Fischers Fritz und Salmonellen - Sylke Tannhäuser - E-Book

Fischers Fritz und Salmonellen E-Book

Sylke Tannhäuser

0,0

Beschreibung

Kriminelle Kurzgeschichten und Minikrimis, mal tragisch, mal komisch, aber immer tödlich Wer früher stirbt, ist länger tot. Aber ist das Ende dadurch besser? Kommt es vielleicht auf die Ursache an? Lassen Sie sich überraschen: von Opfern wie Tätern und von den Methoden, derer sich beide bedienen. Denn manchmal ist alles anders, als es scheint.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 132

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Wer früher stirbt, ist länger tot. Aber ist das Ende dadurch besser? Kommt es vielleicht auf die Ursache an? Lassen Sie sich überraschen: von Opfern wie Tätern und von den Methoden, derer sich beide bedienen. Denn manchmal ist alles anders, als es scheint.

Die Autorin

Sylke Tannhäuserschreibt Kriminalromane sowie Kurzgeschichten und Regionalliteratur und arbeitet als Schreibcoachwww.sylke-tannhäuser.com

Inhaltsverzeichnis

Fischers Fritz und Salmonellen

Gartenfreunde unter sich

Brasilianische Liebe

Bei Hempels unterm Sofa

Hunger

Der Problemlöser

Glück im Unglück

Meine schönste Schneeskulptur

Bambi muss sterben

Kochen mit Jochen

Das Spiel

Atemlos durch den Schacht

Damenwahl

Canelottis grüner Daumen

Achtung Kurschatten

Oh du fröhliche

In der Kürze liegt die Würze

Fischers Fritz und Salmonellen

»Passen Sie gefälligst besser auf, Sie Dilettant!« Marlene Mansfelder starrte Fritz Fischer an. Der Mann war aber auch zu gar nichts zu gebrauchen. Statt die neuen Grundstücksverträge zu kopieren, hatte er es geschafft, seinen Kaffee darüber auszukippen. Und jetzt stand er da und kriegte die Zähne nicht auseinander, dieser doofe Nichtsnutz. Das musste psychosomatisch sein bei dem. Es verging kein Tag, an dem sie ihn nicht bei sich antanzen ließ. Wegen seiner Fehler, sonst wuchsen die sich am Ende noch aus. Sie hatte nun wirklich genug Geduld mit diesem farblosen Wicht gehabt. Es gab Grenzen. Hier war sie die Chefin, und das nicht umsonst. Viele Jahre hatte sie darauf hingearbeitet, hatte rund um die Uhr geschuftet und ihre Freizeit für Fortbildungen genutzt. Dadurch war das Immobilien- und Anwaltsbüro für sie zum Lebensinhalt geworden. Es war ihr Baby, und das ließ sie sich nicht kaputtmachen. Es wurde Zeit, diesem Mann gehörig die Meinung zu geigen.

»Ständig machen Sie etwas falsch, ich weiß wirklich nicht, was ich mit Ihnen anstellen soll. Sie sind eine Schande für die ganze Kanzlei«, sagte sie.

Fischer regte sich nicht. Schon wollte sie ihn ans Atmen erinnern, da begann sein Blick zu flackern. »Das mit dem Kaffee tut mir wirklich leid.«

»Ach ja?« Marlene verschränkte die Arme und musterte ihn. Unter ihren Mitarbeitern gab es Schafe, und es gab Wölfe. Der da war ein Fisch. »Wissen Sie was, Fischer? Sie sollten sich mal ausgiebig ausruhen, und ich werde dafür sorgen, dass Sie jede Menge Zeit dazu haben. Sieben Tage die Woche rund um die Uhr.« Sie machte eine kleine Pause und wartete, dass er etwas erwiderte, doch Fischer guckte nur. Klar, wie ein Fisch. »Sie sind gefeuert, Fischer.«

In Marlenes Bauch grummelte es. Zu Mittag hatte sie heiße Würstchen mit Kartoffelsalat gegessen, selbstgemacht von Fritz Fischer und eigentlich hatte sie ihn dafür mal loben wollen. Doch dann war diese Sache mit dem Kaffee passiert.

»Hat Ihnen der Salat geschmeckt?«, fragte Fischer.

Wollte der sie verarschen? Gerade hatte sie ihn vernichtet, da fing er mit diesem Salat an, der wie ein Stein in ihrem Magen lag und sie pausenlos aufstoßen ließ. Sie suchte in seinem Gesicht nach einer Regung. Vergebens. Wie sie es sich gedacht hatte: ein Fisch eben.

»Wenn Sie mich entlassen, hätte ich jedenfalls Zeit, um mit der Presse zu reden. Bestimmt interessieren sich die Journalisten dafür, wen man womit schmieren muss, um billig an ein paar Grundstücke in 1A-Lagen zu kommen. Grundstücke, die Sie dann weiterverkaufen, natürlich viel zu teuer«, sagte Fischer langsam.

Er hatte leise geredet, geflüstert fast, und Marlene glaubte schon, dass sie sich verhört hatte, aber ein Blick in die starren Augen des Mannes belehrte sie eines Besseren.

Ein Schauer lief über ihren Rücken. Sie wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Sonderbar, dass sie schwitzte und gleichzeitig eine Gänsehaut hatte. »Sie, Herr Fischer, ein Erpresser?« Am liebsten hätte Marlene laut aufgelacht, aber die Sache war viel zu ernst und daher beherrschte sie sich und schüttelte den Kopf. »Das hätte ich Ihnen wirklich nicht zugetraut.«

»Ich versuche nur, das zu machen, was für mich am besten ist. Das dürften gerade Sie gut verstehen, aber wenn Sie mitspielen, wird alles gut.«

Gut? Fragt sich nur, für wen, dachte Marlene und sagte: »Vielleicht sollten wir nochmals darüber reden.«

Fischer nickte. »Bei einem Essen und einem Glas Wein heute Abend? Bei mir zu Hause?«

Das fehlte noch, dass sie sich von diesem Fisch einladen ließ. Am Ende wollte der sie vergiften. Zuzutrauen wäre es ihm, so komisch, wie der auf einmal guckte. Marlene schüttelte den Kopf. »Ich schlage vor, wir treffen uns zu einem Spaziergang am Cospudener See. Dort ist es abends sehr ruhig, und niemand wird uns stören.«

Als sie ihren Mercedes gegen acht nach Markkleeberg steuerte, lag eine Stunde Yoga hinter ihr. Sie hatte sich mental mit einer besonderen Übung auf ihren Plan vorbereiten wollen: Matsyasana, zu Deutsch Fisch. Das passte, wie sie fand, doch es war ihr nicht gelungen, sich zu konzentrieren. Immer wieder drängte sich der salzige Geschmack des Kartoffelsalates auf ihre Zunge, und Übelkeit überrollte sie.

Sie musste die Sache bald hinter sich bringen. Die versteckte Stelle, die sie im vorigen Jahr entdeckt hatte, war genau richtig für einen unvermittelten Stoß. Es würde schnell gehen, einfach und sauber, und damit wäre das Problem Fritz Fischer samt des saublöden Erpressungsversuches gelöst.

Fischer wartete schon am Rand des Parkplatzes, direkt vor dem Segelklub. Heiße Wut stieg in ihr empor. Wie es schien, freute sich dieser Fisch auf ihr Treffen. Während sie parkte, grinste er sie an. Er grinste auch noch, als sie zu ihm hinüberging. Marlene straffte sich. Das Grinsen würde ihm bald vergehen.

»Folgen Sie mir, bitte.« Schnell lief sie voraus. Vom See drängte feuchtkühle Luft ans Land. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, nur das Kreischen der gierigen Möwen hinter den dunkel verhüllten Nebelbänken war zu hören. Sie legte einen Schritt zu.

»Einen Spaziergang habe ich mir anders vorgestellt«, maulte Fischer in ihrem Rücken.

Marlene ersparte sich eine Antwort und lief schneller.

Fischer schloss zu ihr auf und packte ihren Arm. »Lassen Sie uns woanders hingehen. Mir gefällt es hier nicht.« Er schaute über das Wasser.

Marlene streifte seine Hand ab. Sie waren ohnehin am Ziel. Der Abhang reichte mehr als zwanzig Meter hinab bis an den abgebrochenen Uferrand, an den dunkle Wellen brandeten.

»Reden wir jetzt endlich über meine Zukunft?«, fragte Fischer, zerrte ein Taschentuch aus der Hose und wischte sich über die Stirn.

»Schauen Sie!« Marlene zeigte in die Tiefe.

Fischer drehte sich, ein wenig nur, doch ausreichend für ihre Zwecke. Ihr harter Schlag traf ihn an der Schulter. Er hangelte nach Halt und bekam ihren Arm zu fassen. Gemeinsam stürzten sie ab und tauchten mit einem Platschen in den See.

Marlene hämmerte Fischer die Faust auf die Nase. Verdammt, dieser Fisch sollte endlich krepieren. Der allerdings entwickelte zähe Kräfte und krallte sich an ihr fest. Trotzdem gelang es ihr, den Kopf ins Freie zu bekommen, gerade so weit, dass sie ein bisschen frische Luft einatmen konnte, doch gleich darauf hatte Fischer sie wieder unter die Wasseroberfläche gezerrt. In ihrem Magen zwickte es, sie krümmte sich unter dem Krampf. Der Brechreiz zwang sie, die Lippen öffnen, und augenblicklich schluckte sie Wasser. Sie hustete und röchelte, versuchte, sich von Fischer zu lösen, doch der hing wie ein Sandsack an ihr und zog sie mit sich in die Tiefe.

Zwei Tage später wurden die Leichen eng umschlungen an Land getrieben. Die Kollegen spekulierten und hegten die unterschiedlichsten Vermutungen, aber letzten Endes waren sie sich einig. Liebe? Am Arbeitsplatz? Dafür gab es keine Chance. Marlene als Chefin hätte nie ihren Job aufgegeben. Und Fischer? Der junge Mann war gerade im Begriff gewesen, Karriere zu machen. Warum sonst hatte er immerzu bei Marlene gehockt? Kein Wunder, dass sie sich dabei nähergekommen waren. Einem Mann sah man es nach, wenn er sich im Alter eine viel jüngere Frau nahm. Aber andersherum?

Marlene Mansfelder war fast sechzig gewesen. Sie hätte die Mutter von Fritz Fischer sein können, wenn nicht sogar seine Oma. Eine solche Liebe konnte nie und nimmer glücklich enden, das musste auch den beiden bewusst gewesen sein. Gewiss hatten sie deshalb den gemeinsamen Tod gewählt, denn so waren sie für immer vereint.

Gartenfreunde unter sich

Ich stand an dem Brunnen, an dessen Geländer die Zinkgießkannen hingen, und ließ den Blick über den Friedhof schweifen. Links war die Kapelle mit dem schiefen Glockenturm, daneben der Verkaufsstand für Kränze, Blumen und Pflanzen. Rechts von mir zogen sich Grabstellen wie die Perlen einer Kette dahin, jede ungefähr einen Meter breit. Die größeren Gräber befanden sich an der Mauer ganz hinten, das waren richtige Geschosse mit Tafeln und Steinfiguren und solchem Kram. Doch nicht dort, sondern in einer der neuen Gemeinschaftsstellen hat Zappa seine letzte Ruhe gefunden.

Karl-Heinz Zappa war sowas wie der Kopf unserer Bande gewesen. Weil er klug war. Als einziger von uns hatte er nämlich Abitur. Große Pläne machen, das konnte er, vor allem in Bezug auf illegale Bankbesuche. Ein Spezialist für Vermögensverschiebung sei er, hatte er mal gesagt. Damit hatte er Eindruck geschunden, vor allem bei Gurke.

Gurke, der eigentlich Peter Müller hieß, war krumm gewachsen. Wie eine Chiquita-Banane. Und er war nicht besonders hell in der Birne, dafür hatte er flinke Hände. Genau wie ich.

Als ich zehn oder elf war, wollte ich Zauberer werden. Die Fähigkeit, ganz nach Belieben Gegenstände verschwinden und wieder erscheinen zu lassen, gehörte für mich zu den größten Wundern der Welt. Es war also nur folgerichtig, dass ich mich in jeder freien Minute in diesen Künsten übte und es dabei zu Fertigkeiten brachte, die selbst meine Eltern staunen ließen.

Später dann, als ich auf Wunsch meines Alten das Bäckerhandwerk erlernen musste, stellte ich schnell fest, dass Brötchenbacken bei weitem nicht so lukrativ war wie das Verschwindenlassen von Sachen, und so begann meine Karriere als Dieb.

Gurke und ich, wir waren diejenigen, die Zappas Pläne ausgeführt haben, und eigentlich hatte das immer funktioniert, nur bei unserem letzten Coup nicht.

Weil Zappa unbedingt diesen Rinne dabeihaben wollte, Alex H. Rinnstein. Das H stand für Hannibal. Ein einziges Mal haben wir ihm vertraut, wobei ich eher Mitleid mit ihm hatte. Für mich war von Anfang an klar, dass Rinne der Herausforderung niemals gewachsen war, und genauso war es dann auch gekommen. Weggelaufen war er, als bei dem Bruch im Juweliergeschäft die Alarmanlage losgescheppert hatte. Wie ein Hase war er gerannt, die Beute in der Tasche. Hat ihm nichts geholfen, die Bullen haben ihn fix kassiert und in den Knast geschickt. Nur die Klunkern und die viele Kohle, die haben sie nicht gefunden.

Vier Jahre hat Rinne abgesessen, und jeder andere wäre als ein echter Kerl wiedergekommen. Aber der nicht, der kehrte verdreht zurück. Der dachte nur noch an ein Leben nach dem Tod.

Was hat der ständig rumgefaselt! Mit Vorliebe über das Paradies und so. Sein eigenes Eden wollte er sich schaffen, da kam der Schrebergarten am Stadtrand gerade recht.

Jeder hat sich gewundert, dass ein so junger Spund wie Rinne Gartenarbeit liebte, ich jedoch habe gleich gewusst, dass er nur die Beute dort verbuddeln wollte. Zuerst habe ich mich an Gurke rangemacht und ihm eingeredet, dass er Rinne beim Umgraben helfen müsse. Im Grunde wollte ich lediglich, dass er aufpasste, wo das schöne Geld landete, aber das hat Gurke nicht auf die Reihe gekriegt. Genauso wenig hat er kapiert, dass Rinne irgendwann Verdacht geschöpft haben musste. Wer weiß, worüber die beiden bei der ganzen Maloche geredet haben, vielleicht hatte sich Gurke verquatscht. Eines Tages jedenfalls war das Ödland beseitigt gewesen, dafür hatte es an allen Ecken gegrünt und geblüht, vor allem unter dem Holunderbusch. Ich vermutete, dass Gurke daran beteiligt war, als organisches Düngemittel. Soll ja gut für Pflanzen sein. Jedenfalls, seit es den Busch gab, war Gurke verschwunden.

Klar habe ich Rinne befragt, aber der hat mich nur schief angegrinst und eine Grimasse geschnitten. Deshalb bin ich zu Zappa gestiefelt, und der hat sofort geschnallt, was ich wollte. Wie gesagt, Abitur.

Zappa hat Rinne davon überzeugt, dass sein Garten umgestaltet werden müsse. Die beiden haben das gesamte Grünzeug auf akkurat angelegte Beete beschränkt, doch das Geld war und blieb verschwunden. Gurke auch.

Dafür bekam Zappa von den ganzen Anstrengungen einen Infarkt. Wegen seinem schwachen Herzen, wie Rinne behauptet hat. Das war, als ich ihm später helfen sollte, den schiefen Pflaumenbaum zu fällen, und obwohl bei mir sofort alle Alarmglocken geschrillt haben, bin ich darauf eingegangen.

Der Baum ist dann auf Rinne gekippt und hat ihn unter sich begraben. Na ja, ich konnte ihm nicht mehr helfen. In der letzten Sekunde seines Lebens hat er etwas vor sich hingemurmelt, aber ich habe ihn nicht verstanden. Weil mir in diesem Moment das Beil aus den Händen gerutscht ist. Eine Schneide im Hals ist eben nicht gesund.

Jetzt liegt Rinne keine zwanzig Meter von Zappa entfernt. Ich habe Blumen rund um ihre Grabstellen gepflanzt, die Chrysanthemen aus Rinnes Garten, die ich schon ausgegraben habe. Nach und nach wird ihnen auch der Rest folgen. Ich werde so lange buddeln, bis ich die Beute aus unserem Einbruch gefunden habe. Danach lege ich auf der Parzelle einen neuen Garten an, japanisch, ganz minimalistisch und gut für die Seele.

Brasilianische Liebe

Das Klingeln des Telefons katapultierte Falk in den Tag, ausgerechnet in dem Moment, in dem er den wohlgeformten Körper einer ganz außergewöhnlichen Schönheit erkundete. Weiche Haut und gefällige Rundungen. Und diese Beine! Mannomann, Beine waren das! Acht Stück, dick und behaart.

Es dauerte geraume Zeit, ehe Falk aus dem Traum in die Wirklichkeit fand. Er tastete nach dem Hörer: »Ja?«

»Hallo, mein Junge, ich bin gleich da.«

»WAS?«

Tante Irmtraud, von seinem Onkel Klaus liebevoll Irmchen genannt, hatte jedoch bereits aufgelegt. Verdammt, es musste etwas geschehen sein, etwas ganz Furchtbares, ganz sicher. Sonst wäre Irmchen doch nicht extra aus der Oberlausitz nach Leipzig gekommen. Eine Minute lang war Falk wie erstarrt, dann sprang er mit einem Satz aus dem Bett. Er stürzte ins Bad, um schnell zu duschen. Als es klingelte und er die Tür öffnete, war er noch nass.

Irmchen drängte sich an ihm vorbei und marschierte durch den Flur in die Stube. »Meine Güte, hier stinkt es wie im Affenstall.«

»Irmchen, was ist passiert?«

»Nichts.«

»Wie – nichts.«

»Na nichts eben. Was soll die Frage überhaupt?«

»Warum bist du hier, Irmchen?«

»Seit wann darf eine Tante nicht zu ihrem Neffen kommen?«

»Du hättest davor anrufen können.«

»Das habe ich doch.«

»Aber da warst du bereits da!«

»Na und?« Sie wendete den Blick von der Eckcouch mit den zerwühlten Kissen ab und musterte ihn. »Hast du etwa ein Problem mit meinem Besuch? Du warst bei uns immer willkommen.«

Das saß. Falk schluckte seinen Groll hinunter.

Irmchen trat an das Fenster, zog die Übergardine zurück und riss es auf. Die hereindrängende abgasgeschwängerte Luft ließ sie die Nase rümpfen. »Meine Güte, du könntest so schön wohnen! Dein Onkel und ich, wir würden dich liebend gern bei uns haben.«

Die alte Leier, immer wieder versuchte sie aufs Neue, ihn in ihr Dorf zu locken. Natürlich bot ihr Haus mehr als genug Platz. Selbst mit fünf Kindern könnte er dort leben, zum Glück hatte er keine. Er hatte noch nicht einmal etwas, das man eine feste Beziehung nennen würde, also gab es auch keinen Grund, zu Tante und Onkel ans Ende der Welt zu ziehen. Für Irmchen war das schwer zu verstehen, sie kam damit einfach nicht klar. Noch weniger begriff sie, dass er keine Freundin hatte. Er, der nette und gutaussehende Mann, athletisch und intelligent. Einer, der für starke und gesunde Nachkommen garantieren konnte, so Irmas Worte.

Falk aber liebte seine Freiheit, die im Wesentlichen daraus bestand, mit den Jungs in Bierkneipen herumzuhängen. Und er liebte sein Hobby: Spinnentiere.

Irmchens Blick fiel auf den Glaskäfig, in dem seine Lieblingsspinne intensiv eine Fliege fixierte, die an der Scheibe klebte. Mit ihren dreizehn Zentimetern war sie sein größtes Exemplar. »Lieber Himmel«, sagte Irmchen. »Was für ein ekelhaftes Vieh! Richtig widerwärtig!« Sie verzog den Mund.