Feuer - Flammendes Herz - Coreene Callahan - E-Book
SONDERANGEBOT

Feuer - Flammendes Herz E-Book

Coreene Callahan

0,0
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seit langer Zeit tobt in den nächtlichen Straßen Seattles ein Krieg zwischen den Drachenkämpfern des Nightfury-Clans und ihren erbitterten Rivalen vom Razorback-Clan. Während die Razorback die Menschen unterdrücken wollen, haben die Nightfury geschworen, sie zu beschützen. Ein Schwur, der immer schwieriger einzuhalten ist, denn die Razorback haben mächtige Verbündete gewonnen. Als sich dann auch noch einer der Nightfury in eine Menschenfrau verliebt, droht der Drachenclan sein wertvollstes Mitglied zu verlieren …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 582

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DAS BUCH

Nachdem er von der Erzgarde der Drachenblütigen wegen Mordes an einem der ihren zum Tode verurteilt wurde, hat der mächtige Drachenkrieger Forge in Seattle beim Clan der Nightfury Unterschlupf gefunden. Forge ist unschuldig und könnte das auch beweisen, doch seine Erinnerungen sind seit einem schrecklichen Erlebnis in der Vergangenheit tief in seinem Unterbewusstsein vergraben. Die erfolgreiche Hypnotherapeutin Hope soll Forge helfen, das Trauma zu bewältigen und sich endlich wieder zu erinnern. Obwohl Forge sich zunächst sträubt, fasst er Vertrauen zu der schönen Frau und verliebt sich in sie. Auch Hope kann sich der magischen Anziehungskraft ihres neuen Patienten nicht entziehen, und schon bald stürzen sich die beiden in eine stürmische Affäre. Doch Hope hat keine Ahnung, dass ihr Geliebter kein normaler Mensch, sondern ein Drachenkrieger ist. Als Forge schließlich von seiner Vergangenheit eingeholt wird und auch noch einer seiner Clanbrüder in tödliche Gefahr gerät, überschlagen sich die Ereignisse. Kann Forge die Liebe seines Lebens dennoch an sich binden oder ist die Chance auf das große Glück für immer vertan?

Die FEUER-Serie:

Erster Roman: Tödliches Verlangen

Zweiter Roman: Verborgene Sehnsucht

Dritter Roman: Gefährliche Begierde

Vierter Roman: Verhängnisvolle Liebe

Fünfter Roman: Stürmisches Begehren

Sechster Roman: Flammendes Herz

Die Autorin

Coreene Callahan arbeitete nach ihrem Psychologiestudium zunächst als Innenarchitektin, bevor sie beschloss, sich ausschließlich ihrer großen Liebe zu widmen: dem Schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie in Kanada.

Weitere Informationen zu Autorin und Werk erhalten Sie unter:

www.coreenecallahan.com

www.twitter.com/HeyneFantasySF

@HeyneFantasySF

Coreene Callahan

Flammendes Herz

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

FURY OF SURRENDER

Deutsche Übersetzung von Charlotte Lungstrass-Kapfer

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt

und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen

unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung

sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung,

Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglich-

machung, insbesondere in elektronischer Form, ist

untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen

nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter

enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine

Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen,

sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der

Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 04/2018

Redaktion: Uta Dahnke

Copyright © 2017 by Coreene Callahan

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe

und der Übersetzung by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

unter Verwendung von shutterstock/Artem Furman

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-19828-2V001

www.heyne.de

Für meinen Dad – weil er mir gezeigt hat, was es bedeutet, wahren Mut zu beweisen, wenn man unter Beschuss steht, und weil ich ihn liebe.

1

Das Summen der Halogenbeleuchtung hauchte der Stille Leben ein. Einer Stille, die ihn eigentlich beunruhigen sollte. Seine Alarmglocken zum Schrillen bringen und ihn zu höchster Wachsamkeit anspornen sollte. Irgendwas. Egal was. Selbst die kleinste Reaktion auf diese Stille, die sich wie Nebel über ihr Hauptquartier, Black Diamond, gelegt hatte, wäre gut. Stattdessen starrte Forge auf die akkuraten Linien der Deckleisten und suchte nach irgendwelchen Macken, während er den breiten Korridor hinunterging.

Beschissen perfekte Ecken. Abgerundete Kanten. Glatte Oberflächen. Nicht die kleinste Macke in dem Meer aus weißer Farbe, das die Holzlatten bedeckte. Farbige Gemälde hingen eins nach dem anderen links und rechts von ihm an den Wänden, flankierten seinen Weg tiefer in ihren Unterschlupf hinein, führten ihn zu dem Ort, an den er nun wirklich als Allerletztes gehen wollte.

Sein Blick fiel auf die drei Kandinsky-Gemälde zu seiner Linken. Stirnrunzelnd musterte er die Sammlerstücke. Die gleichmäßigen Pinselstriche der unbezahlbaren Meisterwerke zerrten verdammt noch mal an seinen Nerven … ohne dass es einen Grund dafür gegeben hätte. Seine Reaktion war definitiv total übertrieben. Immerhin sah er das glamouröse, edle Zeug jeden Tag. Er lebte im absoluten Luxus in dem Unterschlupf, den er mit den anderen Drachenkriegern des Nightfury-Clans teilte. War daran gewöhnt, dass alles penibel aufgeräumt war und von unermesslichem Reichtum kündete. Es gab also keinen Grund, sich darüber aufzuregen. Heute nicht und eigentlich auch sonst nie, nur …

Er wusste einfach nicht, wie er seine wachsende Nervosität eindämmen sollte.

Wie eine Flutwelle brach die Angst über ihn herein. Sie war so stark, dass sich seine Schritte verlangsamten, sich ihm die Kehle zuschnürte und er sich plötzlich nach der Sicherheit seines Zimmers sehnte. Weit wäre es bis dorthin nicht. Er müsste lediglich schnell umkehren, ein oder zwei Minuten gehen, und schon hätte er eine stabile Tür zwischen sich und dem, was er während der letzten zehn Tage zu fürchten gelernt hatte.

Forge schüttelte den Kopf. Nein, keine Chance. Nicht jetzt. Er war kein Feigling, und er weigerte sich davonzulaufen. Nachdem er sich nun einmal dazu gezwungen hatte, die Schwelle zu überqueren und die Tür hinter sich zuzuziehen. Der dumpfe Knall, als sie sich schloss, hatte etwas Endgültiges an sich gehabt. Er wollte, dass es endgültig war. Es musste endgültig sein. Kein Versteckspiel mehr. Kein Herumlavieren. Er wollte sich nicht mehr zusammenreißen, bis er glaubte, jeden Moment zu explodieren.

Weiter. Immer weiter. Falls nötig, direkt in den Tod.

Während er mit starrem Blick den Matisse am Ende des Korridors fixierte, versuchte Forge, seine Füße wieder in Bewegung zu setzen. Aber es war hart. Seine Beine schienen bleischwer zu sein, jede Bewegung der reinste Kraftakt. Knie beugen. Fuß anheben. Vorwärtsbewegen. Die Sohle seines Stiefels berührte den Boden. Eine Sekunde später setzte die zweite Sohle auf.

Ein Schritt, zwei Schritte, drei, vier.

Zählen half auch nicht.

Trotzdem murmelte er die Zahlen vor sich hin, während er auf den Fahrstuhl zuging, der ihn in den unterirdischen Teil des Unterschlupfes befördern würde. Noch an ein paar Zimmertüren vorbei, dann wäre er da und stünde vor dem Stahlkäfig,den er ums Verrecken nicht betreten wollte. Nicht, dass er eine Wahl gehabt hätte. Während seine Schritte in dem verlassenen Flur widerhallten, tat sich ein Gefühl der Leere unterhalb seines Brustbeins auf. Der übliche Schmerz breitete sich in seinem Innern aus und machte es sich dort gemütlich, während Forge sich fragte, ob Myst, die Gefährtin des Nightfury-Kommandanten, recht haben könnte.

Irritiert verzog er das Gesicht. Vielleicht lag sie gar nicht so falsch. Vielleicht legte er es zu sehr darauf an. Möglicherweise brauchte er nur ein wenig Zeit. Ein bisschen Ruhe und Erholung. Eine Auszeit, eine Atempause, eine Chance, seinen Geist zu erweitern und sich zu erinnern.

Krampfhaft ballte er die Fäuste, bis seine Knöchel knackten. Das leise Ploppen durchbrach die Stille und … der Herr mochte ihm gnädig sein. Wie sehr er dieses Wort hasste: erinnern. Es klang so simpel. Reingreifen, festhalten, Informationen aus dem Gehirn rausziehen. Kinderleicht. Total unkompliziert. Aber ganz egal, wie oft er versuchte, seine Erinnerung wiederzuerlangen – jedes Mal stand er hinterher mit leeren Händen da. Null Information. Vereinzelte visuelle Hinweise, ansonsten ein schwarzes Loch, wo die Erinnerung leben sollte.

Ein riesiges Problem.

Katastrophal, wenn man bedachte, dass Bastian genau das brauchte, was an irgendeinem vergessenen Ort in seinem Gehirn verschüttet war.

Dieser Gedanke schlug in seinem Innersten ein wie eine Bombe. Mentale Trümmer flogen umher. Forge räumte sie beiseite und gestand sich ein, was er bis jetzt nicht hatte zugeben wollen: Er wollte das nicht tun. Er wollte nicht auf diesem grauenhaften Stuhl sitzen und Bastian in seinen Kopf lassen. Schon wieder. Zum fünften Mal, verdammt. Aber abzuhauen – den Unterschlupf zu verlassen und zu verschwinden – würde nichts ändern.

Auf seinen Kopf war eine Prämie ausgesetzt. Die Drachenelite hatte ihn zum Abschuss freigegeben, ihm den Freifahrtschein für Profikiller aufs Hirn gestempelt. Warum? Forge schnaubte abfällig. Wegen eines unglaublichen Scheißdrecks, einem Haufen Lügen. Er konnte immer noch nicht fassen, wie dreist diese Arschlöcher waren. Der Hohe Rat der Erzgarde und Rodin, der Chef dieser ganzen Farce, hatten ihn wegen Mordes angeklagt und verurteilt. Und zwar ohne dass Forge jemals einen Gerichtssaal betreten hätte. Und ohne dass er den Drachen, den er angeblich getötet hatte, jemals angerührt hatte. Das hatten Angela und Rikar ganz allein geschafft. Er hatte ihnen kein bisschen geholfen. Verdammt noch mal, zu jener Zeit hatte er dem Nightfury-Clan noch kaum richtig angehört, geschweige denn, dass er auch nur in der Nähe gewesen wäre, als der Kerl getötet wurde.

Obwohl er die Schuld dafür gern auf sich nahm.

Lothair umzubringen war absolut nötig gewesen, Familienstammbaum hin oder her. Dieser sadistische Mistkerl mochte ja der Erste Offizier des Razorback-Clans – und Rodins zweitältester Sohn – gewesen sein, aber selbst die besten Beziehungen konnten einen Drachen nicht vor dem bewahren, was das Universum ihm zuteilte. Dieser Arsch hatte es nicht anders verdient. Ohne ihn war die Welt besser dran. Was für Rodin genauso galt, falls das Schicksal sich jemals genötigt sähe, Forge den Anführer der Erzgarde in die Klauen zu legen. Sobald das geschah, wäre Rodin so schnell ein toter Drache, dass der Himmel sich um die eigene Achse drehen und sämtliche Engelschöre Forge lobpreisen würden.

Doch um auf das Thema zurückzukommen …

Soweit er wusste, war es noch kein Verbrechen, jemandem den Tod zu wünschen.

Beweismittelfälschung stand hingegen durchaus auf der Liste der strafbaren Taten. Dafür konnte er die Erzgarde drankriegen. Blieb allerdings noch die ursprüngliche Frage: Warum ausgerechnet er? Ihn wegen Lothairs Tod anzuklagen ergab keinen Sinn … Es sei denn, Rodin nutzte diesen Mordvorwurf als Vorwand. Eindeutig eine Möglichkeit. Und verdammt gerissen. Zumal für den Fall, dass sich unter Forges verlorenen Erinnerungen etwas befand, was Rodin unter den Teppich kehren wollte. Etwas so Wichtiges, dass es die Pläne dieses ehrgeizigen Schweinehundes, Großkanzler der Drachenblütigen zu werden, durchkreuzen könnte.

Was nur einen Schluss zuließ.

Was auch immer in seinem geistigen Tresor eingeschlossen war, musste von Bedeutung sein. Eine echte Bedrohung. Möglicherweise vernichtend für die Feinde der Nightfury in Prag.

Forge ließ die Schultern kreisen, um seine verspannten Muskeln zu lockern. Möglicherweise war es so. Wahrscheinlich sogar. Was auch bedeutete, dass die Erzgarde nie damit aufhören würde, seinen Kopf zu fordern. Und auch die Sanktionen gegen die Nightfury nicht lockern würde, solange seine Kameraden ihn beschützten.

Ein Grund mehr, seine Erinnerungen zurückzuholen.

Seine Waffenbrüder in Gefahr zu bringen war nicht Teil des Plans. Doch die Drachen zu beschützen, die er jetzt als seine Familie ansah? Sehr wohl. Keine Frage. Pflichtbewusstsein und tiefe Verbundenheit gaben ihm den Weg vor. Er liebte die Nightfury-Krieger mehr als sein Leben. Schuldete seinen Kameraden einfach alles. Keiner von ihnen verurteilte ihn wegen seines fatalen Fehlers, sich auf ein Tänzchen mit Ivar einzulassen, als er mit dem Gedanken gespielt hatte, sich den Razorback anzuschließen. Die Trauer über den Verlust seines Heimatclans in Aberdeen und der verzweifelte Wunsch, irgendwo dazuzugehören, hatten ihn zu dieser Entscheidung getrieben und ihn so direkt ins Verderben gestürzt.

Gott sei Dank war er rechtzeitig zur Besinnung gekommen.

Ivars großer Plan – massenhafter Genozid, die Auslöschung der menschlichen Rasse – war seiner Meinung nach einfach nur krank. Der Anführer der Abtrünnigen sollte mal sein Hirn untersuchen lassen. Oder sich einfach ganz von seinem Kopf trennen, auf die harte Tour.

Wieder schnaubte Forge. Ja, das klang nach einem guten Plan. Jemand musste diesen Mistkerl ausschalten. Die Drachenblütigen würde es stärken, und die Menschen wären ein ganzes Stück sicherer. Allerdings konnte Forge nicht sonderlich viel dazu beitragen. Zumindest nicht, solange er außerhalb des Razorback-Clans stand. Er konnte die Abtrünnigen töten, wo immer er welche fand, aber aus Ivars engstem Kreis war er jetzt raus. Hatte sich endgültig verabschiedet, auf Nimmerwiedersehen.

Das hatte er Bastian zu verdanken. Der hatte sein eigenes Leben riskiert, um ihn aus der Dunkelheit und in einen starken Clan zu holen. Bastians Krieger hatten dann den Rest erledigt. Seiner Meinung nach das reinste Wunder. Oft fiel es ihm selbst noch schwer zu begreifen, wie sehr sich sein Leben verändert hatte. Die Nightfury hatten ihn akzeptiert. Ihn aufgenommen. Ihm ein Ziel verschafft und seinen besten Freund Mac. Ihm und seinem Sohn ein Zuhause gegeben, während sie sich nach und nach in sein Herz eingeschlichen hatten. Also …

Nein, er hatte keine Wahl.

Er würde auf Kurs bleiben. Seinen Arsch auf diesen Stuhl pflanzen. Die qualvollen Schmerzen der mentalen Regression ertragen. Sich all die hässlichen Details ins Gedächtnis rufen, um seinen Clan zu beschützen. Ganz egal, wie gefährlich das war. Ganz egal, wie groß der Schaden sein könnte. Selbst wenn sich am Ende rausstellen sollte, dass er nicht damit klarkam.

Forge verzog das Gesicht. Wie war das noch mal mit miesen Chancen? Wenn man bedachte, wie labil sein mentaler Zustand noch immer war, klang das alles andere als tröstend. Eines Tages würde er sich einfach auflösen. Endgültig den Verstand verlieren. Abstürzen und in Flammen aufgehen. Mayday, mayday, mayday, Feuerdrache schmiert ab. Trotz der Anspannung war das irgendwie lustig. Mann, er war echt ein Wrack. Ein Fall für die Klapsmühle, und der Traum war da nicht gerade hilfreich.

Jedes Mal, wenn er die Augen schloss, stellte sich der Albtraum bei ihm ein, verhöhnte ihn mit verschwommenen Bildern, ohne ihm je einen konkreten Hinweis zu geben. Tag für Tag. Stunde für Stunde. Die verzweifelten Schreie zerrissen ihn innerlich. Wenn sein Bruder in der Traumlandschaft um Hilfe rief, fraß ihn das auf, ließ ihn das keuchend und starr vor Angst aus dem Schlaf aufschrecken.

Er hatte alles versucht, was ihm einfallen wollte, um diese brutalen Attacken aufzuhalten. Hatte seinen Geist geöffnet, um den Traum zu akzeptieren. Ihn verschlossen, um Bilder und Geräusche auszusperren. Nichts hatte funktioniert. Was er auch tat, seine Drachenhälfte weigerte sich loszulassen und bombardierte ihn mit vagen Erinnerungsfetzen: verschwommenen, nicht erkennbaren Details aus einer Nacht, die lange zurücklag. Jetzt konnte er die Fakten nicht mehr von der Einbildung trennen. Was davon war wahr? Und was hatte sein Unterbewusstsein erfunden, um ihn vor dem zu beschützen, was tatsächlich in der Nacht geschehen war, als seine Familie starb?

Forge schloss die Augen. Noch so eine schreckliche Wahrheit. Sein Erzeuger und seine Brüder waren nicht einfach gestorben. Sie waren von Klauen in Stücke gerissen worden. Ermordet durch einen unbekannten Feind.

Bittere Galle stieg in seiner Kehle auf.

Er kam vor den Fahrstuhltüren zum Stehen.

Hob beide Hände und verschränkte sie hinter dem Kopf. Schob die Ellbogen so weit zurück, dass die Armmuskulatur gegen die Anspannung protestierte. Es war ihm egal. Sein Körper war so an Widrigkeiten gewöhnt, dass er es kaum spürte. Schmerzen machten ihm inzwischen nichts mehr aus. Das starke Ziehen half ihm vielmehr dabei, sich zu konzentrieren, während er auf seine Füße starrte. Gott, er hatte diesen ganzen Mist so satt. Seine Drachenhälfte musste eine Entscheidung fällen: Entweder öffnete er seinen Geist ganz, oder er machte alle Schotten dicht. Entweder alle Erinnerungen oder das komplette Vergessen.

Letzteres würde Bastian wohl eher nicht gefallen. Sein Kommandant wollte an das herankommen, was Forge in seinem Kopf mit sich herumschleppte, und …

»Herrgott noch mal.« Forge musterte sein Spiegelbild in der Edelstahltür und stieß frustriert den Atem aus. »Also schön. Hör auf mit den Spielchen.«

Er ließ die Hände sinken und streckte seine gedanklichen Fühler aus. Magie flackerte auf und schickte sengende Hitzewellen zur Decke hinauf, während er mit einem mentalen Befehl den Fahrstuhl rief. Zahnräder setzten sich in Bewegung, ein leises Summen vertrieb die Stille.

Forges Bewusstsein kam ein wenig zur Ruhe, als er das Unvermeidliche akzeptierte. Keine Verzögerungstaktiken mehr. Wenn er seinen Arsch nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten nach unten bewegte, würden Bastian und Rikar sich auf die Suche nach ihm machen. Er spürte bereits, wie die Ungeduld der beiden wuchs. Registrierte ihre Sorge, während Bastian in der Klinik alles für die Regressionssitzung vorbereitete.

Der Fahrstuhl gab ein dezentes Klingeln von sich.

Die Doppeltüren glitten auf.

Zwei schmale, aquamarinblaue Augen funkelten ihn an. »Wurde auch Zeit, dass du auftauchst.«

Forge zog stumm eine Augenbraue hoch.

Mac fuhr mit finsterer Miene fort: »Wo hast du denn so lange gesteckt? Ich fahre jetzt schon seit …« Sein bester Freund warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »… einer guten Viertelstunde hin und her.«

»Hab noch kurz bei meinem Kleinen reingeschaut.«

»Ah. Und, wie geht’s G.M. heute so?«

»Frisst wie ein Scheunendrescher und wächst wie Unkraut.«

»Soll das bei Babys nicht so sein?«, fragte Mac mit verwirrter Miene.

»Doch. Scheint so.« Forge betrat die Fahrstuhlkabine. Nachdem er sich neben Mac aufgebaut hatte, drückte er mit der ganzen Faust auf den Abwärts-Knopf. Die Türen schlossen sich. Die Stahlkabine ruckte kurz, bevor sie sanft in die Tiefe glitt. »Er ist jetzt bei Myst.«

»Hat sie Bereitschaft?«

Forge zuckte nur mit den Schultern. Vielleicht. Wahrscheinlich ja. So Gott wollte. Als Bastian ihn das letzte Mal in Gedanken in die Vergangenheit zurückgeführt hatte, war seine Drachenhälfte auf die Barrikaden gegangen. Sein Blut hatte sich überhitzt, und er hatte Kammerflimmern bekommen. Myst hatte ihn mit einem Defibrillator zurückgeholt. Dreihundertzwanzig Volt fieser Elektrizität. Nicht, dass er sich beschweren wollte. Immerhin war er ja noch am Leben, nicht wahr? Gesund und munter, ohne bei dem Absturz aus der Endlosspirale auch nur eine Gehirnzelle eingebüßt zu haben.

»Diesmal komme ich mit.«

Forge wollte widersprechen. Oder seinem besten Freund sagen, dass er sich verpissen sollte. Was von beidem besser war, stand noch nicht ganz fest, aber …

»Keine Diskussion.« Macs gereizter Tonfall traf ihn wie ein Schlag in den Magen. Angestrengt holte Forge Luft. Höllenflug mit Handgranate. War ja klar, dass Mac sich ihm auf die einzige Art und Weise in den Weg stellen würde, die er kannte: indem er Streit anfing. Seine Gegenwart würde bei der Sitzung jeden beeinflussen, der mit im Raum war – Bastian, Rikar und ihn. Vielleicht würde es sogar helfen. Vielleicht auch nicht. Aber eines war sicher: Das kümmerte seinen Freund kein bisschen. Mac hatte in den Beschützermodus geschaltet, und sein Ziel war eindeutig: sicherzustellen, dass Forge da lebend rauskam. »Ich kann dich inzwischen schneller aus der Gefahrenzone holen als Bastian und Rikar. Und das weißt du auch.«

Was sich nicht leugnen ließ. Ein schwerwiegender Punkt zugunsten seines Freundes.

Die Bindung zwischen Mac und ihm vertiefte sich mit jedem Tag mehr. Wahre Freundschaft. Ein starkes Gefühl der Brüderlichkeit. Tief gehender Respekt, verwurzelt in gemeinsamen Interessen, gleichen Zielen und umfassender, gegenseitiger Sympathie. In vielerlei Hinsicht überraschend, in anderer weniger schockierend. Manch einer hätte ihre Freundschaft wohl als unausweichlich bezeichnet. Forge betrachtete sie als einen Glücksfall. Denn er selbst konnte sich den Erfolg von Rikars Idee nicht auf die Fahnen schreiben. Der clevere und sture stellvertretende Kommandant der Nightfury hatte vom ersten Tag an dafür gesorgt, dass Forge in den Clan integriert wurde, indem er ihm eine wichtige Aufgabe übertragen hatte. Eine, die unter Drachenblütigen von großer Bedeutung war: die Betreuung eines gerade erst flügge gewordenen Kriegers.

Da er in der Menschenwelt aufgewachsen war, war Mac nach seiner ersten Verwandlung in einen Drachen besonders verletzlich gewesen: verwirrt, unfähig, seine Magie einzusetzen, angewiesen auf einen stärkeren Krieger, der ihn führte. Noch immer fühlte sich Forge bei dem Gedanken ganz klein, dass Rikar ihn ausgewählt hatte – einen fremden Drachenkrieger und ehemaligen Feind –, um Mac zu beschützen und auszubilden. Die Beziehung zwischen Mentor und Schüler ging sehr tief, die Verantwortung war enorm, und zwischen beiden entstand ein Band, das niemals gebrochen werden konnte.

Heute konnte Forge sich ein Leben ohne diesen großmäuligen Hurensohn gar nicht mehr vorstellen. Und er wollte es auch nicht. Er liebte diesen Drachenblütigen wie einen Bruder. Vertraute ihm mehr als irgendjemandem sonst, also … ja. Mac an der Regressionssitzung teilnehmen zu lassen war irgendwie verdammt logisch.

Niemand sonst könnte sich so schnell mit ihm verbinden. In sein Bewusstsein eindringen und ihn rausholen, bevor es ihn erwischte und sein Herz aufhörte zu schlagen.

»Hör zu …«

»Diesmal nicht.« Mit einem herausfordernden Blick verschränkte Mac die Arme vor der Brust. Eine Geste der puren Sturheit. Doch zuckte sein Freund dabei kaum merklich zusammen, was Forge nicht entging – ebenso wenig wie das Aufflackern von Schmerz in Macs Gesicht, die Tatsache, dass Mac die Arme viel zu schnell wieder sinken ließ, das Zucken eines Muskels an seinem Kiefer.

Bedrohlich zog Forge die Brauen zusammen. »Was ist mit deiner Schulter los?«

Macs Gesicht wurde ausdruckslos. »Gar nichts.«

»Bullshit.«

»Komm schon, Mann. Hier geht es nicht um mich. Außerdem …«

Eine schnelle Drehung, und Forges Arm schoss vor. Mac wich seitlich aus, um sich aus seiner Reichweite zu bringen. Aber zu spät. Er packte zu und drückte Macs linke Schulter. Sein Freund stieß einen lang gezogenen Fluch aus, bevor die Beine unter ihm nachgaben. Sein Knie knallte auf den Boden des Fahrstuhls, Knochen auf Marmorfliese. Das brutale Knacken hallte von den Stahlwänden wider.

»Verdammter Scheißdreck.« In dem tonlosen Flüstern schwang eine Menge Schmerz mit.

Sofort war Forge besorgt und lockerte seinen Griff.

Mit gesenktem Kopf und schwer atmend wie ein verwundetes Tier, kippte Mac leicht zur Seite. Seine Schulter prallte gegen Forges Bein. »Verdammt, tut das weh.«

»Was ist los, Mac?« Sorgsam darauf bedacht, dessen linken Arm nicht zu berühren, half er seinem Freund auf die Füße. Mac schwankte leicht. Forge hielt ihn fest, bis er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Dann musterte er ihn prüfend und suchte nach der Ursache des Schmerzes. Verwirrt runzelte er die Stirn. Keine Blutflecken auf dem T-Shirt. Unter dem Stoff zeichneten sich keine Verbände ab. Überhaupt gab es keinen Hinweis darauf, dass ihm etwas entgangen sein könnte. Oder dass er Mac während des Kampftrainings verletzt haben könnte. »Was ist los? Ich weiß, dass du nicht verletzt bist. Wir hatten schon seit Tagen keinen anständigen Kampf mehr.«

»So etwas ist es nicht.«

»Was dann?«

»Mein Tattoo. Es macht komische Sachen.«

Forge blinzelte verwirrt. Komische Sachen? Das klang nicht gut. Vor allen Dingen deshalb nicht, weil keiner von ihnen eine Ahnung hatte, was es mit diesem Tattoo überhaupt auf sich hatte und warum es eigentlich existierte. Am allerwenigsten Mac selbst.

Die von Magie kündende Tätowierung bedeckte eine Hälfte von Macs Brust und verlief dann nach links oben, über die Schulter und den Oberarm. Die feinen, präzisen Linien des Tattoos waren mit seiner Verwandlung gekommen – als er das erste Mal seine Drachengestalt angenommen hatte. Ohne erkennbaren Grund. Auch in den uralten Büchern, die noch aus der alten Welt mitgebracht worden waren, fand sich keine Erklärung. Forge musste es wissen. Gemeinsam mit Mac und Ricar hatte er viele Stunden im Untergeschoss verbracht und die alten Texte der ersten Drachenblütigen studiert in der Hoffnung, eine Antwort auf diese Fragen zu finden.

Erfolglos. In diesen Schriften gab es keine Antworten. Keine Möglichkeit, das Geheimnis zu lüften.

»Es hat angefangen zu glühen, Forge.« Mac bewegte angestrengt die Finger. »Und meine Haut … Scheiße. Die ist total gereizt.«

»Zeig es mir.«

Mac schob eine Hand unter den Saum seines T-Shirts und zog sich den Stoff über den Kopf. Harte Muskeln zuckten. Das Tattoo bewegte sich mit ihnen, ließ seinen Freund abermals zusammenfahren und … Oh, verdammt. Jetzt sah er das ganze Ausmaß des Problems.

»Mannomann.«

»Ich weiß.« Mit ausgestrecktem Arm starrte Mac auf die marineblauen Linien, die ihm durch einen merkwürdigen Schicksalsschlag vererbt worden waren. Farbe flackerte in dem Muster auf, das dadurch wie eine lebende Flamme zu zucken schien. Das rote Glühen begann an den Außenrändern und breitete sich zur Mitte hin aus. Brust, Schulter, Bizeps, ganz egal. Alles war von dieser Farbe überzogen, die durch das Tattoo floss und wie eine bedrohliche Warnung aufleuchtete. Wie der Vorbote schlechter Neuigkeiten. »Es fühlt sich an, als würde jemand einen Schweißbrenner an meine Haut halten.«

»Kann Tania dir nicht helfen?«, fragte Forge in der Hoffnung, dass Macs Gefährtin durch Berührung den Schmerz lindern könnte. Das Glühen im Zaum halten könnte … oder so. Hauptsache, Tania beruhigte den Drachen so weit, dass er schlafen konnte.

Frisch erwachte Drachenblütige waren in der Anfangszeit sehr fragil. Mac war da keine Ausnahme. Vier Monate nach seiner Verwandlung – und der verstörenden Erfahrung, dass seine Drachen-DNA aktiv geworden war – brauchte er noch immer besondere Zuwendung. Gutes Essen. Viel Schlaf. Viele Streicheleinheiten.

Macs Gefährtin gab ihm alles, was er brauchte … und mehr.

Als eine Frau mit hoher Energie verband sich Tania auf eine Art und Weise mit dem Meridian, wie es anderen Frauen nicht möglich war. Wie eine personifizierte Kraft war sie direkt mit der Quelle allen Lebens verbunden und bediente sich an dem elektrostatischen Band, das den Planeten umgab, hatte Zugriff auf ein Maß an Energie, das die meisten Drachen nie zu Gesicht bekamen. Oder in sich aufnehmen durften. Aber noch viel erstaunlicher war, dass die Schwingungen ihrer Lebensenergie mit derselben Frequenz pulsierten wie Macs. Diese perfekte Übereinstimmung sorgte dafür, dass sein Freund genau die Versorgung erhielt, die seine Wasserdrachenhälfte brauchte, um stark und gesund zu bleiben. Ein kostbarer Fund für jeden Krieger. Ein Glückstreffer für Mac, da die meisten Drachen ihr Leben lang nach einer Frau wie Tania suchten, sie aber nie fanden.

»Nimmt sie dir den Schmerz?« Forge beugte sich vor, um die flackernden Ränder des Tattoos näher zu untersuchen.

»Ja. Sie ist das Einzige, das hilft.«

»Gut. Verbringe so viel Zeit mit ihr, wie du nur kannst.«

Mac warf ihm einen tadelnden Blick zu.

Forges Lippen zuckten. Okay, blöder Ratschlag. Drachen, die eine solche Bindung eingegangen waren, brauchten keinen Vorwand, um Zeit mit ihrer Gefährtin zu verbringen. Mit ihrer Frau zusammen zu sein war für sie ebenso selbstverständlich, wie zu atmen. »Hast du es Rikar erzählt?«

Mac schüttelte den Kopf.

»Du musst es ihm sagen.«

»Mache ich ja noch … wenn wir dich wieder auf Kurs gebracht haben.«

»Mac …«

»Ich komme mit. Du wirst das auf keinen Fall allein machen. Nicht nach dem, was letztes Mal passiert ist«, stellte Mac mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme fest.

Ein Argument mit der Wucht eines Dolchstoßes, das eine Art Echo in Forges Brust auslöste. Frustriert knirschte er mit den Zähnen. Verdammt. Er sollte es ihm verbieten. Mac war angeschlagen, war körperlich nicht zu hundert Prozent fit. Verletzlichkeit gab es in allen Größen – Small, Medium, Large und … oh ja. Extra Large mit einem schönen Du-hast-es-vermasselt-Bonus. Mac landete mit dieser seltsamen Tattoo-Sache volle Kanne in der letzten Kategorie, aber … Herr im Himmel. Er wollte diesen Drachenblütigen während der Sitzung dabeihaben. Er würde sich einfach sicherer – und mental stabiler – fühlen, wenn Mac mit im Raum war.

Egoistisch. Wie ein erbärmliches Weichei. Falsch in vielerlei Hinsicht.

Eigentlich sollte sein Schützling an erster Stelle stehen, er sollte sich um Macs Sicherheit kümmern, statt sich um sich selbst zu sorgen. Oder sich von diesem unguten Gefühl beherrschen zu lassen. Aber je länger er dem Blick seines Freundes standhielt, desto mehr neigte Forge der rationalen Variante zu statt der sicheren, und so tat er das Undenkbare: Er gab nach. Rollte sich auf den Rücken und ließ Mac gewinnen.

»Also gut, Junge«, sagte er ruhig.

Grunzend zog Mac sein T-Shirt wieder herunter. »Wusste doch, dass du es einsehen würdest.«

»Werd bloß nicht frech, Ire.« Durch den Spitznamen versuchte Forge, seinen warnenden Tonfall etwas abzumildern. »Von mir kriegst du grünes Licht, aber vergiss nicht, wo dein Platz ist. Lass Bastian und Rikar ihre Arbeit machen. Keine Unterbrechungen, außer es geht schief, kapiert?«

»Wie du meinst.«

Forge schnaubte skeptisch. Wie du meinst. Schön wär’s. Mit Mac war es nie so einfach. Dieser Drache tat immer nur das, was er wollte. Was also hieß … oh ja, das hatte er total verpennt. »Du bist echt die Pest am Arsch.«

»Da redet der Richtige.« Mac hob seinen schmerzfreien Arm und verpasste ihm einen Knuff mit dem Ellbogen.

Dieser Liebesbeweis brachte Forge wieder ins Gleichgewicht. Sorgte dafür, dass er sich wieder wohler in seiner Haut fühlte. Halleluja. Er hatte einen Flügelmann, einen, der nicht zögern würde, ihn zu beschützen, falls Bastian zu weit ging.

Der Fahrstuhl hielt an.

Die Türen glitten auf und entließen ihn in einen Vorraum, der wie ein Diamant geformt war.

Forge hielt sich rechts, wo das Foyer in einen Korridor mündete, der sich in zwei Richtungen verzweigte. Dicht gefolgt von Mac, marschierte er zügig nach links, auf die Krankenstation von Black Diamond zu. Die runden, in den Betonboden eingelassenen Lampen warfen V-förmige Lichtflecken an die über drei Meter hohen Decken und ließen die Meißelspuren an den massiven Granitwänden hervortreten. Ein elektrisches Summen erfüllte den Korridor. Vom Jagdfieber geweckt, regte sich der Drache in seinem Inneren. Seine Sinne wurden schärfer, nahmen die leisesten Energieströme wahr, fingen jedes kleinste Geräusch auf, lauschten auf Bastians Stimme in der Stille.

Ein leises Grollen hallte durch den Gang.

Dann folgte ein hartes Schaben. Vielleicht Metallfüße, die über Beton schleiften.

Zimtgeruch drang ihm in die Nase.

Forge atmete tief ein, sog so viel wie möglich davon auf. Er liebte diesen Geruch. Das Aroma löste seine Anspannung, glättete die Wogen, ließ sein Innerstes weich werden … verführte ihn Stück für Stück. Was genau der Grund war, warum Bastian es einsetzte. Sein Kommandant wollte, dass er sich entspannte, seinen Geist öffnete, unabhängig davon, was sich darin verbarg – ob nun Gutes oder Böses, Hässliches.

Die Hand schon nach der Tür ausgestreckt, blieb Forge vor der Krankenstation stehen. Da ihre Front komplett aus Glas bestand, hatte er freien Blick auf die hellen Wände und den Haufen medizinischer Geräte dahinter. Unter normalen Umständen führte Myst hier das Kommando, erteilte Befehle, nahm die Ersteinschätzung vor und flickte nach einer harten Nacht voller Kämpfe den jeweils betroffenen Nightfury-Krieger zusammen. Jetzt nicht. Ihr stets aufgeräumter Arbeitsbereich war verschwunden, weder die stählerne Transportliege noch die vielen kleinen Plastikpäckchen waren irgendwo zu sehen. Jetzt stand hier nur ein Stuhl, der so aussah, als gehöre er in eine Zahnarztpraxis. Mit einem entscheidenden Unterschied: Ledergurten an den gepolsterten Armlehnen und der extrem stabil aussehenden Fußstütze. Forge holte tief Luft. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Jetzt oder nie. Die nächste Runde auf diesem verdammten Stuhl. Oder aber ein Leben ohne Antworten.

Mac legte ihm die Hand in den Nacken. »Alles okay?«

»Ja.« Die Lüge kam ihm so ruhig über die Lippen wie einem geübten Soziopathen. Dann warf er Mac einen durchdringenden Seitenblick zu. »Erspare mir bloß den Defibrillator.«

»So weit wird es nicht kommen.« Beruhigend drückte sein Freund zu. »Heute Nacht nicht.«

»Dein Wort drauf.«

»Auf jeden Fall.«

Unverbrüchliche Loyalität in drei kleinen Worten. Ein Schwur unter Kriegern.

Nichts war besser als das. Doch als sich die Glastür öffnete und Forge mit rasendem Puls, wachsender Furcht und einer sich Gewitterwolken gleich zusammenballenden Unsicherheit die Krankenstation betrat, fing er an zu beten. Um den Glauben und die Hoffnung, dass er unbeschadet wieder hier rauskäme. An jedem anderen Tag wäre das unwichtig gewesen. Ramponiert und zerschlagen, blutend wie ein Schwein – wen juckte das? Er wusste, wozu er fähig war, kam mit allem klar, was der Feind ihm entgegenschleuderte. Aber heute war seine Geschicklichkeit auf dem Schlachtfeld bedeutungslos. Heute stand er einer Herausforderung gegenüber, die mit einer langen Liste von Unwägbarkeiten einherging, die er nicht kontrollieren konnte. Und die größte davon stand am anderen Ende des Raumes: mit verschränkten Armen, Schultern an die Wand gelehnt, einer vollkommen ausdruckslosen Miene.

Forge erwiderte den prüfenden Blick, weigerte sich, Schwäche zu zeigen.

Das Schweigen zog sich hin. Bastian starrte ihn weiter an. Eine volle Minute verging, bevor sein Kommandant sich von der Wand abstieß. Eine Schulter kreisen ließ, dann die andere – eine Bewegung, mit der er die lähmende Anspannung lösen wollte, während er das Behandlungszimmer durchquerte.

Bei Forge verfehlte sie ihre Wirkung.

Erreichte eigentlich sogar das Gegenteil.

Jeder Schritt Bastians ließ ihn sich nur weiter verkrampfen. Wie paradox. Ein echter Arschtritt. Vor allem, weil er den Kommandanten der Nightfury wirklich mochte. Ihm aufrichtigen Respekt entgegenbrachte. Bastian mochte ja die Ausstrahlung eines brutalen Schweinehundes haben, aber er war auch ein wahrer Anführer: schlau, fürsorglich, tödlich, wann immer es darauf ankam. Doch je näher er jetzt kam, desto straffer spannten sich die unsichtbaren Fäden, bis Forge sich fühlte, als hätte man ihn auf eine Streckbank gelegt.

Bastian blieb einige Schritte vor ihm stehen, noch immer jenseits des Stuhls. »Bereit?«

Ein Wort. Eine einfache Frage, leise gestellt. Daran war nichts Bedrohliches, aber … verfluchte Höllenqual noch eins. Forge biss die Zähne zusammen. Nein, er war nicht bereit. Und er würde es auch niemals sein.

Sein Stolz verbot ihm, das zuzugeben. Also ging er, statt die Wahrheit zu sagen, auf den Stuhl zu. »Ja.«

Rechts von ihm ertönte ein Schnauben. »Na, wenn da mal nicht die Nase wächst.«

Dieser Kommentar ließ ihn ruckartig herumfahren. Mit schmalen Augen starrte er Rikar an. »Halt’s Maul, Frosty. Dich hat niemand gefragt.«

Rikar, der gelassen an dem Edelstahltisch an der Wand lehnte, lachte leise. »Da ist er ja wieder – Feuer, Schwefel und miese Laune. Gott sei Dank. Einen Moment lang war ich echt besorgt.«

Zähneknirschend starrte Forge seinen XO an. »Wie viel Zeit haben wir, Bastian? Hoffentlich genug, um ihm die Scheiße aus dem Leib zu prügeln, bevor wir anfangen.«

»Und los geht’s.« Rikar ließ seiner Frostdrachenseite freien Lauf, sodass sein grinsendes Gesicht von feinen Schneeflocken eingerahmt wurde. »Jetzt ist er bereit.«

Bastians Lippen zuckten. »Später, Forge. Dann halte ich ihn sogar fest.«

»Zwei gegen einen«, brummte Rikar, und seine Augen funkelten interessiert. »Unfair.«

»Aber notwendig.« Mac gab seinen Platz an der Tür auf und trat zu Forge, verpasste ihm einen herzlichen Klaps. Die Haut unter Forges T-Shirt brannte, sein Oberkörper wurde nach vorn geschleudert, und das laute Klatschen hallte von den Wänden wider, während Mac Rikar einen nervösen Blick zuwarf. »Beim letzten Mal hast du schmutzig gekämpft. Hättest fast meine Eier tiefgekühlt, bevor ich dich erwischt habe.«

»Schmutzige Kämpfe sind mir am liebsten«, erwiderte Rikar mit einem unverfrorenen Grinsen.

Mac knurrte. »Beim nächsten Mal bringe ich einen Schneidbrenner mit.«

»Besser einen Flammenwerfer«, warf Bastian ein, der Mac durchdringend fixierte. Er runzelte die Stirn. Sofort verkrampfte sich Mac, und Forge spürte, wie die beiden in ein lautloses Tauziehen verfielen. Ihr geistiges Kräftemessen strahlte auf den ganzen Raum aus, wobei Bastians Gedanken klar auf der Hand lagen. Titel der Debatte: Wann sollten frisch geschlüpfte Krieger sich besser in Sicherheit bringen? »Mac …«

»Ich bleibe.«

Rikar schaute zu Bastian hinüber. Nach einem kurzen Nicken konzentrierte sich der XO der Nightfury auf Mac. Er löste die vor der Brust verschränkten Arme und stieß sich von dem Edelstahltisch ab. »Ich weiß, dass du glaubst, damit klarzukommen, Mac, aber es ist besser, wenn du gehst. Sobald die Sitzung begonnen hat, können wir die Magie nicht mehr kontrollieren. Du bist noch nicht erfahren genug, um damit klarzukommen. Am Ende wirst du noch verletzt.« Rikar warf Mac einen scharfen Blick zu. »Warte draußen.«

Mac weigerte sich kopfschüttelnd nachzugeben.

Bastian fluchte.

Forge warf sich in die Bresche: »Mac bleibt.«

»Verfluchte Scheiße«, murmelte Rikar und zog die Brauen so weit herab, dass seine eisblauen Augen kaum noch zu sehen waren.

»Er ist stark genug«, behauptete Forge stur und warf damit seine Autorität als Macs Mentor in die Waagschale, um seinem Freund den Rücken zu stärken. Zugegeben, es war riskant. Aber Gefahr machte sowieso keine Unterschiede. Alle Beteiligten – er eingeschlossen – riskierten, verletzt zu werden, wenn man bedachte, welche Krieger in diesem Raum versammelt waren und wie stark die Magie war, über die sie verfügten. Der Zustrom würde brutal werden, ein so massiver Energiestoß, dass kaum ein Drachenblütiger ihm standhalten konnte, aber … jetzt war es zu spät, um den Schwanz einzuziehen. Er hatte Mac sein Wort gegeben, und das würde er halten. »Er bleibt – vorerst.«

»Scheiße.« Bastian rieb sich den Nacken, dann schüttelte er den Kopf. »Keine gute Idee.«

»Vertrau mir, Bastian, wenigstens ein bisschen. Ich weiß, was ich tue.«

Bastian brummte etwas Unverständliches vor sich hin.

Rikar seufzte schwer, gab aber nach. »Es ist deine Show.«

Ja, allerdings, und deshalb bestimmte er auch die Regeln. »Rikar?«

»Ja.«

»Du hast die Verantwortung«, erklärte Forge seine Bedingungen. Versprechen hin oder her, er würde seinen Freund keinem unbegrenzten Risiko aussetzen. Sobald Mac in die Knie ging, erwartete er von Rikar zu tun, wozu er selbst während der Regression nicht imstande sein würde, nämlich Mac vor Schaden zu bewahren. »Befördere seinen Arsch auf den Gang, wenn es zu heftig wird.«

»Verstanden.« Rikar ließ die Knöchel knacken.

Mac verzog gereizt das Gesicht. »Wichser.«

»Keine Diskussion, Ire.« Forge versetzte seinem Freund einen leichten Stoß. Mac taumelte zur Seite, während Forge auf den Stuhl zuging. »Wenn du bleiben willst, hältst du dich gefälligst an die Regeln.«

Macs Miene war rebellisch, aber er nickte.

Und Forge nickte kurz zur Bestätigung. Das reichte ihm. Der angepisste Wasserdrache war festgenagelt. Zeit, die Show auf die Bühne zu bringen. Oder besser gesagt: seinen Arsch auf den heißen Stuhl.

Forge baute sich neben dem Stuhl auf, den er mehr hasste als die Razorback, und packte das Kopfteil. Spürte das Leder an seinen Handflächen. Verunsicherung jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Er verdrängte das Gefühl, wollte die Angst auf keinen Fall Fuß fassen lassen und setzte sich. Seine schwarzen Stiefel hoben sich scharf von dem hellbraunen Polster ab. Er setzte sich zurecht.

Metall quietschte.

Der Stuhl ächzte unter seinem Gewicht.

Nachdem er noch einmal tief durchgeatmet hatte, beugte Forge sich vor und griff nach einem der Gurte für die Fußgelenke. Der erste ging schnell. Beim zweiten fingen seine Hände an zu zittern. Er dehnte kurz seine Finger, bevor er den Riemen durch die Halterung zog. Mit einem Blick nach links streckte er den Arm aus und bot seine Hand dar, eine wortlose Bitte an Rikar, ihm zu helfen. Nickend ging sein XO ans Werk, schlang mit nüchterner Sachlichkeit die Gurte um beide Handgelenke und zurrte sie fest.

Forge prüfte die Fesseln. Dickes, weiches Leder drückte sich in seine Haut. Panik stieg in ihm auf. Sein Herz begann zu rasen, pochte mit voller Kraft gegen seine Rippen. Eine große Hand legte sich auf seine Schulter. Als Reaktion auf den leichten Druck lehnte er sich zurück, überließ sein Gewicht dem Stuhl und schaute hoch.

Ernste, grüne Augen musterten ihn.

»Ruhig, Bruder.« Bastian drückte eine Hand auf Forges Herz und tätschelte ihn beruhigend. »Ich fange ganz langsam an. Schließe die Augen. Konzentriere dich auf meine Stimme. Entspann dich. Alles ist gut. Du bist in Sicherheit.«

Sicherheit. Ja, genau. Er wollte protestieren, die Fesseln zerreißen und lauthals Scheiße schreien. Sein Selbsterhaltungstrieb verlangte genau das. Sein Pflichtgefühl hielt ihn davon ab. Er hatte sich freiwillig dazu bereit erklärt. Forge schnaubte höhnisch. Verdammter Scheißdreck. Gute drei Tage hatte er damit verbracht, Bastian davon zu überzeugen, dass es ihre einzige Möglichkeit war. Sein Kommandant hatte das Risiko nicht eingehen wollen, letztendlich aber nachgegeben. Er wusste es ebenso gut wie Forge: Die mentale Rückführung war und blieb nun einmal der beste und einzige Weg, um an die Informationen heranzukommen, die die Nightfury brauchten. Deshalb … hatte er keine andere Wahl. Es wurde Zeit, den Einsatz zu verdoppeln und darauf zu vertrauen, dass Bastian den Fallout unter Kontrolle hielt.

Gegen seine Instinkte ankämpfend, zwang sich Forge, die Augen zu schließen.

Bastian begann zu sprechen. Nichts Wichtiges. Kleinigkeiten. Alltägliches aus ihrem Unterschlupf: wie es seiner Gefährtin und dem Baby ging, das in ihr heranwuchs. Dem Sohn, den er am liebsten jetzt schon an sich drücken würde. Sein Tonfall blieb dabei immer gleich, seine Stimme tief und weich, ohne spitze Untertöne oder scharfe Intonation. Nichts als eine zwanglose Plauderei unter Männern.

Entspannend. Beruhigend. Der einlullende Rhythmus sich aneinanderreihender Silben, vorgetragen von einer samtweichen Stimme.

Magie flammte auf.

Hitze schoss durch sein Rückgrat.

Verkrampfte Muskeln lockerten sich.

Forge atmete aus. Atmete ein. Sog die Luft gleichmäßig ein, stieß sie beinahe mit Erleichterung wieder aus. Sein Herzschlag verlangsamte sich, wurde zu einem trägen Pulsieren in seiner Brust. Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus. Seine Fingerspitzen zuckten. Ein Gefühl der Schwere überkam ihn. Erst löste sich der Stuhl auf, dann der ganze Raum, bis er schwerelos über dem Boden schwebte. Worte spülten über ihn hinweg, schienen von weither zu ihm zu dringen, Hände strichen über seinen Nacken und umfassten schließlich seinen Hinterkopf.

Dieser Vorstoß in seinen Wohlfühlbereich ließ ihn zusammenzucken.

Beruhigend murmelte die Stimme weiter.

Irgendwo zwischen den verschiedenen Schichten seines Bewusstseins hielt Forge inne und überlegte einen Atemzug lang: kämpfen oder hinnehmen? Die Hände wegstoßen oder sich der Berührung ergeben? Die erste Option schien die bessere zu sein. Seiner Drachenhälfte gefiel die erzwungene Nähe nicht; wenn es nach ihr ginge, würde er die Fesseln zerfetzen und sich befreien. Doch seine andere Hälfte drängte ihn, den Sprung zu wagen. Er kannte die Stimme, vertraute dem Mann, und halb weggetreten oder auch nicht – mit größerer Tendenz zu nicht –, verstand Forge die stumme Botschaft. Er könnte einfach loslassen, seiner menschlichen Seite die Führung überlassen und sich von den warmen, trägen Wellen in die Tiefe ziehen lassen.

Völlige Entspannung umfing ihn.

Alle Sorgen schwebten davon.

»Gut. Und jetzt …« Gleichzeitig mit den Worten wurde der Griff um seinen Kopf fester. An seinen Schläfen entstand Druck. Kurz huschte ein Prickeln über seine Schädeldecke, dann wurde er wieder von warmer Behaglichkeit eingehüllt. »Du bist zu Hause, in eurem Unterschlupf im Berg, bereit, in die Nacht hinauszufliegen. Deine Brüder sind da und dein Erzeuger … Was passiert jetzt, Forge?«

»Drachenkampf«, murmelte er lallend. »Erste Schicht. Neu für mich. Brauche Training.«

Die hypnotische Stimme forderte: »Zeig es mir.«

Magie strömte in seine Adern.

Eine seltsame Art von Vibration breitete sich explosionsartig in seinem Kopf aus. Das Beben wurde heftiger zwischen seinen Schläfen. Sein Geist wirbelte davon. Bilder blitzten auf, beleuchteten den dunklen Bildschirm in seinem Bewusstsein. Glückliche Zeiten. Geliebte Erinnerungen an seine Mutter: wie sie und sein Erzeuger sich küssten, mitten in der Küche … Gelächter und liebevolle Umarmungen … der süße Duft von Shortbread, als sie das Blech aus dem Ofen holte.

Forge summte zufrieden. Mmmm, Shortbread. Seine absoluten Lieblingskekse. Sie hatte immer tolle Leckereien zubereitet. Und wie er sich freute, wenn er vor seinen Brüdern in der Küche ankam und …

Szenenwechsel.

Wieder schossen Bilder durch seinen Geist. Der Wirbelsturm stoppte, setzte ihn an einem anderen Ort ab, zu einer anderen Zeit.

Nicht mehr in der heimischen Küche, sondern draußen, oben auf einer Klippe. Nackte, dampfende Haut in der Kälte, die Zehen nur Zentimeter vom Abgrund entfernt. Er beugte sich vor und spähte über die schroffe Felskante. Seine Lippen verzogen sich kurz. Oh ja. Ungefähr dreihundert Meter. Und zwischen ihm und den scharfen Felsspitzen unten am Grund war nichts außer dem schneidenden Winterwind. Die Erregung floss berauschend durch seine Adern. Gott, er konnte es kaum noch erwarten, dass sein Erzeuger das Startsignal gab. Er musste einfach seine Drachengestalt annehmen und die Flügel strecken. Wollte so dringend losfliegen, dass er die Vorfreude quasi schmecken konnte.

Sein Erzeuger flüsterte: »Jetzt.«

Forge verwandelte sich. Sein Körper zog sich in die Länge, war mit dunkelblauen Schuppen bedeckt. Er spreizte die Krallen, prüfte die Beweglichkeit seiner Tatzen, dann sprang er in den Abgrund. Die schartige Oberfläche des Ben Nevis starrte ihm entgegen. Ohne auf die Launen des Berges zu achten, ließ er sich ins Nichts fallen. Eisige Luft verfing sich unter seinen Flughäuten, ließ seinen schweren Körper aufsteigen, umgeben von herumwirbelnden Schneeflocken.

Er hörte die Anfeuerungsrufe seiner Brüder.

Forge knurrte, schaute aber nicht zurück. Musste er auch gar nicht. Er wusste, dass sie ihm folgten. Er spürte die Flugbahn jedes einzelnen Drachen, auch die seines Erzeugers. Teile und herrsche. Minimiere das Risiko, indem du aus verschiedenen Richtungen angreifst. Forge fletschte die Zähne, summte vor Begeisterung. Es hatte begonnen – das Training, das ihm dabei helfen würde, ein Krieger zu werden. Umfassende Befriedigung breitete sich in ihm aus, verwurzelte sich in seinem Herzen, während er sich steil in die Kurve legte, wie eine Rakete zwischen zwei Bergkuppen hervorschoss. Die raue Landschaft ging in sanfte Hügel über, bevor diese sumpfigem Moorland Platz machten. Er suchte den Horizont ab, auf der Jagd nach seinen Brüdern, immer auf die erste Attacke gefasst.

Sein Sonar schlug an.

Ein leichtes Kribbeln lief über seine Hörner. Die Warnung irritierte ihn. Er kniff die Augen zusammen. Merkwürdig, aber … Forge krauste die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht. Eine Kleinigkeit nur. Irgendwie fühlten sich die Vibrationen in der Luft falsch an, nicht wie die unverkennbaren Energiesignaturen seiner Brüder. Eine schattenhafte Präsenz tauchte in einer Ecke seines Bewusstseins auf. Die dunkle Gestalt trat vor und beobachtete die Szene, versuchte, sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Forge zuckte zusammen. Er mochte diesen Eindringling nicht, flog aber weiter. Er musste wissen, ob seine Brüder in Sicherheit waren. Wollte sicher sein, dass sein Gespür ihn täuschte, dass es nicht das war, wonach es sich anfühlte: eine Bedrohung, eine Invasion auf dem Territorium seines Clans. Mit schmalen Augen suchte er den Horizont ab, versuchte die Quelle ausfindig zu machen.

Nichts und niemand. Außer …

Der Wind flaute ab. Eine unnatürliche Stille legte sich über das Land. Wie ein Sturzbach wogte Energie über das Moor. Ohne zu begreifen, was da vorging, ließ sich Forge auf ein kleines Eichenwäldchen zutreiben. Da drüben. Irgendwo dort. Er war sich sicher, dass das Signal …

Ein Feuerball erhellte explosionsartig den Nachthimmel.

Seine Brüder brüllten seinen Namen. Er schaute über die Schulter, suchte im Halbdunkel nach ihnen. Ein schmerzhaftes Pochen breitete sich zwischen seinen Schläfen aus. Der Fremde in seinem Geist kam noch näher. Nun unterbrach der Feuerball seinen Flug, blieb mitten auf Forges geistigem Bildschirm stehen. Fauchend erwachte der Drache in seinem Innern und drehte sich einmal um die eigene Achse. Mit glühenden Augen fixierte er den Eindringling. Die schattenhafte Gestalt erstarrte. Der Drache in seinem Innern fletschte die Zähne.

Eine männliche Stimme ertönte. Sie sprach schnell. Weich und eintönig appellierte sie an seine menschliche Seite.

Forge versuchte, zu ihr durchzudringen. Er wollte tun, was die Stimme ihm befahl: in dem Traum bleiben, in seinem Geist verharren, nicht dem Drachen nachgeben, der in ihm erwacht war. Aber es war zwecklos. Der Drache war aus seinem Käfig geschlüpft. Jetzt tobte er, wollte nicht hören, brüllte wütend, bereit zum Angriff. Eine mächtige Woge von Magie traf ihn. Der Geräuschpegel stieg ins Extreme. Ein lauter Knall ließ den Bildschirm in seinem Geist in tausend Stücke zerplatzen. Das Bild explodierte wie eine Glasscheibe, zerfetzte ihn mit Schrapnellgeschossen der Erinnerung.

Schmerzen flammten auf.

In dem verzweifelten Versuch, ihn zu schützen, stieß der Drache in seinem Innern sein menschliches Ich beiseite und übernahm die Führung. Wut strömte wie flüssiges Feuer durch seine Adern. Krallen schossen hervor, und sein Drache attackierte die schattenhafte Gestalt, versuchte sie bei lebendigem Leib zu verbrennen, während sein Geist fortgeschleudert wurde und sein Körper sich in Krämpfen wand.

2

Mit dem beschissen hohen Puls eines Herzinfarktpatienten fletschte Mac wütend die Zähne. »Wir verlieren ihn, verdammt.«

Die Angst um seinen Freund schnürte ihm die Kehle zu, erstickte seine Worte, und er konnte weder etwas gegen den Sprachverlust tun noch gegen die aufsteigende Panik. Forge steckte in ernsten Schwierigkeiten. Verbrannte innerlich. Bewusstlos. Gequält von der reißenden Flut der mentalen Regression.

Um ihn zu stabilisieren und ihn gleichzeitig festzuhalten, zog Mac seine Magie an sich. Ließ sie durch seinen Geist rasen. Seine Wasserdrachenhälfte fokussierte – malte sozusagen ein großes X auf die Karte –, bevor sie den magischen Sturm entfesselte. Kühles Nass flutete durch seine Adern. Im Innern der Krankenstation ballten sich Regenwolken zusammen, Wasser schlug gegen die hellen Wände, lief nach oben statt nach unten. Nebel benetzte seine Haut. Das Wasser konzentrierte sich ganz auf ihn. Er drang weiter vor, versuchte, über ihre Gedankenkommunikation eine Verbindung zu Forge herzustellen, schickte seine Stimme in Wellen durch die psychischen Areale seines Freundes.

Nichts.

Keine Antwort. Keinerlei Veränderung bei Forge.

Stattdessen befand sich der Drachenblütige nun körperlich im freien Fall: Seine Muskeln krampften, sein schwerer Körper zitterte unkontrolliert, das Auf und Ab seiner Wirbelsäule ließ den ganzen Stuhl wackeln. Dann hüpfte das Ding über den Boden. Kreischend glitten die Metallfüße über den Beton. Die Ledergurte, mit denen Forge fixiert war, ächzten, als er wild um sich zu schlagen versuchte. Fluchend machte Mac weiter, katapultierte sich immer tiefer in Forges Seelenlandschaft hinein. Das Tattoo, das er nicht haben wollte, aber auch nicht ignorieren konnte, pochte schmerzhaft. Wie mit spitzen Krallen glitt der Schmerz über seine Schulter. Hastig verdrängte er das Gefühl. Nicht jetzt. Er durfte jetzt nicht aufhören. Sein Freund brauchte ihn und …

Er pumpte noch mehr Magie in Forge hinein.

Sein Bewusstsein verströmte Energie, entlud sie komplett in seinen Freund. Der schwere Stuhl vibrierte. »Komm schon, Kumpel. Ich bin hier. Greif zu, lass mich dich rausziehen.« Die Worte schossen wirbelnd aus seinem Kopf, direkt in den seines Freundes. Forge keuchte gequält. Er bog den Rücken durch, warf den Kopf zurück, ein stummer Schrei schien in seiner Kehle festzustecken. Mac hielt die Verbindung aufrecht, aber … verdammt. Er brauchte Hilfe. Ein Wunder oder sonst irgendetwas, um diese Attacke zu beenden und seinen Freund zu retten. Keine leichte Aufgabe, denn der nächste Krampfanfall katapultierte Forge immer weiter in Richtung Herzstillstand. Dabei hatte er seinem Freund doch versprochen, dass genau das nicht passieren würde.

Verfluchte Scheiße. Es war ein Albtraum. Ein gottverfluchter Albtraum. Er hatte Forge sein Wort gegeben, dass ihm nichts passieren würde. Jetzt ging alles rasant den Bach runter, und sein Mentor war nur einen Atemzug von einem Herzinfarkt entfernt.

Während er Forge noch fester umklammerte, fauchte er Bastian an: »Lass los! Lass ihn gehen!«

»Ich versuche es. Aber wenn ich mich zu schnell aus seinem Bewusstsein zurückziehe, könnte ich sein Gehirn schädigen.« Bastians Hände hielten Forges Schädel umfasst, seine Fingerspitzen bohrten sich in den Nacken. Bastian fletschte angestrengt die Zähne. Die Magie schlug zurück, fegte heulend durch den Raum, schleuderte medizinische Gerätschaften durch die Gegend. Die Leuchtstoffröhren an der Decke flackerten wild. Das elektrische Summen wurde lauter und verwandelte sich schließlich in ein schrilles Heulen. »Rikar, ihm droht Überhitzung. Kühl ihn runter, während ich mich so schnell wie möglich aus ihm zurückziehe.«

Rikar packte Forges Beine mit eisernem Griff und murmelte leise etwas vor sich hin.

Beißend kalter Nebel stieg auf.

Arktische Luft wehte durch das Behandlungszimmer und verwandelte die Regentropfen in Eis, noch bevor sie den Boden erreichten. Die Temperatur fiel schlagartig ab. Eis überzog die Wände, ließ den Putz aufplatzen und trübte das Glas der Tür. Mac stieß in einer dichten Dampfwolke den Atem aus, während Bastian sich – sozusagen Tentakel für Tentakel – aus Forges Bewusstsein zurückzog. Der Anfall nahm an Intensität ab, wurde von katastrophal zu lebhaft. Sobald Forge nur noch zitterte, ging Mac ans Werk, überwachte die lebenswichtigen Körperfunktionen, kühlte die psychischen Brandwunden, hielt den Puls stabil und …

Gott sei Dank. Es funktionierte.

Schritt für Schritt drang Mac in den mentalen Käfig ein, der Forges Bewusstsein schützte. Über ihm wirbelten Schneeflocken. Die Kälte glitt scharf wie ein Messer über seinen Nacken. Forge war noch immer bewusstlos, entspannte sich aber ein wenig, akzeptierte Macs Anwesenheit in seinem Geist. Nach und nach wurde er ruhiger, dann ließ er sich auf den Stuhl zurückfallen. Seine Muskeln zitterten noch, krampften aber nicht mehr. Ohne Forges Nacken loszulassen, packte Mac mit der freien Hand die Ledergurte und befreite Forges Arme. »Rikar, kümmere dich um seine Beine.«

Mit fliegenden Fingern löste Rikar die Gurte an den Fußgelenken.

Sobald die letzte Fessel weg war, rollte Mac Forge auf die Seite. Stabile Seitenlage, eine Erste-Hilfe-Maßnahme, genau wie ein Rettungsschwimmer es bei einem Ertrunkenen machen würde.

Schwer atmend und mit besorgtem Blick starrte Rikar Forge an. »Herr im Himmel.«

»Fuck.« Obwohl Bastian nur flüsterte, war die Anspannung in seiner Stimme nicht zu überhören. Seine großen Hände ballten sich zu Fäusten, er legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke.

Rikar stieß den Atem aus. »Irgendwas Neues, Bastian?«

»Nein. Wieder dieselben Bilder: Eine Frau – seine Mutter, denke ich – und er in vollem Flug. Eine verschwommene raue Landschaft unter seinen Flügelspitzen.« Bastians hellgrüne Augen schienen regelrecht zu glühen, als er den Kopf hängen und die Schultern kreisen ließ, um die Anspannung loszuwerden. »Dasselbe wie vorher. Ich schaffe es einfach nicht, in neue Erinnerungen vorzudringen. Seine Drachenhälfte erlaubt es nicht.«

Mac warf seinem Kommandanten einen kurzen Blick zu. Bastian wirkte regelrecht verstört. Ihm war deutlich anzusehen, was es ihn kostete, Forge die benötigten Informationen zu entreißen. Beziehungsweise es zu versuchen. Mac verstand das. Bastian gefielen diese Regressionssitzungen ebenso wenig wie ihm.

»Bastian«, sagte er mit einem gewissen Unterton in der Stimme. Bastian reagierte sofort auf die Warnung. Seine stechenden grünen Augen wurden schmal. Ohne diesem Blick auszuweichen, ballte Mac die Fäuste und stemmte sich hoch. »Das war das letzte Mal.«

Mit bedauernder Miene schüttelte Bastian den Kopf. »Wir müssen wissen, was in Schottland passiert ist, Mac. Das ist wichtig. Wenn wir beweisen können, dass Rodin an der Sache beteiligt war, können wir das Schwein vielleicht für immer unter die Erde bringen.«

»Im Moment ist mir Rodin ehrlich gesagt scheißegal.«

»Ganz ruhig.« Rikar schaltete sich als Vermittler ein, warf Mac aber einen auffordernden Blick zu: Rückzug, sofort. »Bastian hat recht. Es ist der einzige Weg, um …«

»Es funktioniert nicht«, unterbrach ihn Mac, dem langsam übel wurde. Vielleicht wollte Forge sich ja tatsächlich um jeden Preis erinnern, um dem Clan der Nightfury geben zu können, was dieser brauchte, aber er selbst ertrug das nicht länger. Er konnte nicht mehr mit ansehen, wie sein Freund jede Nacht aufs Neue litt. Also war die Sache damit beendet. Aus, vorbei. Nie wieder. Nie wieder, verdammt. »Wir bringen ihn noch um. So wird Forge sich niemals erinnern. Wir müssen einen anderen Kurs einschlagen … nach einer anderen Methode suchen.«

Bastian seufzte schwer. »Welcher Art?«

»Eine einfachere. Sanftere.« Mac hob ein Kissen vom Boden auf und schob es seinem Freund unter den Kopf. Forge stöhnte leise. Bastian zuckte sichtlich zusammen, während Mac eine neue Möglichkeit durch den Kopf ging. Es könnte funktionieren. Vielleicht war es sogar genau das, was ein Arzt empfehlen würde. Was wiederum hieß … jetzt oder nie. Je schneller er seine unter Drachenblütigen sicher als völlig verrückt geltende Idee vorstellte, desto besser war es für Forge. »Eine menschliche Methode.«

Rikar blinzelte überrascht. »Ist das dein Ernst?«

Mac nickte. »Wir müssen irgendetwas tun. Noch eine Runde überlebt er nicht.«

Bastian rieb sich den Nacken. »Was hattest du dir vorgestellt?«

»Eine Hypnotherapeutin.«

»Kennst du eine?«, wollte Rikar wissen.

»Ja. Sie arbeitet als Beraterin für das Seattle Police Department und die Staatsanwaltschaft«, erklärte Mac. »Sie ist echt gut.«

Bastian marschierte bis zur gegenüberliegenden Wand, fuhr herum und stapfte wieder zurück. »Wie gut?«

»Besser als alle, die ich sonst gesehen habe.«

»Und wie läuft das ab?« Mit nachdenklicher Miene verschränkte Rikar die Arme vor der Brust. »Bringen wir sie hierher?«

»Ja …« Mac kniff die Augen zusammen, während er die Variablen analysierte. »Unter kontrollierten Bedingungen.«

Während er im Kopf die Liste der möglichen Komplikationen und Problemstellen seines Plans durchging, wanderte er zur gegenüberliegenden Wand hinüber. Über dem Edelstahltisch dort glänzten die mit Reif überzogenen Glastüren der Hängeschränke. Als er eine davon öffnete, verbrannte ihm die Kälte fast die Fingerspitzen. Das laute Quietschen der eingefrorenen Metallscharniere hallte laut durch die Stille. Nachdem er gefunden hatte, wonach er suchte, schnappte er sich einen Waschlappen und flüsterte einen leisen Befehl. Sofort quoll Wasser aus seiner Handfläche und durchtränkte den Lappen. Allein kraft seiner Gedanken wrang Mac den Stoff aus und kehrte an Forges Seite zurück. Stirnrunzelnd und bemüht geduldig, sahen seine Kameraden zu, wie er den kalten Lappen auf Forges Stirn platzierte. Der noch immer bewusstlose Schotte murmelte ein paar gälische Worte. Mac sprach leise und beruhigend auf ihn ein, bevor er sich wieder den anderen Drachenblütigen im Raum zuwandte.

»So kann es funktionieren.« Wie bei einer Checkliste hakte Mac Punkt für Punkt ab. Darunter auch das Thema Rückendeckung in der Menschenwelt und … okay, okay. Sein Plan war nicht perfekt, aber verdammt noch mal – besser als nichts. Besser, als Forge wieder auf den heißen Stuhl zu setzen. Mit ein wenig Planung konnte er ohne allzu große Zugeständnisse das Geschehen unter Kontrolle halten. Erstens: Der gesamte Nightfury-Clan – inklusive der Frauen – musste dem Plan zustimmen und mit den heiklen Informationen hinter dem Berg halten. Zweitens: Sobald sie einmal im Hauptquartier Black Diamond war, würde die Therapeutin festgesetzt werden, ohne jeden Kontakt zur Außenwelt. »Kein Wort über die Drachenblütigen. Wir sagen ihr, wir wären eine verdeckte, von der Regierung sanktionierte Militäreinheit. Dass sie hier vor Ort und ohne Unterstützung von außerhalb dabei helfen muss, das Erinnerungsvermögen eines unserer Mitglieder wiederherzustellen. Nicht mehr und nicht weniger.«

»Schön einfach halten.« Mit einer schnellen Drehung setzte sich Rikar auf die Arbeitsplatte. Seine Kampfstiefel schlugen dröhnend gegen die Türen des Unterschranks. »Halte die Variablen unter Kontrolle. Schmück die Geschichte noch etwas aus, indem du sie eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterzeichnen lässt.«

»Mit anderen Worten: Wir sollen das Blaue vom Himmel herunterlügen.« Bastians Mundwinkel zuckten. »Damit hinterher keine Gehirnwäsche nötig wird.«

Mac nickte. »Ganz genau.«

Rikar kniff die Augen zusammen. »Könnte funktionieren.«

»Es wird funktionieren«, behauptete Mac. »Bleibt nur ein kleines Problem.«

Bastian bat mit einer hochgezogenen Augenbraue stumm um Aufklärung.

»Ich muss Ange mitnehmen, wenn ich mit ihr rede … damit ich es ihr anständig verkaufen kann.«

»Nein.« Rikars Absage wurde von einem tödlichen Unterton begleitet.

Mac warf dem stellvertretenden Kommandanten einen durchdringenden Blick zu. »Rikar …«

»Meine Gefährtin wird nach Einbruch der Dunkelheit nicht dort rausgehen.« Eine dünne Frostschicht legte sich auf Rikars Schultern und hüllte ihn in weißen Nebel. Er schüttelte den Kopf. »Es ist zu gefährlich.«

»Sie wäre mit zwei Glocks bewaffnet«, versuchte Mac es mit Logik. Was auch nicht half. Er wusste genau, warum Rikar sich Sorgen machte. Der Drachenblütige würde seine Gefährtin um jeden Preis verteidigen, aber … verdammt. Übervorsichtig war gar kein Ausdruck. Angela war eine ehemalige Polizistin. Eine überragende Schützin mit allen nötigen Fähigkeiten und genug Mumm in den Knochen, um Abtrünnige allein mit ein paar Kugeln und einem Scharfschützengewehr plattzumachen. »Ich werde bei ihr sein. Die Razorback haben sich verkrochen, also …«

Rikar knurrte ihn an. »Verfluchte Scheiße. Nein.«

»Bist du sicher, dass du sie unbedingt brauchst, Mac?« Ohne Rikar aus den Augen zu lassen, schlug Bastian den Weg der Vernunft ein, wenn auch vorsichtig. Schließlich wollte niemand einen angepissten Frostdrachen im Unterschlupf haben. »Würde die Therapeutin nicht auch so mitkommen?«

»Schwer zu sagen. Hope Cunningham ist clever. Und mir gegenüber war sie schon immer etwas misstrauisch.« Mac zuckte mit den Schultern. Auch wenn er es ungern zugab, das war die Wahrheit. Er hatte nie etwas getan, was Hope Grund gegeben hätte, sich vor ihm zu fürchten, aber so war es nun einmal. Vielleicht war es diese tödliche Ausstrahlung, die er wie einen schweren Koffer mit sich herumschleppte. Vielleicht seine Größe oder Statur. Vielleicht erinnerte er sie auch an jemanden aus ihrer Vergangenheit. Wer konnte das schon wissen? Er hatte sie nie gefragt und den Small Talk immer seiner Partnerin überlassen, wenn sie die Therapeutin bei einem Fall hinzugezogen hatten. »Sie kennt Angela, und sie vertraut ihr. Hat ihr schon unzählige Male im Umgang mit Gewaltopfern geholfen. Deshalb stehen unsere Chancen am besten, wenn sie Hope fragt. Auf Ange wird sie hören.«

Stille senkte sich herab, während Bastian ihn abschätzend musterte. »Und du glaubst wirklich, dass sie uns helfen kann? Dass Forge auf sie besser reagieren wird?«

»Ich weiß es«, behauptete Mac, wobei er inständig hoffte, dass er damit richtiglag.

Mit verschränkten Armen schaute Bastian zu seinem besten Freund hinüber. »Ange wird gehen.«

Rikar fluchte.

Mac atmete erleichtert auf.

»Weil alle gehen werden«, fuhr Bastian fort. »Der gesamte Clan wird ausschwärmen. Mac: Du und Ange, ihr nehmt den Denali. Wir werden rundum Stellung beziehen … das komplette Abschirmungsprogramm. Myst wird bei Forge bleiben, während wir die Frau holen.«

An Rikars Unterkiefer zuckte ein Muskel. »Das gefällt mir nicht.«

»Ich weiß, aber es ist einen Versuch wert.« Bastian stieß sich von der Wand ab. Mit sicheren Schritten durchquerte er den Raum und blieb neben dem Stuhl stehen. Forge lag auf der Seite, seine Augen waren geschlossen, sein Brustkorb hob und senkte sich wieder gleichmäßig. Er war bewusstlos. Verwundbar. Und damit so weit von seinem üblichen, grimmigen Selbst entfernt, dass Mac kaum noch atmen konnte. Nachdem er eine Weile auf den Schotten herabgeblickt hatte, umfasste Bastian vorsichtig den Hinterkopf seines Kriegers. Forges Lider flatterten kurz, dann sank er in tiefen Schlaf. Mit kaum unterdrücktem Schmerz in der Stimme murmelte Bastian: »Besser als dieser Scheiß. Besser, als ihm wieder wehzutun.«

Mac nickte. Hervorragend. Zustimmung war da, der Schlachtplan abgenickt.

Jetzt kam der schwierige Teil – die genaue Durchführung. Eine Art der Umsetzung, die Angela hoffentlich hinbekam. Hope Cunningham war kein graues Mäuschen. Sie leitete eine gut gehende Praxis. Hatte ein erfülltes Leben, in dem sie einer Menge unterschiedlicher Menschen half. Vor allem traumatisierten Opfern. Nicht ganz einfach, das alles für mehrere Wochen zurückzulassen. Aber Forge brauchte Hilfe, also würde die Hypnotherapeutin ins Hauptquartier der Nightfury kommen, ob es ihr nun passte oder nicht. Selbst wenn dazu Klebeband und Höhlenmenschenmethoden zur Anwendung kommen mussten.

3

Ihre Technik war vollkommen falsch.