Fatburner - Sandra Busch - E-Book

Fatburner E-Book

Sandra Busch

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Beschreibung

Till ist Trainer in der Fitness-Scheune auf Wangerooge und hält sich für die Perfektion in Person. Daher ist er wenig begeistert, als er auf die Fatburner-Farm versetzt wird, um die dortige Kundschaft zu trainieren. Und als würde ihm diese Zumutung nicht ausreichen, verkompliziert ihm sein langjähriger Freund Marco das Leben noch mehr.

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Seitenzahl: 507

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Fatburner

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2021

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Phase4Studios – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-484-1

ISBN 978-3-96089-485-8 (epub)

Anmerkung zum Buch:

Dies ist kein Ratgeber für Ernährung oder Fitness.

In diesem Buch geht es einzig und allein um die sich entwickelnde Beziehung zwischen Till und Benjamin. Und vielleicht soll es auch ein bisschen zum Nachdenken anregen, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen, die nicht der „Norm“ entsprechen. Wobei es mich mal interessieren würde, wer diese Norm eigentlich festlegt  …

Inspiriert wurde ich durch die Sendung ,The Biggest Loser‘. Ich finde es verdammt mutig, wie die Teilnehmer ihre Problemzonen einer Kamera präsentieren und für ihre Ziele einen harten Kampf ausfechten. Den Kampf gegen den inneren Schweinehund und den eigenen Körper.

Als Schauplatz habe ich Wangerooge gewählt und mir die Freiheit genommen, die Fatburner-Farm und die Fitness-Scheune in die Örtlichkeiten hineinzudichten (ich bin Autor, ich habe die Macht :-). Das Café Pudding, die beiden Leuchttürme, die Inselbahn und die schöne Natur gibt es tatsächlich und sind definitiv einen Besuch wert.

Kapitel 1

MONTAG

Till lehnte an einem Baum, während er indigniert und ein wenig fassungslos beobachtete, wie die Kunden schnaufend die Auffahrt zur Fatburner-Farm entlangkrauchten. Walzten, musste man bei dem Anblick eigentlich sagen. Lauter rot angelaufene Gesichter mit Schwabbelbacken, über die der Schweiß in Strömen floss. Der Elektrokarren mit dem Gepäck der Neuankömmlinge war bereits vor einer halben Stunde eingetroffen. Sowohl er als auch Andrej hatten die zweifelhafte Ehre gehabt, die Gepäckstücke auf die Zimmer zu schleppen, damit sich die Gäste nicht gleich bei der Ankunft verausgabten.

Finster verfolgte Till, wie die fettleibigen Möchtegern-Fitness-Cracks das Foyer des lang gestreckten Bauwerks betraten, in dem sich Empfang, Aufenthaltsräume mit Personalumkleide, Küche, Speisesaal und Unterkünfte befanden. In einem zweiten Gebäude lag das Sportstudio, außerdem gab es verschiedene Outdoor-Trainingsplätze. Mittig gelegen präsentierte sich der Pool mit Liegestühlen und einer Wiese, auf der man Yogastunden und Ähnliches abhalten konnte. Die Häuser waren hell und freundlich in Pastelltönen und mit viel Glas eingerichtet worden. Schwitzen und Stöhnen in gemütlicher Atmosphäre lautete die Devise.

Mit einem Seufzen folgte Till den Gästen. Bei der Begrüßung und Gruppeneinteilung bestand für ihn Anwesenheitspflicht.

Hinter der Rezeption saß Carina, die ihr pflichtbewusstes Lächeln eingeschaltet hatte und Personalausweise gegen Schlüsselkarten tauschte, bis sie allen fünfzehn Neuankömmlingen ein Zimmer zugewiesen hatte. Ihre Haare trug sie zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgebunden, was das scharfkantige Gesicht betonte. Sie konnte kaum verbergen, dass sie einst magersüchtig gewesen war. Damit stand sie in fiesem Kontrast zu den Gästen.

Till schlängelte sich an den Neuzugängen vorbei, die inzwischen frisch gepressten Orangensaft zur Begrüßung erhielten, und reihte sich neben Andrej und Clarissa ein, die hinter ihrer Chefin Nina Aufstellung genommen hatten. Die Gesichter der Kunden wandten sich ihm interessiert zu. Das war ihm nicht neu, immerhin war er bis vor Kurzem Ninas Aushängeschild in der Fitness-Scheune. Dann hatte er mit Karl, dem Geschäftsführer, Krach bekommen und war zu den Fatburnern zwangsversetzt worden. Okay, eine Schlägerei vor Kundschaft anzuzetteln, war tatsächlich wenig geschäftsfördernd. Er sah es ja ein. Trotzdem wusste er um seinen Sexappeal. Die nussbraune Prinz Eisenherz-Frisur mit langem Pony, die seine Mutter unmöglich gefunden hatte, wurde seit Neuestem durch einen französischen Zopf am Oberkopf und restlichem Millimeterschnitt ersetzt. Das fand seine Mom genauso unmöglich, aber frisurentechnisch hatte er es ihr nie recht machen können. Die Kunden in der Fitness-Scheune applaudierten seiner Haartracht und Marco, seine Vögel- und Wichsliebschaft, fand sie richtig cool. Ihm selbst gefiel es und darauf kam es an. Zusammen mit der athletischen Figur, dem Waschbrettbauch und den leuchtend grünen Augen hatte es zumindest gereicht, dass er im letzten Jahr sogar ein Modelangebot erhielt: Fotos für einen Unterwäschekatalog. Till hatte abgelehnt, da er die Insel nicht verlassen wollte. Na ja, hauptsächlich, weil er Samson nicht missen wollte.

Inzwischen erging sich Nina in einer langatmigen Begrüßung. Wortfetzen wie Körperbalance, Ziele setzen, Selbstbeherrschung und Selbstdarstellung erreichten seine Ohren. Der Rest ging im langweiligen Blablablablubb unter. Er starrte die Gäste mindestens so unverhohlen an wie diese ihn und fragte sich, welche Nilpferde aus dieser Gruppe er zugeteilt bekam.

Boah!

Höchststrafe!

Am liebsten wäre er schreiend weggerannt. Vielleicht würde sich Nina erweichen lassen, wenn er ihr hoch und heilig versprach, Karl zukünftig aus dem Weg zu gehen und ganz brav zu sein. Till seufzte. Nein, sie würde nicht nachgeben. Seine Chefin besaß ein Rückgrat aus Eisen und ihr Dickschädel war ähnlich gepanzert. Genauso gut hätte er auf eine Nordseekrabbe einreden können.

„Und nun teile ich euch in Fünfergruppen ein“, sagte Nina, kurz bevor er im Stehen wegdöste. „Wir haben die Tomaten unter der Führung von Andrej sowie die Smileys unter der Anleitung von Clarissa. Und die … Schlümpfe unter unserem Coach Till.“

Die Trainer hatten sich die Bezeichnungen für ihre Teams selbst aussuchen dürfen. Was Nina von Schlümpfen hielt, war ihr vom Gesicht abzulesen.

„Blaubeeren wäre nett“, hatte sie gesagt. „Oder Kornblumen.“

Nix da! Seine Meinung stand fest. Schlümpfe. Basta!

Die Bekanntmachung von Andrejs und Clarissas Gruppenmitgliedern rauschte an ihm vorbei. Als die restlichen fünf vorgestellt wurden, zwang er sich allerdings zum Zuhören, schließlich wollten die Gäste mit Namen und nicht mit einem Yippie-ya-yaeh, Schweinebacke angesprochen werden.

Greta hatte wässrige blaue Augen und das blonde Haar zu zwei kindlichen Zöpfen geflochten, die sie wie Pippi Langstrumpf aussehen ließ. Sie galt als erwerbsunfähig und brachte mit Abstand das meiste Gewicht von allen auf die Waage.

Benjamin war goldblond, das Haar einigermaßen modisch frisiert. Auch er hatte blaue Augen, im Gegensatz zu Greta aber königsblau. Er trug einen kurz getrimmten Vollbart, der ihm überraschend gut stand.

Antonia war Hausfrau und zweifache Mutter. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt, was ihr Gesicht noch runder erscheinen ließ. Sie strahlte wie eine Christbaumbeleuchtung und gehörte garantiert zur Ich-hab-alles-im-Griff-Fraktion.

Dunja wirkte dagegen eher depressiv. Sie trug einen mausbraunen Bob und eine knallrote Brille. Von Beruf war sie Bäckereifachverkäuferin.

Hermes war der letzte Kerl in der Runde und gebürtiger Grieche. Seinen Eltern gehörte ein Restaurant, in dem er als Kellner und Küchenhilfe arbeitete. Mit einundvierzig Jahren war er der Älteste aus Tills Gruppe und stach durch eine Glatze hervor.

Seine Schlümpfe bekamen von Nina blaue T-Shirts überreicht, auf denen der goldene Schriftzug Fatburner stand. Weitere Shirts zum Wechseln lagen auf den Zimmern bereit. Ebenso wie die Regeln für den Aufenthalt auf der Fatburner-Farm. Kein Rauchen, kein Alkohol, das Tragen der zugeteilten Gruppen-Shirts um den Gemeinschaftssinn zu fördern, die tägliche ärztliche Betreuung, Essens- und Trainingszeiten, der Gebrauch von Waschmaschinen und Trocknern und so weiter und so fort. Till hatte erneut abgeschaltet. Ein Zuwiderhandeln konnte je nach Schwere des Vergehens zu einem Abbruch des Fatburner-Trainings führen, was nichts anderes als einen Rauswurf darstellte.

Nachdem es keine Fragen gab und der Orangensaft geschlürft war, durften sich die Neuankömmlinge in ihren Räumlichkeiten frisch machen, sich einrichten, den ersten Check des Arztes über sich ergehen lassen und eine Runde durch den Ort drehen. Morgen würden sich die Gruppen zu ihrer ersten Trainingseinheit treffen, seine Schlümpfe im Fitness-Raum.

„Till? Kann ich dich kurz sprechen?“ Nina deutete ihm mit einem Winken an, ihr in eine ruhige Ecke zu folgen.

„Könntest du bitte ein anderes Gesicht machen?“, zischte sie leise.

„Was denn?“

„Du ziehst eine Fresse wie eine Miesmuschel. Du sollst präsentieren und zeigen, wie spaßig es bei uns ist.“

„Spätestens, wenn die merken, was es zu futtern gibt, wissen die Bescheid“, murrte Till.

Nina verpasste ihm einen Rippenstoß. „Streng dich an. Ich habe kein Problem damit, dich ganz aus der Firma rauszukicken. Dann kannst du auf dem Hof deiner Eltern die Ponys für die kleinen Mädchen führen.“

Tills Eltern besaßen den Reitstall der Insel. Sie boten Unterricht auf dem Platz sowie für Fortgeschrittene Geländerunden an. Alles ohne Sattel auf Haflingern, Norwegern oder den beiden Schwarzwälder Kaltblütern. Der Hof florierte, die Reitstunden waren an die Touristen angepasst und erstklassig. Die Konkurrenz bildete Tills Onkel Arne, der auf seinem Pferdehof Kutschfahrten auf der Insel und ins Watt anbot.

„Hey, bislang war jeder mit meinem Personal-Training zufrieden. Oder hast du jemals Beschwerden von Kunden erhalten?“, protestierte er.

„Nein.“ Nina fixierte ihn streng. „Und das darf gerne so bleiben.“

„Kannst du nicht wenigstens diese Greta aus meiner Gruppe nehmen? Die …“

„NEIN!“

Er verdrehte die Augen.

„Ich habe euch die Gäste anhand ihrer Auskunftsbögen zugeteilt. Meiner Meinung nach ist Greta bei dir am besten aufgehoben.“

„Für mich ist es fraglich, ob das jetzt ein Kompliment sein soll.“

Seine Chefin seufzte. „Wenn es um Samson geht, kannst du unglaublich sensibel sein. Probier dieses Verhalten ruhig bei deinen Kunden aus.“

Was war das bloß für ein Vergleich? Till liebte Samson von ganzem Herzen.

„Der hat mit dieser Truppe nichts gemein. Also erwähne ihn nicht wieder im Zusammenhang mit diesen … diesen …“

„Ja?“ Lauernd schaute ihn Nina an.

Mit einem genervten Schnauben gab Till sich geschlagen. „Du wirst keine Klagen hören.“

„Schön.“ Sie tätschelte ihm die Wange. „Du hast mittlerweile zwei Abmahnungen …“

„Wegen Karl, diesem Idioten.“

„Zufällig bin ich mit dem Idioten verheiratet.“

„Was dich parteiisch macht.“

„Meine Ehe mit Karl ist der Grund dafür, dass ich dir nicht sofort fristlos gekündigt habe.“ Ratlos schüttelte Nina den Kopf. „Ich verstehe nicht, weshalb du mit Karl nicht auskommst.“

„Er kommt mit mir nicht aus.“

„Unsinn.“

„Er mischt sich ständig in mein Trainingsprogramm ein. Wie sieht das denn für den Kunden aus, wenn der Personal-Trainer etwas von ihm verlangt und gleich darauf der Geschäftsführer vorbeigelatscht kommt und genau das Gegenteil sagt? Er stellt mich damit als dumm hin.“

„Deswegen bist du ja nun hier. Da kann dir Karl nicht mehr in die Quere kommen.“

„Deinen Stecher hättest du zwangsversetzen müssen.“

Nina lachte auf. „Und dich als Geschäftsführer für die Fitness-Scheune einsetzen?“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum nicht?“

„Netter Versuch, Till. Sehr netter Versuch.“

*--*

Wolken waren am dämmrigen Himmel erschienen und es herrschte Ebbe, was viele Touristen verlockte, den Abendspaziergang ins Watt zu verlegen. Von seinem Platz an einem robusten Holztisch auf der Promenade vor Digger’s Strandbar aus konnte Till in der Ferne eine Kette von sechs Pferden erkennen, die in Richtung des elterlichen Hofs unterwegs waren.

„Hi, Till.“ Jann, der Inhaber des Digger’s, kam ihn persönlich bedienen. „Heute allein?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin mit Marco verabredet.“

„Willst du warten oder schon bestellen?“

„Ich nehme einen Gin Tonic.“

„Erdnüsse dazu?“

„Salzbrezeln wären mir lieber.“

Jann lächelte. „Bringe ich dir. Und sonst?“

Till musterte ihn und seufzte dann. „Hat dich der Dünenfunk also auch erreicht?“

„Dass du zwangsversetzt wurdest? Ja.“ Jann fuhr sich über seine rotbraunen Stoppeln. „Ich hab gehört, dass heute Neukunden eingetrudelt sind.“

„Das spricht sich ja schnell herum.“

Janns Lächeln wurde verlegen. „Wie jedes Ereignis im Ort. Und?“

Er schüttelte den Kopf. „Katastrophe.“

„Klingt, als hättest du den Gin Tonic dringend nötig. Der geht heute aufs Haus.“

„Danke, Jann, das ist nett von dir.“ Er bekam einen aufmunternden Klaps auf die Schulter, bevor der Wirt zum nächsten Tisch sauste, um die Bestellung dort aufzunehmen.

„Was für eine gequirlte Kacke“, murmelte Till und kniff sich in die Nasenwurzel. Er würde Kopfweh bekommen, wenn er sich weiter ärgerte. Dass Nina dermaßen fies sein konnte … Er fasste es nicht.

Fahrradbremsen quietschten, es schepperte und jemand rief: „Tschuldigung!“

In der nächsten Sekunde warf sich Marco auf den Stuhl an seiner Seite. Er musste im Laufe des Tages beim Friseur gewesen sein, denn die blonden Haare betonten jetzt vorteilhaft das gebräunte Gesicht, in dem sich ein paar Sommersprossen tummelten.

„Na?“ Er drückte Till einen Kuss auf die Wange und zwinkerte ihm mit den babyblauen Augen zu. „Sind deine Schlümpfe eingetrudelt?“

„Angerollt trifft es eher.“

„Ich habe inzwischen sogar den Klingelton für dich geändert.“ Marco wedelte mit seinem Handy vor seiner Nase herum. „Vader Abraham. Sag mal, wo kommst du denn her …“

„Mann, Marco! Wenn du bloß nerven willst, hau wieder ab.“

Sein Freund verstummte sofort. „Okay. Die Mimose ist ein wenig empfindlich, hmm? Hey, Jann! Ein Helles, ja?“ Marco winkte, bis Jann nickte, und wandte sich erneut Till zu. „Erzähl!“

„Was gibt es da zu erzählen? Die sind da. Einer ist fetter als der andere. Ich habe jetzt fünf Walrösser an der Hacke.“

„Schlimm?“

„Ästhetisch ist anders.“ Er suhlte sich in Selbstmitleid.

Jann servierte ihnen die Getränke und stellte ein Schälchen mit den Salzbrezeln in die Mitte. Das Digger’s füllte sich. Die Touris wollten einen Absacker, bevor es zum Abendessen in die Hotels oder Ferienwohnungen ging, und hofften auf einen schönen Sonnenuntergang, möglichst südseelike.

Till stieß mit Marco an und trank einen Schluck. Etwas besänftigt setzte er das Glas ab. Jann hatte nicht mit Gin gespart.

„Du bist das Gespräch in der Scheune“, berichtete Marco. „Seitdem du weg bist, läuft Karl mit einem fetten Grinsen im Gesicht herum und betont, wie angenehm ruhig es plötzlich ist.“

„Was für’n Arschloch.“

„Kannste laut sagen. Falls es dich ein bisschen tröstet: Es gibt Kunden, die sich wegen deiner Versetzung beschwert haben. Wenn das anhält, wird Nina dich zurückholen müssen.“

Das wagte Till nach dem heutigen Gespräch mit ihr zu bezweifeln, trotzdem ging die Bemerkung runter wie Öl.

„Und? Wie sind die Klopse so?“

„Fett.“

Sie grinsten.

„Richtig fett“, berichtete Till. „Wenn die sich bewegen, glaubst du, dich ins Wackelpuddingland verirrt zu haben. Da schwabbelt einfach alles.“

„Wie kann man sich dermaßen Speck anfressen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“ Mit der Fingerspitze fing er einen Wassertropfen auf, der an seinem Glas herablief. „Ich muss sogar eine Art Krankenblatt führen. Mit dem Startgewicht, den wöchentlichen Erfolgen, wie die Dicken stimmungsmäßig drauf sind, Blutdruck und Puls nach dem Training … Als ob ich ein Psychologe wäre oder Medizin studiert hätte.“

„Ninas Konzept kann nicht falsch sein. Sie hat mit dieser Fatburner-Sache Erfolg.“

„Ja, will ich gar nicht abstreiten. Aber warum muss ich den Scheiß machen?“

Sie sahen sich an und sagten im Chor: „Karl.“

„Der wollte dich von Anfang an rausekeln“, brummte Marco und leerte sein Bier, um Jann gleich darauf wegen einem weiteren heranzuwinken. Was sein Freund da sagte, war nicht von der Hand zu weisen. Karl war vor einem Dreivierteljahr nach Wangerooge gezogen, hatte sich sofort an Nina herangemacht und sie ein halbes Jahr später geheiratet. Angeblich war es Liebe auf den ersten Blick. Till vermutete, dass seine Chefin entweder weiterhin eine Augenbinde trug oder mit Blindheit geschlagen wurde, sobald Karl vor ihr auftauchte.

„Der ist fünfzehn Jahre älter als Nina. Was will die mit dem?“

„Vielleicht fickt der gut.“ Marco grinste und legte ihm einen Arm über die Schulter. „Was ist eigentlich mit uns?“

Er schob den Arm von sich. „Bin nicht in Stimmung.“

„Na bitte!“ Sein Kumpel lehnte sich beleidigt in seinem Stuhl zurück. „Kaum bist du versetzt, muss ich darunter leiden.“

Beinahe wäre Till aufgesprungen und hätte den Deppen sitzen gelassen. Verstand der eigentlich, worum es ging? Nämlich, dass sein Leben den Bach runterging, weil Nina ihn zu den Klopsen beordert hatte.

„Dir werden garantiert nicht die Finger abfaulen, wenn du heute Abend selbst Hand anlegen musst“, brummelte er verstimmt in sein Glas.

*--*

DIENSTAG

Jeder Kursteilnehmer hatte sein blaues Shirt mit dem Fatburner-Aufdruck angezogen und saß nun in trauter Runde mit den anderen auf Kisten im Kreis beisammen. Auch Till trug das Shirt, allerdings in einer deutlich kleineren Ausgabe und körperbetonendem Schnitt.

„Willkommen auf Wangerooge.“ Er zwang sich zu einem Lächeln. „Ich bin Till, achtundzwanzig, Insulaner. Derjenige, der euch die nächsten Wochen quälen wird. Nur damit ihr wisst, wen ihr zukünftig verfluchen könnt.“

Halbherziges Lachen folgte auf seine Worte.

„An der Tür liegen eure Trainingspläne mit den genauen Ort- und Zeitangaben. Bitte nehmt euch nach der Stunde ein Exemplar mit. Ausreden wie Ich habe meine Regel ziehen bei mir nicht. Erst recht nicht bei den Herren. Kann ich nicht toleriere ich nicht. Betrachtet das Ganze wie ein Boot Camp und denkt stets daran, dass es einen triftigen Grund gibt, warum ihr zu uns gekommen seid.“

Hoffentlich hatte er damit klargemacht, dass er keine Weicheier duldete. Schließlich war jeder von diesen Schwabbelärschen zum Abnehmen da und hatte sich das selbst ausgesucht. Und obendrein selbst eingebrockt.

Für ein, zwei Sekunden schloss Till die Augen und versuchte, sich zusammenzureißen.

„Okay.“ Er schaute wieder in die Runde. „Wenn ihr Freizeit habt, könnt ihr selbstverständlich den Fitness-Raum und den Pool nutzen, sofern ihr noch Lust auf ein zusätzliches Training habt. Die Geräte hat Nina euch gestern erklärt, wie mir mitgeteilt wurde. Achtet bittet auf die richtige Haltung. Wenn ihr euch nicht sicher seid, fragt lieber nach, bevor ihr eure Knochen kaputt trainiert. Wir beenden jeden Tag mit einem Hindernisparcours, der die Fortschritte aufzeigen soll.“

Wenn es doch schon so weit wäre …

„Und womit fangen wir an?“, fragte einer der Männer, der ein Piratenbandana trug. Till hatte den Namen vergessen. Es war jedenfalls nicht der Grieche Hermes. Komischerweise hatte er behalten, wie der hieß.

„Und wann gibt es Frühstück?“, wollte Greta wissen. Alle starrten sie an.

„Da kommen wir gerade her“, sagte der Pirat verblüfft.

„Benny! Du willst hoffentlich nicht behaupten, dass das ein Frühstück war?“

Ach ja, Benjamin.

Benjamin, Benjamin, Benny, murmelte Till in Gedanken, um sich den Namen endlich zu merken.

„Natürlich war es das Frühstück“, entgegnete der. „Schmeckte gut.“

„Die Mahlzeiten werden von einem Ernährungsberater und einem Diätkoch zusammengestellt.“ Till mischte sich schnell ein, bevor es zum Streit kam. „Und sie sind auf den Bedarf jedes Einzelnen zugeschnitten.“

„Ich soll wohl verhungern?“ Greta stemmte die Hände dorthin, wo andere Menschen eine Taille hatten.

Till starrte sie an. Ein passender Kommentar lag ihm auf der Zunge. Böse Worte, für die ihn Nina feuern würde. Darum schluckte er sie mühsam hinunter.

„Ich denke, soweit wird es nicht kommen“, sagte er diplomatisch. „Und um auf Benjamins Frage zu antworten: Ich verteile gleich Zettel und Filzstifte. Jeder von euch ist in der Vergangenheit sicherlich wegen des Übergewichts in eine Situation geraten, die sehr peinlich oder verletzend gewesen ist. Ich möchte, dass ihr eine solche Situation auf den Zettel schreibt. Danach werden wir darüber reden.“

„Ist das eine Therapiestunde?“, erkundigte sich Hermes.

„Nein, denn ich bin kein Therapeut. Im Anschluss wird dir ein Licht aufgehen, warum wir das machen. Lass dich überraschen, ja?“ Er erhob sich, verteilte das Schreibwerkzeug.

„Was soll das bringen?“ Greta betrachtete den Zettel, den Till ihr entgegenhielt, als wäre er ein Giftbecher, den sie austrinken sollte.

„Finde es heraus.“

„Kein Bock.“

Till zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Das Verweigern der Trainingseinheiten bringt dich auf direktem Weg zum Fähranleger. Schipper nach Hause und verdirb den anderen nicht ihren Aufenthalt hier. Die wollen nämlich abnehmen.“

Greta schnaufte und riss ihm den Zettel aus der Hand.

„Roter Filzer oder schwarz?“, fragte Till liebenswürdig.

„Rot“, knurrte sie.

„Bitte schön.“

„Reichen … reichen Stichworte aus?“, wollte Dunja wissen.

„Ja, das reicht. Keine Romane, weil wir ja eigentlich Sport machen wollen. Schreibt auf, was euch belastet hat.“ Er beobachtete, wie seine Schlümpfe überlegten. Der ein oder andere runzelte die Stirn, Antonia klopfte sich mit dem Stift gegen die Nase und Hermes kniff die Augen zusammen. Benjamin kaute auf der Unterlippe herum. Überraschenderweise war es Greta, die als Erste etwas auf ihren Zettel kritzelte.

Fünf Minuten später war seine Truppe fertig und wartete darauf, dass es weiterging.

„Dunja, der Flötenschlumpf, fängt an.“

Ein müdes Grinsen kommentierte seine Anspielung auf den Vader Abraham-Song.

„Magst du mir deinen Zettel geben?“

Sie nickte und reichte ihm das Blatt.

„Schwimmbadfigur“, las er laut vor. „Viele Ringe und ein breites Becken.“ Irgendwie war das lustig und gemeinsam mit Marco hätte er darüber bestimmt lauthals gelacht. Hier verkniff er sich das lieber. Er wäre ohnehin der Einzige, der sich über den Spruch amüsierte. Die anderen fanden es nämlich gar nicht komisch. Dabei war der echt originell.

„Da war ich sogar zwanzig Kilo leichter“, sagte Dunja leise. „Es waren zwei Jungen, die mit mir in der Bäckerei eine Ausbildung machten. Die beiden als Bäcker, ich als Fachverkäuferin. Sie haben geglaubt, ich würde sie nicht hören. Das tat echt weh.“

Wahrscheinlich, weil sie gerade ein Plunderstück im Mund hatte, als die beiden die Bemerkung heraushauten. Till stand erneut auf und klebte das Papier an einem Boxsack fest. Danach reichte er Dunja ein Paar Boxhandschuhe.

„Zieh sie an und schlag auf den Zettel ein“, forderte er sie auf. „So fest, wie du kannst. Schrei! Tob dich aus! Lass deinen aufgestauten Frust raus!“

Ein wenig zögernd streifte sich Dunja die Handschuhe über und näherte sich dem zylinderförmigen Trainingsobjekt. Der erste Hieb ließ das Ding nicht mal erzittern.

„Fester, Dunja! Werde wütend. Denk an den miesen Tag von einst zurück. Erinnere dich, wie dich diese Worte getroffen haben. Und dann hau zu.“

„Hrrgh!“ Es war kaum zu hören.

„Lauter!“, schrie Till, woraufhin alle zusammenzuckten. „Fester! Prügel auf die Scheißkerle ein!“

„Aaaaarrr!“ Jetzt schlug Dunja mit beiden Fäusten abwechselnd auf das granulatgefüllte Kunstleder ein, angefeuert von den anderen der Gruppe. Tränen begannen ihr übers verzerrte Gesicht zu laufen, als sie immer und immer wieder auf den Zettel eindrosch, bis der in Fetzen herabhing.

„In Ordnung, das genügt“, brummte Till und klopfte ihr linkisch auf die Schulter. Weich, wabbelig … unangenehm. „Wie fühlst du dich?“

Dunja schniefte. „Besser.“ Sie probierte sich an einem Lächeln, was reichlich misslang. „Das tat wirklich gut. Als ob einem ein Stein von der Seele fällt.“

„Genau das war der Plan. Ab heute beginnt ein neuer Lebensabschnitt.“ Was für ein blödes Gefasel! Dummerweise bestand Nina darauf. Er hatte tatsächlich solche Phrasen einstudieren müssen.

„Antonia?“ Er nahm den nächsten Zettel an sich, während Dunja die Handschuhe an Antonia weiterreichte.

„Kinosessel“, las Till vor.

„Im Kino war ich schon ewig nicht mehr“, gestand Antonia. „Ich bin ohnehin kaum noch aus dem Haus gegangen. Mich störte es, wie mir die Leute hinterherstarrten und hinter meinem Rücken zu tuscheln begannen. Eines Tages lief da dieser Film, eine Komödie, die ich unbedingt schauen wollte. Ich kaufte mir eine Karte und setzte mich in den Kinosessel. Er hatte die Nummer sechsunddreißig. Das weiß ich bis heute. Wenig später kam ein junges Mädchen. Sie hatte den Sitz neben mir und sie … Sie …“ Antonia holte tief Luft. „Sie konnte sich nicht hinsetzen, weil mein verfluchter Speck bis auf ihren Platz quoll.“ Sie vergrub das Gesicht in den dicken Handschuhen. Till pinnte das Blatt Papier an den Boxsack und dachte sich dabei, dass Antonia an der Kinokasse besser einen zweiten Sitzplatz statt Nachos hätte kaufen sollen.

„Feuer frei. Lass es raus.“ Allmählich wurde er dieses fetten Wahnsinns müde. Er sollte vielleicht ein letztes kleinlautes Gespräch mit Nina führen.

Antonia nickte und schlurfte zu dem Ungetüm hinüber. Im nächsten Moment stürzte sie sich wie eine Furie darauf und hämmerte auf ihn ein.

„Wuuuuaaaaaah!“, brüllte sie dabei.

„Respekt“, murmelte er und meinte damit den Boxsack, weil der brav hängen blieb und nicht vor der geballten Wut seiner Angreiferin floh. Lange währte die Attacke nicht, weil Antonia nach kurzer Zeit die Puste ausging. Lächelnd gab sie die Handschuhe an Hermes weiter.

„Das ist wirklich erleichternd“, sagte sie.

Hermes überreichte Till sein Blatt.

„Der Wal muss ins Meer“, las er.

„Wir haben Urlaub auf Rhodos gemacht“, berichtete Hermes. „Da wohnen meine Großeltern. Wir waren am Strand und wollten dort picknicken. Einen schönen Tag verleben. Auf einmal tauchten ein paar angetrunkene Jugendliche auf, packten mich an Armen und Beinen und wollten mich ins Meer schleppen. Die faselten was davon, dass sie von Greenpeace wären und wollten den Wal retten, indem sie ihn ins Wasser zerrten. Es waren drei und sie haben mich keine fünf Meter weit bekommen.“ Er schluckte schwer. „Vor den vielen Touris und meiner Familie war das echt peinlich.“

„Superpeinlich“, bestätigte Dunja und drückte aufmunternd seine Hand.

Till klebte den Zettel an das Kunstleder und deutete einladend darauf. „Bitte! Er gehört dir.“

Hermes kam mit einem Ächzen in die Höhe. „Ich bin nicht der beste Boxer“, murmelte er entschuldigend.

„Wir befinden uns auch nicht in einem Wettkampf. Mach dir also darüber keine Sorgen.“ Till nickte ihm auffordernd zu und Hermes begann mit seiner Attacke. In Kürze war sein Zettel genauso zerfetzt, wie die der anderen. Und auf Hermes’ Shirt hatten sich dunkle Schweißflecke unterhalb der Achseln gebildet.

Dabei hat er kaum was getan, dachte Till. Keine Kondition, keine Kraft, kein Körpergefühl. Nur Masse.

„Der nächste Schlumpf, bitte schön.“

„Ladys first.“ Benjamin ließ Greta den Vortritt. Die streckte Till den Zettel entgegen, als wollte sie ihn k.o. hauen.

Mühsam entzifferte er das Gekrakel. „Verstecken?“

„Genau. Es ging ständig ums Verbergen und Verhüllen. Ich trug das komplette Jahr über langärmlige Sachen, um meine fetten Arme nicht zeigen zu müssen. Ich wollte nicht zum Arzt gehen, damit der die Dehnungsstreifen auf meinem Körper nicht sieht.“ Sie lupfte ihr Shirt, um ihren Bauch zu entblößen, und Till hatte Mühe, nicht zu würgen. Wie rote Würmer zogen sich die besagten Streifen über ihren Leib.

Grundgütiger!

Wie konnte man sich so hässlich fressen?

„Der Höhepunkt waren ein paar Kinder, die Verstecken gespielt haben. Eine ganze Gruppe von ihnen fand es ungemein komisch, sich hinter meinen Rücken zu ducken. Ich will das nicht mehr. Oder mich als Hüpfburg bezeichnen lassen. Nie wieder. Dafür hast du zu sorgen.“

„Hallo? Da gehören zwei dazu“, knurrte er und klebte ihr Verstecken an den Boxsack. „Mach es nieder.“ Das war einfacher gesagt als getan, denn Greta benötigte zunächst ein wenig Unterstützung beim Aufstehen. Hermes und Benjamin waren ihr behilflich, trotzdem schnaufte sie, wie kurz vorm Umfallen. Als sie auf den Boxsack einschlug, hatte Till den Eindruck, sich einen Film in Zeitlupe anzusehen. Das Schnaufen wurde lauter und angestrengter, bis endlich der Zettel riss.

„Haaa!“ Greta keuchte, zerrte sich die Handschuhe von den Händen und warf sie Benjamin zu. „Du bist dran.“ Sie plumpste auf ihre Kiste und Till glaubte schon, dass die aufgab und unter Gretas Gewicht zerbrach.

Sein letzter Schlumpf reichte ihm mit einem gequälten Blick seine Notiz. Er wollte sie wie die anderen laut vorlesen, stattdessen stockte er.

Donnerknispel!

Das war wirklich fies.

„Was steht da?“, wollte Dunja wissen.

„Das hat jemand zu dir gesagt?“, fragte Till und Benjamin nickte. Zwei Wörter, aber irgendwie erschreckend. Wie hätte er reagiert, wenn man ihm das zugerufen hätte?

Das wäre mir nie passiert, fuhr es ihm durch den Kopf. Der ist selbst schuld. Genau wie die anderen.

„Hast du denjenigen angezeigt?“, erkundigte er sich.

Nun schüttelte Benjamin den Kopf.

„Warum nicht? Meines Erachtens ist das eine deutliche Aufforderung zum Suizid, oder nicht?“

„Das gehört dazu, wenn man fett ist“, sagte sein dickleibiger Schlumpf leise.

„Was hast du aufgeschrieben?“ Hermes stieß Benjamin sachte an.

„Geh sterben“, antwortete der.

*--*

Nach der Boxsack-Aktion hatte Till die Schlümpfe an die Fitnessgeräte gescheucht und sie unter seiner Aufsicht schwitzen lassen. Mit Greta war er mehrfach zusammengerasselt, da ihr alles zu schwer, zu anstrengend und überhaupt scheiße war. Zum Schluss hatte er sie entnervt angeschrien, dass er ihr zusätzliche fünfzig Kilo auf die Rippen wünschte, weil sie mit ihrer miesen Laune die anderen runterzog. Greta hatte geheult und Antonia sie trösten müssen, während der Rest weiter mit den Geräten kämpfte, bis es Zeit für die Ernährungsberatung war und das gemeinsame Kochen für das Mittagessen anstand. Das bedeutete für Till eine Pause und die nutzte er, um Ninas Büro zu stürmen.

„Ich bin ein Star, hol mich hier raus!“ Mit einer überreizten Geste warf er sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Seine Chefin verdrehte die Augen und wandte sich von ihrem Rechner ab. Mit einer Hand strich sie ihren weißblonden Fischgrätzopf auf den Rücken.

„Was ist los?“

„Ich habe keinen Bock mehr auf diese Klopse. Okay, ich verdiene Strafe, weil ich mich mit Karl geschlagen habe. Zukünftig werde ich mich zusammenreißen und Streit mit ihm vermeiden.“

„Heißt das, du gibst nach einem Vormittag auf? Du willst den Kurs nicht weitermachen?“

Er stöhnte. Was musste sie da nachfragen?

„Ja, ich gebe auf.“

„Wie du meinst. In diesem Fall nehme ich deine Kündigung an. Die Papiere mache ich heute noch fertig, damit du sie beim Arbeitsamt einreichen kannst.“

Nina begann, sich erneut mit ihrem Rechner zu beschäftigen.

„Äh! Moment mal!“ Er beugte sich vor. „Ich habe nicht von einer Kündigung gesprochen.“

Ungehalten runzelte Nina die Stirn. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Entweder du übernimmst die Fatburner oder ich stelle jemand Neues ein.“

Das traf ihn wie ein kalter Guss.

„Wow.“ Till lehnte sich in seinem Stuhl zurück und studierte Ninas kühle Miene. „Du meinst das wirklich ernst.“

„Hast du etwa geglaubt, ich mache Spaß?“ Sie zog eine schmal gezupfte, helle Braue in die Höhe. „Du bist ein verdammt guter Trainer und du siehst teuflisch gut aus. Umsonst bekommt man keine Modelverträge angeboten, das ist mir durchaus bewusst. Damit hören deine positiven Seiten allerdings auf, Till. Dein Ego ist größer, als ich es ertragen kann, und deine Arroganz schreit zum Himmel. Von einem Fitnesstrainer erwarte ich, dass er sich nicht nur die optisch ansprechenden Kunden heraussucht, sondern dass er jeden gleich zuvorkommend und aufmerksam behandelt. Meine Fitness-Scheune ist nicht dafür da, dass sich perfekte Körper präsentieren. Sie ist kein Laufsteg für selbstverliebte Persönlichkeiten. Sie ist eröffnet worden, damit Menschen ihre Problemzonen trainieren und einen Ausgleich zu ihrem Alltag finden können. Das Gleiche gilt für meine Fatburner-Farm. Wenn du mit diesem Konzept nicht umgehen und dich nicht einfügen kannst, gibt es genügend Arbeitslose, die sich nach deinem Job die Finger lecken. Ich biete dir einen Trainerposten bei den Fatburnern. Genau diesen und keinen anderen. Entweder du spielst den Papa Schlumpf oder du lässt es bleiben.“

Wie erstarrt saß er da. „Bringst du mir gerade auf Umwegen bei, dass du mich für ein Arschloch hältst?“

Nina applaudierte. „Du hast es erfasst. Glückwunsch.“

Das war ein unerwarteter Tiefschlag.

„Und? Wie entscheidet sich das Arschloch jetzt? Arbeitsamt oder Schlümpfe?“

„Schlümpfe“, sagte Till tonlos. Er wusste, wann er verloren hatte. Dies war so ein Augenblick.

*--*

Während Schlümpfe, Smileys und Tomaten ein Mittagessen zu sich nahmen, reagierte sich Till beim Joggen am Strand ab. Er war wütend. Auf sich, auf Nina, auf die Breitärsche und am meisten auf Karl. Völlig außer Atem stellte er die unsinnige Rennerei im Watt ein und starrte keuchend zum Horizont, wohin sich das Wasser verkrochen hatte. Die Sonne schien ihm angenehm auf die Haut, eine leichte Brise trocknete den Schweiß und am Himmel kreischten Möwen.

Sollte er es wagen, zu kündigen und die Modelagentur anrufen, die ihm im letzten Sommer das Angebot gemacht hatte? Wenn die ihn nicht mehr wollten, wäre er natürlich am Arsch. Seine Eltern würden ihm die Leviten lesen und ihn danach rund um die Uhr im Reitstall einspannen. Nicht ohne ihm täglich in den Hintern zu treten. Als Alternative blieb ihm die Möglichkeit, sich auf dem Festland eine Arbeit zu suchen. Das bedeutete weniger bis gar keine Zeit mehr mit Samson.

Undenkbar!

Also würde er in den sauren Apfel beißen und die Schwabbelbacken weiter trainieren. Wegen Samson. Und vielleicht auch ein bisschen wegen dem, was ihm Nina vorgeworfen hatte.

Geh sterben.

Wieso fielen ihm gerade in der Sekunde diese hässlichen Worte ein? Weil Nina ihn nicht für den perfekten Mann hielt? Die hatte ja überhaupt keine Ahnung, sonst hätte die nie und nimmer Karl geheiratet. Und der war definitiv ein Idiot. Da brauchte man bloß Marco fragen.

„Was für ein Mist!“

Seine Fitness-Uhr klingelte. Er hatte die Weckfunktion eingeschaltet, damit er rechtzeitig zur Farm zurückkehren und duschen konnte. Knurrig machte er sich auf den Weg und legte lediglich einen Zwischenstopp ein, um ein Fischbrötchen zu kaufen. Er hoffte inständig, dass er nicht zunahm, wenn er nachher wieder lauter Speck gegenüberstand.

*--*

Mit vielem hatte Till gerechnet, aber die Realität toppte seine schlimmsten Vorstellungen. Fünf Kolosse stapften auf ihn zu. Es fehlte nur, dass das Wasser im Pool Wellen schlug, genau wie in Jurassic Park, als der T-Rex auftauchte. Fett wallte und wogte an Armen und Bäuchen. Oberschenkel von den Ausmaßen griechischer Säulen, selbstverständlich weniger anmutig, bebten bei jedem Schritt. Die Schlumpftruppe starrte ihn genauso an wie er sie. Überdeutlich wurde sich Till seines definierten Körpers bewusst: straffe Muskeln, Waschbrettbauch, stramme Beine. Das alles wurde durch eine perfekt sitzende, knappe Badeshorts in leuchtendem Türkis betont.

Hermes und Benjamin trugen etwas, das wie zusammengenähte Tischdecken anmutete. Ihre Bäuche verdeckten den Gummizug der Badehosen, als hätten sie sich groteske fleischfarbende Schürzen umgebunden. Tief atmete er ein. Greta und Antonia hatten sich in Bikinis mit Bandeau-Oberteilen gezwängt und Dunja trug einen orangefarbenen Badeanzug, in dem sie Ähnlichkeit mit einer Rettungsboje hatte. Er musste zweimal hinschauen, um sicherzugehen, dass Greta überhaupt eine Bikinihose anhatte, weil davon nicht viel zu erkennen war. Erneut atmete er tief ein.

Denk an Samson, ermahnte er sich streng.

Gretas Lippen zitterten, als wollte sie gleich losheulen, und in Benjamins Gesicht zog eine dezente Röte ein. Sein Totenkopfbandana knetete er in den Händen.

„Hat das Mittagessen geschmeckt?“, fragte Till. „Was gab es Feines?“

Lächeln, sagte er sich. Höflich sein und lächeln.

„Putenbrust und gegrilltes Gemüse.“ Antonia strahlte ihn an. „Sehr lecker. Morgen gibt es Fisch.“

Am Ende ihres Fatburner-Aufenthalts würde ihr der Fisch zum Hals heraushängen und sie sich nach einer Schweinshaxe sehnen. Mit Klößen und einer doppelten Portion Soße.

„Ich finde das ziemlich entwürdigend“, fauchte Greta.

Till runzelte die Stirn. „Das Essen?“

„Quatsch nicht so blöd! Ich meine, dass wir uns im Badeoutfit darbieten müssen.“

Reiß dich zusammen, Till.

„Wir sind doch unter uns“, sagte er in dem vergeblichen Versuch, Greta zu besänftigen. „Viele Übungen werden im Wasser stattfinden, um eure Gelenke zu entlasten.“

„Das ist bloß ein Grund, um uns vorzuführen.“

Gretas jämmerlicher Ton kratzte an seinen Nerven.

„Warum bist du nach Wangerooge gekommen?“, fragte er ungehalten. „Im Prospekt der Fatburner-Farm wird genau beschrieben, was euch hier erwartet. Weshalb hast du dich angemeldet, Greta, wenn du gegen die Ernährungsumstellung und das Training bist?“

Sie funkelte ihn zornig an. „Ich finde es eine Frechheit, wie du dich uns präsentierst.“

Aha!

Das war es also. Sie war auf seinen Body neidisch. Tja, das konnte sie auch getrost sein.

„Greta, hör auf. Till kann sich ja nicht hundert Kilo anfuttern, damit er uns trainieren darf.“ Unerwartet kam ihm Benjamin zu Hilfe. „Nimm dir Till einfach als Anreiz zum Abnehmen.“

Wie meinte der Klops das?

„Er ist schließlich das beste Beispiel dafür, dass man schlank sein kann.“

Till räusperte sich. „Danke, Benjamin.“

„Benny.“

„Benny, okay.“

„Wie bist du denn drauf, Greta? Die an der Rezeption ist geradezu dürr. Die gehst du seltsamerweise nicht an. Warum Till?“ Antonia schüttelte verständnislos den Kopf.

„Carina wäre fast an Magersucht gestorben“, erzählte Till. „Für sie war es bis zu dieser Figur ein langer Weg. Sie hält sich nach wie vor für zu dick, allerdings hat sie inzwischen gelernt, dass sie ihren Körper akzeptieren muss. Ihr leidet alle an einer Essstörung, das habt ihr gemeinsam. Bei Carina wirkt sie sich lediglich anders aus. Warum hast du angefangen zu essen?“, fragte er Greta. Beinahe hätte er fressen gesagt.

Die schwieg wütend.

„Mir wurde während der Schwangerschaft gesagt, ich solle ordentlich futtern“, berichtete Antonia. „Immerhin müsse ich für zwei Kraft sammeln. Die Kilos wurde ich nicht mehr los. Und bei der nächsten Schwangerschaft kamen weitere Pfunde hinzu. Außerdem vertilge ich jedes Mal eine Tafel Schokolade, wenn es zu Hause stressig wird.“ Sie klopfte sich auf den Bauch und kicherte. „Ich habe eine ganze Menge Stress zu kompensieren.“

Sie lachten. Die Stimmung lockerte sich ein bisschen auf.

„Ab ins Becken mit euch. Ihr könnt euch jetzt mit Gymnastik quälen und zeigen, dass man auch im Wasser schwitzen kann. Die Übungseinheit beenden wir dann mit ein bisschen Action.“ Ihm war spontan etwas eingefallen, von dem er hoffte, dass es seinen Schlümpfen ein wenig Spaß machen würde. Scheiß auf Ninas penibel vorgegebenes Programm.

*--*

Wassergymnastik war anstrengend und Till kam in den Genuss, seine Truppe ordentlich keuchen zu sehen. Alle machten fleißig mit, sogar Greta, obwohl die anfangs arg quengelte. Till hatte passende Musik mitgebracht, was die Motivation deutlich steigerte. Das stand zwar nicht in Ninas Ausführungen zum Trainingsplan, dennoch musste sie ihm einige Freiheiten eingestehen, wenn sie ihn als Coach aus der Fitness-Scheune verbannte.

„Prima, Leute“, rief er nach einer Stunde. Hochrote Gesichter wandten sich ihm zu. „Ihr könnt stolz sein, weil ihr super durchgehalten habt.“ Das stimmte sogar. „Wie fühlt ihr euch?“

„Müde“, sagte Dunja, trotzdem lächelte sie.

„Zu müde für ein kleines Spiel?“

„Was für ein Spiel?“, erkundigte sich Hermes.

„Eierlaufen. Wir bilden zwei Mannschaften. Die Gewinner dürfen sich hinterher bis zum nächsten sportlichen Einsatz ausruhen, die Verlierer joggen zum Strand.“ Das war nicht allzu weit und sollte machbar sein.

„Wir sind nur fünf“, wandte Greta ein.

„Ich mache auch mit. Und damit ich keinen Vorteil habe, benutze ich die Füße nicht. Vielleicht leiht mir Benny sein Bandana. Mit dem Tuch kann ich mir die Knöchel zusammenbinden.“

Benjamin grinste. „Klar.“

„Okay. Mannschaft eins: Benny, Greta und Antonia. Wir anderen sind Team zwei. Und wir machen euch fertig.“

„Von wegen!“

„Und ob!“

„Gar nicht!“

Während Till Esslöffel und Tischtennisbälle organisierte und verteilte, forderten sich die beiden Teams lautstark heraus. Sich insgeheim zu seiner Idee gratulierend, band er sich mit dem Piratentuch die Knöchel zusammen.

„Zwei aus jeder Mannschaft auf diese Seite des Beckens und einer auf die andere“, kommandierte er. „Die Ersten laufen mit dem Tischtennisball auf dem Löffel los und übergeben ihn an das Teammitglied auf der anderen Seite. Wer den Ball verliert, muss fünf Schritte zurückgehen, bevor er wieder vorwärtslaufen darf. Verstanden?“

Als ein jeder nickte, sprang er ins Wasser und gesellte sich zu Hermes. Dunja stand ihnen gegenüber.

„Hermes, du zuerst. Einverstanden?“

Der Grieche legte den Tischtennisball auf seinen Löffel und wartete auf den Startbefehl. Till zögerte, weil er Nina entdeckte, die neben einem der Trompetenbäume erschienen war, die überall eingetopft herumstanden. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete ihr Treiben. Er konnte nicht erkennen, ob sie sein Tun missbilligte oder nicht. Egal. Er zog das jetzt durch.

„Bereit?“, rief er.

Es folgte ein gebrummeltes „Mhmm“ und „Ja“.

„Ich kann euch nicht hören. Seid ihr bereit?“

„Ja!“, brüllte es kampflustig von beiden Mannschaften zurück.

„Auf die Plätze! Fertig! Los!“

Es waren bloß fünfundzwanzig Meter, die jeder bewältigen sollte. Trotzdem wurde die Strecke dank des Wasserwiderstandes, der fehlenden Balance und einem Ball, den man leicht verlor, zur Herausforderung. Hermes musste bereits nach zehn Metern fünf Schritte zurückgehen und gleich darauf ein weiteres Mal. Seine Gegenspielerin Antonia frohlockte, allerdings hüpfte ihr der Ball vom Löffel, kurz bevor sie ihn an Greta weitergeben konnte.

„Lauf, Hermes, lauf!“, rief Till und sein Mitspieler erreichte endlich Dunja. Ihnen gelang eine saubere Übergabe. Das andere Team hatte mittlerweile Greta am Start, die eine mächtige Bugwelle vor sich herschob. Konzentriert starrte sie auf den Ball und verlor ihn trotzdem. Dunja konnte einen kleinen Vorsprung herausholen. Strahlend vor Freude, dass sie die Strecke ohne die fünf Strafschritte geschafft hatte, ließ sie den Ball von ihrem Löffel auf seinen rutschen.

„Till! Till! Till!“, rief sie gemeinsam mit Hermes im Chor und von der anderen Seite wurde Benjamin angefeuert. Till bewegte sich halb schwimmend, halb hüpfend vorwärts. Da er die Füße nicht richtig nutzen konnte, war es verflucht schwer, sich durch den Pool zu bewegen und den Tischtennisball vor sich her zu tragen.

„Benny! Benny!“

„Till! Till!“

Er gab wirklich sein Bestes, aber als er sich vorzustellen versuchte, was Marco zu dieser Aktion sagen würde, wäre er um ein Haar abgesoffen. Dummerweise verlor er dabei den Tischtennisball und musste deswegen fünf Schritte zurückhopsen.

„Schneller!“, brüllten beide Teams.

Mist!

Benjamin war ihm inzwischen ein Stückchen voraus. Er musste Gas geben und bloß nicht erneut den verdammten Ball verlieren. Angestrengt mühte er sich durch das Becken und streckte siegesgewiss die Hand aus, um am Beckenrand abzuklatschen, da zeigte ihm Jubelgeschrei der gegnerischen Mannschaft an, dass Benjamin um eine Sekunde flinker gewesen war.

Verdammt!

Till zog sich aus dem Becken und löste den Knoten des Bandanas, das er Benjamin brachte.

„Danke fürs Leihen. Und meinen Glückwunsch zum Sieg.“

„Es war knapp.“ Der bärtige Schlumpf gab sich bescheiden, obwohl seine königsblauen Augen mit dem Himmel um die Wette leuchteten. Till zuckte mit den Schultern. Er würde nicht in Tränen ausbrechen, weil sein Team verloren hatte. Zum Glück schienen Dunja und Hermes nicht sauer auf ihn zu sein, obwohl er den beiden Extrasport eingebrockt hatte.

„Also los. Laufen wir zum Strand.“ Er wartete, bis seine Schlümpfe aus dem Wasser gestiegen waren, und stellte verwundert fest, dass sich auch Antonia und Benjamin bei den Verlierern einfanden.

„Ihr könnt Pause machen. Schon vergessen?“

„Unfug“, brummte Benjamin. „Wir wollen ja schließlich abnehmen. Außerdem sind wir ein Team. Darum laufen wir mit.“

Respekt!

Das hätte er nicht gedacht. Greta war die Einzige, die sich ausklinkte und auf einen Liegestuhl setzte. Ihre Miene verriet deutlich, dass sie nicht mitjoggen würde. Ihm war es egal. Er würde sie nicht zu freiwilligen Aufgaben überreden, denn die waren eben ... freiwillig. Mit dem Rest der motivierten Truppe trabte er los und kam sich langsam wirklich wie Papa Schlumpf vor.

*--*

Der Hindernisparcours wurde skeptisch beäugt. Till hatte seinen Schützlingen eine ausgiebige Pause mit Blutdruckmessen gegönnt und sie danach zu dem speziell ausgebauten Gelände gejagt.

„Ich werde die Zeit stoppen, die ihr benötigt, um über die Hindernisse ins Ziel zu gelangen“, verkündete er mit lauter Stimme. „Ihr werdet diese Abschlussrunde zunächst hassen, aber am Ende eures Aufenthalts auf der Fatburner-Farm werdet ihr sie lieben.“

„Na, soweit würde ich nicht gehen“, hörte er Dunja murmeln und Greta musste natürlich ein „Das mache ich nicht“ von sich geben. Till seufzte. War es Mord, wenn er ihr einen großen Stein an die Füße band und sie irgendwo in der Nordsee versenkte? Das fiel doch eher unter Notwehr, oder?

„Das erste Hindernis ist dort die gepolsterte Mauer, über die ihr klettern werdet. Wie, ist mir egal. Hauptsache ihr gelangt auf die andere Seite. Es geht nicht um Schönheit und Eleganz, sondern um das Erreichen des Ziels. Danach führt euch der Weg in den Graben. Ihr müsst euch auf den Bauch legen und unter den Stangen hindurchkriechen. Keine Sorge, es ist genügend Platz für jeden da.“ Till lächelte Greta lieb zu, die ihm eine wilde Grimasse schnitt.

„Danach lauft ihr die drei breiten Stufen hinauf zu dem Podest, ergreift das Tau und schwingt euch auf die gegenüberliegende Plattform, wo es die drei Stufen wieder hinunter und zur Eisenbahnschwelle geht, über die ihr balancieren müsst. Fallt ihr dort runter, fangt ihr mit dem Balken von vorne an. Dies gilt übrigens für sämtliche Hindernisse. Sie müssen vollständig und am Stück bewältigt werden. Nach der Bahnschwelle lauft ihr über die am Boden liegenden Autoreifen und hangelt euch von dort zum nächsten Hindernis. Das Hangeln ist gar nicht so schwer, ihr müsst bloß dreimal umgreifen. Zum Abschluss hüpft ihr über die fünf kniehohen Stangen und rennt ins Ziel. Dieser Parcours fordert von euch Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit. Fragen?“

„Steht ein Rettungswagen bereit?“, erkundigte sich Hermes.

„Ich liebe euren Optimismus.“ Er klatschte in die Hände. „Auf geht’s.“ Er hob das Klemmbrett mit den Bewertungsbögen der Schlümpfe auf, das neben ihm im Sand gelegen hatte, und blätterte in den Seiten. Für ihn war der Hindernisparcours ein Witz, für seine Gruppe würde es die Hölle werden. Benjamin startete mit einem Gewicht von 153,6 kg und einzig Dunja lag mit knapp 150 kg darunter. Die anderen brachten deutlich mehr auf die Waage. Greta sogar sage und schreibe 183,7 kg. Damit war sie der schwerste Schlumpf.

Grundgütiger Himmel!

Die wogen alle doppelt so viel wie er. Ach, was! Da konnte man getrost einige Pfund draufschlagen.

„Ach ja. Eines hätte ich beinahe vergessen.“ Er konnte sich ein fieses Grinsen nicht verkneifen. „Die Gruppe hat erst Feierabend, wenn auch der Letzte im Ziel ist.“ Das hatte nicht er sich ausgedacht, sondern das stand in Ninas Vorgaben und gehörte zur Teambildung und der Förderung des Gemeinschaftssinns. Wenn man es genau nahm, wurden die Trainer mit dieser Aktion gestraft. Der eigene Dienstschluss hing nämlich von der Sportlichkeit der Gruppe ab. Obwohl Sportlichkeit … Till verdrehte nach dem Startkommando die Augen, als seine Schlümpfe wie blindwütige Bisons auf die Mauer zurannten und sich bemühten, ihre Fettmassen über das Hindernis zu wuchten.

„Du liebes Lieschen“, murmelte er.

Benjamin gelang es als Erstem, die Mauer zu bewältigen, und nahm sofort den Graben in Angriff. In seinem Gesicht standen Kampfgeist und Entschlossenheit geschrieben. Nach und nach folgte ihm der Rest der Truppe. Antonia plumpste mit einem atemlosen Auflachen wie ein Sack Mehl auf die andere Seite. Lediglich Greta probierte weiterhin erfolglos, sich an der Mauer hinaufzuziehen.

Till schlenderte zu ihr hinüber, lehnte sich mit der Schulter gegen das Hindernis und schaute demonstrativ auf sein Handy, auf der er die Stoppuhr-App aktiviert hatte.

„Das funktioniert nicht“, sagte er in aller Gemütsruhe. „Du kannst keine hundertachtzig Kilo in die Höhe ziehen, wenn du mit den Fingerchen an einer Mauer hängst. Du brauchst Schwung, um hinüberzukommen. Und Schwung erfordert Beschleunigung. Verstehst du, was ich meine?“

Ein wütender Blick traf ihn. Greta kniff die Lippen zusammen, ließ die Mauer los und ging ein Stück zurück, um Anlauf zu nehmen. Ihr Gesicht war bereits jetzt krebsrot und sie schnaufte wie eine Dampflokomotive.

„Schneller!“, schrie Till sie an, als sie in der Parodie eines Rennens auf ihn zukam. „Schneller! Und spring!“

Graziös wie ein Flusspferd rumste Greta gegen die Mauer, keuchend, prustend und jaulend.

Eine Viertelstunde später stand sie immer noch da, inzwischen mit Tränen in den Augen. Till wippte ungeduldig mit einem Fuß. Die anderen hatten es beinahe alle geschafft. Nur Dunja tat sich mit dem Hangeln schwer, erhielt allerdings Unterstützung von Hermes und Antonia, die sie anfeuerten. Benjamin stand im Ziel und beobachtete Greta und ihn.

Till erbarmte sich. „Okay, hör auf. Das ist ja nicht zu ertragen. Weiter zum Graben, ehe es Nacht wird.“

„Du … bist … ein … Arschloch …“

Na, wenn das Schwabbelchen weiterhin Luft für Beleidigungen hatte, konnte es so schlimm nicht sein.

Mittlerweile ging Greta mit der Anmut eines erschossenen Elefanten erst auf die Knie, legte sich danach auf den Bauch und mutierte am Boden zu Jabba, the Hutt, dem schneckenhaften Alien aus den Star Wars Filmen. Till konnte nicht weggucken, daran war wohl die Faszination des Grauens schuld. Gebannt beobachtete er, wie Greta unter den Stangen hindurchrobbte.

„Ich werde stecken bleiben!“

Da machte er sich keine Sorgen. Sobald sie genügend gehungert und damit Gewicht verloren hatte, konnte sie wieder aus dem Graben rauskriechen.

„Ich will das nicht!“

„Könntest du einmal etwas tun, ohne dabei zu jammern?“, fragte er genervt und rief: „Prima, Dunja. Ich wusste, du packst das. Wenn man die Arschbacken zusammenkneift und ein bisschen Kampfgeist entwickelt, kann man über sich hinauswachsen.“

Dunja zeigte ihm Daumenhoch und strahlte von einem Ohr zum anderen. Hermes tätschelte ihr den Oberarm und schien sie zu loben. Verstehen konnte Till ihn von seinem Platz an Gretas Seite aus nicht. Aus dem Graben, den Jabba-Greta zumindest zu Dreiviertel bewältigt hatte, drang trotziges Gemaule.

„Wenn du die Energie, die du zum Jaulen benötigst, für den Sport aufwenden könntest, wären wir längst fertig und dürften zum Abendessen gehen.“

„…schloch …“

„Aber wenn es dir damit besser geht und hilft“, brummte Till.

„W…ser …“

„Ich hab dich nicht verstanden.“

„Leck mich.“

„Sorry, damit wäre meine Zunge gnadenlos überfordert.“

Mit einem Wutschrei krabbelte Greta aus dem Graben.

„Na, zumindest hast du ein Hindernis geschafft. Weiter zur Liane.“

Schwerfällig stieg die Heulboje die drei Stufen zur Plattform hinauf, griff das Tau und gelangte gleich beim ersten Versuch auf die andere Seite, wo sie mit einem lauten Rumms landete.

„Na bitte! Klappt wunderbar. Auf zum Balancieren.“ Till deutete mit seinem Klemmbrett auf die Eisenbahnschwelle, die als Nächstes auf Greta wartete. Sein unwilliger Schlumpf hatte auf dem zwölf Zentimeter hohen und zwanzig Zentimeter breiten Eichenholz genau zwei Meter sechzig weit zu laufen. Schon nach den ersten drei Schritten trat Greta daneben und musste den improvisierten Schwebebalken erneut angehen. Schweiß lief ihr über das knallrote Gesicht, die Stirn war vor Konzentration gerunzelt und die Arme hatte sie wie ein Albatros beim Start ausgebreitet. Ihr blaues T-Shirt klebte klitschnass an ihrem Körper.

Nach zehn Minuten an der Schwelle hatten es sich Benjamin, Hermes, Dunja und Antonia im Ziel bequem gemacht. Sie saßen im sonnenwarmen Sand und unterhielten sich leise. Till dagegen stand mit leergefegtem Hirn an dem Eichenholz. Neben ihm keuchte und schnaufte es und schließlich kreischte es frustriert: „Ich kann das niiiiiiiiiicht.“

„Nächstes Hindernis“, murmelte er.

Greta schaffte die Autoreifen und die Hindernisstangen am Ende des Parcours. Das Hangeln musste ebenfalls ausgelassen werden.

„War ja gar nicht so schlecht.“ Benjamin, der sie im Ziel in Empfang genommen hatte, legte Greta den Arm um die Schultern und lächelte ihr aufmunternd zu, während Till den Kopf schüttelte.

„Ihr könnt mich mal!“, fauchte Greta und rupfte die Gummibänder aus ihren blonden Flechtzöpfen. Sandig und verschwitzt fiel ihr das Haar ins Gesicht, als sie ohne ein weiteres Wort an Till in Richtung der Unterkünfte davonstapfte.

„Morgen wird sie besser sein“, sagte Antonia.

„Morgen werdet ihr unter Muskelkater leiden“, entgegnete Till ehrlich.

„Genießt du das?“ Anklagend schaute Benjamin ihn an.

Abwehrend hob er die Hände samt Klemmbrett, auf dem er die gestoppte Zeit notiert hatte. „Bestimmt nicht. Ich sage nur, was Tatsache ist.“

Zweifelnde Blicke verrieten Skepsis.

„Hört zu, die ersten Tage sind kein Spaziergang. Eure Körper werden mit Sport gefoltert, den ihr nicht gewohnt seid. Dazu kommt, dass ihr nicht mehr dermaßen viele Kalorien wie zuvor zu euch nehmt. Die innere Maschinerie muss sich umstellen und das zeigt sich durch Müdigkeit, schmerzende Muskeln und sicherlich auch eine gewisse Antriebslosigkeit. Obendrein werden eure Mägen knurren. Ich verspreche aber, dass euch das Fatburner-Programm in der nächsten Woche bereits ein wenig leichter fallen wird. Und womöglich motiviert euch das Wiegeergebnis am Wochenende zusätzlich, damit ihr mit dem Training weitermacht.“ Das hatte er doch nett gesagt, oder nicht? „Morgen und übermorgen hasst ihr garantiert die ganze Welt, weil euch jeder einzelne Schritt Qualen bereitet. Allerdings bedeutet der Muskelkater, dass ihr heute eine Menge geleistet habt und über eure Grenzen gegangen seid. Oder hättet ihr vorher gedacht, dass ihr den Parcours schafft?“

Hermes und Dunja schüttelten die Köpfe, Antonia lachte und Benjamin sah nachdenklich zu den Hindernissen hinüber.

„So, Kinners, Papa Schlumpf will endlich duschen. Abmarsch und einen schönen Abend euch allen.“ Er scheuchte seine Truppe hinter Greta her, die schon im Farmgebäude verschwand.

Feierabend!

Und Himmelherrgott! Er hatte ihn sich verdient.

Kapitel 2

MITTWOCH

„Till! Auf ein Wort!“

Er war vor Dienstbeginn am Strand joggen gewesen und wollte jetzt eigentlich zu den Personalräumen, um zu duschen, als Nina ihn in ihr Büro beorderte. Hatte sie sich das mit der Weiterbeschäftigung anders überlegt und wollte ihm nun die Kündigung überreichen?

„Kann ich nicht erst den Sand …“

„Gleich!“

Die Stimme seiner Chefin klang streng, sodass er unwillkürlich zusammenzuckte.

„Bitte“, fügte sie hinzu, da ihr seine Reaktion nicht entgangen war. Till seufzte, folgte Nina und schloss hinter sich die Bürotür.

Sie setzte sich und gab ihm einen Wink, es ihr gleichzutun.

„Gibt es etwas auszusetzen?“, fragte er.

„Nein. Ganz im Gegenteil. Du scheinst dir unser Gespräch gestern Vormittag zu Herzen genommen zu haben. Ich war überrascht, dass du dich sogar zum Teil der Gruppe gemacht hast, als ihr bei der Pool-Arbeit wart. Mit solchen Aktionen zeigst du Initiative. Das gefällt mir. Mich wundert lediglich, woher der plötzliche Sinneswandel kommt.“

„Du kannst nicht behaupten, dass ich jemals meinen Job schlechtgemacht habe, bloß weil mich die Kundschaft angekotzt hat“, protestierte er. „Ich bin nach wie vor kein Freund der Speckis. Trotzdem trainiere ich die anständig.“

„Könntest du an deiner Ausdrucksweise arbeiten?“, erkundigte sich Nina kühl. „Es sind Kunden. Gäste.“ Sie beugte sich fies lächelnd zu ihm. „Die zahlen deinen Lohn.“

Till stöhnte. „Danke. Ich hab’s kapiert.“

„Sie waren motiviert, weil du mitgemacht hast.“ Nina nickte ihm anerkennend zu. „Deswegen waren sie sogar freiwillig zu dieser Sonderrunde bereit.“

„Sport muss Spaß machen“, murmelte er. „Heute werden sie tierischen Muskelkater haben. Da kann ich froh sein, wenn überhaupt jemand zum Training auftaucht.“

Nina legte die Fingerspitzen gegeneinander und nahm eine gelehrte Haltung ein. „Schön, dass du das ansprichst. Du wirst nämlich merken, dass dieser Posten wesentlich anspruchsvoller als der in der Fitness-Scheune ist. Dort kommen die Kunden bereits motiviert hin. Hier musst du die Gäste zur Bewegung animieren.“

„Ich denke, die wollen abnehmen. Ist das nicht Motivation genug?“, fragte er verwirrt.

„Wenn das reichen würde, hätten sie einfach zu Hause Gewicht verlieren können, oder nicht? Die müssen erst lernen, dass Fitness etwas Gutes sein kann. So wie du lernen musst, wie man sich als perfekter Trainer verhält. Seinen Vorgesetzten, Kollegen und Kunden gegenüber.“

Eine weitere Standpauke? Till hatte allmählich die Nase voll.

„Was willst du eigentlich? Hat gestern irgendjemand den Kurs abgebrochen, ohne dass ich es gemerkt habe? Oder sich beschwert? Leiste ich etwa keine gute Arbeit?“

Nina runzelte die Stirn. „Wir reden nicht vom Vortag. Soweit ich mitbekommen habe, hast du dich gestern mustergültig aufgeführt.“

„Ich dachte, den Anschiss für die Sache mit Karl hätte ich hinter mir. Oder reitet dein Macker daheim auf der trauten Couch weiter darauf herum und stachelt dich an, mir jeden Tag aufs Neue die Leviten zu lesen?“ Wütend sprang Till auf und begann hin- und herzulaufen. Mittlerweile war es ihm scheißegal, ob er dabei Sand im Büro verteilte, der an seinen nackten Füßen trocknete und nun abrieselte.

„Hör auf, dich wie ein Höhlenmensch zu benehmen. Ich spreche dich darauf an, damit du meine Worte verinnerlichst. Wenn du dich nicht änderst und zukünftig ein tadelloses Verhalten an den Tag legst, kann ich dich in meinem Geschäft nicht gebrauchen. Allerdings wäre eine Kündigung für mich sehr ärgerlich, da ich weiß, dass du einen fantastischen Job machst, sofern es dir in den Kram passt. Deswegen rede ich lieber ein weiteres Mal mit dir, anstatt dich abzumahnen und beim nächsten Vergehen rauszuschmeißen. Dafür solltest du mir auf Knien danken. Denn so einen Chef wie mich bekommst du nie wieder.“

„Das will ich hoffen.“

Ninas Augen verengten sich gefährlich. „Das habe ich gehört.“

„Kann ich jetzt gehen? Sonst komme ich zu spät zum Kurs und unsere Gäste verlieren weniger Kalorien.“

„Hau schon ab.“

Till sauste aus dem Büro und ja, womöglich schloss er die Tür ein klitzekleines Bisschen zu laut.

Verdammte Kacke!

Er hatte die Schnauze voll und würde heute bei der Modelagentur anrufen. Basta!

*--*

Jaulen, Jammern, Heulen und Gemecker. Er hatte es ja gewusst. An diesem Morgen waren seine Schlümpfe eine wahre Herausforderung. Wie vorhergesagt wurden sie von Muskelkater geplagt. Greta lag beim Leiden natürlich an der Spitze der Menschheit. Einzig von Antonia und Benjamin kamen keine Klagen, obwohl sie sich genauso steif wie die anderen bewegten.

Dazu kam, dass das Wasser im Pool zu dieser frühen Stunde recht frisch war. Die Sonne würde es erst gegen Mittag auf eine angenehme Temperatur erwärmt haben. Streng hielt Till seine Gruppe an, die vorgesehenen Übungen durchzuführen. Danach hatten sie fünfzehn Minuten Zeit, um sich abzutrocknen und das Outfit zu wechseln. Es ging nämlich im Fitnessraum weiter, wo sie sich bis zum Mittagessen an den Geräten quälen durften.

Die Mittagspause nutzte Till, um zu Hause nach der Visitenkarte der in Hamburg ansässigen Modelagentur zu suchen. Er fand sie nach einer Weile in einer Schublade. Ehe er es sich anders überlegen konnte, zückte er sein Handy und wählte die Nummer, die in goldenen Ziffern auf der Karte stand. An Samson durfte er in diesem Moment nicht denken.

„Agentur Shine Favorites, Christine Mehrkorn am Apparat.“

„Moin, mein Name ist Till Barnsteg. Ich habe letztes Jahr von Frau …“ Till studierte die Karte. „… Müller-Senft diese Telefonnummer bekommen und sollte mich wegen eines Modelvertrags melden.“

So!

Nun war es raus und es gab kein Zurück mehr.

„Haben wir von Ihnen bereits eine Sedcard oder ein Modelbook vorliegen?“, erkundigte sich die freundliche Stimme aus Hamburg. Offenbar handelte es sich um eine ältere Frau, mit der er sprach.

„Nein … äh … Was ist das?“

Ein belustigtes Auflachen antwortete ihm. „Wenn Sie sich bei Shine Favorites bewerben möchten, benötigen wir ein Modelbook mit zehn bis zweiundzwanzig Fotos, die wenigstens DIN A4-Format haben sollten, sowie ein Begrüßungsblatt mit Ihrem Namen und Körpermaßen. Die letzte Seite führt Ihre besonderen Fähigkeiten und Referenzen auf. Anhand dieser Mappe entscheidet unsere Geschäftsführung, ob Sie in das Programm von Shine Favorites passen. Eine Sedcard, mit der Sie sich anschließend bei Kunden bewerben, kann später bei uns erstellt werden.“

„Fotos“, murmelte Till. Der Weg zu einer Mega-Karriere war schwieriger als gedacht. An Samson durfte er nach wie vor nicht denken.

„Keine Amateurbilder, Herr Barnsteg. Also nichts, was Ihr Kumpel mit der Handykamera ablichtet. Die Fotos in Schwarz-weiß und Farbe sollen aussagekräftig sein und Ihre Persönlichkeit widerspiegeln. Lassen Sie Portraitbilder und Ganzkörperaufnahmen machen.“

Das hörte sich furchtbar teuer an.

„Ich nehme nicht an, dass das Ihre Agentur bezahlt?“

Erheitertes Gelächter drang an seine Ohren. Er hatte es ja geahnt.

„Wenn Sie ein Modelbook haben, rufen Sie erneut an und wir vereinbaren einen Termin, an dem Sie sich mit den Bildern vorstellen können.“

„In Ordnung. Ähem. Ich gehe davon aus, dass Sie keinen DIN A4-Ordner für Bürobedarf mit Klarsichtfolien für die Fotos erwarten?“

„Ihr siebter Sinn funktioniert tadellos. Es sind spezielle Bücher aus Leder oder Kunstleder. Wenn Sie mir Ihre E-Mail-Adresse geben, schicke ich Ihnen einen Link, unter dem Sie etwas Passendes erwerben können. Und schauen Sie sich ruhig auf unserer Website um, dort finden Sie Anregungen für Ihre Fotos.“

„Das mache ich bestimmt. Sie sind sehr nett, Frau Mehrkorn. Vielen Dank.“ Till diktierte ihr seine E-Mail-Adresse und verabschiedete sich.

Gerade rechtzeitig, weil unterm Fenster seine Mutter stand und nach ihm rief.

„Till? Isst du mit?“

„Komme!“, schrie er zurück, klemmte die Visitenkarte unter den Laptop, damit er sie nicht verlor, und eilte zum Mittagessen.

*--*

„Schling doch nicht so.“

Seine Mutter Ria wischte sich Pferdehaare vom Shirt.

„Hab’s eilig. Wenn ich nicht pünktlich zurück bin, speit der Drachen Feuer.“

„Redest du von Nina?“, erkundigte sich sein Vater Enno, von dem Till die sportliche Figur geerbt hatte.

„Mhmmhmm.“ Er stach mit der Gabel auf den Fisch ein, als müsste er ihn nochmal töten.

„Mensch, Till! Das hat dein Vater mit Liebe gekocht. Kau wenigstens.“

„Wie läuft’s überhaupt mit den Fatburnern?“, wollte Enno wissen.

„Den Anblick könnt ihr euch nicht vorstellen. Es ist eine Zumutung, was Nina da von mir verlangt.“

„Sie setzt dich nicht wieder in der Fitness-Scheune ein?“

Er schüttelte den Kopf.

„Wird ja einen Grund haben.“ Seine Mutter sah ihn scharf an. „Ich habe da etwas von einer Schlägerei munkeln hören.“

Tills Vater begann, über seinem Teller leise zu lachen.

„Das ist nicht komisch, Enno.“ Ria deutete mit der Gabel auf Till. „Und? Stimmen die Gerüchte?“

„Ja, sie sind wahr. Karl ist mir auf den Sack gegangen.“

„Karl?“ Enno überlegte. „Der Mann von Nina?“

„Genau der. Der kann mich nicht verknusen.“

„Und da musstest du ihm gleich eine reinhauen? Hast du wenigstens gewonnen?“

„Enno!“

Till grinste. „Klar, Paps.“

„Das ist mein Sohn“, murmelte sein Vater zufrieden.

„Enno!“

„Was denn? Man darf sich heutzutage nicht alles bieten lassen.“

„Der Mann ist sein Chef!“

Till verdrehte die Augen. „Geschäftsführer“, korrigierte er seine Mutter. „Die Chefin ist Nina.“

„Ich hoffe, sie hat dir gehörig den Marsch geblasen.“

Er ließ die Gabel auf den Teller fallen. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“

„Ich?“ Seine Mutter nahm sich Kartoffelsalat nach. „Auf meiner natürlich.“

Till grummelte etwas und aß weiter. „Kann sein, dass ich bald arbeitslos bin“, nuschelte er zwischen zwei Bissen hervor.

„Ich hab mich wohl verhört?“, rief seine Mutter.

„Paps!“

„Deine Mutter ist zu Recht empört. Willst du den Job hinwerfen? Und dann?“

„Könnte ich euch helfen“, sagte er vorsichtig.

„Willst du ernsthaft vierundzwanzig Stunden am Tag mit uns verbringen?“ Ria lachte amüsiert auf.

„Ich habe heute bei Shine Favorites angerufen“, gestand Till.

„Kenne ich nicht.“

„Enno, das ist die Modelagentur, die letztes Jahr Interesse an unserem wohlgeratenen Sohn bekundet hat.“

War ja glasklar, dass das seiner Mutter in Erinnerung geblieben war.

„Und?“, fragte sie jetzt neugierig.

„Die wollen ein Modelbook haben. Ich muss ein paar professionelle Fotos machen, um mich dort bewerben zu können.“

„Willste wirklich auf den Laufsteg?“, erkundigte sich sein Vater.

„Wäre echt witzig, wenn uns Till aus einem Katalog entgegenlächelt. Oder sogar für berühmte Designer modelt.“

„Und Samson?“

Autsch!

Sein Vater traf exakt den wunden Punkt.

„Erst einmal abwarten, ob die mich überhaupt nehmen.“