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Diese werkgetreue Umsetzung als Roman umfasst den Inhalt des ersten Abenteuers aus den Piccolo-Comicheften 1-18 von Hansrudi Wäscher. - Falk wächst auf der Burg des Ritters Eberhard zu einem stattlichen jungen Mann heran. Als sein Vater ermordet wird, macht er sich auf, um den Schuldigen zu finden. Doch das ist erst der Anfang eines Abenteuers, das ihn zum Knappen und schließlich zum Ritter machen soll. Er gerät in eine Intrige, deren Wurzeln in der Vergangenheit liegen. Falk muss all seinen Mut und sein kämpferisches Geschick aufwenden, um die Verschwörer zu entlarven und Fürst Gottfried von Starkenfels vor dem Sturz zu bewahren.
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Seitenzahl: 237
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Originalausgabe August 2013
Charakter und Zeichnung: Falk © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators
Text © Achim Mehnert
Copyright © 2015 der eBook-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Petershagen
Lektorat: Edelgard Mank
Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz
Hintergrundillustration Umschlag: © ihervas - fotolia.com
E-Book-Konvertierung: Thomas Knip | Die Autoren-Manufaktur
ISBN ePub 978-3-86305-171-6
www.verlag-peter-hopf.de
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Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,
Eduardstraße 48, 20257 Hamburg
www.hansrudi-waescher.de
Alle Rechte vorbehalten
Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.
Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
An einem Herbsttag des Jahres 1191 bewegte sich ein Zug grauer Gestalten den Felsenhügel hinauf, auf dem Graf Armin von Steinfeld eine neue Burg errichten ließ. Fahle Morgendämmerung lag über dem Land, und in der Ferne erhob sich eine Wolkenbank wie ein düsteres Gebirge. Am Hang fing sich der Wind in Tannen und Buschwerk, das sich zwischen den Felsen im kargen Boden festhielt. Die Rufe von Nachtvögeln drangen durch das morgendliche Zwielicht.
Noch hatte der anbrechende Tag die Nachtkühle nicht vertrieben. Kein Sonnenstrahl wärmte die Männer, die sich zu Fuß den steinigen Pfad hinaufquälten. Es waren hörige Bauern, dem Grafen zu Hand- und Spanndiensten verpflichtet. Sie schleppten allerlei Werkzeuge mit sich. Pferdegespanne zogen mit Bauholz beladene Karren.
»Bewegt eure Füße!«, trieb ein Bewaffneter den Zug an. Er war einer von vier Berittenen, die sich vor, hinter und zuseiten des Fußvolks eingereiht hatten. »Schlaft nicht schon vor der Arbeit ein! Wenn die Sonne aufgeht, will Graf Armin reges Treiben an der Baustelle sehen.«
Trotz des beschwerlichen Weges wagte es keiner der Bauern zu murren. Sie waren der Willkür ihres Lehnsherrn ausgeliefert und ihm zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Schweigend setzten sie einen Fuß vor den anderen. Sie kannten den Weg auswendig, weil sie ihn schon an zahlreichen Tagen zurückgelegt hatten. Früh am Morgen ging es hinauf und erst abends wieder hinunter zu den Feldern, wo auch noch Arbeit zu verrichten war.
Auf dem Burghügel angelangt, erwartete die Männer die im Entstehen begriffene Festung. Das Gelände war gerodet und planiert. Ein paar wehrhafte Mauern waren bereits fertiggestellt, an anderen Stellen erhoben sich Leitern und Gerüste. Am Fuß der Mauern lagerten Steinquader und Baumaterial.
»An die Arbeit!«, kommandierte einer der Berittenen. Sein Peitschenknall war weithin zu hören. »Los, los, sonst mache ich euch Beine!«
Unverzüglich machten die Bauern sich an die Arbeit. Keiner von ihnen wollte die Peitsche des Aufsehers spüren. Sie wussten, dass er nicht spaßte. Als Graf Armin wenig später hoch zu Ross auf dem Burghügel angelangte, ging die Sonne eben am Horizont auf. Eine bewaffnete Eskorte berittener Waffenknechte folgte ihm. Der Graf ließ den Blick über die Baustelle wandern und nickte zufrieden.
»Guten Morgen, Vogt. Wie ich sehe, geht die Arbeit zügig voran.«
»Guten Morgen, edler Herr«, erwiderte der Vogt den Gruß. »Meine Männer und ich sorgen dafür. Wir halten die Bauern in Gang, damit sie ihre Pflicht nicht vergessen.«
»Gut, Vogt. Es sind also alle hörigen Bauern dem Befehl gefolgt?«
»Ja, Herr, alle bis auf Bauer Heinrich, der sich entschuldigen lässt, weil er krank ist. Aber er hat sein Gespann einem Nachbarn mitgegeben.«
»Krank?« Der Graf richtete sich im Sattel auf. »Ich glaube ihm kein Wort. Der Kerl will sich nur drücken.«
»Das glaube ich nicht, Herr. Ich kenne Heinrich. Er war noch nie nachlässig, sondern hat seine Pflicht immer erfüllt. Er würde es nicht wagen, sich Eurem Befehl zu widersetzen.«
Armin sah das anders. Er traute dem pflichtvergessenen Bauern nicht. »Schweigt, Vogt, und verteidigt ihn nicht! Kurt, Albert!«
Die gerufenen Waffenknechte eilten an die Seite des Adligen. »Ja, Herr?«
»Reitet zu Bauer Heinrich und holt ihn hierher!«, trug Armin ihnen auf. »Ihr kennt ja seinen Hof. Ich erwarte, dass er hier erscheint, und dulde keine Ausflüchte.«
»Sehr wohl, Herr«, versicherte Albert.
Der Graf sah ihm und Kurt hinterher, als sie im Galopp den Hügel hinunterritten. Wie es aussah, musste er endlich ein Exempel statuieren.
*
Nachdem die Waffenknechte den Hügel hinter sich gelassen hatten, ritten sie quer über die Felder, die an diesem Tag noch nicht bestellt worden waren. Dass ihre Pferde dabei den Bewuchs zertrampelten, war ihnen gleichgültig. Kurt lachte schallend darüber.
»Wozu sollen wir einen Umweg in Kauf nehmen? Die Bauern haben jetzt ja eine andere Aufgabe. Da kommen sie ohnehin nicht dazu, ihre Felder zu bestellen.«
»Der Graf will die Burg unbedingt bis zum Einbruch des Winters fertigstellen«, antwortete Albert.
»Das kann ich verstehen. Mit der Burg dort oben beherrscht er das ganze Tal. Er kann in alle Richtungen weit ins Land hinausschauen und alles überblicken. Wenn die Burg erst fertig ist, braucht er keine Angst vor einer Fehde mit seinen Nachbarn zu haben.«
Eine Weile galoppierten sie schweigend über das Land, bis sich voraus die Silhouetten von Gebäuden abzeichneten. Die Reiter passierten einen Zaun und näherten sich den Gebäuden. Nach Menschen hielten sie vergeblich Ausschau. Außer dem Pfeifen des Windes drang kein Geräusch zu ihnen herüber.
»Heinrichs Hof sieht ziemlich verfallen aus.«
»Seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren geht es bergab mit ihm. Früher war hier alles viel besser in Schuss gehalten.«
»Die Abgaben, die er und die anderen Bauern dem Grafen leisten müssen, sind nicht gerade gering«, erinnerte Kurt. »Aber das ist nicht unser Problem.«
»Genau. Schließlich wollen wir ja auch leben.« Albert schaute sich suchend um. »Ich sehe Heinrich nicht. Anscheinend hält er sich im Haus auf.«
Die Waffenknechte ritten bis zum Hauptgebäude und stiegen von den Pferden. Vor dem Eingang banden sie die Vierbeiner an. Am Hof waren die Anzeichen von Verfall nicht zu übersehen. Reparaturarbeiten waren dringend vonnöten. Aus dem Haus drang kein Laut nach draußen. Kurt hob ratlos die Schultern.
»Heinrich scheint unser Kommen nicht gehört zu haben. Vielleicht ist er wirklich schwer krank und liegt mit Fieber im Bett.«
»Das werden wir gleich erfahren.«
»Was hast du vor?«
»Was wohl? Ich werde nachsehen.« Albert klopfte mit der Faust gegen die Tür. »Aufstehen, Heinrich! Der Graf vermisst dich auf der Burg.«
Die Tür öffnete sich vor den beiden Männern. Sie war nur angelehnt gewesen. Mit leisem Quietschen glitt sie ins Innere der Stube. Niemand hielt sich darin auf.
»Bei allen Teufeln, der Kerl ist überhaupt nicht zu Hause«, entfuhr es Kurt.
»Das ist ja heiter. Glaubst du, er hat sich aus dem Staub gemacht?«
»Vielleicht ist er im Stall.«
Sie begaben sich zum Viehstall, ohne fündig zu werden. Auch die Durchsuchung des restlichen Anwesens erbrachte keinen Erfolg. Sie fanden keine Spur von Bauer Heinrich. Er war verschwunden.
Kurt schaute in die Ferne, wo sich sanft geschwungene Hügel erhoben. »Er scheint tatsächlich ausgekniffen zu sein. So ein Dummkopf! Damit zieht er sich gewiss den Zorn unseres Herrn zu.«
»Das müssen wir sofort Graf Armin berichten.«
Die beiden Waffenknechte saßen auf und trieben ihre Pferde an. Wieder ritten sie quer über die Felder. Am Fuß des Felsenhügels kam ihnen der Graf entgegen. Kurt hatte richtig vermutet. Nachdem der Graf ihren Bericht angehört hatte, bekam er einen seiner gefürchteten Wutanfälle. Er bebte buchstäblich vor Zorn.
»Heinrich ist fort? Wie kann er es wagen, sich meinem Willen zu entziehen? Das soll der Bursche mir büßen. Ihr werdet sofort aufbrechen und ihn zurückholen.«
»Aber wo sollen wir nach ihm suchen, Herr?«, fragte Albert. »Heinrich kann in alle Himmelsrichtungen geflohen sein.«
Der Graf ballte die Faust. »Ich glaube, ich weiß, wohin Ihr euch wenden müsst. Bestimmt will Heinrich das Land von Ritter Eberhard erreichen. In letzter Zeit sind schon einige Bauern zu dem mildtätigen Ritter geflüchtet, weil er den Hörigen größere Freiheiten zubilligt.«
»Wenn er die Burg des Ritters erreicht, ist er unserem Zugriff entzogen«, warf Kurt vorsichtig ein.
»Das weiß ich selbst«, schnaubte Armin. »Deshalb sputet euch! Wenn Ihr euch beeilt, könnt Ihr Heinrich vielleicht noch erwischen. Doch bringt ihn lebend zurück! Ich will, dass er um Gnade winselt, bevor ich ihn als abschreckendes Beispiel aufknüpfen lasse. Danach wird es nie wieder ein Bauer wagen, mir den Gehorsam zu verweigern und zu fliehen.«
»Verstanden, Herr.«
Kurt und Albert wendeten ihre Reittiere und preschten davon.
*
Armin von Steinfeld konnte nicht ahnen, dass Heinrich schon am Vorabend aufgebrochen war. Schweren Herzens hatte der Bauer seinen Hof verlassen und sich auf den Weg gemacht. Sein Gemüt war betrübt, denn er musste einem jungen Mann eine Nachricht überbringen, die ihm nicht leichtfiel.
Sein Weg führte Heinrich bis zur Burg von Ritter Eberhard. Erst an der Fallbrücke, die sich über einen tiefen Abgrund spannte, hielt er inne. Am Tor waren zwei Wachen postiert, die ihn argwöhnisch musterten.
»Was wollt Ihr, Fremder?«
Heinrich zog eine vorbereitete Notiz aus der Tasche und reichte sie dem Uniformierten. »Gebt diesen Zettel dem Zögling Falk, der sich in der Burg eures Herrn aufhält! Sagt ihm, dass ich ihn unten am Weg erwartete!«
Nachdem er die Nachricht gelesen hatte, lief Falk aus der Burg, so schnell ihn seine Füße trugen. Er konnte es nicht erwarten, den Besucher in die Arme zu schließen. Der grauhaarige Mann erwartete ihn ein Stück unterhalb der Burg. Als er Falk erblickte, erhob er sich.
»Falk, mein Junge!«, empfing er ihn und umarmte ihn herzlich.
»Vater, es ist eine Freude, dich zu sehen.«
Der alte Mann betrachtete seinen Sohn von oben bis unten. »Lass dich anschauen! Ein stattlicher junger Mann bist du geworden. Gut siehst du aus. Und wie du gewachsen bist!«
»Danke, Vater. Es ist ja auch schon ein Jahr her, seit du mich zum letzten Mal besucht hast.«
»So schnell ist die Zeit vergangen. Leider ist es aber kein froher Anlass, der mich zu dir führt.« Heinrich deutete hinter sich. »Komm, wir setzen uns auf die Steine und reden.«
»Warum hier draußen?«, wunderte Falk sich. »Begeben wir uns doch in die Burg.«
»Nein«, lehnte Heinrich vehement ab. »Ich habe kein Recht, die Burg zu betreten. Denn ich bin kein Edelmann wie die Väter deiner Kameraden. Nicht einmal der Ritter weiß, dass ich nur ein armer, höriger Bauer bin.«
»Ein höriger Bauer?« Falk verzog fragend das Gesicht. Er verstand nicht, was sein Vater meinte. »Aber das ist doch Unsinn. Ich habe immer gedacht …«
Heinrich legte dem jungen Mann seine Hände auf die Schultern und unterbrach ihn. »Es wird schwer für dich sein zu akzeptieren, was du nun erfährst, aber du musst stark sein. Die Zeit ist gekommen, dass du die Wahrheit erfährst. Daher werde ich dir nun eine Geschichte erzählen. Sie handelt von dir und mir.«
Falk war völlig verwirrt. »Ich verstehe nicht, aber ich höre dir zu, Vater.«
»Heute vor siebzehn Jahren war ich im Wald unterwegs, um für meinen damaligen Herrn Graf Arthur Holz zu schlagen«, begann Heinrich zu berichten. »Er war der Bruder des jetzigen Grafen Armin von Steinfeld. Als ich durch den Wald ging, hörte ich das Weinen eines kleinen Kindes.«
»Eines Kindes?«
Heinrich nickte schwer. »Ich ging dem Weinen nach, und in einem Körbchen fand ich dich.«
Falk zuckte zusammen. »Mich?«
»So ist es. In Wahrheit bin ich nicht dein Vater, ich habe dich nur gefunden. In dem Körbchen lag auch ein Beutel mit Geld. Außerdem trugst du dieses Amulett um deinen Hals.«
Der alte Mann zog ein goldenes Amulett hervor. Falk nahm es an sich und betrachtete es nachdenklich. Darauf waren verschiedene Zeichen abgebildet, die ihm unbekannt waren.
»Was bedeutet es?«, wollte er wissen.
»Es sind die Zeichen derer von Steinfeld. Du musst aus ihrem Geschlecht stammen. Nur so ist zu erklären, dass das Amulett deinen Hals schmückte. Aus Gründen, die ich nicht kenne, hatte man dich ausgesetzt.«
»Ich … ich begreife das nicht«, stotterte Falk. »Warum hat man das getan?«
»Auf diese Frage habe ich leider keine Antwort«, bedauerte Heinrich.
»Aber wieso hast du mich mitgenommen und aufgezogen?«
»Weil ich es nicht übers Herz brachte, dich dem sicheren Tod zu überlassen. Allein im Wald hättest du nur wenige Stunden überlebt. Meine Frau und ich haben dich daher zu uns genommen und uns um dich gekümmert.«
Falk lauschte mit wachsendem Staunen. Was er über seine Vergangenheit erfuhr, war so abenteuerlich, dass er es kaum glauben konnte.
»Als du fünf Jahre alt warst, gab ich dich heimlich zu Ritter Eberhard in die Schule«, fuhr Heinrich fort. »Ich wollte, dass du eine Erziehung genießt, die deinem Stande angemessen ist. Ich hätte sie dir nicht gewähren können. Das Geld, das ich in dem Körbchen fand, reichte für die ersten Jahre.«
»Und später?«
»Mein Frau und ich sparten jeden Kreuzer, und ich führte das Geld an Ritter Eberhard ab. Nun aber«, Heinrich seufzte, »kann ich nichts mehr für deine weitere Erziehung aufbringen. Graf Armin plündert seine Bauern bis aufs Hemd aus. Wie alle anderen habe auch ich unter ihm zu leiden. Es bleibt kaum genug übrig für das tägliche Überleben. Uns bleibt keine Zeit, unsere Felder zu bestellen, weil er uns zum Bau seiner Trutzburg zwingt. Dadurch wird die Ernte ausfallen, und die Bauern und ihre Familien nagen am Hungertuch.«
»Vater …« Falk stockte. »Lass mich bitte weiterhin Vater zu dir sagen! Ich bin erschüttert. Du und Mutter, ihr habt alle Entbehrungen auf euch genommen, um einen Edelmann aus mir zu machen. Aus mir, einem fremden Kind. Das kann ich euch niemals vergelten.«
»Das sollst du nicht, denn du bist kein fremdes Kind für mich. Ich liebe dich wie einen leiblichen Sohn, doch dafür bleibt nun keine Zeit mehr. Du musst fort von hier.«
»Fort? Aber wieso? Und wohin soll ich gehen?«
»Ich kann dir nur einen Rat geben. Ziehe in die Welt hinaus und werde ein tapferer Ritter! Dann kehre zurück und erkämpfe dir dein Recht!«
Falk ließ die Worte auf sich wirken. Auf einmal hatte sich alles verändert. Sein ganzes bisheriges Leben war auf den Kopf gestellt. Er war von hohem Geschlecht und hatte ein Anrecht darauf, ein Ritter zu werden. Das Amulett bewies es. Damit hätte er niemals gerechnet. Er brauchte nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen.
»Ich werde meine Chance nutzen und mich durchsetzen, Vater. Aber was wird aus dir?«
»Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen.« Heinrich lächelte.
*
Kurt und Albert hatten das offene Gelände hinter sich gelassen. Sie ritten durch einen kleinen Wald. Das Jagdglück war ihnen nicht hold. Sie hatten keine Spur von dem entlaufenen Bauern gefunden, hinter dem Graf Armin sie hergeschickt hatte.
»Wir müssen umkehren, Kurt. Wir sind bereits auf Ritter Eberhards Land«, machte Albert seinen Begleiter darauf aufmerksam, wie weit sie schon vorgedrungen waren.
»Wir reiten weiter bis zu der Wegbiegung dort vorn. Ich wage nicht, mir vorzustellen, was uns blüht, wenn wir ohne Heinrich in Graf Armins Burg eintreffen. Wenn wir ihm den Bauern nicht bringen, wird er seine Wut an uns auslassen.«
»Diese Vorstellung gefällt mir ganz und gar nicht.«
Die Furcht vor dem Grafen trieb die beiden Waffenknechte an. Zwischen den Bäumen bog der Weg nach Osten hin ab. Als sie die Biegung erreichten, zügelte Albert sein Pferd.
»Halt, da ist die Burg. Wir dürfen auf keinen Fall weiterreiten.«
Die Männer hielten inne und sahen sich um. Kurt streckte einen Arm aus und deutete zwischen den Bäumen hindurch.
»Sieh mal, wer da auf einem Stein sitzt!«
»Das ist Heinrich«, gab Albert mit gedämpfter Stimme zurück. »Zusammen mit einem jungen Bengel.«
Kurt spähte zur Burg hinauf, die sich in einiger Entfernung über dem Wald erhob. »Wenn wir Heinrich entführen, sehen uns die Wachen auf der Burg. Sobald sie uns bemerken, lösen sie Alarm aus, und wir haben Ritter Eberhards Männer auf den Fersen. Das dürfen wir nicht riskieren. Schließlich sind wir hier auf seinem Land.«
»Also müssen wir uns etwas anderes ausdenken.«
»Ich weiß auch schon was. Ein gut gezielter Pfeilschuss wird unsere Sorgen beenden. Gib mir den Bogen, Albert! Wenn wir Heinrich auch nicht zurückbringen, so können wir doch wenigstens seinen Tod melden. Das wird Graf Armin besänftigen.«
»Eine gute Idee.« Albert nahm den Bogen vom Pferd und reichte ihn hinüber.
Kurt ergriff ihn und angelte einen Pfeil aus dem Köcher. Er spannte ihn auf die Sehne und zielte sorgfältig.
*
»Willst du auf deinen Bauernhof zurückkehren, Vater?«, fragte Falk.
»Das werde ich. Niemand weiß, dass ich weggegangen bin. Ich werde zu …« Weiter kam Heinrich nicht. Er gab einen erstickten Laut von sich. Seine aufgerissenen Augen starrten ins Leere.
»Vater, was ist mit dir?«
Heinrich kippte vornüber. Er fiel genau in Falks Arme. Ein Pfeil steckte in seinem Rücken. Noch einmal bäumte er sich auf und versuchte zu sprechen, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst. Er glitt aus Falks Händen und blieb regungslos auf dem Boden liegen.
»Mein Gott! Er ist tot!«, keuchte Falk. Seine Gedanken überschlugen sich. Jemand hatte aus dem Hinterhalt auf seinen Vater geschossen und ihn getötet. Vielleicht legte der Unbekannte in diesem Moment abermals an, um auch ihn zu töten.
Falk fuhr in die Höhe, als er das Getrappel von Pferdehufen vernahm. Es drang von dem steinigen Weg herüber, der durch den Wald führte. Der hinterlistige Schütze suchte sein Heil in der Flucht. Falk dachte nicht daran, ihn ungestraft entkommen zu lassen. Er rannte los und lief quer durch den Wald, um ihm den Weg an der Biegung abzukürzen. Groß konnte der Vorsprung des unbekannten Schufts nicht sein. Als er zwischen den Bäumen auf den Weg vor sich lugte, entdeckte er zwei Berittene.
»Mörder!«, schrie er.
Bevor die Kerle wussten, wie ihnen geschah, war Falk bereits heran. Den einen Reiter riss er vom Pferd. Gemeinsam überschlugen sie sich, doch Falk musste sich seines Gegners nicht erwehren. Beim Sturz vom Pferd hatte der Mann das Bewusstsein verloren. Bewegungslos lag er im Straßenstaub.
Falk verlor keine Sekunde. Da er einen hinterhältigen Angriff des zweiten Schergen erwartete, rollte er sich ab und kam auf die Beine. Seine Befürchtung war unbegründet. Der Reiter gab seinem Pferd die Sporen und tauchte im Wald unter. Anscheinend hatte er mit der wilden Entschlossenheit des jungen Verfolgers nicht gerechnet. So schnell er konnte, machte er, dass er davonkam. Falk ergriff die Zügel des zurückgelassenen Pferdes. Er spielte mit dem Gedanken, sich an die Verfolgung zu machen, doch er sah davon ab. Zunächst musste er sich um seinen toten Vater kümmern.
»Du wirst mir dennoch nicht entkommen«, schickte er dem Fliehenden hinterher. »Genauso wenig wie dein Herr, der dich zu dieser schändlichen Tat angestiftet hat. Das schwöre ich.«
Falk machte sich an die Untersuchung des vom Pferd Gestürzten. Er hatte sich den Kopf angeschlagen, aber keine gefährlichen Verletzungen davongetragen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er wieder zu sich kommen würde. Am Sattel des Pferdes hingen Pfeil und Bogen. Damit stand fest, dass Falk tatsächlich Heinrichs Mörder erwischt hatte. Er nahm ein Seil vom Pferd und verschnürte den Bewusstlosen.
»Du wirst mir nicht weglaufen«, murmelte er.
Er überlegte, ob er seinen Gefangenen zu Ritter Eberhard bringen sollte. Der Mörder hatte keine Gnade zu erwarten. In der Burg würde man ihn für sein Verbrechen aufhängen. Falk entschied sich dagegen. Nach dem, was geschehen war, durfte er nicht in die Burg zurückkehren. Wenn er von dem heimtückischen Angriff berichtete, musste er auch erwähnen, was er über seine geheimnisvolle Herkunft erfahren hatte. Er wollte jedoch nicht, dass jemand davon erfuhr, bevor er Beweise hatte und um sein Recht kämpfen konnte.
Stattdessen machte er sich an eine traurige Pflicht. Er trug Heinrich auf eine Waldlichtung und hob eine Grube aus. Nachdem er den leblosen Körper hineingebettet hatte, bedeckte er ihn mit Steinen. Mit Stricken band er zwei Äste zu einem provisorischen Holzkreuz zusammen.
»Ruhe hier in Frieden, bis ich dir eine geweihte Grabstätte geben kann, lieber Vater!«, sagte er mit erstickter Stimme.
Bei der Bestattung gelang es ihm nicht, die Tränen zurückzuhalten. Heinrich hatte auf alles verzichtet, um seinem Findelkind ein besseres Leben zu ermöglichen, doch Falk war nicht einmal die Zeit geblieben, sich angemessen für seine Großmütigkeit zu bedanken. Das hatten die mörderischen Spießgesellen verhindert. Eine ganze Weile stand er auf der sonnenüberfluteten Lichtung und hing seinen Gedanken nach. Als er sich aus seiner Erstarrung löste, wusste er nicht, wie viel Zeit vergangen war. Er hatte vor, zu Graf Steinfeld zu reiten und Rechenschaft zu verlangen. Er hob den Pfeil auf, der Heinrich den Tod gebracht hatte, und hielt ihn in die Höhe.
»Mit diesem Pfeil, der das Leben meines Pflegevaters beendet hat, werde ich gegen den Ruchlosen kämpfen«, gelobte er.
Ein Stöhnen erregte Falks Aufmerksamkeit. Der Gefesselte begann sich zu rühren. Er erlangte das Bewusstsein zurück. Als er seine Lage erkannte, versuchte er seine Fesseln abzustreifen. Es gelang ihm nicht. Falk hatte die Stricke fest angezogen.
»Aha, der Mörder ist wieder zu sich gekommen.«
»Ich bin kein Mörder«, verteidigte sich der Gefesselte.
Falk lachte auf. Er hob das Schwert seines Gefangenen auf und wiegte es in der Hand.
»Was … was hast du mit mir vor?«
»Das ist eine gute Frage, Elender. Wie lautet dein Name?«
»Albert.«
Falk durchschnitt die Stricke. »Du hast einen wehrlosen Menschen getötet, der nichts Schlechtes im Schilde führte, Albert. Er hatte keine Chance, sich gegen den heimtückischen Angriff zu verteidigen. Mit dieser Tat hast du dein eigenes Leben verwirkt.«
Der Waffenknecht wich zurück. »Ich habe den Pfeil nicht abgeschossen.«
»Deine Lügen sind sinnlos. Der Bogen und der Köcher mit den Pfeilen sind an deinem Sattel befestigt. Es ist besser, du stehst zu deiner Tat, statt sie feige abzustreiten.«
»Aber ich habe wirklich nicht geschossen, das schwöre ich«, versicherte Albert. »Kurt hat es getan, weil er ein besserer Bogenschütze ist.«
Falk musterte sein Gegenüber. Der Mann schien die Wahrheit zu sagen. »Dennoch warst du an dem Mord beteiligt. Das spricht dich nicht von einer Mitschuld frei. Wieso habt Ihr auf den wehrlosen alten Mann geschossen?«
»Heinrich war davongelaufen, statt Graf Armin die Dienste zu leisten, zu denen er verpflichtet war. Wir hatten den Auftrag, ihn zu Graf Steinfeld zu bringen. Der Graf wollte ihn als abschreckendes Beispiel öffentlich hängen lassen. Aber Heinrichs Vorsprung war zu groß, deshalb haben wir ihn auf dem Weg hierher nicht eingeholt. Vor der Burg konnten wir ihn nicht entführen. Man hätte uns gesehen.«
»Deshalb habt Ihr beschlossen, ihn zu erschießen?«
»Kurt hat Heinrich aus Angst vor Graf Armin getötet. Der Graf hätte sonst uns die Schuld an seiner Flucht gegeben.«
Es kochte in Falk. Er hatte also richtig vermutet. Graf Armin hatte die beiden Schergen geschickt. Er trug die Schuld an Heinrichs Tod. Ob Graf oder nicht, er durfte nicht ungestraft davonkommen. Falk drehte das Schwert um und reichte seinem Gegenüber die Waffe.
»Nimm es! Du sollst Gelegenheit haben, dein Leben zu verteidigen. Ich töte keinen unbewaffneten Mann, denn ich bin kein feiger Mörder wie du und dein Spießgesell. Ich kämpfe mit dem Pfeil gegen dich.«
»Du Narr!« Albert packte den Griff des Schwertes und führte einen wütenden Streich. »Deine Großherzigkeit wird dich teuer zu stehen kommen.«
Falk duckte sich gedankenschnell. Der tödliche Stahl sauste über seinen Kopf hinweg. Das sofortige Nachsetzen seines Gegners zwang ihn zu einem Ausfallschritt. Falk stolperte über einen Stein und stürzte. Albert warf sich mit erhobener Klinge auf ihn. Seine Augen funkelten siegesgewiss, doch er rechnete nicht mit der Schnelligkeit seines Kontrahenten. Falks Hand zuckte vor und packte den Arm des Angreifers. Es gelang ihm, das Schwert beiseitezuschlagen, bevor es seine Kehle erreichte. Ein Ausdruck ungläubigen Staunens trat in Alberts Gesicht. Röchelnd kippte er zur Seite. Das Schwert entfiel seinen kraftlosen Händen.
Behände sprang Falk auf die Füße. Der Pfeil hatte sich in die Brust des Waffenknechts gebohrt. Ein blutiger Fleck zeichnete sich auf seinem Obergewand ab und wurde rasch größer. Seine Lippen bebten, als er etwas zu sagen versuchte, doch er brachte kein Wort hervor. Ein blutiges Rinnsal lief aus seinem Mundwinkel, bevor sein Blick brach.
»Die gerechte Strafe hat dich ereilt«, murmelte Falk.
Er betrachtete den Toten ohne Mitleid. Durch sein ungestümes Vorgehen hatte Albert sich selbst gerichtet. Falk zog den Pfeil aus der Wunde und säuberte ihn im Gras. Danach legte er den Schergen quer übers Pferd vor den Sattel. Nach einem letzten Blick auf das Grab seines Vaters saß er auf.
*
Er ließ den Wald und die Ländereien Ritter Eberhards hinter sich. Furchtlos setzte er seinen Ritt auf dem Gebiet von Graf Steinfeld fort. Eine Weile folgte er dem Weg, ohne dass ihm ein Mensch begegnete. Erst als er schon weit auf Armins Land vorgedrungen war, gewahrte er in der Ferne drei Reiter, die ihm entgegenkamen. Als sie ihn erreichten, zügelten sie ihre Pferde. Auch Falk hielt inne.
»He, du, wohin des Weges?«, rief ihm einer der Männer entgegen.
Bevor Falk antworten konnte, deutete ein anderer auf den Toten. »Ist das nicht Albert?«
»Ja, das ist er. Was hat das zu bedeuten?«
»Das ist der Bursche, der mit Heinrich zusammensaß«, sagte der Dritte im Bunde.
Falk begriff sofort, wen er vor sich hatte. »Dann bist du also Kurt, der heimtückische Bogenschütze, der einen alten Mann aus dem Hinterhalt ermordet hat.«
»Wie ich das sehe, hast du Albert umgebracht.«
»Ich habe ihn in einem gerechten Zweikampf besiegt«, schmetterte Falk den Vorwurf ab. »Bringt mich zu Graf Steinfeld! Er hat mir Rede und Antwort zu stehen. Mit dir Schuft rechne ich später ab.«
»Was?« Kurts Gesicht verfinsterte sich. »Wer bist du, Bursche, dass du dir solch markige Worte anmaßt? Zieht blank, Männer!«
»Nein, haltet ein! Erfüllen wir dem Burschen seinen Wunsch. Bringen wir ihn in die Burg. Graf Steinfeld wird sich sicher etwas ganz Besonderes für ihn ausdenken.«
»Du hast recht.« Kurt lachte schäbig. »Seine großen Worte werden ihm bald im Munde stecken bleiben, sobald der Graf erfährt, dass er einen unserer Männer getötet hat. Folge uns, Bursche!«
Die Drohung beeindruckte Falk nicht. Er dachte nicht daran, einen Rückzieher zu machen. Wenn es um Gerechtigkeit ging, ließ er sich auch von einem Grafen oder Ritter nicht beeindrucken, schon gar nicht seit er wusste, dass auch er selbst von höherem Geschlecht war. Er schloss sich den drei Reitern an, und wenig später ging es den Hügel hinauf, auf dem Graf Armin seine Trutzburg errichten ließ.
Auf dem Hügel angekommen, sah Falk mit eigenen Augen, wovon sein Vater berichtet hatte. Die neue Burg nahm Gestalt an, weil die hörigen Bauern an ihr arbeiteten, statt ihre Felder zu bestellen. Der Graf zwang sie, und ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. Die Reiter passierten die geknechteten Bauern, die Baumstämme und mächtige Steinquader schleppten. Aufseher überwachten die Arbeit und sorgten dafür, dass niemand ausruhte. Die Ungerechtigkeit entfachte Falks Zorn von Neuem. Er merkte auf, als Kurt zum Ende der Befestigungsmauer deutete.
»Dort ist Graf Steinfeld.«
Als der Graf seinen Namen hörte, zügelte er sein Pferd und wandte sich den Ankömmlingen zu. Seinen Männern schenkte er kaum Beachtung. Dafür musterte er Falk umso intensiver.
»Was gibt es? Wer ist dieser Jüngling?«
»Das ist der Bursche, von dem ich berichtet habe, Herr«, antwortete Kurt. »Er hat Albert getötet und verlangt, mit Euch zu sprechen.«
»Er verlangt?«, brauste der Adlige auf. »Bei allen Teufeln! Gut, dass Ihr ihn erwischt habt.«
»Wir haben ihn gar nicht gefangen genommen. Wir begegneten ihm unterwegs, als er auf dem Weg hierher war. Er hat sich uns bereitwillig angeschlossen, weil er zu Euch wollte.«
»Seltsam. Aber wieso?«
»Ich nehme an, dass er nicht ganz richtig im Kopf ist, Herr.« Kurt tippte sich mit dem Zeigefinger gegen seinen Helm. »Ihm scheint nicht klar zu sein, welchen Verbrechens er sich schuldig gemacht hat, einen eurer Leute zu ermorden. Ich an seiner Stelle wäre nach der Tat geflohen, so schnell mich mein Pferd tragen würde.«
»Dieser dreiste Bursche hat es jedoch nicht getan. Ich frage mich, was er damit bezweckt.«
Falk hatte lange genug zugehört. Um zu demonstrieren, dass er sich nicht einschüchtern ließ, richtete er sich im Sattel auf. »Es ist eben nicht jeder so feige wie Eure Schergen, Graf.«
»Du hast ein großes Mundwerk.«
»In der Tat, Herr, das haben wir unterwegs auch schon gemerkt. Der Bursche lässt sich nicht gern den Mund verbieten.«
»Das werden wir noch sehen. Also, was willst du? Weshalb hast du verlangt, zu mir gebracht zu werden?«
»Der Bauer Heinrich, den Eure Schergen töteten, hat mir nahe gestanden. Ich fordere Euch zum Zweikampf, um seinen Tod zu sühnen«, verlangte Falk.