellen Mittel. Aber wenn man es recht betrachtet, Mr Kesler, steht und fällt eine Firma mit ihren Leuten, nicht wahr? Wir sind auf der Suche nach einem Mann, der bereit ist, sich Tag und Nacht dafür einzusetzen, dass man von der Prospecta Oil sprechen wird, und dem richtigen Mann winkt ein Spitzengehalt, damit er genau das tut. Wenn Sie für die Stellung in Frage kämen, würden Sie in unserem Londoner Büro unter der unmittelbaren Leitung unseres zweiten Direktors, Mr Elliott, arbeiten.«
»Wo ist der Hauptsitz der Firma?«
»In Montreal, Kanada. Aber wir haben Niederlassungen in New York, San Francisco, Aberdeen, Paris und Brüssel.«
»Sucht die Gesellschaft noch anderswo nach Öl?«
»Im Augenblick nicht«, antwortete Silverman. »Seit dem erfolgreichen Treffer von BP werfen wir Millionen in die Nordsee. Die Felder um uns herum hatten bisher eine Erfolgsquote von 1:5, was in unserem Geschäft sehr hoch zu bewerten ist.«
»Wann sollte nach Ihren Vorstellungen der akzeptierte Bewerber anfangen?«
»Irgendwann im Januar, nach vorheriger Absolvierung eines Regierungsschulungskursus im Ölmanagement«, sagte Richard Elliott. Seiner Sprechweise nach konnte der schmächtige, blässliche zweite Mann aus Georgia kommen. Die Sache mit dem Regierungsschulungskurs war eine typische Metcalfe-Idee.
»Und die Firmenwohnung«, fragte David, »wo ist die?«
Diesmal antwortete Cooper: »Sie werden das kleine Firmenapartment im Barbican bekommen, nur ein paar Hundert Meter von unserem Londoner Büro entfernt.«
David hatte keine Fragen mehr – Silverman hatte sie bereits alle beantwortet und schien genau zu wissen, was David wollte.
Zehn Tage später erhielt er ein Telegramm von Silverman mit der Einladung zum Lunch im Club 21 in New York. Die vornehme Atmosphäre des Restaurants vermittelte David das sichere Vertrauen, dass diese Leute sich auf ihr Geschäft verstanden. Ihr Tisch befand sich in einer jener kleinen Nischen, die von Geschäftsleuten bevorzugt wurden, die den vertraulichen Charakter ihrer Unterhaltung gewahrt wissen wollten. Er traf Silverman in der Bar um 12.55 Uhr.
Silverman gab sich jovial und ungezwungen. Er dehnte die Unterhaltung etwas aus, indem er über Belanglosigkeiten sprach; aber schließlich, beim Kognak angekommen, bot er David die Stellung in London an. David war entzückt: 20 000 Dollar pro Jahr und die Chance, einer Gesellschaft anzugehören, die ganz offensichtlich über solch aufregendes Potenzial verfügte. Er zögerte nicht mit seiner Zustimmung, seine neue Stellung in London am 1. Januar anzutreten.