Falk 4: Für immer verloren? - Achim Mehnert - E-Book

Falk 4: Für immer verloren? E-Book

Achim Mehnert

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Beschreibung

Diese werkgetreue Umsetzung als Roman umfasst den Inhalt des vierten Abenteuers aus den Piccolo-Comicheften 64-89 von Hansrudi Wäscher. - Ein im Sterben liegender Edelmann überreicht Falk und Bingo einen unscheinbaren, alten Dolch. Von da an sind die Freunde ihres Lebens nicht mehr sicher. Gedungene Mörder, die um jeden Preis verhindern wollen, dass der Dolch seinen Bestimmungsort erreicht, heften sich an ihre Fersen. Falk und Bingo geraten in einen Strudel aus Mord und Ränke. Zwielichtige Gestalten wollen den Dolch an sich bringen, denn er ist der Schlüssel zu einem uralten Geheimnis – und zu einem unermesslichen Schatz.

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Seitenzahl: 247

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Originalausgabe November 2015

Charakter und Zeichnung: Falk © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Text © Achim Mehnert

Copyright © 2016 der eBook-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Petershagen

Lektorat: Katja Kollig

Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz

Hintergrundillustration Umschlag: © ihervas - fotolia.com

E-Book-Konvertierung: Thomas Knip | Die Autoren-Manufaktur

ISBN ePub 978-3-86305-197-6

www.verlag-peter-hopf.de

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Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,

Eduardstraße 48, 20257 Hamburg

www.hansrudi-waescher.de

Alle Rechte vorbehalten

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

Inhalt

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

ACHIM MEHNERT

Für immer verloren?

EINS

»Ich finde es großartig, dass du mich ins Land der Heiden begleitest, Falk«, freute sich Bingo.

»Wie könnte ich mir dieses Abenteuer entgehen lassen?«, antwortete der junge Ritter.

Die Freunde ritten am Rande eines Waldstücks entlang, begleitet vom Murmeln und Plätschern eines Flusses. Sonnenlicht badete die malerische Landschaft, über die sich ein wolkenloser, blauer Himmel spannte, in goldenen Schein.

Nach den dramatischen Ereignissen um den Seeadler, Fürst Hochwald und den Jungen Heinrich, in die sie verstrickt worden waren, hatten die Gefährten einige frohe Wochen auf der Burg des Seeadlers zugebracht. Dann jedoch hatte es sie wieder hinausgezogen, neuen Abenteuern entgegen. Das lag vor allem daran, dass Bingo im Morgenland seine Zauberausrüstung vervollständigen wollte.

Falk hatte den gleichermaßen gutmütigen wie kampftüchtigen Gaukler ins Herz geschlossen. Auf den ersten Blick sah man Bingo nicht an, was in ihm steckte. Er war wohlbeleibt und wirkte behäbig, doch dieser Eindruck täuschte. Bingo wusste sich seiner Haut zu wehren und konnte mit den Fäusten austeilen wie kaum ein zweiter. Seit ihrem ersten Zusammentreffen hatten Falk und Bingo zusammen einige Schlachten geschlagen und waren dabei zu Freunden geworden.

»Erzähle mir von diesem sagenhaften Land, aus dem du die Zaubermittel für deine Kunststücke holen willst«, forderte der blonde Ritter seinen Begleiter auf.

»Von Wollen kann keine Rede sein«, sagte Bingo betrübt. »Ich muss. Während der Kämpfe sind das Pulver, mit dem ich Blitze machen kann, und andere Dinge verdorben. Sie sind nicht mehr zu gebrauchen, leider. Doch ohne sie bin ich nur ein kläglicher Gaukler, so wie viele andere meiner Zunft. Du siehst also, mir bleibt gar keine andere Wahl. Erst wenn ich Ersatz besorgt habe, bin ich wieder der große, einmalige …«

»… herrliche, einzigartige und überhaupt der weltgrößte Gaukler«, fiel Falk dem Dicken lachend ins Wort.

»Machst du dich etwa über mich lustig?« Bingo zügelte sein Pferd.

»Keineswegs«, gab der Ritter ohne Furcht und Tadel sanftmütig zurück. »Wie könnte ich es wagen, den großen …«

Diesmal war es Bingo, der ihn nicht aussprechen ließ. »Schon gut. Wechseln wir das Thema. Öffne also deine Ohren für all die Wunderdinge, die ich dir vom Morgenland berichten will. Du musst dir ein Land vorstellen, in dem die Sonne mit unbarmherziger Glut vom Himmel scheint.«

Weiter kam der Dicke nicht. Ein Schrei drang aus dem Wald und erregte die Aufmerksamkeit der beiden Reiter. Das Klirren von Schwertern drang herüber. Hinter der nächsten Wegbiegung wurde gekämpft.

»Vielleicht ein Handelsmann, der von Räubern überfallen wird«, unkte Falk.

Er trieb Donner an. Bingo hetzte auf seinem Vierbeiner hinterher. Ein ungleicher Kampf erwartete die Gefährten. Es war so, wie Falk befürchtet hatte. Drei Männer fielen über einen einzelnen Gegner her. Obwohl er sich nach Kräften gegen ihre Klingen verteidigte, trieben sie ihn vor sich her. Gegen die Übermacht war er verloren, wenn keine Hilfe kam – doch die kam in Form von Falk und Bingo. Der Ritter zog sein Schwert.

»Hände weg von dem Mann, ihr Strauchdiebe!«

Die Köpfe der Angreifer fuhren herum. Mit Hilfe für ihr Opfer hatten sie nicht gerechnet. Der eine Angreifer war blond, ein zweiter braunhaarig und der Dritte hatte wallende schwarze Haare und einen buschigen Schnurrbart. Der Schwarzhaarige überwand seine Überraschung am schnellsten.

»Teufel, das Herrchen bekommt Verstärkung. Aber es sind nur zwei.« Der Wortführer wandte sich an seinen blonden Kumpan. »Mit dem Kerl hier wirst du allein fertig. Wir übernehmen die beiden Ritter.«

Falk stellte sich dem großmäuligen Angreifer mir grimmiger Entschlossenheit entgegen. Seine Klinge sauste nieder und traf auf die seines Gegners. Auch Bingo warf sich entschlossen ins Kampfgetümmel. Gemeinsam drängten sie die Räuber zurück, die rasch begriffen, dass mit den Neuankömmlingen nicht gut Kirschen essen war. Falks Schwert traf den Arm des großmäuligen Wortführers. Mit einem Aufschrei trieb der Schwarzhaarige seine Kumpane an.

»Fort von hier!«

Die Strauchdiebe suchten ihr Heil in der Flucht. Der Mut war ihnen vergangen. Erdreich spritzte unter den Hufen ihrer Reittiere auf, als sie die Vierbeiner zu wildem Galopp antrieben.

»Habt ihr schon genug, ihr Helden?«, schickte Bingo ihnen hinterher. Er war wütend auf die Feiglinge, die lieber gemeinschaftlich über einen Schwächeren herfielen, als den Kampf mit einem ebenbürtigen Gegner aufzunehmen.

»Sie nehmen das Pferd des Überfallenen mit!« So leicht sollten die Lumpen nicht davonkommen. Falk wollte sich an die Verfolgung der Flüchtenden machen, doch ein unterdrücktes Stöhnen ließ ihn Donner zügeln. »Lass sie laufen, Bingo. Der Mann scheint verletzt zu sein.«

Das war er tatsächlich, wie die Freunde feststellten, nachdem sie abgestiegen waren. Der Überfallene kauerte auf dem Boden, mit dem Rücken gegen einen Baumstamm gelehnt. Blut tränkte sein Wams.

»Danke, Fremde«, keuchte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Das Sprechen fiel ihm schwer. »Ich danke Euch für Eure Hilfe, doch sie kam … zu spät.«

»Nicht doch«, wehrte Falk ab. »Lasst mich Eure Wunde ansehen. Ich werde sie verbinden, damit die Blutung endet.«

»Es hat keinen Sinn mehr«, keuchte der Verwundete. »Ich fühle bereits … wie der Tod nach mir greift. Lasst mich Euch … ansehen. Oh ja, Ihr habt … ehrliche Gesichter. Ich muss Euch vertrauen, denn ich habe … keine Zeit mehr zu verlieren.«

Falk wollte beruhigend auf den Unglücklichen einreden, doch er sah ein, dass es vergeblich war. Die Augen des Verletzten verdrehten sich. Es ging zu Ende mit ihm. Nicht einmal die beste ärztliche Kunst konnte ihn vor dem Tod bewahren. Seine Stimme war dünn, als er erneut zum Sprechen ansetzte.

»Wegen dieses … dieses Dolches bin ich überfallen worden. Ich sollte ihn zu … Graf Klaus von Amberg bringen. Es ist sehr … wichtig, dass Graf Amberg ihn erhält. Doch nehmt Euch in Acht vor Graf He…«

Die Worte verklangen und der letzte Atemzug des Unglücklichen verwehte. Sein starrer Blick ging ins Leere. Falk drückte ihm die leblosen Augen zu, während Bingo den Dolch an sich nahm.

»Der arme Kerl ist tot.«

»Friede seit mit ihm«, murmelte Bingo. »Welch ein Unglück! Wären wir nur ein paar Minuten früher eingetroffen, hätten wir ihn vor den Mördern gerettet.«

Falk verdross die Tatsache nicht weniger als seinen beleibten Freund. »Du kennst dich doch ein wenig in dieser Gegend aus. Weißt du, wie weit wir von der nächsten Ortschaft oder der nächsten Burg entfernt sind?«

»Ich weiß es nicht genau.« Der Gaukler schürzte die Lippen. »Mindestens zwei Tagesritte.«

»Dann können wir ihn nicht beerdigen lassen«, sagte der Ritter. »Wir müssen ihn hier begraben. Keine allzu würdige Bestattung für einen Mann, dessen Namen wir nicht einmal kennen, aber uns bleibt nichts anderes übrig.«

*

So gut es ohne Schaufeln möglich war, hoben die Freunde eine flache Grube aus. Schweigend legten sie den Unbekannten hinein und bedeckten ihn mit einer dünnen Erdschicht, auf die sie anschließend Steine wuchteten. Mit dem, was der Wald hergab, zimmerten sie ein einfaches Holzkreuz, das sie am Ende des provisorischen Grabes aufstellten.

»Mehr können wir für seine letzte Ruhe nicht tun«, bedauerte Falk.

»Besser als gar nichts«, erwiderte Bingo. »Und was machen wir nun? Wir stehen hier mit dem Vermächtnis eines Toten. Warum sollte dieser Dolch für den Grafen von Amberg so wichtig sein, wie der arme Kerl behauptet hat?«

Falk zuckte mit den Achseln. »Woher soll ich das wissen? Ich kenne den Grafen nicht, doch der Dolch muss von Bedeutung sein. Ansonsten wäre der Bote, der ihn überbringen wollte, nicht überfallen worden. Die drei Lumpen schreckten vor Mord nicht zurück, um ihn in die Hand zu bekommen.«

»Der Überfall kann auch Zufall gewesen sein und hat vielleicht gar nichts mit dem Dolch zu tun.« Bingo drehte die Enden seines Zwirbelbartes zwischen den Fingerspitzen. »In diesen unsicheren Zeiten sind Überfälle in den Wäldern keine Seltenheit.«

Falk glaubte nicht an einen Zufall. Er ergriff den Dolch und betrachtete ihn von allen Seiten. »Er scheint sehr alt zu sein.«

»Aber wertvoll sieht er nicht aus.«

Dem Ritter fiel ein merkwürdiges Muster an der Waffe auf. »Die Verzierung am Knauf ist seltsam. Sie ist wie ein Auge geformt.«

»Tatsächlich.« Bingo kratzte sich am Schopf. »Dennoch ist sie nicht außergewöhnlich. Ich habe schon Dolche mit wesentlich eindrucksvolleren Verzierungen gesehen. Ich bleibe dabei, dass er nicht besonders wertvoll aussieht.«

Falk stimmte seinem Freund zu. Vielleicht jedoch besaß die Waffe in seiner Hand einen anderen, einen ideellen Wert, der sich dem bloßen Auge nicht erschloss. Möglicherweise handelte es sich um ein altes Erbstück, das nur für den Besitzer von Wert war. Doch wieso dann der heimtückische Überfall? Falk fand keine Antwort auf seine Frage.

»Lass uns weiterreiten«, entschied er.

Die Freunde bestiegen ihre Pferde und setzten den unterbrochenen Ritt fort.

*

»Was hast du mit diesem Unglücksdolch vor?«, wollte Bingo wissen, nachdem das Grab hinter ihnen zurückgeblieben war.

Das stand für Falk fest. »Bei den nächsten Berittenen oder Bauern, denen wir begegnen, erkundigen wir uns nach Graf Amberg. Bevor wir unsere Reise ins Morgenland fortsetzen, bringen wir ihm den Dolch. Es ist unsere Pflicht, den letzten Wunsch des Toten zu erfüllen.«

»Du magst recht haben, doch wenn ich ehrlich bin, gefällt mir dieses Vermächtnis nicht besonders«, entgegnete der Gaukler. »Es kann sein, dass wir eine Menge Zeit verlieren und dass die Pässe verschneit sind, bis wir sie erreichen. Außerdem erinnere ich mich an die Warnung des Sterbenden. Sagte er nicht, wir sollen uns vor irgendwem in Acht nehmen?«

»Ja, vor einem anderen Grafen, dessen Namen er nicht mehr vollständig herausbrachte. Dummerweise habe ich nur die ersten Buchstaben verstanden«, überlegte Falk.

»Richtig, es waren die Buchstaben H und E«, erinnerte sich Bingo. »Graf He… – und wie weiter? Damit kann ich wirklich nichts anfangen.«

»Vielleicht begegnen wir diesem Herrn, dann erfahren wir es.«

Der Gaukler verzog das Gesicht. »Lieber nicht. Die Warnung klang gefährlich in meinen Ohren.«

Da ging es dem Ritter nicht anders, doch davon ließ er sich nicht einschüchtern. Wenn der Tote so viel Angst vor dem Grafen mit dem unvollständigen Namen gehabt hatte, war dieser geheimnisvolle Adlige möglicherweise für den Überfall verantwortlich. In diesem Falle würde Falk gerne ein paar Antworten erhalten.

ZWEI

Am Abend des zweiten Tages erreichten die Gefährten einen gut befestigten Marktflecken. Hohe Wehrmauern mit Wachtürmen umgaben die Ortschaft, die ein wenig oberhalb eines Flusslaufes lag. Eine Holzbrücke führte zum Stadttor hinüber. Jenseits der Dächer und Zinnen erhob sich vor dem dunkelblauen Himmel, der die Nacht ankündigte, eine Anhöhe mit einer Burg.

»Gerade noch rechtzeitig«, stellte Bingo fest, als die Freunde über die Brücke ritten. »Die Wachen wollen das Tor schließen.«

»Haltet ein!«, rief Falk den Bewaffneten zu. Er und Bingo zügelten ihre Pferde. »Wir wollen hinein, bevor die Nacht anbricht.«

Die Männer der Stadtwache blieben im halb offenen Tor stehen und musterten die Ankömmlinge. »Woher kommt ihr und wer seid ihr?«

Bevor Falk antworten konnte, erklang eine dunkle Stimme. »Das sind die beiden, Wache. Ich erkenne sie wieder. Sie haben gestern einen Mann im Wald überfallen.«

Der Ritter stutzte, weil er nicht begriff, was diese Anschuldigung zu bedeuten hatte. Sekunden später trat ein schwarzhaariger Mann mit Schnurrbart aus dem Schatten. Bei seinem Anblick verfinsterte sich Falks Miene.

»Ach nein, sieh an. Ich erkenne dich ebenfalls wieder. Du warst einer der drei Männer, die an dem Überfall auf den Unglücklichen beteiligt waren. Dein Gesicht ist unverkennbar. Außerdem habe ich dich am linken Arm verwundet. Die Schlinge, in der du ihn trägst, verrät dich als einen der Räuber.«

»Es nützt euch nichts, von euren Verbrechen abzulenken und die Schuld auf andere zu schieben«, blaffte der Schwarzhaarige.

Eine der Wachen trat mit vorgehaltenem Spieß vor. »Steigt ab! Verteidigen könnt ihr euch später vor dem Stadthauptmann.«

»So hört doch«, appellierte Falk an die Vernunft der Bewaffneten. »Nicht wir stecken hinter dem Überfall, sondern dieser Mann.«

»Dieser Mann ist ein angesehener Bürger dieser Stadt«, erhielt er zur Antwort. »Was man von euch beiden nicht behaupten kann. Also los, runter von den Pferden. Wird's bald?«

Falk dachte nicht daran, der Aufforderung nachzukommen. »Unter diesen Umständen müssen wir auf die Gastfreundschaft verzichten. Nichts wie weg von hier, Bingo.«

Die Freunde warfen ihre Pferde herum und galoppierten davon, ehe die Wachen reagieren konnten. Wütende Rufe folgten ihnen, doch die konnten Falk und Bingo nicht aufhalten.

*

Der schwarzhaarige Mann mit dem Schnurrbart musste hilflos zusehen, wie die beiden Reiter in die anbrechende Nacht hinaus flohen. Die Stadtwachen standen einfach da und starrten den Fremden hinterher.

»Ihr Trottel!«, schimpfte er. »Ich habe euch hundert Silberstücke gegeben, damit ihr diese Burschen für eine Nacht in den Turm sperrt, ohne dass der Hauptmann etwas davon erfährt. Und was tut ihr? Ihr lasst sie laufen.«

»Was sollten wir denn machen? Mit ihren Pferden sind sie viel zu schnell«, verteidigte sich eine der Wachen. »Sie haben uns glatt überrumpelt. Wir konnten sie nicht aufhalten.«

»Ihr seid zu nichts zu gebrauchen. Lasst euch einsalzen.«

Mittlerweile hatte Dunkelheit über der Ortschaft Einkehr gehalten. Der Schwarzhaarige stieß die Bewaffneten zur Seite und stapfte davon. In einer finsteren Ecke erwarteten ihn zwei Männer.

»Wir haben alles beobachtet«, empfingen sie ihn.

»Umso besser«, schäumte der Schnauzbärtige. »Dann brauche ich nicht lange zu reden. Die Dummköpfe am Tor haben mich schon zu viel Zeit gekostet. Trommelt einige handfeste Burschen zusammen. Wir brechen umgehend auf.«

Die beiden anderen eilten davon, um den Befehl auszuführen.

*

Nachdem die Brücke hinter ihnen zurückgeblieben war, ritten Falk und Bingo in die junge Nacht hinaus. Der Ritter sah sich um. Niemand folgte ihnen.

»Ist dir jetzt klar geworden, dass der Überfall auf den Überbringer des Dolches kein Zufall war?«

»Allerdings«, brummte Bingo. »Die falsche Anschuldigung hätte uns in den Kerker bringen können. Gut, dass wir sofort Reißaus genommen haben. Die Wachen haben diesem Lügner geglaubt. Warum hat er sich uns gezeigt? Wären es gewöhnliche Buschräuber, würde er jedes Aufsehen vermeiden, statt uns auf sich aufmerksam zu machen. Das ergibt keinen Sinn.«

»Wahrscheinlich doch«, widersprach Falk. »Wir erkennen ihn nur nicht. Aus unbekannten Gründen will man verhindern, dass der Dolch zu Graf Amberg gelangt. Es existiert eine Gruppe, die kein Mittel scheut, ihn für sich zu gewinnen.«

»Aber wieso? Wir haben festgestellt, dass er nicht wertvoll ist.«

»Ich kann es dir nicht sagen«, bedauerte der Ritter. »Fest steht, dass wir um unsere Sachen erleichtert worden wären, bevor man uns in den Turm geworfen hätte.«

Bingo nickte. »Richtig, und die Gegenseite hätte den Dolch an sich genommen. Wer immer diese Gegenseite auch sein mag. Die Wache stand auf der Seite dieses schwarzhaarigen Räubers. Der Stadthauptmann hätte uns kein Wort geglaubt. Wie denn auch, ohne Zeugen für unsere Behauptung?«

»Wir schlagen einen Bogen um die Stadt«, entschied Falk, »und übernachten im Freien.«

»Gut«, willigte der Gaukler ein. »Die Nacht ist zwar nicht gerade mild, aber ich ziehe ein Lager unter freiem Himmel dem halb faulen Stroh in einem muffigen Gefängnisturm vor.«

»Still!« Falk legte den Zeigefinger auf die Lippen und lauschte. Hufschlag folgte den Freunden. Er kam schnell näher.

»Mindestens ein halbes Dutzend Reiter«, schätzte Bingo. »Zufall oder Verfolger?«

Eine gute Frage. Falk ließ es nicht darauf ankommen. »Ein nächtlicher Ausritt ist zwar nicht unbedingt verdächtig, aber besser, wir sind vorsichtig.«

Die Freunde zogen sich hinter ein Gebüsch zurück, wo sie vor Blicken von der Straße geschützt waren. Es dauerte nicht lange, bis sie Stimmen vernahmen. Eine Gruppe Pferde schälte sich aus der Dunkelheit. Falk zählte acht oder neun Reiter. In der Dunkelheit war es nicht genau zu erkennen.

»Alles halt!«, schallte es herüber. »Zügelt die Pferde! Gleich geht der Mond auf, dann können wir die Straße weit übersehen.«

»Bist du sicher, dass sie diese Straße genommen haben?«

»Zumindest sind sie in diese Richtung geritten. Auf dem Weg hierher gab es keine Abzweigung. Vermutlich sind wir noch auf der richtigen Fährte.«

Keine zwanzig Schritte von den Freunden entfernt verharrten die Häscher, nicht mehr als eine graue Masse in der Dunkelheit. Falk flehte inständig, dass sein und Bingos Vierbeiner sich ruhig verhielten. Das leiseste Schnauben, und sie waren verraten.

Tatsächlich erhob sich kurz darauf der Mond über den Baumwipfeln. Die volle, gelbe Scheibe warf Licht in die Gesichter der Verfolger. Falk erkannte den schwarzhaarigen Intriganten wieder. Er führte die Schar Männer an.

»Die Straße liegt verlassen vor uns«, sagte einer von ihnen. »Der Mond tut sein Bestes, aber ich kann die Burschen nicht entdecken.«

Der Schwarzhaarige beugte sich vornüber und suchte den Boden nach Abdrücken ab. »Dafür habe ich etwas anderes entdeckt. Seht euch den Boden an. Hier ist noch vor Kurzem jemand entlanggekommen. Frische Spuren. Sie führen dort entlang.«

Hinter die Büsche. Falk begriff sofort, dass ihr Versteck keines mehr war. »Reite auf der Straße weiter, Bingo. Ich folge dir so schnell wie möglich.«

»Aber wieso …?«

Der Ritter ließ seinen Begleiter nicht ausreden. Er zog sein Schwert und hob es. Die Klinge glänzte im Mondlicht. Mit einem entschlossenen Schenkeldruck trieb er Donner an, der mit einem gewaltigen Satz aus dem Gebüsch sprang. Verwirrt fuhren die Verfolger herum. Der Augenblick der Überraschung genügte Falk, um mitten in ihre Reihen zu dringen.

Schreiend trieb er die Pferde der Häscher auseinander, wobei er mit der flachen Klinge um sich schlug. Die dicht beieinander stehenden Tiere bäumten sich auf, die Reiter behinderten sich gegenseitig. Die Männer flogen aus den Sätteln, schimpfend und fluchend.

»Los, verschwindet schon!«, trieb Falk die Vierbeiner an. »Macht, dass ihr wegkommt.«

In wildem Galopp donnerten die verschreckten Pferde der Räuber davon. Der Schwarzhaarige stürzte zu Boden und überschlug sich. Schneller als seine Männer rappelte er sich wieder auf, doch nicht schnell genug. Bis er wieder auf den Füßen war und sein Schwert gezogen hatte, preschte Falk bereits die Straße entlang.

*

Umständlich kamen die Verfolger auf die Beine. Ungläubig sahen sie sich um. Verängstigt von dem plötzlichen Überfall hatten ihre Pferde das Weite gesucht. Die Männer waren ohne Reittiere.

»Diese Teufel haben sich die ganze Zeit im Gebüsch verborgen«, zeterte einer von ihnen. »Sie waren nur ein paar Meter von uns entfernt. Die verdammten Kerle haben uns übertölpelt.«

»Spar deinen Atem«, wies der Anführer ihn zurecht. »Du brauchst ihn, um nach den Pferden zu pfeifen.«

»Ich bin schon dabei.«

Es dauerte nicht lange, bis die Reiter ihre Tiere eingefangen hatten. Die Pferde waren gut abgerichtet und folgten den Rufen ihrer Herren.

»Aufsitzen!«, polterte der Anführer. »Beeilt euch, wir haben schon genug Zeit verloren.«

»Hoffentlich nicht schon zu viel Zeit. Die beiden haben bereits einen großen Vorsprung.«

»Kaum«, widersprach der Schwarzhaarige. »Sie sind fremd hier und kennen sich nicht aus. Daher werden sie auf der Straße bleiben. Wir schwenken vor dem Wald links ab und reiten querfeldein über den Hügel. So sparen wir Zeit und holen die Burschen wieder ein. Sie werden sich wundern, wenn wir auf einmal vor ihnen sind statt hinter ihnen.«

Die Verfolger trieben ihre Vierbeiner an. Sie wandten sich von der Straße ab und vertrauten auf die Abkürzung über die Anhöhe.

*

Es würde eine Weile dauern, bis die Häscher ihre Pferde wieder eingefangen hatten, überlegte Falk. In gestrecktem Galopp ritt er hinter Bingo her. Es dauerte nur Minuten, bis er den Dicken einholte.

»Das war ziemlich tollkühn«, empfing Bingo den Ritter. »Es hätte auch schiefgehen können.«

»Ist es aber nicht. Die Räuber waren so überrascht, dass an Gegenwehr nicht zu denken war. Bevor sie begriffen, woran sie waren, lagen sie schon im Staub der Straße.«

»Wir haben sie also abgeschüttelt?« Der Gaukler warf einen skeptischen Blick über die Schulter.

»Ich hoffe es.«

Bingo seufzte. »Hätten wir den Boten mit dem Dolch doch nur nie getroffen! Unsere Hilfsbereitschaft beschert uns eine Menge Ärger. Eines Tages wird sie uns noch zum Verhängnis werden. Wenn wir das nächste Mal durch einen Wald reiten, stopfe ich mir vorher die Ohren zu.«

»Dann fang schon mal damit an.« Falk streckte einen Arm aus. »Vor uns stehen die Bäume dichter. Die Straße führt geradewegs in einen Wald hinein.«

»Womit habe ich das nur verdient?«, jammerte Bingo. Er griff an seine Ohren, ließ die Hände aber gleich wieder sinken. »Besser doch nicht die Ohren verstopfen. Wie soll ich sonst hören, ob uns die Räuber folgen?«

»Eine kluge Entscheidung, mein Freund.« Falk lächelte. »Ich glaube jedoch nicht, dass sie die Verfolgung fortsetzen. Bestimmt haben sie ihre Energie beim Einfangen der Pferde verbraucht.«

Falk ahnte nicht, wie sehr er sich irrte.

*

Die Verfolger kamen zügig voran. Unter ihnen erstreckte sich das dichte Blätterdach des Waldes. Die volle Scheibe des Mondes zeigte ihnen den Weg. Trotz der Steigung wies das Gelände kaum Bodenunebenheiten auf. Die Pferde bewältigten den Anstieg, ohne an Kraft einzubüßen. Auf der Hügelkuppe hielten die Reiter kurz inne.

»Sie haben den Wald noch nicht verlassen.« Der schwarzhaarige Wortführer beobachtete die Straße, die zwischen den dicht stehenden Bäumen hervortrat. »Los, weiter! Vielleicht schaffen wir es sogar noch, uns im Gebüsch am Weg auf die Lauer zu legen, bevor sie hier sind. Diesmal sind wir es, die ihnen eine Überraschung bereiten. Das wird ihnen gar nicht gefallen.«

Die Schar setzte ihren Ritt fort. Einer der Männer wandte sich an den Anführer.

»Diese ganze Aufregung wegen eines alten Dolches, den Graf Amberg nicht bekommen soll. Weißt du eigentlich, was es damit auf sich hat?«

Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. »Nein, keine Ahnung, aber es ist mir auch egal. Wir haben unseren Auftrag und der wird gut bezahlt. Das genügt mir. Wer viele Fragen stellt, bekommt viele Antworten – und manchmal einige Zoll Eisen zwischen die Rippen. Darauf lege ich keinen Wert. Du etwa?«

»Nein. Ich frage gar nicht mehr. Du hast recht, alles was zählt, ist die Bezahlung.«

*

Der Ritt der Freunde führte immer tiefer in den Wald hinein. Ohne das Mondlicht wäre es stockfinster gewesen. Hin und wieder drang der Ruf von Nachtvögeln durch die Stille, was Bingo jedes Mal ein missmutiges Stirnrunzeln entlockte.

»Wenn wir wenigstens wüssten, wo wir diesen Grafen Amberg finden können.«

»Ich bin sicher, im nächsten Dorf erfahren wir es«, vertröstete Falk den Dicken. »Bisher sind wir nicht von der Richtung abgewichen, die der Bote mit dem Dolch eingeschlagen hatte. Du wirst sehen, wir sind auf dem richtigen Weg.«

»Ich wünschte, es wäre schon so weit. Wenn sich Wolken vor den Mond schieben, brechen wir uns den Hals«, murrte Bingo.

»Der Himmel ist fast wolkenlos. Außerdem lichtet der Wald sich da vorne.«

»Endlich.« Der Gaukler atmete erleichtert auf. »Offenes Land ist mir in unserer Lage lieber. Im Geiste sehe ich hinter jedem Baum einen Dunkelmann, der uns den Dolch abnehmen will. Ich verstehe immer noch nicht, was so Besonderes daran ist, dass sogar für ihn gemordet wurde. Vielleicht bedeutet er eine wichtige Botschaft. Ich habe einmal eine Geschichte gehört. Jemand, der einen Aufstand plante, ließ das Datum zum Zuschlagen auf eine Dolchklinge gravieren und ihn dann zu seinen Vertrauten schmuggeln.«

»Eine Geschichte«, wehrte Falk ab. »Vielleicht ist sie wahr, vielleicht auch nicht. Jedenfalls bringen uns solche Mutmaßungen nicht weiter. Wir erfüllen das Vermächtnis des Toten und damit hat es sich.«

»Wenn es nur so einfach wäre«, murmelte Bingo. »Leider habe ich das Gefühl, dass wir unser Ziel noch lange nicht erreicht haben.«

*

Inzwischen hatten die Verfolger den Spieß umgedreht. Sie lauerten hinter dichtem Gestrüpp und warteten auf ihre vermeintliche Beute. Endlich erklang Hufschlag und zwischen den letzten Bäumen tauchten zwei Berittene auf.

»Da sind sie«, raunte der Schwarzhaarige seinen Männern zu. »Wir hängen uns an die Zügel ihrer Pferde. Ihr anderen passt auf, dass sie nicht zum Hügel hin ausbrechen.«

»Keine Sorge. Diesmal erleben die beiden eine böse Überraschung.«

»Das will ich euch raten. Erneut entkommen mir diese Vögel nicht. Also legt euch ins Zeug, Männer. Denkt an die Belohnung, die wir erhalten, wenn wir den Dolch an uns bringen.«

Die Aussicht auf das Geld verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Reiter hatten den ursprünglichen Überbringer des Dolches getötet. Es machte ihnen nichts aus, zwei weitere unliebsame Zeugen umzubringen, um an ihr Ziel zu gelangen.

Der Wald blieb hinter den beiden Burschen zurück. Sie sahen sich nicht einmal um, weil sie sich sicher fühlten. Sie gingen davon aus, ihre Verfolger abgeschüttelt zu haben. Ein Irrtum, den sie bitter bereuen sollten!

»Jetzt!«, gab der Anführer den Befehl zum Angriff. »Vorwärts!«

*

Die Angreifer sprangen zu Fuß zwischen den Büschen hervor. Ihre erhobenen Schwerter ließen keinen Zweifel an ihren Absichten. Falk und Bingo hatten kein besseres Schicksal zu erwarten als der tote Bote. Gedankenschnell zog der Ritter seine Klinge.

»Bei allen guten Geistern – sie haben uns überlistet. Wehr dich, Bingo!«

»Das brauchst du mir nicht zu sagen.« Auch der Gaukler zog sein Schwert. Trotz seiner Körperfülle war er schnell und geschickt.

Gemeinsam verteidigten sich die Freunde gegen die Angreifer. Schwerterklirren klang durch die Nacht, als Stahl auf Stahl schlug. Falk streckte einen Angreifer nieder, Bingos Fußspitze traf einen zweiten vor die Brust und warf ihn von den Beinen. Nebeneinander brachen die Gefährten durch die Reihen ihrer Gegner. Vor ihnen erstreckte sich ein modriger Tümpel.

»Hindurch, Bingo!«, trieb Falk den Dicken an.

Wasser spritzte auf, als sie der bewaffneten Übermacht zu entkommen versuchten. Hinter ihnen gellten Schreie.

»Auf die Pferde! Weiter als bis zum Sumpf können sie nicht fliehen. Dort bekommen wir sie zu fassen!«

»Die Kerle haben recht«, unkte Bingo. »Diesmal erwischen sie uns. Der Boden wird sumpfig. Wenn wir weiterreiten, versinken wir.«

»Hier nicht«, stellte Falk fest. Donner fand sicheren Tritt. »Komm herüber! Hier ist ein Knüppeldamm.«

Bingo folgte der Anweisung. Das schmatzende Gewässer blieb hinter ihm. »Kannst du erkennen, wohin der Damm führt?«

»Zu einer Burg.«

Schnell enthüllte das Mondlicht Einzelheiten. Vor den Gefährten erhoben sich die Mauern einer verfallenen Wasserburg.

»Sieh das Licht im Turm! Die Burg ist bewohnt. Das könnte unsere Rettung sein.«

Oder auch nicht. Falk traute dem Braten nicht. Hatte man sie womöglich mit Absicht in diese Richtung getrieben, weil dort eine weitere Gefahr lauerte? Auszuschließen war es nicht, doch nun gab es kein Zurück mehr. Die Bohlen führten zum Burgtor. Aus der Nähe waren die Schäden am Gemäuer noch deutlicher zu sehen. Löcher prangten in der Mauer und Teile der Zinnen waren herabgestürzt.

»Merkwürdig, Bingo. Das Tor steht sperrangelweit offen.«

»Umso besser für uns«, frohlockte der Gaukler. »Schnell hindurch! Wir schließen das Tor, bevor die Räuber uns einholen.« Beim Einreiten in die Burg bemerkte Bingo, dass die Häscher ihre Verfolgung abbrachen. »Sie bleiben zurück.«

»Was?« Falk warf einen Blick über die Schulter. »Tatsächlich. Dafür finde ich nur eine Erklärung. Die Räuber sind nicht mit den Bewohnern der Burg befreundet. Wir haben wirklich Glück, denn dadurch dürfen wir uns Schutz erhoffen.«

*

Der Schwarzhaarige hob eine Hand, um seine Männer zum Anhalten zu bewegen. Ein hämisches Grinsen huschte über sein Gesicht. Die beiden Flüchtenden ritten, um dem Sumpf zu entgehen, genau auf das Burgtor zu. Diese Narren ahnten nicht, was sie in der Burg erwartete.

»Gut, dass wir ihnen jeden Fluchtweg außer diesem einen abgeschnitten haben«, freute er sich. »Sie reiten direkt in ihr Verderben.«

»Genau.« Der Mann an seiner Seite lachte laut. »Ausgerechnet in der alten Geisterburg suchen sie Schutz. Keiner von unseren Leuten wäre so dumm.«

»Das beweist nur, was ich gesagt habe. Sie kennen sich in der Gegend nicht aus. Gut für uns. So bekommen wir den Dolch ohne Kampf.«

Der Anführer merkte, dass seiner Gefolgschaft in der Nähe der Geisterburg nicht wohl in ihrer Haut war. Er konnte es den Männern nicht verdenken, denn in den alten Mauern trieb ein unheimlicher Spuk sein Unwesen. Es gab einige Berichte, die nichts Gutes verhießen – von Reisenden, die in der Burg Einkehr gehalten hatten und als Wahnsinnige wieder herausgekommen waren. Manche wurden angeblich nie wieder gesehen.

Der Mann mit dem Schnurrbart gab sich einen Ruck. Er wollte nicht, dass die anderen merkten, was in ihm vorging.

»Haltet euch bereit«, verlangte er mit fester Stimme. »Es wird nicht lange dauern, bis die beiden Dummköpfe wieder herauskommen, vor Entsetzen schreiend und mit verwirrtem Geist. Sie werden den Dolch freiwillig herausrücken.«

*

Die Freunde sprangen von ihren Pferden, schlossen das Burgtor hinter sich und verriegelten es. Ein letzter Blick nach draußen bestätigte ihre Vermutung. Die Häscher wagten sich nicht näher heran. Unschlüssig verharrten sie am Anfang des Knüppeldamms. Falk sah sich um. Der Innenhof war völlig verwahrlost, die Gebäude in einem beklagenswerten Zustand. Der Zahn der Zeit hatte gierig an der Burg genagt. Überall lagen heruntergestürzte Trümmer. Der Geruch von morschem, fauligem Holz drang in die Nase des Ritters.

»Nicht besonders einladend«, meckerte Bingo.

»Sei froh, dass wir diese Zuflucht überhaupt gefunden haben.« Falk hob die Stimme. »Hallo, ist hier jemand? Ich bitte um Verzeihung für unser stürmisches Eindringen, aber uns blieb keine andere Wahl. Wir wurden von Strauchdieben verfolgt.«

Vergeblich lauschten die Freunde auf eine Antwort. Nur das leise Säuseln des Windes war zu hören. Falk fand das Verhalten des Burgherrn merkwürdig.

»Wieso antwortet er nicht?«

»Nicht nur das ist eigenartig«, sagte Bingo. »Das Licht im Turm ist erloschen. So als habe der Herr der Burg Angst. Vielleicht ist er allein und verbirgt sich, weil er uns für Räuber hält, die ihm ans Leben wollen.«