Feuer - Tödliches Verlangen - Coreene Callahan - E-Book
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Feuer - Tödliches Verlangen E-Book

Coreene Callahan

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Beschreibung

Düster, erotisch und brandheiß – die Drachen sind los

In den Straßen Seattles tobt ein gefährlicher Krieg zwischen den Drachen des Nightfury- und des Razorback-Clans. Die Nightfury haben einst geschworen, die Menschen zu beschützen, doch die Razorback sind entschlossen, die Stadt in Schutt und Asche zu legen – und Nightfury-Anführer Bastian und seine Drachenkrieger sind am Ende ihrer Kräfte. Als Bastian der schönen Myst begegnet, scheint sie die Lösung all seiner Probleme zu sein. Doch der Preis dafür ist hoch ...

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DASBUCH

Im Schutz der Dunkelheit tobt in den Straßen Seattles ein gefährlicher Krieg zwischen den Nightfury und den Razorback – mächtigen Clans, deren Krieger sich in Drachen verwandeln können. Die Nightfury haben einst geschworen, die Menschen um jeden Preis vor dem Hass der Razorback zu beschützen. Die langen Jahre des Kampfes haben die Reihen der Nightfury-Krieger jedoch geschwächt, und ihr Anführer Bastian weiß, dass er dringend einen Sohn zeugen muss, um seinen Clan – und somit auch die Menschen – zu retten. Doch noch nie hat eine Frau die Geburt eines Drachenblütigen überlebt. Als Bastian der schönen Krankenschwester Myst Monroe begegnet, verlieben sich die beiden unsterblich ineinander. Eigentlich ist Myst die perfekte Frau, um Bastians Thronfolger zur Welt zu bringen, aber ist das Wohl der Nightfury das Leben seiner großen Liebe wert? Hin und her gerissen zwischen der Verpflichtung dem Clan gegenüber und der Liebe zu Myst, begeht Bastian einen folgenschweren Fehler – einen Fehler, der Myst in die Arme Ivars treibt, des Anführers der Razorback …

DIE AUTORIN

Coreene Callahan arbeitete nach ihrem Psychologiestudium zunächst als Innenarchitektin, bevor sie beschloss, sich ausschließlich ihrer ersten großen Liebe zu widmen: dem Schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie in Kanada.

Weitere Informationen zu Autorin und Werk erhalten Sie unter:

www.coreenecallahan.com

www.twitter.com/HeyneFantasySF

@HeyneFantasySF

www.heyne-magische-bestseller.de

COREENE CALLAHAN

FEUER

Tödliches Verlangen

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Fury of fire

Deutsche Übersetzung von Kristina Klobischke

Deutsche Erstausgabe 06/2013

Redaktion: Kathrin Fliege

Copyright © 2011 by Coreene Callahan

Copyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von Shutterstock/CURAphotography

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-10411-5

Meinem furchtlosen Alain.

Das hier ist für Dich, Süßer.

1

Die Blitzlichter des Stroboskops hämmerten mit voller Kraft. Bastian kniff die Augen zusammen, ließ den Blick über die Tanzfläche schweifen und musterte die halb nackten Körper, die sich in knappen Röcken im Rhythmus des Hardcore-Technos wanden. Sein geübtes Auge schnappte die verschiedensten Spuren auf, das sanfte Leuchten weiblicher Energie, das in den dunklen Ecken pulsierte. Er kippte noch ein Glas Blue Label runter.

Der Whiskey rann ihm durch die Kehle wie Samt. Seine Laune war anderer Natur.

»Irgendwas entdeckt?« Rikar glitt ihm gegenüber in die Nische.

»Hast du denn was erwartet?« Er sah seinen Freund an und bemerkte den Glanz in Rikars hellen Augen. Das irisierende Leuchten konnte nur eines bedeuten. Sein Freund hatte seinen Hunger gestillt, sich mit einer willigen menschlichen Frau in einer dunklen Ecke des Clubs Erleichterung verschafft. Bastian war nicht überrascht. Die Frauen standen auf Drachenblut, und sein oberster Befehlshaber blieb nie lange allein.

Rikar griff nach seinem Bier und nahm einen langen Zug aus der Flasche. »Such dir eine aus und bring’s hinter dich, verdammte Scheiße.«

Wenn es nur so einfach wäre. In der Abgeschiedenheit ihres Hauptquartiers war er von seiner Entscheidung – und der Richtigkeit der Überlegung, die dahintersteckte – vollkommen überzeugt gewesen. Jetzt, eingehüllt vom Dröhnen der Bässe und dem Duft parfümierter Frauenkörper, fragte Bastian sich, was ihn da eigentlich geritten hatte. Es war nicht so, dass er keine Frau wollte. Verdammt, er genoss die Zweisamkeit mindestens genauso wie seine Waffenbrüder, aber der Gedanke, sich mit einer von ihnen zu paaren, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. »Ich habe noch Zeit.«

Sein Freund sah ihn belustigt an. »Du hast nicht mal mehr eine Woche.«

»Hör auf, Rikar.«

»Hey, dieser Wahnsinnsplan stammt von dir, nicht von mir.«

Wahnsinn. Das brachte es ziemlich genau auf den Punkt. Aber das spielte keine Rolle. Ihm waren die Hände gebunden. Der Krieg dauerte jetzt schon so lange an, dass Bastian aufgehört hatte, die Opfer zu zählen. Jahrhunderte gefallener Kameraden, Jahrhunderte der Jagd. Und des Gejagtwerdens. Es würde niemals aufhören. Ein sauberer Sieg für eine Seite war nicht mehr möglich. Jetzt, da nur noch eine Handvoll Kriegerdrachen am Leben war, blieb ihnen keine andere Möglichkeit, als ihre Reihen wieder aufzustocken … und das bedeutete, die nächste Generation zu zeugen.

Die Vorstellung lag ihm wie ein Stein im Magen. Seine Sehnsucht nach einer Partnerin war ungefähr so groß wie die nach einem Kopfschuss, aber er musste mit gutem Beispiel vorangehen: sich als Erster binden, einen Sohn zeugen, seine Frau im Kindbett verlieren.

Bastian ließ das Eis in seinem Glas kreisen. Großer Gott. Er wusste noch nicht einmal, wie sie aussah, und doch trauerte er bereits um sie. Bedauerte schon jetzt, dass er dieses Leben nehmen würde. Es war kein Mord. Nicht im eigentlichen Sinne. Niemals würde er einer Frau etwas antun wollen, doch das änderte nichts an seiner Pflicht. Um seine Art zu retten, musste er sich fortpflanzen, und keine Frau überlebte die Geburt eines Drachenblütigen.

»Du denkst zu viel nach, Bas. Dem Drachenblut geht es gut.« Sein eisiger Blick glitt über die Szenerie, bevor er wieder zu ihm zurückkehrte. In seinen Augen erkannte Bastian beides; Tadel und Wahrheit. Genau wie er selbst wusste Rikar, dass es keinen anderen Weg gab. »Du solltest dich nähren. Das vertreibt die schlechte Laune.«

Zweifellos, doch der Vorschlag hinterließ einen schalen Geschmack in Bastians Mund. Er gab Hunger und Verlangen nur nach, wenn sie unerträglich wurden. Vielleicht war es töricht, aber trotz seiner Art gefiel es ihm nicht, sich zu nehmen, was ihm nicht gehörte. Keine Frau hatte es verdient, dass man sie benutzte und ihr Gedächtnis löschte. Zudem reichte ihm das niedrige Energielevel im Club ohnehin nicht. Als einer der Ältesten seiner Art brauchte er eine Frau, die in der Lage war, reine Kraft aus dem Meridian zu ziehen, um ihn zu nähren.

Elektrostatischer Strom hielt die Angehörigen des Drachenblutes am Leben – ein rein männliches Volk, geboren von menschlichen Frauen. Ohne den Energieaustausch würde sein Volk verhungern. Und der einzige Weg zur Quelle war die Nähe einer Frau. Eine Nähe, bei der sich Körper aneinanderrieben und Haut auf Haut traf. Nicht, dass sich jemals eine beschwert hätte. Nach mehr gebettelt? Immer. Nicht ein einziges Mal in all den Jahren hatte ihn eine zurückgewiesen. Selbst jetzt sahen die Frauen in der Nähe zu ihm herüber, warteten auf das leiseste Zeichen der Ermutigung.

Normalerweise nahm er die Angebote an. Doch nicht heute Nacht.

Heute Nacht ging es um seine Rolle als Anführer. Darum, seinen Kriegern zu zeigen, dass man für das Wohl des Clans Opfer bringen musste.

Noch einmal scannte Bastian den Club. Die Tänzer gaben sich der Musik hin, bildeten Zweier- und Dreiergruppen, die Röcke der Frauen rutschten immer höher, und Männerhände machten so viel Boden gut, wie sie nur konnten. Er warf den Kopf in den Nacken, kippte den Rest seines Whiskeys hinunter und suchte in der Menge nach der Bedienung. Ein Rotschopf, ganz hübsch, aber zu sehr Goth für seinen Geschmack. Er mochte seine Frauen ungeschminkt, ohne diese Make-up-Schichten, die sie so gerne auflegten, wenn sie ausgingen.

Er sandte trotzdem einen mentalen Befehl aus.

Ihre schwarz umrandeten Augen blinzelten einmal, bevor sie auf den hohen Absätzen kehrtmachte und in Richtung Bar ging. Er bahnte ihr einen Weg, bediente sich des kollektiven Bewusstseins, um die Menge dazu zu bringen, ihr Platz zu machen. Die Menge teilte sich wie das Rote Meer, und vor ihr öffnete sich eine breite Schneise, während sie auf die Bar aus Edelstahl und die hochbeinigen Hocker zusteuerte. Nach weniger als einer Minute kam sie wieder zurück, die Finger um den Hals einer Flasche geschlungen, die wiegenden Hüften kaum bedeckt von ihrem schmalen, tief sitzenden Minirock.

Kristall klirrte, als sie zwei VIP-Gläser vor ihnen abstellte. »Soll ich einschenken?«

Ihre Stimme war kaum mehr als ein sinnliches Schnurren, der geflüsterte Hauch einer Einladung, die ein menschlicher Mann über dem Wummern der Bässe, die den Club erbeben ließen, niemals wahrgenommen hätte. Aber Bastian war nur zur Hälfte menschlich. Wie bei allen Angehörigen seines Volkes waren seine Sinne geschärft, für die Jagd gemacht. Er musterte sie einen Moment lang. Sie besaß genug Energie, mehr als die meisten. Es würde nicht reichen, um seinen Hunger ganz zu stillen, doch es wäre genug, um seinem Verlangen die Spitze zu nehmen. Der aufkommende Hunger brannte tief in seiner Bauchhöhle.

»Ich habe in fünf Minuten Pause.« Sie beugte sich zu ihm herüber und entblößte ihr Dekolleté, als sie die Whiskeyflasche auf den Tisch stellte.

»Wartest du am Hinterausgang auf mich?«

In ihrem Geruch lagen ungezügelte Lust und sexuelle Unerfahrenheit. Es war ein jugendlicher Duft, auf seine eigene Art und Weise anziehend, aber die Kleine reizte ihn nicht. Er lebte schon zu lange, um noch Interesse an Anfängerinnen zu haben. »Vielleicht nächstes Mal.«

Rot geschminkte Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund. »Bist du sicher?«

»Bin ich«, sagte er und wob einen beruhigenden Zauber, um seine Zurückweisung abzumildern. »Lass die Flasche hier und geh.«

Mit einem Seufzen zog sie sich zurück und wandte ihre Aufmerksamkeit den Gästen am Nebentisch zu.

»Du kannst es nicht, stimmt’s?«

Bastians Blick kehrte zu seinem Freund zurück. »Der Meridian wird sich erst …«

»In fünf Tagen wieder neu ausrichten. Ich weiß Bescheid. Aber eine Frau mit der Art von Energie, die du brauchst, wird kein leichtes Opfer sein. Die fällt nicht einfach mit dir ins Bett … so wie die hier.« Rikar deutete mit der Flasche in Richtung der Frauen auf der Tanzfläche. »Du wirst Zeit brauchen, um sie rumzubekommen.«

Verdammte Scheiße. Als müsste man ihn daran erinnern.

Bastian packte seinen Freund Johnnie Walker am Hals und wünschte sich, es sei Rikar. Er brauchte frische Luft, musste der Hitze, dem Lärm und dem Geruch des Clubs entkommen, bevor er explodierte. »Ich gehe hoch aufs Dach.«

»Tu, was du nicht lassen kannst.«

Das machte er immer.

Die Whiskeyflasche in der Hand und ohne einen Blick zurück, ging Bastian in Richtung des rot leuchtenden Ausgangsschildes rechts neben der Bar. Sein langer Ledermantel schwang auf und verstärkte den Eindruck seiner ohnehin schon ungewöhnlichen Größe. Die menschlichen Männer erkannten den Jäger in ihm und wichen zurück. Eine breite Gasse bildete sich. Gut so. Eine Schlägerei käme ihm gerade recht, und in Anbetracht seiner Laune hätte ihm schon die kleinste Ermunterung genügt, um seine Fäuste zum Einsatz zu bringen.

Auf halber Strecke strich ihm ein leiser Schauer über den Nacken. Er blieb stehen und sah über die Schulter nach hinten. Rikar war bereits aufgestanden und kam auf ihn zu, auf dem verlassenen Tisch schwankte noch das Bier in der Flasche.

»Bastian.« Durch die mentale Bindung, die er mit allen Kriegern eingegangen war, die an seiner Seite kämpften, drang eine flüsternde Stimme an seinen Geist.

Mit Blick auf Rikar öffnete er sich der Verbindung. »Sloan, was ist los?«

»Eine ganze Menge.« Sogar durch die mentale Verbindung konnte er das schnelle Klacken der Computertastatur hören. Sloan, ihr Cyber-Cop aus dem Hauptquartier, entfernte sich nie weit vom Netz. In manchen Nächten, so vermutete Bastian, schlief er vor den aufgereihten Monitoren. »Schwing deinen Arsch aus dem Club. Die Kleine ist nicht zu erreichen und steckt in Schwierigkeiten.«

»Verdammt. Schieß los.«

»Ein Polizeiruf. Der Krankenwagen ist unterwegs … Richtung Route Eighteen.«

»Voraussichtliche Ankunftszeit?« Im Vorbeigehen stellte er den Whiskey auf einem Tisch ab.

»Dreißig Minuten.«

»Wir sind dran.«

Bei diesen Worten hatte Bastian die Hintertür und die ersten Treppenstufen bereits hinter sich gelassen. Er nahm immer drei Stufen auf einmal, eiskalte Entschlossenheit pulsierte durch seine Adern. Die Stahltür flog vor ihm aus den Angeln, als er über die Schwelle hinaus aufs Dach trat.

Kies knirschte unter seinen Metallkappen-Stiefeln. Er atmete tief ein. In dem kurzen Augenblick, bevor er sich in die Höhe schwang, roch er kühle Herbstluft und frisch gefallenes Laub. Ohne darüber nachzudenken, veränderte er die Gestalt, schwarz-blaue Schuppen überzogen seine Haut, aus Händen und Füßen wurden Klauen, und im Flug breitete er die Schwingen zu voller Spannweite aus. Magie hüllte ihn ein, und verborgen vor dem menschlichen Auge jagte er über die Hochhäuser und Vororte von Seattle, bis die Zivilisation unter ihm zu Wald wurde.

Hoch über der Route 18 schnitt er in schnellem Flug durch Wolken und kalte Bergluft. Der Asphalt schlängelte sich in zahllosen S-Kurven durch die Hügel, wand sich um uralte Weymouth-Kiefern und Rotzedern. In der Ferne leuchteten rote Lichter auf. Ein Scheinwerferpaar fraß sich durch die Dunkelheit nach vorne, nur um von hinten wieder verschluckt zu werden, als der Krankenwagen die Straße entlangraste.

Den Blick fest auf ihr Ziel gerichtet, nahm er Kontakt zu Rikar auf. »Flieg nach vorne. Bring sie dazu anzuhalten.«

Mit gleitenden Bewegungen tauchte Rikar aus der Wolkendecke auf und stieg wie ein Nebelgeist in die Dunkelheit hinab. Fast reinweiß war sein Freund, eine Seltenheit ihrer Art, ein Frostdrache, der nicht nur die grausame Kälte seiner arktischen Heimat bevorzugte, sondern auch Gewalt über das Wetter hatte. »Ich friere sie ein. Übernimmst du den Fahrer?«

»Ja. Hau ab, Eisklotz.«

»Halt’s Maul, Feuerfresse.«

Bastian grinste innerlich, schwenkte nach links und glitt über die Baumwipfel nach unten. Der lange Abwärtsflug brachte ihn genau in dem Moment auf Höhe der Hintertür des Krankenwagens, als Rikar nach unten schoss. Er befand sich jetzt direkt über dem Fahrzeug, und die Warnlichter trieben rote Blitze über die weißen Schuppen seines obersten Befehlshabers. Rikar holte tief Luft und blies sie gleichmäßig aus. Wie zwei Tentakel wand sich der Frost aus seinen Nasenlöchern, breitete sich unter ihm aus und traf auf den Asphalt. Eine dicke Eisschicht bildete sich vor dem Wagen. Die Menschen im Inneren fluchten, als plötzlich die Luft gefror und ihnen die beschlagene Scheibe die Sicht raubte. Die Ambulanz schlingerte, und im verzweifelten Versuch, auf der Straße zu bleiben, riss der Fahrer das Lenkrad herum. Mit fünfzig Meilen die Stunde drehte sich der Wagen einmal um die eigene Achse.

Und noch einmal eine volle Drehung. Aus dem Fahrerhaus drangen Schreie.

Bastian landete auf dem unbefestigten Seitenstreifen und rutschte mit ausgefahrenen Klauen seitlich bis auf die Mitte der Straße. Kies flog durch die Luft. Seine rasiermesserscharfen Krallen gruben sich in den Asphalt. Die Reibung brannte auf den Ballen seiner Vorder- und Hinterläufe, als er den gehörnten Kopf hob und darauf wartete, dass ihn der außer Kontrolle geratene Krankenwagen erreichte. Die Motorhaube fuhr herum, Scheinwerfer tauchten die Bäume in gelblich weißes Licht. Er sah das blanke Entsetzen auf den Gesichtern der Rettungssanitäter – ob die schnelle Drehung der Grund dafür war oder er selbst, wusste er nicht. Einen Augenblick bevor der Kühlergrill ihn traf, packte er den Wagen und hielt ihn mitten in der Bewegung an.

Metall kreischte, die schwarzen Hinterräder hoben sich kurz in die Luft und versetzten den Insassen beim Aufprall einen letzten Schlag.

»Angeber«, sagte Rikar abschätzig, als er auf der Einstiegsseite landete.

Er bleckte die Zähne. »Neidisch?«

»Bitte.« Mit einem ironischen Augenrollen nahm sein Freund wieder menschliche Gestalt an.

Bastian zog die Flügel ein und – er konnte nicht widerstehen – fauchte die Idioten wütend an, die mit offenen Mündern auf seinen Drachenkörper starrten. Wahrscheinlich machten die beiden sich vor Angst in die Hose, aber trotzdem blieben sie wie angewurzelt sitzen. Er schnaubte. Das war also die viel gerühmte menschliche Intelligenz.

Schließlich setzte der Selbsterhaltungstrieb ein, und die beiden versuchten schreiend, ihre Sicherheitsgurte zu lösen. Bastian folgte Rikars Beispiel und verwandelte sich. Während er um die verbogene Stoßstange herumging, rief er seine Kleider herbei. Als sich seine Stiefel materialisierten, erreichte er die Fahrertür. Weit aufgerissene braune Augen starrten ihn einen Moment lang durch die Fensterscheibe an, dann riss Bastian die Tür auf. Er packte den Sanitäter am Hemdkragen, zerrte ihn aus dem Wagen und hielt ihn vor sich in die Luft, die Stiefel baumelten gut einen halben Meter über dem Boden. Außer sich vor Angst brabbelte der Mann mit bebendem Kinn und schlotternden Knien vor sich hin, seine Arme hingen schlaff herunter.

Bastian hatte Mitleid und beruhigte den Mann, indem er tief in seinen Geist eindrang und alle Erinnerungen an die letzten Minuten auslöschte. Während der Sanitäter sich entspannte, musterte Bastian seine Uniform, merkte sich die Details, die er kopieren musste, wenn sie das Haus der Frau erreichten. In Lederkluft aufzutauchen war keine gute Idee. Er brauchte sie kooperativ und bewegungsfähig, nicht zu Tode erschrocken.

Als er ihn genug in Augenschein genommen hatte, ließ Bastian den Mann zu Boden und befahl ihm loszulaufen. Ungefähr eine Meile weiter gab es eine Tankstelle. Bis dahin würden die Sanitäter es schaffen, wenn auch ohne Erinnerung daran, wie sie ihren Wagen verloren hatten. Mit einem letzten Blick auf die beiden Männer, die die Straße entlangtrotteten, wandte er sich dem Krankenwagen zu. Rikar saß bereits auf dem Beifahrersitz und drehte an den Radioknöpfen.

Statisches Rauschen erfüllte den Innenraum, und sein Freund warf ihm einen besorgten Blick zu. Das Knacken verriet ihm alles, was er wissen musste. Das Radio reagierte auf die elektrische Ladung in der Luft. Es näherten sich noch mehr Drachen – und keiner von ihnen kam in friedlicher Absicht.

Bastian sprang in die Fahrerkabine, schlug die Tür zu und wünschte sich, er bräuchte den Krankenwagen nicht. Fliegen wäre besser – und schneller – als fahren. Aber eine schwangere Frau in den Klauen zu tragen war keine gute Idee. Er könnte zu fest zudrücken und sie oder das Kind verletzen.

Fluchend legte er den ersten Gang ein und trat aufs Gaspedal. Der Motor heulte auf, die Hinterräder drehten durch, schmolzen sich bis auf den Asphalt durch das Eis, und sie schossen den verlassenen Highway hinunter.

Er musste die Frau zuerst erreichen. Bevor der Feind sie in Stücke riss und das kostbare Leben an sich nahm, das sie unter dem Herzen trug.

2

Myst Munroe war so müde, dass sie es nicht einmal bemerkt hätte, wenn ihr linkes Bein abgefallen wäre. Aber im Ernst, diese Vierzehn-Stunden-Tage wurden langsam absurd. Auf übelste Weise klischeehaft. Lange Arbeitszeiten waren Teil des Jobs, das hatte sie mit der Entscheidung für ihren Beruf unterschrieben. Aber die hübschen kleinen Buchstaben unter ihrem Namen auf der Visitenkarte bildeten die Worte »Praktizierende Krankenschwester«, nicht »Sklavin«.

Obwohl – jetzt, wo sie darüber nachdachte, sollte sie wohl noch einmal nachsehen. Der letzte Stapel der schwarz-weißen Karten war gerade gestern erst eingetroffen.

In einer kleinen Pappschachtel: kein Prägedruck, kein besonderer Schriftsatz, nichts Aufregendes.

Genauso wie ihr Leben.

Nicht, dass sie sich beschwerte. Jeden Tag durfte sie anderen Menschen helfen, und nichts hätte sie mehr erfüllt. Aber an manchen Morgen sehnte sie sich nach etwas, das über das Klingeln des Weckers um fünf Uhr früh hinausging. Nach Kuscheln und Küssen zum Beispiel, und dem warmen Männerkörper, den man für beides brauchte. Myst öffnete die Heckklappe ihres Kofferraums und fragte sich, was sie wohl getrunken hatte, als sie sich für zwei Tage Hausbesuche in Folge eingetragen hatte. Es musste etwas Starkes gewesen sein, mit jeder Menge Alkohol … Cocktails vielleicht, mit bunten kleinen Papierschirmen. Und davon viele in sehr kurzer Zeit. Eine dieser fruchtigen Verführungen würde ihr jetzt auch gut schmecken. Stattdessen begnügte sie sich mit einem Schluck Kaffee aus ihrem überdimensionierten Thermobecher. Der nussige Geschmack, aufgepeppt mit einem Schuss Sahne, wärmte ihr die Kehle, während sie in ihren Kofferraum starrte. Das Innenlicht legte einen gelblichen Schimmer auf die Kisten mit medizinischem Zubehör. Sie runzelte die Stirn und versuchte, ihr Gehirn in Gang zu bringen.

Was brauchte sie gleich noch mal?

Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Ach ja, Ersatzhandschuhe.«

Während eines weiteren Schlucks Milchkaffee ging sie die restliche Liste im Kopf durch. Ihre Arzttasche musste dringend wieder aufgefüllt werden. Zwei Tage Hausbesuche hatten ihre wohlgeordnete Ausstattung stark in Anspruch genommen. Myst stellte den Becher auf den einzigen Fleck des Kofferraumbodens, der nicht von dem durcheinandergewürfelten Sammelsurium bedeckt war, das ihre Praxis ersetzte, wenn sie nicht im Seattle Medical Center war. Sie öffnete ein paar Pappdeckel und packte ein, was sie brauchte, verstaute das Zubehör in den zugehörigen kleinen Innentaschen und den raffinierten Steckvorrichtungen ihrer Tasche und hielt nur ab und zu inne, um ihrer Sucht zu frönen … dem Koffein.

Es gab Menschen, denen es nicht gefallen hätte, aus einem Kofferraum zu leben. Myst machte das nichts aus. Ganz gleich, wie anstrengend es war, sie genoss ihre Hausbesuche, fuhr gerne über die ländlichen Straßen.

Der Bundesstaat Washington war mehr als malerisch. Er war wunderschön mit seinen Bergen, Douglasienwäldern und dem Küstenpanorama. Die Küste liebte sie am meisten: die rauen Klippen und Sandstrände, der frische, salzige Duft. Irgendetwas daran sprach sie an, weckte eine tiefe Sehnsucht in ihr. Vielleicht war es die Wildheit, die Unberechenbarkeit und ungezügelte Kraft der Naturgewalt … und die Möglichkeiten, die sie barg.

Aber vielleicht war es auch nichts davon. Vielleicht holte sie nur die Ruhelosigkeit ein, die ihre Mutter ihr immer vorgeworfen hatte.

Myst hob die schwere Tasche hoch und ließ die Heckklappe zufallen. Sie wollte nicht an ihre Mutter denken. Der Schmerz über ihren Verlust saß noch zu tief. Sie vermisste die langen, bunten Röcke, die Perlenvorhänge in den Türrahmen und die Tarot-Sitzungen. Den Duft nach Jasmin-Räucherstäbchen, die selbst gebackenen Kekse und …

Himmel noch mal, sie musste los.

Die Nacht war hereingebrochen und hatte eine Dunkelheit mit sich gebracht, die man in der Stadt vergeblich suchte. Die Himmelslandschaft lag offen da, nichts störte die zarten Wolken, die unter dem funkelnden Sternenzelt entlangsegelten. Die Lichter von »Sal’s Highway Restaurant«, selbst die Leuchtstoffröhren, die wie zum Protest hinter dem S flackerten, konnten der Dunkelheit kaum etwas anhaben.

Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Sie warf die Tasche auf den Beifahrersitz. Gerade als sie die Tür ins Schloss zog, klingelte ihr Handy; Mariah Careys »Touch My Body« erklang im Takt ihres Herzschlags. Myst seufzte. Schön wär’s.

Sie warf einen Blick auf die Nummer des Anrufers, klappte das Telefon auf und sagte: »Ich glaube, ich bin kurz vorm Hirnschlag.«

»So schlimm?« Das Lachen ihrer besten Freundin klang durch die Leitung. »Auf dem Weg nach Hause?«

»Noch eine Patientin.«

»Mein Gott, Myst, es ist fast neun Uhr. Wie war das mit dem Workaholic?«

»Ja, ja, schon gut. Und von wo rufst du an?«

»Okay, erwischt«, entgegnete Tania, ihre Stimme verriet, dass sie die Augen verdrehte. »Wichtiger Vertragsabschluss, du weißt schon. Muss noch die genauen Daten aufnehmen.«

»Was macht dein Boss gleich noch mal?« Sie wusste, dass Tanias Job genauso hart war wie der ihre. Als Landschaftsarchitektin war sie dabei, sich vom untersten Ende des Totempfahls hochzuarbeiten – immer in der Hoffnung, die Anzug- und Krawattenträger zu beeindrucken und endlich die lang ersehnte Beförderung an Land zu ziehen.

»Das hier ist mein Baby. Ich bin kurz vor dem Durchbruch.«

»Na dann viel Glück. Woolsey mischt sich doch sowieso wieder ein.«

»Den hab ich im Griff.« Tania hielt inne, die Besorgnis in ihrer Stimme drang von Seattle bis zu ihr durch. »Du versuchst es noch mal, oder?«

Myst biss sich auf die Unterlippe und fragte sich, wie viel sie ihrer Freundin erzählen sollte. Sie war dankbar für ihre Anteilnahme – das war sie wirklich –, aber Tania machte sich ständig Sorgen. Sie würde wieder bis zum Morgen wach liegen und sich mit dem Gedanken quälen, dass diese Nachtaktion Myst vielleicht in Schwierigkeiten bringen könnte.

Die Stille in der Leitung wurde unerträglich.

Tania seufzte. Das Geräusch wirkte wie die Brandung des Ozeans, es unterspülte Mysts Entschluss zu schweigen. »Du solltest nicht allein dort draußen sein.«

»Ich kann es nicht einfach dabei belassen, Tan. Sie hat drei Termine verpasst. Irgendetwas stimmt da nicht.«

»Was, wenn er zurückkommt?«

»Erst recht ein Grund, nach ihr zu sehen … Caroline kann sich gegen diesen Typen nicht durchsetzen.« Nur daran zu denken machte sie schon wütend. Dieser brutale Scheißkerl. Okay, er hatte ihre Patientin nie wirklich geschlagen, aber sie hatte gehört, wie er mit ihr sprach – sie erniedrigte –, und das war nicht schön gewesen.

»Du hast die örtliche Polizeiwache in der Schnellwahl gespeichert, ja?«

»Die Rettungssanitäter auch.«

»Ach verdammt, ich hasse es, wenn du das tust«, sagte ihre Freundin, Angst ließ ihre Stimme hohl klingen.

Myst antwortete nicht. Was sollte sie auch sagen? Dass sie umdrehen und nach Hause kommen würde? Dass Tanias Sorge um sie wichtiger war als eine Patientin, die Hilfe brauchte?

»O Gott, es tut mir leid. Du weißt, dass ich mir ständig Sorgen mache und …«

»Dass du eine echte Nervensäge bist«, erwiderte Myst mit einem Lachen, um der Stimmung den Ernst zu nehmen.

»Das gilt für dich genauso, Süße.« Tania schnaubte, dann musste sie lachen. »Okay, ruf mich an, wenn du es hinter dir hast. Und pass auf dich auf.«

»Mach ich … versprochen.« Myst legte auf und startete den Motor.

Als sie von Sals Parkplatz fuhr und ihre Scheinwerfer den Asphalt erhellten, blieben ihre Gedanken bei Caroline Van Owen hängen. Achtzehn Jahre alt und schwanger. Das Mädchen hatte keine Chance. Nicht mit ihrem schlechten Schulabschluss und einem Partner, der sie nicht unterstützte. Myst hatte schon so viele gesehen wie Caroline. Und es brach ihr jedes Mal das Herz.

Ihre Kollegen würden sagen, es gehe sie nichts an, dass sie ihre Arbeit machen und sich aus den persönlichen Sachen heraushalten sollte. Aber ganz gleich, wie sehr sie es versuchte, sie nahm es einfach persönlich, dass Caroline so gekränkt wurde. Vielleicht war es dumm, aber ihre Klienten waren mehr als nur Patienten. Es waren Menschen, die ihr am Herzen lagen. Sie hatte in ihren Küchen gesessen, Kaffee und Croissants geteilt, zugehört, gesprochen und Rat gegeben – zu weit mehr als medizinischen Sorgen.

Das Krankenhaus sah sie als Dienstleisterin. Und das war sie auch, größtenteils. Es hatte angefangen, um den Zulauf ambulanter Patienten und die Administration der Station in den Griff zu bekommen. Nun war so viel mehr daraus geworden.

Weit mehr, als sie erwartet hatte.

Sie bog in die Auffahrt zu den Van Owens ab. Es war eher eine unbefestigte Straße als eine Auffahrt, der lange Weg wand sich zwischen Rotzedern und Zirbelkiefern hindurch. Grasbüschel wuchsen in der Mitte zwischen den ausgefahrenen Spurrillen. Als ihre Scheinwerfer um die letzte Kurve schwenkten, beugte sie sich über das Lenkrad und sah angestrengt nach vorne. Erleichtert seufzte sie auf, und doch lag ihr die Besorgnis weiterhin wie ein Stein im Magen.

Es war jemand zu Hause. In der Küche brannte Licht.

Jetzt war nur noch die Frage: War es der Scheißkerl? Oder Caroline?

Myst hoffte auf Letzteres. Sie musste selbst nach dem Mädchen sehen. Um sicher zu sein, dass alles in Ordnung war, und sie wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Im achten Monat und an der Grenze zum Schwangerschaftsdiabetes konnte Caroline es sich nicht erlauben, leichtsinnig zu werden. Die letzten Blutuntersuchungen hatte sie verpasst, und die vorliegenden Werte sahen nicht gerade gut aus.

Eine Blutplättchen-Anomalie wie die ihre hatte Myst noch nie gesehen. Das Labor war dran, doch bisher fehlte noch jeder Anhaltspunkt.

Sie parkte neben einem alten Traktor mit platten Reifen, warf den Schlüsselbund in den Becherhalter, griff nach ihrer Tasche und ging Richtung Veranda. Das alte Cape-Cod- Haus wirkte fehl am Platz, hier mitten im Wald an der Westküste: Ausgeblichene gelbe Farbe blätterte von den Wänden, die Dachrinne war abgesackt, im schwachen Licht der zu beiden Seiten der schäbigen Zedernholztür angebrachten Lampen stand eine armselige Polsterbank.

Die Tasche schlug gegen ihren Oberschenkel, als sie die ausgetretenen Verandastufen hinaufstieg und anklopfte. Mit gespitzten Ohren wartete sie eine Minute und lauschte angestrengt.

Nichts. Keine knarrenden Dielen. Kein Anzeichen einer Bewegung im Haus.

Myst klopfte lauter und rieb sich die schmerzenden Knöchel, während sie durch eines der schmalen Fenster neben der Tür spähte. Es gab keine Vorhänge, sie konnte direkt durch den Flur in die Küche sehen. Hinter dem Inselherd breitete sich auf dem hellen Fliesenboden eine dunkle Pfütze aus.

Ihr sprang das Herz bis in die Kehle.

Aus der Entfernung konnte sie sich nicht sicher sein, aber …

»Verdammt.« Myst ließ die Tasche fallen und riss ihr Handy aus der Jacke. Sie wählte den Notruf und hämmerte mit der Faust gegen die Tür. »Caroline!«

Keine Antwort.

Sie drehte am Türknauf. Abgeschlossen.

»Scheiße.«

Sie sah sich auf der Veranda nach etwas Schwerem um. Sie musste dort hinein. Vielleicht war der dunkle Fleck Spaghettisoße. Vielleicht spielte ihr ihr allzu mitfühlender Verstand einen Streich. Aber das glaubte sie nicht. Sie hatte schon den ganzen Tag so ein seltsames Gefühl gehabt … eine dieser Vorahnungen, die einen verfolgten und nicht wieder losließen.

Ihr Blick blieb an einem Spaten hängen, der an der Wand lehnte. Sie rannte an der schäbigen Sitzbank vorbei und packte den Holzschaft. An ihrem Ohr erklang noch immer das Freizeichen, während sie mit einem Arm ausholte und das Fenster mit der Metallschaufel bearbeitete. Die Glasscheibe zersprang in tausend Stücke, Splitter regneten in den Flur.

Ohne eine Sekunde zu zögern, griff sie durch die Öffnung und zog den Riegel zurück. Im Nu war sie samt Tasche durch die Tür und rannte durch den Flur in die Küche.

»Notrufzentrale. Wie können wir helfen?«

»O Gott.«

»Hallo?«

Myst stand reglos im Flur, das Handy in der Hand. Pures Entsetzen lähmte ihren Körper. Caroline lag ausgestreckt in einer Lache ihres eigenen Blutes zwischen dem Herd und dem Spülbecken. Der Schock rief Erinnerungen in ihr wach. An ihre Mutter, die auf den Fliesen lag.

»Hallo? Hallo!« Die Stimme drang zu ihr durch. Der Tonfall war streng, forderte ihre Aufmerksamkeit. »Sprechen Sie mit mir. Was ist passiert?«

Schlagartig besann sie sich ihres medizinischen Notfalltrainings. »Myst Munroe, praktizierende Krankenschwester Seattle. Schicken Sie einen Krankenwagen. Ich habe hier eine schwangere Frau, ohnmächtig. Achter Monat. Sie … O Gott, es ist alles voller Blut.«

Sie zog sich ihre Handschuhe über und watete rutschend durch das Blut. Da sie beide Hände brauchte, stellte sie das Telefon auf Lautsprecher und warf es auf eine der trockenen Fliesen.

»Wo sind Sie?«

Sie rasselte die Adresse herunter, während sie die Vitalzeichen des Mädchens überprüfte. »Kommen Sie. Schnell. Sie ist nicht ansprechbar.«

»Myst, bleiben Sie in der Leitung. Ich leite den Notruf weiter.«

Es würde nicht reichen. Die Sanitäter würden nicht schnell genug hier sein. Caroline hatte innere Blutungen, und die konnte sie nicht stoppen. Nicht ohne einen Operationssaal und einen verdammt guten Chirurgen.

Myst zog ihre Tasche heran. Sie musste eine Möglichkeit finden, um …

Caroline ergriff ihr Handgelenk. Ihre dunklen Wimpern flatterten über den blassen Wangen.

»Caroline, hey. Bleib bei mir.« Mit zwei Fingern an der Halsschlagader des Mädchens überprüfte Myst ihre Pupillen und zählte die Sekunden. »Bleib bei mir. Komm schon, Süße. Wir kriegen gleich Hilfe.«

Carolines Lippen bewegten sich. Sie brachte keinen Laut hervor. Sie versuchte es erneut. Ein Flüstern: »Rette ihn.«

»Wen, Kleines?«

»Mein Baby«, hauchte sie kaum hörbar. »Rette … mein Baby.«

»Das werde ich. Versprochen. Der Rettungswagen ist unterwegs. Wir bringen dich ins Krankenhaus.«

Eine Lüge. Eiskalt und entsetzlich.

Myst fühlte sie wie einen Messerstich im Herzen. Keiner von ihnen würde diese Situation unversehrt überstehen. Sie schluckte die Tränen herunter, die ihr die Kehle zuschnürten. Gott, wenn sie nur darauf bestanden hätte, dass Caroline sich untersuchen ließ. Wenn sie nur früher gekommen wäre. Sie hätte das Abendessen auslassen, hätte schneller fahren können, hätte …

»Myst?« Die Frau aus der Notrufzentrale meldete sich erneut. »Der Krankenwagen ist unterwegs. Ankunft voraussichtlich in dreißig Minuten.«

Carolines Herzschlag flatterte, während ihr rasselnder Atem schwächer wurde.

»Das ist zu lange!«

»Halten Sie durch. Es kommt Hilfe.«

Die Frau redete weiter, immer wieder unterbrach Rauschen ihre Worte. Myst hörte nicht mehr zu. Carolines Herz war stehen geblieben. Die Realität forderte Myst mit ganzer Härte. Sie begann mit der Reanimation, blies ihr zwischen der Herzmassage immer wieder Luft in die Lungen. Zwecklos. Das Mädchen, dem sie so sehr hatte helfen wollen, war tot.

Rette mein Baby.

Die geflüsterten Worte hallten ihr im Kopf wider. Die verzweifelte Bitte einer sterbenden Mutter.

Myst schmeckte Galle, und ihr Herz raste wie ein Hochgeschwindigkeitszug, während sie ihre Tasche durchwühlte. Sie zog ein mobiles Herztonmessgerät heraus. Es klickte leise, als sie es einschaltete. Hektisch schob sie Carolines Baumwollhemd nach oben, drückte Ultraschallgel auf die Haut, setzte den Stab auf den gewölbten Bauch und bewegte ihn suchend erst nach rechts, dann nach links.

Ein leises Klopfen drang aus dem Lautsprecher.

Mit zitternden Händen warf sie das Gerät beiseite und griff wieder in ihre Tasche. Sie brauchte etwas Scharfes. Irgendetwa,s mit dem sie …

Verdammter Mist! Sie hatte kein Skalpell dabei. Hatte nie eines gebraucht.

Sie sprang zur Kücheninsel hinüber, riss die nächstgelegene Schublade auf. Nur Buttermesser. Die nächste. Fleischermesser mit schwarzen Griffen starrten ihr entgegen, einige mit schmaler, einige mit breiter Klinge. Stahl traf klirrend auf Stahl, als Myst ein Filetiermesser packte und sich wieder Caroline zuwandte.

Sie hatte keine Wahl. Sie konnte es. Geburtshilfe war ihr Fachgebiet. Sie hatte bei unzähligen Kaiserschnitten assistiert. Es spielte keine Rolle, dass sie ihren Job verlieren und ins Gefängnis wandern könnte. Das Baby war wichtiger.

»Gott im Himmel, vergib mir«, flüsterte sie. Als sie die Klinge gegen Carolines Haut drückte und den Schnitt setzte, verlor sie ein Stück ihrer Seele.

Der Geruch frischen Blutes trieb Bastian die Verandastufen hinauf und durch die offene Tür. Glassplitter knirschten unter den Sohlen seiner Stiefel, als er über die Schwelle in das kleine Haus trat.

Er war zu spät.

Die Razorback, eine Gruppe abtrünniger Drachen, die die Menschheit und ihre eigene Abhängigkeit von deren Frauen hasste, hatten Mutter und Kind vor ihm erreicht. Es spielte keine Rolle, dass einer von ihnen das Kind gezeugt hatte. Keiner dieser Bastarde verdiente es, Vater zu werden. Die Frau schutzlos und allein zurückzulassen – ohne eine Vorstellung darüber, was auf sie zukam – und sich dann das Kind einen Monat vor der Zeit zu holen? Gott, das war mehr als unfassbar.

Das Ausmaß seines Versagens traf Bastian wie ein Schlag.

Er hätte früher kommen sollen. Vor zwei Tagen, als die Ergebnisse ihres Bluttests in Sloans System aufgetaucht waren. Die elektronischen Tentakel tief in menschlichen Datenbanken verankert, fand sein Kamerad alles, von Krankenblättern bis zu offiziellen Gerichtsakten.

Verdammter Mist. Es war seine Schuld.

Nicht ihr Tod – der war besiegelt, seit sie ein Kind seines Blutes empfangen hatte –, aber die Art und Weise, wie es geschehen war. Die Grausamkeit. Das sinnlose Leiden. Hätte er seine Pflicht getan, wäre es dem Mädchen bis zum Ende gut gegangen.

Mit bitterer Entschlossenheit folgte Bastian dem Geruch des Todes den engen Flur entlang. Er atmete tief ein und lauschte auf jedes Geräusch, versuchte die Spur seiner Feinde aufzunehmen. Er würde der Frau die letzte Ehre erweisen und dann ihre Mörder zur Strecke bringen, das Kind an sich nehmen, bevor ihr Hass es zerfraß. Das Letzte, was er und seine Krieger brauchten, war ein weiterer Kämpfer in den Reihen der Razorback.

Noch im Durchgang zur Küche entdeckte er die Blutlache auf dem Fliesenboden und …

»Es tut mir so leid … so leid«, sagte eine Frau mit gequälter Stimme. »Sieh doch, wie wunderschön er ist, Caro. Alle zehn Finger und Zehen. So wunderschön.«

Hinter der Kücheninsel antwortete ihr das leise Weinen eines Babys.

Bastian holte scharf Luft und trat um die Ecke der gold-gesprenkelten Arbeitsplatte. Dann blieb er reglos stehen, den Blick gebannt auf die blonde Frau gerichtet. In einem blassgrünen, blutbefleckten Krankenhauskittel saß sie zusammengesunken auf dem Boden, neben ihr eine Frauenleiche. Aber im Arm hielt sie ein kleines, in einen Mantel gewickeltes Bündel. Medizinisches Gerät lag um sie herum verstreut, die schwarze Tasche an ihrer Seite quoll über von Verbandsmull, Gummihandschuhen und Plastikverpackungen. Aber es war das Fleischermesser, das sein tiefes Mitgefühl hervorrief.

Sie hatte das Kind gerettet, weil sie wusste, dass für die Mutter jede Hilfe zu spät kam. Er verspürte aufrichtige Bewunderung für sie. Eine Frau mit dem Herz eines Kriegers.

Bastian schluckte den Kloß in seiner Kehle herunter und tauschte mit einem Gedanken seine Lederkluft gegen Sanitätskleidung ein. Als Krankenschwester würde sie auf einen Rettungsassistenten, auf jemanden, der sich auskannte und wusste, was zu tun war, besser reagieren. Er wollte nicht, dass sie in Panik geriet, aber viel Zeit hatte er nicht. Die Razorback würden sie bald aufspüren, und bevor das geschah, musste er sie sicher im Krankenwagen von hier fortschaffen.

Er sah einen Moment lang zu, wie sie sich hin und her wiegte, den Kopf über das Neugeborene gebeugt, und fragte sich, wie er sie am besten ansprechen sollte. Er ging in die Hocke, um seine Größe zu verbergen, und entschied sich für ein einfaches: »Hey.«

Beim Klang seiner Stimme fuhr sie zu Tode erschrocken hoch, während sie das Baby an die Brust drückte und sich zu ihm umdrehte. Große Augen trafen auf die seinen, das tiefe Blau schon fast von der Farbe dunkler Veilchen.

Verletzt. Sie wirkte verletzt, der Schock hatte ihr zugesetzt – aber es war mehr als das.

Sogar so erschöpft und von den Geschehnissen mitgenommen, besaß sie eine so gewaltige Energie, wie er sie noch nie gespürt hatte. Als reines Weiß pulsierte sie in ihrer Aura, ließ sie von innen heraus strahlen und hätte ihn fast aus dem Gleichgewicht gebracht.

Himmel, sie war quasi die Kurzwahltaste zum Meridian.

Nicht wie das sonstige schwache Leiten, das zaghafte Anzapfen des elektrostatischen Stroms, der das Drachenblut nährte. Ihre energetische Kraft war so stark, dass die Drachenblütigen darum kämpfen würden, sie zu besitzen. Die Wildheit ihrer Ausstrahlung erregte ihn, drängte ihn, sich ihr zu nähern, sie zu berühren, zu spüren, wie sich all diese Energie auf seiner Haut anfühlen würde.

Eine Sekunde lang vergaß Bastian, wo er war, brennender Hunger stieg in ihm auf.

Sie musste die plötzliche Gefahr gespürt haben, denn sie keuchte auf und rutschte zur Seite. Als die Entfernung zwischen ihnen größer wurde, schaffte er es, seine Reaktion auf sie niederzukämpfen. Er bemühte sich um eine ausdruckslose Miene.

»Ganz ruhig.« Er streckte die Arme aus, die Handflächen nach oben, um sie zu besänftigen. »Der Krankenwagen, erinnerst du dich? Ich bin hier, um dir zu helfen.«

Eine einzelne Träne löste sich von ihren Wimpern und rann über den verschmierten Blutfleck auf ihrer Wange. »Ich k-konnte die B-Blutung nicht stoppen und … ich habe einfach …«

»Ich weiß.« Es stimmte. Er verstand genau, was sie erwartet hatte, als sie dieses Haus betrat.

»Er wäre auch g-gestorben. Ich konnte nicht … ich musste …« Ihre Unterlippe bebte, als sie fest die Augen schloss. Nun liefen ihr mehr Tränen über die Wangen. »O Gott.«

Eine Woge aus Beschützerinstinkt überrollte ihn. Gefolgt von wildem Stolz: auf ihren Mut und ihre Intelligenz, ihre Entschlossenheit im Angesicht des Todes.

Sein Blick fiel auf das Schild an ihrer Tasche. Er prägte sich Namen und Adresse ein und sagte leise: »Myst, es ist alles in Ordnung. Mach die Augen auf und sieh mich an.«

Sie stieß einen langen, zitternden Atemzug aus, gehorchte ihm aber.

In dem Moment, als ihre Blicke sich trafen, streckte er die Hand aus. »Komm, Bellmia. Ich bringe euch hier raus.«

»Aber Caroline, sie …«

»Du kannst jetzt nichts mehr für sie tun. Der Pathologe wird sich um sie kümmern«, sagte er. »Das Baby braucht dich jetzt. Denk nach, Myst. Was musst du für ihn tun?«

Sie blinzelte, und Bastian erkannte den Moment, in dem sie das Entsetzen hinter sich ließ und wieder in die Gegenwart zurückkehrte. Fast hätte er gelächelt. So ist es gut, Mädchen, wollte er sagen. Das Bedürfnis, sie zu loben, überraschte ihn ein wenig, genauso wie sein Verlangen danach, sanft mit ihr umzugehen. Er sollte ihr Gedächtnis löschen und sie in den Krankenwagen verfrachten. Aber er konnte es nicht. Er wollte nicht, dass sie ihn vergaß.

Und Bastian hasste sich selbst dafür – und für das, was er tun würde. In dem Augenblick, als sie ihn mit ihren veilchenblauen Augen angesehen hatte, war ihm klar geworden, dass er sie nicht mehr gehen lassen würde. Fünf Tage. Ihm blieben noch fünf Tage, bis die Meridian-Achse sich erneut ausrichtete. Das geschah nur zweimal im Jahr und war die einzige Zeit, zu der seine Art Nachkommen zeugen konnte. Bis dahin musste er es schaffen. Er hatte es sich bei seiner Ehre geschworen, die Pflicht band ihn daran, seine Art zu erhalten. Und ob es Myst gefiel oder nicht, er würde sie mitnehmen.

Rikar trat über die Schwelle. »Heilige Scheiße!«

»Zurück«, befahl er. Er wusste, dass die Reaktion seines Freundes eher auf Mysts Energie beruhte als auf dem Blutbad.

»Verstanden.« Rikar wandte den Blick ab. Die Bewegung war reiner Instinkt, der Anführer beanspruchte die Beute für sich, der Rangniedere trat zurück. »Wir müssen los. Wir kriegen Gesellschaft.«

»Wie schnell?«

Sein rangnächster Befehlshaber warf ihm einen bedeutungsschweren Blick zu.

Ihnen blieb keine Zeit. Bastian nahm Myst auf seinen Arm. Rücksicht war keine Option mehr. Nicht, wenn er sie in einem Stück hier herausbekommen wollte.

3

Der Klang seiner Stimme rief Myst heraus aus dem Nebel blinder Panik, zurück in Carolines Küche. Beim Anblick ihrer toten Patientin wäre sie beinahe wieder weggetreten. Mit normalen Blutmengen konnte sie umgehen. Hatte sogar einmal kurz in der Pathologie gearbeitet. Aber das hier?

Myst zitterte. Wunden waren nicht ihr Ding. Aber Babys …

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