Fallen One. Das Zeichen der Engel - Cosima Lang - E-Book
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Fallen One. Das Zeichen der Engel E-Book

Cosima Lang

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Beschreibung

**Eine Liebe zwischen Himmel und Hölle** Amicia hadert seit jeher mit ihrem Schicksal: als gefallener Engel für immer auf der Erde bleiben zu müssen. Bis plötzlich ein Bote des Himmels vor ihr steht und ihr die einmalige Chance gibt, in ihr früheres Dasein zurückzukehren. Der Engel verlangt nichts Geringeres, als dass Amicia den Teufel persönlich bestehlen soll. Obwohl ihr die Aufgabe nicht ganz geheuer ist, willigt sie schließlich ein. Denn Lucifer wirkt zwar unbezwingbar, doch selbst der Herr der Hölle muss eine Schwäche haben. Und der Schlüssel zur Lösung scheint ausgerechnet in Amicias Herzen zu liegen … Begleite Amicia in die Welt der Dämonen und Engel Ein waghalsiger Auftrag und eine verbotene Anziehung zwischen Himmel und Hölle. Der neue Fantasy-Roman von Cosima Lang verspricht fesselnde Spannung und gefühlvolles Kribbeln bis zur letzten Seite. //»Fallen One. Das Zeichen der Engel« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//  

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Impress

Die Macht der Gefühle

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Cosima Lang

Fallen One. Das Zeichen der Engel

**Eine Liebe zwischen Himmel und Hölle**Amicia hadert seit jeher mit ihrem Schicksal: als gefallener Engel für immer auf der Erde bleiben zu müssen. Bis plötzlich ein Bote des Himmels vor ihr steht und ihr die einmalige Chance gibt, in ihr früheres Dasein zurückzukehren. Der Engel verlangt nichts Geringeres, als dass Amicia den Teufel persönlich bestehlen soll. Obwohl ihr die Aufgabe nicht ganz geheuer ist, willigt sie schließlich ein. Denn Lucifer wirkt zwar unbezwingbar, doch selbst der Herr der Hölle muss eine Schwäche haben. Und der Schlüssel zur Lösung scheint ausgerechnet in Amicias Herzen zu liegen …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

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© HelmutKirch

Cosima Lang entdeckte früh ihre Leidenschaft für Bücher, insbesondere für Fantasy- und Liebesromane. Nach ihrem Abitur begann sie selbst zu schreiben. Fremde Welten und Magie bieten ihr die Möglichkeit, aufregende Abenteuer und Mysterien zu erleben und starke Heldinnen und Helden zu erschaffen. Cosima Lang studiert Germanistik und Anglistik in Düsseldorf.

KAPITEL EINS – EIN EINMALIGES ANGEBOT

Dicke Regentropfen klatschten auf die Straße. Die grauen Wolken hatten die Stadt schon seit einigen Tagen im Griff, kein Sonnenstrahl bahnte sich einen Weg durch die Düsternis. Berlin wurde von einem gewaltigen Sturm heimgesucht.

Eine scharfe Windböe riss an Amicias Kleidung, als sie aus der Tür trat. Sie zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und eilte, so schnell sie konnte, die Straße entlang. Bis sie in der U-Bahnstation ankam, waren ihre Jacke und Hose komplett durchnässt.

Die heiße Luft brannte ihr unangenehm auf der Haut, an der Treppe schlug ihr der Gestank von Urin und Erbrochenem entgegen. Wie jeden Freitagabend war viel los, junge und alte Menschen verbrachten die halbe Nacht außerhalb ihrer vier Wände.

Als die Bahn mit laut quietschenden Bremsen einfuhr, drängte sie sich zusammen mit vielen anderen durch die enge Tür.

Unauffällig beobachtete Amicia ein paar Jugendliche, die in der Nähe saßen. Sie unterhielten sich lautstark, hatten Bier in der Hand und genossen den Abend. Ihnen machte das schlechte Wetter nichts aus.

Amicia wandte den Blick ab und starrte hinaus in die Dunkelheit des U-Bahntunnels. Die Stimmen um sie herum und das Rauschen der Bahn vermischten sich zu einem Hintergrundsurren, das sie schläfrig machte.

Ein plötzliches lautes Lachen riss sie auf ihrem Halbschlaf.

Eines der Mädchen saß jetzt auf dem Schoß eines Jungen, die beiden blickten sich verliebt an.

Amicia warf ihnen einen sehnsüchtigen Blick zu. Wie schön es sein musste, Freunde zu haben, verliebt zu sein. Seine Ängste und Wünsche mit jemandem teilen zu können, der immer für einen da war.

Erschrocken über ihre eigenen Gefühle zuckte sie zusammen. War sie nach den vielen Jahrhunderten nun doch so menschlich geworden? Sehnte sie sich jetzt auf einmal nach menschlicher Nähe, der sie bisher aus dem Weg gegangen war? Hatte sie inzwischen schon vergessen, wer sie wirklich war?

Mehrmals schüttelte sie den Kopf. In Wirklichkeit sehnte sie sich nur nach ihrem Zuhause. Gerade jetzt, so kurz vor dem Jahrestag ihres Sturzes, vermisste sie die Goldene Stadt.

Es regnete noch stärker, als sie an ihrer Haltestelle ausstieg. Kleine Sturzbäche aus Regenwasser strömten auf die Gullis zu und rissen Zeitungen und Müll mit sich in die Tiefe. Kurzzeitig erhellte ein Blitz die Nacht, gefolgt von Donnergrollen. Die Lichter der Stadt spiegelten sich in den großen Pfützen, die Menschen rannten, so schnell sie konnten.

Amicia ließ sich Zeit. Ihre Schicht begann erst in zehn Minuten und viel nasser konnte ihre Kleidung sowieso nicht mehr werden.

Ihr Pessimismus regte sie auf. Nach mehr als sechshundert Jahren sollte sie doch langsam drüberstehen.

Das grelle Neonlicht des Späti-Schildes strahlte ihr im Dunkel der Nacht entgegen, als sie pünktlich um fünf vor neun durch die Tür trat. Das leise Klingeln der Türglocke wurde von der lauten Musik im Inneren geschluckt.

Lexi, die junge Frau, die die Spätschicht hatte, hörte immer viel zu laute grässliche Musik. Aber den wenigen Gästen, die sich gerade im Kiosk drängten, schien das nichts auszumachen.

Zur Begrüßung nickte Amicia ihr kurz zu und ging dann schnell in das kleine Hinterzimmer, wo sie ihre Sachen ablegte. Unter ihrer Jacke bildete sich eine Pfütze aus Wasser, ihre Tasche landete lieblos in der Ecke.

Als sie wieder nach draußen kam, kassierte Lexi gerade ein junges Pärchen ab. Sie blickte Amicia nicht an und sagte auch kein Wort zu ihr. Die Menschenfrau konnte sie nicht sonderlich leiden, das wusste Amicia genau.

Vielleicht lag es daran, wie unterschiedlich sie waren. Lexis bunte Haare standen im Kontrast zu Amicias hellblonder Lockenpracht. Lexis dunkelbraune Augen waren immer von viel Kajal betont, während Amicia meist auf Make-up verzichtete. Der ganze Körper der Menschenfrau war bedeckt mit Tattoos, die ihr ganzes Leben zeigten, während Amicia nichts von sich preisgab.

Hinter ihrem Rücken nannte Lexi Amicia immer einen Roboter. Vielleicht hatte sie damit auf eine gewisse Art recht. Amicia kam zur Arbeit, erledigte ihren Job und verschwand wieder. Sie suchte keinen Kontakt zu ihren Kollegen oder den Gästen. Sie war einfach nur da.

Die Arbeit im Kiosk war nicht sonderlich anspruchsvoll oder aufregend. Es waren jeden Tag derselbe Trott, dieselben Aufgaben und Abläufe, nur von neuen Gästen unterbrochen. Seufzend ergab Amicia sich dieser Routine.

Lexi zählte das Geld in der Kasse, packte ihre Sachen und verschwand dann einfach. Für einige Minuten war Amicia tatsächlich allein im Laden. Sie schaltete die dröhnende Technomusik ab und machte stattdessen das Radio an. Nachdem sie das Geld in der Kasse noch einmal nachgezählt hatte und sichergegangen war, dass alles stimmte, schlenderte sie ins Hinterzimmer und überprüfte, ob die Kameras funktionierten. Dieselben Handgriffe wie an jedem Abend, derselbe immer gleichbleibende Trott.

***

Die Nacht schritt voran, Leute kamen rein, kauften und verschwanden. Amicia gab Zigaretten aus, füllte die Regale und führte flüchtigen Small Talk mit den Kunden.

Inzwischen war Amicia seit fast drei Jahren in Berlin, nachdem sie Budapest nach beinahe einem Jahrzehnt verlassen hatte. Und seit einem Jahr arbeitete sie nun in diesem Kiosk. Ihr Leben, wenn man es denn so nennen wollte, war eintönig und leer.

Vielleicht war das Teil ihrer Strafe. Dass sie niemals etwas wie Glück und Zufriedenheit erfahren durfte. Oft hatte sie es versucht, nach Freunden gesucht, sich ein Zuhause aufgebaut, doch jedes Mal war es wieder in die Brüche gegangen. Vor etwa einem Jahrhundert hatte sie es dann endgültig aufgegeben.

Die Türglocke riss sie aus ihren Gedanken. Ein älterer Herr betrat den Kiosk und er passte so gar nicht in dieses Umfeld, vor allem nicht an einem Freitag um kurz nach Mitternacht.

»Eine Packung Marlboro Rot«, bestellte er mit kratziger Stimme. Seine weißlichen Augen huschten durch den Raum, nur kurz streifte er Amicia.

Mit einem freundlichen Lächeln reichte sie ihm die Packung, sprach aber ansonsten kein Wort. Als er Amicia das Geld reichte, berührte er ihre Hand für eine Sekunde.

Wie ein Blitz trafen sie die Bilder. Eine jüngere Version des Mannes, wie er in einem ähnlichen Kiosk wie hier den Kassierer mit einer Knarre bedrohte. Seine Zeit im Gefängnis und wie er dort zu Gott gefunden hatte. Und der Tod seiner geliebten Frau, bei dem er den Glauben wieder verloren hatte.

Mit einem Ruck tauchte Amicia aus der Vision wieder auf. »Gott steht immer an unserer Seite. Vertrauen Sie weiter auf ihn«, hörte sie sich selbst sagen, bevor sie es verhindern konnte.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte der Mann sie an. Ohne ein Wort nahm er sich seine Zigaretten und das Wechselgeld und verschwand aus dem Kiosk.

Genervt rieb Amicia sich die Stirn, denn diese Vision waren ein Überbleibsel ihres Engeldaseins. Ab und an, wenn ein Mensch offen war, konnte sie in seine Seele schauen und dort die Wahrheit sehen. Ein so tiefer Einblick war mitunter grausam und schmerzhaft für beide Parteien.

Seufzend schüttelte Amicia den Kopf und band sich die Haare zu einem hohen Dutt zusammen. Die Erinnerungen des Mannes klebten an ihrem Körper und Geist und ließen sie nicht mehr los. Wenn sie zu Hause war, musste sie erst mal heiß duschen.

Jetzt begann die einsame Zeit der Nacht. Diese paar Stunden vor Sonnenaufgang, in denen die Stadt beinahe ruhig war. Normalerweise war Berlin voll, dreckig und laut. Die Menschen waren mit sich selbst beschäftigt und unhöflich. Aber in diesen wenigen Stunden schien alles erträglich.

Sie räumte neue Chips ins Regal, als sie es auf einmal spürte. Es fühlte sich an, als hätte jemand eine einzelne Geigensaite gezupft. Ein leiser, feiner Klang, der durch die Luft schwebte und ihren Körper zum Schwingen brachte.

Eine einzelne winzige weiße Feder segelte neben ihr zu Boden. Mit zittrigen Fingern nahm Amicia sie hoch. Weich und warm fühlte sie sich zwischen ihren Fingern an.

Mehrmals blinzelte sie, doch die Feder war immer noch da. Ihr Herz fing an schneller zu schlagen. Konnte es wirklich sein? Hatte man sie erhört?

»Guten Abend, Amiciell«, erklang eine warme, rauchige Stimme hinter ihr. Erschrocken wirbelte Amicia herum und fand sich Auge in Auge mit einem Engel.

Seine strahlend weißen Flügel hoben sich extrem von dem schmutzigen Inneren des Kiosks ab. Er trug die übliche helle und luftige Kleidung der Goldenen Stadt, an seiner Hüfte hing ein einzelner silberner Dolch, der ihn als Krieger auswies.

Stahlgraue Augen strahlten ihr aus einem kantigen, attraktiven Gesicht entgegen, die langen Dreadlocks wurden von einem Lederband zusammengehalten. Seine schokoladenbraune Haut war makellos, so wie alles an ihm.

»Faniell. Was tust du hier?« Amicia hatte endlich ihre Stimme wiedergefunden. Es war so seltsam, ihren alten Freund hier zu sehen und ihren göttlichen Namen zu hören. Tausende Erinnerungen wollten ihren Verstand überschwemmen, doch sie drängte sie zurück. Mit zittrigen Knien richtete sie sich vom Boden wieder auf, wobei sie unauffällig die Feder in ihrer Jeanstasche verschwinden ließ.

»Ich habe nach dir gesucht«, sprach er melodisch weiter. Langsam trat er einen Schritt auf sie zu. »Wie geht es dir?«

Schnaubend wich sie einen Schritt zurück. Was für eine dumme und unsinnige Frage. »Wie soll es mir schon gehen? Ich bin immer noch gefallen, nicht wahr?« Der Schmerz und die Wut in ihrer Stimme waren klar zu hören.

Der Engel schenkte ihr ein trauriges Lächeln. »Ja, Schwester. Leider bist du immer noch eine Ausgestoßene. Du wirst es mir sicher nicht glauben, aber viele von uns bedauern es, dass du nicht mehr bei uns bist.«

Ihre kurze Wiedersehensfreude zersprang wie dünnes Glas, die Wahrheit bohrte sich schmerzhaft in ihre Seele. »Du hast recht. Ich glaube dir kein Wort. Würde ich euch irgendetwas bedeuten, dann hätte sich einer von euch mir mal gezeigt. Einmal gefragt, wie es mir geht. Und mich nicht im Dreck liegen lassen.«

»Du kennst die Regeln.« In Faniells Stimme schwang eine gewisse Trauer mit. »Es ist uns nicht erlaubt, uns einzumischen. Nicht einmal bei dir. Ansonsten hätten wir versucht dir zu helfen.«

Gern wollte sie ihm glauben. Vielleicht würde diese Vorstellung ihre Wunden heilen, die Situation etwas besser machen, aber am Ende war es nur eine Lüge, die sie sich selbst erzählte.

»Und wieso bist du dann jetzt hier? Gefallen bist du ganz sicher nicht.«

Der andere Engel war ein hoch angesehener Bewohner der Goldenen Stadt. Er stand im engen Kontakt zu den Erzengeln. Gerüchten zufolge hatte er sogar schon einmal mit Gott selbst gesprochen.

»Nein, das bin ich nicht. Aber ich bin auf Geheiß des Herrn und der Erzengel hier«, erklärte er langsam.

Hoffnung flutete Amicias Herz, bevor sie es verhindern konnte. Ihr Puls raste. »Worum geht es?«

Anstatt ihr zu antworten, blickte Faniell sich im Kiosk um. »Sieht so dein Leben aus?«

»Glanz und Gloria der Goldenen Stadt sind nicht unbedingt hier unter den Menschen zu finden. Ich überlebe. So gut ich nun einmal kann.« Ein wenig schämte sie sich, dass er sie hier gefunden hatte. Den Glanz des Himmels hatte sie schon vor langer Zeit verloren und nun war nichts mehr von ihr übrig außer der traurigen menschlichen Maske.

»Es tut weh zu sehen, wie ein so loyaler Engel so leben muss.« Faniell schüttelte den Kopf.

»Ich bin kein Engel mehr. Und meine Loyalität hat mich auch nicht beschützt.« Die Worte kamen härter aus ihrem Mund als beabsichtigt.

»Deine Wut kann ich sehr gut verstehen, Amiciell.«

Mit ihrem alten Namen angesprochen zu werden, erinnerte sie daran, dass sie wissen wollte, weshalb Faniell zu ihr gekommen war. Sie konnte sich nicht von seinem freundschaftlichen Geplänkel ablenken lassen. »Was willst du nun hier?«

»Ich wurde zu dir geschickt. Es gibt vielleicht eine Möglichkeit, deinen Fall rückgängig zu machen.«

Diesmal gaben ihre Knie wirklich unter ihr nach. Schnell hielt sie sich an einem der Regale fest. Zu viele Gedanken rasten auf einmal durch ihren Kopf und sie wusste nicht, wie sie sich fühlen sollte. »Wie?«

»Weißt du, was der Morgenstern ist?«

Der Engel meinte sicher nicht den Himmelskörper. Also blieb nur noch eins. »Meinst du Lucifer? Den Goldenen Prinzen?«

»Beinahe.«

Langsam begann Faniell im Laden auf und ab zu schreiten. Sein neugieriger Blick fasste alles genau ins Auge. »Sicher kennst du die Geschichte von seinem Fall und weiterem Schicksal. Aber nur die wenigstens wissen, woher der gefallene König seinen Namen hat.«

Lucifer trug viele Namen, doch den meisten Engeln und Dämonen war er einfach als »der Gefallene« bekannt. Der Inbegriff des Falls.

Schweigend beobachtete sie Faniell. Vor der Tür des Kiosks schlenderten einige Menschen vorbei, aber keiner schaute zu ihnen hinein. Amicia kannte diese Magie, die Engel ausstrahlten. Die Menschen konnte sie nicht wahrnehmen, wenn die Engel es nicht wollten, sosehr sie es auch versuchten.

»Lucifer hat seinen Nachnamen erhalten, nachdem Gott ihm einen besonderen Gegenstand anvertraut hatte. Den sogenannten Morgenstern. Eine uralte Waffe von unbegreiflichen Kräften.«

»War wohl keine so gute Idee, sie ausgerechnet Lucifer anzuvertrauen«, schnaubte Amicia.

Faniell hob die Augenbrauen. »Deine Art, dich auszudrücken, hat sich den Menschen anscheinend schon angepasst.«

Sarkasmus gab es nicht oft unter Engeln. Amicia verkniff sich jeden weiteren Spruch und bedeutete ihm fortzufahren.

»Als Lucifer und sein Gefolge gefallen sind, hat er den Morgenstern mit sich genommen. Bisher war dies nie ein Problem. Der Gefallene war sich nicht einmal bewusst, welche Macht er mit sich gerissen hatte, oder es hat ihn einfach nicht interessiert. Doch inzwischen haben wir den Verdacht, dass sich das geändert hat.«

»Wieso habt ihr diese allmächtige Waffe dann nie zurückgeholt? Und was hat Lucifer bisher davon abgehalten, sie zu benutzen?«

Diese ganzen Informationen waren neu für Amicia und sie brauchte einen Moment, um sie zu verarbeiten.

»So einfach ist es nicht, denn der Morgenstern kann nur zu bestimmten Zeiten eingesetzt werden. Es braucht eine Sternenkonstellation, damit seine Kraft freigesetzt wird. Die nächste dieser Art findet in drei Monaten statt.«

»Was genau soll diese Waffe denn anrichten können?«

»Dazu existieren keine Aufzeichnungen. Seit Anbeginn der Zeit hat keiner von uns sie jemals gesehen. Wir wissen nur sicher, dass sie große Zerstörung mit sich bringt. Sie muss zurück in die Goldene Stadt.«

»Das habe ich verstanden. Und wo bitte komme ich ins Spiel?« Die Vorstellung einer solchen Waffe war nicht schön, aber Amicia verstand immer noch nicht, was genau ihre Rolle dabei sein sollte.

»Es sollte dir geläufig sein, dass es uns Engeln unmöglich ist, die Hölle zu betreten. Leider wird der Morgenstern aber genau dort aufbewahrt.«

Langsam dämmerte es ihr. »Nur Dämonen können die Hölle betreten.«

»Ganz genau.«

»Nur bin ich kein Dämon«, betonte Amicia langsam. »Ich bin eine Gefallene.«

»Damit hast du natürlich recht. Aber wie du sicher weißt, haben die wenigsten Dämonen Vertrauen in uns. Und wir keines in sie. Wir brauchen jemanden, der weiterhin loyal gegenüber dem Himmel ist. Jemanden wie dich.«

»Ihr wollt mich in die Hölle schicken?«, fragte sie ungläubig. »Von dort gibt es kein Zurück.«

»Niemand verlangt von dir, dass du ganz zu einem Dämon wirst, da musst du mir vertrauen. Wir wollen nur, dass du den Morgenstern holst«, betonte Faniell noch mal.

»Ich soll Lucifer bestehlen, den gefallenen König selbst, und soll ihm eine uralte, höchst gefährliche Waffe entwenden, von der niemand weiß, welche Macht sie genau trägt. Für mich klingt das nach einem Selbstmordkommando.« Amicia verschränkte die Arme vor der Brust und starrte den Engel fragend an.

Zwar alterte sie körperlich nicht – Sie hatte immer noch den Körper einer Einundzwanzigjährigen –, keine Krankheit konnte ihr etwas anhaben, aber eine körperliche Verletzung konnte sie immer noch töten.

»Es ist sicher nicht einfach. Nein, du hast recht. Es ist sehr gefährlich. Aber alle haben vollstes Vertrauen in dich. Nur du kannst das schaffen«, redete Faniell weiter auf sie ein.

Amicia schloss die Augen und atmete tief durch. So lange hatte sie auf dieses Gespräch gewartet. Gehofft, dass sie eines Tages eine Chance bekommen würde, sich dem Himmel zu beweisen. Doch diese Aufgabe klang weniger nach einer Erlösung und mehr nach einem komplexen Plan, ihre Existenz zu beenden.

»Dein altes Leben wartet auf dich, Amiciell. Deine Freunde, dein wahres Zuhause. Jetzt klingt es nach einer unlösbaren Aufgabe, aber denke bitte daran, was du dadurch erreichen kannst. Die Goldene Stadt wird dich mit offenen und liebenden Armen wieder in Empfang nehmen. Deine Schuld wir getilgt sein. Du bekommst deine Flügel zurück.«

Das sanfte Brennen an ihrem Rücken setzte wieder ein. Der Phantomschmerz ihrer abgerissenen Flügel fegte wie ein grausames Feuer durch ihren ganzen Körper. Die Narben standen in Flammen und erinnerten sie an ihren Verlust.

»Du könntest schon in wenigen Wochen wieder fliegen«, säuselte Faniell weiter. Er wusste ganz genau, was er sagen musste, um sie um den Finger zu wickeln. Dass ihr alter Freund sie so einfach manipulieren konnte, sollte sie beunruhigen, aber das Bild, das er zeichnete, war einfach zu schön.

Tränen ließen Amicias Sicht verschwimmen. Ihr Herz sehnte sich so sehr nach zu Hause, dass sie kaum noch atmen konnte. In diesem Moment war sie bereit, alles zu tun, um nur wieder durch die himmlischen Pforten zu treten.

Die Türglocke zerriss die angespannte Stimmung zwischen den beiden. Ein deutlich angetrunkener Kerl stolperte in den Kiosk. Selbst wenn er nicht so blau gewesen wäre, hätte er den Engel nicht bemerkt, an dem er gerade vorbeiging.

»Hey, Schnecke«, lallte er.

Der Gestank von Alkohol schlug ihr entgegen.

»Gib mir noch mal etwas Schnaps.«

Amicia riss sich, so gut sie konnte, zusammen. Mit steifem Rücken ging sie hinter die Theke und suchte eine Flasche Billigfusel heraus. Der Alki fummelte einige zerknitterte Scheine aus seiner Hosentasche und knallte sie auf die Theke. »Mach ma schneller!«

Ausdruckslos reichte sie ihm die Flasche und nahm schweigend das Geld. In ihrem Kopf drehte sich alles und sie war froh für die kleine Unterbrechung, um sich wieder zu sammeln. Ohne zu warten, öffnete der Alki die Flasche und nahm einen großen Schluck. »Danke. Du Süße!« Er machte einige anzügliche Gesten in ihre Richtung, bevor er sich umdrehte und zum Ausgang torkelte.

Dabei kam er an Faniell vorbei, der die ganze Szene schweigend beobachtet hatte. Gerade als der Mann das Späti wieder verlassen wollte, stellte der Engel sich ihm in den Weg. Er löste den Zauber, der ihn verschleierte, und zeigte sich dem Menschen.

Erschrocken stolperte der Alki einige Meter zurück, seine Augen waren geweitet. »Was zum …«

Faniell streckte die Hand aus und legte sie dem Mann auf die Stirn. »Du hast den Sinn deines Lebens verloren«, sprach der Engel mit kraftvoller Stimme. »Auf dem Boden dieser Flasche wirst du die Lösung deiner Probleme nicht finden. Wende dich dem Herrn zu und du wirst dein Leben wieder in den Griff bekommen.« Danach machte er sich wieder unsichtbar und trat zur Seite.

Einige Augenblicke rührte sich der Mann nicht. Dann fing er auf einmal an zu zittern. Sein menschliches Hirn versuchte zu verarbeiten, was er gerade gesehen hatte. Die Göttlichkeit eines Engels war für die wenigsten Menschen verständlich. Also verdrängten sie ihn, den wahren Anblick. Stattdessen wurde aus der Begegnung mit einem Engel eine Art innere Erkenntnis, die die Menschen nie mehr losließ.

Schweigend beobachtete Amicia, wie der Alki aus dem Kiosk stolperte. Draußen hob er den Kopf in Richtung Himmel, dicke Regentropfen liefen sein Gesicht hinunter. Mit einer hektischen Bewegung schüttelte er die Flasche aus und warf sie in die Ecke. Danach machte er sich, so schnell er konnte, auf den Weg in die Nacht.

»Es fühlt sich wirklich gut an, den Menschen zu helfen.« Faniell lächelte sie an. »Ich sollte öfter hier hinunter kommen und etwas Gutes tun.«

Flüchtig lächelte Amicia zurück. Sie verbiss sich eine Antwort. Inzwischen hatte sie einen tiefen Einblick in die menschliche Art erhalten. Vielleicht würde dieser Alki die Finger einige Zeit von der Flasche lassen, aber irgendwann würde die Begegnung mit dem Engel in den Hintergrund rücken. Irgendwann hätte er es vergessen. Und dann würde er wieder zum Alkohol greifen.

»Ich erinnere mich noch, wie sehr du die Menschen geliebt hast.« Faniell trat vor Amicia und breitete die Flügel aus. Jetzt war sie gefangen innerhalb von Wänden aus göttlichem Weiß. »Du wolltest jeden Einzelnen von ihnen retten und ihm den Weg in den Himmel bereiten.«

»Und genau das hat meinen Fall herbeigeführt.«

Schmerzhaft genau erinnerte sie sich an diesen Tag. An das Gefühl zu fallen, ohne eine Möglichkeit sich abzufangen. Der Boden war unaufhaltsam näher und näher gekommen.

Bevor Amicia hatte reagieren können, hatte Faniell bereits nach ihren Händen gegriffen.

Seine Haut fühlte sich weich und heiß auf ihrer kalten, rauen an. Langsam malte er Kreise auf ihren Handrücken.

»Komm nach Hause, Amiciell. Nichts würde uns glücklicher machen.«

Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals, die Tränen schossen ihr schon wieder in die Augen. »Ich weiß nicht. Ich habe Angst.«

Liebevoll strich er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. »Das kann ich gut verstehen. Nimm dir etwas Zeit, um darüber nachzudenken. Solltest du es tun wollen, dann weißt du, wie du uns erreichst.«

Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er innerhalb eines Wimpernschlages verschwand.

Tief erschüttert stand Amicia da und blickte ins Leere. Immer noch lag das leise Summen in der Luft und erinnerte sie daran, dass ihr alter Freund wirklich bei ihr gewesen war. Dass sie nicht einfach nur geträumt hatte wie so oft.

In ihrem Inneren herrschte ein grausames Chaos. Ihr Herz kämpfte mit ihrem Verstand, ihr Sehnen mit ihrem Selbsterhaltungstrieb.

Hoffnung gegen Angst.

Flügel gegen das ewige Nichts.

Minutenlang stand sie einfach nur so da und versuchte Klarheit zu erlangen. Sollte sie nicht vor Freude auf und ab hüpfen und sich sofort auf den Weg machen? Aber da war diese zarte Stimme in ihrem Kopf, die sie davon abhielt.

Kannst du ihnen wirklich vertrauen?

Denn der Himmel hatte sie schon einmal verraten und im wahrsten Sinne des Wortes fallen gelassen. Aber Faniell hatte sie noch nie angelogen, er war immer ehrlich und freundlich zu ihr gewesen.

Mit größter Mühe verdrängte sie die Begegnung mit dem Engel und konzentrierte sich wieder auf ihre Aufgaben. Sie räumte das Regal zu Ende ein und putze die Wasserflecken des Alkis weg.

Als sie den Wischmopp zurück nach hinten brachte, fiel ihr Blick auf die Bildschirme der Überwachungskamera. Hektisch überprüfte sie, ob die Kameras etwas eingefangen hatten.

Da war sie, wie sie die Chips ins Regal räumte. Im Schnelldurchlauf spulte sie die letzten Stunden durch, doch kein Engel war zu sehen. Da war nur sie, wie sie arbeitete und anscheinend Selbstgespräche führte. Erleichtert atmete sie durch. Es gab keinerlei Hinweis darauf, was gerade passiert war.

***

Der Rest der Nacht zog sich schmerzhaft lang hin. Amicia brauchte dringend Ablenkung, ansonsten würde das Karussell in ihrem Kopf wieder anfangen sich zu drehen. Kurz entschlossen putzte sie den ganzen Laden, räumte die Regale aus und wieder ein. Nachdem sie auch das Lager und das Hinterzimmer in Ordnung gebracht hatte, brach endlich der neue Tag an.

Um kurz vor sechs kam ihre Ablösung in Form von Heinrich, dem Besitzer des Kiosks. Der alte Mann hatte ein wettergegerbtes Gesicht, sein dichtes weißes Haar war wie jeden Tag durcheinander. Er nahm sich noch die Zeit, seine Zigarette vor der Tür fertig zu rauchen, bevor er reinkam.

»Moin, Amicia. Wie war die Nacht? Ist was vorgefallen?« Sein Berliner Akzent klingelte ihr in den Ohren.

Kurz räusperte Amicia sich. »Guten Morgen. War eine ganz normale Nacht. Alles ruhig.« Sie verschwand nach hinten und holte ihre Sachen.

Er pfiff zwischen den Zähnen hindurch. »Hast ja richtig aufgeräumt.«

An der Tür blieb sie noch einmal kurz stehen. »Wie gesagt, war eine sehr ruhige Nacht. Tschö!«

Die Sonne war noch nicht ganz über den Häusern aufgegangen, aber die Stadt war schon auf den Beinen. Nicht einmal an einem Samstag herrschte hier Ruhe. Die Leute wollten zur Arbeit oder sonst etwas machen. Die letzten Partytiere und Nachteulen machten sich auf den Weg ins Bett.

In der U-Bahn tummelten sich Schnapsleichen, Leute auf dem Walk of Shame und die ersten Arbeitsbienen. Es war voll und alle standen dicht gedrängt, Amicia war eingeklemmt zwischen den Menschen, die sie gar nicht zu bemerken schienen.

So fühlte sie sich schon seit ihrem Fall. Unsichtbar. Unwichtig. Sie war kein Mensch, keine von ihnen. Die Engel durften und wollten nicht mehr mit ihr reden. Und den Dämonen ging sie aus dem Weg.

Ihre winzige Wohnung lag im dritten Stock eines schrecklichen Plattenbaus. Niemals würde sie diese vier Wände als ihr Zuhause bezeichnen, denn sie bedeuteten Amicia nichts, es war lediglich ein Ort, an dem sie schlafen und essen konnte.

Sie schmiss ihre Jacke in die Ecke und schlüpfte aus den durchnässten Turnschuhen. Es war kalt und dunkel um sie herum, was gerade sehr gut zu ihrer Stimmung passte. In der Küche stellte sie den Wasserkocher an und holte einen Beutel Pfefferminztee hervor. Oft hatte sie es versucht, aber Kaffee war einfach nicht nach ihrem Geschmack.

In ihrer kleinen Küche gab es nicht mehr als einen Herd, einen Kühlschrank, eine Mikrowelle und zwei Schränke. Viel mehr Möbel fanden sich auch im Rest ihrer Wohnung nicht. Ihr Bett bestand nur aus einer Matratze auf dem Boden – dazu einige Decken und Kissen. In dem engen Wohnzimmer standen nur ein einzelner Sessel und ein Schreibtisch.

Diese Wohnung war genauso trist und ausdruckslos wie der Rest von Amicias Leben.

Kopfschüttelnd lehnte sie sich an die Arbeitsplatte. Leise pfiff der Wasserkocher im Hintergrund. Sie war angewidert von ihrem eigenen Selbstmitleid.

Immerhin hatte sie sich diese Leben selbst ausgesucht.

Sie hätte auch genauso gut den letzten Schritt wagen und sich ganz vom Himmel abwenden können. Als Dämonin wäre sie nicht mehr allein gewesen. Sie wäre von Wesen umgeben gewesen, die wie sie waren. Es gab genug von ihnen.

Aber Amicia konnte es einfach nicht. Sie liebte den Himmel.

Und sie hasste ihr Leben hier unten.

Mehr als sechshundert Jahre war sie nun schon auf der Erde. Auf sich allein gestellt, verloren und einsam. Sie hatte nichts, was ihr etwas bedeutete. Nichts, woran sie hing.

Auf einmal kam ihr die Luft in der winzigen Wohnung viel zu stickig vor. Hektisch atmend eilte sie zum großen Fenster im Wohnzimmer und riss es auf.

Kleine Regentropfen fielen auf ihr erhitztes Gesicht und klärten ihre Panik für einen Moment. Die kalte, feuchte Morgenluft füllte ihre Lunge. Langsam ebbte die Beklemmung wieder ab.

Amicia blickte nach unten auf die Straße. Menschen eilten vorbei, suchten Schutz vor dem andauernden Regen. Von hier oben wirkten sie nur noch weiter weg, als sie es sowieso schon für sie waren.

Sie hatte hier niemanden. Nur sich selbst und ihr trauriges, einsames Leben. Eine einzelne Träne bahnte sich den Weg über ihre Wange.

Wie viel schlimmer kann das ewige Nichts schon sein? Der Tod ist sicher nicht einsamer als das Leben.

Aus ihrer Hosentasche holte sie die Engelsfeder hervor. Ein goldener Schimmer lag auf dem klaren Weiß. Sanft bewegte sie sich in dem leichten Luftzug.

»Na gut«, sagte sie laut. »Ich werde es versuchen.« Sie pustete die Feder von ihrer Hand. Einen Moment lang schwebte sie in der Luft, bevor sie langsam zu Boden sank. Wenige Herzschläge später hörte es auf zu regnen und die Wolken lichteten sich.

Der Himmel hatte ihre Entscheidung gehört.

KAPITEL ZWEI – DIE ERSTE FRAU

Mit einem leisen Ruck setzte das Flugzeug auf dem Rollfeld auf. Noch bevor sie ganz zum Stehen gekommen waren, sprangen die ersten Fluggäste schon auf und zerrten ihr Gepäck aus den Fächern.

Amicia blieb entspannt sitzen und beobachtete den Trubel um sie herum. Dünne Schleierwolken hingen vor der Sonne, ein scharfer Wind pfiff über die freie Fläche.

Paris zeigte sich von einer besseren Seite als Berlin. Vielleicht war dies ein gutes Omen.

Als Letzte verließ Amicia das Flugzeug und blickte sich einen Moment oben auf der Treppe um. Es war später Nachmittag und nicht sonderlich viel los auf dem Flughafen. Auf dem kurzen Weg zwischen der Treppe und dem Eingang zum Gebäude riss der stürmische Wind an ihren Haaren.

Sie war die Letzte, die ihren Koffer vom Rollband nahm. Das wenige, was sie besaß und woran ihr Herz hing, hatte sie in den kleinen Schalenkoffer gesteckt. Ihre Zeit in Berlin war vorbei … so oder so.

Es war ihr überraschend schwergefallen, Abschied von dem kleinen Späti zu nehmen. Monatelang war es ihr einziger Ort außerhalb der Wohnung gewesen, zu dem sie irgendeine Verbindung gespürt hatte.

Auf der Fahrt in die Stadt ließ Amicia ihren Plan noch einmal Revue passieren. Sie konnte nicht einfach zu einem Höllentor marschieren und Einlass verlangen. Zwar würde man ihn ihr gewähren, aber damit würde sie auch sofort ein Dämon werden. Eine Kreatur der Hölle, für die es kein Zurück mehr gab.

Um diesen Schritt zu vermeiden, musste sie klüger vorgehen. Ihre Seele vor den dunklen Einflüssen der Hölle bewahren.

Sie brauchte jemanden, der ihr Zugang zur Hölle und zum gefallenen König gewährte. Amicia traute sich nicht seinen Namen auszusprechen. Nicht einmal in Gedanken. Er war wie ein Gespenst, das man heraufbeschwor, wenn man es rief.

Es gab auf der ganzen Welt, in Himmel und Hölle nur wenige Personen, die diese Macht hatten. Und eine solche residierte in Paris.

Das Taxi hielt vor dem kleinen, schmutzigen Hotel, welches sich Amicia online rausgesucht hatte. Schnell bezahlte sie den Fahrer und stieg aus. Die Frau an der Rezeption hatte wenig Interesse an ihr und fragte nicht einmal nach, als Amicia sich mit einem eindeutig falschen Namen eintrug.

Dem Zimmer schenkte sie wenig Aufmerksamkeit, hier musste sie immerhin nur schlafen.

Nach einer kurzen Dusche holte Amicia ihren Laptop hervor und setzte ihre Recherche fort.

Der gefallene König hatte nur wenige enge Verbündete, doch eine davon lebte hier in der Stadt. Den Menschen war sie unter dem Namen Lilith bekannt, doch Amicia kannte sie als »die erste Frau«. Die erste Frau an Adams Seite. Für ihre Schönheit und auch für ihre Intelligenz bekannt. Kein Wunder also, dass sie eine Modellagentur führte.

Der Ort, an den Amicia wollte, war nicht weit von ihrem Hotel entfernt, allerdings war es bereits zu spät, um dort aufzukreuzen. Seufzend schloss sie den Laptop wieder und blickte aus dem kleinen Fenster.

Die Nacht senkte sich bereits über Paris und Amicia wusste nicht, was sie tun sollte. Vier Tage ihres schon viel zu geringen Zeitfensters waren bereits abgelaufen und bisher hatte sie es nur in eine andere Stadt geschafft.

Leise meldete sich ihr Magen, sie musste dringend etwas essen. Ihr Körper hatte Bedürfnisse, eine Sache, die sie auch nach so vielen Jahren noch verwunderte. Und manchmal bestürzte.

In der frischen Abendluft spazierte sie durch die hübschen Straßen von Paris. Es roch nach komplexer Gourmetküche und Kaffee, die bunten Blumen ließen alles frisch und neu wirken. Diese Stadt war so ganz anders als Berlin, obwohl sie viel gemeinsam hatten. Die Menschen hier waren anders, zwar genauso in sich gekehrt und auf sich selbst konzentriert, aber sie trugen ein anderes Gesicht zur Schau.

Vor vielen, vielen Jahren war Amicia bereits einmal hier gewesen. Damals war sie über die alten Häuser und Straßen geflogen und nichts weiter als eine stumme Beobachterin gewesen. Jetzt hätte sie mit den Menschen kommunizieren können, aber das Bedürfnis danach war verschwunden.

In einem winzigen Imbiss holte sie sich eine Kleinigkeit zu essen. Auf dem Weg zurück zum Hotel kam sie an einem niedlichen kleinen Park vorbei. Allein auf einer Parkbank sitzend verdrückte sie die Portion Pommes frites und starrte in die Nacht.

Ihre Hände zitterten leicht, als sie eine zum Mund führte. Nervös war wohl der falsche Ausdruck für ihr Gefühl. Fest ballte sie die Faust, bis das Zittern verschwand. Sie war nicht nervös, sie war entschlossen. Ihre Chance stand schlecht, aber sie hatte eine. Und sie würde sich weder vom Himmel noch von der Hölle davon abbringen lassen.

***

Am nächsten Morgen stand Amicia um acht Uhr auf und machte sich fertig. Sie hatte nur diese eine Chance und der erste Eindruck zählte besonders. Das enge dunkelblaue Kleid betonte ihre milchig weiße Haut und die Kurven ihres Hinterns und ihrer Brüste. Ihre langen Locken ließ sie offen über die Schultern fallen. Durch die schwarze Mascara wurden ihre Wimpern noch länger und betonten ihre himmelblauen Augen.

Auf den viel zu hohen Pumps konnte sie gerade so gehen, aber sie ließen ihre Beine länger wirken. Sie sah eher aus, als würde sie auf die Piste gehen als zu einem Vorstellungsgespräch.

Pünktlich um neun Uhr stand sie vor dem schicken Neubau, in dem sie ihre Chance sah. Große Glasfronten ließen das helle Tageslicht herein. In riesigen geschwungenen Buchstaben stand dort der alles erklärende Name: Agentur First, by Lili First.

Bei dieser Anspielung musste Amicia beinahe die Augen verdrehen.

Im offenen Eingangsbereich erwartete sie eine hübsche Blondine hinter dem ausladenden Tresen. Das perfekte Make-up und die kunstvollen Locken hatten sie an diesem Morgen sicher Stunden gekostet.

»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, fragte sie mit affektiert süßer Stimme.

»Ich würde gern mit Madame First sprechen.« Amicia erwiderte ihr strahlendes Lächeln.

»Darf ich fragen, ob Sie einen Termin haben?« Möglichst unauffällig checkte die Rezeptionistin Amicias Auftreten und ihre Kleidung.

»Nein, leider nicht. Aber ich muss sie wirklich dringend sprechen.«

»Oh, das tut mir schrecklich leid. Madame First hat einen sehr vollen Tagesplan und es ist uns leider nicht möglich, alle Anfragen zu beantworten. Besonders nicht ohne Anmeldung.« Das Lächeln der Frau gefror ihr förmlich im Gesicht und ein gelangweilter Ausdruck trat in ihre Augen. Sie wollte sich ganz offensichtlich nicht länger mit Amicia beschäftigen.

»Ich muss wirklich dringend mit ihr sprechen«, versuchte Amicia es noch einmal freundlich.

»Sie können gern warten. Dort drüben«, bot die Rezeptionistin mit vielsagendem, fast herablassenden Blick an.

»Danke sehr.« Amicia nickte ihr freundlich zu und suchte sich einen Platz auf einem der cremefarbenen Sessel am Fenster. Dabei spürte sie den genervten Blick der Rezeptionistin auf sich ruhen.

Ohne es zu verschleiern, blickte sie sich um. Schon die Eingangshalle verströmte Macht und Reichtum. Jahrtausende auf dieser Erde mussten Lilith etwas gebracht haben. Es war ein Leichtes gewesen, diese Agentur zu finden, immerhin versteckte die erste Frau sich nicht und ihr Gesicht war allen Engeln bekannt.

Amicia bereitete sich auf eine lange Wartezeit vor. Sie hatte damit kein Problem, immerhin hatte sie nichts anderes zu tun.

***

Die Stunden zogen sich langsam dahin. Zehn Uhr, elf, zwölf.

Leute kamen und gingen. Die hochnäsige Rezeptionistin begrüßte jeden von ihnen mit derselben falschen Freundlichkeit. Amicia war nicht die Einzige, die an diesem Morgen weggeschickt wurde.

Und doch ließ sie sich von all dem nicht stören. Völlig entspannt saß sie auf dem Sessel und schaute aus dem Fenster. Ihr Verhalten war der Rezeptionistin nicht geheuer, das merkte Amicia recht schnell. Die Menschen hielten andere ihrer Art, die nicht am Handy hingen, für seltsam.

Aber Amicia langweilte sich auch ohne Technik nicht. Nach vielen Jahrhunderten hatte sie eine seltsame Faszination dafür entwickelt, die Menschen einfach nur zu beobachten. Man konnte viel aus dem einfachsten und alltäglichsten Verhalten lesen.

Und an den großen Fenstern der Agentur liefen genug Menschen vorbei, um sich stundenlang zu beschäftigen:

Die Bewohner von Paris, die sich schon lange an den Wundern der Stadt sattgesehen hatten. Träumer, die immer noch nach diesem besonderen Funken suchten, der etwas in ihrem Herzen berührte. Touristen, die jede noch so kleine Kleinigkeit beeindruckte. Mit staunendem Blick wanderten sie durch die Straßen und versuchten alles in sich aufzunehmen.

Jeder Mensch in dieser Stadt hatte eine Geschichte, die sich in ihre Seele eingebrannt hatte. Gut und Böse kämpften um die Vorherrschaft, ohne dass die betroffene Person etwas ahnte.

Spielte es überhaupt eine Rolle, was nach dem Tod auf einen wartete, wenn man nichts davon wusste? War es nicht besser für die Menschen, ihr Leben so zu leben, wie sie es wollten, solange sie es konnten? Um die Konsequenzen konnte man sich danach immer noch kümmern.

Hatte Gott den Menschen nicht deshalb den freien Willen gegeben?

Mehrmals musste Amicia blinzeln. Schon wieder verstrickte sich ihr Verstand in diese Gedankenspiele. Solche Fragen waren der Grund, weshalb man ihr die Flügel ausgerissen hatte.

Das leise Klappern der Tastatur der Rezeptionistin wurde kaum von der leisen Hintergrundmusik übertönt. Immer wieder hob die Frau den Blick und schaute zu Amicia hinüber. Nur für einen Wimpernschlag, dann wandte sie sich wieder ihrer vorgeschobenen Arbeit zu. Ihre Nervosität und Unsicherheit waberten durch die Luft.

Sicher reichte dieses abweisende Verhalten, um die sonstigen Wartenden zu vertreiben. Menschen begaben sich nicht gern in Situationen, die ihnen unangenehm waren. Aber Amicia war kein Mensch. Und sie hatte ordentlich Sitzfleisch.

Ihre Geduld wurde belohnt.

Um kurz nach zwei Uhr hielt eine schwarze Limousine vor der Agentur. Der Fahrer beeilte sich auszusteigen und öffnete die hintere Wagentür. Sofort sprang die Rezeptionistin auf und kam hinter ihrem beschützenden Tisch hervor.

Nun war sie also endlich da.

Lilith.

Doch leider wurde Amicia der Blick auf die mächtige Frau verwehrt. Sie wurde umschwärmt von einer Gruppe Assistenten und Speichellecker, die jeder ihrer Anweisungen Folge leisteten und um ein wenig Anerkennung bettelten.

Langsam erhob Amicia sich. Schweigend beobachtete sie das Chaos, welches durch das Foyer fegte. Niemand schenkte ihr Beachtung, schien auch nur zu bemerken, dass sie da war.

Die wartende junge Frau war nichts weiter als ein Teil der Einrichtung.

Als Amicia sich leise räusperte, war dieses Geräusch so unerwartet und fremd in dieser Umgebung, dass sie dadurch tatsächlich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden erhielt.

Sieben Köpfe wandten sich ihr gleichzeitig zu, vierzehn Augen blickten fragend, überrascht, entsetzt oder wütend. Nur die erste Frau selbst schenkte Amicia immer noch keine Aufmerksamkeit. Stattdessen wandte sie ihren Blick der Rezeptionistin zu. »Und wer ist das bitte?«

Ihrer Stimme mangelte es an Freundlichkeit. Sie war deutlich genervt und hatte wenig Lust auf dieses Gespräch.

»Diese junge Frau wollte Sie unbedingt sprechen«, stotterte die Empfangsdame nach einigen Augenblicken endlich. »Sie wartet schon seit Stunden.« Vielleicht war dieser winzige Nachsatz eine Entschuldigung für die vorherige Unfreundlichkeit. Vielleicht war sie aber auch ein Versuch, die Schuld für diese unhöfliche Unterbrechung ganz auf Amicias Ungeduld zu schieben.

Mit einer deutlich unwilligen Bewegung nahm die erste Frau ihre Sonnenbrille ab und drehte den Kopf leicht in Amicias Richtung. Kurz wanderte ihr Blick an ihrem Körper hoch und runter.

»Ich muss dich leider enttäuschen. Der unschuldige Engelslook ist nicht mehr angesagt. Perfektion, auch wenn sie bei dir echt zu sein scheint, ist langweilig.«

Ohne einen weiteren Blick drehte Lilith sich um und setzte ihren Weg durch das Foyer fort. Für sie war diese kurze Audienz beendet.

»Lilith, ich muss mit dir sprechen.«

Amicia würde sie nicht so schnell abwimmeln lassen. Die Worte, die im Raum hingen, waren für die Menschen nicht verständlich. Die uralte Sprache, die über Amicias Lippen gekommen war, klang abgehackt und gleichzeitig melodisch. Die erste Sprache, die jemals auf dieser Welt gesprochen worden war, war außer bei den Engeln schon lange vergessen. Nur drei Menschen waren überhaupt in der Lage, sie zu verstehen, zwei davon waren sicher im Himmel verwahrt. Der dritte wirbelte jetzt mit wildem Blick zu Amicia herum.

Liliths ausdrucksstarke Bernsteinaugen blitzten interessiert und wütend. Schnaubend überwand sie den Abstand zwischen sich und Amicia, dabei wiegte sie mit den ausladenden Hüften.

In vielerlei Hinsicht war Lilith das absolute Gegenteil ihrer Nachfolgerin Eva. Ihr rabenschwarzes Haar berührte knapp ihre schmalen Schultern, die schnell durch die ausladenden Rundungen ihrer Brüste abgelöst wurden. Liliths Körper war in der Lage, jeden Mann schwach werden zu lassen. Viele waren bereits vor ihr auf die Knie gegangen.

Sie war Feuer und Eigensinn in Person. Ihr Wille war ungebrochen, ganz egal worum es ging. Niemals würde sie sich unterordnen, erst recht keinem Mann wie Adam, dem es selbst am nötigen Intellekt gefehlt hatte.

Dies war der Grund, weshalb Gott Eva keinen freien Willen gewährt hatte. Er hatte seiner Schöpfung eine treue, gute Gefährtin zur Seite stellen wollen, die nicht alles infrage stellte und ihren eigenen Weg suchte. Eva war perfekt und blind gewesen, bis sie sich der Schlange geöffnet hatte.

All diese Erkenntnisse schossen Amicia innerhalb weniger Herzschläge durch den Kopf, während sie dem intensiven Blick Liliths standhielt.

»In mein Büro«, zischte diese nach ewig andauernden Minuten. Ihre kleine Armee von Arschkriechern rannte aufgeregt durcheinander und versuchte ihrem Wunsch so schnell wie möglich nachzukommen.

Entspannt folgte Amicia den aufgescheuchten Hühnern in einen wartenden Aufzug. Während der kurzen Fahrt herrschte eine bedrückte Stille und Lilith würdigte sie nicht einmal eines Blickes, ihr Gesicht war starr und ausdruckslos.

Das große Büro, von dem aus Lilith ihr Reich regierte, lag allein im obersten Stock. Der schwarze Marmorboden war so stark poliert, dass man sich darin spiegeln konnte. Große Blumensträuße standen überall herum, natürlich perfekt abgestimmt auf Möbel- und Wandfarbe.

»Verschwindet, alle!«, rief Lilith genervt und vertrieb ihre Entourage. Ihre hohen Absätze klapperten auf dem Boden, als sie mit schnellen Schritten zu dem Massivholzschreibtisch ging, der mitten im Raum stand.

Nachdem die Assistenten, Leibwächter und wer sonst noch aus dem Raum verschwunden waren, war es lange Zeit totenstill. Mit verschlossenem Blick saß Lilith hinter ihrem Schreibtisch wie eine Königin auf ihrem Thron.

»Vielen Dank, dass du mich empfängst«, begann Amicia zögerlich. Immer noch sprach sie in der vergessenen Sprache, die ihr auch nach all der Zeit noch problemlos von der Zunge rollte.

»Ach, lass doch dieses uralte Kauderwelsch«, fuhr Lilith sie an. »Niemand spricht das heutzutage mehr.«

»Da, wo ich herkomme, schon noch ab und zu«, murmelte Amicia.

»Der Himmel und ich sind nicht gerade freundschaftlich auseinandergegangen. Am besten erwähnst du nichts mehr in dieser Richtung, wenn du nicht sofort rausfliegen willst.« Aus einer Schublade holte die erste Frau einen kleinen goldenen Flachmann hervor. Sie genehmigte sich einen Schluck, bevor sie wieder zu Amicia schaute.

»Du bist also eine Gefallene?«

Leicht beugte sich Amicia vor und zog das Kleid von ihren Schultern. Die wulstigen, leuchtend roten Narben stachen aus ihrer weißen Haut hervor. Sie sahen aus, als wären sie gerade erst verheilt – eine andauernde Erinnerung an das, was sie verloren hatte.

»Wie lange ist es her, dass der Himmel dich rausgeworfen hat?«

»Sechshundertfünfzig.«

»Was? Tage, Wochen, Monate?« Fragend hob Lilith die Augenbrauen.

»Jahre«, hauchte Amicia.

Für eine Sekunde verrutschte die ach so perfekte Maske der ersten Frau und man konnte die ehrliche Überraschung in ihrem Gesicht sehen. »Sie haben dich vor sechshundertfünfzig Jahren hier runtergeschickt?«

Amicia zuckte nur mit den Schultern.

»Und erst jetzt meldest du dich bei einem von uns. Hast du wirklich die letzten Jahrhunderte unter den Menschen verbracht? Worauf hast du gewartet?«

»Ich hatte Hoffnung. Dass ich irgendwann wieder nach Hause komme«, gestand Amicia.

»Engelchen, der Himmel gibt keine zweiten Chancen. Ganz egal, wie loyal du auch bist. Hast du verkackt, dann hast du verkackt. Finde dich damit ab!«

»Die Hoffnung ist meist stärker als der Verstand. Ich wollte hoffen. Und bereit sein, falls ich eine Chance bekomme«, erklärte Amicia ruhig.

Lilith hob die schmalen Augenbrauen und ließ ihren Blick noch einmal über Amicia gleiten. »Dann bist du hier an der falschen Adresse. Noch viel weiter weg vom Himmel geht kaum.«

»Genau das möchte ich.« Amicia nahm die Schultern zurück und blickte die erste Frau völlig ruhig an. »Ich bin durch mit dem Himmel.«

Ein kurzes, trockenes Lachen entwich dieser. »Du willst mir doch jetzt nicht tatsächlich verklickern, dass du nach mehreren Jahrhunderten einfach so beschlossen hast, dass es jetzt genug ist?«

Mit diesen Fragen hatte Amicia bereits gerechnet. Wieso sollte Lilith ihr auch einfach so glauben? Unter dem aufmerksamen Blick der ersten Frau begann sie, auf und ab zu gehen.

»So einfach ist das leider nicht«, begann sie mit zögerlicher Stimme zu sprechen. »Mein Jahrestag des Falls ist erst kurz vorbei, jetzt sind es genau sechseinhalb Jahrhunderte. Und in all dieser Zeit hat sich niemals jemand für mich interessiert. Sollte ich mich dann nicht endlich mal damit abfinden, dass sie mich nicht mehr wollen?«

Ein mitleidiger, aber auch verstehender Ausdruck trat in Lilith Augen. »Nichts ist schlimmer als das Gefühl, nicht geliebt zu werden.« Wenn einer wusste, wie sich das anfühlte, dann war es die ehemalige Frau Adams. »Und jetzt willst du auf unsere Seite wechseln?«, fragte Lilith weiter. Ihre wachsamen Augen lagen auf Amicia, registrierten jede ihrer Bewegungen.

Nachdenklich schüttelte diese den Kopf. »Nein.«

»Dann verstehe ich deinen kleinen Besuch hier allerdings nicht.«

Tief atmete Amicia durch und versuchte sich zu sammeln. Jetzt wurde es kompliziert. »Der Himmel hat mich vergessen, aber ich kann ihn nicht einfach so hinter mir lassen. Außerdem weiß ich nicht, was mich bei euch erwartet.«

»Schätzchen, wir sind kein Aboservice, wo du einen Probemonat ausmachen kannst«, warf Lilith ein. »Entweder kommst du zu uns oder eben nicht.«

Innerlich biss Amicia sich auf die Zunge. »Es ist nicht einfach, sein Leben komplett umzukrempeln. Ich kenne euch nicht und habe ganz sicher kein Vertrauen zu euch. Aber ich will nicht mehr allein sein.«

»Nur damit ich das richtig verstehe.« Langsam erhob die erste Frau sich und trat um ihren Schreibtisch herum auf Amicia zu. »Du hast den Himmel nach sechshundertfünfzig Jahren endlich satt, bist aber nicht bereit zu einem Dämon zu werden. Du bleibst lieber eine Gefallene, nichts Halbes und nichts Ganzes.«

»Wer garantiert mir, dass ihr mich nicht genauso verstoßt wie die da oben?« Mit dem Kinn nickte Amicia in Richtung Decke. »Dämonen kann man nicht vertrauen.«

»Engeln genauso wenig«, schoss Lilith zurück. »Aber nun gut, was soll ich denn dann mit dir anfangen? Als Gefallene kannst du keine Seelen sammeln und, nimm es nicht persönlich, als Model machst du auch nur wenig her.«

Mit einer einzigen eleganten Bewegung holte Amicia die beiden Klingen hervor, die sie bisher an ihren Armen versteckt hatte. »Sicher kannst du eine Leibwächterin gut gebrauchen.«

Wenig beeindruckt blickte Lilith auf die dünnen Stahlmesser, die nun locker in Amicias Händen langen. Diese Messer hatte sie sich schon vor einigen Jahrzehnten besorgt, sie waren gut gearbeitet, aber kein Vergleich zu den Engelsschwertern, die sie einmal besessen hatte.

»Du warst also Teil der Engelsbrigade?« Interesse blitzte in Liliths Augen auf. »So ein kleines, unscheinbares Ding. Aber wenn ich eines gelernt habe in meinem durchaus langen Leben, dann sollte man das Innere eines Buches niemals nach dem Einband beurteilen.«

Nun stand sie direkt vor Amicia, dank der High Heels waren die beiden Frauen auf einer Höhe. In den Tiefen von Liliths Augen blitzte ein rotes Feuer auf und ihre vollen Lippen formten ein schmales Lächeln. »Wieso eigentlich nicht?«

Etwas überrascht stolperte Amicia einen Schritt zurück. »Wirklich?«

»Es ist nicht sonderlich klug, meine Entscheidungen infrage zu stellen.«

»Aber wieso?«

»Du musst weniger Fragen stellen, Amicia. Erstens lässt es dich leicht dümmlich aussehen, zweitens erkläre ich mich grundsätzlich niemandem. Meine Gründe sind allein meine Sache. Freu dich darüber oder verschwinde wieder!« Kurz deutet sie in Richtung Tür.

Schnell senkte Amicia den Blick. »Danke.«

»Allerdings habe ich eine Bedingung.« Das Lächeln, welches sich nun auf dem Gesicht der ersten Frau zeigte, konnte man nur als bösartig bezeichnen.

Fragend hob Amicia eine Augenbraue.

»Für mich ist es unerklärlich, wie jemand nach so vielen Jahrhunderten immer noch wie ein Engel aussehen kann. Dir strömt der Himmel noch aus jeder Pore und jeder Strähne, das müssen wir ändern.«

Unwillig griff Amicia nach ihren langen Haaren und fuhr mit den Fingerspitzen hindurch. Über ihr Aussehen hatte sie sich nie viele Gedanken gemacht, in ihrer Lebenslage spielte es auch keine Rolle. »Ich verstehe nicht ganz.«

»Sieh es als einen kleinen Vertrauensbeweis, den du erbringen musst.« Behutsam nahm Lilith eine von Amicias langen Locken zwischen die Finger. »Immerhin gebe ich dir hier auch einen großen Vorschuss.«

Trocken schluckte Amicia. Das Aussehen eines Engels ändert sich niemals, ihre ganze Existenz über sahen sie gleich aus. Was auch immer Lilith also mit ihr vorhatte, es würde für immer bleiben.

Doch was war schon etwas so Unwichtiges wie ihr Aussehen, wenn Amicia dafür nach Hause zurückkehren konnte. Sanft lächelte sie die erste Frau an. »Kein Problem.«

»Nun gut.« Zufrieden rieb diese sich die Hände und ging zurück zu ihrem Schreibtisch. »Dann lass es uns miteinander versuchen. Die Kriege sind nur noch ein billiger Abklatsch und das einzig wahre Böse findet man in den Tiefen des Internets. Ich brauche Abwechslung.«

»Das ist zwar nicht meine Aufgabe, aber ich werde es versuchen«, versprach Amicia mit wenig Begeisterung in der Stimme. So ganz traute sie dem Braten noch nicht, es war zu leicht gegangen. »Und jetzt?«

Ohne aufzuschauen, scrollte Lilith durch ihr Handy, dabei wickelte sie eine Strähne ihres Haares um ihren Finger. »Du gehst nach Hause. Morgen früh wird dich ein Wagen abholen und dann schauen wir weiter. Eine Woche, so viel Zeit gebe ich dir mich zu überzeugen.«

Ein weiteres Ultimatum, eine weitere Uhr, die über Amicias Kopf tickte. Doch es war ein Schritt in die richtige Richtung. Mit einem kleinen Lächeln nickte sie. »Das werde ich schaffen.«

»Wo wohnst du?« Lilith ging nicht weiter auf ihre Aussage ein.

Etwas zögerlich nannte Amicia den Namen ihres Motels.

»Da hast du dir aber ein ganz schönes Drecksloch ausgesucht«, kommentierte Lilith trocken.

»Ich habe keine hohen Ansprüche ans Leben.«

Einige Herzschläge lang blickte Lilith Amicia einfach nur an. »Das ist eine verdammt traurige Aussage.«

Wortlos senkte die Gefallene die Augen. Was sollte sie dazu noch großartig sagen? Sich zu verteidigen hatte keinerlei Sinn und an der Situation würde es nichts ändern.

»Wir sehen uns morgen.«

Eine weitere Verabschiedung würde Lilith nicht aussprechen, ihre Aufmerksamkeit hatte sich bereits etwas anderem zugewandt.

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen verließ Amicia das Büro. In der Eingangshalle warf sie der Empfangsdame einen kurzen Blick zu, doch diese achtete nicht auf sie.

***

Die Nacht senkte sich langsam über Paris und das Nachtleben erwachte. Unendlich viele Lichter begannen die Dämmerung zu erhellen, Musik drang leise an Amicias Ohr. Menschen schlenderten nun viel entspannter über die Bürgersteige und unterhielten sich leise.

Tief atmete Amicia die frische Nachtluft ein. Paris hatte diesen einzigartigen Geruch, der im ersten Moment schwer zu beschreiben war. Schokolade, gemischt mit Wein und Rosen. Fremd und exotisch, doch irgendwie bekannt.

Eine fast vergessene Leichtigkeit ließ ihr Herz höher schlagen. Ihre Schritte wurden leichter, beinahe schwebte sie über den abgetretenen Asphalt.

Ihr Ziel rückte langsam, aber sicher, näher.

KAPITEL DREI – VERÄNDERUNG

Zum ersten Mal seit Langem hatte Amicia sich keinen Wecker gestellt. Sie wollte sich einen einzigen Morgen gönnen, in dem sie im Bett lag und ausschlief. Doch die Geräusche der Stadt und ihr aufgebrachter Verstand machten ihr einen Strich durch die Rechnung.

Noch bevor die Sonne den Himmel in strahlende Rottöne hüllte, schreckte die Gefallene aus dem Schlaf hoch. Laute Rufe drangen durch das offene Fenster. Mit nackten Füßen tapste sie über den kühlen Laminatboden, um es zu schließen.

Kratziges Männerlachen drang von der Straße zu ihr hinauf. Eine Gruppe Betrunkener hatte sich um einen Laternenpfahl versammelt. Einer von ihnen hatte die Hose heruntergelassen und pinkelte unter dem lauten Jubel der anderen gegen den Pfahl.

Angewidert verzog Amicia den Mund. Die Stadt der Lichter hatte durchaus ihre Schattenseiten und sie konnte sich wahrscheinlich glücklich schätzen, dass sie lediglich Zeugin öffentlichen Urinierens wurde und von nichts Schlimmerem.

Mit einem leisen Seufzer schloss sie das Fenster und verkroch sich wieder unter ihrer dünnen, rauen Decke. Für einige Minuten schloss sie die Augen und versuchte wieder einzuschlafen.

Doch schnell bereute Amicia das Fenster geschlossen zu haben. Die Luft staute sich in dem kleinen Zimmer und wurde mit jeder Minute wärmer. Frustriert wälzte sie sich auf die andere Seite und strampelte sich die Decke von den Beinen.

***

Irgendwann musste sie doch wieder weggenickt sein, denn sie erwachte in vollem Sonnenschein. Ein dünner Schweißfilm hatte sich auf ihrer Haut gebildet. Gerädert rieb Amicia sich das Gesicht und stand auf. Es war erst kurz nach neun, doch sie konnte einfach nicht mehr schlafen.

Müde legte sie den Arm über die Augen und sperrte so das Tageslicht aus. Untermalt von den Geräuschen der voll erwachten Stadt ließ sie den gestrigen Tag noch einmal Revue passieren.

War es zu einfach, sich bei Lilith einzuschleichen?

Schnell korrigierte Amicia sich selbst, noch hatte sie es nicht geschafft. Vielleicht waren das Glück oder die göttliche Macht auch auf ihrer Seite.

Nun musste sie genau darauf achten, wie es weiterging. Schwungvoll stand sie auf und lief ins Badezimmer. In dem flackernden Neonlicht, welches den fensterlosen Raum als Einziges erhellte, wirkte ihre blasse Haut beinahe grün. Nachdenklich betrachtete Amicia sich selbst, fuhr mit den Fingern durch ihre langen Haare und spürte die weichen Strähnen.

Unsicher fasste sie ihre Haare zusammen und ballte sie hinter ihrem Kopf. Spielte es denn irgendeine Rolle, wenn ihr bald ein anderes Spiegelbild entgegenschaute? Was Lilith wohl mit ihr vorhatte?