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»Sex and the City« meets »The Great Gatsby« - das vergessene Meisterwerk aus den 1920ern von Ursula Parrott Patricia ist 24, als ihr Mann beschließt, die Ehe mit ihr zu beenden. Vor den Kopf gestoßen von dieser Entscheidung versucht sie zunächst, um ihren Mann zu kämpfen, merkt dann aber schnell, dass sie auch ohne ihn ein Leben führen und viel glücklicher sein kann. Zwischen Freundschaften, Affären, schmerzhaften Schicksalsschlägen und dem ekstatischen Leben in der flirrenden Metropole New York City in den goldenen 1920ern erlebt Patricia, was es bedeutet, als Frau mit den konventionellen Rollen zu brechen, zu trinken, zu flirten und das Leben ungeniert zu feiern. Doch auch der Gegenwind bleibt nicht aus: Was ist, wenn man die Erwartungen nicht erfüllt? Warum fällt ein Neuanfang umso schwerer, wenn man ständig allein für die Vergangenheit verurteilt wird? »Wilde Skandale, misogyne Machtstrukturen und eine vergessene Starautorin: Dieses Buch hat ein fulminantes Comeback verdient.« Mareike Fallwickl »Umwerfend aktuell!« The Guardian »Ein bewegendes, witziges und manchmal beunruhigendes Porträt einer Frau, die schockiert ist über das Ende einer Beziehung, von der sie dachte, sie würde ewig dauern. Beim Lesen war ich erstaunt über die Ähnlichkeit unserer Erfahrungen, trotz der fast 100 Jahre, die zwischen Patricias und meiner Scheidung liegen.« Monica Heisey, The Guardian
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Seitenzahl: 369
Ursula Parrott
Der Roman Ex-Wife, der 1924 spielt und ursprünglich 1929 publiziert wurde, zeigt nun 100 Jahre später, was sich seither für Frauen verändert hat und noch schockierender, was immer noch gleich geblieben ist. Zwischen Freundschaften, Affären, schmerzhaften Schicksalsschlägen und dem ekstatischen Leben in der flirrenden Metropole New York City in den goldenen 1920ern erlebt man mit der Protagonistin, Patricia, was es bedeutet, als Frau mit den konventionellen Rollen zu brechen, zu trinken, zu flirten und das Leben ungeniert zu feiern. Mit beeindruckender Leichtigkeit zeichnet Parrott ein Bild ihrer Zeit, das in seinen Fragen immer noch hochaktuell ist.
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Ursula Parrott (1899-1957) ist das Pseudonym von Katherine Ursula Towle, Autorin von über zwanzig Romanen und fünfzig Geschichten. Geboren in Boston, besuchte sie das Radcliffe College, bevor sie nach Greenwich Village zog und Zeitungsreporterin wurde. Ihr zunächst anonymes Debüt, Ex-Wife, wurde 1929 über 100.000 Mal verkauft. Parrott wurde bald zu einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der 1930er Jahre, doch nachdem ihre Popularität zurückgegangen war, unter anderem aufgrund diverser Gerichtsverfahren, starb Parrott schließlich arm und alkoholkrank an Krebs in New York.
Tilda Engel ist ein Pseudonym.
Vorwort von Mareike Fallwickl
[Hinweis des Verlags]
[Widmung]
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
Nachwort zu der Ausgabe von 1989
Rezept Ginsanity Gin Fizz
Vorwort von Mareike Fallwickl
Ich stelle mir den Skandal vor, als dieser Roman kurz vor dem Börsencrash 1929 erschien, den wunderbaren Skandal, der nicht zuletzt deutlich machte, dass das Viktorianische Zeitalter abgeschlossen war. Ich sehe vor mir, wie die Leute in der Buchhandlung nach dem Roman griffen und an der Kasse verschämt lächelten, weil alle wussten, dass Sex darin vorkam, ich male mir aus, wie das Buch in gewissen Kreisen in aller Munde war und in anderen Kreisen auch, wie schmallippige Kritiker ihre Geringschätzung mit abwertenden Rezensionen zum Ausdruck brachten, wie alle spekulierten, wer da mit einem solchen Erfolg auf die Bestsellerbühne gesprungen kam. Wegen seiner »Schlüpfrigkeit« wurde das Buch zuerst anonym veröffentlicht, und die Presse rief ein Ratespiel aus, um herauszufinden, wer Ex-Wife geschrieben hatte. Das Skandalbuch verkaufte sich in kürzester Zeit mit neun Auflagen mehr als 100000 Mal, machte seine Autorin reich und, als ihre Identität gelüftet war, auch berühmt: Ursula Parrott, geboren 1899 als Katherine Ursula Towle, war von da an eine der gefragtesten Autorinnen. Sie schrieb 22 Romane, mehr als 50 Kurzgeschichten und vier Drehbücher, acht ihrer Storys wurden für die Leinwand adaptiert und mit Größen wie Cary Grant und Humphrey Bogart verfilmt. Für die Hauptrolle im Film zum vorliegenden Roman wurde Norma Shearer mit einem Oscar ausgezeichnet. Ursula Parrott war ein Star. Auch das stelle ich mir vor: wie sie auf der Welle des Erfolgs schwamm und ganz in ihrem Element war. Dass sie Freundinnen hatte, mit denen sie Cocktails trinken ging, elegante Männer kannte, von denen sie sich zum Essen einladen ließ, in literarischen Zirkeln verkehrte und in rauschenden Nächten im Taxi saß, während hinter der regennassen Scheibe die funkelnde Stadt vorbeizog. Was für eine Freude, als schreibende Frau zu reüssieren, in den 1920er Jahren, in New York. Ich gönne es ihr umso mehr, weil sie Reporterin werden wollte und die sexistischen Herausgeber sie nicht einstellten. Keine Zeitung ließ Ursula Parrott Artikel schreiben – aber alle Zeitungen schrieben schlussendlich Artikel über Ursula Parrott. Das lässt mich ein Jahrhundert später noch mit jener Genugtuung grinsen, die sie bestimmt empfand.
Geheiratet hat sie allerdings einen Reporter: Von Lindesay Parrott blieben ihr nach der Scheidung 1926 der Name, die Idee für Ex-Wife sowie ein Kind – das einer der Gründe für das Ende der Ehe war. Dass sie einen Sohn geboren hatte, verbarg Ursula zwei Jahre lang vor Lindesay – er hätte sie sonst wohl zu einem Abbruch gezwungen. Das lässt mich darüber nachdenken, wie allein Frauen – auch Patricia im Roman – bei Schwangerschaft, Geburt und Abtreibung oft sind, wie sehr Männer sich entziehen können, so sehr, dass sie diese alles verändernden Ereignisse im Leben ihrer Frauen, die sie angeblich lieben, nicht einmal bemerken. In Ex-Wife zeigt Parrott ungeschönt, dass Männer in vielen Fällen die Misere der Frauen verursachen und keine Hilfe von ihnen zu erwarten ist. Sie entlarvt die Doppelmoral hinter der neuen Freiheit, die in erster Linie für Männer galt – und ihnen einen zusätzlichen Vorteil brachte: Da die Frauen Zugang zu Bildung und Beruf bekamen und sich selbst erhalten konnten, war es für die Männer leichter, sie zurückzulassen, wenn sie ihrer – wie Patricia es nennt – »überdrüssig« geworden waren. »Junge, hübsche Ex-Frauen wie wir sind der Beweis, dass diese Freiheit für Frauen sich als Gottes größtes Geschenk an die Männer entpuppt«, sagt sie im Buch. Und ja, diese sehr jung geschiedenen Frauen haben casual sex, Jobs, Geld und Wohnraum, aber slut shaming und männliche Gewalt sind stets nur einen Wimpernschlag entfernt. Ursula Parrott war viermal verheiratet, alle ihre Ehemänner waren gewalttätig.
Nach heutigen Kriterien ist dies kein feministisches Buch. Zwar war sich Ursula Parrott der Ungerechtigkeiten, die wir gender inequality und male privilege nennen, bewusst genug, um sie zu beschreiben, die Erkenntnis, welche patriarchalen Mechanismen dahinterstecken, fehlt jedoch. Sie reproduziert Schönheitsideale und Konkurrenzdenken, vor allem zwischen älteren und jüngeren Frauen, erzählt am male gaze entlang, ohne ihn zu hinterfragen, und lässt die Frauen Opfer bleiben. »Du bist eine Ex-Frau, Pat, denn das ist das Wichtigste, was man über dich wissen kann«, heißt es etwa. Aber: Es gibt Freundinnenschaften und Frauen, die viel klüger sind als Männer. Es gibt weibliche Solidarität und den Moment, in dem Patricia einer Rivalin hilft. Hätte sich für Frauen viel verändert in den letzten hundert Jahren, würde dieser Roman wirken, als wäre er aus der Zeit gefallen. Dass er das nicht tut, ist für die Wiederentdeckung ein Vorteil und für uns als Gesellschaft eine traurige Einsicht. In den Besprechungen zur englischen Neuauflage von 2023 schwingt Überraschung über die eigene Begeisterung mit. Ursula Parrott ist aus dem literarischen Bewusstsein verschwunden – trotz ihres Erfolgs. Oft genug liegt der Bedeutungsverlust von Autorinnen, deren Werk nicht kanonisiert wurde, an den misogynen Strukturen des Literaturbetriebs. Die Unsichtbarmachung von Ursula Parrott ist genauso wenig zufällig geschehen. Zum einen wurde die gefeierte Schriftstellerin zur Zielscheibe von Spott, als sie zu alt für »Jugendsünden« war, denen bei jungen, schönen Frauen noch eher mit Nachsicht begegnet wird. Nachdem sie 1942 ihren Geliebten aus dem Stützpunkt der Army geschmuggelt hatte, wurde sie wegen Beihilfe zum Desertieren vor Gericht gestellt und außerdem erneut geschieden. Trotz Freispruch verlor sie die konservativen Frauenzeitschriften als Auftraggeber und verschwand aus der Öffentlichkeit. Sie starb 1957 in der Armenstation, und die Presse, die sich jahrzehntelang an ihr ergötzt hatte, widmete ihr keinen einzigen Nachruf. Zum anderen wurden ihrem literarischen Vermächtnis die Seilschaften der Männer zum Verhängnis: Obwohl ihr Jazz-Age-Bestseller sich wesentlich besser verkaufte, kennen wir alle heute ein anderes Buch aus dieser Zeit. Der große Gatsby ist Pflichtlektüre, von Ex-Wife hat niemand jemals gehört. Dabei ähneln die Bücher einander, und alles, wofür Fitzgeralds Roman gelobt wird, findet sich auch in Parrotts Buch, nur galt es bei ihm als progressiv und bei ihr als liederlich. Als 1942 im Rahmen der »Victory Book Campaign« 150000 Gatsby-Exemplare an die Soldaten geschickt wurden, kam Ex-Wife auf die Schwarze Liste mit Titeln, die Angehörige nicht an die Front senden sollten. Es wurde verbannt. Was ich mir deshalb auch vorstelle: dass es für Ursula Parrott anders hätte enden können. Dass sie nicht für ihre vielen Ehen beschämt worden wäre, wo doch das Heiraten gesellschaftlich von ihr verlangt wurde. Dass ihre Liebe zu Genuss, Spaß und Mode nicht als Scheitern gegolten hätte. Dass sie echte Freiheit hätte leben können, als Schreibende, als Mutter, als Frau.
Liebe Leser*innen,
dieses Buch ist in einem historischen Kontext geschrieben und publiziert worden und enthält daher für jene Epoche typische Denkmuster und Verhaltensweisen, die für die heutige Zeit nicht mehr anwendbar sind.
Wir wünschen das bestmögliche Leseerlebnis.
Ihr S. Fischer Verlag
Für H.
Mein Ehemann hat mich vor vier Jahren verlassen. Warum – verstehe ich nicht so genau und habe es auch nie verstanden. Er vermutlich auch nicht. Heute, da die Katastrophe, die es zu sein schien, und die Gründe dafür gleichermaßen belanglos sind, neige ich immer mehr zu der Auffassung, dass er sich dazu durchgerungen hat, mich zu verlassen, weil ich ihm bei der ersten Erwähnung unserer möglichen Trennung so abscheuliche Szenen gemacht habe.
Natürlich hat er in den turbulenten sechs Monaten, die seinem tatsächlichen Auszug vorausgingen, Gründe dafür angeführt, Dutzende. An manche erinnere ich mich. Manchmal sagte er, ich sähe nicht mehr so gut aus. Andere Male sagte er, nur mein gutes Aussehen spräche für mich. Er sagte, ich zeigte kein Interesse an seinen Interessen. Er sagte auch, ich würde mich kopfüber in sie alle hineinstürzen. Er sagte, ich sei geistlos oder temperamentvoll; ich hätte keine Moral oder ich sei prüde. Er sagte, er wolle die Frau heiraten, die er wirklich liebe; und wenn er mich endlich los sei, würde er ganz sicher nie eine andere heiraten.
In den vier Jahren, die seither vergangen sind, habe ich mir die Gründe für das klägliche Ende vieler Ehen angehört und bin zu der Überzeugung gelangt, dass die Liste meines Mannes genauso nachvollziehbar ist wie die meisten.
Er war meiner überdrüssig geworden; und suchte mühsam nach Gründen, um seinen Überdruss zu rechtfertigen; und fand sie. Ihm erschienen sie stichhaltig. Vermutlich hätte ich, wenn ich seiner überdrüssig geworden wäre, das Gleiche getan.
Aber ich war seiner nicht überdrüssig; daher kämpfte ich erbarmungslos und sehr einfältig gegen sein Weggehen. Ich war mir sicher, wenn ich kämpfte, würde ich gewinnen. Nie mehr wieder war ich mir meiner so sicher wie damals mit vierundzwanzig. Keinerlei ethische Skrupel wegen der Besitzansprüche und kein Gedanke an die Flüchtigkeit erzwungener Gefühle verkomplizierten meine Anstrengungen, das zu behalten, was ich behalten wollte.
Ich glaube, zu Anfang heuchelte ich ihm höhere Beweggründe vor – »bleib um unserer Familien willen« und so weiter. Später, als ich zunehmend panisch wurde, versuchte ich es mit Streit, Wut, Angst, Hysterie und Selbstmorddrohungen; und weigerte mich bis fünf Minuten, ehe er ging, mir einzugestehen, dass er trotz allem tatsächlich gehen könnte …
Als er seine Sachen zusammenpackte, saß ich da und glaubte es allmählich. Ich überlegte, welches Wunder ich in letzter Minute vollbringen könnte: Ich könnte mir die Pulsadern aufschneiden, so dass er einen Arzt holen müsste und bleiben würde, bis ich wieder gesund wäre. Aber ich sah ein, dass er in einer Welt, die mir plötzlich völlig unbegreiflich geworden war, einfach hinausmarschieren und mich an meinen Wunden sterben lassen könnte.
Ich hoffte, ich sähe verheerend aus; ich hoffte, ich sähe wunderschön aus. Dann fiel mir ein, dass der Sessel, in dem ich saß, ein Hochzeitsgeschenk seiner Tante Janet gewesen war, und fragte mich, was man mit den Hochzeitsgeschenken der Verwandten des Ehemanns machte, wenn der Ehemann ging. (In New York verkauft man sie letzten Endes an arme, jung verheiratete Freunde.) Die Lampe neben mir gehörte zu den ersten modernistischen. Mir fiel ein, dass Wanamaker’s dafür noch kein Geld bekommen hatte.
Das Geräusch von zuklappenden Kofferdeckeln verklang. Er kam herein.
Da stand er, gutaussehend, störrisch und unglücklich. Erinnerungen überfielen mich, wie hübsch ich ihn damals gefunden hatte – als wir uns auf einer Hausparty in New Haven zum ersten Mal getroffen hatten, im Frühling vor vier, nein, vor fünf Jahren …
»Ich gehe und suche nach einem Taxi, um meine Sachen zu transportieren«, sagte er.
»Peter, geh nicht.«
»Wozu soll das gut sein?«, fragte er.
Wir sahen uns an. Und nach diesen sechs Monaten, in denen ich es immer wieder geschafft hatte, einen neuen Protest hervorzubringen, ob nun von Belang oder nicht, gab es plötzlich keinen mehr.
Ich litt. Wir hatten uns drei Jahre geliebt und die Hälfte des vierten gehasst. Der Weg, den wir von einem heiteren, zuversichtlichen Anfang bis hierhin zurückgelegt hatten, erschien mir so lang.
Offenbar hatte er noch letzte Worte aufzubieten, für den Fall, dass ich keine finden sollte. Er setzte zwei-, dreimal an.
»Wann lässt du dich von mir scheiden, Patricia?«
»Den Teufel werde ich tun«, entgegnete ich.
Er zuckte mit den Schultern. Er war nicht einmal wütend. Er sah einfach müde aus.
»Mach, wie du denkst, Patty.« (Seit Monaten hatte er mich nicht mehr »Patty« genannt. Gelegentlich »Pat« oder im Zorn »Patricia«.)
Dann sagte er: »Trauere mir nicht so lange nach, meine Liebe …« Er kam auf mich zu, strich mir übers Haar und ging.
Mir kam meine letzte und dümmste Eingebung. Ich dachte: »Wenn er seine Koffer nicht bekommt, kann er nicht gehen«, und verriegelte die Wohnungstür. Er kam mit dem Taxifahrer zurück und klopfte. Ich saß ganz still da. Er schrie: »Wenn du jetzt nicht diese Tür aufmachst, trete ich sie ein.« Er hätte es getan. Also öffnete ich. Er schleuderte seine Schlüssel auf einen Tisch. »Die brauche ich nicht mehr.«
Ich setzte mich wieder in den Sessel. Koffer, Taschen, Taxifahrer und Ehemann verschwanden mit Getöse. Ich dachte: »Das ist das Ende. Warum weine ich nicht oder so was?«
An einem Sonntag, in den trägen Stunden zwischen einem späten Frühstück und dem Zeitpunkt, zu dem man sich für eine Cocktailparty anzieht, versuchte Lucia, mit der ich eine Wohnung teilte, eine »Ex-Frau« zu definieren.
»Nicht jede Frau, die mal verheiratet war, ist eine. Bei manchen Frauen ist es viel wichtiger zu wissen, dass sie an diesem oder jenem arbeiten oder dass sie gerne reisen oder Symphoniekonzerte besuchen, als zu wissen, dass sie mit dem einen oder anderen verheiratet waren.«
Sie sah mich nachdenklich an. »Du bist eine Ex-Frau, Pat, denn das ist das Wichtigste, was man über dich wissen kann –, dass du mit einem Mann verheiratet warst, der dich verlassen hat, erklärt alles andere.«
»Nach dieser Definition bist du auch eine. Dass du früher mit Arch verheiratet warst, erklärt das meiste an dir«, sagte ich.
»Ja, aber ich erhole mich davon. Man ist keine Ex-Frau mehr, wenn man sich wieder verliebt oder an den Mann überhaupt nicht mehr denkt.«
»Wie viele Jahre dauert es, bis man dieses Stadium erreicht?«, fragte ich. Ich war am Abend zuvor mit Peter essen gewesen und wusste, dass ich mich eine Woche lang elend fühlen würde.
»Komm, komm, meine Süße«, sagte sie. »Morgen fühlst du dich schon besser.«
Sie setzte wieder an. »Eine Ex-Frau ist eine Frau mit einem steifen Nacken, weil sie immer über die Schulter zurück auf ihre Ehe schaut.«
Ich fiel ein. »Eine Ex-Frau ist eine Frau, die auf Partys immer über die Freuden des Unabhängigseins schwafelt, solange sie nüchtern ist … und nach einem Drink zu viel lässt sie sich entweder über die Tugenden oder die Gemeinheiten ihres früheren Mannes aus.«
»Eine Ex-Frau«, sagte Lucia, »ist einfach eine überschüssige Frau, so wie die, über die sich die Soziologen im Krieg Gedanken gemacht haben.«
»Niemand macht sich Gedanken über eine Ex-Frau, abgesehen von ihrer Familie – oder ihrem Mann, wenn sie zufällig zu denen gehört, die Unterhalt beziehen«, sagte ich.
»Darüber müssen wir uns noch keine Sorgen machen, Schätzchen. Wir sind viel zu gefragt. Warte, bis wir vierzig sind … wenn wir nicht vorher an Schlafmangel gestorben sind.«
»Ich werde bis dahin gestorben sein, weil ich schlechten Absinth trinke«, äußerte ich resigniert.
Lucia begehrte auf. »Ich wünschte mir wirklich, du würdest aufhören, dieses Zeugs zu trinken. Das schadet deiner Schönheit.«
Aber ihre Stimme klang matt. Wir redeten einfach so. Schon bald würde es Zeit sein, sich zu schminken und ein Samtkleid überzustreifen, und die Ereignisse würden sich überschlagen. Es war kein schlechtes Leben, solange die Ereignisse sich überschlugen. Und für gewöhnlich taten sie es.
Ich wagte eine weitere Definition. »Ex-Frauen … junge, hübsche Ex-Frauen wie wir sind der Beweis, dass diese Freiheit für Frauen sich als Gottes größtes Geschenk an die Männer entpuppt.«
Wir lachten. Die Wintersonne schien herein und wärmte uns die Schultern. Es war schön, hier zu sitzen. Peter und ich hatten uns in der Nacht zuvor höllisch gestritten.
»Denk nicht an ihn«, sagte Lucia. »Ich sehe immer, wenn du es tust. Dein Mund verzerrt sich dann so schrecklich.« Wieder sprach sie ganz unvermittelt über Ex-Frauen.
Ich war mürrisch. Wenig später sagte ich: »Eine Ex-Frau ist eine junge Frau, für die die Ewigkeit, die man sich bei der Trauung geschworen hat, auf drei, fünf oder acht Jahre zusammenschnurrt.«
Lucia: »Da wir unter den zerfetzten Bannern von ›Ewiger Liebe‹ und ›Alles für die Reinheit‹ aufgewachsen sind, müssen wir uns an das Leben im Zeitalter der One-Night-Stands anpassen.«
Dann fiel ihr wieder ein, dass sie mich ja aufheitern wollte.
»Schätzchen, was macht das schon … Wir sind unglaublich beliebt, wir kennen sagenhaft viele Männer, und wir gehen überall hin.«
»Sie alle wollen mit uns schlafen«, sagte ich. »Kaum sind sie zum Abendessen hier, stellen sie sich darauf ein, zum Frühstück zu bleiben.«
»Und das ist auch nicht so wichtig, Pat. Das weißt du. Du fühlst dich heute einfach mies … Was ziehst du an?«
Ich sagte es ihr und ging mich ankleiden. Als ich wieder herunterkam, hatte sie zwei Martinis gemixt. Ich fühlte mich besser, nachdem ich meinen getrunken hatte.
Dann kam Max, wir gaben ihm auch einen Martini, und er sagte: »Auf das Verbrechen und andere Vergnügungen.« Diesen Trinkspruch gab er immer von sich. Dann erkundigte er sich nach unserer Gesundheit und der Arbeit. Vermutlich weil die Arbeit ihm so wichtig erschien.
Für uns war sie das nicht. Wir hatten beide einen Job in der Werbebranche. Lucia arbeitete in einer Agentur. Ich war Werbetexterin für Mode in einem Kaufhaus. Jede von uns verdiente im Schnitt hundert Dollar in der Woche, das Klimpergeld durch freiberufliches Schreiben inbegriffen. Wir hatten eine Dachkammer, so nannten wir unsere Wohnung, an der Park Avenue. Die Miete betrug hundertfünfundsiebzig Dollar im Monat, unser restliches Geld gaben wir für Kleider aus. Wir sparten nie etwas.
Lucia sagte, zu Zeiten ihrer Ehe habe sie immer gespart. Ich auch. Einmal hatte ich ein Jahr lang fünf Dollar in der Woche zurückgelegt für einen Teppich, der »schön genug sein sollte, um ihn zu behalten, wenn wir dann ein Haus hätten«. Nachdem Peter mich verlassen hatte, verscherbelte ich den Teppich für vierzig Dollar und kaufte davon ein Paar Schuhe und einen Hut.
Solange ich verheiratet war, habe ich Geld gespart und Pläne für die nächsten fünfzig Jahre geschmiedet und so. Danach machte ich nicht einmal mehr Pläne für den übernächsten Monat. Ich hielt das für eine große Zeitverschwendung.
Als wir Max nicht mehr viel Neues über unsere Arbeit berichten konnten, nahmen wir ihn mit auf die Cocktailparty. Er habe große Freude daran, die jüngere Generation zu beobachten. So seine Worte.
Wir kannten nicht viele Juden. Er war einer der nettesten. Er war alt; ähnelte einem Porträt von Rembrandt; hatte etwa eine Million Dollar im Altwarenhandel verdient; und wurde von Leuten umworben, die wollten, dass er ihnen Geld für ihre Menschenliebe gebe. Er hatte eine große Frau, die er anbetete. Eines Tages hatte er uns stolz erzählt, sie lerne schreiben. Wir dachten einen Moment, es handele sich um das Schreiben von Büchern, aber er meinte das ABC.
Er gehörte nicht zu unserem Kreis. Aber es war gar kein Kreis; nur nicht zusammenpassende Einzelstücke. Die Namen in meinem Terminkalender des ersten Jahrs nach Peter zeigen ziemlich gut, was für Leute wir kannten. (Bei manchen Initialen kann ich mich nicht mehr erinnern, für welche Person sie stehen.)
»Abendessen – Richard« … er war Sonntagsredakteur bei einer Zeitung. Später ging er mit einem dieser Dreimonatsverträge nach Hollywood. Ich habe gehört, dass er jetzt in San Francisco Sportberichte schreibt.
»H.R. G. – 20 Uhr« … Autor eines Theaterstücks, das ein Riesenerfolg war, und von zwei weiteren, die floppten. Ich ging mit ihm zur Premiere eines der Flops. Das war kein Galaabend.
»David – Sonntagsfrühstück« … wer war David? Eine vage unerfreuliche Ahnung. Oh ja, das war die Nacht, in der ich auf der Eighty-Sixth Street tatsächlich voller Wut während eines Schneesturms aus einem Taxi gesprungen bin. David importierte Wurstpellen aus Russland. Ein merkwürdiges Metier.
»Hal – in den Biergarten nach Hoboken« … er war nur ein Ex-Botschafter, der sich für sehr, sehr jung im Herzen hielt.
»Leonard – im Russischen Bären – 20 Uhr« … er war ziemlich süß. Ein ehemaliger Rhodes-Stipendiat, der für dreißig Dollar die Woche bei einer Klatschzeitung arbeitete.
»C.L. C. – im Ritz – 19:15 Uhr« … der Romanautor der jüngeren Generation. Das äußerte er immer freimütig, ohne dass er danach gefragt wurde.
»Dominic – zum Abendessen im Cecilia« … er war so ein ernster, junger italienischer Chirurg; und er tanzte wie ein argentinischer Profi.
»Gerard – im Brevoort – 18:30 Uhr« … er war einer der unbedeutenderen Männer an der Wall Street.
»Ken-Ken-Ken« … mindestens dreimal in der Woche fast das ganze Jahr über. Wenn ich seinen Namen lese, sehe ich die Lichter der Harlemer Tanzsäle auf dem goldensten Haar aufblitzen, das ich je gesehen habe. Er hätte der größte Regisseur der Filmwelt sein können. Er und ich hatten die schönste Zeit, die man sich vorstellen kann. Aber er küsste mich nicht ein einziges Mal.
»John – Samarkand – 21 Uhr« … er malte Wandbilder für Gaswerke, Elks’ Clubs und solche Orte.
»Ned – bei ihm – 18:30 Uhr« … er machte irgendwas im Verlagswesen; sammelte alles zu Napoleon – und kredenzte unglaubliche Mengen herrlichsten Cognacs.
So waren die Männer. Ich hatte nicht viele Verabredungen mit Frauen.
Dieses Gespräch mit Lucia über Ex-Frauen fand über ein Jahr nach dem Abend statt, an dem Peter mich im Sessel seiner Tante Janet zurückgelassen hatte.
Ich saß viereinhalb Stunden da. Ich weiß es genau, denn als ich Peters Taxi wegfahren hörte, schaute ich auf die Banjo-Uhr, die uns mein Großvater geschenkt hatte. Es war zehn Minuten nach sechs.
Neben mir lag eine verschlossene Zigarettenschachtel. Beim Öffnen riss ich zwei, drei heraus; eine zündete ich an; und versuchte zu begreifen, dass es keinen Peter mehr gab. Doch stattdessen fielen mir Dinge ein, die wir gemeinsam unternommen hatten. Sie rauschten durch meinen Kopf wie bewegte, viel zu schnell abgespielte Bilder – nur dass diese hier grell bunt waren, nicht schwarz-weiß-grau, und mit Stimmen und Düften.
Winter in London. (Wir gaben jeden Penny unserer Hochzeitsschecks vier Monate lang in England und während eines Frühlings in Paris aus; denn anschließend würde Peter lange Zeit hart arbeiten müssen und ein Starreporter werden. Oder, wie ich vorschlug, Theaterkritiker, weil ich das Theater so sehr liebte.) Nach dem Mittagessen eilten wir zu Brown-Shipley’s an der Pall Mall, um einen Scheck einzulösen; anschließend hetzten wir den Strand entlang zu Romano’s American Bar, damit wir dort ankämen, ehe um halb drei der Service eingestellt wurde. Meistens erreichten wir um fünf Minuten vor halb drei atemlos die Tür.
Peter bestellte reichlich doppelten Scotch und Soda auf einmal, um den Nachmittag zu überstehen. Ein Hauch von Nebel drang herein. Ich konnte mich an den Geruch des Nebels erinnern; an den rauchigen Duft des Scotch; an die kleinen Schweppesflaschen, deren Lichtreflexe auf dem ganzen Tisch funkelten; an Peters dunkle Stimme, die lustige Dinge sagte, etwa wie hübsch ich sei und was für einen Spaß wir haben würden, und über die fremden Orte, die wir eines Tages, sobald wir Geld hätten, bereisen würden – Moskau, Buenos Aires, Budapest und China.
Oder beim dritten Highball: »Ich bringe dir bei, wie man anständig trinkt, Patty-Liebling. Die meisten Ehefrauen trinken so jämmerlich. Guter Scotch, Pat … er steht dir in Zeiten großer Sorgen bei … Aber ich werde nie zulassen, dass du große Sorgen hast.
Keine großen Sorgen … und kein Baby, zumindest kein Baby in den nächsten Jahren. Du bist zu jung und hübsch, und ich will nicht, dass du Verletzungen davonträgst.«
Wir bekamen ein Baby, nachdem wir nach Hause zurückgekehrt waren und Peter fünfundvierzig Dollar in der Woche verdiente. Er war sehr beunruhigt. Wenn er sich nicht gerade Sorgen machte, wie wir es durchbringen sollten, fragte er sich, ob es mich sehr verletzen und ob ich jemals wieder hübsch sein würde.
Er war damals zweiundzwanzig Jahre alt. Ich war einundzwanzig.
Unsere Familien ließen uns strampeln, weil das jungen Leuten angeblich ein Gefühl für die Realitäten des Lebens vermittle. Allerdings nahmen sie an, sie ließen uns mit einem wöchentlichen Verdienst von fünfundsiebzig Dollar strampeln: denn wir hatten ihnen erzählt, so hoch sei Peters Gehalt.
Nachdem ich mich an den Gedanken, ein Baby zu bekommen, gewöhnt hatte, dachte ich, es sei doch ganz nett … ein kleiner Sohn, der Peter ähneln würde.
Er sagte: »Wo zum Teufel sollen wir in einer Zweizimmerwohnung das Kind unterbringen? Wir werden niemals wieder alleine sein. Es wird deine ganze Zeit beanspruchen. Babys müssen ständig gebadet, geschaukelt und gefüttert werden.«
»Vielleicht kann es in der Küchenecke schlafen, und dann bringe ich es für lange Besuche zu meiner Familie, damit es dir nicht auf die Nerven geht«, sagte ich.
»O, Gott«, sagte er. »Die weinen doch immer, oder?«
»Ich weiß es nicht, Peter. Sehe ich sehr schrecklich aus?«
»Natürlich nicht, und ohnehin rechne ich damit, dass du das wieder hinkriegen wirst.«
Ich fuhr nach Hause nach Boston, um das Baby zur Welt zu bringen. Ich hatte das Gefühl, was auch immer mit mir geschehen sollte, wäre leichter zu ertragen, wenn ich nicht den elend aussehenden Peter anschauen müsste, der sich verzweifelt Mühe geben würde, hilfreich zu sein.
Das Baby war ein Junge. Er hatte riesige dunkelblaue Augen und flaumiges Haar, hell wie das von Peter; er wog achteinhalb Pfund. Ich war ganz verrückt nach ihm; es sei denn, ich meinte gerade, ich könne weder Energie noch Interesse für irgendetwas aufbringen und das werde ewig so bleiben.
Peter kam natürlich, um ihn sich anzuschauen; aber er war so entzückt darüber, dass ich wieder schlank war, dass er überhaupt nicht über das Baby sprach, sondern nur sagte: »Nenn ihn Patrick, weil du Patricia heißt; und weil Patrick, wenn er groß ist, ein so seltener Name ist, dass er wieder in Mode sein wird.« So machte ich es. Ich hielt es für amüsant, ein Baby mit dem Namen Patrick zu haben.
Nachdem ich mit Patrick drei Monate bei meinen Eltern verbracht hatte, fuhr ich für eine Woche allein zu Pete, um eine Wohnung zu suchen, wo genügend Platz für das Baby wäre. Die Lösung mit der Küchenecke schien mir nun, da es geboren war, nicht mehr angemessen.
Das Baby starb an meinem zweiten Tag in New York.
Als ich zu Peter zurückkehrte, waren wir völlig blank. Er hatte sich Geld geliehen, um meine Krankenhausrechnung zu begleichen. Wir wollten nicht, dass unsere Familien erfuhren, dass wir sie nicht bezahlen konnten. Er hatte damit gerechnet, zehn Dollar mehr in der Woche zu bekommen, aber er bekam nur fünf.
Wir waren nicht sehr glücklich. Wenn er müde war, wurde er manchmal ärgerlich, weil ich wegen des Babys so viel weinte, und ich war immer leicht aufgebracht, weil er offenbar überhaupt nicht um das Baby trauerte.
Nach einer Weile wurde es besser. Unsere Familien, die allmählich begriffen hatten, dass wir sehr arm waren, schickten uns Schecks zu unseren Geburtstagen, und damit bezahlten wir unsere Schulden. Wir zogen in eine Wohnung am westlichen Rand von Greenwich Village. Sie hatte ein Dach, auf dem wir in den heißen Augustnächten saßen und wieder über Orte plauderten, an die wir reisen wollten, und über Dinge, die wir schon bald tun würden (aber nicht so bald, wie wir es im Jahr zuvor geglaubt hatten).
Auf der anderen Straßenseite spielte ein Mann wundervoll Chopin. Ich lehnte meinen Kopf an Petes Schulter, lauschte und fühlte mich ganz ruhig.
Eines Tages: »Patty, wir müssen unser Budget um ein Paar Schuhe für mich erweitern. Die hier sind an der Seite aufgerissen, und außerdem ist eine Sohle durchlöchert.«
»Das ist eine große Tragödie, Pete. Seit einem Monat kann ich den Eismann und die Wäscherei nicht mehr beschwichtigen. Wie viel kosten Herrenschuhe?«
»Liebling, was ich früher für Schuhe bezahlt habe und für wie viel ich heute welche bekomme, ist ein großer Unterschied.«
Am nächsten Tag: »Ich habe ein Paar für sechs Dollar gesehen, das nicht allzu scheußlich aussieht. Können wir diese Woche drei Dollar zurücklegen und drei in der nächsten, meine Kleine?« Er schnitt Pappe aus, um sie in den Schuh mit der durchlöcherten Sohle zu legen, und war dabei ganz heiter.
Ich war abgrundtief traurig. Armer Peter. Er war immer so gut und lässig gekleidet gewesen.
Die neuen Schuhe wurden das Highlight dieser zwei Wochen.
Am Abend vor dem zweiten Zahltag kam er fröhlich nach Hause. »Onkel Harrison hat mir ins Büro telegraphiert. Er ist um sieben Uhr im Brevoort und will uns zu einem üppigen Abendessen einladen, Pat. Zieh dich rasch um. Ich wünschte, es wäre schon morgen und ich hätte die schönen Schuhe.« In den zwei Wochen der Vorfreude hatten sie sich von »nicht allzu scheußlich« zu »schön« gemausert.
Ich zog mich um. Ich hatte noch ein, zwei Sachen aus meiner Aussteuer, die sich anboten. Aber, »Pete, was ziehst du vor, Strümpfe mit einer breiten Laufmasche auf der Innenseite oder einer mittelbreiten auf der Rückseite?«
»Mein Gott, Liebste, sind all deine Strümpfe kaputt?«
»Sieht so aus.«
Wir entschieden uns für das Paar mit der Laufmasche auf der Innenseite und genossen ein wunderbares Abendessen mit seinem Onkel.
Als er am nächsten Tag nach Hause kam, wirkte er recht verlegen. Ich sah nach den hübschen Schuhen, aber er hatte sie nicht an. Er hatte eine kleine Schachtel in der Hand. »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht, Patty«, sagte er.
Er hatte mir drei Paar Strümpfe gekauft.
In der nächsten Woche bekam er eine Gehaltserhöhung von zehn Dollar; und im darauffolgenden Monat antwortete ich auf eine Stellenanzeige in der Times, ein Werbetexter wurde gesucht. Ich fabulierte etwas über frühere Erfahrungen und bekam den Job für vierzig Dollar die Woche. Anfangs verfasste Pete am Vorabend meine Werbetexte, die ich am nächsten Tag brauchte, bis ich es gelernt hatte und selber konnte.
Plötzlich hatten wir Geld für eine Haushaltshilfe; und für Petes Drinks auf dem Heimweg; und für unsere allabendlichen Essen im Restaurant; und Geld für Gin für Partys.
Danach hielten wir es gerade noch ein Jahr miteinander aus.
Peter und ich vertrugen beide den Alkohol gut; das heißt, er wurde nicht lautstark und ich nicht kicherig; und keinen von uns beiden fand man am Ende eines Abends bleich und schwindlig auf einem fremden Bett; das heißt aber nicht, dass er nicht jedes Mädchen, mit dem er gerade tanzte, nach dem achten Drink enger an sich drückte als nach dem dritten oder dass ich nicht in gleichem Maße charmante Reden von nahezu jedem mit zunehmendem Interesse entgegennahm.
Wir liebten uns noch und waren rasend eifersüchtig; aber wir gaben unsere Eifersucht nie zu: Sie war zu himmelschreiend altmodisch. Er ermunterte mich, mit alten Freunden von außerhalb, die hin und wieder auftauchten, zum Abendessen und zum Tanzen in Lokale zu gehen, die er sich nicht leisten konnte; denn er wollte, dass ich mich vergnügte. Und er gabelte zwei, drei leicht missverstandene hübsche Ehefrauen auf, die ihn als Vierten zum Bridge aufforderten oder als Zweiten zum Tee. Ich dachte, all das mache ihm Freude.
Aber wir waren eifersüchtig. Als ich ihn einmal dabei überraschte, wie er auf einer Party eine reizende Schulter küsste, sagte ich nichts, aber ich nahm es ihm übel. Und als ich eines Nachts in einen banalen Autounfall in New Jersey verwickelt war und um fünf Uhr morgens sehr zerzaust nach Hause kam, gab er den gelassenen und amüsierten modernen Ehemann, aber in seinen Augen flackerte die Wut.
Dinge dieser Art entwickeln sich und werden mehr.
Als ich für ein Wochenende an der Küste war, verbrachte Peter die Nacht mit einer der nicht ganz so glücklichen Ehefrauen. Er erzählte es mir. Er und ich hatten uns auf strikte Ehrlichkeit geeinigt. Ich machte ihm keine Szene – aber danach waren meine Gefühle für Peter nie mehr so wie zuvor. Es war mir unvorstellbar, dass ich ihm je untreu werden würde. Doch zwei, drei Monate nach dieser Episode war ich es.
Pete war über den Sonntag nach Philadelphia gefahren. Rickey rief an und fragte, ob er uns am Samstagabend auf die üblichen Drinks und ein Abendessen irgendwo treffen könne. Ich erzählte ihm, dass Pete weggefahren sei, woraufhin er meinte, dann wolle er mit mir ausgehen und für mein Vergnügen sorgen. Das war schon Dutzende Male vorgekommen – und viele Male mit Rickey.
Zufällig war er Petes ältester Freund. Dieselbe Grundschulklasse und so weiter. Rickey war ein überaus charmanter Mann. Er mochte mich; wir tanzten gut zusammen; für gewöhnlich küsste er mich ein-, zweimal im Laufe eines Abends, und Pete wusste das. Ich glaube nicht, dass Rickey an jenem Abend weiter gesteckte Ziele im Sinn hatte als sonst.
Wir hatten Lust, uns unters Volk zu mischen, und fuhren nach Harlem; doch an dem Abend war es warm, Harlem war überlaufen und die Luft stickig. Also schlug Rickey vor: »Komm mit zu mir, ich mache uns einen kühlen Drink, und wir hören eine Symphonie auf dem Grammophon. Da ist es ruhiger.«
Nichts sprach dagegen. Es war noch recht früh, und ich war nicht müde.
Rickey mixte uns einen Gin Fizz, wir saßen eine Weile an seinem Fensterplatz, bewunderten den Washington Square, legten Platten auf und tranken noch ein paar Gin Fizz. Wir sprachen über Galsworthy, Wells und Bennett, soweit ich mich erinnere. Ich schlenderte in sein Schlafzimmer, um meinen Lippenstift nachzuziehen; er kam mir hinterher und fühlte sich getrieben, mich zu küssen. Auch ich küsste ihn. Ich mochte Rickey sehr.
Und dann – ob es nun an der Sommernacht lag, an der körperlichen Anziehung oder an den Gin Fizz ist nicht so wichtig – wurde Rickey zum Höhlenmenschen. Erst war ich erschrocken. Dann wurde ich ärgerlich und sagte: »Rickey, lass das, auf der Stelle.« Genauer gesagt, war es die Stelle, als er mich nicht mehr auf den Mund, sondern auf den Hals küsste.
Er hörte auf und blieb etwa eine Minute mit seinem Arm um meine Schulter stehen. Ich sah zu ihm auf – er war ungefähr dreißig Zentimeter größer als ich – ein schöner, dunkelhaariger junger Mann.
»Entschuldigung«, sagte er.
»Mach nicht so ein tragisches Gesicht, Rickey. Es ist kein Kompliment für mich, wenn du meinetwegen das Gesicht so verziehst.« Er lachte und küsste mich erneut; und in diesem Moment war es um uns geschehen.
Aber in diesem Moment hatte ich gar nicht mehr den Wunsch, es nicht geschehen zu lassen. Neugier? Verlangen? Ein Empfinden, dem Pete nachgegangen war, warum sollte ich es nicht auch tun? Der Gedanke, es sei ein Abenteuer? Ich erinnere mich nicht mehr genau. So vieles ist inzwischen passiert.
Ich wachte um sechs Uhr auf. Der schlafende Rickey sah sehr friedlich aus. Aus welchem Winkel ich diesen ansehnlichen Kopf auch betrachtete, ich konnte in ihm nicht den Schurken erkennen.
Ich dachte an Peter, und ich dachte, mir würde schlecht. Also stand ich rasch auf, ging unter die Dusche und zog mich an. Rickey schlief noch immer. Ich hinterließ ihm eine Nachricht auf einem Zettel. An sie erinnere ich mich.
Ich hatte geschrieben: »Rickey, ich bekomme keinen hysterischen Anfall, aber ich weiß, dass mir beim Frühstück nichts einfällt, was ich sagen könnte. Ruf uns bald an.«
Kaum war ich zu Hause, bekam ich den hysterischen Anfall. All die Geister meiner Ahninnen, die gute Frauen gewesen waren, saßen um mich herum und verdammten mich. Dann erwog ich das Problem Peter. Ich wurde noch hysterischer. Da ich sehr hungrig war, ging ich in Alice McCollister’s Coffee Shop und genehmigte mir ein ausgiebiges Frühstück.
Peter würde am Abend um sechs Uhr nach Hause kommen. Es war vier, als mir klar wurde, dass ich Angst hatte, es ihm zu erzählen – einen theoretisch modernen, jungen Ehemann mit der Tatsache der Untreue seiner Frau zu konfrontieren, überstieg meine Kräfte.
Was ich also Peter wegen tat, ich nahm ein Bad. Dann schminkte ich mich sorgfältig und begrüßte ihn mit Tee und Muffins statt mit einem Geständnis. Wir gingen zum Essen in ein Restaurant und trafen zufällig Rickey; und er und Pete zelebrierten einen ihrer Nostalgieabende, »als wir damals im selben Team spielten«. Ich hörte ihnen zu und dachte, das Leben sei wirklich nicht einfach. Wahrscheinlich war es zum ersten Mal, dass mir so etwas in den Sinn kam.
Außerdem wurde mir klar, sollte ich es Peter erzählen, könnte ich ihm nicht sagen, dass es Rickey war. Das Muster Ehefrau-und-der-beste-Freund war ganz besonders haarsträubend. Zusätzlich könnte Peter auf die Idee kommen, der Mann, der seine Frau vom rechten Weg abgebracht hatte, müsse auf traditionelle Art geschlagen werden; und wahrscheinlich könnte er Rickey, der so viel größer war, nicht schlagen. Das würde Peter nur noch mehr demütigen.
Ich weiß, all das klingt absurd – als hätte ich damals gedacht, diese Geschichte sollte als Farce gespielt werden. Nein, das habe ich nicht. Es gab Angst, Bedauern und Fassungslosigkeit. Aber sie sind verblasst. Ich erinnere mich nur an mein Erstaunen, dass alle Theorien über das Recht auf Experimente und über wünschenswerte vielfältige Erfahrungen – Theorien, die bei den Gesprächen über die sexuellen Abenteuer von Freunden so völlig passend geklungen hatten – keinerlei Hilfe waren, als die Entscheidung Peter und mich betraf.
Mich erstaunte auch, dass ich, obwohl ich seit über zwei Jahren mit Peter verheiratet war, nicht den geringsten Schimmer hatte, wie er es aufnehmen würde. Ich hielt es für denkbar, dass er mich erschießen könnte – wahrscheinlicher war, dass er es nicht täte, mich aber für alle Zeiten verlassen würde – und auch möglich, dass er verstehen würde, wie zufällig die ganze Sache gewesen war.
Eine Woche verging. Ich kaufte einen Hut, der Pete sehr gefiel; tagsüber schrieb ich Texte; an den Abenden ging ich tanzen; ich versuchte, »gut« zu ihm zu sein, besorgte Sachen, die er zum Frühstück mochte, und schlug ihm die Restaurants vor, in denen er am liebsten aß.
Und jedes Mal, wenn er mich küsste, dachte ich, ich müsse weinen.
Aus dem Grund erzählte ich es ihm am Ende der Woche. Ich wartete nicht auf einen passenden Augenblick. Der hätte sich natürlich nie ergeben. Ich sagte es ihm, als wir unser gemütliches Sonntagsfrühstück beendeten. Ich war sogar relativ heiter in dem Moment, als alles, was geschehen konnte, mir nicht ärger erschien, als so weiterzumachen, als wäre nichts gewesen.
Ich aß meine Waffel auf. (Ich hatte Waffeln gebacken, weil Pete sie so gerne mochte.) Ich dachte: »Wetten, dass ich mein Lebtag nie wieder eine Waffel esse.« (Und so war es.)
Als ich Pete eine zweite Tasse Kaffee einschenkte, dachte ich: »Meine Hände sind kalt, aber sie zittern nicht.« Als ich mir eine Zigarette anzündete, dachte ich, »Es ist schön, ein Frühstückszimmer zu haben.«
Und als ich Pete und mich im Wandspiegel betrachtete – Pete blond, schlank, attraktiv und lässig in einen alten violetten, seidenen Morgenmantel gehüllt, und ich klein, dunkelhaarig und weißhäutig, relativ dekorativ in einem türkisen Satinnegligé – dachte ich, dass wir beide absolut bezaubernd aussähen.
Ich sehe uns heute noch da sitzen, aber nicht als wären es Pete und ich. Sondern als betrachtete ich durch eine staubige Fensterscheibe zwei Fremde in einer Tür jenseits einer breiten Straße.
Ich schaffte es, unernst zu klingen. »Pete, ich möchte die eine-Frau-gesteht-alles-Show abziehen.«
Er sah unbesorgt aus. »Mein Gott, Schatz, hast du einen Pelzmantel auf Pump gekauft?«
»Schlimmer.«
»Du hast deinen Job verloren, und wir müssen wieder in ehrbarer Armut leben?«
»Mach keine Witze, Pete.«
Seine Stimme veränderte sich. »Entschuldige, Patty, was ist los? … Guck nicht so besorgt. Du weißt, ich schlage dich nicht.«
Ich atmete tief durch. »Ich war dir untreu.« (»Untreu« … so ein merkwürdiges Wort.)
Ich konnte ihn nicht ansehen, und dann musste ich ihn ansehen. Ich hatte immer Petes Gelassenheit bewundert. Jetzt saß er absolut ausdruckslos da … aber wie schrecklich still er war.
»Patty … ist das zufällig ein Scherz?«
»Nein.« Was hatte ich da losgelassen … was dachte er?
»Wie ist das passiert?« Seine Stimme klang sehr ruhig.
Ich konnte ihm doch nicht von Rickey erzählen. Ich hatte mir nicht überlegt, was ich sagen oder nicht sagen würde; hatte nicht durchdacht, was er fragen könnte. Nun …
»Ich war betrunken, Pete.« Das war mager; er wusste, dass ich nie so betrunken war.
Er ließ es so stehen. »Wer war der Mann, Patty?«
(Spiel auf Zeit. Vielleicht ruft gleich jemand an oder so und mir bleibt Zeit nachzudenken.)
»Ich habe dich auch nicht nach dem Namen der Frau gefragt, bei der du geblieben bist.« Natürlich wusste ich ihn ohnehin.
»Das hat doch damit nichts zu tun?«
Und es hatte nichts damit zu tun, wenn er nicht das Gefühl hatte, dass es damit etwas zu tun hatte.
(Ich darf nicht »Rickey« sagen. … Ist da gerade jemand gestorben? … Nein, ich darf niemanden nennen.)
»Sag mir, wer das war, Patty.« Er kannte Rickey seit fünfzehn Jahren … Rickey bedeutete ihm mehr als jeder andere, mit Ausnahme von mir. Mir war Rickey egal. Es war mir egal, wenn er irgendwo wirklich sterben würde, aber ich konnte doch Pete nicht so entsetzlich demütigen.
Er nahm meine Hand. »Schau nicht so ängstlich. Ich will es doch nur verstehen, Liebling.« Was für eine alte Stimme.
»Aber du musst mir sagen, wer es war. Mit dem habe ich ein Wörtchen zu reden.«
(Gewinn Zeit … gewinn Zeit zum Nachdenken.)
»Jetzt bist du aber altmodisch, Pete.«
Das war nicht gut.
»Ja, das bin ich wohl. Lenk bitte nicht ab.«
Ich verlor den Kopf. Wie die traditionelle Mörderin aus den Klatschspalten hörte ich offenbar einen Schuss.
Ich hörte mich sagen: »Das hat keinen Sinn. Siehst du … es war mehr als nur ein Mann.«
Er stieß seine Kaffeetasse vom Tisch.
»Tut mir leid«, sagte er. »Das war ungeschickt von mir. Sprich weiter … was hast du gerade gesagt?«
»Peter, du weißt es nicht, aber wenn ich manchmal auf Partys zu viel getrunken habe, werde ich einfach ziemlich dumpf … und ich habe mich dann nicht mehr unter Kontrolle, das geht schon eine ganze Weile so« … (er darf keinesfalls die Daten überprüfen) … »ich wollte es dir längst sagen, aber ich habe mich nicht getraut … und natürlich gehe ich zurück zu meinen Eltern oder willige in die Scheidung ein oder was immer du willst.« (Oh, er soll mir glauben, nein, er soll mir nicht glauben.)
Er bewegte seinen Mund, als täte er ihm weh. »Rede nicht so schnell, Patty.«
Ich hörte ganz auf zu reden. Er würde mir glauben, ganz sicher. Er hatte mir immer geglaubt. Ich hatte ihn noch nie belogen.
Er sagte mit völlig unpersönlicher Stimme: »Und ich habe immer gedacht, du seist der reinste Mensch auf der Welt.«
Ich fing an zu weinen, nicht weil es etwas bringen würde – sondern weil ich nicht anders konnte.
»Tu das nicht, Patty«, sagte er wieder sehr sanft. »Hör zu, willst du mir einen Gefallen tun?«
»Ja.«
»Dann sei still, setz dich hin und lies ein Buch … es ist alles in Ordnung … ich möchte nur alleine sein.«
Ich setzte mich. Er ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich vergoss viele Tränen über all den Kupferdrucken; und wusste, dass es dumm war.
Plötzlich kam mir der Gedanken: »Vielleicht bringt er sich um. Ich muss ihm sagen, er soll es nicht tun.« Leise öffnete ich die Schlafzimmertür. Er hörte mich nicht. Er lag bäuchlings auf seinem Bett und schluchzte.
Das war das einzige Mal, dass ich Peter weinen sah.
Ich wagte nicht hineinzugehen. Ich setzte mich wieder und starrte auf die Wohnzimmerwand. Sie war cremefarben. Sie müsste neu gestrichen werden, aber nicht so dringend.
Nach einer Weile hörte ich, dass Peter duschte. Er kam herein und sah gut aus oder fast gut.
»Hör zu, Pat, ich habe dir kurz etwas zu sagen, und unterbrich mich nicht, Liebling. Du bist eine unglaublich begehrenswerte junge Frau, und ich habe mich nie richtig um dich gekümmert. Ich habe dich dazu ermuntert zu trinken und all so was. Ich bin schuld an dieser Sache. Wir reden nicht mehr darüber. Nur … du tust es nicht wieder, ja?«
»Nein, nein, nein«, sagte ich. »Nie wieder. Aber du trägst keine Schuld, du hast mir vertraut.«
»Es wäre besser gewesen, wenn ich ein bisschen auf dich aufgepasst hätte … Nun, Liebling, stell dich unter die Dusche und zieh dich an. Ich mixe uns Cocktails, dann trinken wir ein, zwei und rufen herum. Vielleicht finden wir heraus, was Rickey macht.«
Nachdem ich angezogen war, tranken wir jeder zwei Manhattan und besuchten Rickey. Er mixte Highballs. Nach meinem ersten nahm mir Peter das Glas weg. »Die Kleine trinkt jetzt weniger Alkohol, Rick. Der ist schlecht für ihre Nerven.« Rickey sah überrascht aus, sagte aber nichts.
Er und Peter betranken sich ziemlich heftig und redeten über Football.