Faunenfluch 2: Tears of Gold - Cosima Lang - E-Book

Faunenfluch 2: Tears of Gold E-Book

Cosima Lang

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Beschreibung

**Eine Liebe gegossen aus Tränen und Gold** Ophelias Schicksal scheint besiegelt. Sie steht vollkommen unter dem Bann des mächtigen Fluchs, der ihre Blutlinie schon seit Generationen bedroht. Nur Andros, der Herrscher der Faune, kann sie retten, und ohne es zu begreifen, findet Ophelia sich in ihrer alten Heimat wieder. Doch ist sie nun ohne den Mann, dem sie sich stärker verbunden fühlt denn je. Verstört von den Ereignissen macht sie sich erneut auf nach Gaia, um nach den Wurzeln ihres Schicksals zu suchen. Auf der gefahrvollen Reise erfährt sie immer mehr über sich selbst sowie über Andros' Rolle – während die dunklen Machenschaften ihrer Gegner beide Welten bis auf die Grundfesten bedrohen. Lass dich in die magische Welt der Faune entführen! Eine Liebesgeschichte zwischen Schicksal, Feindschaft und dunklen Familiengeheimnissen. //»Tears of Gold« ist der zweite Teil der magischen Faunenfluch-Dilogie von Cosima Lang. Die komplette Romantasy-Dilogie bei Impress: -- Band 1: Heart of Lilac -- Band 2: Tears of Gold// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Cosima Lang

Faunenfluch 2: Tears of Gold

Eine Liebe gegossen aus Tränen und Gold

Ophelias Schicksal scheint besiegelt. Sie steht vollkommen unter dem Bann des mächtigen Fluchs, der ihre Blutlinie schon seit Generationen bedroht. Nur Andros, der Herrscher der Faune, kann sie retten, und ohne es zu begreifen, findet Ophelia sich in ihrer alten Heimat wieder. Doch ist sie nun ohne den Mann, dem sie sich stärker verbunden fühlt denn je. Verstört von den Ereignissen macht sie sich erneut auf nach Gaia, um nach den Wurzeln ihres Schicksals zu suchen. Auf der gefahrvollen Reise erfährt sie immer mehr über sich selbst sowie über Andros’ Rolle – während die dunklen Machenschaften ihrer Gegner beide Welten bis auf die Grundfesten bedrohen.

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Vita

© privat

Cosima Lang hat schon immer gerne in fremden Welten und abenteuerlichen Geschichten gelebt. In der Schule hatte sie lieber die Nase in einem guten Buch, als auf die Tafel zu schauen. Mit achtzehn fand sie endlich den Mut, auch ihre eigenen Geschichten niederzuschreiben. Ihre Liebe zu Fantasy drückt Cosima Lang auch in Form von Make-up-Looks aus, die sie oft passend zu Büchern gestaltet. Aktuell studiert sie Antike Kulturen und Germanistik und lebt mit ihrem Hund zusammen.

1

Man sagt, dass Geschichte die Tendenz hat, sich zu wiederholen. Dass, wenn wir nicht aus den Fehlern unserer Vergangenheit lernen, wir dazu verdammt sind, sie noch einmal zu durchleben.

Den Schmerz des Vergangenen zu vergraben, in der Hoffnung, sich ihm so nicht stellen zu müssen, führt nur zu noch mehr Schmerz. Eine Lektion, die ich mein Leben lang lernen musste.

Wir können der Vergangenheit nicht entkommen, genauso wenig wie unserem Schicksal.

Diese Erkenntnis formte sich glasklar in meinem Kopf, als ich Andros’ in Gold gegossenes, immer noch schlagendes Herz in der Hand hielt und zwischen ihm und Kyro hin- und herschaute.

Die beiden Faune schrien, während hinter ihnen die Sonne unterging. Meine Beine spürte ich nicht mehr. Mit letzter Kraft schmetterte ich das Herz zu Boden. Das Gold zerbrach und rotes Fleisch kam zum Vorschein.

Dann wurde die Welt um mich herum schwarz.

***

Da war nur Dunkelheit.

Kein Muskel in meinem Körper gehorchte mir. Aber ich spürte keinen Schmerz.

Ich spürte gar nichts.

***

Manchmal nahm die Schwärze ein wenig ab, aber es blieb weiterhin dunkel.

Ich meinte, ein anderes Wesen in meiner Nähe zu spüren.

Dann war ich wieder allein.

***

Dunkel, dunkel, dunkel.

Ich spürte nichts. Nichts. Nichts.

Ich wollte schreien, doch kein Ton kam über meine erstarrten Lippen.

***

Allein. Ich war vollkommen allein.

Das Wesen, das ich zuvor wahrnahm, kam mich nicht mehr besuchen.

Ich fühlte mich so verlassen.

Nicht einmal mehr meine Gedanken wollten mir Gesellschaft leisten.

***

In einem Moment war ich verpackt im Nichts, nicht einmal mehr ganz Mensch, im nächsten prasselte alles wieder auf mich ein.

Licht, so intensiv, dass ich das Gefühl bekam, zu erblinden. Geräusche, so viele, dass ich glaubte, taub davon zu werden.

Als Luft auf einmal wieder meine Lungen füllte, überkam mich ein Husten, der mich in die Knie zwang.

Der Boden war unnachgiebig und hart, als ich darauf stürzte und bewegungslos liegen blieb.

2

Blau. Alles um mich herum war jetzt blau. Langsam wandelte es sich, bis ein grauer Schleier sich darüberlegte. Ich spürte Sonne auf meiner Haut, doch sie tat nur wenig, um die Kälte in meinem Inneren zu verdrängen.

Es fühlte sich unwirklich an, meine Finger und Zehen wieder zu bewegen. Sicher war alles nur Einbildung gewesen und schon bald würde ich wieder in meiner albtraumhaften Realität erwachen.

Doch stattdessen spürte ich die harte Erde unter mir, die Luft in meinen Lungen. Langsam und mit steifen Gliedern kämpfte ich mich auf die Knie hoch, bevor ich mich umsah.

Wie erwartet kniete ich im Todesgarten meiner Familie, der sich um mich herum langsam auflöste. Die immer blühenden Pflanzen verwelkten, während die steinernen Statuen meiner Vorfahrinnen zerbröckelten, bis sie nichts weiter waren als Staub, der vom Wind davongetragen wurde.

Der Zauber, der auf diesem Ort lag, fiel in sich zusammen und gab den Blick auf die Welt dahinter frei. Meine Welt, die Erde.

Ich schaute auf meine Hände herab, beobachtete fassungslos, wie meine Finger tanzten.

Ich war am Leben. Und ich konnte mich bewegen.

Mein Verstand kam mit der Veränderung noch nicht ganz hinterher, doch mein Körper verlangte nach Bewegung. Während ich noch versuchte, zu begreifen, was gerade geschehen war, kam ich auf die Füße und machte die ersten Schritte.

Es dauerte einen Moment, bis ich vernünftig laufen konnte. Meine Beine fühlten sich steif und schwach an, sodass jede Bewegung schmerzte.

Trotzdem schleppte ich mich über die grünen Felder, auf denen bereits die Frühlingsblumen wuchsen. Jeder Schritt brachte Erinnerungen zurück, die so schmerzhaft waren, dass sie mir die Tränen in die Augen trieben.

Wie ich Andros’ in Gold gegossenes Herz auf den Boden schmetterte. Wie er und Kyro auf mich einschrien, nachdem Andros mir ins Labyrinth gefolgt war. Meine Nacht im Kerker.

Andros’ Gesichtsausdruck, als er glaubte, ich hätte ihn verraten. Unsere gemeinsamen Wochen davor, seine Küsse und Berührungen. Kyros bedrohliches Verhalten.

Die Tage, die ich damit verbrachte, das Labyrinth zu durchsuchen, in der vagen Hoffnung, dort das Herz zu finden. Die Reise durch Andros’ Domäne, unsere kleinen Ausflüge. Die Wunder dieser fremden Welt. Unser erster Kuss auf dem Sommersonnenwendefest. Meine Suche im Palast, die mir äußerst seltsam vorkam und zu keinem Ergebnis führte. Die Freunde, die ich während meines Abenteuers fand.

Kyros Hinweise und Erklärung, worum es sich genau bei meinem Fluch handelte, und vor allem die Tatsache, dass Andros sich selbst ebenfalls verflucht hatte. Schließlich der Anfang von allem: Izzys und meine Reise nach Gaia, nachdem wir aus meinem Elternhaus geflohen waren, und unsere erste Nacht im Kerker, in der mir Kyro das erste Mal begegnet war und … mich gerettet hatte.

Meine Schritte stockten, als ich mich an meine Freundin erinnerte. Ich blickte mich um, obwohl ich wusste, dass Izzy nicht hier sein konnte. Sie war in Gaia zurückgeblieben, ohne eine Möglichkeit, auf die Erde zurückzukehren.

Der einzige Grund, weshalb mir die Rückkehr zur Erde gelungen war, war der Fluch. Er hatte meinen versteinerten Körper in den Todesgarten transportiert. Dort sollte ich bis in alle Ewigkeit zwischen den anderen Steinfiguren stehen, jenen Aurisfrauen, die vor mir gelebt hatten und jenen, die nach mir leben würden.

Doch aus irgendeinem Grund konnte ich mich wieder bewegen, war wieder aus Fleisch und Blut und der Garten verschwunden. Wie war das möglich?

Ich schleppte mich weiter, bis zur Mauer um unser Grundstück. Obwohl ich fast mein ganzes Leben hier verbracht hatte, erkannte ich den Ort für einen Moment nicht wieder. Alles kam mir so fremd vor, und das grelle Sonnenlicht schmerzte in meinen Augen.

Die Tür des kleinen Wachhäuschens neben dem Tor flog auf und ein Mann eilte mir entgegen. Schwankend machte ich einen Schritt auf ihn zu, bevor die Welt auf einmal zur Seite kippte und ich wieder in die Dunkelheit fiel.

***

Ich erwachte mit einem Ruck. In einem Moment schwebte ich noch durch den Kosmos, im nächsten wurde ich zurück in meinen Körper gerissen.

Alles andere war mir in diesem Moment egal, ich war vollkommen darauf konzentriert, jeden meiner Körperteile zu bewegen, sicherzugehen, dass alles wieder funktionierte.

Am Rande meines Verstandes lauerten die Erinnerungen an meine Zeit im Stein. An das Gefühl, vollkommen machtlos zu sein. Gefangen, eingesperrt in mir selbst. Ohne Ausweg. Ohne jegliche Kontrolle.

Plötzlich atmete ich nur noch stoßweise, während ich verzweifelt versuchte, Sauerstoff in meine Lungen zu bekommen. Dunkle Flecken tanzten vor meinen Augen, als ich ein schnelles, lautes Piepen vernahm.

Dieses Geräusch schaffte es, den Nebel in meinem Kopf zu durchbrechen, sodass ich mir zum ersten Mal meiner Umgebung bewusstwerden konnte. Ich lag in einem Bett mitten in einem großen, abgedunkelten Zimmer. Viel konnte ich nicht erkennen, nur eine Reihe Maschinen, die neben meinem Bett standen und mit mir verbunden waren.

Das laute Piepen ertönte synchron mit meinem zu schnell schlagenden Herzen.

»Ophelia«, erklang eine Stimme von der anderen Seite des Bettes.

Sie kam mir bekannt vor. Aber mein Verstand war noch so verklebt, dass ich sie nicht direkt zuordnen konnte. Langsam wandte ich den Kopf. Dann blickte ich in ein Gesicht, das mich mein ganzes Leben begleitet hatte.

Mein Bruder.

Doch anstatt Erleichterung oder Liebe zu empfinden, spürte ich Verwirrung. »Was ist passiert?«, hauchte ich.

Robert beugte sich in seinem Stuhl ein Stück vor. »Ich weiß es nicht.« Er legte seine Hand auf meine und ich erschrak. Die Berührung erschien mir so fremd, dass ich sie kaum ertrug. »Ich dachte, das könntest du mir sagen.«

Ich schüttelte den Kopf, da ich nicht länger die Kraft hatte zu sprechen. Stattdessen betrachtete ich meinen Bruder. Er hatte sich in dem letzten Jahr nicht viel verändert, auch wenn er jetzt blasser aussah. Auch die dunklen Schatten unter seinen Augen hatten an Intensität zugenommen. Je genauer ich ihn betrachtete, desto älter kam er mir vor. Die Falten auf seiner Stirn und um die Augen herum waren tiefer geworden, und sein Mund hatte einen festen Zug, der mir neu war.

»Wie lange war ich gefangen?«, hörte ich mich plötzlich fragen.

Robert schluckte schwer, ehe er mir antwortete. »Drei Monate.«

Seine Worte hallten in meinem Kopf wider. Wie kann eine Zahl gleichzeitig so klein und so unendlich groß sein? Im Vergleich zu einer ganzen Lebenszeit waren drei Monate beinahe gar nichts. Und trotzdem hatten sie sich für mich wie ein ganzes Leben angefühlt.

Stille, zentnerschwer und aufgeladen, legte sich über uns. Ich hatte es nie gewagt, mir eine Wiedervereinigung mit meiner Familie vorzustellen, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie so schmerzhaft werden würde, so zäh. Ich war mir sicher, dass in Roberts Kopf ein ähnliches Chaos herrschte wie in meinem. Keiner von uns wollte das Wort ergreifen.

Endlich brachte mein Bruder eine Frage zustande: »Was ist im letzten Jahr geschehen?«

Ich wehrte mich gegen die Flut an Erinnerungen, die in diesem Moment auf mich einströmen wollten. Wenn ich sie jetzt hätte gewähren lassen, hätte ich mich in ihnen verloren. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Also fasste ich alles so knapp wie möglich zusammen. »Ich bin nach Gaia gegangen, um meinen … um den Fluch zu brechen.«

Ich wollte nicht länger von »meinem« Fluch sprechen. Ich war fertig damit, und die schreckliche Vergangenheit meiner Familie sollte nicht länger meine Zukunft bestimmen.

Robert nickte erst, bevor er gleich darauf den Kopf schüttelte. »Aber wieso hat der Fluch dich dann trotzdem ergriffen? Ich habe deine Statue gesehen, Ophelia. Pünktlich an deinem Geburtstag. Und jetzt sitzt du hier vor mir.« Er machte eine vage Handbewegung in meine Richtung, die mir beinahe wie ein Vorwurf vorkam.

Ich zuckte kurz zusammen, ehe ich mich entspannt in die Kissen zurücksinken ließ. Sicher meinte Robert es nicht so, sondern war einfach nur ähnlich verwirrt wie ich.

Einen Moment nahm ich mir Zeit, mich zu sammeln, ehe ich antwortete. »Ich weiß nicht, was passiert ist. An meinem Geburtstag wusste ich immer noch nicht, wie ich den Fluch brechen konnte.« Ich verschwieg Robert, was wirklich an diesem Abend geschehen war. Nichts davon ging ihn etwas an. »Und jetzt sitze ich hier vor dir.«

Wieder war nur das Piepen der Maschinen zu hören. »Stimmt etwas nicht mit mir?«, fragte ich endlich.

»Als wir dich gefunden haben, warst du ohnmächtig. Ich habe sofort unseren Arzt gerufen, aber er meint, es sei alles okay mit dir. Du seist weder dehydriert noch ausgehungert oder hättest sonst irgendeinen körperlichen Schaden davongetragen. Es ist fast wie ein Wunder.«

Oder wie Magie. Aber diesen Gedanken sprach ich nicht aus. Jetzt, wo sich der Nebel in meinem Gehirn langsam verzog, konnte ich wieder vernünftig denken. Und es gab nur eine Erklärung dafür, warum ich gerade hier saß.

Andros.

Irgendwie musste er den Fluch aus der Ferne aufgehoben haben. Doch so sehr ich es auch wollte, ich konnte ihn nicht danach fragen.

Ich wollte jetzt nicht an den Ducenai denken. Die Erinnerung an ihn hätte mich in ein tiefes Loch fallen lassen, aus dem ich so schnell nicht wieder herausgekommen wäre. Also konzentrierte ich mich auf meinen Bruder. »Ich weiß nicht, wie der Fluch gebrochen wurde, aber ist es im Endeffekt nicht egal?« Diesmal legte ich meine Hand auf seine. »Ich bin hier, ich bin am Leben. Es ist vorbei.«

Zum ersten Mal zeigte sich eine Regung in Roberts braunen Augen. Tränen sammelten sich darin, und er lächelte mich zittrig an. »Es ist wirklich ein Wunder. Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren.«

Für ein paar Augenblicke schien alles andere vergessen. Wir waren einfach nur zwei Geschwister, die nach langer Zeit wieder miteinander vereint waren. Dann klopfte es an der Zimmertür und der Zauber war mit einem Mal gebrochen.

Robert erkundigte sich nicht einmal, wer da war, sondern löste seine Hand von meiner und stand auf. »Du bist sicher noch erschöpft. Du solltest dich ausruhen.« Er drückte mir einen Kuss auf den Scheitel. »Ich schaue bald wieder nach dir.«

Ich konnte noch sehen, wie er mit dem Arzt sprach. Dann fiel die Tür wieder zu und er ließ mich mit meinen wilden Emotionen und tausenden Fragen allein zurück.

***

Ich verbrachte den ganzen nächsten Tag im Krankenzimmer. Meine einzigen Besucher waren der Arzt, der morgens und abends nach mir schaute, und die beiden Schwestern, deren Aufgabe es war, mich mit Essen zu versorgen und dem Arzt zu berichten, wie es mir ging.

Mein Bruder kam nicht noch einmal vorbei.

Stündlich wechselten meine Gefühle zwischen Wut, weil er mich im Stich ließ, und Erleichterung, mich nicht mit ihm konfrontieren zu müssen.

Ich schlief viel, was mir seltsam erschien. Denn schließlich war ich die letzten drei Monate als Statue nicht wirklich wach gewesen.

Drei Monate. Ich konnte es immer noch nicht glauben.

Den Rest der Zeit verbrachte ich damit, über mein letztes Lebensjahr nachzudenken. Mir kam alles wie ein fremder Traum vor – jetzt, da ich wieder auf der Erde war. Gaias Schönheit benetzte noch immer meine Gedanken, auch wenn die Bilder jener Welt mit jedem Tag mehr verblassten.

Ich dachte an Izzy und fragte mich, wie ihr neues Leben aussah. Wie erging es ihr und unseren anderen Freunden, nachdem sie mir zur Flucht verholfen hatten?

Grundsätzlich war da die Frage, wie das Leben nun in Gaia aussah. Hat sich dort etwas verändert oder läuft das Leben genauso weiter wie zuvor? Haben die Faune nun, nachdem der Fluch gebrochen ist, wieder Erinnerungen an die Zeit vor dem Fluch? Wie fühlen sie sich wohl?

Eigentlich wollte ich alle Gedanken an Andros vermeiden, einfach, weil sie zu schmerzhaft waren. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass sich meine Gefühle in unseren gemeinsamen Monaten langsam verändert hatten. Von Lust und Anziehung, hin zum Verliebtsein.

Innerlich verfluchte ich mich dafür. Mich ausgerechnet in ihn zu verlieben, aber ich konnte mein Herz davon nicht abbringen. Und jetzt saß ich in dieser neuen Hölle fest, ohne eine Möglichkeit, jemals wieder mit ihm reden oder die Dinge zwischen uns klären zu können.

***

Am nächsten Morgen hielt ich es nicht mehr aus. Ich sprang beinahe aus dem Bett, als der Arzt zur Visite kam. »Ich will hier raus. Sofort!«

Er wirkte überrascht, bevor er sich wieder fing. »Frau Auris. Ich habe Anweisungen von Ihrem Bruder, Sie hier zu behalten, bis es Ihnen wieder besser geht.«

Genervt spielte ich an dem Zugang in meiner Armbeuge herum. »Es geht mir schon besser. Doch wenn ich noch länger hier in diesem Bett sitzen muss, werde ich wieder kranker!«

Der Arzt blätterte durch seine Unterlagen, sichtbar unangenehm berührt, dass ich ihn so anging. »Wir haben noch nicht alle Befunde aus dem Labor.«

»Es. Geht. Mir. Gut!« Ich stieß jedes Wort einzeln zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Meine Familie bezahlt Sie doch, nicht wahr? Das heißt, Sie arbeiten auch für mich. Also, lassen sie mich gehen!« Ich hasste es, diese Karte auszuspielen – dabei kam ich mir irgendwie immer schäbig vor –, aber ich würde noch durchdrehen, wenn ich hier nicht sofort rauskam.

Der Arzt war inzwischen so weiß im Gesicht wie sein Kittel, und seine Stimme zitterte, als er endlich wieder sprach: »Ich werde alles veranlassen.«

Es dauerte noch eine weitere halbe Stunde, bis ich endlich aus dem verfluchten Bett herausklettern konnte. Die letzte Erinnerung an meinen Aufenthalt in dem Krankenzimmer war ein Pflaster auf der Stelle meines Venenzugangs, welches ich mir von der Haut riss, noch ehe sich die Tür hinter mir schloss.

***

Niemand begleitete mich, als ich durch unser Haus in Richtung meines Zimmers eilte. Es war ein absolut unwirkliches Gefühl, wieder hier zu sein. Augenscheinlich hatte sich nichts verändert.

Schon immer war mir der Luxus unseres Lebens sauer aufgestoßen. Doch nun, da ich wusste, was vor all den Jahren wirklich geschehen war, wurde mir beinahe schlecht. Dieses Haus kam mir so falsch, so kalt und fremd vor, dass ich eine Gänsehaut bekam.

Nur am Rande bemerkte ich, wie verlassen die langen Flure waren. Normalerweise sah man den einen oder anderen Angestellten. Doch nicht an diesem Tag.

Als ich die Türen meines Zimmers endlich erblickte, beschleunigte ich meine Schritte, bis ich sicher darin ankam. Dies war immer mein Rückzugsort gewesen, mein Heiligtum, zu dem nur der Zutritt hatte, den ich hineinbat.

Doch als ich mich jetzt umblickte, überkam mich nicht die allbekannte Sicherheit. Stattdessen überkam mich ein Gefühl der Fremde. Auch hier hatte sich nichts verändert. Alles stand immer noch an derselben Stelle. Das Zimmer war sauber, aber es wirkte kalt, so als wäre schon lange niemand mehr hier gewesen.

Wahrscheinlich hatte Robert mein Zimmer nur mit Tüchern abdecken lassen und nichts weiter verändert.

Langsam machte ich ein paar Schritte durch den Raum und hätte am liebsten sofort wieder die Flucht ergriffen. Doch es gab keinen anderen Ort, an dem ich mich hätte verstecken können.

Das Erste, was ich tat, war den Kamin in der Ecke meines Wohnbereiches anzuzünden. Normalerweise diente er bloß zur Dekoration. Die meiste Zeit standen darin nur ein paar Kerzen, doch wurde er jedes Mal mit frischem Holz bestückt. Als das kleine Feuer freudig vor sich hin flackerte, beruhigte ich mich etwas. Es erinnerte mich ein wenig an Gaia, das für mich nun mehr ein Zuhause war als dieser Ort.

Lange hielt ich es in meinem Zimmer nicht aus. Die Einsamkeit schien aus jeder Ecke auf mich zuzukriechen, die Stille war einfach viel zu ohrenbetäubend. Nachdem ich mich aus den Krankenzimmerkleidern geschält und wieder meine eigene Kleidung angezogen hatte, machte ich mich auf die Suche nach meinem Bruder.

Ich eilte durch das verlassene Haus bis zum Arbeitszimmer, welches mein Bruder und mein Vater sich teilten. Für gewöhnlich konnte man die beiden durch die dicken Holztüren reden hören. Nicht so dieses Mal. Alles war still.

Zögernd klopfte ich an, wartete jedoch nicht ab, bis mich jemand hereinbat. Warmes Sonnenlicht durchflutete das vor Prunk strotzende Arbeitszimmer, das dadurch leider nicht einladender wirkte.

Zu meiner Verwunderung saß mein Bruder an dem breiten Eichenholzschreibtisch meines Vaters. Als ich eintrat, zeigte sich für einen Moment so etwas wie Schuld auf seinem Gesicht, bevor er mich voller Sorge anschaute. »Ophelia, du solltest dich noch ausruhen!«

Wenig beeindruckt von seiner Fürsorge, zuckte ich mit den Schultern. »Ich hab mich lange genug ausgeruht, und ich denke, es ist an der Zeit, dass wir beide uns mal richtig unterhalten.« Ich ließ mich auf einen der Sessel vor dem Schreibtisch fallen.

»Worüber möchtest du denn reden?« Fahrig sortierte Robert ein paar Schreiben.

»Ich habe dir erzählt, was ich im letzten Jahr gemacht habe. Doch, was ist hier passiert? Wieso ist das Haus so leer? Und wo ist Papa?« Gerade die letzte Frage brannte mir auf der Seele.

Robert schaffte es nicht, mir in die Augen zu sehen. »Ophelia. Es gibt da etwas, das du wissen musst.«

3

Ich hätte nicht sagen können, wie lange ich so dastand und auf den Grabstein starrte. Robert hatte mich hierhergeführt, zum Grab unseres Vaters. Doch schon nach wenigen Minuten war mein Bruder wieder leise verschwunden.

Mein Vater war tot.

Ich konnte es nicht glauben. Laut Robert hatte Papas Herz ein paar Wochen nach meinem Verschwinden versagt. In einem Moment war er noch da, im nächsten von uns gegangen.

Und jetzt lag er hier auf dem Familienfriedhof begraben, direkt neben meiner Mutter. So, wie die beiden sich das gewünscht hatten.

Meine Tränen waren schon lange versiegt, nur ab und an bahnte sich noch ein trockenes Schluchzen seinen Weg aus meiner Kehle. Es kam mir so grausam vor, dass ich weiterleben durfte, eine weitere Chance bekam, aber mein Vater nicht.

Mein Verschwinden hatte ihm schlicht das Herz gebrochen.

Als ich Schritte hinter mir hörte, erlag ich für einen Moment der Hoffnung, Robert wäre zurückgekommen, um mir in meiner Trauer Gesellschaft zu leisten. Doch so leise Schritte passten nicht zu meinem Bruder.

»Es ist wirklich unglaublich. Du bist wieder da«, sprach eine Frau hinter mir. Es dauerte einen Moment, bis ich die Stimme zuordnen konnte.

Franziska, Roberts Freundin, stellte sich neben mich, die Hände schützend auf ihren Bauch gelegt. Ein Bauch, der sich auffällig wölbte.

»Du bist schwanger.«

Sie blickte an sich herunter, so als wären das auch für sie Neuigkeiten. »Ja, es ist immer noch kaum zu glauben. Robert strahlte vor Glück, als er davon erfuhr. Und dann auch noch so kurz nach unserer Hochzeit.«

Erst da bemerkte ich den dicken Diamantring, der ihren Finger schmückte, und sah Franziska ins Gesicht. »Ich habe wohl viel verpasst.«

Sie nickte freundlich, und mir wurde bewusst, wie hübsch sie aussah, wenn auch nur auf eine gewöhnliche Art und Weise: lange blonde Haare, blaue Augen, eine gerade Nase und perfekt geschwungene Lippen. Ihr Lächeln wirkte auf Anhieb stets ehrlich. So der erste Eindruck.

Doch schaute ich ihr tiefer in die Augen, bemerkte ich eine kalkulierende Kühle darin. Vor meinem Weggang hatten wir nie viel miteinander zu tun gehabt, obwohl sie und Robert bereits seit Jahren zusammen waren.

»Ich muss sagen, ich bin sehr beeindruckt«, sprach sie locker weiter, so als säßen wir beim Kaffeetrinken zusammen und stünden nicht vor dem Grab meines Vaters. »Du hast geschafft, was vor dir niemandem gelungen ist. Du bist nicht nur nach Gaia gereist, sondern hast es auch geschafft, den Faun davon zu überzeugen, den Fluch aufzuheben. Wie hast du das gemacht?«

Was für ein dreistes Verhör, dachte ich und setzte ein angestrengtes Lächeln auf. »Ich habe nett gefragt.«

Franziska legte den Kopf schräg und grinste auf mich herab. »Du kannst sehr überzeugend sein, dessen bin ich mir sicher. Aber jetzt gerade bist du es nicht.« Sie legte mir ihre Hand auf die Schulter, was mich augenblicklich erschaudern ließ. »Aber ich verstehe, dass du jetzt noch nicht darüber sprechen kannst. Wenn du so weit bist, bin ich für dich da.«

Sie wandte sich bereits zum Gehen, da musste ich ihr noch diese Frage stellen: »Was wird es denn?«

Liebevoll strich Franziska über ihren Babybauch. »Ein Mädchen.«

***

Ich blieb am Grab meines Vaters, bis es dunkel wurde. Hier fühlte ich mich halbwegs sicher. Die Vorstellung, zurück ins riesige, verlassene Haus zu müssen und dort Robert oder – noch schlimmer – Franziska zu begegnen, war nahezu unerträglich. Unsere kleine Unterhaltung hatte mich verwirrt. Ich konnte verstehen, dass sie sich Antworten von mir erhoffte. Aber ihre Kühle mir gegenüber war verstörend.

Am Ende aber trieben mich doch die Dunkelheit und Kälte zurück ins Haus – allerdings mit Bedacht, dort niemandem zu begegnen.

Zurück in meinem Zimmer verkroch ich mich im Bett, die Decke bis zu meiner Nasenspitze gezogen. In der letzten Nacht hatten mich – dank der verabreichten Beruhigungsmittel – jegliche Träume verschont, doch dieses Mal würden mich die Träume einholen, das ahnte ich bereits, als ich die Augen schloss.

Ich rannte durch die verschlungenen Pfade des Labyrinths, während um mich herum Blut aus den Fliederblüten tropfte. Die Erde pulsierte wie ein schlagendes Herz unter meinen Füßen, mehrmals fiel ich beinahe zu Boden, doch konnte mich im letzten Moment noch aufrecht halten.

Ich wusste nicht, wovor ich wegrannte. Doch ich war mir sicher: Wäre ich stehengeblieben, hätte es mich gepackt. Angst brannte sich durch meine Adern. Stimmen redeten unverständlich durcheinander. Auf einmal gab der Boden unter mir nach und ich stürzte ins Nichts.

Nur langsam tauchte ich aus dem Albtraum wieder auf. Schwer atmend und verschwitzt starrte ich in die Dunkelheit meines Zimmers. Keine Ahnung, wie lange ich geschlafen hatte, noch drang kein Licht durch die Vorhänge.

Ich wischte mir die Tränenspuren von den Wangen, bevor ich aus dem Bett stieg. An Schlaf war nicht länger zu denken. Das war frustrierend, denn nach dem Fluch hatte ich gehofft, nicht länger von Albträumen heimgesucht zu werden.

Stattdessen hatten die letzten Monate meinem Verstand nur neues Futter geliefert. Schon jetzt graute es mir davor, im Traum wieder zu Stein zu erstarren.

Mein Zimmer bot mir nur wenig Trost. Trotz der immer noch leicht glühenden Holzscheite im Kamin war es kalt und einsam. Ich hielt es nicht länger aus und machte mich kurzerhand auf die Suche nach einem Ort, an dem ich mich schon oft versteckt hatte.

Das Haus war still. Es schien, als wäre außer mir niemand anderes wach. Doch der Schein konnte leicht trügen, und so spähte ich erst einmal um jede Ecke, ehe ich mich weiter vorwagte.

Das Archiv unserer Familie lag tief verborgen im Haus. Ausschließlich Familienmitglieder hatten Zutritt, und nur wenige externe Leute wussten, dass es existierte. Meines Wissens war ich in den letzten Jahren die Einzige gewesen, die es regelmäßig aufsuchte.

Die vielen deckenhohen Bücherregale ließen den ohnehin schmalen Raum noch erdrückender wirken. Die Sammlung verschiedener Handschriften und Tagebücher reichte ähnlich meinem Familienstammbaum mehrere Jahrhunderte zurück. Doch das Wissen darüber lag hier verborgen, und niemand schien sich dafür zu interessieren.

In den letzten Jahren, bevor ich nach Gaia aufgebrochen war, hatte ich sehr viel Zeit hier verbracht, um so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Dabei war ich auch über das Tagebuch meines Vorfahren August gestolpert, dem ersten meiner Familie, der dem Fluch verfallen war.

Ihm zufolge war der Fluch ein Racheakt der Faune, weil sie den Krieg gegen die Menschen verloren hatten.

Doch mittlerweile wusste ich, dass die Wahrheit eine andere war: Andros, der Faunkönig, und Helene, August Auris’ Verlobte, waren ineinander verliebt. Eifersucht überkam meinen Vorfahren und so tötete er versehentlich Helene, als diese zwischen August und Andros ging, um ihren Geliebten zu schützen. Von seinem gebrochenen Herzen geleitet, verfluchte daraufhin Andros meinen Vorfahren. Was der Faunkönig aber nicht wusste, er sprach den Fluch falsch aus und verfluchte nicht nur August, sondern auch alle Frauen der Auris-Blutlinie, sich selbst und alle Faune. Während in der Menschenwelt alle Frauen der Auris-Blutlinie am Abend ihres 21. Geburtstages zu Stein erstarrten, verloren in der Faunenwelt alle Faune und ihr König jegliche Erinnerungen an die Zeit vor dem Fluch.

Bei meinen historischen Recherchen allerdings hatte ich in Augusts Aufzeichnungen keinerlei Hinweise auf den Konflikt zwischen August und Andros gefunden. Nur Helene wurde ein Mal erwähnt.

Es dauerte ein paar Minuten, bis ich die passende Stelle in dem vergilbten Buch gefunden hatte. Die einzige Lichtquelle im Archiv war eine Glühbirne, die unter der Decke hin- und herschwang und somit das Lesen nicht gerade erleichterte.

Eine Zeile, mehr nahm Helene in dem Tagebuch nicht ein. Und das, obwohl August wegen ihr bereit war, zu töten. Es war nichts weiter niedergeschrieben, außer die Feststellung, dass August mit ihr verlobt war.

Frustriert blätterte ich weiter, auf der Suche nach mehr Hinweisen. Es gab seitenweise Beschreibungen über den Krieg, über die Kämpfe zwischen Menschen und Faunen, aber keine weitere Erwähnung von Helene.

Die Einträge wurden kürzer und wütender, da der Krieg sich fortsetzte. Dann wurde zum ersten Mal der Fluch erwähnt.

Seufzend klappte ich das Tagebuch wieder zu. Diese Seiten hatte ich schon so oft gelesen, dass ich sie bereits vor meinem geistigen Auge sehen konnte. Darin wurde Helene nie wieder erwähnt. Stattdessen folgte eine Beschreibung nach der anderen darüber, wie sich unsere Welt nach dem Kriegsende entwickelt hatte.

Müde rieb ich mir übers Gesicht. Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, hier etwas Neues über die Vergangenheit zu finden, trotzdem war ich enttäuscht.

Ich stemmte mich vom Boden hoch und stellte das Tagebuch zurück an seine Stelle ins Regal. Mein Körper war inzwischen vor Müdigkeit zentnerschwer, aber ich wusste, dass ich keinen weiteren Schlaf finden würde. Die Angst vor Albträumen hielt mich erschreckend gut wach.

Wenigstens ging mittlerweile die Sonne auf, als ich wieder aus dem Archiv trat. Eilig schlich ich mich zurück in mein Zimmer, um mich für meinen nächsten Ausflug vernünftig anzuziehen. Alles, wonach ich mich jetzt sehnte, war, Zeit mit Juniper zu verbringen.

***

Stille empfing mich im Stall. Lediglich die Pferde waren bereits auf. Von den Angestellten fehlte noch jede Spur. Ich wanderte die mir so gut bekannten Boxen ab, bis ich vor der von Juniper stehen blieb. Mit den Fingerspitzen strich ich über die längst verblassten Sticker, die ich dort als Kind angebracht hatte.

Papa hatte mir Juniper zum dreizehnten Geburtstag geschenkt. Damals, als wir uns noch Mühe gegeben hatten, diesen Tag zu etwas Besonderem zu machen und wir ihn nur mit der engsten Familie gefeiert hatten. Es war ein schöner Tag gewesen, mit einem Picknick auf der Koppel, und ich konnte mich noch sehr gut an die Torte mit blauer Buttercreme erinnern.

Jetzt zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Alles, was mir noch blieb, waren Erinnerungen. An meinen Vater und an meine Zeit in Gaia. Nun stand ich hier, das ganze Leben endlich vor mir, aber ich hatte keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte.

Behutsam öffnete ich die Tür der Box und trat hinein. Juniper hob sofort den Kopf, aber es dauerte eine Sekunde, bis sie mich erkannte. Dann kam sie freudig auf mich zu und barg ihre Schnauze in meinem Haar. »Hallo, mein hübsches Mädchen. Ich hab dich vermisst.«

Lange stand ich einfach nur da und genoss ihre Nähe. Je länger ich bei ihr war, desto mehr kam ich zur Ruhe, bis ich zum ersten Mal, seitdem ich aufgewacht war, wieder richtig durchatmen konnte.

Den Rest des Vormittags verbrachte ich bei Juniper, striegelte sie und erzählte ihr von meiner Zeit in Gaia. Vor allem berichtete ich von Fiora, dem Ucos, auf dem ich dort geritten war. Doch jedes Mal, wenn ich über Fiora sprach, musste ich sofort an Andros denken.

»Wir sind gemeinsam ausgeritten und er hat mir den Wald gezeigt.« Obwohl ich allein im Stall war, flüsterte ich. »Dann sind wir zwischen den riesigen Bäumen hindurchgejagt. Dir würde Silvanaer sicher auch sehr gefallen. Dort sind die Ställe viel größer. Was sicher daran liegt, dass Ucos viel größer sind als Pferde.«

Juniper schnaubte, als hätte die Vorstellung sie zum Lachen gebracht.

»Das hatten Andros und ich gemeinsam, unsere Liebe fürs Reiten. Es ist nur zu schade, dass wir beide nicht viel Zeit hatten, zusammen auszureiten. Im Winter lag der Schnee zu hoch und im Frühling und Sommer, na ja, da habe ich Andros noch nicht wirklich vertraut.«

Seufzend legte ich die Bürste zur Seite. Ich vermisste den Ducenai sehr, auch wenn ich es weder sollte noch wollte. Zwischen uns beiden war nichts geklärt. Und jetzt, wo der Fluch gebrochen war, hatte ich mehr Fragen als zuvor.

Nur leider gab es dafür keine Chance. Uns trennten im wahrsten Sinne des Wortes Welten voneinander. Theoretisch konnte ich jederzeit nach Gaia zurückkehren, doch hielt mich meine eigene Angst davon ab.

Ich hatte keine Ahnung, was dort in den letzten Monaten vorgefallen war. Wenn Andros den Fluch gebrochen hatte, dann muss er seine Erinnerungen zurückhaben. Aber was bedeutet das für den Rest von Gaias Bewohnern? Wenn sich alle wieder an die grausamen Kriege erinnern, sind sie sicher nicht gut auf Menschen zu sprechen.

Dieser Gedanke bereitete mir besonders Bauchschmerzen, da sich Izzy immer noch in Gaia befand. Ich konnte mich nur darauf verlassen, dass Iliah und Felix sie beschützten.

***

Nachdem ich mich etwas später im Haus gestärkt hatte, holte ich Juniper endlich aus dem Stall, schwang mich auf ihren Rücken und preschte davon.

Es war seltsam, wieder auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen. Im Vergleich zu einem Ucos kam Juniper mir klein vor. Aber das Gefühl der Freiheit, während ich mit ihr über die Felder flog, war genau dasselbe.

Jetzt, da er nicht länger von einer Mauer markiert wurde, hätte ich den Todesgarten beinahe übersehen. Stattdessen befand sich dort nur Erde, die ein wenig dunkler war als die umliegende Wiese. Von den wunderschönen Pflanzen und den Statuen meiner Vorfahrinnen war nichts mehr übrig.

Trotzdem schwang ich mich von Junipers Rücken. Mit Bedacht trat ich auf die ehemals von Magie getränkte Erde, doch nun konnte ich nichts mehr davon spüren. Auch als ich beide Hände in die Erde grub, war da keine Verbindung nach Gaia.

Ich sackte auf dem Boden zusammen. Wieso muss alles nur so kompliziert sein? Ich hatte so sehr um mein Leben gekämpft, so sehr versucht, mir eine Zukunft zu ermöglichen, und jetzt, wo ich das alles hatte, wusste ich nicht, was ich tun sollte.

Ich sehnte mich einzig und allein nach einem Ort, an dem ich die Fremde war, und nach den Armen eines Fauns, der jetzt in mir sicher nur den Feind sah. Wie kann es sein, dass ich mich in Gaia mehr zuhause fühlte als hier auf der Erde?

Ich warf einen Blick in Richtung meines Familienanwesens. Ich hatte mein ganzes Leben dort verbracht, weil ich einfach keinen anderen Ort hatte. Der Fluch machte es mir unmöglich, mir ein eigenes Leben aufzubauen. Zu kurz wäre mein Leben dafür gewesen.

Juniper kam zu mir heran und stupste mich mit ihrer Nase an. Liebevoll strich ich über ihre Schnauze und verbarg meine Tränen in ihrem Fell. Weinen half dabei, mein Gedankenchaos zu klären. Als die Tränen versiegten, fasste ich einen neuen Plan. Ich musste von hier verschwinden, irgendwo anders hingehen und mir ein eigenes Leben aufbauen.

***

Am Abend hatte ich endlich genug Mut gefasst, um Robert meinen Entschluss mitzuteilen. Leider konnte ich nicht einfach verschwinden – auch wenn mir das am liebsten gewesen wäre –, aber für ein neues Leben brauchte ich Geld und über dieses bestimmte nun einmal mein Bruder.

Noch vor dem Abendessen wagte ich mich in seinen Flügel des Anwesens, wo er mit seiner Frau lebte, und von der ich hoffte, dass sie abwesend war.

Dieses Glück war mir leider nicht vergönnt, denn sie war es, die mir die Tür öffnete. Wieder schenkte sie mir dieses Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. »Ophelia, komm doch herein!«

Mit einem Knoten im Magen folgte ich ihr bis ins Wohnzimmer, wo Robert auf einem Sessel saß und etwas in seinen Laptop tippte. Als ich eintrat, hob er den Kopf, nur um seine Arbeit sofort zur Seite zu legen. »Fi, was gibt es?«