Flame 3: Flammengold und Silberblut - Henriette Dzeik - E-Book

Flame 3: Flammengold und Silberblut E-Book

Henriette Dzeik

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Spiel mit dem Feuer ist längst nicht vorbei!
Die Welt steht endgültig am Abgrund, einzig Flame ist dazu in der Lage, sie zu retten. Doch als sie das Unmögliche schafft und die Hitze besiegt, ersticken Adern aus Frost das Feuer und das gesamte Land erstarrt zu Eis. Die Zukunft ist trotz des erbrachten Opfers ungewiss. Und während Flames Freunde den Daimonen der Vergangenheit unterliegen, ist es ausgerechnet der Halbgott Cato, der nicht bereit ist, Flame und das Schicksal der Erde aufzugeben. Gemeinsam mit der Seherin von Delphi kommt er dem größten Geheimnis der Götter auf die Spur. Allerdings ohne zu ahnen, dass er in diesem neuen Spiel zwar Antworten gewinnt – aber auch Gefühle riskiert.

Sexy, göttlich, spannend: Teil 3 der prickelnden Götter-Romantasy um neue und alte Götter, verbotene Liebschaften und hinterlistige Intrigen.


//Dies ist der dritte Band der »Flame«-Serie. Alle Romane der göttlichen Liebesgeschichte im Loomlight-Verlag:
-- Band 1: Feuermond und Aschenacht
-- Band 2: Dunkelherz und Schattenlicht
-- Band 3: Flammengold und Silberblut
-- Band 4: Nebelsturm und Racheglut//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

»Es ist kein Geschenk, eine Heilige zu sein.«

Die Welt steht endgültig am Abgrund, einzig Flame ist dazu in der Lage, sie zu retten. Doch als sie das Unmögliche schafft und die Hitze besiegt, ersticken Adern aus Frost das Feuer und das gesamte Land erstarrt zu Eis. Die Zukunft ist trotz des erbrachten Opfers ungewiss. Und während Flames Freunde den Daimonen der Vergangenheit unterliegen, ist es ausgerechnet der Halbgott Cato, der nicht bereit ist, Flame und das Schicksal der Erde aufzugeben. Gemeinsam mit der Seherin von Delphi kommt er dem größten Geheimnis der Götter auf die Spur. Allerdings ohne zu ahnen, dass er in diesem neuen Spiel zwar Antworten gewinnt – aber auch Gefühle riskiert ...

Die Autorin

© Privat

Man erzählt sich, dass Henriette Dzeik auf einem Floß treibend von Nixen gefunden, von Hexen entführt und in einem Schloss, das an goldenen Ketten hing, von Feen aufgezogen wurde. Sie kämpfte gegen den Drachen, der diesen schönen Käfig bewachte, und erlangte schließlich durch einen Deal mit einem verrückten Flaschengeist die Freiheit. Heute lebt sie mit ihrem dunklen Prinzen und einem furchterregenden Wächterhund in ihrem minimalistischen Palast, wo sie auf Papier all ihre Träumereien wahr werden lässt.

Henriette Dzeik auf Instagram: https://www.instagram.com/henriettedzeik/

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Loomlight auch!

Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor*innen und Übersetzer*innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator*innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher, Autor*innen und Illustrator*innen: www.loomlight-books.de

Loomlight auf Instagram: https://www.instagram.com/thienemannesslinger_booklove

Viel Spaß beim Lesen!

Henriette Dzeik

FlameFlammengold und Silberblut

Liebe Leser*innen,

bevor du erneut in Flames Welt eintauchst, ist es mir ganz wichtig, dich darauf hinzuweisen, dass »Flame – Flammengold und Silberblut« neben expliziten Szenen auch Elemente und Situationen enthält, die triggern können. Diese sind sexuelle und körperliche Gewalt, Mord und Tod, Traumafolgestörungen sowie selbstverletzendes Verhalten. Bitte lies dieses Buch nicht, wenn du denkst, dass diese Themen dich emotional zu sehr aufwühlen könnten.

Für jede Raupe, aus der eines Tages ein Schmetterling entschlüpft.

»Now you’ll never be the same Once you’ve felt that burning flame«

Robin Schulz feat. Alida, In Your Eyes

Prolog

Tochter des Todes

Mein Name ist Flame. Ich bin die Tochter des Todes und nicht erfüllter Hoffnungen, auf ewig geplagt und verfolgt von Gefahr und Verderben. Ich habe viele Leben gelebt, Erinnerungen gewonnen und wieder verloren, alle Grausamkeiten der Unterwelt, aber auch die Sonne, den Mond und unzählige Sterne gesehen, die von tausend Träumen singen. Die Schwärze der Nacht ist ein Teil von mir, ebenso die Flammen und die Hitze, die alles zerstören oder die Erde letztendlich heilen können. Heute werde ich die Entscheidung treffen, die einen Neuanfang für diese Welt bereithält und doch das Ende für mich selbst darstellt und alles, was ich bin.

Mein Atem klingt unnatürlich laut in meinen Ohren, während ich auf dem Rücken liegend an die hohe gewölbte Zimmerdecke starre, die keine Antwort auf meine Fragen bereithält. Er ist eingeschlafen, nachdem wir uns zweimal heftig und einmal sanft geliebt haben. Sein herber Geschmack liegt verheißungsvoll auf meiner Zunge, die Berührungen seiner Hände spüre ich noch immer wie knisternde Blitze auf meiner nackten Haut. Sein Arm ist um meine Hüfte geschlungen und sein Duft hüllt mich ein wie ein sicherer Kokon. Ich wende ihm mein Gesicht zu, streiche eine verschwitzte dunkle Haarsträhne aus seiner Stirn, die sofort an ihren Platz zurückgleitet und sich genauso stur verhält wie ihr Herr. Ich lächele leicht, fahre mit dem Daumen über seine vollen Lippen, die mir mittlerweile vertrauter sind als meine eigenen.

Manchmal denke ich, dass kein Glück mir je lang genug vergönnt gewesen ist, um ausreichend davon zu kosten, mein Verlangen endgültig zu stillen. Und doch habe ich Dark gefunden, der mein Licht verehrt, meine Dunkelheit liebt und das Feuer in mir auf eine aufregende Art und Weise fühlt, es zu etwas Wunderbarem macht, vor dem ich mich nicht mehr fürchten muss.

Er hat mir außerdem gezeigt, was es bedeutet, am Leben zu sein. Nicht nur dahinzutreiben, sondern zu fliegen, wenn andere vielleicht laufen würden, und allen Widerständen zu trotzen, so lange zu tanzen, bis die Wolken fortziehen und der Himmel strahlend blau anstatt grau ist. Er ist mein Anker, mein sicherer Hafen, mein Silberschweif am Horizont.

Vor langer Zeit hat er mir ein Geschenk gemacht, sogar mehr als das, denn er hat einen Teil von sich aufgegeben, damit dieser in mir neu erblühen kann. Es kommt mir beinahe so vor, als hätte sich das gesamte Universum zusammengetan, nur um über unser Schicksal zu entscheiden. Denn ich hätte nie die Möglichkeit gehabt, die Oberwelt zu entdecken, wenn Dark mich damals nicht gefunden hätte. Ich hätte niemals wahre Freundschaft und bedingungslose Liebe erfahren, wenn er nicht für mich zurückgekehrt wäre. Und ich hätte meine Erinnerungen endgültig verloren, wenn er mir nicht in die Unterwelt gefolgt wäre, um unser gegenseitiges Versprechen einzulösen, von dem ich selbst nichts mehr wusste. Er hat stets auf mich aufgepasst, ist immer zur Stelle gewesen, um mich zu beschützen, auch wenn er tief im Inneren bereits ahnte, wie der Ausgang sein würde. Er hat all die Zeit mit diesem Schmerz gelebt und ist trotzdem unglaublich furchtlos gewesen.

Dark ist der Grund, wegen dem ich durchgehalten habe, damit nun alles so kommen kann, wie es kommen muss. Für ihn werde ich stark sein und mutig und tapfer. Ich werde so unerschrocken sein, wie der dunkle Wolf an jenem Tag im Nadelwald.

Kapitel 1

Ruf der Rache

LOST

Mein Körper ist mit dem schwarzen Blut der Spinnen und ihren Sekreten bedeckt. Der Geruch nach Fäulnis und Tod ist allgegenwärtig und ich heiße ihn willkommen, wie einen alten Freund. Unzählige Kadaver liegen zusammengesunken um mich herum, machen den Eindruck, als würden sie mir huldigen. Ich wische mein Schwert an meiner dunklen Hose ab, es hinterlässt dabei kaum eine Spur. Meine Stiefel knarzen, als ich mich in Bewegung setze und mir meinen Weg nach draußen bahne. Geflüsterte Worte dringen vom Korridor in den Saal, in dem ich gewütet habe. Trauer und Hilflosigkeit habe ich im Kampf abgestreift wie einen zerschlissenen Mantel, und nun trage ich eine neue, bessere Haut, eine, die unzerstörbar ist. Meine Stimmung ist düster, trotzdem gut. Ich bin nicht verloren, aber ich habe dennoch nichts mehr zu verlieren. Und genau deshalb bin ich endlich frei.

»Ares hat all das von langer Hand geplant. Candelas Tod und unsere Trauer waren nichts weiter als eine Ablenkung, um uns unaufmerksam werden zu lassen«, raunt Apollo und Yasar flucht leise, während ich in meiner Bewegung erstarre.

»Was sagen wir Lost?«, mischt sich nun Phoibe ein. »Er wird es nicht gut aufnehmen.«

»Ich stimme ihr zu«, murmelt True leise und ich beiße meine Zähne fest aufeinander, hindere mich selbst daran, nach draußen zu stürmen und eine Szene zu machen. Weil sie kein Recht darauf haben, mir etwas vorzuenthalten, das mich unmittelbar betrifft. Bevor ich eine Dummheit begehe, trete ich durch den Nebel. Ich weiß selbst nicht, wohin ich mich bringe, bis ich die Augen öffne und in Candelas Gemach stehe. Verdammt. Sofort ist da ihr Duft, der mich wie eine bittersüße Folter trifft.

Sommerflieder und Jasmin.

Ich atme durch den Mund, in der Hoffnung, ihm so zu entgehen.

Zwecklos.

Sie ist überall an mir, obwohl sie mich nie wieder berühren wird. Ich starre wie gebannt auf ihr mauvefarbenes Bett, als müsse sie jeden Moment darauf erscheinen. Ihr lodernd rotes Haar im Vergleich zur Einrichtung ein wilder Kontrast. Meine Beine geben unter mir nach und ich lasse mich auf den Sessel sinken, über den ich mich vor nicht allzu langer Zeit noch lustig gemacht habe, weil er wie ausgekotzte Pflaumen aussieht. Mittlerweile wäre ich dazu bereit, ihr einen gigantischen Palast zu errichten, der einzig aus diesen Farben besteht. Wenn ich sie nur zurückbekäme ...

Schwer seufzend lehne ich mich nach hinten, der Samtüberzug ist überraschend angenehm - weich und tröstend. Meine Gedanken verselbstständigen sich, driften ab nach Viridi, wie wir diesen Planeten hinter uns ließen, aufbrachen ins Ungewisse, angetrieben von dem Wunsch auf ein besseres Leben. Doch stattdessen haben uns auch hier Hass und Zerstörung erwartet und dieses Leid, welches viel tiefer geht als der vergangene Schmerz auf unserem Heimatplaneten. Ich frage mich, warum das so ist. Ob ich mit der Zeit menschlicher geworden bin. Denn je länger ich an der Seite der Sterblichen kämpfte, je öfter ich in den Evakuierungslagern half, je mehr ich mit den jungen Frauen während des Turniers bangte, desto häufiger ertappte ich mich selbst dabei, wie meine Bewunderung für diese Spezies wuchs. Für ihr Können, sich durchzuschlagen, ohne im Besitz magischer Fähigkeiten und übernatürlicher Kräfte zu sein, für ihre Gabe, stets das Gute zu sehen, egal wie aussichtslos eine Situation auch sein mochte - den Kummer zu akzeptieren, ihn ein Teil von dem werden zu lassen, was sie sind und immer wieder aufzustehen, obwohl sie doch wissen, dass sie bald erneut fallen werden. Und vielleicht bin ich auch deshalb menschlicher geworden, weil ich einsehen musste, dass dies nichts ist, wofür man sich schämen muss, dass es manchmal auch stark ist, Schwäche zu zeigen oder Gefühle zuzulassen.

Seit ich denken kann, habe ich mich von anderen abgeschirmt, es war, als würde ich in meiner eigenen Welt leben, als würde ich gefangen sein hinter Glas, weil ich sah, was die anderen taten, ich erahnte, was sie sagten, und manchmal glaubte ich sogar zu wissen, wie sie sich fühlten ... Und dennoch war ich nie wirklich anwesend, nie tatsächlich im Hier und Jetzt, stets mit einem Auge in der Vergangenheit. Als ich am wenigsten damit rechnete, trat Candela in mein Leben, und es war, als würde ich meine selbst auferlegten Fesseln sprengen und endlich erwachen.

Es gab nie etwas, das ich wirklich wollte, und doch lechzte ich mit einem bisher nicht gekannten Verlangen nach diesem Mädchen. Alles in mir sehnte sich nach jedem Teil von ihr. So sehr, dass mir in ihrer Gegenwart die Worte fehlten, ich vergaß zu atmen oder wie mein eigener Name lautete. Sie war meine erste große Liebe, die Art, die man kein zweites Mal finden kann. Ich kralle meine Finger in die Armstützen des Sessels und erinnere mich daran, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt ist, um sich gehen zu lassen.

Irgendwann finde ich die Kraft, mich auf dem trügerisch weichen Samt abzustützen und aufzustehen. Meine Glieder fühlen sich schwer und müde an.

Wie ein Traumwandler bewege ich mich in Richtung von Candelas Kleiderschränken, vergrabe wie ein Verrückter meine Nase in den Stoffen, die derart intensiv nach ihr riechen, als hätte sie diese erst vor wenigen Minuten getragen. Schließlich stecke ich eines ihrer Halstücher in meine Hosentasche, nun ganz wie der edle Ritter, der ich nicht bin. Niemals war, niemals sein werde. Ich bin nur derjenige, der alle anderen mit in seinen düsteren Abgrund zieht. Ein letztes Mal atme ich tief durch, ehe ich in großen Schritten ihr Zimmer verlasse und die Tür hinter mir zuziehe. Im Gehen baue ich meine Schutzmauern neu auf, Stück um Stück, Stein auf Stein. Ich blicke nicht zurück, rufe stattdessen den Nebel, der mich zuverlässig einhüllt und die Welt vor meinen Augen verschwimmen lässt.

Dream und Prometheus zucken aufgeschreckt zusammen, als ich mich im Kerker von Yasars Palast neben ihnen materialisiere. Der Titan fängt sich als Erster wieder. »Wir dachten alle, du wärst in Hales Reich zurückgekehrt.«

Ich zucke arglos mit den Schultern. »Um euch den ganzen Spaß zu überlassen?« Ich nicke zu dem Aschehaufen, den sie offensichtlich gerade mit dem Besen zusammenkehren wollten, dessen Stiel Dream in der Hand hält. Am Boden daneben befindet sich eine Schaufel, und ich frage mich, was genau sie vorhaben. Ich denke nicht, dass man ein Loch in den Betonboden buddeln könnte, auch wenn wir wohl stärker als die meisten sind.

Langsam bücke ich mich und hebe die Schaufel auf, drehe sie nachdenklich in meinen Händen hin und her. Mein Blick wandert zu der geöffneten Zellentür und dann zurück zu den beiden Göttern. »Ziva ist fort. Was ist hier noch passiert?«

Dream verzieht das Gesicht, und in diesem Moment wird mir klar, dass sie mir nichts sagen werden. Ebenso wenig wie Phoibe, Apollo, Yasar oder True.

Jedenfalls nicht freiwillig. Und im nächsten Augenblick knocke ich sie mit dem Ende der Schaufel aus. Es ist definitiv das Überraschungsmoment, welches dafür sorgt, dass mir das gelingt. Nacheinander sinken sie zu Boden und kurz überlege ich, ob ich ein schlechtes Gewissen haben sollte, doch dann gehe ich bereits neben Prom und Dream auf die Knie und drücke Zeige- und Mittelfinger meiner beiden Hände gegen ihre Schläfen, nehme ihre Erinnerungen in mich auf, als wären es meine eigenen.

Ich kann ihr Getrappel schon aus weiter Ferne hören, ihre unzähligen schwarzen Augen verfolgen mich noch immer bis ins Reich der Träume.

Übelkeit steigt in mir auf und ich mache auf dem Absatz kehrt, renne zurück und suche Schutz in der Dunkelheit von einer der Nischen, gebärde mich wie ein götterverdammter Feigling. Den Gang behalte ich dabei weiter im Blick, während ich versuche, meine Atmung und meinen Herzschlag zu beruhigen.

Ich warte auf die Spinnen, doch plötzlich höre ich Schritte, die nicht von ihnen stammen. Ein dunkler Lockenschopf passiert meinen Unterschlupf und meine Hand schnellt automatisch hervor, zieht den kleinen Körper ruckartig zu mir heran. Natürlich ist es Flame, die definitiv ein Talent dafür hat, sich in Schwierigkeiten zu manövrieren - die Ärger förmlich anzieht.

»Dream«, bringt sie keuchend hervor, klingt aber nicht wirklich verschreckt oder gar überrascht. »Dich hatte ich vollkommen vergessen.«

Ihre Erwiderung lässt mich die Stirn runzeln und ich lege ihr einen Zeigefinger auf die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. Vermutlich hatte sie wieder eine ihrer Visionen, was ich manchmal tatsächlich ein wenig unheimlich finde. Auf keinen Fall würde ich mit ihr tauschen wollen.

Nun höre ich wieder das Trappeln der Spinnen und ohne Zögern dränge ich sie noch weiter in die Nische, schirme ihren Körper ab, denn ich habe wirklich keine Lust, dass Dark mich umbringt, sollten diese Viecher sie als spätabendlichen Snack verspeisen. Nacheinander passieren uns fünf riesige Leiber, die genauso schaurig sind wie in meiner Erinnerung und in meinen Träumen. Im ersten Moment ist Flame wie erstarrt, doch sobald die Geräusche verklingen, windet sie sich aus meinen Armen und schiebt sich an mir vorbei. Ich spähe schnell zu beiden Seiten, der Korridor ist wieder verlassen. »Wo willst du hin?«, frage ich ärgerlich.

»Dark hat mir einen Vorsprung verschafft. Er denkt, dass sie Ziva holen wollen. Und so, wie ich verstanden habe, ist Athene sauer wegen des Schildes. Aber den kriegt sie eh nicht mehr zurück.« Ihre Worte klingen ein wenig zusammenhanglos. Ich sehe ihr prüfend in die Augen, das in der Farbe von Ambrosia funkelt mich hell und herausfordernd - der Dunkelheit zum Trotz - kampfeslustig an. An ihren Fingerspitzen tanzen kleine Flammen und für einen kurzen Moment denke ich, dass sie vielleicht die Kontrolle verliert, doch dann atmet sie tief durch und das Feuer erlischt. Selbstsicher schiebt sie mich erneut beiseite, greift aber gleichzeitig nach meiner Hand und zieht mich mit sich.

»Lauf«, befiehlt sie mir in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet. Ich bin so überrumpelt, dass ich ihr tatsächlich gehorche.

Erleichtert registriere ich, dass wir nicht die Richtung einschlagen, in welche die Spinnen eben verschwunden sind. Ich folge Flame durch die Schwärze der Korridore, an der sie sich kein bisschen zu stören scheint, während ich einige Male stolpere. Schließlich ruft sie doch wieder das Feuer herbei und leuchtet uns den Weg, bis wir die Kellertreppe zu den Verliesen erreichen. Die Stufen sind mit Moos bewachsen und ich will gerade eine Warnung aussprechen, als sie schon darauf wegrutscht. Gerade rechtzeitig kriege ich sie an einem Arm zu fassen und stabilisiere ihren Stand.

»Wo zum Teufel sind die anderen?«, fragt sie mich, während sie nun deutlich vorsichtiger die Treppe vor mir hinabeilt.

»Sie mussten den Donati helfen. Die Spinnen sind in der Überzahl und ihre Bisse giftig.«

Meine Stimme klingt ein wenig gepresst, weil mein Magen allein bei dem Gedanken an diese Biester erneut rebelliert. Schlitternd kommen wir vor den Gitterstäben zum Stehen, die teilweise verbogen oder komplett herausgerissen worden sind. Im Verlies befindet sich ein Mann, dessen Haut an allen sichtbaren Stellen mit Narben übersät ist. Der Gott des Krieges. Über seine Schulter hat er sich Zivas erschlafften Körper geworfen, und kurz keimt in mir die Hoffnung auf, dass sie tot ist, doch dann sehe ich genauer hin und erkenne, dass ihr Oberkörper sich nach wie vor hebt und senkt. Flame ist bereits mit zwei gezückten Dolchen, die beide glutrot leuchten, neben mir in Stellung gegangen. »Sehr clever, Ares«, sage ich, um uns Zeit zu verschaffen. »Aber nicht clever genug. Oder sollte ich besser sagen: nicht schnell genug?«

»Wie dem auch sei«, mischt Flame sich ein. »Du wirst sie nicht mitnehmen.« Um ihre Worte zu unterstreichen, lässt sie ihr Feuer höher lodern.

Mein Blick erfasst nun noch eine weitere Gestalt, die aus dem Schatten des Verlieses tritt. »Was tust du hier?«, frage ich misstrauisch, sehe zwischen Ares und Aphrodite hin und her, während sich ein sehr ungutes Gefühl in mir ausbreitet, das überhaupt nichts mehr mit den Spinnen zu tun hat.

»Sie hat mich angefleht und gebettelt. Gesagt, dass sie alles für mich tun würde, als ich misstrauisch geworden bin ... Und dann hat sie gesungen wie ein Vögelchen. So war es doch, nicht wahr, Liebste? Und plötzlich spiele ich mit in eurem kleinen Spiel.«

»Es tut mir leid«, flüstert Didi, ihr so schönes Gesicht unkenntlich verzerrt.

»Ihr habt doch nicht wirklich gedacht, dass ich euch einfach so davonkommen lasse? Rache ist meine Berufung. Ich brauchte nur noch einen Grund, der euch unaufmerksam werden ließ, euch ausreichend ablenkte, damit ihr die Sicherheit dieser Mauern runterfahren würdet. Es war ein Kinderspiel, in den Kopf des Jungen einzudringen, den Samen der Wut und der Mordlust zu säen und eure kleine Freundin in den Hades zu schicken.«

Ich bin wie erstarrt, kann nicht glauben, was er da gerade sagt.

Er hatte all das hier geplant.

»Du hast Candela auf dem Gewissen«, speit Flame ihm die Worte ins Gesicht, die ich nicht einmal denken wollte. Er öffnet den Mund und ich sehe aus den Augenwinkeln, wie Flame den glühenden Dolch in ihrer Wurfhand hebt.

Das ist nicht gut. Überhaupt nicht gut. Ich habe ein ausgeprägtes Gespür für Tragödien, das mir förmlich in beide Ohren schreit, einfach umzudrehen. Stattdessen steige ich weiterhin die moosbewachsenen Treppenstufen hinab, während ich mit mir selbst und Yasar hadere, der mich hierhergeschickt hat. An meinen Händen klebt Spinnenschleim und ich wische sie angewidert an meiner Hose ab. Dann biege ich um die Ecke und sehe als erstes Dream, der vor einem Haufen Asche kniet. Einem ziemlich großen, um genau zu sein. Mein Blick wandert weiter zu Flame, die mit flatternden Augenlidern an der steinernen Wand zusammengesunken ist. Ich eile zu ihr und gehe in die Hocke, fühle nach ihrem Herzschlag und ihrem Puls, suche ihren Körper nach Verletzungen ab, doch sie ist unversehrt. Trotzdem ist ihre Haut glühend heiß, als hätte sie vor wenigen Minuten lichterloh gebrannt. Vermutlich steht sie unter Schock.

Ich gehe zurück zu Dream, der wie paralysiert auf die Asche starrt. »Das sind Aphrodites Überreste«, bringt er schließlich mühsam hervor. »Ares hat sie dazu erpresst, ihm zu helfen. Er hat Ziva geholt, und Didi hat sich vor ihn geworfen, um den glühenden Dolch abzufangen, den Flame eigentlich auf ihn geworfen hat.«

Plötzlich fühlt es sich an, als wäre die Asche nicht vor mir auf dem Boden, sondern in meinem Mund, der vollkommen ausgetrocknet ist, während mein Rachen brennt und die Galle langsam hinaufkriecht. Schritte ertönen hinter mir, und nun ist es Dark, der zu uns stößt. Zischend lasse ich meinen angehaltenen Atem entweichen. Das wird ihm nicht gefallen.

Ich reiße mich von ihren Schläfen los, als hätte ich mich an ihnen verbrannt. Ihre Körper sind noch immer erschlafft und an Proms Stirn rinnt Blut hinab. Langsam richte ich mich wieder auf, was meine Knie knacken lässt. Obwohl ich weiß, dass ich den beiden keinen ernsthaften Schaden zugefügt habe, fühlt es sich trotzdem wie Verrat an, als ich den Nebel rufe und sie sich selbst überlasse.

Ich lande in meinen Räumlichkeiten und beginne, wahllos Kleidung und Waffen in meinen Rucksack zu stopfen. Die unbändige Wut und andere Emotionen, die Dreams und Proms Erinnerungen in mir ausgelöst haben, dränge ich mit aller Macht zurück. Später, sage ich mir stets von Neuem.

Eilig streife ich ein frisches Shirt und eine saubere Hose über, die Zeit für eine Dusche nehme ich mir nicht. Als Letztes stecke ich meinen Wasserschlauch und Candelas Halstuch ein, ehe ich den Reißverschluss zuziehe. Es wird lediglich eine Frage der Zeit sein, bis Dream und Prom aufwachen oder sie jemand findet, und so schultere ich meinen Rucksack, um meine Reise zu beginnen.

Von meiner Unterkunft ist es nicht weit bis zum Ausgang des Palastes. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, meine Sinne geschärft, und trotzdem stoße ich einen leisen Fluch aus, als ich mit einer kleinen Gestalt kollidiere. Ich stabilisiere sie an den Oberarmen, und als sie den Kopf hebt, leuchtet mir ein Auge aus dem Gold der Götter entgegen. Flame. Sie sieht schuldig aus. Als hätte sie wieder einmal etwas ausgefressen. Sofort keimt Dreams Erinnerung in mir auf, wie sie Candelas Tod vergelten wollte. Ich beuge mich hinab und küsse ihre Stirn, bevor ich sie loslasse und weitergehe. »Mach keine Dummheiten«, sage ich über die Schulter hinweg zu ihr und weiß dabei ganz genau, dass sie nicht auf mich hören wird. Aber ich werde sie nicht aufhalten. Jeder hat seine eigenen Schlachten zu schlagen.

Energisch stoße ich die Flügeltüren auseinander und trete in die kühle Nachtluft, die sogleich meinen Körper sanft umschmeichelt. Ich bleibe am obersten Treppenabsatz stehen, schließe meine Lider, lege den Kopf in den Nacken und lausche dem Wind, der in meinen Ohren säuselt, bis sich in mir noch etwas anderes zusammenbraut. Ein Ruck geht durch meinen Körper und ich schlage die Augen wieder auf, meine Füße tragen mich wie von selbst die steinernen Stufen hinab, vorbei an dem Brunnen und den Hecken, die nicht länger gepflegt sind, sondern wild durcheinanderwuchern, als wären sie gezwungen, sich an die neuen Umstände anzupassen. Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem schiefen Lächeln, während die Welt vor meinen Augen verschwimmt. Die Rache ruft nach mir - was für eine wunderbare Melodie.

Kapitel 2

Hitze der Welt

FLAME

Ich winde mich vorsichtig aus Darks Armen, wie ich es in letzter Zeit viel zu häufig getan habe. Vom Nachttisch nehme ich mir die Kette mit meinem Medaillon. Der grüne Turmalin fühlt sich kühl und beruhigend auf meiner Haut an, als ich ihn um den Hals lege. Dark schläft währenddessen weiter, ohne sich ein einziges Mal zu rühren.

Weil er mir vertraut.

Weil er sich sicher ist, dass ich ihn nicht noch einmal bei Nacht verlasse, mich nicht noch einmal wie ein Feigling davonschleiche, ohne Lebewohl zu sagen.

Wie sehr er sich in mir täuscht.

Er sieht nicht die Person, die ich wirklich bin, sondern eine bessere Version meiner selbst, an die ich niemals heranreichen werde.

Leise schlüpfe ich in den schwarzen Trainingsanzug, den ich aus Hales Reich mitgebracht habe, und hänge mir den braunen Lederrucksack über die Schulter, dessen Farbe bereits abblättert. Die Stiefel nehme ich in die Hand und werfe einen letzten Blick auf das schmale Bett, das wir uns vor wenigen Minuten noch geteilt haben. Darks Beine sind überkreuzt, seine Hände ausgestreckt, als würde er mich nach wie vor halten, als hätte ich ihn nicht schon unzählige Male verraten. Und nun treffe ich wieder eine Entscheidung, bei der ich nicht an uns und unsere gemeinsame Zukunft denke.

Er hat mir oft versichert, dass wir eine Chance haben, doch ich weiß inzwischen, dass es gelogen war. Trotzdem kann ich ihm deshalb nicht böse sein. Er hat es so sehr versucht - manchmal glaube ich sogar mehr als ich. Erneut mustere ich ihn, präge mir jedes Detail ein, ehe ich aus dem winzigen Zimmer trete und die Tür achtsam hinter mir zuziehe, damit sie lediglich ein kaum hörbares Klicken von sich gibt.

Rasch streife ich meine Stiefel über und laufe den dunklen Korridor entlang. Ich muss Yasars Arbeitszimmer einen Besuch abstatten, bevor ich aufbreche, und hoffe sehr, dass die anderen tief und fest schlafen. Geschickt bewege ich mich in den Schatten, passiere Laveas und Prometheus Zimmer und schließlich die große Halle. Erleichtert, dass mir niemand begegnet, beschleunige ich meine Schritte, als ich plötzlich gegen eine harte Brust pralle.

Autsch.

Ich taumele überrascht zurück, woraufhin zwei Hände mich an den Oberarmen stabilisieren. Mein Gegenüber flucht leise und ich reibe mir die Stirn, ehe ich das Kinn anhebe. Augen in der Farbe von dunklem Waldhonig starren auf mich herab.

Lost.

Verdammt.

Ich fühle mich wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Vermutlich wird er mich jetzt zu Dark zurückschleifen, der mich schelten wird wie ein kleines Kind. Für einen kurzen Augenblick wirkt Losts Miene nachdenklich, fast ein wenig schmerzlich. Ohne Vorwarnung beugt er sich zu mir und drückt seine Lippen auf meine Stirn. Etwas überrumpelt stehe ich da, während er sich umdreht und mit langen Schritten den Eingangsbereich durchquert, ehe er die Flügeltüren aufstößt, die nach draußen führen. »Mach keine Dummheiten«, ruft er mir über die Schulter hinweg zu.

Und dann ist er verschwunden.

Einfach so.

Sofort prasseln die Bilder vom Abend auf mich ein, von Ares und Aphrodite und die Erinnerung daran, was gesagt worden ist. Wenn Lost davon weiß ... Nun, er wird nichts Gutes im Sinn haben. Es bereitet mir ein wenig Sorge, dass er alleine loszieht, und ich bin kurz davor, ihm nachzulaufen und zur Vernunft zu bringen, aber dann halte ich mich selbst zurück, weil ich weiß, dass ich meine eigene Aufgabe zu erfüllen habe. Und weil mir auch klar ist, dass ich eigentlich kein Recht darauf habe, mich ihm in den Weg zu stellen, wo er doch mit großer Wahrscheinlichkeit Candelas Tod rächen will. Ich hoffe, dass er den Gott des Krieges leiden lässt.

Im Gegensatz zu Dreams Arbeitszimmer zu Zeiten des Turniers ist Yasars nicht abgeschlossen. Mein Gewissen versetzt mir einen leichten Stich, als ich eintrete und die Tür hinter mir schließe. Eilig gehe ich zum Schreibtisch, auf welchem geordnetes Chaos herrscht: unzählige Pergamentrollen, aufgeschlagene Bücher und beschriebene Papierfetzen liegen darauf herum. Auf der rechten Seite befindet sich außerdem ein kleiner Blumentopf mit Lavendel und eine Ablage bestehend aus drei Etagen, auf der ganz oben ein weiteres Buch und eine goldumrandete Brille liegen. Von der linken Seite taucht eine magische Fackel alles in bläuliches Licht und ich beginne, die Unterlagen systematisch durchzuschauen. Es sind überwiegend Aufzeichnungen und Karten von der Erde, auch davon, wie sie vor über Tausenden von Jahren ausgesehen hat. Und wenn ich nicht so in Eile wäre, dann würde ich mir vermutlich die Zeit nehmen, alles zu betrachten. Stattdessen rolle ich ein vergilbtes Blatt Pergament auseinander und halte dann in meiner Bewegung inne. Langsam lasse ich mich auf den gepolsterten Stuhl sinken, der direkt hinter mir steht.

Die Erde brennt,

alles Leben verglüht,

am wärmsten Punkt

allein Hoffnung erblüht:

Wenn die Tochter der Hölle

ihre Macht erkennt

und die Hitze der Welt

in sich ertränkt.

In geschwungenen Buchstaben ist die Weissagung niedergeschrieben, welche mir bereits aus einer meiner Rückblenden bekannt ist. Neben der Prophezeiung sind einige mit Pfeilen versehene handschriftlich vermerkte Notizen:

Delphi → Mittelpunkt der Erde → Omphalos Stein → Nabel der Welt → Öffnen → Schlüssel → Elemente → Erde → Luft → Feuer → Wasser

Ich rolle das Pergament noch ein wenig weiter aus und entdecke eine gezeichnete Karte. Sie weist den Weg nach Delphi, zum Zentrum der Erde, wo sich Yasars Recherchen nach der heißeste Punkt befindet, an dem der Orakelspruch erfüllt werden muss. Delphi liegt im Land der Zukunft und des Lebens, immerhin, doch mir wird jetzt erst bewusst, dass ich nicht durch den Nebel gehen kann, weil ich nie zuvor dort gewesen bin und auch keine eindeutigen Bilder von dem Ort vor Augen habe. Ich seufze schwer. Yasar direkt zu fragen, ist keine Option, dafür vertraue ich ihm nicht genug ... Dann wäre da noch Apollo, aber wenn ich ihn aufsuche, wird er mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit Dark informieren. Erneut fällt mein Blick auf die Notizen. Ich vermute, dass man ein Portal öffnen muss, um zum Mittelpunkt der Erde zu gelangen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass man dort ungehindert hineinspazieren kann. Um das zu tun, benötigt man die vier Elemente als Schlüssel. Ich habe das Feuer - Erde und Luft sind nicht schwer zu beschaffen, doch Wasser ... Vor allem welches? Gewöhnliches Brunnenwasser? Das aus einem See? Oder gar aus dem Meer?

In diesem Augenblick muss ich an Cato denken. Er ist derjenige, der jede Art von Wasser heraufbeschwören kann. Er war einst mein bester Freund und hat noch immer etwas gutzumachen, jedenfalls in seinen Augen, obwohl ich ihm längst verziehen habe. Wäre er nicht die perfekte Begleitung? Er ist an niemanden gebunden und außerdem würde er die anderen ganz bestimmt nicht informieren. Ich zögere kurz, doch dann rolle ich das Pergament eilig zusammen und stopfe es zu meinen anderen Sachen in den Rucksack.

»Gut. Du hast noch nicht geschlafen«, sage ich statt einer Begrüßung, als Cato mir die Tür öffnet. Einen Moment lang sieht er ein wenig verdutzt aus, doch dann macht er mir Platz, damit ich eintreten kann. Seine Kleidung ist zerknittert, und da ist definitiv so etwas wie schwarzes Blut auf ihm. Allein bei dem Gedanken an die Spinnen laufen mir eiskalte Schauer über den Rücken.

In einer Hand trägt er ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit, von der er nun einen Schluck nimmt. »Bitte sei nicht betrunken«, seufze ich und mustere sein Gesicht. Unter seinen Augen liegen dunkle Schatten, die wahrscheinlich von der Arbeit in den Evakuierungslagern stammen. Ich frage mich, wann er überhaupt das letzte Mal geruht hat.

»Ich hatte erst einen Drink. Mein Kopf ist klar, keine Sorge.« Er mustert mich kritisch. »Weiß er, dass du hier bist? Mitten in der Nacht?«

Ich schnaube belustigt. »Nein. Und er hat auch einen Namen. Aber egal. Ich bin hier, weil ich deine Hilfe brauche, die Zeit drängt.«

Cato legt seinen Kopf in den Nacken und leert das Glas in einem Zug.

Anschließend stellt er es auf einem Wandregal ab und stemmt die Hände in die Hüften. »Lass mich raten: Du willst jetzt schon nach Delphi aufbrechen, weil du vorhast, diesem Irrsinn ein Ende zu setzen. Und natürlich drückst du dich vor dem Abschied und musst mal wieder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verschwinden.« Er sieht mich eindringlich aus seinen sturmgrauen Augen an und wir liefern uns ein stummes Blickduell. Irgendwann zucke ich mit den Schultern und nicke gleichzeitig. Ein schweres Schweigen liegt über uns, ehe ich mich dazu durchringe, die Stille zu durchbrechen.

»Begleitest du mich? Du bist der Einzige, den ich fragen kann.«

Mit beiden Händen reibt er sich über sein Gesicht und fährt sich anschließend durch sein Haar. »Wenn ich das tue, unterzeichne ich praktisch mein Todesurteil, weil er mich mit Sicherheit umbringen wird ... Aber nun gut. Ich bin dabei.«

Ein Lächeln breitet sich in meinem Gesicht aus und ich verspüre echte Erleichterung. »Perfekt. Such zusammen, was du benötigst, und dann brechen wir auf.« Ich setze mich auf einen der Sessel, während Cato Sachen in seinen Rucksack stopft. Tief in meinem Herzen hätte ich nicht damit gerechnet, dass er mir so bedingungslos helfen würde. Aber es fühlt sich gut an - zu realisieren, dass ich in ihm wirklich einen Freund habe, auf den ich mich verlassen kann. Selbst wenn nichts mehr so ist, wie es früher einmal war.

Wenige Minuten später steht er umgezogen vor mir. Er trägt nun ein eng anliegendes schwarzes Shirt, eine dunkle Cargohose und braune Lederstiefel. Er macht sich gut in der Kleidung der Götter, keine Frage. »Wie sieht der Plan aus?«, will er von mir wissen.

Ich öffne den Reißverschluss und hole die Pergamentrolle heraus. »Ich war in Yasars Arbeitszimmer. Hier oben ist die Prophezeiung, darunter befinden sich einige handschriftliche Notizen sowie eine Karte mit der Wegbeschreibung. Wir müssen nach Delphi reisen, zum Omphalos. Und um zum tatsächlichen Mittelpunkt der Erde zu gelangen, benötigen wir die vier Elemente, jedenfalls würde ich das so interpretieren.«

»Und wie genau kommen wir nach Delphi?«, fragt Cato, während er mit zusammengezogenen Brauen die Karte mustert.

Ich reibe mir etwas unschlüssig über den Nacken. »Tja, das weiß ich selbst nicht so genau. Ich meine, wir befinden uns in Yasars Reich und Delphi liegt in seinem Herrschaftsgebiet, das ist schon mal gut. So müssen wir immerhin nicht ans andere Ende der Welt reisen.« Er wirkt nach wie vor nicht gerade überzeugt, weswegen ich eilig weiterrede. »Der Haken ist folgender ... Ich bin nicht in der Lage, uns durch den Nebel dorthin zu bringen. Aber vielleicht könnten wir auf Kerberos reiten?« Mist. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich seit dem Spinnenangriff noch gar nicht nach ihm gesehen habe.

»Wie wäre es«, unterbricht Catos Stimme meine Gedanken, »wenn wir stattdessen auf einem Drachen reiten?«

Meine Augen werden groß. »Ladon«, flüstere ich. »Das ist eine großartige Idee. Er ist noch in Hales Reich. Ich kann uns zu ihm bringen und wir brechen von dort aus auf.« Mein Versprechen habe ich gehalten und niemandem das Geheimnis der Drakon verraten. Im Stillen frage ich mich allerdings, wie Cato es finden würde, wenn er wüsste, dass Ladon ein Gestaltwandler ist.

CATO

Als der Nebel sich lichtet, entdecke ich das Meer und höre das Aufschlagen der Wellen. Wie ein Schlafwandler laufe ich darauf zu, knie nieder und tauche meine Hände ein, schöpfe aus dem kühlen Nass - auf dem sich das Licht der Sterne spiegelt - neue Energie. Beinahe kann ich das Salz auf meiner Zunge schmecken und weiß, dass ich zu Hause bin. Am liebsten würde ich nie mehr fortgehen. Doch irgendwann kann ich es nicht weiter aufschieben und erhebe mich, kehre dem Ozean meinen Rücken zu. Ich erspähe Flame in einiger Entfernung, wie sie neben dem Drachen mit den smaragdgrünen Schuppen steht. Sein Hals ist mitsamt dem riesigen Kopf nach unten gebeugt und sie tätschelt seine Hörner. Beim Näherkommen bemerke ich ihren friedlichen und entspannten Gesichtsausdruck, was wirklich nicht häufig vorkommt. Mein Herz zieht sich ein wenig zusammen, weil sie mich in diesem Moment an die Flame erinnert, mit der ich Hand in Hand durch unser altes Dorf gelaufen bin, die unbedarft gewesen ist und meinen Schutz gesucht hat. Dieses Mädchen ist gestorben und manchmal frage ich mich, wie groß mein Anteil daran ist.

»Bereit?«, fragt sie, als sie mich entdeckt, und ich nicke bejahend. »Ladon hat sich bereit erklärt, uns nach Delphi zu fliegen.« Der Drache mustert mich einen Augenblick kritisch, ehe er mir zublinzelt. Ich vermute, dass ich bestanden habe. Flame greift nach meinem Arm und einen Wimpernschlag später sitzen wir auf Ladons Rücken. Die Schuppen bohren sich unangenehm scharf durch den Stoff meiner Kleidung in meine Haut.

»Ich wollte nicht reingehen und riskieren, doch noch entdeckt zu werden, nur um den provisorischen Sattel zu holen, den True gebastelt hat«, sagt Flame entschuldigend und ich brumme zustimmend. »Es wird auch so gehen.«

Während wir uns in die Lüfte erheben, sehe ich eine schmale Gestalt mit langen schwarzen Haaren an einem der hohen Fenster stehen und frage mich, ob die Daimonin des Betrugs über unseren Aufbruch schweigen wird. Für einen kurzen Augenblick überlege ich, Flame auf unsere Beobachterin aufmerksam zu machen, doch dann entscheide ich mich dagegen. Es gibt bereits genug Dinge, über die sie sich Sorgen macht, und soweit ich es beurteilen kann, sind sie und Apate so etwas wie Freundinnen geworden.

Ladon steigt immer höher und die Landschaft fliegt unter uns hinweg, während der Himmel seine Farben ändert und langsam der Tag anbricht.

Nach einer Weile fällt es mir zunehmend schwerer, nach unten zu schauen, weil es in mir ein mulmiges Gefühl verursacht. Deswegen konzentriere ich mich auf die Wolken, die an uns vorbeirauschen. Mein Herzschlag setzt für einige Sekunden aus, als der Drache sich in eine scharfe Kurve legt, um einigen Gebirgsfelsen auszuweichen, und ich kralle mich an Flames Hüfte fest, während sie leise lacht und vollkommen furchtlos zu sein scheint. Wenn ich mich jetzt übergebe, würde ihr das vermutlich die gute Laune austreiben.

Ich räuspere mich, setze mich wieder aufrecht hin und lockere meinen Griff. Warum bei allen Höllentoren habe ich den Vorschlag gemacht zu fliegen? Das war die blödeste Idee aller Zeiten. Ich schließe meine Augen und sofort wird mir noch ein wenig schwindliger, weshalb ich sie sofort wieder aufreiße.

Ich habe selbst stets geglaubt, dass es nichts gibt, dass ich wirklich fürchte.

Doch heute muss ich mir eingestehen, dass ich möglicherweise ein bisschen unter Höhenangst leide. Untertreibung des Jahrhunderts. Etwas zu fest beiße ich die Zähne aufeinander und versuche krampfhaft, mich zu entspannen. Ich will kein götterverdammtes Weichei sein.

FLAME

Ich höre Cato hinter mir erleichtert aufatmen, als Ladon mit dem Sinkflug beginnt, und muss ein Grinsen unterdrücken, wobei er es ja eigentlich gar nicht sehen kann. Wer hätte gedacht, dass der starke und großartige Cato sich vor der Höhe fürchtet? Es überrascht mich, doch andererseits gibt es wohl für jeden von uns etwas, das in der Lage ist, uns in die Knie zu zwingen.

Der Boden kommt immer näher und irgendwann kann ich ein Kolosseum ausmachen, in dessen Mitte ein riesiger Stein thront. »Der Omphalos«, flüstere ich, mehr zu mir selbst als zu meinem Begleiter. In einiger Entfernung erahne ich außerdem einen Tempel und ich bin mehr als froh, dass dieser nicht unser Ziel darstellt. Ansonsten besteht unsere Umgebung überwiegend aus kleineren, aber gepflegten Bauten und Bäumen, die vertrocknete Äste tragen.

Sobald wir in der Mitte des Kolosseums landen und Ladon seine mächtigen Krallen in den Boden gräbt, wird eine Menge Staub und Sand aufgewirbelt. Meine Augen brennen und die trockene Luft lässt mich husten. Ich bin erleichtert, als die Sicht sich klärt, gleichzeitig verschlägt mir der Anblick den Atem: Die abgestuften halb eingefallenen Fassaden, Sitzreihen und Ränge aus Stein, die uns weit überragen, sorgen dafür, dass ich mir unheimlich klein vorkomme.

Ich greife nach Catos Arm und bringe uns durch den Nebel von Ladons Rücken auf den Boden. Wir befinden uns nun auf Augenhöhe mit den Eingängen zur Arena und ich versuche nicht allzu sehr an die Katakomben, Kerker und Käfige zu denken, die sich vermutlich unter uns befinden.

»Danke«, sage ich zu Ladon, gebe ihm schweigend zu verstehen, dass sein Geheimnis weiterhin sicher bei mir ist, und streiche ihm kurz über seine Stirn. Seine Schuppen glänzen und funkeln wild im Licht der kurz zuvor aufgegangenen Sonne. »Warte hier auf uns.« Er neigt leicht den Kopf, sein Gesichtsausdruck bleibt dabei vollkommen reglos.

Cato schiebt seine Hand in meine und ich bin froh, dass er mir Halt gibt, als wir auf den Stein zulaufen. Es ist beinahe gespenstisch still, einzig unsere Atemzüge und unsere federleichten Schritte verursachen leise Geräusche. Ich spüre, wie das Blut in meinen Adern pulsiert, und meinen eigenen Herzschlag, der von innen gegen meine Brust donnert. Fast erscheint es mir, als wäre das hier meine letzte Aufgabe, die finale Prüfung, bevor alles zu Ende geht. Glücklicherweise gibt es dieses Mal keine Zuschauer, welche die Ränge füllen, um all das mit anzusehen.

Wir halten vor dem riesigen Stein, der das Licht der Sonnenstrahlen bricht und bronzefarben schimmert. Er überragt selbst Cato, und ich schlucke hart. Nicht, weil ich Angst habe, sondern einfach, weil trotzdem noch immer ungewiss ist, was mich erwartet. Ich trete einen Schritt näher, entdecke die Einkerbung und die winzige Schale, die sich darin befindet. Ich rolle meine Schultern zurück, entziehe Cato meine Hand und wende mich gänzlich dem Stein zu. »Ich werde zuerst Erde in die Schale schöpfen, diese dann brennen lassen, einen Lufthauch hinzufügen, ehe du es mit deinem Wasser löschst, in Ordnung?«

Er mustert mich mit zusammengezogenen Brauen, nickt aber schließlich, weil er weiß, dass ich ihn unter der Voraussetzung mitgenommen habe, nicht zu widersprechen. Ich japse überrascht auf, als er mich ohne Vorwarnung in seine Arme nimmt und fest an sich zieht. Nach einem Moment des Zögerns erwidere ich seine Umarmung, dann löse ich mich sanft von ihm und trete zurück.

»Versprich mir, dass du es schaffen wirst. Dass du zurückkommen wirst«, fordert er.

Ich lächele zaghaft, lege meine Hand an seine Wange und streiche über die Stoppeln seines Bartes. »Das kann ich nicht und du weißt es. Danke, dass du diesen Weg bis hierher mit mir gegangen bist. Und dass du all die Jahre auf mich achtgegeben hast.« Er lässt den Kopf hängen, als ich meinen Arm senke. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. »Ich habe keine Ahnung, was passiert, wenn ich die Prophezeiung erfülle. Aber ich will, dass du und Ladon so viel Abstand wie möglich zwischen diesen Ort und euch bringt, verstanden? Kehrt in Yasars Reich zurück und informiert die anderen. Und wenn ich nicht zu euch stoße, dann sag Dark ...« In diesem Moment fühlt sich meine Kehle an wie zugeschnürt und ich schließe meine Augen, ehe ich den Kopf schüttele und es aufgebe, den Satz zu vollenden. Eine einzelne Träne läuft dabei meine Wange hinab. Ich wische sie eilig fort.

»Also dann«, sage ich mit kratziger Stimme und bücke mich, grabe meine Finger tief in den Boden, kehre eine Handvoll Erde zusammen, die ich in die Einkerbung lege. Kurz darauf beschwöre ich mein Feuer, lasse es in der Schale tanzen, bevor ich tief Luft hole und sie wieder ausstoße, was die Flammen noch stärker entfacht. Dann trete ich beiseite und mache Platz für Cato, unsere Blicke treffen sich ein letztes Mal. »Du wirst gehen, wie wir es besprochen haben. Du wirst dich mit Ladon in Sicherheit bringen und nicht auf mich warten oder mir folgen«, beschwöre ich ihn eindringlich.

Er flucht, während er seinen Teil der Aufgabe erfüllt. Sein Wasser trifft auf den heißen Stein und ein wütendes Zischen ertönt. Rauchschwaden winden sich gen Himmel und sobald seine Arbeit getan ist, stoße ich ihn zurück, erschaffe eine Feuerwand, damit er mir nicht doch noch hinterhereilen kann. Meine Gedanken verstummen und absolute Stille umgibt mich, als ich allein vor dem Omphalos stehe. Immer mehr Rauch und Nebel bilden sich, fließen schneller und schneller ineinander, bis sich ein großer Strudel vor mir auftut und ich meine Hand ausstrecke. Ein heftiger Sog zerrt und reißt an mir, bis ich den Halt unter meinen Füßen verliere und hineingezogen werde - ins Ungewisse.

Ich lande schwer atmend auf allen vieren, mein Körper fühlt sich an, als hätte man ihn in tausend Stücke zerrissen. Taumelnd komme ich auf die Beine und drehe mich um, beobachte, wie der Strudel verschwindet. Möglicherweise habe ich gerade freiwillig das Portal zu meinem eigenen Grab geöffnet.

Ich nehme mir die Zeit, mich umzuschauen, und stelle fest, dass ich mich wohl in einer Höhle unter der Erde befinde, von deren Decke Stalaktiten wachsen. Von ihren Spitzen tropft eine tiefrote Flüssigkeit, die sich mit einem Zischen in meine Haut brennt und ein wütend dreinblickendes Mal hinterlässt. Vor mir erstreckt sich ein schmaler Gang, der meine einzige Option darstellt, und als mich ein weiterer heißer Tropfen trifft, setze ich mich eilig in Bewegung, unterdrücke den Schmerzenslaut, der mir auf der Zunge liegt. Mit gesenktem Kopf und die Hände um meine Rucksackschlaufen zu Fäusten geballt laufe ich im Zickzack um die Stalagmiten, die mir nun zusätzlich den Weg erschweren und deren Spitzen ebenfalls glühen. Als ich stolpere und mich an einem von ihnen abstütze, um nicht zu fallen, kann ich den Aufschrei nicht länger zurückhalten, während der Geruch von verbrannter Haut in meine Nase steigt. Ich starre auf meine versengte Handinnenfläche, auf das blutrote Fleisch und schlucke heftig, versuche, die Übelkeit nicht Herr über mich werden zu lassen. Ich atme langsam durch die Nase ein und durch den Mund aus, bis ich mich einigermaßen gesammelt habe. Dann stolpere ich weiter. Unterdessen verläuft der Gang immer breiter und verschwindet schließlich gänzlich.

Nun stehe ich an einem See. Er ist gefüllt mit brodelnder Lava und blubberndem Magma. In der Mitte erhebt sich eine kreisförmige Plattform, die mich zu sich lockt. Ich streife meine Stiefel nicht ab, umklammere meine Rucksackschlaufen bloß noch fester und mache den ersten Schritt in den See.

Dann noch einen.

Und noch einen.

Sobald die Lava den Stoff meines Trainingsanzuges umfließt, stoße ich ein Knurren aus. Es ähnelt dem eines verwundeten Tieres, dem ich in dieser Sekunde gleiche. Schweiß bildet sich auf meiner Stirn und rinnt kurz darauf in Strömen meine Wangen und meinen Hals hinab. Trotz des Schmerzes erlaube ich es mir nicht umzukehren. Bald berührt das rote Wasser nicht nur meine Beine, sondern auch meine Hüften, und für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, mich einfach fallen zu lassen, den Kampf gegen die Qualen zu verlieren. Aber dann hebe ich meinen Blick, realisiere, wie nah ich schon bei der Plattform bin, und zwinge mich dazu, nicht aufzugeben.

So vieles hat sich in so kurzer Zeit verändert. Ich kämpfe längst nicht mehr für mich allein. Sondern für meine Freunde, die ich nie gesucht, aber dennoch gefunden habe. Ich tue das für jede Frau, jeden Mann, jedes Kind, jeden Vater, jede Mutter, jede Schwester, jeden Bruder, für all diejenigen, die noch lieben und nicht aufgegeben haben. Für alle, die stets an das Gute glauben, daran, dass die Erde noch gerettet werden kann, und für alle, die noch Träume haben, die nicht wollen, dass ihre Hoffnungen niemals wahrwerden. Was wiegt dagegen schon der Traum eines Einzelnen? Ich bin bereit, den meinen zu opfern. Damit so viele andere Wünsche in Erfüllung gehen und diese Welt zu einem besseren Ort machen können.

Ich bewältige den letzten, den richtigen Schritt in Richtung der Plattform, während mein Unterkörper längst in Flammen steht. Mit meinen Armen, die sich anfühlen, als wären jegliche Muskeln und Knochen daraus verschwunden, hieve ich mich auf die überraschend kühle Oberfläche und rolle mich auf den Bauch. Meine Wange presse ich auf das unbekannte Material, warte, bis mein Herzschlag sich beruhigt hat und ich in der Lage bin aufzustehen.

Ich bin ein wenig wackelig auf den Beinen, doch ich zwinge mich zu einem stabilen, hüftbreiten Stand, bereit, meine letzte Aufgabe zu erfüllen. Ich erinnere mich an die zahlreichen Opfer, welche die anderen für mich erbracht haben. Daran, wie sie die Relikte beschafft haben, damit ich das Ambrosia bekomme und das hier vielleicht überleben kann. Doch wenn ich mich so umsehe, in dieser Höhle, dann fühle ich mich gefangen. Ich glaube nicht, dass es für mich je einen Weg zurück nach oben gibt.

Ein Ruck geht durch meine Wirbelsäule, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, mein Kopf fliegt schmerzhaft in den Nacken und meine Arme heben sich wie von allein, während ich mir ins Gedächtnis rufe, was ich mit Hale, Cato und Ladon in der kurzen Zeit gelernt habe.

Der See um mich herum erwacht zum Leben, wilde Wellen aus Lava und Magma brauen sich zusammen und tauchen alles in Rot und Orange. Hitze rauscht erbarmungslos durch mich hindurch, das Feuer wird Herr über mein gesamtes Sein. Ich atme stickige Luft, jeder Zug, den ich von ihr nehme, reizt meine Lunge, während heiße Tropfen weiterhin meine Haut versengen. Ich versuche, nicht an den Schmerz zu denken, stelle mir stattdessen seine Gesichtszüge vor, so wunderschön, aber irgendwie auch vorwurfsvoll. Ich frage mich, ob er mir jemals vergeben wird. Der Abschied von Dark bleibt mir verwehrt. Doch wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, dann wird er mich dort finden. Und auch ich werde niemals aufhören, nach ihm zu suchen.

Ich neige meinen Kopf noch weiter zurück, schließe die Augen, unterdrückte Gefühle drohen mich zu überwältigen. Ein urtümlicher Schrei verlässt meine Lippen. Und dann brenne ich.

Kapitel 3

Adern aus Frost

APATE

Ich stehe noch immer an dem hohen Fenster. Seit Ladon sich mit Flame und Cato in die Lüfte erhoben hat, habe ich mich keinen Zentimeter fortbewegt.

Ich hätte sie aufhalten können.

Ich hätte Hale und Phia aufwecken können.

Ich tat nichts dergleichen.

Denn wenn ich eines schon vor langer Zeit gelernt habe, dann, dass manche Ereignisse unausweichlich sind. Man kann vor vielen Dingen davonlaufen, aber niemals vor seinem Schicksal.

Meine beiden Arme sind um meinen Bauch geschlungen, dessen Wölbung ich nicht für immer würde verbergen können. Ich wünschte, dass Prom bei mir wäre oder dass ich den Mut aufbringen könnte, ihm zu sagen, was mit mir nicht stimmt. Oder um es besser zu formulieren: dass seit sehr langer Zeit endlich alles mit mir stimmt. Wegen ihm und dem Leben, das in mir wächst und mir zum ersten Mal so etwas wie Hoffnung schenkt.

Ich starre weiterhin nach draußen, warte darauf, dass etwas passiert. Die Sonne geht langsam auf, doch es bilden sich so viele graue Wolken, dass man die Strahlen kaum erkennen kann. Ich frage mich, wann die anderen Bewohner des Palastes erwachen und wann man in Yasars Reich bemerkt, was geschehen ist. Wir haben noch keine Nachricht erhalten, wie der Angriff ausgegangen ist, doch da sich schlechte Neuigkeiten stets rasend schnell verbreiten, gehe ich davon aus, dass niemand ernsthaft verletzt worden ist.

Ich bin müde und meine Augen werden zunehmend schwerer, trotzdem weigere ich mich, zurück in das Zimmer zu gehen, welches mir zugeteilt wurde. Stattdessen stehe ich weiter da, starre stur nach draußen und denke an die einzige Freundin, die ich in der Oberwelt habe.

Meine Überlegungen schweifen noch weiter ab, als ein Grummeln und Donnern ertönt und der Palast unter meinen Füßen erbebt. Das Fensterglas beginnt zu klirren, zersplittert schließlich gänzlich und ich kauere mich auf den Boden, als ein Scherbenregen sich über mich ergießt. Das Knirschen ignorierend richte ich mich halb auf, rutsche auf blutigen Knien zu der klaffenden Öffnung und starre auf das Meer, das nun tobt, und die Wellen, die immer größer werdend auf mich zurasen.

Etwas braut sich zusammen.

Entweder das Ende der Welt oder ein neuer Anfang.

Ich kann die Wassertropfen schon auf meiner Haut spüren, dennoch bin ich wie erstarrt. Leuchtend grüne Augen schieben sich in mein Sichtfeld, ehe mich grauer Nebel einhüllt.

HALE

2 Stunden zuvor

Unruhig wälze ich mich in meinem Bett hin und her. Einerseits fühle ich mich mies, erneut zurückzubleiben und die anderen kämpfen zu lassen, andererseits bin ich froh, dass ich über Phia wachen kann, auch wenn sie in letzter Zeit nicht den Eindruck erweckt, als würde sie meine Gesellschaft schätzen. Sie weigert sich weiterhin, ein Zimmer mit mir zu teilen, und so bin ich in die Räumlichkeiten nebenan gezogen. Die meiste Zeit über rede ich mir erfolgreich ein, dass ich einfach nur Geduld haben muss, dass es eine Weile dauert, bis sie sich an die neuen Umstände gewöhnt hat. Doch mit jedem Tag wird das Sehnen nach ihr stärker und ich weiß nicht, wie lange ich noch warten kann.

Irgendwann gebe ich den Versuch einzuschlafen auf, schlage die verschwitzten Laken beiseite und trete in den Gang hinaus. In einiger Entfernung sehe ich Apates Gestalt vor einem der großen Fenster stehen und aufs Meer hinausstarren. Kurz ziehe ich es in Erwägung, mich zu ihr zu gesellen, doch dann entscheide ich mich dagegen und bringe mich binnen eines Wimpernschlages in den Eingangsbereich. Die Türen sind geöffnet und draußen im Sand entdecke ich Ladons überdimensional großen Körper ruhen. Ich laufe den Korridor bis zu der schmalen Treppe hinab, die in die Küche führt. Es mag seltsam klingen, aber es ist mein liebster Ort im Sandpalast. Meine Angestellten habe ich bereits vor einiger Zeit entlassen und in die Evakuierungslager gebracht, weshalb die Mahlzeiten mittlerweile recht karg ausfallen. Ich schneide mir eine Scheibe Brot ab und schenke mir ein Glas Wasser ein. Mit beidem setze ich mich an den lächerlich langen Tisch und beginne zu essen. Ich kaue und schlucke gelangweilt, bis nichts mehr übrig ist, und lege schließlich meinen Kopf auf meine verschränkten Hände. Was für eine armselige Gestalt haben die letzten Wochen aus mir gemacht? Alles scheint sich nur noch um Phia zu drehen und manchmal habe ich das Gefühl, mich dabei selbst zu verlieren.

Mit ihrem Bild vor Augen muss ich doch noch eingenickt sein, denn ich erwache davon, dass der Boden bebt und Sand von der Decke rieselt. Fluchend komme ich auf die Beine und lande einen Augenblick später in Phias Zimmer. Lavea und sie sind bereits auf den Beinen und ich greife sie an den Armen, bringe uns in Yasars Reich. Wir tauchen neben dem Brunnen im Garten auf und stolpern über wild wuchernde Wurzeln, die beim letzten Besuch noch nicht da gewesen sind. »Verdammt«, knurre ich. »Ich habe Apate vergessen. Prom wird mich umbringen. Lauft rein und informiert die anderen, dass irgendetwas Seltsames passiert«, weise ich die Frauen an, ehe ich erneut verschwinde.

Die Daimonin befindet sich an exakt derselben Stelle, an der ich sie vorhin gesehen habe. Sie kniet vor dem gesprungenen Fenster, unzählige Scherben bedecken ihren Körper, funkeln wie Kristalle in ihrem tiefschwarzen Haar. Sie regt sich nicht, und fast macht es den Eindruck, als würde sie beten. Ich renne auf sie zu, komme schlitternd auf dem knirschenden Glas zum Stehen und wende der riesigen Welle, die in diesem Augenblick auf uns zurast, den Rücken zu. Bevor das Aufschlagen ertönt, hülle ich uns in Nebel und bringe uns fort.

YASAR

10 Minuten zuvor

Ich wollte nicht ruhen, aber schließlich hat True mich doch dazu überredet, ins Bett zu gehen. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus, hatte er gesagt, bevor er mich sanft geküsst hat und dann sofort eingeschlafen ist.

Manchmal wünsche ich mir, ich wäre etwas mehr wie er. Frei. Sorglos. Ich seufze schwer und ziehe ihn noch enger in meine Arme, während ich meine Nase in seinem roten Haar vergrabe.

Wir haben den Angriff überstanden. Doch Ares, Athene und Ziva sind längst über alle Berge. Sie ist meine Schwester, meine Verantwortung und irgendwie fühlt es sich deswegen auch an, als wäre all das Unglück, das sie bereits verursacht hat, allein meine Schuld. Ich habe schon früh gewusst, wer sie ist. Dass sie nicht gut oder gar ehrenhaft ist. Und trotzdem habe ich ihr immer alles durchgehen lassen. Bin schlussendlich sogar vor ihr geflohen, doch sie ist mir bis hierher gefolgt. Mir und Dark, den sie auf eine verdrehte Weise zu lieben scheint.

Mir graust es vor dem, was sie mit Ares gemeinsam vollbringen könnte. Plötzlich hat nicht mehr nur die Erfüllung der Prophezeiung Priorität, sondern auch das Aufhalten des Kriegsgottes.

Ich schlucke angestrengt, als ich an Lost denke. Ich weiß noch nicht, wie wir ihm die neuesten Entwicklungen und die wahre Ursache für Candelas Tod am besten beibringen sollen. Nach dem kurzen Gespräch mit Apollo und Phoibe sind wir alle auf unsere Zimmer gegangen und Dream und Prom sollten mittlerweile auch Aphrodites Asche beseitigt haben. Ersterer hat mich über den Chalcedon-Edelstein informiert, was im Kerker geschehen ist, woraufhin ich ihm den Titanen zur Hilfe geschickt habe.

Flame und Dark sind wohlauf, ebenso die Halbgötter und die Frauen, die mit Hale im Sandpalast geblieben sind. Atlas und die überlebenden Donati habe ich zurück in die Evakuierungslager geschickt, um dort zu wachen. Alles ist so weit geregelt. Und trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl ... Als würde sich etwas zusammenbrauen. Ich versuche in die Zukunft zu blicken, doch da ist nichts. Zurück bleibt einzig und allein ein pochender Kopfschmerz, der gegen meine Schläfen hämmert. Ich fahre mir über mein verschwitztes Gesicht und richte mich vorsichtig - um True nicht zu wecken - auf, als plötzlich eine Druckwelle über mich hinwegjagt und zurück in die Kissen drückt. Jegliche Luft wird aus meiner Lunge gepresst, während mein Palast erbebt.

AMANDA

Gegenwart

Nach Atem ringend fahre ich hoch, stütze mich keuchend auf dem seidigen Laken meines Bettes ab. Eine Welle der Hitze durchfährt mich, ehe mir eiskalt wird. Ich sehe zum Fenster, das unheilverkündend knackt, während Adern aus Frost daran hinaufkriechen und es schließlich zerspringen lassen. Einen Augenblick lang bin ich wie erstarrt, doch dann schnappe ich mir den Dolch, der stets griffbereit neben mir auf der Matratze liegt, und schwinge meine Beine über die Bettkante, laufe barfuß über die kühlen Fliesen. Die Tür fliegt auf, bevor ich sie erreichen kann, und Miriam steht mit Jules und Eros davor.

»Wir müssen hier raus. Sofort«, sagt sie eindringlich, packt mich am Saum meines Shirts und zieht mich mit sich. Gemeinsam rennen wir den Korridor entlang, während wir gleichzeitig den Gemälden ausweichen, die von den Wänden fallen. Eine erneute Druckwelle wirft uns gänzlich zu Boden und eine schwere Skulptur landet mit einem lauten Knall nur wenige Zentimeter entfernt neben meinem Kopf. Ich ramme meinen Dolch in den Teppich, auf dem ich liege, und stütze mich darauf ab, um wieder auf die Beine zu kommen. Die anderen sind mir nun bereits einige Schritte voraus und ich winke Jules unwirsch zu, bedeute ihm, nicht auf mich zu warten, als er sich fragend zu mir umdreht. Im nächsten Moment stolpere ich über den Rahmen eines Gemäldes und knicke schmerzhaft um, während mein Fußgelenk knirscht. Ich presse die Zähne fest zusammen, stütze mich an einer der Säulen ab und warte darauf, dass der Schmerz abebbt. Die anderen sind inzwischen nicht mehr auszumachen und ich verfluche mich dafür, dass ich stets zu eitel bin, um Hilfe anzunehmen.

Ein weiterer Knall ertönt, als rechts von mir ein prunkvoller Kronleuchter herabfällt und ungebremst zu Boden kracht. Goldsplitter fliegen in alle Richtungen, Staubkörnchen wirbeln auf und tanzen durch die Luft. Ich will gerade weiterhumpeln, als ich die zwei Gestalten entdecke, die aus dem dunklen Korridor auf mich zukommen. Dann erkenne ich Dreams amethystfarbene Augen und Prometheus’ honigblondes Haar. Der Gott der Träume schleift den Titanen mehr mit sich, als dass dieser selbst geht. Stirnrunzelnd lasse ich die Säule los und hüpfe den beiden entgegen. Wortlos schlinge ich mir Proms anderen Arm um meine Schulter und gemeinsam bahnen wir uns den Weg durch das Schlachtfeld, das einst ein schöner Palast gewesen ist.

DREAM

5 Minuten zuvor

Der Boden unter mir bewegt sich, benommen blinzelnd öffne ich die Augen. Auf der Zunge schmecke ich Staub und Asche, und als ich erkenne, auf was für einem Haufen ich da mit meiner Wange liege, springe ich auf, während die Übelkeit mich in Wellen überrollt. Ich taumele einige Schritte, ehe ich mich an den kalten Streben abstütze und meinen Mageninhalt entleere. Ich huste, versuche krampfhaft jedes Aschekörnchen, das einst Aphrodite war, aus mir herauszubekommen. Meine Schläfen pulsieren schmerzhaft, und als ich meinen Hinterkopf abtaste, entdecke ich die riesige Beule, die das verursacht hat. Ich werde Lost umbringen.

Mein Blick wandert zu Prom, der immer noch am Boden liegt. An seiner Stirn klebt getrocknetes Blut, doch die Wunde ist längst verheilt. Ich hocke mich neben ihn, schüttele sanft seine Schulter, während der Palast erneut erbebt. Ich hoffe sehr, dass dies kein weiterer Angriff ist. Der Titan gibt ein unverständliches Gemurmel von sich, während seine Lider flattern. Kurzerhand schiebe ich meine Unterarme unter seine Achseln und hieve ihn hoch.

»Du bist schwer, Alter«, murre ich und versuche uns fortzubringen. Mit all meiner verbliebenen Macht rufe ich nach dem Nebel - und nichts geschieht. Verdammt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sein Gewicht halb auf mich zu legen und loszulaufen. Beim Erklimmen der Treppe stößt sein Kopf versehentlich zweimal gegen die Steinwand, was ihn ein wenig wachzurütteln scheint. Er brabbelt erneut etwas, das ich nicht so ganz verstehen kann, versucht aber immerhin, seine Füße zu bewegen und mir zu helfen.