Fachdidaktische Zugänge Ethik, Religionen, Gemeinschaft mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung (E-Book) - Sophia Bietenhard - E-Book

Fachdidaktische Zugänge Ethik, Religionen, Gemeinschaft mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung (E-Book) E-Book

Sophia Bietenhard

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Dieses Lehrmittel stellt vielfältige Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen der Fachbereiche ERG sowie BNE vor. Theoretische Erläuterungen verbinden sich dabei mit erprobten Praxisbeispielen. Begründete Zugänge und Methoden unterstützen Lernende bei der Auseinandersetzung mit ethischen, religionsbezogenen und sozialen Inhalten und mit Herausforderungen der Nachhaltigkeit. Ein Grundlagenband führt darüber hinaus in die Fachbereiche und in zentrale Aspekte der fachdidaktischen Diskussion ein. Die Bände sollen in Aus- und Weiterbildung dazu anregen, Erfahrungen von Lehrpersonen mit theoretischen Grundlagen und einer weiten Community ins Gespräch zu bringen und Unterricht zu entwickeln.

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Seitenzahl: 644

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Sophia Bietenhard, Caroline Brönnimann, Hubert Schnüriger (Hrsg.)

Fachdidaktische Zugänge Ethik, Religionen, Gemeinschaft mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung

Grundlagen

Ethik

Religionen

Gemeinschaft

Bildung für Nachhaltige Entwicklung

ISBN Print: 978–3–0355–2404–8

ISBN E-Book: 978–3–0355-2652-3

1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten

© 2024 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.ch

Inhaltsübersicht

Bietenhard, Brönnimann, Schnüriger (Hrsg.)Grundlagen

Bietenhard, Brönnimann, Schnüriger (Hrsg.)Ethik

Bietenhard, Brönnimann, Schnüriger (Hrsg.)Religionen

Bietenhard, Brönnimann, Schnüriger (Hrsg.)Gemeinschaft

Bietenhard, Brönnimann, Schnüriger (Hrsg.)Bildung für Nachhaltige Entwicklung

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Ein Beitrag zur Allgemeinbildung

Die organisatorische Rahmung der Publikation

Aspekte der fachdidaktischen Entwicklung

Die Einzelbeiträge der Bände ETH, REL, GEM und BNE

Gegenstandsorientierung und Fachlichkeit

Aspekte des Lehrberufs im ERG- und BNE-Unterricht

Fachverständnis Ethik

Philosophieren als kritische Selbstverständigung

Die Frage nach dem richtigen und guten Handeln

Fachdidaktische Anliegen und Herausforderungen

Fachverständnis Religionen

Religion als kulturell geprägter Weltzugang

Religion als zeichenhaft geprägte Interaktion

Worldviews – eine Alternative?

Fachdidaktische Anliegen und Herausforderungen

Fachverständnis Gemeinschaft

Konzeption 1 – Überfachliches Lernen im Erfahrungsraum Schule

Konzeption 2 – Überfachliches Lernen in Schule und Fachunterricht

Konzeption 3 – Entwicklungs- und gegenstandsorientierte Lebenskunde

Konzeption 4 – Gegenstandsorientierung

Diskussion

Fachdidaktische Anliegen und Herausforderungen

Bildung für Nachhaltige Entwicklung

Unterscheidung von Nachhaltigkeit und Nachhaltiger Entwicklung

Zwei BNE-Konzeptionen

Didaktische Herausforderungen und Anliegen

Ethik, Religionen, Gemeinschaft, BNE – Bezüge und Unterschiede

Zwei Rollen – Beobachter*innen und Akteur*innen

Rollen und Methoden

Überfachliche Bildungsziele und Fachlichkeit

Lerngegenstand und Bildungserwartungen

ERG mit BNE – Fachlichkeit und Bildungsidee

Verstehen als das Verstehen von Sinn

Verstehen als Ziel des Lernens und das Verstehen von Sinn

Hermeneutik und Sinnverstehen

Unterschiedliche Rahmungen

Vorstellungen entwickeln und verändern

Die Conceptual-Change-Theorie

Austausch und Nebeneinander von Vorstellungen

Formen von Vorstellungen

Veränderungen veranlassen

Vorstellungsveränderungen erheben und auswerten

Lernprozesse adaptiv unterstützen

Trag- und anschlussfähige Konzepte entwickeln

Lernen arrangieren, strukturieren und unterstützen

Zum Begriff des Lernarrangements

Lernen arrangieren

Lernen unterstützen und begleiten

Kompetenzorientierung im Fachunterricht

Kompetenzen in ERG und BNE

Fachbezogene und überfachliche Kompetenzen: Ein Spannungsfeld

Anwendungsorientierung

Beruflich kompetentes Handeln im Fachunterricht

Unterrichten als professionelles Handeln

Lehrkompetenzen für den Fachunterricht

Überzeugungen, Wertehaltungen und Ethos

Staatlicher Auftrag und rechtliche Rahmenbedingungen

Entwicklung professionsbezogener Reflexivität im Lehrberuf

Literaturverzeichnis

Beitragsübersicht

Index

Einleitung

Abbildung 1-4:Eine zweite Klasse artikuliert und vertieft mit ihrer Lehrperson Vorstellungen zur Frage, was Menschen brauchen (Bietenhard)

Die vorangestellte Bilderreihe stammt aus einer zweiten Klasse. Als Einstieg in eine Unterrichtseinheit über unterschiedliche Lebensweisen beschreiben die Schüler*innen, was sie zum Leben brauchen, und sie begründen, weshalb gerade diese Dinge wichtig für sie sind. Die Lehrperson notiert die Beiträge und ordnet sie mit den Lernenden in übergeordnete Bereiche. Im weiteren Unterrichtsverlauf kommen viele andere Eindrücke, Erfahrungen und Vorstellungen hinzu.

Die Beiträge beziehen sich auf grundlegende menschliche Bedürfnisse und greifen auf Werte, Sinnfragen, Beziehungen sowie auf allgemeine Inhalte der kulturellen und sozialen Lebensgestaltung aus. Die Eindrücke aus dem Unterrichtsverlauf zeigen, dass die Kinder bereits viele Vorstellungen mitbringen und sie auch zur Diskussion stellen wollen. Einige beschreiben sehr persönliche Gegenstände und Beziehungen aus ihrer unmittelbaren Alltagswelt, andere verweisen schon auf Bedürfnisse von allgemeiner Geltung. Die Impulse der Lehrperson, die Ordnungshilfen und die daran anschliessenden Gespräche unterstützen sie dabei, diese auszudrücken und zu erkunden.

Schule und Unterricht bieten einen strukturierten und methodisch geleiteten Raum, um sich gemeinsam mit anderen mit Lebensformen und Fragen der Lebensgestaltung zu befassen. Die Schüler*innen nehmen dabei wahr, was sie im persönlichen Umfeld erfahren und was sie und die anderen prägt. Im fortgesetzten Lernprozess entdecken sie, dass ihre Alltagswelt mit weiteren sozialen, politischen und kulturellen Ordnungen zusammenhängt, auf die sie sich beziehen und die sie mitgestalten.

Ein Beitrag zur Allgemeinbildung

Eine demokratisch organisierte Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass ihre Mitglieder sich an Diskussionen über Fragen und Herausforderungen einer sinnhaften Lebensgestaltung produktiv und kritisch-reflexiv beteiligen können. Dabei geht es um das Anliegen, das eigene wie auch das gemeinsame, gesellschaftliche Leben vernünftig und verantwortlich zu gestalten. In der modernen Welt ist zudem das Bewusstsein dafür gewachsen, sich als Teil einer komplexen Weltgesellschaft zu verstehen, in der Handlungsweisen globale Auswirkungen haben können und auch die Natur in hohem Mass beeinflussen. In diesem Zusammenspiel versieht die Schule – neben den Erziehungsberechtigten und weiteren Akteur*innen – den politischen Auftrag, Heranwachsende in ihrer Entwicklung zu eigenständigen und sozial verantwortlichen Akteur*innen zu fördern, die am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben können.

Mit der vorliegenden Publikation möchten wir an ausgewählten fachlichen und fachdidaktischen Aspekten zeigen, wie Ethik, Religionen, Gemeinschaft sowie Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) dieser Aufgabe nachkommen. Wir möchten künftigen und amtierenden Lehrpersonen einige der aktuellen Diskussionen und Herausforderungen vorstellen, die sich im Fachunterricht bei der Bearbeitung von Inhalten aus Ethik, Religionen, Gemeinschaft und ihren Bezügen zu einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung zeigen. Dabei legen wir das Augenmerk auf ausgewählte fachdidaktische Grundlagen und auf Zugangsweisen des Lernens und Unterrichtens, auf Fragen der Fachlichkeit sowie auf professionsbezogene Herausforderungen, die besonders in Ethik, Religionen, Gemeinschaft und Bildung für Nachhaltige Entwicklung sichtbar werden. Mit diesen Eckpunkten lässt sich an die bildungstheoretische Diskussion über die beruflichen Kompetenzen anknüpfen, die Lehrpersonen benötigen, wenn sie Fachunterricht planen, durchführen und entwickeln. Schlüsselkriterien sind hier, dass Lehrpersonen die Rahmenbedingungen von Schule und Unterricht kennen, über fachdidaktisches und fachliches Wissen sowie über pädagogisch-psychologisches und Beratungswissen verfügen (vgl. unten: Die Lehrperson als beruflich Handelnde).

Die folgenden Ausführungen der Einleitung beziehen wir mit ausgewählten Akzenten auf diese Berufskompetenzen: Wir ordnen die curriculare Diskussion über die hier thematisierten Fachbereiche Ethik, Religionen, Gemeinschaft und die Leitidee einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung anhand ihrer Neuorganisation in der Schweiz ein und machen auf wichtige Gesichtspunkte der Fachentwicklung und der Ausbildung von Lehrpersonen aufmerksam. Aus ihr folgen die fachdidaktischen und fachlichen Akzente, welche die Publikation setzt. Wir schliessen mit Hinweisen zur Diskussion über die beruflichen Kompetenzen, welche der Unterricht über Inhalte von Ethik, Religionen, Gemeinschaft und Bildung für Nachhaltige Entwicklung erfordert.

Die organisatorische Rahmung der Publikation

Die Einbindung der Bildungsbereiche Ethik, Religionen und des sozialen Lernens führen bei Überarbeitungen des Curriculums immer wieder zu Herausforderungen und Diskussionen. Wir gehen im Folgenden auf die jüngeren Entwicklungen in der Schweiz ein, die zu ersten sprachregionalen, kantonsübergreifenden Lehrplänen für die obligatorische Schulzeit führten und fortgeschrittene Varianten einer solchen Einbindung formulierten. In der vorliegenden Publikation beziehen wir uns auf die deutschsprachige Schweiz und auf die gesamte Volksschulzeit. Sie setzt mit zwei Kindergartenjahren ein, gefolgt von sechs Jahren Primarschule und drei Jahren Sekundarstufe I.

Lehrplanentwicklung in der Schweiz

Der Deutschschweizer Lehrplan 21 trägt den jüngeren gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung und integriert Herausforderungen wie Digitalisierung, Globalisierung, Umweltkrise und die zunehmende kulturelle und weltanschauliche Pluralisierung mit der wachsenden Diversität von Lebensformen (D-EDK 2016). Dass die Auseinandersetzung mit Werten und Normen, Gesellschaftsfragen, mit kulturellen und religionsbezogenen Inhalten zur Allgemeinbildung gehört, war in der Vorbereitung unbestritten.

Um allen Schüler*innen den Zugang zu religionsbezogenen Inhalten zu ermöglichen, organisiert der Deutschschweizer Lehrplan 21 den entsprechenden Unterricht in einem curricularen Gefäss «Religionen» grundsätzlich staatlich, richtet ihn bekenntnisunabhängig aus und erklärt den Besuch verbindlich (D-EDK 2016, NMG). In der deutschsprachigen Schweiz wird der schulische Religionsunterricht seit 2016 denn auch mit wenigen Ausnahmen ausschliesslich staatlich verantwortet, während die konfessionellen Träger und Religionsgemeinschaften ihre eigenen Gefässe haben, manchmal in Absprache mit der Schule, manchmal als ausserschulisches Angebot (vgl. Jakobs u. a. 2022). Die Ausnahmen verweisen darauf, dass die Kantone aus organisatorischen Gründen oder aufgrund von verfassungsrechtlichen Vorgaben beim staatlichen Religionsunterricht unterschiedliche Strategien verfolgen.

Die Einführung des Deutschschweizer Lehrplans 21 brachte nicht nur für den Religionsunterricht eine Neuorientierung. Mit «Religionen» wurde der Ethikunterricht sowie der Unterricht über individuumsorientierte und soziale Inhalte zum Fachbereich Ethik, Religionen, Gemeinschaft zusammengeführt, gemeinhin abgekürzt mit ERG. Auch dieser Verbund ist aus früheren Konstellationen hervorgewachsen, zum Beispiel bekannt unter den Fachbezeichnungen Religion-Ethik oder als Religion-Mensch-Ethik. Oft wurden diese Zusammenstellungen werte- und sozialerzieherisch und lebenskundlich begründet (vgl. unten Fachverständnis Gemeinschaft).

Inhaltlich und fachdidaktisch gehört ERG im Lehrplan 21 zum übergeordneten Fachbereich «Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG). In seinem didaktischen Verständnis und als mehrperspektivisch zusammengesetzter Fachbereich ist NMG dem deutschen Sachunterricht vergleichbar. Im Kindergarten und auf der Primarstufe bildet ERG eine Perspektive des NMG-/Sachunterrichts, auf der Oberstufe (Sek. I) einen eigenen Fachbereich innerhalb von NMG. Neben ERG bilden Wirtschaft, Arbeit, Haushalt (WAH), Natur und Technik (NT) sowie Räume, Zeiten, Gesellschaften (RZG) die anderen Fachbereiche von NMG.

Wie bereits erwähnt, setzen die einzelnen Kantone den Deutschschweizer Lehrplan 21 teilweise unterschiedlich um. So ist auch die Organisation der einzelnen Bereiche von ERG in den kantonalen Lehrplänen und Lektionentafeln nicht einheitlich organisiert. Existiert ein eigenständiger (schulischer oder kirchlich verantworteter) Religions(kunde)unterricht, werden Ethik und Gemeinschaft häufig in NMG integriert. Einige Kantone binden «Gemeinschaft» in die überfachlichen Belange wie Beratungsgefässe, berufliche Orientierung oder Klassenstunden ein.

Ebenfalls führte der Deutschschweizer Lehrplan 21 die Bildung für Nachhaltige Entwicklung ein, die neben den überfachlichen Personal-, Sozial- und Methodenkompetenzen als transversale Leitidee den Unterricht in allen Fachbereichen bereichert und herausfordert. Tiefgreifende inhaltliche und organisatorische Veränderungen unterstützten die Neuausrichtung. An die Stelle der vorausgegangenen Bildungsstellen für Umweltfragen und Entwicklungszusammenarbeit, Globales Lernen und Interkulturelle Pädagogik, die pionierhaft von kirchlichen und säkularen Organisationen getragen wurden, trat das 2013 gegründete nationale Kompetenzzentrum éducation21, das im staatlichen Auftrag Schulen bei der Entwicklung einer BNE berät und unterstützt (https://education21.ch). Damit sind ebenfalls die pädagogischen Hochschulen und Fachbereiche aufgerufen, sich inhaltlich und didaktisch mit BNE zu befassen.

In dieser Publikation verwenden wir den Ausdruck «Fachbereich» breit, indem wir ihn häufig auch je auf Ethik, Religionen oder Gemeinschaft beziehen. Damit wollen wir betonen, dass die hier beteiligten Bereiche neben den didaktischen Grundlinien des Sachunterrichts je auch ihre fachlichen und fachdidaktischen Besonderheiten aufweisen. Von ihrer Anlage als Bildungs- oder Leitidee her bestimmen wir den Begriff Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE) hingegen nicht als Fachbereich. Mit der variablen Terminologie deuten wir im Ganzen an, dass die curricular-organisatorischen Fragen nicht im Vordergrund dieser Publikation stehen. Vielmehr sind wir interessiert an den inhaltlich-fachdidaktischen Fragen des Unterrichts und der Zugänge zur Erkenntnis der Welt und zu ihrer Gestaltung durch den Menschen (vgl. Bilderreihe oben).

Neuausrichtung der Ausbildung von Lehrpersonen

Die Tertiarisierung der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen gab spätestens seit ihrer Einführung 2001 entscheidende Anstösse für die fachliche und fachdidaktische Entwicklung aller Fachbereiche und die Neuformulierung der sprachregionalen Lehrpläne. Mitglieder einer engagierten Fachcommunity Ethik, Religionen, Gemeinschaft beteiligten sich von Beginn an intensiv an der inhaltlichen Neuausrichtung der Fachbereiche und der entsprechenden Aus- und Weiterbildungsformate. Für eine differenzierte Darlegung der vorgenommenen Arbeiten fehlt hier der Raum, doch verweisen wir auf drei markante Publikationen: Kuno Schmid nahm mit «Religion lernen in der Schule» eine Situierung des bekenntnisunabhängigen und kompetenzorientierten Religionsunterrichts im Rahmen eines NMG-/Sachunterrichts vor (Schmid 2011). Der Sammelband «Studienbuch Ethik, Religionen, Gemeinschaft» präsentierte eine zwischenzeitliche Standortbestimmung des Fachbereichs ERG (Bietenhard u. a. 2015). Und mit dem Tagungsband Philosophieren und Ethik erfolgte 2022 auch mit internationaler Autor*innenschaft ein spezifischer Blick auf den Fachbereich Ethik und das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen (Kümin u. a. 2023).

Die Ausbildung der Lehrpersonen für die Fachbereiche Ethik, Religionen, Gemeinschaft an den pädagogischen Hochschulen stellt sich allerdings ebenso komplex und divers dar wie deren Umsetzung in kantonalen Lehrplänen und Fachzuständigkeiten an Schulen. So bildet die Ausbildung von Religionslehrpersonen an einigen Hochschulen einen eigenen Schwerpunkt, während sie an anderen Orten mit Ethik verbunden oder dann gleich als ERG-Perspektive in die allgemeine NMG-Ausbildung integriert ist. Generell ist diese mehrperspektivische Anbindung in den Bachelor-Studiengängen für Kindergarten und Primarschule häufiger anzutreffen, während die Sekundarstufe I fachbereichsspezifische Schwerpunktstudien kennt. Die mehrperspektivische Anlage von NMG nimmt der Deutschschweizer Lehrplan 21 so auf, dass er den Fachbereich über 12 Kompetenzbereiche strukturiert. Einige Kompetenzbereiche sind fachlich spezifischer ausgerichtet, andere bewusst mehrperspektivisch angelegt (vgl. D-EDK 2016, NMG: Strukturelle und inhaltliche Hinweise). Diese bewegliche Ausgestaltung der Fachausbildung bildet sich an den Standorten der Lehrpersonenbildung durch fachliche Spezialisierungen, Forschungsschwerpunkte und unterschiedliche Vernetzungen ab.

Fachdidaktische Neuorientierung

Die fachdidaktischen Leitlinien des Deutschschweizer Lehrplans 21 entwerfen für den Fachbereich NMG einen inhaltlichen Orientierungshorizont, der für die Entwicklung der Fachdidaktik in den Fachbereichen Ethik, Religionen, Gemeinschaft richtungsweisend wurde. Zwar bildet die Ausrichtung auf Kompetenzen sowie das Lern- und Lehrverständnis, das mit den Prinzipien und Zugängen der Didaktik des Sachunterrichts begründet wird, gewissermassen das verbindende Glied (D-EDK 2016, NMG). Doch stehen die fachspezifischen Fragen und eine empirisch begründete Entwicklung einer bereichspezifischen Didaktik der Fachbereiche Ethik, Religionen, Gemeinschaft erst am Anfang. Das Gleiche ist auch für BNE anzunehmen, die ihre Inhalte und Zugänge an die jeweiligen Fachdidaktiken anbindet.

In diesem Sinn verstehen wir die vorliegende Publikation in ihren Schwerpunkten als Beitrag zur fachdidaktischen Diskussion und Entwicklung von Ethik, Religionen, Gemeinschaft mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Wir siedeln sie im schweizerischen Kontext der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen an und beziehen uns immer wieder auf den Lehrplan 21. Auf diesem Hintergrund möchten wir jedoch auch zur Diskussion über ähnliche Fragen beitragen, wie sie unserer Kenntnis nach in Deutschland und Österreich und länderübergreifend geführt wird.

Aspekte der fachdidaktischen Entwicklung

Ein für die Lernenden produktiver und wirksamer Unterricht in Ethik, Religionen, Gemeinschaft und mit Blick auf BNE-Anliegen zeigt sich gerade auch an den Methoden und Zugängen, die Lehrpersonen einsetzen. Ihr Handeln muss sich durch die allgemeine fachdidaktische Diskussion verorten und begründen lassen. In dieser Beziehung stellen sich für die hier diskutierten Fachbereiche und für BNE einige Herausforderungen. Die Bildungsbereiche Ethik, Religionen, Gemeinschaft – und übrigens auch eine BNE – verdanken sich hauptsächlich systematisch-konzeptuellen Traditionen und einer pädagogisch begründeten Didaktik. Für die fachdidaktische Unterrichtsforschung, die heute überwiegend mit empirischen Methoden erfolgt, ist in Ethik, Religionen, Gemeinschaft und BNE in vielen Belangen noch viel Raum (vgl. Meschede u. a. 2020). Im Verbund mit der allgemeinen, fachdidaktischen Forschung ginge es hauptsächlich um diese Fragen:

– Welche Vorstellungen bringen Schüler*innen mit?

– Wie lernen sie, und wie entwickeln sie ihr Wissen und Können?

– Welche Unterstützung benötigen sie, um Wissen, Können und Interessen trag- und anschlussfähig, das heisst wirksam, aufbauen, festigen und anwenden zu können?

– Welche Kompetenzen brauchen Lehrpersonen, um wirksamen Fach- und BNE-Unterricht erteilen zu können?

Orientierung an der Didaktik des Sachunterrichts

Aus den eben genannten Gründen beziehen wir uns besonders im Grundlagenband oft auf Erkenntnisse der Unterrichtsforschung, die hauptsächlich naturwissenschaftlich ausgerichtet ist. Ähnlich verorten sich die Beiträge der Bände Ethik, Religionen, Gemeinschaft und BNE in vielfältig vorhandenen fachlichen und fachdidaktischen Diskussionen.

Im Grundlagenband beschränken wir uns auf diejenigen Aspekte der NMG-/Sachunterrichtsdidaktik, die uns aktuell hauptsächlich bedeutsam scheinen, nämlich die Entwicklung und Veränderung von Vorstellungen, kompetenzorientierte Lernprozesse sowie die Erkenntnisse zu unterstützenden Massnahmen durch strukturierte Lernarrangements. Diese Einblicke verdeutlichen einerseits die Komplexität und Differenziertheit von Lernprozessen und Unterrichtshandeln. Andererseits machen sie auf die fachdidaktischen und fachbezogenen Dreh- und Angelpunkte – die sogenannten Tiefenstrukturen – im Unterrichtsgeschehen aufmerksam, welche wirksame Lernprozesse ermöglichen und entsprechend zum Nachdenken über den Unterricht herausfordern. Wir thematisieren primär die folgenden Dimensionen:

– Vorstellungen verändern

– überprüfbare Kompetenzen entwickeln

– Lernen arrangieren, strukturieren und unterstützen

– Methoden und Zugangsweisen aufbauen

Der gezielte Blick auf die hauptsächlichen Akteur*innen des Unterrichtsgeschehens, die Schüler*innen und die Lehrpersonen, erlaubt es, den Dimensionen nachzugehen und die Tiefenstrukturen des Fachunterrichts wahrzunehmen und zu analysieren.

Blickpunkt Schüler*innen

Das im Grundlagenband dargelegte sozial-konstruktivistische Lehr- und Lernverständnis richtet das Augenmerk vor allem auf die Schüler*innen, ihre Tätigkeiten und auf den Aufbau von Können und Wissen. Die Schüler*innen sind zentrale Akteur*innen einer lernenden Erkundung und Auseinandersetzung mit religiösen, kulturellen und sozialen Praktiken, einer kritischen Reflexion von Werten und Normen sowie der Erarbeitung und Erwägung von Handlungsalternativen. Sie sind dabei in hohem Masse auf ein fachlich informiertes und fachdidaktisch professionelles Handeln der Lehrperson angewiesen. Um die Tätigkeiten und Aussagen der Lernenden mit den theoretischen Ausführungen des Grundlagenbandes zu verbinden und die Diskussion anzuregen, geben wir immer wieder Einblicke in Unterrichtsmomente, in Lernaufgaben, Gesprächsausschnitte und Produkte von Schüler*innen.

Reflektierte Einblicke in Lernprozesse und Unterrichtshandeln

Die Beiträge der Bände Ethik, Religionen, Gemeinschaft und BNE (ETH, REL, GEM, BNE) verbinden die fachdidaktische Theoriebildung zu einer Denk-, Arbeits- und Handlungsweise oder einem grundlegenden Lernzugang mit einer Unterrichtserprobung, einer Themeneinheit im Regelunterricht, einem Entwicklungs- oder Forschungsprojekt oder mit Projekten ausserhalb der Schule. Die Praxisbezüge illustrieren nicht nur, sie bringen vielmehr Aspekte des Unterrichtshandelns mit theoretischen Grundlegungen ins Gespräch und verdeutlichen Anforderungen der Unterrichtsgestaltung. Sie bilden keine Best Practice, sondern sorgfältig geplanten Fachunterricht ab. In der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen lassen sie sich für die Diskussion fachdidaktischer Fragen und Anforderungssituationen als Impulse oder Anschauung einbeziehen oder mit Methoden der Fallarbeit vertieft aufnehmen und bearbeiten. Vor allem aber möchten wir dazu anregen, auf der Basis der Beiträge Einblicke in Lernprozesse und Erfahrungen aus eigenem oder beobachtetem Unterrichtshandeln ins reflexive Gespräch über die fachdidaktische Unterrichtsentwicklung einzubringen.

Lernen und Unterrichten als handelnde Erschliessung von Inhalten

Indem wir Fachunterricht als dynamischen Prozess verstehen, betonen wir, dass Lernende und Lehrpersonen handelnd am Lern- und Unterrichtsgeschehen beteiligt sind. Das Erschliessen und Verstehen von Fragen, Sachverhalten und Situationen ist immer verknüpft mit den Zugangsweisen, die dafür gewählt werden. In dieser Publikation richten wir einen neugierigen Blick auf grundlegende Merkmale von lernenden Handlungs- und Zugangsweisen sowie auf die Art und Weise, wie diese in spezifischer Form in den Unterricht über Inhalte von ERG und BNE eingebracht werden.

Die Bedeutung der Methoden und Zugänge für die Lernprozesse

Der Aufbau von prozeduralen Fertigkeiten ist zentraler Bestandteil des kompetenzorientierten Fachunterrichts, der Lernen als eine Verbindung von stofflichen und prozeduralen Fähigkeiten versteht. Methodisch bewusst vorgenommene Zugänge zu einer Sache ermöglichen vielfältige, auch sinnliche, Erfahrungen, den Vergleich von Phasen und Lernschritten und ein planvolles, schrittweises Vorgehen. In methodischen Zugängen beginnt für junge Lernende daher die begründete, wissenschaftsnahe Erschliessung von Gegenständen, der Aufbau von Erkenntnisinteressen und der Zugang zu Verfahrensweisen.

Die Einzelbeiträge der Bände ETH, REL, GEM und BNE

Die Planung und Modellierung von Methoden und Zugängen und die Begleitung der Lernprozesse sind Teil des didaktisch geplanten Handelns der Lehrpersonen. Viele der Beiträge der Bände Ethik, Religionen, Gemeinschaft und BNE zeigen, wie Lehrpersonen Hilfen einsetzen, um Verfahrensweisen einzuführen und Methodenkompetenz aufzubauen. Strukturierungen, Modelle, Gerüste, Dokumentationsaufträge und Reflexionen verdeutlichen, dass Schüler*innen formalisierte und nachvollziehbare Massnahmen benötigen, um sich schrittweise den Inhalten anzunähern und sie zu erschliessen.

Bedeutsam sind ebenfalls Lernumgebungen, die hohe Lernzeit und selbständige Lernprozesse ermöglichen. Wenn die Schüler*innen Lernaufgaben mitgestalten können, steigt die Motivation und werden die Ergebnisse kreativer und freier.

Die Beiträge zeigen zudem, dass forschende, erkundende, begegnende und handlungsintensive Zugänge, und damit die Methodenvielfalt, besonders für die Erschliessung religionskundlicher, individuumsorientierter und sozialer Inhalte wichtig sind. Partizipative Aktivitäten sind für soziales Lernen und für Aspekte von BNE wesentlich. Aber auch dialogische, argumentative und in hohem Mass reflexive Vorgehensweisen, zum Beispiel in strukturierten Sequenzen im ethischen oder politischen Lernen, sind in hohem Mass denkerisch handlungsintensiv.

Sehr viele Beiträge betonen den zurückhaltenden und differenzierten Umgang mit Zugängen und Aufgaben, die private, persönliche Bereiche und Überzeugungen berühren. Sie schlagen offene Aufträge und Lernaufgaben vor, die sich zunächst auf eine gemeinsame Frage richten. Allerdings trägt die umsichtige Berücksichtigung der lebensweltlichen Vorstellungen der Lernenden zu deren verstehenden Erschliessung von Sachverhalten oder auch zum diskursiven Erkenntnisgewinn bei.

Kumulatives und transversales Lernen mit Methoden und Zugängen

Es fällt auf, dass die Beiträge in den Bänden Ethik, Religionen, Gemeinschaft und Bildung für Nachhaltige Entwicklung teilweise vergleichbare Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen behandeln. Damit wird einerseits deutlich, dass Zugänge und Methoden auf dafür geeignete Inhalte übertragen werden können. Andererseits wird Methodenkompetenz aufgebaut, indem Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen über die Schulstufen der obligatorischen Schulzeit hinweg immer wieder aufgenommen, vertieft und spezifiziert werden können.

Eine in jedem Band am Schluss abgelegte Übersichtstabelle über alle Beiträge unterstützt die Nutzer*innen, die dargestellten Methoden und Zugangsweisen über alle vier Bände hinweg einzusehen, eine Auswahl zu treffen und auf den eigenen Bedarf beziehungsweise auf einen passenden Inhalt zu übertragen. Sie macht auch deutlich, dass die beitragenden Autor*innen aktuelle Schwerpunkte und Interessen aus ihrer Lehre und Forschung bearbeiten. Es fehlen etliche Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen, die sicher bedeutsam und wichtig wären zur Erschliessung von Fachinhalten. Hier hoffen wir auf den weiterführenden fachdidaktischen Diskurs und darauf, dass in Lehrveranstaltungen und Weiterbildungen weitere Methoden behandelt werden.

Gegenstandsorientierung und Fachlichkeit

Die vorliegende Publikation legt das Augenmerk auf fachdidaktisch begründete Zugänge zum Lernen und Unterrichten. Die Beiträge der Bände Ethik, Religionen, Gemeinschaft und BNE verbinden deshalb fachliche Inhalte mit ausgewählten Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen. Der systematische Schwerpunkt liegt dabei auf den Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen. Davon zeugen auch die sachanalytischen Erläuterungen in den Beiträgen. Sie dienen der Klärung der jeweiligen Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen, sind aber nicht umfassend. Dies mag Nutzer*innen, welche stark inhaltsorientierte Vorstellungen über den Fachunterricht pflegen, zunächst fremd erscheinen. Doch bestreitet der Fokus auf Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen keineswegs die zentrale Bedeutung von Inhalten, im Gegenteil. Vielmehr zeigt sich darin die Überzeugung, dass belastbare und anschlussfähige Erkenntnisse mit einem Bewusstsein dafür verbunden sind, wie diese zustande kommen. Wenn der NMG-/Sachunterricht das Prinzip der Gegenstandsorientierung betont, verbindet er denn auch die Forderung nach einer methodisch angeleiteten Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen. Das Bewusstsein für Arbeits-, Denk- und Handlungsweisen erlaubt den Schüler*innen darüber hinaus, neue Herausforderungen eigenständig anzugehen. Die Verschränkung von Inhalt und Methoden fördert allgemein das Verständnis dafür, wie unterschiedliche Wissenschaften und damit auch unterschiedliche Fachbereiche ansetzen.

Eigenständige Bereiche

Ethik, Religionen, Gemeinschaft verfügen über grosse disziplinäre Wissenstraditionen, welche sich den Fragen nach Inhalt und Zugangsweisen seit langer Zeit widmen. Zwar zielt die Publikation darauf ab, das fachdidaktische Profil der Fachbereiche zu schärfen. Sie befasst sich denn auch mit deren jeweiligen fachwissenschaftlichen Herleitung und Begründung. Wir legen jedoch keinen systematischen Vorschlag dazu vor, wie Ethik, Religionen, Gemeinschaft und BNE gesamthaft aufgebaut sein sollen. Ebenso wenig zielen wir darauf ab, eine abschliessende Konzeption der Fachbereiche vorzulegen. Eher möchten wir die Diskussion öffnen, indem wir aktuelle Herausforderungen der gegenwärtigen Fachbereichsdiskussionen vorstellen und zu zentralen Aspekten Sachanalysen vornehmen. Dies führt in einem ersten Schritt zu den spezifischen Eigenheiten der beteiligten Bereiche:

Der Fachbereich Ethik befasst sich mit dem reflexiven und begründungsorientierten Umgang mit Werten und Normen, positioniert sich aber gegen eine Inanspruchnahme als Werteerziehung. Ein religionskundlich ausgerichteter Fachbereich Religionen fragt vor allem danach, wie religionsbezogene Gegenstände und Situationen kulturell geprägt sind und ebenfalls kulturell gedeutet werden beziehungsweise zur sozialen Praxis beitragen. Für die Klärungen des Fachbereichs Gemeinschaft breiten wir die konzeptuellen Entwürfe aus unterschiedlichen bezugswissenschaftlichen Traditionen aus und fragen, welchen Beitrag ein gegenstandsorientierter Fachunterricht zum Wissensaufbau über individuumsorientierte und soziale Sachverhalte leistet. Der Fachunterricht Gemeinschaft sucht damit, sich von ausschliesslich sozialerzieherischen Ansprüchen im Lebens- und Erfahrungsraum Schule zu lösen.

Das Kapitel zur Bildung für Nachhaltige Entwicklung schafft begriffliche Klärungen in Bezug auf Nachhaltigkeit, Nachhaltige Entwicklung und Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Darüber hinaus unterscheidet es zwei Konzeptionen einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Es deutet an, inwiefern eine Bildung für Nachhaltige Entwicklung den Diskurs in den Fachbereichen bereichern kann.

Bezüge

Die Konturierung von drei eigenständigen Fachbereichen und einer transversal zu verstehenden Bildungsidee wirft die Frage auf, welche inhaltlichen Bezüge die drei Fachbereiche und BNE neben den erwähnten übergreifenden Methoden verbinden.

Zweifellos spiegelt die curriculare Zusammenführung der drei Fachbereiche Ethik, Religionen, Gemeinschaft im Deutschschweizer Lehrplan 21 bildungspolitische Überlegungen. Zugleich aber verweisen sie auf inhaltliche Bezüge, die sie mit BNE teilen. Sie stellen den Menschen als ein handelndes Wesen ins Zentrum, das seine Welt in einer vielfältigen Weise sinnhaft gestaltet und zugleich auch sein individuelles Handeln an Sinn ausrichtet.

Der Sachunterricht will Heranwachsende beim verstehenden Erschliessen der Welt anleiten. In den Fachbereichen Ethik, Religionen, Gemeinschaft und bei einer BNE geht es denn auch wesentlich darum, dieses verstehende Erschliessen auf Handlungs- und Sinnstrukturen zu richten.

Für das Verständnis der Fachbereiche und ihrer jeweiligen Zugangsweisen erweist sich die Unterscheidung zwischen zwei Rollen als hilfreich, in denen sich Schüler*innen mit Fragen nach menschlichem Handeln und Sinn auseinandersetzen können. Für die fachdidaktische Ausrichtung des Unterrichts ist es ein Unterschied, ob die Schüler*innen solche Fragen als Teilnehmer*innen an sozialen Praktiken und als selbst Handelnde in den Blick nehmen oder als Beobachter*innen. Zudem geht die Unterscheidung zwischen Teilnehmer*innen-/Akteur*innen-Rolle einerseits und Beobachter*innen-Rolle andererseits auch mit Fragen von Nähe und Distanz bezüglich persönlicher Positionierungen einher.

Festhalten lässt sich, dass die unterschiedlichen Charakteristika der Fachbereiche Ethik, Religionen, Gemeinschaft und einer BNE sowohl zur Mehrperspektivität des ERG-Verbunds als auch des NMG-/Sachunterrichts beitragen.

Aspekte des Lehrberufs im ERG- und BNE-Unterricht

Die bisherigen Ausführungen zeigen, wie wichtig die Rolle der Lehrperson und ihr Handeln im Fachunterricht ist. Der Grundlagenband schliesst daher mit einem Kapitel zur Lehrperson als beruflich Handelnder. Die Integration des ERG-Unterrichts in den übergeordneten Fachbereich NMG und die bekenntnisunabhängige Orientierung des Fachbereichs Religion machen darauf aufmerksam, dass Lehrpersonen einen öffentlichen Bildungsauftrag versehen. Hier können wir wieder an die oben genannten Berufskompetenzen anknüpfen: Organisatorisches und curriculares Wissen ist notwendige Voraussetzung, um den eigenen Unterrichtsauftrag zu verstehen. Dazu kommen pädagogische und beratende Fähigkeiten, um Sensibilitäten von Erziehungsberechtigten und im Umfeld der Schule sachorientiert zu begegnen. Aber auch der Fachunterricht selbst birgt Herausforderungen, die eine reflektierte Lehrperson wahrnimmt und mit fachdidaktischen Strategien produktiv angeht.

Wir wünschen allen Leser*innen eine ertragreiche Lektüre der Publikation oder von ausgewählten Teilen, vielfältige Anregungen für die Nutzung in der Aus- und Weiterbildung und vor allem Impulse, die eigene Praxis in die Unterrichtsreflexion einzubeziehen.

Dank

Die Entwicklung und Herausgabe der vorliegenden Publikation war nur möglich mit der tatkräftigen Unterstützung durch viele Personen und einige Institutionen. Ihnen allen danken wir hier sehr herzlich:

– den Schüler*innen für die Einblicke in ihre Lernprozesse und ihre Beteiligung an neuen Unterrichtsvorhaben,

– den Lehrpersonen für die Teilnahme an Befragungen und Forschungs- und Entwicklungsprojekten und die Durchführung von Unterrichtserprobungen,

– den Kolleginnen und Kollegen an pädagogischen Hochschulen für die Bereitschaft, einen Beitrag in einem spezifischen Format zu erarbeiten und die schulische Praxis einzubeziehen,

– Marco Adamina, Ruth Bielmann, Isabelle Bosset, Guido Estermann, Ursula Fiechter, Ruedi Fust, Christine Gerber, Alexandria Krug, Laura Mercolli und Margrit Steinhauser für die Unterstützung bei der Planung und Umsetzung und für Expertisen und Beratungen,

– dem strategischen Programm Fachdidaktiken und dem Institut Primarstufe der Pädagogischen Hochschule Bern, dem Institut Kindergarten-/Unterstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW sowie den zuständigen Verantwortlichen für Pensen und Unterstützung,

– in dankbarer Erinnerung an die unlängst verschiedene Barbara Coca Calderón für die Übernahme aller administrativer Belange und die umsichtige Projektbegleitung,

– der Stiftung éducation21 für den grosszügigen Beitrag aus dem Programm innovative BNE-Projekte an pädagogischen Hochschulen,

– dem hep Verlag Bern für die Bereitschaft, die Publikation ins Programm aufzunehmen, und dem Projektleiter und Lektor Christian de Simoni für die Betreuung der verlegerischen Fragen seit Projektbeginn.

Bern, im Juni 2024

Sophia Bietenhard, Caroline Brönnimann und Hubert Schnüriger

Fachverständnis Ethik

Worum es geht

Ethik ist ein Bereich der Philosophie. In einem ersten Schritt führen wir deshalb den Begriff der Philosophie ein und betonen ihren reflexiven Charakter. Aufbauend darauf erläutern wir in einem zweiten Schritt zentrale Aspekte der Ethik. Sie setzt sich inhaltlich mit Fragen der Moral und des guten Lebens auseinander. Der reflexive Charakter der Ethik kommt im Anspruch zum Ausdruck, das eigene Handeln begründen zu können. Darüber hinaus unterscheiden wir verschiedene Formen der ethischen Reflexion. Die zentralen Formen des elementaren und wissenschaftlichen Philosophierens finden sich prominent in philosophischen Gesprächen. Fachdidaktische Bezüge skizzieren zentrale Anliegen und ausgewählte Herausforderungen des Ethikunterrichts.

Der Ethikunterricht will die Schüler*innen befähigen, sich in unserer durch Werte und Normen geprägten Welt zu orientieren und auf der Basis grundlegender Werte und Normen selbstbestimmt und verantwortlich zu handeln. Mündige Menschen sind sich der zentralen Bedeutung von Werten und Normen für ihr eigenes Leben, aber auch für das Zusammenleben mit anderen bewusst und können sich an öffentlichen Diskussionen über Werte und Normen beteiligen. Sie erkennen ethische Herausforderung und können sie auf der Basis der ihnen zugrundeliegenden Werte und Normen rekonstruieren. In offenen, verständigungsorientierten Gesprächen können sie nach begründeten Lösungen auf ethische Herausforderungen suchen und so begründete Urteile fällen.

Ein Ethikunterricht, der die Ziele der Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit betont, stellt die Fähigkeit zu einem kritischen, begründungsorientierten Umgang mit Werten und Normen ins Zentrum. Ihm liegt ein Ethikverständnis zugrunde, das Ethik als einen Teilbereich der Philosophie versteht und sich stark am Selbstverständnis und den Methoden der Philosophie orientiert. Dieser Punkt spiegelt sich in der Bedeutung, die dem didaktischen Ansatz des Philosophierens mit Kindern und Jugendlichen im Rahmen des Ethikunterrichts an Volksschulen zukommt. Die Tatsache, dass Ethiklehrpläne auch häufig allgemeine philosophische Fragen und Themen aufnehmen, die nicht direkt in den Bereich der Ethik fallen, verstärkt diese Orientierung an der Philosophie als Bezugsdisziplin des Ethikunterrichts zusätzlich. Es bietet sich denn auch an, in einem ersten Schritt den Begriff der Philosophie zu klären.

Philosophieren als kritische Selbstverständigung

Die Frage, was Philosophie ist, stellt selbst eine offene philosophische Frage dar. Entsprechend gibt es unterschiedliche Vorschläge, wie der Begriff der Philosophie zu bestimmen ist. Ein breiter Konsens besteht jedoch darüber, dass sich die Philosophie durch ihren reflexiven Charakter auszeichnet. Entsprechend nähern wir uns dem Begriff der Philosophie in einem ersten Zugriff über ihren reflexiven Charakter.

Der reflexive Charakter der Philosophie

Anlass zum Philosophieren sind in der Regel kleinere oder grössere Irritationen, welche die Art, wie wir über die Welt nachdenken und in der Welt handeln, infrage stellen oder zumindest klärungsbedürftig erscheinen lassen. Die Philosophie hinterfragt denn auch Anschauungen, Überzeugungen, Prinzipien, Begriffe und Praktiken, die im Alltag oder in den Wissenschaften oft als selbstverständlich vorausgesetzt werden (Nagel 1990, 8; Pfister 2011, 18). Sie stellt beispielsweise die Frage, was es heisst, etwas zu wissen und wie sich Wissen und Wahrheit zueinander verhalten. Oder sie fragt, was wir eigentlich meinen, wenn wir von einer Zeichnung sagen, dass sie schön sei und weshalb genau es grundsätzlich falsch sein soll zu lügen. Wer philosophiert, denkt also über das eigene Denken und Handeln nach und damit immer auch über die Art, wie wir uns auf andere Menschen und die Welt insgesamt beziehen.

Dabei meint «Nachdenken» immer ein kritisches Nachdenken. «Kritisch» bedeutet hier anders als in der Alltagssprache nicht, etwas negativ einzuschätzen oder zu bezweifeln. Vielmehr meint es im Kern, dass wir das Denken und Handeln sorgfältig untersuchen und prüfen (Pfister 2020, 13). Wer philosophiert, versucht denn auch, das eigene Denken und Handeln besser zu verstehen, auf seine Tragfähigkeit und Plausibilität hin zu untersuchen und allenfalls aufzugeben oder anzupassen. Das ist im Kern mit dem reflexiven Charakter der Philosophie gemeint.

Der Gegenstand der Philosophie

Fragen wir uns, welchen Gegenstand die Philosophie hat, fällt zunächst auf, dass sie sich mit unterschiedlichen Themenbereichen beschäftigt. Das wird aus den oben angedeuteten Beispielen bereits deutlich. Oft wird denn auch gesagt, dass die Philosophie im Unterschied zu anderen Wissenschaften keinen bestimmten Gegenstand habe.

Auf einer formalen Ebene lässt sich jedoch durchaus ein Gegenstand bestimmen, wie die Charakterisierung der Philosophie über ihren reflexiven Charakter nahelegt: das eigene Denken und Handeln. Weil sich unser Denken auf unterschiedliche Dinge richten kann und wir in unterschiedlichen Kontexten handeln, legt diese Bestimmung des Gegenstands die Philosophie thematisch jedoch nicht fest. Diese formale Bestimmung lässt sich allerdings noch präzisieren. Auch wenn die Philosophie im Kern beim eigenen Denken und Handeln ansetzt, beschäftigt sie sich in einem doppelten Sinne mit allgemeinen Fragen des Denkens und Handelns.

Grundsätze des Denkens und Handelns

Der Philosophie geht es nicht um einzelne oder zufällige Gedanken und Handlungen, sondern um solche, welche die Art prägen, wie wir über die Welt denken und in der Welt handeln (Schnädelbach 2011, 20 f.). Das lässt sich auch so auf den Punkt bringen, dass die Grundsätze unseres Denkens und Handelns den Gegenstand der Philosophie bilden. Dabei lässt sich «Grundsätze» sehr breit fassen. Das Wort bezeichnet unter anderem Begriffe, Prinzipien, Werte oder Haltungen. Am bereits erwähnten Beispiel von Wahrheit und Wissen lässt sich das veranschaulichen. Der Philosophie geht es beispielsweise nicht um die Frage, ob es wahr ist, dass Wasser bei einer Temperatur von 100 °C siedet oder ob das unter allen Bedingungen der Fall ist. Das gehört in den Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften. Vielmehr fragt sie, was wir hier mit Wahrheit meinen und unter welchen Bedingungen wir sagen können, dass wir etwas wissen. Und dies führt weiter zur Frage, wie sich theoretische Modelle und Wirklichkeit zueinander verhalten und ob theoretische Modelle wahr sein können. «Wissen» und «Wahrheit» sind Begriffe, die unseren Bezug zur Welt und auch unser Selbstverständnis als denkende und handelnde Wesen stark prägen. Nicht alle philosophischen Fragen beziehen sich auf derart basale Grundsätze. Aber sie vereint, dass sie in der einen oder anderen Form einen grundlegenden und damit allgemeinen Charakter haben.

Mit anderen geteilte Lebensweisen und Praktiken

Nicht zuletzt wegen ihres grundlegenden Charakters richten sich philosophische Fragen auf Vorstellungen und Prinzipien, die wir mit anderen Menschen teilen (Habermas 2019, 12). Sie stellen sich vor dem Hintergrund einer mit anderen geteilten Lebensweise. Es sind also Fragen, die uns nicht nur als einzelne, konkrete Individuen betreffen, sondern als Menschen, die mit anderen zusammen eine Lebensweise teilen. Sind wir unsicher, was wir genau unter «Wahrheit» verstehen oder unter welchen Bedingungen wir sagen können, dass wir etwas wissen, geht es uns in einer philosophischen Perspektive um die Frage, was wir alle unter «Wahrheit» oder «Wissen» verstehen können oder gar sollen. Wir beschäftigen uns in der Philosophie in diesem Sinne mit Fragen, die uns alle angehen und auch in diesem Sinne allgemein sind. Gelegentlich wird hier noch zwischen Lebensformen und Lebensweisen unterschieden. Mit «Lebensform» beziehen wir uns dann primär auf Fragen, die alle Menschen als Menschen betreffen. Im Unterschied dazu verweist «Lebensweise» auf bestimmte Arten, das Leben zu führen, die etwa für bestimmte Kulturen oder Subkulturen wichtig sind. Die Grenzziehung ist allerdings schwierig und wir verwenden «Lebensweise» hier in beiden Bedeutungen.

Diese beiden Präzisierungen lassen sich so auf den Punkt bringen, dass allgemeine Grundsätze unseres Denkens und Handelns den Gegenstand der Philosophie bilden, die eingelassen sind in eine mit anderen geteilte Lebensweise und die Art prägen, wie wir uns selbst verstehen und wie wir uns auf die Welt und andere Menschen beziehen.

Philosophieren als Selbstverständigung

Die Betonung des reflexiven Charakters der Philosophie bringt einen zentralen Unterschied zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen zum Ausdruck: Anders als die meisten anderen Wissenschaften sucht die Philosophie die Antworten auf ihre Fragen nicht durch die Beschreibung und Erklärung von Sachverhalten. Sie kann ihre Fragen denn auch nicht allein auf einer empirischen, erfahrungsbasierten Weise klären und beantworten. Darauf spielt bereits das Beispiel mit dem Siedepunkt von Wasser an. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass empirisches Wissen in der Philosophie keine Rolle spielt. Abhängig vom Kontext kommt ihm in der Problembeschreibung oder in der Begründung von Antworten durchaus eine wichtige Rolle zu. Es meint aber, dass sich philosophische Fragen nicht unmittelbar durch den Verweis auf Tatsachen beantworten lassen. In der Philosophie nehmen wir denn auch nicht die Rolle von Beobachter*innen ein, die Sachverhalte von aussen beschreiben, analysieren und erklären. Wir denken vielmehr als Akteur*innen über unser Denken und Handeln nach.

Dieses Nachdenken weist die Form einer Selbstverständigung über die Grundsätze unseres Denkens und Handelns auf. Indem wir von Selbstverständigung und nicht von Selbstverstehen sprechen, drücken wir aus, dass diese Grundsätze nicht einfach gegeben sind, sondern wir um den Gehalt, die Interpretation und die Plausibilität dieser Grundsätze ringen. Gleichzeitig klingt im Begriff der Selbstverständigung die alltagssprachliche Verankerung des Ausdrucks «Verständigung» in Formen der intersubjektiven Kommunikation an. Das ist sachlich angemessen, weil sich diese Selbstverständigung wesentlich auf die Grundsätze des Denkens und Handelns innerhalb einer mit anderen geteilten Lebensweise bezieht. Philosophische Selbstverständigung findet denn auch wesentlich als eine intersubjektive Selbstverständigung über die Grundsätze des Denkens und Handelns statt.

Die Frage nach dem richtigen und guten Handeln

Die Vielfalt philosophischer Themen und inhaltlicher Fragestellungen spiegelt sich darin, dass sich die Philosophie in unterschiedliche Bereiche und Disziplinen gliedern lässt. Die Ethik stellt denn auch einen Bereich der Philosophie neben anderen dar, der sich seinerseits wieder in unterschiedliche Disziplinen oder Unterbereiche unterteilen lässt. Allgemein formuliert, beschäftigt sich die Ethik mit dem richtigen und guten Handeln. Wir Menschen verhalten uns nicht einfach in bestimmter Weise, sondern wir beanspruchen, richtig oder gut zu handeln. Bei diesem Anspruch, gut und richtig zu handeln, setzt die Ethik ein und fragt, wie er sich begründet einlösen lässt. Die Leitfrage ist denn auch, wie wir handeln sollen. Dabei können wir zwischen zwei Orientierungen unterscheiden, welche diese Leitfrage annehmen kann.

Abbildung 1:Eine Möglichkeit, den Bereich der Ethik zu strukturieren

Moral oder Was wir anderen schulden

Fragen wir danach, wie zu handeln gut oder richtig ist, können wir damit auf die Frage abzielen, wie wir moralisch richtig oder gut handeln.

Begriff und Reichweite der Moral

Unter «Moral» können wir dabei in einem ersten Zugriff das Insgesamt von Werten, Normen und Prinzipien verstehen, die unser Verhalten zu anderen in einer kategorischen Weise prägen. Das bedeutet, dass diese Werte, Normen und Prinzipien unabhängig davon gelten, welche individuellen Ziele und Wünsche wir haben. Sie bringen zum Ausdruck, was wir anderen schulden und wie wir unser Zusammenleben gestalten sollten. Die Leitfrage ist dann, wie wir anderen gegenüber handeln sollen.

Diese Einführung des Begriffs der Moral ist allerdings noch breit, weil so etwa auch Konventionen wie Höflichkeitsnormen inbegriffen scheinen. Im Alltag unterscheiden wir oft ganz selbstverständlich zwischen Konventionen und moralischen Normen. Während wir die Frage nach der Geltung von Konventionen mit «Wir machen das hier halt so» beantworten können, verbinden wir moralische Forderungen mit dem Anspruch, sie auf der Basis fundamentaler Werte und Prinzipien begründen zu können. Beispiele für solche Werte sind etwa Gerechtigkeit, Menschenwürde oder Toleranz.

Einem verbreiteten Moralverständnis gemäss sind diese Werte zugleich universell gültig. Das zeigt sich etwa daran, dass wir Fremde zwar nicht kritisieren, wenn sie gegen reine Konventionen verstossen, aber wenn sie moralische Normen verletzen. Wir gehen in dieser Kritik davon aus, dass sie die moralischen Normen kennen sollten. Damit unterstellen wir, dass es fundamentale Werte gibt, die wir als allgemein verbindlich und universell gültig erachten. Wenn wir uns bewusst sind, dass eine fremde Person mit diesen Werten tatsächlich nicht vertraut ist, werden wir das vielleicht als Entschuldigungsgrund gelten lassen und die Kritik entsprechend abmildern. Aber es ändert nichts daran, dass wir diese fundamentalen Werte auch für sie als verbindlich betrachten. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass die Norm- und Wertvorstellungen der anderen Person nicht so sind, wie sie sein sollten (Patzig 1983, 10). Anders formuliert: Wir gehen davon aus, dass die andere Person diese Werte ebenfalls anerkennen und übernehmen sollte.

Eine offene und umstrittene Frage ist, ob wir nur Menschen ein bestimmtes moralisches Verhalten schulden, oder ob wir auch Tieren, Pflanzen und überhaupt der Natur insgesamt ein bestimmtes Verhalten schulden. Tatsächlich verstehen wir bestimmte gesellschaftliche Diskussionen und Auseinandersetzungen nicht, wenn wir sie nicht auch als Auseinandersetzungen darüber verstehen, wem oder was wir moralische Rücksicht schulden. Während die einen beispielsweise den Verzicht auf Fleisch und andere tierische Produkte als eine Frage der Moral betrachten und davon ausgehen, dass Tiere ein Recht haben, nicht für menschliche Zwecke instrumentalisiert zu werden, schätzen ihn andere als Ausdruck des individuellen Lebensstils ein. Für die einen bedeutet das, dass grundsätzlich alle auf Fleisch und andere tierische Produkte verzichten sollten, während die anderen genau diese Forderung zurückweisen. Für sie hat der Verzicht auf Fleisch und andere tierische Produkte keinen moralischen Charakter, sondern ist Ausdruck individueller Ziele und Wünsche.

Zwei Ebenen des Zusammenlebens

Von «Moral» sprechen wir gleichzeitig mit Blick auf zwei unterschiedliche Ebenen des menschlichen Zusammenlebens. Einerseits richtet sie sich auf das Handeln von Personen als Individuen. Moralische Werte, Normen und Prinzipien bringen dann zum Ausdruck, wie sich Menschen als Individuen gegenüber anderen verhalten sollten. Beispiele sind etwa das Lügenverbot oder die Norm, Menschen in Not zu helfen. Im Alltag beziehen wir uns oft auf diese Ebene, wenn wir über Moral sprechen.

Andererseits beziehen sich moralische Werte, Normen und Prinzipien aber auch darauf, wie wir gesellschaftliche Institutionen wie das Gesundheitswesen oder das Wirtschaftssystem gestalten sollten. Auf dieser Ebene stellt sich etwa die Frage, welche Form des Gesundheitswesens oder der politischen Machtverteilung gerecht ist oder ob sich Privateigentum rechtfertigen lässt. Auf die Ausgestaltung dieser Institutionen nehmen wir über die Sphären von Politik und Recht Einfluss.

Bestimmte moralische Werte, Normen und Prinzipien gelten sowohl für das Verhalten von Individuen untereinander als auch für die Ausgestaltung von gesellschaftlichen Institutionen. Andere sind für eine der beiden Ebenen spezifisch. Oft ist auch umstritten, ob bestimmte moralische Anliegen auf individueller Ebene oder auf gesellschaftlicher Ebene geregelt werden sollen. Das gilt nicht zuletzt für Fragen im Kontext der Nachhaltigen Entwicklung. Soll im Zeichen einer Nachhaltigen Entwicklung beispielsweise der Ausstoss von Treibhausgasen durch den Verkehr eingeschränkt werden, stellt sich oft die Frage, ob das auf der Ebene von individueller Selbsteinschränkung geschehen soll oder ob es dafür Massnahmen auf gesellschaftlicher Ebene – etwa durch Lenkungsabgaben – geben soll, die entsprechend auch alle rechtlich binden.

Das gute Leben

Die Ethik setzt sich nicht nur mit moralischen Fragen auseinander. Sie beschäftigt sich auch mit der Frage, was ein gutes menschliches Leben ausmacht. Damit ist nicht ein moralisch gutes Leben gemeint. Vielmehr geht es um die Frage, worin ein geglücktes menschliches Leben besteht. Auch diese Frage steht im Zeichen der allgemeinen ethischen Frage, wie wir handeln sollen. Die ethische Reflexion nimmt hier zentrale Werte wie Glück, Heimat oder Freundschaft in den Blick, die für die Qualität eines menschlichen Lebens wichtig sind. Sie fragt aber auch etwa nach der Relevanz des Todes für das menschliche Leben. Wäre es beispielsweise wünschenswert, unsterblich zu sein?

Beide Orientierungen – die Frage danach, wie wir moralisch gesehen handeln und unser Zusammenleben gestalten sollen, und die Frage, worin ein gutes, glückliches Leben besteht – verweisen darauf, dass wir unser Leben im Lichte von grundlegenden Werten, Normen und Prinzipien führen. Eine interessante, offene Frage ist selbstverständlich, ob und allenfalls wie die beiden Orientierungen aufeinander verweisen. Gehört es zu einem guten, glücklichen menschlichen Leben, Rücksicht auf andere zu nehmen und damit moralisch gut und richtig zu handeln? Und umgekehrt stellt sich auch die Frage, welche Bedeutung die Frage nach dem guten menschlichen Leben hat für die Frage, wie wir anderen gegenüber moralisch handeln sollen. Wo sind etwa die Grenzen dessen, was die Moral von uns verlangen kann? Gerade angesichts der globalen Armut und der Klimaveränderung sind das naheliegende Fragen.

Der reflexive Charakter der Ethik

Um Missverständnisse zu vermeiden, ist es wichtig zu sehen, dass wir hier «Ethik» anders als im Alltag üblich verwenden. Im alltäglichen Sprachgebrauch unterscheiden wir oft nicht zwischen «Ethik» und «Moral». Vielmehr verwenden wir die beiden Ausdrücke in der Regel gleichbedeutend. Hier weist der Begriff der Ethik allerdings erstens ein weiteres Anwendungsfeld auf, indem er sich auch auf Fragen des guten Lebens bezieht. Ein zweiter, wichtiger Unterschied besteht darin, dass wir uns in der Ethik als einem Bereich der Philosophie in einer reflexiven Weise mit der Moral und dem guten Leben auseinandersetzen. Wir machen die Werte, Normen und Haltungen, an denen wir uns im Alltag oft ganz selbstverständlich ausrichten, zum Gegenstand des kritischen Nachdenkens.

Wie für die Philosophie allgemein gilt auch hier, dass Auslöser für ethisches Nachdenken oft Irritationen sind. Solche Irritationen haben häufig die Form von schwierigen Situationen, in denen unterschiedliche Werte, Normen und Prinzipien miteinander in Konflikt geraten. Darf ich eine Unwahrheit sagen, um eine andere Person zu schützen? Müssen wir ein bestimmtes Verhalten tolerieren, und wo sind die Grenzen der Toleranz erreicht? Was bedeutet «Toleranz» eigentlich? Darf ich lügen, um eine Kollegin zu schützen? Aber auch neuartige Herausforderungen können Anlass zur ethischen Reflexion sein: So werfen technische Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin Fragen zum Umgang mit Embryonen und Föten auf, die sich früher so nicht stellten.

Auslöser für ethisches Reflektieren sind allerdings nicht nur Situationen, in denen das philosophierende Subjekt sich die Frage stellt, wie es selbst richtig handeln soll oder wie gerechte Institutionen aussehen. Auch schwierige Situationen, mit denen sich andere konfrontiert sehen, können uns zur Frage veranlassen, wie zu handeln in diesen Situationen richtig wäre, und so eine ethische Reflexion auslösen. Gleichzeitig kann aber auch ein als problematisch wahrgenommenes Handeln anderer Irritationen hervorrufen und so einen Reflexionsprozess anregen, indem es uns anregt, die eigenen Wert- und Normvorstellungen zu prüfen. Diese Ausführungen machen deutlich, dass moralische Herausforderungen in der Regel zugleich ethische Herausforderungen darstellen, weil moralische Verunsicherungen auf eine Unsicherheit über die Grundsätze des Handelns verweisen und einen ethischen Reflexionsprozess auslösen. Moralische Probleme sind so zugleich ethische Probleme.

Selbstbestimmung und Verantwortung

Obwohl die Ethik an der Beantwortung der Frage, wie wir richtig oder gut handeln, interessiert ist, richtet sie den Fokus auf die Klärung grundlegender Begriffe und Vorstellungen sowie die Begründung unseres Handelns. Indem wir uns mit der Frage, wie wir handeln sollen, aus der ethischen Perspektive auseinandersetzen, bringen wir zum Ausdruck, wie wichtig es ist, selbstbestimmt zu handeln. Wir wollen unser Handeln kritisch prüfen und einsichtig begründen können.

Der allgemeine philosophische Anspruch, selbst zu denken und sich über sein Denken und Handeln Rechenschaft geben zu können, kommt denn auch besonders deutlich in der Ethik zum Ausdruck: Wir wollen die Verantwortung für unser Handeln nicht an andere delegieren und müssen es entsprechend auch selbst begründen können. Gleichzeitig fordern wir das auch voneinander ein: Insbesondere mit Blick auf moralische Fragen betrachten wir als Erwachsene einander als selbstbestimmte Akteur*innen, die für ihr Handeln einstehen und Verantwortung übernehmen wollen und sollen. Diese Betonung von Selbstbestimmung und Verantwortung schliesst keineswegs aus, dass das Handeln im Gespräch mit anderen geprüft wird, im Gegenteil. Es wäre denn auch ein Missverständnis, wenn die Betonung von Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit als Ausdruck eines spezifisch individualistischen Ethikverständnisses gelesen würde. Es macht aber deutlich, dass sich Verantwortung in Fragen der Moral und des guten Lebens nicht an andere delegieren lässt.

Formen der Reflexion

Während empirisch ansetzende Wissenschaften die Resultate ihrer Forschungsarbeiten üblicherweise als bis auf Weiteres gültige Wissensbestände lehren, erweist sich die zeitgenössische Philosophie, und damit auch die Ethik, in dieser Hinsicht zurückhaltend. Das liegt auch nahe, wenn wir Philosophie als eine Form gemeinsamer Selbstverständigung über Grundsätze des Denkens und Handelns verstehen, die wir mit anderen teilen. Damit wird die grosse Bedeutung von Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit betont. Philosophie erscheint hier als eine Praxis und nicht als etwas, das als Lehre vermittelt werden kann. Gleichwohl verfügt die Philosophie als eine wissenschaftliche Disziplin zugleich über eine lange und vielseitige Geschichte, die grundsätzlich gelehrt und gelernt werden kann. Das wirft die kontrovers geführte Frage auf, welches Gewicht diese Geschichte für den Ethikunterricht hat. Die Unterscheidung zwischen natürlichem, elementarem und wissenschaftlichem Philosophieren, die Martens vornimmt, erweist sich als hilfreich, um das Feld möglicher Antworten grob strukturieren zu können (2006, 75 f.). Zu beachten ist gleichzeitig, dass die Übergänge zwischen diesen drei Formen des Philosophierens fliessend sind.

Natürliches, elementares und wissenschaftliches Philosophieren

Wer wissenschaftlich philosophiert, arbeitet explizit mit spezifischen Theorien, Ansätzen, Begriffen und Unterscheidungen, wie sie im Laufe der Zeit erarbeitet wurden. In diesem Sinne wird auch oft von einem esoterischen Philosophieverständnis gesprochen. Gemeint ist damit nicht, dass es sich um eine Geheimlehre handle, sondern dass das wissenschaftliche Philosophieren die Kenntnis der philosophischen Tradition voraussetzt und sich mit ihr auseinandersetzt. Philosophieren ist so etwas für Spezialist*innen.

Den Gegenpol stellt das natürliche Philosophieren dar. Seinen paradigmatischen Ausdruck findet es in Kinderfragen, in denen Kinder eine Irritation oder schlicht ein interessiertes Staunen zum Ausdruck bringen. Diese Fragen versuchen sie oft zugleich spontan auf der Basis ihrer eigenen Erfahrungen und Vorstellungen zu beantworten.

Das elementare Philosophieren steht in gewissem Sinn zwischen diesen beiden Polen. Ausgangspunkt sind in der Regel wie im Falle des natürlichen Philosophierens Irritationen, die unsere lebensweltlichen Überzeugungen und Praktiken infrage stellen. Gleichzeitig geht es aber über das natürliche Philosophieren hinaus, indem es mit dem Anspruch verbunden ist, möglichst präzise und gut über die Grundsätze unseres Denkens und Handelns nachzudenken sowie sich in einer offenen Weise mit anderen Positionen auseinanderzusetzen. Es verweist so auf Fähigkeiten, die erworben, eingeübt und verfeinert werden können (Martens 2017, 28) und ein konstitutives Element allgemeiner Bildung darstellen.

Der Ethik- und Philosophieunterricht an der Volksschule orientiert sich am elementaren Philosophieren. Er setzt sinnvollerweise bei lebensweltlichen Irritationen an und nimmt dadurch die Grundsätze des eigenen Denkens und Handelns aus der lebensweltlichen Perspektive der Schüler*innen in den Blick. Dabei richtet es sich an ihrem Entwicklungstand aus und versucht, ihre Denkprozesse ausgehend von ihren bestehenden Fähigkeiten zu fördern. Das schliesst keineswegs aus, dass elementares Philosophieren Unterscheidungen, Positionen und Erkenntnisse aus der philosophischen Tradition beiziehen kann, im Gegenteil (Martens 2017, 80 ff.).

Inhaltliche Bezüge zwischen elementarem und wissenschaftlichem Philosophieren

Wenn wir uns im elementaren Philosophieren über ein bestimmtes Problem verständigen wollen, bietet es sich oft an, auf inhaltliche Unterscheidungen und Ansichten aus der wissenschaftlichen Philosophie zurückzugreifen. Diese bringen lebensweltlich vertraute Vorstellungen häufig klar auf den Punkt und helfen uns so, die Vorstellungen besser zu verstehen.

Die Auseinandersetzung mit Positionen und Unterscheidungen aus der Tradition kann sich deshalb in der Unterrichtsvorbereitung als hilfreich erweisen. Sie erlaubt der Lehrperson nicht nur, das Thema gut vorzubereiten; die Beiträge von Schüler*innen lassen sich vor dem Hintergrund einer solchen Vorbereitung oft besser verstehen und entsprechend auch angemessener würdigen. Gelegentlich kann es sich aber auch anbieten, direkt mit anregenden Positionen aus der Philosophiegeschichte zu arbeiten. Entscheidend ist in diesem Fall, dass diese das eigene Denken der Schüler*innen unterstützen und bereichern. In diesem Sinne kann die wissenschaftliche Philosophie das elementare Philosophieren inhaltlich stark bereichern.

Methodische Bezüge zwischen elementarem und wissenschaftlichem Philosophieren

Das elementare Philosophieren profitiert auch methodisch vom wissenschaftlichen Philosophieren. Wenn das elementare Philosophieren die allgemeine Bereitschaft und Fähigkeit voraussetzt, präzise und gut nachzudenken, ist das zunächst ein Anspruch, der nicht nur in philosophischen Kontexten besteht. Auch ohne philosophische Bildung anerkennen wir immer schon grundlegende Standards guten und präzisen Denkens. Das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen versucht denn auch, diese Standards explizit zu machen und ein Denken und Handeln systematisch zu fördern, das ihnen gerecht wird. Dazu greift sie auch auf die philosophische Tradition zurück, die nicht nur eine Vielzahl an Methoden kennt, die helfen, philosophische Fragen gehaltvoll, sorgfältig und präzise zu erarbeiten, sondern sie macht auch auf Herausforderungen und Fallstricke in ihrer Anwendung aufmerksam (z. B. Lipman u. a. 1980). Eine zentrale Rolle nehmen dabei die Methoden der Begriffsklärung und der Argumentation ein.

Philosophisches Nachdenken beginnt oft damit, dass uns ein grundlegender Begriff fragwürdig wird. Durch die Methode der Begriffsklärung versuchen wir, seine Bedeutung zu klären. Oft erfolgt diese Klärung in zwei Schritten. In einem ersten Schritt vergewissern wir uns, ob ein Begriff unterschiedliche Bedeutungen aufweist. So sprechen wir etwa in unterschiedlichen Bedeutungen von «Glück» (z. B. «Glück» als Zufallsglück, als Glücksgefühl, als gutes Leben). Halten wir diese Bedeutungen nicht auseinander, drohen Missverständnisse. Der zweite Schritt der Begriffsklärung besteht darin, die relevante Bedeutung so präzise wie möglich zu bestimmen. Wir versuchen so, den Begriff zu definieren oder zumindest zentrale Begriffselemente explizit zu machen.

Suchen wir nach einer begründeten Antwort auf philosophische Fragen in Form von Urteilen, greifen wir auf Argumente zurück. Argumente haben grundsätzlich die Aufgabe zu zeigen, dass eine Meinung richtig oder zumindest gut begründet ist, weil sie sich mit bereits als richtig anerkannten Aussagen stützen lässt. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, gute von schlechten Argumenten unterscheiden zu können. Die beiden Methoden der Begriffsklärung und des Argumentierens gehen häufig Hand in Hand, weil im Kontext von umstrittenen Begriffen für oder gegen bestimmte Begriffsbestimmungen argumentiert wird und andererseits Argumente oft auf umstrittenen Begriffen aufbauen.

Die philosophische Tradition kennt allerdings weitere Methoden, die für das elementare Philosophieren hilfreich sind. Martens betont das mit seinem einflussreichen Fünf-Finger-Modell, das zwischen der phänomenologischen, hermeneutischen, analytischen, dialektischen und spekulativen Methode unterscheidet (Martens 2017, 65 ff.; Brüning 2015, 28 ff.). Die Methoden der Begriffsklärung und der Argumente fasst er dabei in der analytischen Methode zusammen. Die fünf Methoden dieses Modells verweisen teilweise aufeinander und können zugleich in unterschiedlichster Weise miteinander kombiniert werden. Unabhängig davon, welche Methoden neben der Begriffsklärung und dem Argumentieren für das elementare Philosophieren ins Zentrum gestellt werden und wie sie genau charakterisiert werden, ist entscheidend, dass ihre Einführung darauf ausgerichtet ist, Schüler*innen die selbstständige und gehaltvolle Auseinandersetzung mit philosophischen Herausforderungen zu ermöglichen (Rohbeck 2017, 50).

Philosophieren im Gespräch

Weil sich philosophische Fragen und Herausforderungen auf die Grundsätze einer mit anderen geteilten Lebensform beziehen, findet das Philosophieren sinnvollerweise im Austausch mit anderen statt. Philosophische Selbstverständigung haben wir entsprechend als eine intersubjektive Selbstverständigung über die Grundsätze des Denkens und Handelns charakterisiert. Dem Gespräch kommt seit der Antike denn auch eine zentrale Rolle in der Philosophie zu. Dabei können unterschiedliche Akteur*innen die Funktion von Anderen übernehmen. Das können etwa Personen aus dem eigenen Umfeld in tatsächlich stattfindenden Gesprächen sein oder Figuren aus Geschichten sowie klassische Philosoph*innen, die als fiktive Gesprächspartner*innen dienen. Solche realen oder fiktiven Gespräche richten sich an einem Gesprächsmodell aus, das mehr als einen unverbindlichen Meinungsaustausch darstellt. Gehaltvolle Gespräche weisen Eigenschaften auf, die für jedes elementare und wissenschaftliche Philosophieren zentral sind. Auf zwei Eigenschaften gehen wir im Folgenden näher ein.

Intersubjektivität und Verständlichkeit

Gehaltvolle Gespräche zeichnen sich zweifellos dadurch aus, dass die Gesprächsteilnehmer*innen aufeinander eingehen. Darin äussert sich einerseits der Respekt vor dem Gegenüber. Im Rahmen von unterrichtlichen Gesprächen kommt das in der grossen Bedeutung von Gesprächsregeln zum Ausdruck, die sicherstellen, dass die Schüler*innen respektvoll miteinander umgehen. Andererseits ist es einem Interesse an der sachlichen Klärung geschuldet. Ausgangspunkt philosophischer Gespräche ist jeweils ein gemeinsames philosophisches Problem. Deshalb bemühen sich die Gesprächsteilnehmer*innen, ihre Positionen und Argumente in einer Weise zu vertreten, die auch anderen zugänglich ist. Sie sollen also möglichst gut verständlich sein. Dazu gehört, dass die Gesprächsteilnehmer*innen versuchen, zentrale Begriffe zu präzisieren und ihre Sichtweisen und Positionen zu begründen. Dieses Bestreben nach Verständlichkeit und intersubjektiver Nachvollziehbarkeit lässt sich zugleich als ein gemeinschaftliches Unterfangen verstehen: Ein gutes Gespräch zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Gesprächsteilnehmer*innen gegenseitig darin unterstützen, ihre Positionen möglichst stark und einsichtig zu machen, um sie als ernsthafte Beiträge zur Klärung der gemeinsamen philosophischen Frage in den Blick nehmen zu können.

Das stellt die Bedingung dar, damit philosophische Gespräche ein konstruktives Medium zur kritischen Überprüfung von Meinungen, Vorstellungen und Praktiken darstellen können. Wer sich ernsthaft auf ein philosophisches Gespräch einlässt, stellt seine eigenen Meinungen, Vorstellungen und Praktiken zur Diskussion. Ein gutes Gespräch zeichnet sich denn auch dadurch aus, dass die Gesprächsteilnehmer*innen alle vorgebrachten Meinungen, Vorstellungen und Praktiken gemeinsam auf ihre Plausibilität hin prüfen – die eigenen wie auch jene der Gesprächspartner*innen.

Vernünftige Differenzen aushalten

Philosophische Gespräche zielen darauf ab, eine sachliche Frage auf der Basis von guten Gründen gemeinsam zu klären und möglichst einsichtig beantworten zu können. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass wir gerade in grundlegenden Fragen oft keine Einigkeit in Diskussionen erzielen können, obwohl sich alle Diskussionsteilnehmer*innen in vernünftiger Weise um eine gemeinsame Verständigung bemühen und auch gute Gründe für ihre Positionen vorbringen können (Rawls 2005, 127 ff.). Das spricht in keiner Weise gegen die Sinnhaftigkeit philosophischer und, spezifischer, ethischer Erörterungen. In solchen Situationen ermöglichen sie, genau zu erkennen, wo und weshalb die Gesprächsteilnehmer*innen zu unterschiedlichen Antworten kommen. Das kann sowohl für die Klärung der eigenen Vorstellungen als auch für das Verständnis der Vorstellungen anderer wichtig und hilfreich sein. Mit Blick auf ethische Fragen bietet es sehr oft zugleich die Voraussetzung, um eine Basis für ein vernünftiges Miteinander trotz aller Unterschiede zu schaffen. Das Offenlegen und Erkennen von Differenzen kann im Übrigen auch in Kontexten hilfreich sein, die mit wissenschaftlichen Ungewissheiten verbunden sind, wie dies etwa bei klimaethischen Herausforderungen der Fall ist. Auch hier kann das Offenlegen und Erkennen von Differenzen die Basis für konstruktive Lösungswege bieten (vgl. Krug 2023, 239 ff.).

Fachdidaktische Anliegen und Herausforderungen

Wie wir gesehen haben, zielt der Ethikunterricht darauf ab, Schüler*innen zu befähigen, sich in unserer durch Werte und Normen geprägten Welt zu orientieren und in ihr selbstbestimmt sowie verantwortungsvoll zu urteilen und zu handeln. Er greift dabei auf das Selbstverständnis der Ethik als Bereich der Philosophie zurück, der sich als Praxis der kritischen Selbstverständigung mit anderen über die Grundsätze unseres Denkens und Handelns versteht. Als ein Bereich der Philosophie setzt sich die Ethik reflexiv mit dem Anspruch auseinander, richtig oder gut zu handeln beziehungsweise die Institutionen des Zusammenlebens gerecht zu gestalten. Dabei geht es darum, diesen Anspruch kritisch, in einer begründeten und intersubjektiv nachvollziehbaren Weise zu erfüllen. Eine zentrale Rolle kommt dabei philosophischen Gesprächen zu. Ausgehend von diesen Ausführungen lassen sich einige ausgewählte didaktische Grundanliegen und Herausforderungen für den Ethikunterricht formulieren.

Ethische Fragen und Herausforderungen erkennen

Der Ethikunterricht nimmt allgemeine Grundsätze des Denkens und Handelns in den Blick, die unser individuelles und gesellschaftliches Leben in einer oft selbstverständlichen und unhinterfragten Weise prägen. Insbesondere richtet er den Blick auf grundlegende Werte und Normen und betont so auch deren Bedeutung. Dadurch unterstützt der Unterricht die Schüler*innen darin, ethische und – allgemeiner – philosophische Fragen zu erkennen und auch selbst zu stellen. Die Schüler*innen werden sich so des reflexiven Charakters philosophischer Fragen bewusst und lernen, philosophische Fragen von empirisch zu klärenden Fragen zu unterscheiden. Gleichzeitig erkennen die Schüler*innen, dass sich gesellschaftliche Praktiken und Handlungssituationen aus unterschiedlichen Perspektiven unterschiedlich darstellen können.

Kritisches Denken üben

Der Ethikunterricht möchte die Schüler*innen befähigen, ethische Fragen in einer gehaltvollen Weise angehen und klären zu können. Deshalb legt er Wert auf eine methodisch angeleitete Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und Herausforderungen. Weil sich ethische Herausforderungen vor dem Hintergrund einer mit anderen geteilten Lebensweise stellen, gehört dazu, sich mit eigenen und fremden Vorstellungen und Positionen in einer zugleich offenen und kritischen Weise zu beschäftigen. Die Schüler*innen lernen, diese Vorstellungen und Positionen zu klären und gemeinsam auf ihre Begründbarkeit hin zu prüfen.

Ethische Urteilskraft entwickeln

Die Schüler*innen üben sich darin, auf ethische Herausforderungen begründete Antworten in Form von ethischen Urteilen zu finden. In diesem anspruchsvollen Anliegen spiegelt sich, dass wir im Alltag den Anspruch haben, gut und richtig zu handeln, und auch voneinander einfordern, uns moralisch richtig zu verhalten. Wir sollten deshalb fähig sein, eigenständig Stellung zu ethischen Fragen zu nehmen. Allerdings ist hier auch Vorsicht angebracht. Angesichts komplexer Herausforderungen scheint es gelegentlich angemessener zu sein, sich eines Urteils zu enthalten als ein vorschnelles Urteil zu fällen. Eine begründete Urteilsenthaltung kann denn auch durchaus Ausdruck einer reflektierten und selbstbestimmten Position sein.

Herausforderungen

Ethische und, allgemeiner, philosophische Herausforderungen lassen Grundsätze des eigenen Denkens und Handelns klärungsbedürftig erscheinen. Entsprechend ist ein wirksamer Ethikunterricht so angelegt, dass die Schüler*innen sich auch tatsächlich angesprochen und herausgefordert fühlen. Andernfalls droht das fachliche Anliegen einer Selbstverständigung über die Grundsätze des Denkens und Handelns sowie das zentrale Anliegen der Förderung der ethischen Urteilskraft ins Leere zu laufen.

Die Betonung der lebensweltlichen Relevanz bedeutet nicht, dass Schüler*innen nicht auch mit für sie neuen, aber gesellschaftlich diskutierten schwierigen Fragen wie etwa Fragen aus der Bildung für Nachhaltige Entwicklung oder medizinethischen Fragen konfrontiert werden können. In solchen Fällen ist es aber wichtig, sie in einer Weise einzuführen, dass die Schüler*innen einen Bezug zu Werten und Normen herstellen können, die ihnen vertraut sind. Wie diese Betonung der lebensweltlichen Relevanz des Ethikunterrichts anklingen lässt, spricht der Unterricht die Schüler*innen immer auch als moralische Akteur*innen an. Das ist nicht trivial.

Wertereflexion statt Wertevermittlung

Der Ethikunterricht kann unterschiedliche Formen annehmen, wie ein Blick in verschiedene Lehrpläne und ihre bildungspolitischen Vorgaben zeigt (Feldmann 2020, 15 ff.). Im Zentrum des Ethikunterrichts, wie er im Deutschschweizer Lehrplan 21 angelegt und in dieser Publikation vorausgesetzt wird, steht der begründungsorientierte Umgang der Schüler*innen mit ethischen Herausforderungen. Ziel ist denn auch nicht, ihnen bestimmte Antworten auf solche Herausforderungen vorzugeben oder zu vermitteln, sondern ihnen den Erwerb und die Vertiefung von Kompetenzen zu ermöglichen, wie sie mit solchen Herausforderungen begründet und eigenständig umgehen können. Dieses Modell von Ethikunterricht schliesst nicht aus, dass der Schule eine wichtige Rolle in Wertebildung und Wertevermittlung zukommt. Es erachtet dies aber als Aufgabe der gesamten Schul- und Unterrichtskultur.

Gleichwohl ist damit die Frage, ob im Ethikunterricht alle Werte und Normen kritisch hinterfragt werden können, nicht schon beantwortet. Es wird gelegentlich behauptet, dass bestimmte Werte und Normen wie etwa Respekt vor der Würde eines jeden Menschen, die für das Funktionieren eines demokratischen Rechtsstaats notwendig seien, nicht infrage gestellt werden dürften. Wenn damit gemeint ist, dass die Frage, wie und ob sich solche Werte und Normen begründen lassen, nicht gestellt werden darf, wäre das jedoch unplausibel. Ähnliches gilt für die Frage, ob sich moralisches Handeln überhaupt begründen lässt. Ausgerechnet bei grundlegenden Werten, Normen und Vorstellungen auf eine kritische Reflexion zu verzichten, wäre unbefriedigend. Tatsächlich lassen sich für grundlegende Werte wie Menschenwürde oder Toleranz durchaus gute Gründe vorbringen. Eine Lehrperson, die sich auf ihre kritische Befragung nicht einlässt, vergibt denn auch eine wichtige Lerngelegenheit.

Es ist hier wichtig, zwischen dem Inhalt von philosophischen Gesprächen und dem Charakter der Gespräche selbst zu unterscheiden. Eine kritische Befragung von grundlegenden Werten und Normen findet im Rahmen des schulischen und unterrichtlichen Zusammenlebens statt. Indem der Ethikunterricht den Schüler*innen zumutet, eigene Positionen in der Diskussion mit anderen zu entwickeln, setzt er immer schon Werte und Normen wie Respekt vor der Meinung anderer und Offenheit gegenüber anderen Positionen voraus (Steinfath 2018, 64 f.; vgl. auch Kim u. a. 2021). Diese Werte und Normen dürfen als leitende Prinzipien des Zusammenlebens in der Klasse und damit auch des Charakters von philosophischen Gesprächen nicht verletzt werden. Das ist aber durchaus vereinbar mit der kritischen Befragung dieser Werte im Gespräch.

Offenheit, aber nicht Beliebigkeit

Ethische Fragen zeichnen sich – wie alle philosophischen Fragen – durch ihren offenen Charakter aus. Im Kontext des Ethikunterrichts, und besonders des Philosophierens mit Kindern, hört und liest man oft den Slogan: «In der Philosophie gibt es kein Richtig oder Falsch.» Das ist jedoch eine problematische Aussage. Wenn damit gemeint ist, dass philosophische Auseinandersetzungen nicht nur unter Rekurs auf Fakten beigelegt werden können, ist das richtig.