Fliederblütenregen - Margarethe Alb - E-Book

Fliederblütenregen E-Book

Margarethe Alb

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Beschreibung

Syringa ist hoffnungslos verliebt. Und zwar seit mehr als zweihundert Jahren, was selbst für eine Dryade ziemlich verrückt klingt. Denn ihr Angebeteter hat sie vor eben dieser Zeit verlassen, um ohne sie, die durch ihre Natur an die Heimat gebunden ist, durch die Welt zu ziehen. Syri hat sich daran gewöhnt, allein zu sein und den ehrenwerten Wolfsritter Johannes von der Wallenburg einzig aus der Ferne anzuschmachten. Nur die alte Otter Schosch leistet ihr tagtäglich Gesellschaft, da diese sich zwischen den Wurzeln von Syringas heimischem Fliederstrauch angesiedelt hat. Aber im Jahre 1510 kehrt Johannes plötzlich auf die heimische Wallenburg zurück und die Gerüchteküche beginnt zu brodeln. Von einer Braut aus dem fernen Orient berichten die Weiber. Syri trägt es mit Fassung, bis zwei wildfremde Wölfe die so lebenswichtigen Ableger ihres Fliederstrauches zerstören. Als dann noch ihr Strauch an sich zum Sterben verdammt wird, bricht ihre ganze Welt zusammen. Dieses schreckliche Ereignis stellt den Beginn eines orientalischen Abenteuers dar. Dabei erlebt Ihr die Höhen und Tiefen des Dryadentums. Vielleicht. Eventuell. Und außerdem erfahrt Ihr, warum Verwurzeltsein nicht automatisch bedeutet, an einen Ort gebunden zu sein und wieso man vorsichtig damit sein sollte, was man sich wünscht.

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Inhalt

Worum geht es hier eigentlich?

Bevor es los geht

Das Thomasturnier

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Danke!

Es kann nicht schaden

Worum geht es hier eigentlich?

Syringa ist hoffnungslos verliebt.

Und zwar seit mehr als zweihundert Jahren, was selbst für eine Dryade ziemlich verrückt klingt. Denn ihr Angebeteter hat sie vor eben dieser Zeit verlassen, um ohne sie, die durch ihre Natur an die Heimat gebunden ist, durch die Welt zu ziehen. Syri hat sich daran gewöhnt, allein zu sein und den ehrenwerten Wolfsritter Johannes von der Wallenburg einzig aus der Ferne anzuschmachten. Nur die alte Otter Schosch leistet ihr tagtäglich Gesellschaft, da diese sich zwischen den Wurzeln von Syringas heimischem Fliederstrauch angesiedelt hat.

Aber im Jahre 1510 kehrt Johannes plötzlich auf die heimische Wallenburg zurück und die Gerüchteküche beginnt zu brodeln. Von einer Braut aus dem fernen Orient berichten die Weiber. Syri trägt es mit Fassung, bis zwei wildfremde Wölfe die so lebenswichtigen Ableger ihres Fliederstrauches zerstören. Als dann noch ihr Strauch an sich zum Sterben verdammt wird, bricht ihre ganze Welt zusammen.

Dieses schreckliche Ereignis stellt den Beginn eines orientalischen Abenteuers dar. Dabei erlebt Ihr die Höhen und Tiefen des Dryadentums.

Vielleicht. Eventuell.

Und außerdem erfahrt Ihr, warum „Verwurzeltsein“ nicht automatisch bedeutet, an einen Ort gebunden zu sein und wieso man vorsichtig damit sein sollte, was man sich wünscht.

Bevor es los geht

Syringas Geschichte wäre nichts ohne das Thomasturnier, welches ihr vorangestellt worden ist. Dieses findet nach wie vor alljährlich zur Thomasnacht, kurz vor Weihnachten, statt. Also, nur, dass ihr Bescheid wisst, wenn es auch in eurer Gegend einmal knallt und rumpelt.

Die dazugehörige Kurzgeschichte ist für einen Sammelband des Bundesamtes für magische Wesen entstanden, in dessen Diensten auch ich stehe. Daher bedanke ich mich schon einmal bei Carmilla de Winter, welche diese Erzählung für das Amt in liebevoller Kleinarbeit lektoriert hat. Jawohl.

Band 1

Fernweh

Das Thomasturnier

Cernunos verdrehte die Augen mit den schlitzförmigen Pupillen. Seine gespaltene Zunge schnellte aus dem mit spitzen Zähnen bewehrten Maul und er schnupperte.

Die beiden Spitzen dieses empfindlichen Organs erfassten sofort, worauf er hier gestoßen war. Der Gestank war einfach nur als ekelerregend zu bezeichnen. Dämonen. Es gab nur wenige Wesen auf dieser Welt, die einen schrecklicheren Geruch ihr Eigen nennen konnten.

Die gewaltige Otter schüttelte den Kopf.

Seit seiner ziemlich überstürzten Flucht aus seinen heimatlichen Gefilden im Norden verstand er die Welt nicht mehr. Hier war irgendwie alles anders. Die wohlgeordneten Gefüge der magischen Gemeinschaft schienen einfach nicht zu existieren. Oder wann hatte man jemals Flammendämonen mit den Himmelswesen zusammen gesehen? Und Achtung vor einem mächtigen Wesen wie ihm schien auch keiner zu haben, da sie ihn in seinem Felsspalt einfach ignorierten. Was dem Fass den Boden ausschlug, war er doch ein leibhaftiger Gott.

Cernun runzelte die Stirn, als er die Fakten für sich korrigierte. Man hatte ihn zumindest als solchen verehrt.

Hier, in der neuen Heimat, hatte er nichts. Gar nichts.

Nicht einmal den allermickrigsten Anhänger, der sich vor seiner Hoheit verneigen wollte.

Aber der Mangel an Gefolgschaft oder eben Anbetungsbereiten hinderte einen Cernunos noch lange nicht daran sich einzumischen, oder es doch zumindest zu genießen, wenn sich die lokalen Bewohner der Unterwelten gegenseitig an die Gurgeln gingen. Dämonen waren das Übel seiner alten Welt gewesen und warum sollte es hier anders sein? Und wenn sich direkt vor seinen Augen solch ein wahrhaft amüsantes Schauspiel anbahnte, würde er es doch genießen dürfen. Jawohl.

Draußen vor dem Felsspalt, in welchem sich der einsame Exkönig verborgen hielt, standen drei in Schwarz gekleidete Männer und stritten mit einer ganz in unschuldiges Weiß gehüllten Jungfer. Aber vermutlich täuschte die Farbe nur über die wahre Art ihres Wesens hinweg, denn auch sie roch für Cernuns Zunge eindeutig nach Dämonie.

Die Otter rollte sich zusammen, legte den Kopf bequem auf einer der Windungen seines Leibes ab und bereitete sich auf einen gemütlichen Abend vor.

Zu dieser Jahreszeit war es für den Gestaltwandler von Natur aus schwierig, sich schmerzfrei zu bewegen, denn die Kälte machte ihm zu schaffen. Aber ein klein wenig Spaß ließ er sich trotzdem nicht entgehen. Er tastete mit der Spitze seines Schwanzes nach seinem mageren Vorrat an getrockneten Mäusen. Wenn er sich schon dieses Spektakulum ansah, dann brauchte er auch einen kleinen Happen dazu. Etwas zum Knuspern.

Cernun liebte es, Menschen bei ihren Turnieren zuzuschauen. Es war aber auch zu putzig anzusehen, wenn diese sogenannten Ritter sich mit ihren Schwertlein zu schneiden oder den niedlichen Lanzen aufzuspießen versuchten. Am witzigsten fand Cernun allerdings diese Blechkleider, mit welchen die Männer sich zu schützen suchten. Als ob diese zu etwas Nütze wären. Ein gepflegter Schuppenpanzer und ein gut gefüllter Giftzahn waren eindeutig die bessere Wahl, um ein Jahr wie das fast vergangene 1274 zu überleben.

Aber was sich vor seinen Augen abspielte, war etwas so viel Amüsanteres. Ein Dämonenturnier war ihm noch nie untergekommen und Cernun plante, es zu genießen.

Er ließ die trockene Maus von seinem Maul baumeln, indem er sie am Schwanz zwischen den Zähnen hielt, und spähte nach draußen. Die drei dunklen Dämonen waren offenbar kurz davor, der hellen Jungfrau an die Wäsche zu gehen. Also, nicht was „Mann“ denken könnte, nein, sie ballten die Hände zu Fäusten, dass kleine Flammen daraus hervor stoben und knirschten mit den Zähnen.

„Nein, meine Lieben, dieses Jahr lasse ich mich nicht auf euer Spiel ein.“

Einer der Schwarzen, der ganz offensichtlich der Anführer der Gruppe war, trat so dicht vor das Weibsstück, dass sich ihre Nasen fast berührten.

„Du wirst uns nicht die Thomasnacht versauen, Federchen. Glaub nur nicht, dass wir auf eine wie dich angewiesen sind.“

„Und ob ihr das seid.“ Sie schob ihn resolut mit beiden Händen zurück. Dabei ergoss sich ein Schwall Wasser über die drei schwarzen Männer und die Flämmchen an deren Händen erloschen.

„Ohne meine Hilfe seid ihr doch aufgeschmissen. Entweder ich erstelle heuer die Regeln oder das Turnier fällt ins Wasser.“

So ein dämlicher Mist.

Cernun hielt förmlich die Luft an. Wenn es jetzt zu regnen anfangen würde …

Es begann natürlich umgehend zu schütten, als hätte der Donnergott sein Bad ausgegossen. Der mit einer dünnen Schneeschicht überzuckerte, gefrorene Boden verwandelte sich während eines kurzen Lidschlages Cernuns zu einer gefährlich glänzenden Eisbahn.

Der kleine Machtkampf der Dämonen begann ihm, trotz der Kälte, so richtig Freude zu bereiten und er zog, in Erwartung eines gepflegten Blutvergießens, seinen Körper noch einige Windungen enger um sich.

„Damian, du wirst jetzt sofort einen Schritt zurücktreten.“ Limats Augen waren zu Schlitzen zusammengepresst. Sogar dieser dämliche Dämon musste doch begreifen, dass mit ihr momentan kein lustiges Kirschenessen möglich war. Nicht, dass es zu dieser Jahreszeit Kirschen gegeben hätte. Vielleicht einige Kirschblüten in den Stuben der ahnungslosen Menschen, aber sonst waren nur kahle Äste verfügbar. Sie trat einen Schritt nach vorn, bis der Anführer der Schwarzen schief grinste, aber gehorsam zurückwich und sich sogar fast bodentief vor seinem himmlischen Gegenpart verneigte. So gefiel es ihr schon um einiges besser. Die Dämonen des Feuers sollten es nie vergessen, dass sie Limat brauchten, um die Tradition aufrecht zu erhalten. Wenn die federige Dame diese auch nur zu gern abgeschafft hätte. Limat wusste allerdings auch, dass Damian ihre Befindlichkeiten so kurz vor dem Turnier egal waren.

Er würde seinen Wettkampf durchziehen, koste es, was es wolle, galt es doch, seinen Ruf als der Meister aller teilnehmenden Dämonen zu erhalten.

Die weiße Frau sah es ihrem Gegenüber nur zu deutlich an. Damian spürte offensichtlich in seinem Rücken unkontrollierte Hitze aufsteigen. Was wohl bedeutete, dass Ragnan und der riesenhaft groß gewachsene Lohan, seine flammenden Mitstreiter, langsam aber sicher ungeduldig wurden. Limat verkniff sich ein Grinsen und rieb stattdessen geschäftig die Hände gegeneinander. Jeden Augenblick wären die Flammenläufer gargekocht und würden nach ihrer Pfeife tanzen.

Immerhin drohte die längste Nacht des Jahres anzubrechen und noch immer war keine Entscheidung gefallen. Das einzige, was fiel, war der Regen, der gerade alles und jeden mit einer glänzenden Eisschicht überzog. Bei diesem Wetter würde es in einer schlitternden Katastrophe enden, wenn die Spiele begännen. Sie legte den Kopf erwartungsvoll schief, als Damian sich im Nacken kratzte. Ein Rauchkringel stieg auf, wo er die schmutzige Haut mit seiner Kralle verletzt hatte und Limat beschloss, dass ihr Gegenüber soweit war. Sie holte tief Luft und sah ihm in die Augen.

„Lass uns einen Vertrag schließen, Flammenmann.“

Cernun hörte wohl gerade nicht richtig. Dämonen schlossen niemals Verträge mit diesen Himmelswesen. Er richtete sich auf, um ja kein Wort des wundersamen Schauspiels zu verpassen. Damian schob gerade seinen Fingernagel in ein Ohr und versuchte, das Ohrenschmalz herauszukratzen. Sein Mienenspiel wechselte zwischen Resignation und dem Willen, der Weißen zu widerstehen. Der Dämon zuckte zusammen, als die Weiße glockenhell auflachte. Wahrscheinlich schädigte ihr Lachen dessen Gehör nachhaltig. Cernun schüttelte sich jedenfalls mit vom Schmerz verzerrter Miene. Trotzdem konnte er nicht umhin, Limat heimlich zu bewundern, als diese noch näher an den Dämon herantrat und ihm den spitzen Zeigefinger in die Brust bohrte.

„Nimm an, oder vergiss es.“

Offenbar war Damian doch noch in der Lage, zu hören, denn er antwortete ihr prompt.

„Was willst du?“ Damians Knurren ließ Eis von den Ästen der Buche über ihnen rieseln.

„Wenn ich bei eurem sinnfreien Wettkampf den Richter gebe, begleitest du mich zur Hollenacht und trägst mein Gepäck in der Nacht der heiligen Mutter.“

Cernun legte sich in seinem Versteck einige weitere Knabbermäuse in Position. Das versprach ein wunderbares Spektakel ganz nach seinem Geschmack zu werden.

Damian qualmte eindeutig vor Wut.

„Vergiss es.“ Er wandte sich ab und wurde von seinen Mitstreitern doch fest an Ort und Stelle gehalten. Während die gerissene Jungfer ihre Fingerspitzen über das glitzerklare Eis am Stamm der Buche, an welche sie gelehnt stand, streifen ließ, waren die Dämonen fast auf dem Siedepunkt ihres Wesens angekommen.

Gleich würde es geschehen und Cernun zog eine weitere Maus in sein Maul, ohne die Vier aus den Augen zu lassen.

Gleich.

Oh ja, bitte.

Dann ließ er diese enttäuscht fallen.

Die Begleiter des Wortführers schoben ihren Chef mit vereinten Kräften nach vorn und dieser atmete seufzend eine Stichflamme aus.

„Also gut, Limat. Ich werde deine Säcke schleppen. Aber mit der Holle will ich nichts zu tun haben. Niemals.“

„Und ob du das wirst.“

„Nein! Ich. Werde. Mich. Niemals! Auch. Nur. In die. Nähe. Begeben.“

Damian verschränkte die Arme vor der Brust. Einige Ascheflöckchen rieselten zu Boden.

Limat trat nun ihrerseits näher und stützte die Fäuste in ihre schmalen Seiten.

„Und ob du das wirst. Entweder du begleitest mich zur Wilden Jagd oder ich verschwinde hier und jetzt.“

„Vergiss es.“

Cernun verdrehte die Augen. Er konnte nicht zulassen, dass das Spielchen beendet schien, bevor es noch richtig begann. Stöhnend streckte die große Schlange sich in die Länge, kroch aus dem trockenen Felsspalt in die eisesglatte Kälte und wechselte die Gestalt.

„Majestät, verschwindet.“ Limat wedelte mit der Hand und der große, in vergangenen Zeiten sogar als Gott verehrte Herr der Nattern und Ottern rutschte einfach so aus und schlug längelang auf den gefrorenen Boden.

Cernun zischte auf. War es denn noch nicht schrecklich genug, dass er sich in einem Felsspalt zu verstecken gezwungen war?

Das dreckige Kichern der Flammenmänner ließ in ihm eine Hitze aufwallen, die ihm seit dem Tod seiner geliebten Gemahlin nicht mehr untergekommen war. Der Waldboden unter ihm begann sogar abzuschmelzen. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und strich über den kahlen Schädel.

Limat hob warnend eine Hand.

„Haltet den Mund, Cernunos. Ich will hier kein Wort hören, das sowieso nur mit gespaltener Zunge vorgetragen werden würde. Das hier geht nur die Flammendämonie und mich etwas an. An Eurer Stelle würde ich mir einen hübschen netten Natternbau suchen und mich über den Winter zurückziehen.“

Aber da hatte dieses Flatterwesen nicht mit dem Herrn der Nattern gerechnet. Cernun kniff die Augen zu Schlitzen zusammen.

„Wage es nicht …“

„Ihr wagt es besser Eurerseits nicht, wenn Ihr denn plant, hier Euer Nest zu bauen, Cernunos. Ihr seid uns als Zuschauer herzlich willkommen, Schlagenherr, aber mehr auch nicht. Geht und knabbert weiter an Euren Mäusekadavern, aber lasst uns unsere Probleme allein austragen.“

Wider Erwarten empfand Cernun Hochachtung für die Frau, die hier ja offenbar die Vertreterin der Luftdämonie darstellte. Diese sogenannten Engel waren bekannt dafür, sich überall einzumischen. Allerdings kannte man sie auch als überaus mächtige Wesen. Unter deren wunderschöner Haut und dem lieblichen Gebaren steckten ungeahnte magische Kräfte und ein eiserner Wille.

Nun griff sie doch tatsächlich in den hauchzarten Beutel, der von ihrem Gürtel hing und warf ihm eine Maus zu. Und was tat er, den einstmals hoch oben im Nordlande Generationen von Menschen verehrt hatten? Er, der hochgeachtete Cernunos, fing das Tierchen mit dem Mund.

Die Dämonen der Unterwelt und des Himmels kicherten gemeinsam auf.

Echt toll gemacht, gottgleiche Otter.

„Nun, da die Schlange ruhig gestellt scheint, lasst uns weiterverhandeln.“ Damian blies sich auf, dass der Qualm aus seinen Ohren schoss.

Limats Hand gebot Ruhe.

„Lass es mich zusammenfassen. Du, Damian aus dem Blutfels erklärst dich bereit, zur Mutternacht meinen Beutel zu tragen und gemeinsam mit mir aufzutreten, weigerst dich allerdings, an der heiligen Holle Jagd um den Hörselenberg teilzunehmen.“

Damian holte tief Luft und nickte kurz angebunden.

„Das genügt mir aber nicht. Entweder, du reitest mit mir zur Jagd oder ich muss darauf bestehen, dass du mich nicht nur einmal begleitest, wenn ich die Menschen besuche.“ Damian blähte sich zur doppelten Größe auf.

„Vergiss es.“

„Dann vergiss das Turnier.“

Als Cernun endlich die Maus heruntergewürgt hatte, sie erwies sich als größer als gedacht, winkte die Weiße ihn zu sich. Auf ein Fingerschnippen ihrerseits hin erschienen ein Blatt Pergament, Feder und ein großes Tintenfass.

„Cernunos, Ihr übernehmt das Zeugenamt.“

Was blieb ihm schon anderes übrig.

Die Feder kratzte immer wieder auf dem hellen Blatt, als diese, wie von Geisterhand geführt, Zeile um Zeile niederschrieb. Dann endlich beugte sich die dämonische Jungfer darüber und unterschrieb mit schwungvollen Buchstaben, bevor sie die Feder an Damian reichte. Letztendlich war es an Cernun, den Inhalt des Vertrages laut vorzutragen und gegenzuzeichnen.

„Wir, Limat und Damian, vereinbaren vor dem Zeugen Cernunos vom Nordlicht, dass Damian, Dämon aus dem Blutfels, Limat, ihres Zeichens Luftdämon und engelsgleiche Jungfer von himmlischer Geburt,“ Cernun verdrehte die Augen, aber zu seiner großen Verwunderung lachte hier niemand über die Formulierung, „jährlich zur heiligen Mutternacht, der Nacht, in der die Wiedergeburt des Lichtes und die Hoffnung seit Urzeiten und die heilige Christennacht seit Neuestem, gefeiert wird, zur Hand geht und die Rolle des strafenden Begleiters einzunehmen bereit ist. Im Gegenzug verpflichtet sich die lichte, wundervolle Limat, jedes Jahr zur Thomasnacht, der längsten Nacht im Decembrus, die Stellung als Turniermeisterin und Richterin über den Kampf der Feuerdämonie einzunehmen und nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen.

Gezeichnet:

Limat, Damian und Cernunos.“

Cernun schüttelte den Kopf.

Was für ein Vertrag. Den musste man mindestens dreimal lesen, um ihn zur Gänze zu verstehen.

Nachdem er alles den beiden Parteien verlesen hatte, reichten sie sich die Hände. Dampf und stinkender Qualm stiegen gleichzeitig auf, als die Handflächen sich berührten.

„Nun denn, dann lasst uns rasch beginnen.“

Damian rieb sich die Hände und seine Begleiter steckten die Köpfe mit ihm zusammen.

Limat hingegen kam auf Cernun zu und reichte diesem ihre Hand.

„Willkommen am Rynestig, Otternherr. Möge die neue Heimat für Euch ein gutes Land sein.“

Dann löste sie sich in eine feuchte Nebelwolke auf und stieg als Spirale nach oben.

In die Flammendämonen kam Leben. Geschäftig flüsternd entzündeten sie mehrere bereitliegende Holzhaufen und erhellten damit die weitläufige Lichtung.

Der etwas einfältig wirkende Riese, der als der dritte Dämon im Bunde bislang kein einziges Wort gesagt hatte, kam auf den frierenden Cernun zu.

„Setz dich dort zu einem der Feuer, damit dir warm wird, Herr Schlange.“

Cernunos schmunzelte und ließ sich auf einem der bereit liegenden Baumstämme nieder. Es tat wahrhaftig gut, die Füße dicht ans züngelnde Feuer zu halten und sich einmal wieder so richtig durchwärmen zu lassen. Die Dämonen hatten unterdessen begonnen, das Unterholz am Rande der Lichtung abzufackeln und eine Schneise, die nur mit niedrigem Gehölz überwuchert schien, freizuräumen.

Cernun zog die Stirn kraus. Welche Art Turnier planten diese Feuerwerfer? Den üblichen Ritterkämpfen sahen die Vorbereitungen, welche das Trio hier eifrig traf, so überhaupt nicht ähnlich.

Der Schlangenmann stöhnte auf, als er die bevorstehende Ankunft neuer Mitspieler, oder zumindest Gäste, bemerkte. Wo war er hier nur hingeraten? Da die Dämonen sich nicht bei ihren Vorbereitungen stören ließen, schloss Cernun, dass die Neuankömmlinge keine Feinde waren.

Das Getrappel von vorerst nur vier Pfoten und der ekelhafte Gestank, der zu dieser Rasse gehörte, kündigte einen von Wodens pelzigen Verwandten an. Aufgrund dessen Hinweises, dass sein Bruder in der Umgebung der kleinen Stadt am Südhang der Berge heimisch wäre, hatte sich Cernun in diese Richtung gewandt. Der große, aggressive Nordwolf war ihm bei seiner überstürzten Flucht aus den Mooren am Rande des Tagesdunklen Landes behilflich gewesen. Ein außer Kontrolle geratener Mondwolf hatte dort vor einigen Jahren begonnen, Jagd auf alle Wesen der magischen Welt zu machen. Fenrir war es dann auch gewesen, der Cernun von seiner über alles geliebten Tochter Brigid getrennt und gefangen genommen hatte. Nur Woden, der Anführer der angestammten Wolfsritter seiner Heimat, hatte es gewagt, den Schlangenkönig, wie sie ihn nannten, aus seinem Verlies zu schmuggeln und außer Landes zu bringen. Jetzt stand offenbar ein erstes Treffen mit dem hiesigen Rudel auf Cernuns Tagesordnung.

„Otter.“

„Wolf.“

Cernun sah von den Bucheckern auf, die er von einer Hand in die andere gleiten ließ und blickte in goldfarbene Augen. Vor ihm stand ein großgewachsener Mann, der gerade ein dunkelrotes Wams überstreifte. Offensichtlich hatte er sich nur einen Augenblick vorher verwandelt.

„Du siehst Woden gar nicht ähnlich.“ Der Wolfsritter grinste.

„Unser Vater war ein umtriebiger Streuner, verehrter Herr Cernun. Wir sind in den verschiedensten Teilen der Welt zu finden.“ Der Ritter reichte ihm eine Hand. „Ich bin Otto Conrad von der Wallenburg. Derzeit Otto.“

Cernun nickte. Die Langlebigkeit vieler Wesen machte es nicht ganz einfach zu verschleiern, dass sie kaum alterten. Hin und wieder galt es, sich einen anderen Namen oder gar eine neue Heimat zu suchen, wollte man sich in der menschlichen Gesellschaft bewegen.

„Unser teuflisches Flammenheer hast du offenbar schon kennengelernt.“ Conrad, oder besser Otto, schaute den drei Dämonen höchst interessiert zu.

Cernun folgte dem Blick des Wolfsmannes.

„Nimmt das Rudel auch am Turnier teil?“

Otto begann lauthals zu lachen, verschluckte sich gar.

„Wo denkst du hin, Spaltzunge. Wir behalten unsere Köpfe lieber auf den Schultern.“

Welch eigenartige Aussage. Ging es den Dämonen etwa wirklich darum, zu töten? Ein Blutvergießen kurz vor der der Wiedergeburt des Lichtes zu veranstalten?

Otto warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und rang nach Luft. Er hatte die richtigen Schlüsse gezogen und fand Cernuns Gedanken offenbar zum Ersticken lustig.

Dann strich er sich schmunzelnd den Bart glatt.

„Es ist nicht so, wie du denkst. Unser aller Lieblingsdämonen frönen alljährlich in der ersten der Raunächte dem Kegelspiel. Warte einfach ab, dann wirst du schon verstehen, warum das Rudel sich aus diesem Spektakulum herauszuhalten pflegt.“

Cernun schüttelte den Kopf und legte diesen in die Hände. In seiner alten Heimat waren die Dämonen der Flammenebene für ihre allgegenwärtige Zerstörungswut bekannt geworden. Wo immer sie an der Oberfläche auftauchten, hinterließen sie nur Blut, Tränen und immense Zerstörung.

Die Biester existierten außerdem, soweit es bekannt war, allein. Sie waren reinste Einzelgänger. Schon, dass sich an diesem Abend bereits drei von ihnen einträchtig zusammengefunden hatten, grenzte nach Cernuns Erfahrungen an ein gewaltiges Wunder. Und das ebenso, wie es verwunderlich schien, dass der die Lichtung umgebende Wald noch nicht lichterloh brannte.

Während Otto sich genüsslich stöhnend neben Cernun am Feuer niederließ, wandte dieser den Blick nicht von den schwarzen Männern mit den züngelnden Flämmchen an den Händen ab. So ganz geheuer waren sie ihm nach wie vor nicht. Davon abgesehen würde die Hölle zufrieren, bevor er dem dämonischen Pack vertraute.

Cernun wärmte sich die Hände (am Feuer), während das qualmende Trio auch noch die letzten Brombeerranken auf einen großen Haufen schichtete und dann zu graben begann.

Otto streckte währenddessen die Beine aus und machte es sich bequem.

Von fern erklang ein fragendes Heulen. Als ein zweiter und noch ein dritter Ton einstimmten, hob der Graf von der in der Nähe gelegenen Wallenburg das Gesicht zum Himmel und stieß einige klagend klingende Jauler aus.

Prompt antwortete sein Rudel mit einem vielstimmigen Jammergesang. Während Cernun das Grauen abschüttelte, welches die Rufe der Wölfe nach wie vor in ihm erzeugten, flammten über die Lichtung verteilt kleine Feuer auf.

Der Schlangenherr zuckte zusammen. Das Ganze wurde so langsam wirklich absurd. Mindestens zehn weitere Flammenläufer materialisierten nämlich gerade über den Stichflammen der Feuer und wischten sich dann staubfeine Rußflocken von den nachtschwarzen Kleidern. Das folgende flammende Gewusel stellte Cernun die Schuppen auf. So viele von denen hatte er noch niemals auf einem Haufen gesehen. Nicht, dass er überhaupt in der Lage gewesen wäre, sich so etwas auch nur ansatzweise vorzustellen. Aus den Einzelgängern waren offenbar in dieser Nacht Rudeldämonen geworden. Gemeinsam räumten die qualmenden Kerle nun das restliche Unterholz beiseite und gruben eine lange Rille in den Boden. Dabei ließen sie das grobe Strauchwerk einfach unter ihren Händen zu feiner Asche zerfallen.

Bis ein greller Schrei ertönte, welcher von einem lauten Gezeter abgelöst wurde.

Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, schälte sich aus einem Haufen Astwerk und Zweige, die die Feuerläufer unbedacht auf einen wilden Haufen geworfen hatten. Die Kleine baute sich völlig angstfrei und mit in die Seiten gestemmten Fäusten vor einer Gruppe Dämonen auf und begann, diesen eine Strafpredigt zu halten. Cernun nahm sich vor, schnellstens den Dialekt der Gegend zu erlernen, um ja nicht noch einmal ein solches Schauspiel nur halb zu verstehen.

Er neigte den Kopf, um das Mädchen besser betrachten zu können. Ihr fliederfarbenes Kleid war nach der neuesten Mode geschneidert worden und das Haar fiel in einem schweren, geflochtenen Zopf bis zur wohlgeformten Rundung ihres Hinterteils hinab. Unter dem Saum ihrer Röcke schauten zwei zierliche, nackte Füße hervor. Der Duft von erhitztem Flieder hing urplötzlich schwer in der Luft, was Cernun zu der Erkenntnis brachte, dass die dämlichen Dämonen einen Fliederstrauch gefällt und damit den Zorn der dort lebenden Dryade auf sich gezogen hatten. Er zog zischend die Luft ein.

Otto lachte auf.

„Das hätten sie mal lieber lassen sollen, die kleine Syringa hat bekannterweise jede Menge Haare auf den hübschen, blütenweißen Zähnchen.“

Während sich die Dämonen im weiten Kreis um die wütende Baumfrau scharten, erklang vom Rand der Lichtung ein wütendes Heulen. Ein weiterer Wolf sprang mit vollem Schwung zwischen die etwas ratlos wirkenden Feuermänner und trieb die Dämonen mit hochgezogenen Lefzen zurück. Sein Geifer spritzte über die murrenden Flammenläufer, als er voller Elan die vermeintlich hilflose Dryade zu verteidigen suchte.

Cernun wandte den Kopf zu dem Wolfsritter neben ihm, als Otto aufstöhnte und sich die Kleider vom Leib riss. Nur ein Augenzwinkern dauerte es und schon warf sich der gewaltige Wolf auf den, der gerade so eindrucksvoll die Dryade beschützte. Otto sparte sich jegliches Federlesen, erwischte den kleineren Wolf im Nacken und zerrte diesen unter Auferbietung all seiner Kräfte zu dem Feuer, an welchem Cernun sich nach wie vor die Füße wärmte.

Die beiden Körper verschoben sich und Ottos eindrucksvolles Gebiss löste sich aus dem Genick eines jungen Burschen, der ihn wütend anfunkelte.

Aber der Graf ließ sich überhaupt nicht von den Blicken seines Gegenübers beeindrucken. Otto baute sich vor ihm in seiner eindrucksvollen Größe und Gestalt auf.

„Sag mal, bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen?“

Der Jüngere schüttelte sich und starrte Otto stinksauer in die Augen.

„Die haben einfach ihren Baum fällen wollen.“

„Und da wirfst du dich einfach einmal zwischen eine Gruppe Flammendämonen? Sag mal, bist du lebensmüde?“

Bevor der Streit Fahrt aufnehmen konnte, räusperte Cernun sich und ließ seine Zunge kurz über eines seiner Augen gleiten.

Was die Aufmerksamkeit der Wolfsmänner schneller auf ihn brachte, als es jeder Hustenanfall gekonnt hätte. Otto wandte sich seinem Mitwolf ab und verdrehte die Augen.

„Verehrter Herr des Otterngezüchts, darf ich dir meinen offenbar wahnsinnig gewordenen Sohn Johannes von der Wallenburg vorstellen?“

Ebenjener Johannes funkelte seinen Vater nun mit wütenden Blicken an, der ihm seinerseits unsanft den Ellenbogen in die Seite stieß. Johannes spiegelte das schlechte Benehmen seines Vaters, als er genervt die Augen zum Himmel drehte.

„Ist ja schon gut. Willkommen in der Gegend, möge die Mäusejagd immer erfolgreich sein.“

Cernun verdrehte nun ebenfalls die Augen und musste das Schmunzeln, welches in ihm aufzusteigen drohte, unterdrücken. Offenbar färbten schlechte Angewohnheiten rasend schnell ab.

So langsam wurde es hier wirklich lebendig. Cernun bekam Schwierigkeiten, sämtliche Einzelheiten des Geschehens im Blick zu behalten, obwohl er sich doch vorgenommen hatte, das ganze Turnier zu genießen. Hinter der Gruppe erklangen Schritte und Damian schob die zankende und hemmungslos zappelnde Baumfrau in Johannes‘ Arme.

„Sieh zu, dass sie sich beruhigt, Wolf. Ihrem Sträuchlein wird schon nichts geschehen. Könnt es ja umpflanzen, wenn ihr uns nicht traut.“ Die Dryade war in Cernuns Augen, ebenso wie ihr Retter, ihres Lebens überdrüssig, denn sie streckte dem Dämon frech die Zunge heraus. Aber dennoch wich der dunkle Mann zurück, als die Frau leise zu meckern begann.

Wie eine Ziege.

Otto trat entschlossen zwischen die beiden.

„Lasst es bleiben.“ Er hob den Kopf und sah Damian in die Augen. „Achtet gefälligst auf die Bäume der Dryaden. Und ihr, verehrte Bäumlinge,“ er neigte sich der in violett gekleideten Jungfer zu, „Lasst sie spielen. Soweit ich informiert bin, ist Limat die Richterin. Sie würde niemals einen eurer Bäume zu Schaden kommen lassen.“

Die vom Feuer ausgehende Wärme hatte Cernun endlich einmal wieder völlig auftauen lassen und erstmals seit sehr langer Zeit keimte Hoffnung in ihm auf. Vielleicht würde er sich hier doch schneller heimisch fühlen, als er noch Stunden vorher geglaubt hatte. Die Gemeinschaft mit ihren so verschiedenen Wesen, den Streitereien und der unübersehbaren Zuneigung zueinander gefielen ihm. Es war ungewohnt, solch eine Mischung der magischen Welt auf einem Platz zu beobachten, vor allem, wenn sie sich nicht die Köpfe einschlugen, aber es sagte ihm wahrhaftig zu.

Im verbliebenen Unterholz, welches die Lichtung umrandete, entstand mit einem Schlag Unruhe. Äste knackten, einige müde krächzende Vögel flatterten aus ihren Schlafplätzen auf und drehten einige Runden über die Lichtung. Zwei Frauen, die eindeutig miteinander verwandt waren, traten heraus und nahmen die Dryade, nachdem sie sich blitzschnell einen Überblick verschafft hatten, in ihre Mitte.

„Lass die Kindsköpfe doch einfach ihr dämliches Spiel veranstalten, Syringa. Wir werden uns jetzt hier am Feuer niederlassen und den Abend genießen. Immerhin finden die Spiele der Thomasnacht nur einmal im Jahr statt. Wir werden uns nicht von solch kleinlichen Streitereien die Laune verderben lassen.”

„Außerdem freue ich mich schon seit Wochen auf die sinnlosen Kegelspiele der Flammenwerfer. Sie sind einer der Gründe, weshalb ich mich überhaupt auf dem Weg hier hoch in diese Kälte mache.” Otto fuhr herum. „Ich dachte, du kommst meinetwegen zu uns, liebe Schwägerin?”

Die so Angesprochene schnaubte.

„Deinetwegen würde ich mein geliebtes Nest niemals verlassen, du alter Grammelwolf.“ Sie schlug den Grafen liebevoll, aber ziemlich kräftig, auf die Schulter. Dieser wirbelte herum und umarmte sie mit einem starken Griff, der gewiss jedem normalen Menschen alle Knochen gebrochen hätte.

„Schön dich zu sehen, Amalia. Wie war die Reise?”

Diese zuckte nur mit den Schultern. „Kalt war sie und nass. Ich frage mich alle Jahre wieder, warum ich mir das überhaupt antue. Eigentlich könntet ihr doch auch zu mir kommen. In unserem bequemen Geierhorst ist es allemal wärmer und angenehmer als hier.“

Cernun entfuhr ein zischendes Kichern, als Otto aufstöhnte. Allein beim Gedanken an diese eigenartige Behausung schien dem Wolfsmann ein eiskalter Schauer den Rücken hinabzulaufen. „Du willst es doch gar nicht anders, Schwägerin. Eigentlich möchtest du doch jedes Jahr zu uns kommen. Erzähl mir nicht, dass es dir dort oben zwischen den Felsen besser gefällt als hier.” Amalia hob den Kopf und betrachtete Otto, der anscheinend der Gemahl ihrer Schwester war, langsam von den Haarspitzen bis zu den Stiefeln.

„Du fürchtest ja nur die Höhe unseres Hauses und neidest mir die Flügel meines Gemahls.” Die Frau neben Amalia lachte auf. Ihre lebenslustigen Augen blitzten schalkhaft auf.

„Eher fürchtet mein Gatte die Anwesenheit deines Elfen, denn deren Kräfte waren ihm schon immer suspekt. Und vermutlich hat er einfach nur Angst davor, dass die weiche Art deines Ehemannes auf ihn abfärben könnte. Das würde seinen vermeintlichen Ruf des knallharten Ritters von der Wallenburg schädigen.“

Amalia lachte glockenhell auf.

„Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es ihm die Herzen aller weiblichen Geschöpfe einbringen. Aber dann wären im Handumdrehen sämtliche Kerle der weiteren Umgebung schneller hinter ihm her, als er auch nur deinen Namen ausrufen könnte.”

Otto fuhr auf seinem Platz herum und rieb sich offensichtlich genervt über das bärtige Antlitz.

„Ihr wisst schon, dass ich euch hören kann?”

Die Frauen begannen zu kichern.

Cernun hingegen stellten sich die Schuppen, ups, die Haare auf der Haut auf.

Sträubten sich.

Was er da soeben vernommen hatte, konnte einfach nicht wahr sein. Sein gesamtes Weltbild fiel gerade in sich zusammen.

Eine Mondwölfin war mit einem Elfen liiert? Derartige Mischehen und die daraus folgenden Kinder waren im Norden verpönt.

Schlimmer noch, jene, welche sich nicht an dieses unausgesprochene Gesetz hielten, wurden gnadenlos verfolgt. Sogar hinter den Wesen, die es wagten, sich mit Menschen zusammenzutun, war die Gemeinschaft konsequent her gewesen. Je häufiger die Magie der anderen Welt sich in die Städte und Dörfer schlich, umso größer war ja wohl die Gefahr der Entdeckung. Und was da herauskam, wusste doch seit kürzerer Zeit jedes Kind. Cernun dachte dabei nur an die seit Jahren immer wieder aufkommenden Hexenjagden und die allzu häufig lodernden Scheiterhaufen, auf denen Unmengen unschuldiger Menschenfrauen verbrannten.

Cernun fuhr aus seinen unseligen Gedanken auf, als er bemerkte, dass er angesprochen worden war. Die beiden Frauen sahen ihn mit fragenden Blicken an. Irgendwie hatte er etwas verpasst. Otto verdrehte die Augen und wies auf ihn. „Da es dem Herrn offenbar die Sprache verschlagen hat, übernehme ich hier. Meine Damen, das ist Cernunos, ein Schlangenherr aus dem Nordland, ein Bekannter Wodens.“

Flink verneigte sich Cernun und Otto deutete nun auf die beiden Damen. „Dies, verehrter Schlangenherr, sind meine Gemahlin Elisabeth und deren holde Schwester Amalia.“ Bei der Vorstellung Amalias troff die Stimme des Wolfsritters nur so vor Sarkasmus. Ein Liebespaar würden die beiden wohl niemals werden.

Cernun schaute sich um und stellte fest, dass die flammenden Männer sich nun wohl zum Wettkampf bereit machten. Die Schar der Frauen am Feuer war nun wahrhaftig eine solche. Die schmächtige Dryade saß zwischen den Wölfinnen, zu denen sich eine weitere ihrer Art gesellt hatte. Auch die engelsgleiche Limat hatte sich bei ihnen niedergelassen und ein fröhliches Geschnatter setzte ein.

Die Weiber schienen einander weltweit sehr ähnlich in ihrer Art beschaffen zu sein.

An einem weiteren Feuer nebenan streckte offenbar das halbe Rudel des Grafen die Füße der Wärme der Flammen entgegen.

Becher, aus denen es verdächtig nach mit Honig gesüßtem Wein duftete, wanderten von Hand zu Hand. Die Zuschauer bereiteten sich ganz offensichtlich auf ein amüsantes Spektakel vor.

Limat hatte sich inzwischen erhoben und schwebte einige Meter über ihnen in der Luft.

Als sie zu sprechen begann, schien diese zu vibrieren.

„Verfluchte Mitglieder der Gilde der Dämonen, verehrte Gäste, seid willkommen zum traditionellen Turnier der heiligen Thomasnacht. Diese erste der Raunächte ist seit Urzeiten der kommenden Wiederkehr des Lichtes geweiht und ihr wird gehuldigt durch die Spiele des Lichtes in der Dunkelheit und dem Sterben mitsamt der Wiedervereinigung der Körper.“

Cernun züngelte über seine Ohren.

Wie bitte? Wovon redete die da?

„Lasst die Köpfe rollen und das Turnier beginnen! Möge der beste Werfer auch ein Meister der Suche sein!“

Nochmal. Wie bitte?

Schneller als die Schlange schauen konnte, stellten sich die Dämonen einer Reihe auf und rissen sich nacheinander mit einer blitzschnellen Bewegung die Schädel von den Körpern.

Cernun fiel förmlich der Unterkiefer hinab und hakte sich sogar ganz nach Schlangenart aus.

Was taten die da?

War das etwa ein Selbstmordkommando?

Feierte man hier die Thomasnacht, indem man die Flammendämonen opferte?

So etwas hatte er noch nie erlebt und dabei hatte Cernun in seinem fast tausendjährigen Leben schon viel gesehen. Diese eigenartige Veranstaltung schien nicht von dieser Welt zu sein. Jedenfalls hätte er sich so etwas bislang nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorstellen können.

Der geschockte Ottermann erhob sich von seinem Platz am Feuer, um genauer sehen zu können.

Der erste Dämon trat gerade in diesem Augenblick nach vorn und schleuderte seinen Kopf mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft in die Schneise, welche die Flammenläufer zuvor geschlagen hatten.

Der feurige Kopf rollte, unzählige Funken sprühend, über den Waldboden und Cernun verstand mit einem Schlag, warum die junge Dryade solch ein Theater veranstaltet hatte.

Syringas Fliederbaum befand sich nämlich direkt neben dem Pfad, den der glimmende Kopf in den Boden der freigeräumten Schneise gebrannt hatte.

Die von ihren Hälsen getrennten Köpfe in den Händen der Feuerläufer johlten auf, als der nun völlig kopflose Dämon lostorkelte und sich offenbar auf die Suche nach seiner verschollenen Denkrübe begab.

Als könne er sein Haupt im Dunkel spüren, begab der Dämon sich zielgerichtet auf den Weg durch die Schneise und verschwand im Dunkel der Thomasnacht.

Cernun hielt, wie alle anderen Zuschauer offenbar auch, vor Anspannung die Luft an.

Nur wenige Augenblicke später leuchtete ein Feuerschein durch die Nacht und blieb, wie eine kleine Sonne strahlend, über den Baumwipfeln stehen.

Limat erhob sich einige Meter weiter in die Luft bekannte dann lautstark, dass der Kämpfer seinen Kopf eine halbe Meile weit gestoßen und auch direkt und selbstständig wiedergefunden habe.

Beifall brandete auf, als der Feuerläufer wieder auf der Lichtung auftauchte und die funkensprühende Faust, in welcher er noch seinen grinsenden Schädel am Haarschopf gepackt hielt, in die Luft stieß.

Sogar die vor so kurzer Zeit noch verängstigte und sauer gelaunte Syringa ließ sich von der Stimmung anstecken und jubelte mit den Wölfen.

Und den Dämonen.

Cernun musste sich ein Schmunzeln verkneifen, als er beobachtete, wie der schmächtige Johannes Syringa mit hochrotem Kopf und scheuem Blick einen Becher Met reichte.

Und daraufhin prompt von einem weiteren Jungwolf gnadenlos aufgezogen wurde.

Wenn man den Neckereien folgte, war klar, dass es sich bei besagtem Wolfsburschen um Johannes’ Bruder handeln musste. Während die Flammenmänner weiterhin fröhlich ihrem makabren Spiel frönten, beobachtete Cernun viel lieber das sich anbahnende Liebesglück der jungen Leute.

Wenn dieses auch niemals eine Chance bekommen würde, zu erblühen. Immerhin handelte es sich bei dem Pärchen um Wesen verschiedener Arten. Für ihn schien es unvorstellbar, dass eine solche Beziehung von irgendeiner Gesellschaft gebilligt werden würde, aber was wusste er schon. Diese Gruppe magischer Wesen war so anders als er es gewohnt war.

Plötzlich wallten laute Rufe auf.

Das Pärchen fuhr auseinander und im selben Augenblick erschnüffelte Cernuns Zunge Qualm. Nassen, stinkenden Qualm, wie er nur von ebenso nassem, lebendem Holz erzeugt werden konnte.

Er hatte es gewusst.

Dieses bescheuerte Turnier würde ihrer aller Ende sein. Cernun sprang auf und machte sich bereit zu flüchten. Auch die meisten anderen Wesen waren inzwischen aufgesprungen und alle redeten und liefen wild durcheinander.

Ein schriller Pfiff ließ die gesamte Gesellschaft innehalten. Dem ehemaligen König der Ottern fiel zeitgleich der Unterkiefer herab und renkte sich zum zweiten Mal an diesem denkwürdigen Abend aus.

Mist. Der Ton, den die Weiße ausgestoßen hatte, tat seinen empfindsamen Schlangenohren weh, zugleich schien sein Hirn auszusetzen. Denn Cernun war sich nicht sicher, ob er seinen Augen trauen durfte.

Die weiße Limat schien nämlich zu pupsen und unter ihr erschien eine zügig dicker werdende, graue Wolke.

Halb auf dieser liegend, schoss die Luftdämonin, begleitet von einem weithin hallenden Donnerschlag, voran und direkt auf den aufsteigenden Qualm zu.

Dort angekommen begann sie, eine lautstarke Beschwörung zu singen. Fremdartige Laute, die sich in den Köpfen aller Zuhörer in das klangvolle Rauschen dicker Regentropfen verwandelten.

Cernun schüttelte das Haupt und leckte sich ungläubig über die Augen, als sich ein wahrhaftiger Sturzregen über die inzwischen lichterloh wie Fackeln brennenden Bäumen ergoss.

Die Dämonen hatten den Übeltäter in ihre Mitte genommen und schienen ihn in den vielfältigsten Sprachen der Unterwelt zu verfluchen oder vielleicht sogar zu verspotten. Bei den Feuerläufern ließ sich das niemals so einfach sagen.

Der Regenschauer ließ nach und versiegte, als die Wolke unter Limats Hinterteil zu einem zarten Hauch Dunst zusammengeschrumpft war.

Dafür begann der eisige Wind, die Tropfen, die an den durchweichten Zweigen hingen, zu glitzernden Eiszapfen heranwachsen zu lassen.

„Schaut nur.“ Syringas Seufzer kam offenbar aus tiefstem Herzen und ließ die versammelten Wesen schmunzeln.

Die Dryade hielt die kleinen, eleganten Hände vor den niedlichen Rosenknospenmund gepresst und betrachtete mit verzückten Blicken das glänzende Schauspiel. Vor allem, da sich die Funken und Flammenspitzen der Dämonen immer wieder blitzend in den Eiskunstwerken spiegelten. Cernun musste ihr widerwillig zustimmen, denn das Spiel aus Licht und Schatten, welches die zahlreichen Eiskristalle zum Leben erweckte, ließ sogar ihn in eine festliche, weihnachtliche Stimmung geraten.

Das warme Funkeln erinnerte ihn an die Festtage in seiner ehemaligen Heimat, wo dieses Jahr Cernuns geliebte Tochter ohne ihn die heiligen Feiern des wiederkehrenden Lichtes begehen würde. Melancholie mischte sich in die Erhabenheit des Augenblickes, als Brigids Antlitz vor seinem inneren Auge auftauchte und ihm traurig zuzwinkerte. Er hatte ihr hoch und heilig versprochen, sie nachzuholen, wenn er eine neue, sichere Heimat gefunden hätte. Cernun holte tief Luft und hoffte, bald am Ziel seines Weges angelangt zu sein. Noch ein Jahr ohne sie würde er vermutlich nicht überstehen.

Das Fluchen der Dämonen verstummte endlich und Ruhe kehrte ein.

Cernun schaute sich um. Sämtliche Wettkämpfer waren in der Betrachtung der Schönheit, die die Lichtung nun umschloss, versunken. Sogar die Sterne funkelten mit den Eiszapfen um die Wette. Einzig der Anblick eines Dämons passte nicht in das vorherrschende Bild. Der Flammenläufer namens Ragnan, welcher den Waldbrand verursacht hatte, stand kopflos mit hängenden Schultern zwischen seinen Mitstreitern. Aus dem oben offenen Hals stieg in sanften Kringeln Qualm auf und er strich sich immer wieder über den Stumpf. Ansonsten schien ihn der Verlust seines Hauptes nicht weiter zu stören.

„Das passiert ihm ständig.“ Elisabeth, Ottos Gemahlin, hatte sich neben Cernun niedergelassen und die Worte gleich darauf grinsend in sein Ohr geflüstert.

Limat stieß, wohl unempfänglich für die andächtigen Schwingungen, einen weiteren Pfiff aus und zerstörte damit die Stimmung.

Die Dämonen verschwanden darauf hin in kleinen Gruppen im Wald und kamen kurze Zeit später mit einem beschämt dreinschauenden Kopf wieder. Nur noch einige wenige Köpfe wurden im Anschluss geschleudert.

Elisabeth erbarmte sich und erklärte Cernun mit leisen Worten die Regeln des Turniers. „Sie schleudern ihre Köpfe und versuchen, mit blinden Körpern und sehenden Häuptern vorher festgelegte Ziele zu treffen. Kennt Ihr das Kegelspiel?“

Cernun nickte.

„Genauso müsst Ihr Euch das vorstellen. Sie spielen es jedes Jahr zur Thomasnacht und feiern so die Dunkelheit. Es ist die längste und damit ihre Nacht. Während wir uns an Thomas versammeln, dem baldigen Licht zu huldigen, sind die Flammendämonen eben auf die Dunkelheit der Nacht der Nächte fixiert. Einzig die Allerheiligennacht hat für sie eine ähnliche Bedeutung.“

„Und ihr feiert diese gemeinsam? Also, die Thomasnacht? Trotz der so unterschiedlichen Ansichten?“

Elisabeth zuckte mit den Achseln. „Uns ist jeder Grund recht, ein zünftiges Gelage zu veranstalten.“

Cernun blickte sich um. Er verstand eindeutig etwas anderes unter diesem Begriff. Zwar tranken vor allem die Wolfsmänner kräftige Schlucke aus ihren Bechern, aber es gab weder Braten noch Früchte noch sonst etwas zu essen. Im Grunde genommen saßen die Zuschauer einfach nur an den Feuern und wärmten sich, während sie kopflose Dämonen beobachteten.

Die Wolfsfrau schien seine Gedanken gelesen zu haben, denn sie lachte glucksend auf.

„Wartet’s einfach mal ab, Hoheit. Habt Geduld. Das wahre Fest beginnt erst, wenn das kleine Volk zu uns gestoßen sein wird.“

Was wohl im gleichen Augenblick geschah, denn am Rand der Lichtung brach ein lautes Getöse los und eine große Gruppe Neuankömmlinge strömte an die Feuer. Gleichzeitig wallte ein wahrhaftiger Strom an Düften und Gerüchen über die große Lichtung. Aber egal, wohin Cernun schaute, den Ursprung der köstlichen Düfte konnte er nirgendwo entdecken. Statt sich auf ein Festmahl vorzubereiten, strömten alle Anwesenden nun in die Mitte des Platzes und versammelten sich um Limat, welche inzwischen nur noch einige Hand breit über dem Boden schwebte.

Ihre Stimme rief die Schar der Feierlustigen zur Ruhe und begann, die Dämonen nacheinander aufzurufen. Offenbar stand die Ehrung der Sieger ins Haus. Den feierlichen Mienen der Anwesenden nach zu urteilen, war dies eine wirklich bedeutende Handlung. Sobald die Luftdämonin alle Feuermänner ausgerufen hatte, bildeten diese einen großen Kreis. Wieder wurden teilweise fast unaussprechliche Namen verkündet und die Träger derselben traten in die Mitte. Limat griff mehrfach in die Luft und ließ von oben verschieden große Siegerkränze über die Köpfe der siegreichen Feuerläufer gleiten. Einzig der bemitleidenswerte Ragnan wurde von seinem Kranz verfehlt. Entschuldigend musste allerdings gesagt werden, dass er ja nach wie vor keinen Kopf auf seinen Schultern hatte. Obwohl dieser gefunden war, hatten seine Kollegen ihm diesen noch nicht wieder übereignet. Offenbar sollte das seine Strafe für das Entzünden des Waldes sein.

Mit lauter Stimme rief Limat zu guter Letzt Damian, den Dämon mit der großen Klappe, zum Sieger des Turniers aus. Dabei betonte sie mehrfach, denn ein böser Blick des Flammenwerfers hatte sie getroffen, dass er die Wettkämpfe zum 100ten mal infolge siegreich beendet hätte.

Dann war es endlich soweit. Zahlreiche Kessel mit stark duftendem Inhalt wurden gebracht und die inzwischen zahlreich anwesenden kleinen Leute trugen gewaltige Platten gebratenen und gedünsteten Fleisches auf den Platz.

Sogar mehrere Schweine, die bereits auf Spieße gezogen waren, wurden über den Feuern platziert.

Im Handumdrehen war eine gewaltige Völlerei im Gange.

Diese erste der Raunächte des Winters wurde ab diesem Augenblick geprägt von einer feuchtfröhlichen Feier der versammelten magischen Wesen. Über die Grenzen ihrer Arten hinweg feierten sie doch gemeinsam, scherzten, sangen und hatten offensichtlich den Spaß ihres Daseins. Ohne auch nur mit den Wimpern zu zucken, hatte die Gemeinschaft auch Cernun in ihre Mitte aufgenommen und man versorgte ihn nicht minder gut mit allem, was das Herz begehrte. Die ständig um die Feuer kreisenden Krüge mit gewürztem Wein, Bier oder gar Branntwein wurden auch dem Neuen wie selbstverständlich gereicht.

Und dann waren sie urplötzlich da.

Als wären sie dem Boden entstiegen.

Eine, sogar für Cernuns Erfahrung, riesige Gruppe an Schlangenmenschen verteilte sich um die Feuer und reichte Platten mit gebratenen Mäusen, Fröschen und allerlei otterntypischen Leckereien herum. Als gehöre er schon ewig dazu, wurde Cernun direkt in ihren Kreis aufgenommen und in die gezischten Gespräche eingebunden. Niemand fragte ihn, woher er kam oder warum es ihn gerade ins Schmalkaldische unterhalb des Rynestigs verschlagen hätte. Man akzeptierte, dass er da war und setzte voraus, dass er die Gruppe zum Sumpf an der Quelle vor den Toren der Stadt begleiten würde, wo sich die heimischen Gänge der Ottern befanden.

Niemals hätte der gestürzte König des Otterngeschlechtes aus dem hohen Nordland geglaubt, sein ganz persönliches Wunder gerade in der längsten Nacht zu erfahren. Und nicht nur er erfuhr es. Als die ersten Sterne verblassten, hielt der Wolfsbursche Johannes die zarte Dryade wärmend im Arm.

1

1510

Ach du heiliges Blütenköpfchen.“

Ich blickte an mir herab und erstarrte. Ausgerechnet in diesem, von Flecken übersätem Kleid geschah es. Konnte nicht ein einziges Mal etwas genau so funktionieren, wie in meinen Träumen? Ich verdrehte die Augen und unterdrückte ein entsetztes Stöhnen.

Das war ja einmal wieder so typisch Syringa. Sah ich doch glatt aus wie einer der ungepflegtesten Waldschrate, die man je gesehen hatte. Und das tat ich natürlich ganz genau in dem Augenblick, wo mir mein Traummann begegnete. Wobei die Frage, ob es nicht eigentlich mein Albtraummann war, noch nicht so ganz geklärt war.

Groß und überaus gut aussehend, stand er nun also direkt vor mir. Und übersah mich total.

Er schien mich nach den vergangenen beiden Jahrhunderten einfach nicht mehr zu erkennen.

Und dass, obwohl ich mein Haar genau auf dieselbe Art aufgeflochten hatte, wie ich es gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts schon getan hatte. Obwohl die Mode derzeit etwas anderes diktierte, konnte ich mich nach wie vor nicht überwinden, etwas an der Art meiner Frisur zu verändern, denn ihm hatte genau dieses Flechtwerk mit den winzigen, eingesteckten Blüten immer so sehr gefallen.

Aber offenbar stieß ihn mein verschmutztes Äußeres so sehr ab, dass er es überhaupt nicht für notwendig erachtete, überhaupt einen zweiten Blick auf die dreckige Syringa zu werfen.

Es war ja nicht so, dass wir uns in den letzten Jahrhunderten nicht hin und wieder über den Weg gelaufen wären. Allerdings hatten wir darauf geachtet, uns dabei nicht allzu nah zu kommen. Eher gesagt war ich beflissen gewesen, mich zu verbergen, wenn er denn einmal nach Hause gekommen war. Ich hatte mich dann darauf beschränkt, ihn nur aus der Ferne anzuhimmeln. Obwohl es für mein Seelenleben vermutlich die beste Lösung gewesen war, ihm fernzubleiben, war es doch nicht ganz freiwillig geschehen. Hatte ich damals doch nur in der Nähe der Wallenburg bleiben dürfen, als ich versprochen hatte, mich von ihm fernzuhalten.

Mischehen verschiedener Wesen gegenüber war die magische Gesellschaft nun einmal sehr skeptisch. Zwar gab es immer wieder einmal Paare, die sich zueinander bekannten und gemeinsam durch die Jahrhunderte zogen, aber diese hatten es nicht immer leicht. Diese konnten sich oft nur unter großen Schwierigkeiten in einer Gemeinschaft behaupten. Und wenn der Sohn des Rudelführers eine solche Torheit begangen hätte, wäre das ganze Rudel in Gefahr geraten.

Vermutlich.

Eine Beziehung zwischen Wolf und Dryade kann daher überhaupt nicht in die Tüte.

Das meinte zumindest der allzeit gestrenge Anführer des hiesigen Rudels, Graf Conrad, seines Zeichens Vater meines ehemaligen Geliebten.

Zu der Zeit als das mit seinem Sohn und mir begann, ließ dieser sich allerdings gerade mit seinem Zweitnamen Otto rufen. Ich verdrehte innerlich die Augen. Es schien völlig gleich, ob er Otto oder Conrad war, sein Junge sollte gefälligst eine gestandene Mondwölfin ehelichen. Und eben keinen flatterhaften Fliederstrauch. Conrad Otto tauschte zwar in schöner Regelmäßigkeit seine Namen, aber eben nicht die Ansichten.

Es ist bis heute ein Problem, welches alle jene Wesen haben, die länger leben als die Menschen um sie herum.

Um ihre wahre Natur zu verbergen, wechselten daher seit je her alle, die über eine längere Lebensspanne verfügten, regelmäßig ihre Vornamen. Nur so waren sie in der Lage, sich gefahrlos in der Gesellschaft der einfachen Menschen zu bewegen. Einzig Ottos Sohn Johannes und der glatzköpfige Anführer des lokalen Clans der Ottern, widerstanden trotz aller Widrigkeiten, welche eine solche Sturheit nach sich zog, über mehrere Jahrhunderte dieser Notwendigkeit. Cernun der Schlangenmensch, der vor ewig langer Zeit sogar einmal als Gott verehrt worden war, hätte nie im Leben auf seinen angestammten Namen verzichtet, egal was kam.

Und Johannes hatte es ja bekannterweise vorgezogen, das Land zu verlassen. Natürlich war er hin und wieder nach Hause zurückgekehrt, aber niemals für eine längere Zeit. Anfangs war er noch zu jeder Thomasnacht und dem folgenden Weihnachtsfest zurück auf die heimische Wallenburg gereist, aber im Laufe der Zeit wurden seine Besuche immer seltener.

Zuletzt hatte ich ihn aus der Ferne bewundert, als er einige Monate gemeinsam mit seinem Bruder Clemens durch die heimatlichen Wälder streifte. Die Geschwister schienen viel Spaß gehabt zu haben, es war zum Kaputtlachen gewesen, die Beiden zu beobachten. Die beiden hatten nur Blödsinn gemacht und waren sogar zu Strafarbeiten verdonnert worden. Ihr Vater hatte sie doch glatt als Begleitritter für eine rein menschliche Kaufmannskolonne eingesetzt. Was genau während dieser Mission schief gelaufen war, hatte mir keiner so genau verraten. Einzig Limat war es gewesen, die hin und wieder einige rätselhafte Andeutungen gemacht hatte. Aber diese waren zu meinem Leidwesen sehr wage geblieben. Irgendetwas war geschehen, dass sogar ihr wohlgeordnetes Dasein in ein Chaos gestürzt hatte.

Mir hatte es nämlich zu denken gegeben, dass Limat sogar mir verboten hatte, sie zu besuchen. Während wir früher immer wieder einige entspannte, fröhliche Tage in ihrem wolkigen Reich verbracht hatten, kam ich seit der missglückten Begleitung der Kaufleute nicht mehr weiter als bis zur großen Regenbogenbrücke.

Nun war er also wieder da. Das Gesinde der Burg murmelte, Johannes sein einzig aus dem Grunde gekommen, die Familie über seine anstehende Vermählung zu informieren. Angeblich wollte er eine rassige Schönheit aus einem Rudel des weit entfernten Ostens freien.

Eine Wüstenwölfin hätte sein Herz erobert, sagten sie. Die Küchenmagd behauptete sogar gehört zu haben, dass die Beiden bereits heimlich still und leise einige kleine Welpen in die Welt gesetzt hätten, welche nun auf die Rückkehr des Vaters warteten. Somit war er für immer für mich verloren und Conrad bekam seine standesgemäße Schwiegertochter.

In meine traurigen Gedanken versunken, wischte ich die Hände an der Schürze ab und blickte an mir herunter. Es war beileibe kein Wunder, dass er mich übersehen hatte. Während Johannes auf das feinste herausgeputzt und stolz erhobenen Hauptes vorbeigeritten war, stand ich mitten im Matsch und war von Kopf bis zu den Zehenspitzen vom allgegenwärtigen Schmutz besudelt. Vermutlich hatten sich die Spritzer des nassen Lehmbodens sogar bis in mein Antlitz verirrt. Sollten die Gerüchte allerdings stimmen, wäre es auch besser so. Johannes hätte dann auch keinerlei Grund gehabt, sich mit einer Dryade abzugeben.

Und solch einer schmutzigen erst recht nicht. Seine Partnerin trug vermutlich nur die feinsten Stoffe und pflegte ihre Hände mit duftenden Essenzen. Meine Haut dagegen war rissig, unter den Nägeln hing Dreck. Ich seufzte und wand mich wieder meiner Arbeit zu. Das war wichtiger, als hinter einer ohnehin verlorenen Liebe her zu schauen.

Kaum war der edle Herr zwischen den Stämmen der großen Buchenbäume verschwunden, kündigte das Getrappel von mindestens acht Pfoten weitere wölfische Neuankömmlinge an. Ich stöhnte genervt auf, als zwei hellbraun gefleckte Wölfe schlitternd direkt vor mir zum Stehen kamen. Den Zeichnungen ihrer Pelze nach, waren die beiden verwandt. Da der hinten laufende Wolf um einiges größer als der forsch vornweg springende war, vermutete ich, dass es sich um Vater und Sohn handelte. Die beiden begannen umgehend, mich mit ihrem unverständlichen Kauderwelsch zuzujaulen. Zumindest übersahen sie mich nicht. Ich runzelte die Stirn. Aus deren fürchterlichem Dialekt wurde die hellste Dryade nicht schlau.

„Was wollt ihr?“

„Jau.“

Toll. Ich verdrehte die Augen zum Himmel. Die Wölfe schüttelten sich kurz und ließen sich, inmitten der Schlammpfütze direkt vor mir, nieder.

So viel dazu, dass ich eigentlich damit beschäftigt gewesen war, neue Setzlinge meines Fliederstrauches, in den Boden zu drücken. Immerhin war mein Wohnstrauch bereits mehr als zweihundert Jahre alt und damit bereits als uralter Flieder zu betrachten und würde vermutlich nicht mehr allzu lange durchhalten. Irgendwie hatte sich das Schicksal gegen mich verschworen. Ich warf den beiden Wölfen strenge Blicke zu und ein Keuchen entkam meinem Mund.

Das durfte doch nicht wahr sein.

Dieser halbstarke Wolf spielte mit seinem Leben, rollte der dämliche Hund sich doch gerade übermütig auf den Rücken, damit ich, die uralte Dryade ihm den Bauch kraulen sollte. Der Mistkerl ruckte und zuckte, bis er auch wirklich bequem vor mir lag. Und zwar direkt auf meinen liebevoll vorgezogenen Setzlingen.

Sein Kumpel, oder vielleicht Vater, schien aus demselben Treibholz geschnitzt zu sein. Mit dem Unterschied, dass dieser sich zumindest über das Gras rollte, welches kräftig und leuchtend grün gefärbt, auf der angrenzenden Wiese wuchs.

Ich baute mich vor dem nun schlammverkrusteten Untier auf und stützte die Hände in die Seiten. Erst, als ich noch dazu mit einem Fuß einen schnellen Rhythmus auf den Boden tappte, bemerkte der Gauner, dass irgendetwas nicht zu stimmen schien.

Mit einem Blick, der fast jedes Herz erweichen konnte, schaute er zu mir auf. Leider war der Flieder nicht gänzlich unempfänglich für diese Hundeblicke.

Verflixte Fliedermotte noch einmal, sollte ich eigentlich nicht schon ewig gelernt haben, diesem Gehabe zu widerstehen? Aber offenbar hatte die dumme Dryade eine Leidenschaft für Hunde.

Und Wölfe. Aber es war zum Blütenraufen. Ich schluckte meinen Drang hinunter, ihm den Bauch zu streicheln und setzte meinen strengsten Blick auf. Trotzdem schien dieses Exemplar ein wenig schwer von Begriff zu sein, oder er hatte es noch nie mit einer stinksauren Fliederfrau zu tun gehabt. Der wagte es doch glatt, mir ein aufforderndes Jaulen zu senden.

So nicht.

Nicht mit mir.

Ich holte tief Luft.

„Was ist? Hast du es immer noch nicht begriffen, dass du störst, Mondheuler?“

Der Wolf zog die Augenbrauen zusammen und rollte sich zurück auf die Füße.

In diesem Augenblick brachte das Vieh das Fass endgültig zum Überlaufen, als er es wagte, schlammverschmiert wie er war, sich auch noch zu schütteln.

Sein ähnlich begriffsstutziger Freund jaulte offenbar lachend auf und während ich mir die Tränen verkneifen musste. Inzwischen war ich über und über vom lehmigen Schlamm bedeckt und meine guten Setzlinge schienen verdorben.

Dazu kam noch das Verhalten des eingebildeten Johannes, welches meine Laune sowieso schon an den Rand des Erträglichen geschoben hatte. Und dann mussten auch noch diese beiden Hanswurste hier auftauchen und Chaos verbreiten.

Das war es. Ich konnte nicht mehr. Es hatte nur wenige Stunden gebraucht, um mein Leben umzukrempeln und mir noch dazu die Zukunft zu versauen. Diese lag schlichtweg im Schlamm begraben. Ich war geknickt und zwar im wahrsten Sinne.

Dämliche Wölfe.

Ich ließ mich am Stamm meines Flieders herab rutschen und verbarg mein Gesicht zwischen den Händen.

„Hättet Ihr zufällig ein Hemd für mich übrig?“ Die tiefe Stimme ließ mich zusammenzucken und ich spähte vorsichtig zwischen den Fingern hindurch. Ein schwarzhaariger, unbekleideter Mann rieb sich verlegen die ansehnlich breite Brust. Ich griff, als wäre ich ferngesteuert, hinter mir in den Stamm meines Flieders und zog zwei grob gewebte Leinenkutten hervor, die hier jeder zur Sicherheit in Reichweite hatte, falls einmal wieder Angehörige des lokalen Rudels vergessen hatten, vorzusorgen.

Der andere Wolf stand nach wie vor auf seinen schmutzigen vier Pfoten in der schlammigen Kuhle und sah mich, allerdings inzwischen eindeutig schuldbewusst, an.

„Ich entschuldige mich für das Verhalten meines Sohnes, Baumfrau. Wir waren wohl zu lange als Wölfe unterwegs und er hat offensichtlich vergessen, wie man sich in der Anwesenheit von Damen verhält.“

„Und da konnte er dem Matschloch nicht widerstehen?“ Der Wolfsmann zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„So ist das nun einmal mit den Welpen. Egal, wie sehr man versucht, sie zu erziehen, kaum laufen sie einer gepflegten Pfütze vor die Ränder, sitzen sie auch schon mittendrin im Sumpf.“

Fast hätte ich gekichert, aber der Gedanke an die verdorbenen Setzlinge ließ mich nicht wirklich Freude und Spaß empfinden. Obwohl das Wölfchen eigentlich schon ziemlich putzig wirkte, so wie es mich aus der Mitte der Pfütze heraus anschmachtete.

Da er mir allerdings die Zukunft ziemlich erschwert hatte, fiel es mir nicht leicht, seinen schelmischen Blicken nachzugeben.

Mein Strauch war ja für Fliederverhältnisse schon ziemlich alt und die Lebenskraft verließ ihn zunehmend. Wenn ich nicht in den nächsten zwei bis drei Jahren in einen Nachkömmling meines geliebten Flieders umziehen könnte, würde auch ich schneller, als man mit den Fingern schnippen konnte, alt und grau werden. Die dunkle Stimme des Fremden riss mich aus meinen düsteren Gedanken.

„Seid sicher, hübscher Fliedergeist, mein Sohn wird den Schaden, welchen er offenbar in all seinem Übermut verursacht hat, höchstpersönlich wieder gut machen. Sagt, was Ihr zu bekommen habt und er wird es beschaffen.“ Ich schüttelte traurig und resignierend den Kopf. Hierbei würde mir kein Mondwolf der Welt helfen können. Keiner ihrer Art wäre in der Lage, meine Setzlinge in der Kürze der Zeit wieder wachsen zu lassen.

„Herzlichen Dank für Euer Angebot, aber er wird mir nicht behilflich sein können. Einzig ein Waldelf könnte den soeben angerichteten Schaden gut machen, aber es gibt im weitesten Umkreis keinen Vertreter dieser Art mehr. Ich werde wohl Geduld aufbringen müssen.“ Um ihm zu zeigen worum es überhaupt ging, zog ich eines der zerknickten Pflänzchen unter dem pelzigen Hinterteil des Jungwolfes vor und strich vorsichtig darüber.

Der Wolfsmann stöhnte mitleidig auf und verpasste seinem eigenen Sprössling eine Ohrfeige, bevor er mir wieder ins Gesicht schaute.

„Überlegt es Euch noch einmal, verehrte Dryade. Solltet Ihr es Euch überlegen und doch noch einen Wunsch äußern wollen, Ihr findet uns für einige Tage auf der Wallenburg bei Conrad. Ihr wisst, wo das ist?“

Ich nickte und wedelte mit der Hand, um das Duo endlich aus der Reichweite meiner Wurzeln zu vertreiben. Der Bereich glich einem matschigen Schlachtfeld, aber es gelang mir, zumindest zwei der zarten Pflänzchen zu erhalten. Die beiden Setzlinge schienen nur ein wenig verdrückt worden zu sein. Um ganz sicher zu gehen, dass diese auch ungestört anwachsen könnten, pflanzte ich einige wild aufgegangene Brombeersämlinge um die nun so wertvollen Fliedergeschwister herum.

Ich seufzte laut vernehmlich auf, als schon wieder der Klang schneller Schritte einen Besucher ankündigte. Wenn ich wahnsinnig viel Glück hatte, wären es nur einige Frauen aus dem Dorf, die sich auf die Suche nach frühen Pilzen oder Walderdbeeren gemacht hatten. Für diesen Tag hatte ich nämlich eindeutig genug von nervenden Wolfsmännern oder anderen Wesen.

Ich zog mich lautlos in meinen Strauch zurück und spähte zwischen den belaubten Zweigen hindurch heraus auf die Lichtung und den schmalen Pfad, der sein Ende auf der Straße hinauf zur Burg hatte. Meine Augäpfel verdrehten sich fast von allein, als ich erkannte, wer da auf meinen Strauch zukam.

Die schon wieder.

Das neue Lehrmädchen der altehrwürdigen Magdalena, der Kräuterfrau, welche im grünen Haus an einem der Zuflüsse der Schmalkalde Hof hielt.

Seit Neuestem war nämlich eine ihrer Nachfahrinnen bei ihr zu Hause eingezogen und wurde in die Wissenschaft der Pflanzen- und Kräuterkunde eingeführt. Angeblich wallte in dem blutjungen Ding langsam aber sicher die stärkste Elfenkraft seit vielen hundert Jahren auf. Bislang war die naiv wirkende Margarethe allerdings noch vollkommen unwissend.

Das hatte zumindest Alin, die Wasserfrau, welche im Bach am grünen Haus lebte, mir hinter vorgehaltener Hand verraten.

Das Mädel schlenderte leichten Schrittes vorbei, am Arm trug sie einen großen Korb. Offenbar missbrauchte Magdalena ihr neues Lehrmädchen einmal mehr als Einkaufhilfe und sandte sie zum Markt in die Stadt oder eines der nahegelegenen Dörfer.

Ich schaute Margarethe hinterher, bis sie im Dämmerlicht des Waldes verschwunden war und scheuchte danach einige Rehe weg, die sich zu dicht an die frischgesetzten Brombeeren wagten.

2.

Noch bevor der kaum sichtbare Mond über die Wipfel der Bäume geklettert war, brachte mir ein quirliger Junge ein in Leinen eingeschlagenes Päckchen.

Der Bursche kam dabei zielgerichtet auf meinen Strauch zu und blieb, während er unruhig von einem Fuß auf den anderen trippelte, direkt davor abwartend stehen. Er sah dabei so putzig drein, dass sich auch der letzte, winzige Rest meines Ärgers in Luft auflöste. Schmunzelnd entstieg ich meiner Behausung und winkte ihn näher. Das dunkelhaarige Kerlchen kam auch direkt zu mir, traute sich dabei allerdings nicht, mir in die Augen zu sehen. Mit beiden Händen reichte er mir das in grobes Leinen eingeschlagene Paket, als wäre es der größte Schatz der weiten Welt. Der Junge war aber auch zu niedlich. Ich ergriff es. Er blieb regungslos vor mir stehen, als warte er auf etwas Bestimmtes. Seine dunkelbraunen Iriden schimmerten im Dämmerlicht des Abends geheimnisumwittert und doch erwartungsvoll. Der Bursche sah von mir zu dem Päckchen und zurück.

„Du willst, dass ich es sofort auspacke?“ Er nickte enthusiastisch, dass die fast schwarzen Locken nur so um sein schmächtiges Gesicht flogen. Ich zog an der Schnur, die den Stoff zusammenhielt und erstarrte ehrfürchtig.

Das violette Seidenkleid, welches aus seiner groben Hülle herausglitt, war wunderschön gearbeitet. Stränge von Saatperlen waren um den Ausschnitt gestickt und hauchzarte Schmetterlinge schienen über die schimmernde Seide zu flattern. Dieses Kleid war einer Prinzessin würdig.

Ich strich andächtig über das glatte, kühle Gewebe und schaute dem Jungen in die erwartungsvoll glänzenden Augen.

„Herzlichen Dank, aber dieses Geschenk kann ich nicht annehmen. Es ist viel zu kostbar.“ Der Junge starrte mich fast schon entsetzt an.

„Mein Vater lässt ausrichten, wenn Ihr seine Gabe ablehnen solltet, würdet Ihr Euch die Rudel des Morgenlandes zum persönlichen Feind machen.“ Er schlug sich gegen die Stirn und kramte in einem kleinen Beutel, den er quer über die Brust gebunden trug.

„Das hier soll ich Euch außerdem übergeben.“ Ein winziges Pergamenttütchen enthielt offensichtlich einige Samenkörner. Ich schnupperte daran.

Flieder. Das waren eindeutig Fliedersamen.

Ich blickte dem Überbringer fragend in die Augen.