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"Egal, wohin ich gehe er ist bereits dort. Ich weiß es. Fühle es. Ein Kribbeln in meinem Nacken, einFlattern in meiner Brust.Will ich vor dir fliehen? Oder will ich wissen, wer du bist?"Ich stehe dicht hinter dir, rieche deinen süßen Duft, sehe die Gänsehaut in deinem Nacken. Ich willnach dir greifen, dich an mich ziehen und nie wieder gehen lassen. Flieh, kleine Prinzessin, solange dues noch kannst.Ich werde dich verfolgen.Bis du mir gehörst.
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Seitenzahl: 364
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Mika D. Mon
Following You: Bis du mir gehörst
Prolog
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Danksagung
Band 2: Following You:
Valentine Mine:
Unser Licht gegen die Dunkelheit
Angels deserve to die:
Bücher von Mika D. Mon
Über die Autorinnen
©2020 Mika D. Mon
Freiherr vom Stein-Str.5 35085 Ebsdorfergrund
Covergestaltung: Mika D. Mon, Einstrom.com
Coaching & Marketing: Einstrom.com
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Deeper. Darker. D.Mon
Mehr über uns:
www.mikadmon.de
Ich bin dein Schatten, Prinzessin. Wo auch immer du hingehst, ich bin bereits dort und warte auf dich. Egal, wie schnell du rennst - du entkommst mir nicht.
Ich werde dich verfolgen.
Bis du mir gehörst.
Es ist ein Albtraum, aus dem ich gleich schweißgebadet aufwache. Etwas anderes kann es nicht sein. Wie konnte ich jemals so dumm gewesen sein, auch nur eins der Worte zu glauben, die aus seinem Mund kamen? Ich habe mich blenden lassen. Von seinem Aussehen. Von seinen Worten. Von diesen kleinen Stückchen Aufmerksamkeit, die er mir zugeworfen hat wie Fleischstücke in den Käfig eines ausgehungerten Tieres.
Ich habe nicht damit gerechnet, dass er mich derart ausnutzt. Seine Maskerade war perfekt. Innerhalb weniger Tage hatte er es geschafft, dass ich ihm verfallen war. Jetzt sitze ich auf dem Bett, in dem er mich vor wenigen Momenten noch festgehalten hatte, und kämpfe ausweglos gegen meine Fesseln und meinen Knebel an.
Die Verzweiflung lässt Tränen in meine Augen schießen. Mein Blickfeld verschwimmt. Ich höre das metallische Klirren eines Gürtels vor mir. Eine Hose wird geöffnet. Panisch sehe ich auf und weiß, dass ich verloren bin.
Einige Tage zuvor…
Du kannst einen Vogel einsperren oder ihm die Flügel stutzen, doch er wird nie aufhören fliegen zu wollen.
Mehr als alles andere wünschte ich mir, die goldenen Gitter meines Käfigs aufzubrechen und zu fliehen. Doch anstatt in die Freiheit zu entkommen, stolperte ich in die Arme eines Mannes, dessen Dunkelheit mich vollends verschlang.
»Ich bin heute Abend mit Leonie verabredet«, informiere ich meinen Vater beiläufig beim Abendessen. Ohne Appetit schiebe ich mit meiner Gabel die Zucchini hin und her.
Er atmet tief ein und sieht mich über den gedeckten Tisch hinweg an. Ich weiß, dass er es nicht leiden kann, wenn ich mich mit Leonie treffe. Sie ist meine beste Freundin, doch mein Vater ist nicht ihr größter Fan. In seinen Augen sollte ich mich lieber mit Mädchen von meinem Stand beschäftigen als mit Gesocks wie ihr.
»Was habt ihr vor?«, fragt er bemüht um einen neutralen Tonfall, doch ich höre in seiner Stimme genau, wie genervt er ist.
Ich rümpfe meine Nase und spieße eine Kartoffel auf. Wenn ich ihm die Wahrheit sage, wird es ohnehin wieder in einer Diskussion enden, und das, obwohl ich schon seit über einem Jahr volljährig bin. Allerdings lüge ich nicht gerne und kann es auch nicht sonderlich gut. Unwohl rücke ich demnach mit der Wahrheit heraus. »Wir gehen auf eine Party.«
Seine Kiefermuskeln spannen sich an. »Viktoria.« Er sagt meinen Namen, als wäre es eine Drohung.
Ich hasse diesen Namen. Er passt überhaupt nicht zu mir.
»Ich habe dir bereits gesagt, dass es im Moment zu gefährlich ist. Da draußen gibt es üble Kerle, die nur darauf warten, dass du ihnen in die Hände läufst, damit sie mich erpressen können! Du weißt doch, dass …«
»Dass deine Konkurrenz nicht schläft, ja. Ich weiß, Vater.«
Er starrt mich aus seinen grünen Augen wütend an, als ich ihn unterbreche.
»Aber ich bin erwachsen. Du kannst mir nicht verbieten, rauszugehen, oder mir Stubenarrest erteilen. Ich bin kein kleines Kind mehr!«
»Du benimmst dich aber wie eins«, erwidert er. »Du stocherst in deinem Essen rum, du lehnst mit den Ellbogen auf dem Tisch, du hast keinen Respekt vor deinem Vater, färbst dir die Haare bunt als wärst du ein Clown, und bist leichtsinnig und unvernünftig!«
»Wie ein Clown?!« Von all den Dingen, die er mir an den Kopf geworfen hat, trifft mich das am meisten. Als ich vor ein paar Monaten meine langen, blonden Haare nahezu weiß gebleicht und dann pastellrosa gefärbt hatte, hatte mein Vater tagelang nicht mit mir gesprochen und mich behandelt wie eine Straftäterin. Ich bin stur geblieben und hatte sie nicht wieder blond gefärbt. Stattdessen wechselte ich die pastelligen Farben regelmäßig, sobald sie ausgewaschen waren. Von Babyblau über Meerjungfrauentürkis und Puderrosa ist bereits alles dabei gewesen. Es ist modern. Andere Mädchen beneiden mich darum. Meine Follower auf Instagram und Snapchat fahren total darauf ab. Aber für meinen Vater bin ich ein Clown.
»Dimitri wird dich begleiten«, bestimmt mein Vater. Er tupft sich mit seiner Stoffserviette die Mundwinkel ab, faltet das Tuch und legt es neben seinen Teller.
Ich starre meinen Vater entrüstet an. Dimitri ist einer der beiden Kerle von dem privaten Security Dienst, den mein Vater angeheuert hat, als diese Probleme mit seinem Unternehmen begonnen haben. Er ist Erbe und Vorsitzender von König Pharmazeutik, dem Pharmaunternehmen, welches vor drei Generationen von unserer Familie gegründet wurde. Seitdem sie ein neues Medikament entwickelt haben, das das Fortschreiten von Demenz um nahezu fünfzig Prozent eindämmt, ist er paranoid geworden. Er glaubt, dass andere Unternehmen versuchen, die Markteinführung zu verhindern.
»Ich brauche keinen Babysitter«, wehre ich mich entschlossen.
»Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, tust du, was ich dir sage.«
Ich rolle die Augen, als er die alte Füße-unter-den-Tisch-Leier auspackt.
»Wie du meinst.« Mehr sage ich nicht. Ich lege das Besteck weg und schiebe den Teller von mir. Dann stehe ich auf und rausche aus dem Esszimmer.
»Viktoria!«, höre ich meinen Vater hinter mir erneut rufen, aber ich ignoriere ihn.
Mit eiligen Schritten laufe ich die Treppe hinauf und gehe in mein Zimmer.
Von allen Räumen in unserem Haus ist es das lebhafteste. Vor vier Jahren sind wir aus unserem alten, gemütlichen Haus in diesen viereckigen Betonklotz gezogen. Betonwände, Betonboden, Betondecke, Betontreppe. Ein Wunder, dass die Fenster nicht auch aus Beton sind. Die einen mögen diesen Stil als modern empfinden, doch ich glaube, dass er es ausgesucht hat, weil es wirkt wie in einem Bunker. Wenn man in die Tiefgarage fahren möchte, öffnet sich zunächst ein Tor, dann fährt man in einen Zwischenraum. Hinter einem schließt sich das Tor und erst, wenn es zu ist, öffnet sich vor einem ein Gitter. Verrückt. Ein Wunder, dass mein Vater keine Antibiotika für eine bevorstehende Zombieapokalypse hortet.
In meinem Zimmer hatte ich erstmal einen großen, flauschigen Teppich ausgelegt, Gardinen vor die zwei hohen, schmalen Fenster gehängt und die Wände mit Bildern dekoriert. Außerdem hatte ich überall Pflanzen aufgestellt. Die Orchideen lieben die Helligkeit des Raumes und auch der vom Regal hängende Efeu und die Palme erblühen im Licht. Nach und nach hatte ich mir meine eigene kleine, bunte Insel geschaffen, in der ich mich wohlfühlen konnte.
Wütend schnaubend werfe ich mich auf meinen Schreibtischstuhl und sehe auf mein Handy.
Leonie hat mir geschrieben.
Leo:
»Wie sieht es aus, bist du heute Abend dabei?«
Ich:
»Ja …! Aber mein Vater will, dass Dimitri als Wachhund mitkommt.«
Leo:
»Ernsthaft? Übertreiber. Wir gehen auf eine Studentenparty und nicht nach Afghanistan!«
Ich:
»Ich weiß. Er wird jeden Typen abschrecken! Dimitri sieht aus wie ein menschgewordener Dobermann!«
Leo:
»Lol. Und was hast du jetzt vor, Kiki?«
Ich:
»Wann treffen wir uns?«
Leo:
»Um 23 Uhr am Willy-Brandt-Platz.«
Ich:
»Überlass das mir. Ich bin da – ohne Dimitri. Versprochen!«
Bis 23 Uhr habe ich noch etwas Zeit. Möglicherweise kann ich mich einfach ungesehen hinaus- und später in der Nacht wieder hereinschleichen. Mein Magen grummelt zwar schon vor schlechtem Gewissen, wenn ich nur daran denke, doch welche andere Wahl habe ich?
Mein ganzes Leben lang bin ich eingesperrt wie ein kostbarer Vogel. Jahr für Jahr hatte ich mich an dem Gedanken festgeklammert, dass das enden würde, sobald ich volljährig wäre. Doch ich hatte mich getäuscht. Es war zunehmend schlimmer geworden. Zuletzt hatte mein Vater sogar darauf bestanden, mich bis vor meine Schule zu fahren und dort nach Unterrichtsende abholen zu lassen, anstatt dass ich wie alle anderen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fuhr.
Wenigstens hatte ich mein Abitur vor einigen Wochen hinter mich gebracht und diese Peinlichkeit blieb mir morgens erspart.
Ich surfe etwas am Handy und bringe mich in den sozialen Netzwerken auf den neusten Stand. Einige Likes, Kommentare und Follows später streame ich eine Serie und vertrödele die Zeit. Dann gehe ich zu meinem überfüllten Kleiderschrank und sehe hinein. Ich habe tausende Sachen und finde doch nie das Richtige. Vor allem nicht für diese Jahreszeit! Es ist Frühling, aber ziemlich kalt draußen. Letzte Woche hat es noch gefroren. Vor allem nachts wird es eisig, aber im Club wird es heiß sein. Ich brauche also ein knappes Partyoutfit und eine dicke Jacke, die ich an der Garderobe abgeben kann.
Zuerst hole ich ein schwarzes Paillettenkleid aus dem Schrank und halte es mir an. Schwarz ist überhaupt nicht meine Farbe, aber es betont meine bunten Haare. Deswegen habe ich es gekauft. Als Nächstes nehme ich ein weißes Top mit Spitze und eine Jeans-Hotpants heraus, die vollkommen zerfleddert aussieht. Cooler Used-Look nenne ich das. »Asozial« nennt es mein Vater.
Ich entscheide mich für die Jeans und das Top und ziehe mich um. Damit ich nicht erfriere, trage ich noch eine durchsichtige Seidenstrumpfhose und Overkneestrümpfe drunter. Dann stelle ich mich vor meinen großen Spiegel und plustere mit etwas Schaumfestiger meine ohnehin welligen, voluminösen Haare auf. Unzählige Youtubevideos haben mir beigebracht, wie ich mich schminken muss. Mit Make-up versuche ich meinem mädchenhaften Gesicht etwas mehr Reife, etwas mehr Weiblichkeit zu verleihen.
Als ich fertig bin, schnappe ich mir meine Handtasche, ziehe meine Jacke an und trage meine weißen Stiefeletten in der Hand, damit ich keine Geräusche beim Gehen mache.
Vorsichtig öffne ich meine Zimmertür und spähe in den Flur. Er ist dunkel bis auf einen Lichtschein, der unter der Bürotür meines Vaters hervordringt. Sicher hockt er mit viereckigen Augen vor seinem Laptop und arbeitet hart daran, noch grauere Haare zu bekommen. Für einen Moment tut er mir leid.
Alois Maximilian König, alleinerziehender Vater und millionenschwerer Unternehmer. Doch womit zahlt er für seinen Erfolg? Ich denke an die tiefen Sorgenfalten, die sich mit den Jahren in sein attraktives Gesicht gefräst hatten. Sein Bart ist grau geworden, ebenso wie seine Haare. Ich weiß ja, dass er mir nichts Böses will, dass er mich und das, was wir haben, schützen will. Aber er baut mir einen Käfig und schaufelt sich selbst das Grab, wenn er so weitermacht.
Seufzend wende ich mich ab und schleiche den Flur und die Treppe hinunter.
Das Gute an Beton ist, dass er nicht knarzt wie Holz. Leise wie eine Katze komme ich unten an und öffne langsam die Haustür. Der Wind weht mir durch den Spalt entgegen.
»Es ist kalt. Nehmen Sie besser einen Schal mit«, spricht plötzlich eine tiefe Stimme hinter mir. Erschrocken fahre ich herum und blicke gegen ein weißes Hemd mit schwarzer Krawatte.
Dimitri! Er hat mich bemerkt!
Der in einen schwarzen Anzug gekleidete Mann ragt vor mir auf. Adrett gekleidet, mit frisch gestutzten Haaren und gepflegtem Dreitagebart, sieht er aus wie ein Bodyguard von einem Superstar. Er hat ein schmales Gesicht und eine lange, gerade Nase. Deswegen wirkt er auch wie ein Dobermann.
Ich weiß, dass ich keine Chance habe, wenn ich jetzt versuche, vor ihm wegzulaufen. Er wird mich einfach einfangen.
»Dimitri!« Ich lächele kokett und versuche, meine Überraschung zu überspielen. Hat er hier unten im Dunklen gestanden und die ganze Zeit gewartet? Dass ich aber auch versuche, aus dem Haupteingang hinauszuschleichen, ist schon sehr armselig. Ich hätte es besser über das Fenster im Gästebad versucht. Dann hätte ich zumindest die Tür hinter mir abschließen können. Diese Idee merke ich mir für das nächste Mal, auch wenn ich hoffe, dass es kein nächstes Mal geben muss. Lieber wäre es mir, wenn mein Vater mir etwas mehr Freiheiten lassen würde und ich nicht nachts wie eine Verbrecherin hinausschleichen müsste.
»Ich komme mit«, bestimmt der Leibwächter und greift über meinen Kopf hinweg. Er zieht die Tür auf und nickt nach draußen.
Resigniert schlüpfe ich in meine Stiefeletten und gehe vor ihm her. Wie ein Schatten folgt er mir. Gerade mit genug Abstand, um mir nicht in die Hacken zu treten, aber so nah, dass er nur den Arm ausstrecken muss, um mich zu schnappen. Ich frage mich, ob er mich wirklich beschützen und nicht eher bedrohen soll.
Während ich mit eiligen Schritten über den Bürgersteig gehe, wechseln sich über mir Straßenlaternen und kahle Bäume ab. Bald werden die ersten zarten, hellgrünen Blätter austreiben und kurz darauf wird die rosafarbene Blütenpracht der Kirschbäume erblühen. Dann brauche ich unbedingt ein paar Fotos von mir mit diesen Bäumen!
Doch jetzt habe ich andere Probleme. Ich muss diesen Schatten loswerden, der an meinen Fersen klebt. Aber wie? Dimitri ist nicht irgendein Typ, der sich ein paar Kröten dazuverdient, indem er ein paar Stunden den Babysitter für eine reiche, verwöhnte Tochter spielt. Er ist ein ausgebildeter Personenschützer mit einer verfluchten Knarre unter seinem schicken Jackett.
Allein der Gedanke jagt mir einen Schauer über den Rücken. Wie soll ich den nur loswerden? Ich halte diesen Aufriss für vollkommen überzogen. Ich bin nicht Paris Hilton. Aber ich bin auch nicht Lara Croft, die über die nächste Mauer springen, an einer Wand hochklettern und diesem Profi-Bodyguard entkommen kann. Ich bin Kiki, das Mädchen mit den bunten Haaren, neun Zentimeter hohen Stiefeletten und einem knappen »befriedigend« im Sportunterricht.
Die S-Bahn-Haltestelle erscheint am Ende der Straße in meinem Blickfeld. Als wir dort ankommen, blicke ich auf der roten LED-Anzeige, welche Bahnen als Nächstes fahren.
»Sechs Minuten noch«, verkünde ich und schaue auf meine Uhr am Handgelenk.
Dimitri sagt nichts, stellt sich mit breiten Beinen und vor seinem Schritt verkreuzten Händen seitlich hinter mich. Als ich über meine Schulter zu ihm aufsehe und verkniffen lächele, erwiderte er es knapp. Ich schaue wieder geradeaus, kaue auf meiner Lippe herum und denke fieberhaft nach. Hitze und Adrenalin schießen plötzlich durch meinen Körper, als mir eine gewagte Idee in die Gedanken schleicht. In einer Minute kommt die nächste Bahn, aber es ist nicht die, die ich nehmen muss.
Ich muss Dimitri loswerden.
Und ich habe nur diese eine Chance.
Ich lege mir eine Hand auf meinen Bauch und drehe mich zu dem Leibwächter um.
»Mein Magen knurrt wie verrückt«, sage ich und sehe ihn schuldbewusst an.
»Sie haben auch nicht viel zu Abend gegessen«, erwidert er.
»Ja. Das Gespräch mit meinem Vater hat mir den Appetit verdorben.«
»Er will nur das Beste für Sie und macht sich Sorgen.« Dimitri versucht es mit einem aufmunternden Lächeln.
»Ja, das weiß ich. Für mich ist die Situation trotzdem nicht einfach.« Ich sehe an ihm vorbei neben die Haltestelle, wo sich zwei Automaten befinden, an denen man sich Getränke und Snacks stöpseln kann.
»Haben Sie Kleingeld dabei?«, frage ich hoffnungsvoll. »Können Sie mir ein Snickers ziehen?«
»Natürlich.«
Dimitri greift an seine Gesäßtasche und zieht sein Portemonnaie heraus. Dabei öffnet sich sein Jackett etwas und gibt einen Blick auf die Waffe frei, die er an seinem Körper trägt. Ich komme nicht umhin sie anzustarren.
Der Personenschützer tut, als habe er meinen entsetzten Blick nicht bemerkt, und legt galant eine Hand an meinen Rücken, um mich mit sich zu dem Verkaufsautomaten zu führen.
In der Ferne höre ich die Straßenbahn näherkommen. Die beiden Scheinwerfer strahlen uns entgegen.
Dimitri tritt vor die Maschine und wirft Münzen hinein.
Ich stehe hinter ihm und im Lärm der bremsenden Wagons gehe ich auf Zehenspitzen rückwärts. Ich entferne mich von ihm und bete, dass er sich nicht umdreht, um nach mir zu sehen.
Dimitri tippt die Nummer ein, die bei dem Snickers steht. Die Metallspirale in dem Automaten dreht sich. Mit einem dumpfen Knall landet der Schokoladenriegel in dem Ausgabefach ganz unten. Der Leibwächter lehnt sich hinunter und fischt die Süßigkeit hilfsbereit für mich heraus.
Mein Herz rast. Mein schlechtes Gewissen nagt an mir.
Doch als er sich zu mir umdreht, um mir den Snack zu überreichen, schließen sich die Türen der Straßenbahn bereits vor meinen Augen.
Seine Gesichtszüge entgleisen, als er seinen Fehler bemerkt. Die Bahn fährt los und Dimitri setzt einige schnelle Schritte hinterher, doch dann gibt er es auf.
Ich sehe ihn fluchen und wie er sich mit beiden Händen in das kurzgeschorene Haar fasst. Schuldbewusst blicke ich zurück und hauche ein »Sorry« gegen die Scheibe.
»Gleich da!« Das ist die letzte Nachricht, die ich an Leo schreibe, bevor ich mein Handy ausmache. Nicht, dass Dimitri es noch orten kann!
Es tut mir leid, dass ich ihn so austricksen muss. Mein Vater wird toben vor Wut. Vielleicht verliert Dimitri sogar seinen Job. Wegen mir, dem sturen Mädchen, das sich nicht von ihrem Vater einsperren lassen will. Das ihr Leben ganz normal wie alle anderen in ihrem Alter genießen will. Das Feiern gehen, Alkohol trinken und mit Jungs flirten will. Ist es falsch, frei sein zu wollen? Normal sein zu wollen?
Als ich aus der Straßenbahn aussteige, bin ich weiter von unserem Treffpunkt entfernt als geplant. Immerhin war es die falsche Linie, die ich genommen habe. Doch die nächste Bahn, die zu meiner Haltestelle fährt, kommt erst in zwölf Minuten. Dann kann ich genauso gut zu Fuß gehen. Ich ziehe meine Jacke enger um mich und presse meine Handtasche an meinen Körper.
Frankfurt ist ein hartes Pflaster, dessen bin ich mir bewusst. Es ist kein Ort, an dem eine junge Frau nachts alleine umherlaufen sollte. Das Haus meines Vaters befindet sich im Stadtteil Sachsenhausen-Süd und somit in einer der beliebteren Wohngegenden der Weltmetropole. Vorbei an dem Museumsufer, über den Main gelangt man entweder in das verrufene Bahnhofsviertel oder in die Innenstadt.
Die falsche S-Bahn hat mich jedoch direkt in die Nähe des Bahnhofsviertels gebracht und obwohl ich versuche, stets einen Bogen um das Rotlichtmilieu zu machen, muss ich es jetzt mitten in der Nacht durchqueren, um unseren Treffpunkt zu erreichen. Mein Vater würde die Wände hochlaufen, wenn er das wüsste.
Ich starre stur geradeaus und ignoriere, dass es hier vor Männern nur so wimmelt. Frauen sehe ich nirgends. An den Straßenrändern stehen die teuren Karren der Zuhälter. Mit pochendem Herzen eile ich durch das Viertel und bete, dass mich niemand anspricht oder gar anhält.
Die Blicke der Männer kribbeln in meinem Nacken. Um die nächste Ecke ist ein Konsumraum. Dort gehen die Junkies hin, um sich wenigstens mit sauberen Spritzen einen Trip zu verpassen.
Ich stolpere über eine herumliegende Coladose, fluche und eile schnell weiter. Erst als ich das zwielichtige Ambiente hinter mir lasse, entspanne ich mich leicht und verlangsame meine Schritte.
Wohl fühle ich mich dennoch nicht. Es sind einige feiernde Gruppen unterwegs. Ich höre viele verschiedene Sprachen, allen voran wird Englisch gesprochen. Doch in manchen Ecken stehen düstere Kerle herum und ziehen ihre Kapuzen tief ins Gesicht. Die Drogenszene in Frankfurt ist berüchtigt. Manchmal sehe ich sogar am helllichten Tag am Straßenrand Junkies mit Nadeln in den Armen. An den Hauswänden sitzen Obdachlose mit ihren gammeligen Schlafsäcken.
Die schillernde, reiche Bankenmetropole hat eine überaus dunkle Schattenseite, über die auch die hohen, edlen Wolkenkratzer und die teuren Hotels nicht hinwegtäuschen können. Ich kann meine Faszination für diese Stadt nicht verleugnen. Die luxuriöse Anmut und die dahinter verborgene Gefahr lösen ein Glücksgefühl in mir aus. Tagsüber halten mir die Männer in Anzügen und Lackschuhen die Türen auf, und nachts komme ich nicht umhin, neugierige Blicke auf die dunkel gekleideten Gestalten zu werfen.
Ein Kerl in Kapuzenpullover steht an einem mit Graffiti besprühten Einfahrtstor. Ich kann sein Gesicht in dem Schatten, den seine Kapuze wirft, kaum erkennen. Doch ich bemerke, wie er mir den Kopf hinterherdreht, als ich an ihm vorbeigehe. Ich frage mich, woher er kommt, was seine Geschichte ist. Ist er böse? Ist er harmlos? Die Ungewissheit, die Gefahr, die Dunkelheit kann einen beängstigen.
Oder anziehen.
Bei mir ist es beides.
Obwohl ich das Bahnhofsviertel längst hinter mir gelassen habe, lässt mich das Gefühl nicht los, dass ich beobachtet werde. Ein Kribbeln in meinem Nacken, eine Gänsehaut auf meinen Armen, ein Stolpern meines Herzschlags. Ich bleibe stehen und drehe mich um. Hinter mir ist nichts. Nur ein paar Leute, die durch die Stadt schlendern oder in Gruppen herumsitzen. Einen Moment warte ich noch auf eine verdächtige Bewegung, aber als ich nichts bemerke, gehe ich weiter. Die Paranoia meines Vaters färbt auf mich ab!
Gleich bin ich an unserem Treffpunkt, dann bin ich in Sicherheit.
»Kiki!«, ruft Leo schon von weitem. Obwohl es dunkel ist, hat sie mich direkt erkannt.
Als ich atemlos bei meiner besten Freundin ankomme, umarme ich sie sofort. »Hier bin ich!«
Leo schaut sich um, dann sieht sie mich an. »Und dein Babysitter?«
»Habe ich abgehängt.« Wir grinsen uns an, dann zwinkert sie mir zu.
»Du bist der Hammer«, lobt sie mich.
Leo hat ihr weinrot gefärbtes Haar zu zwei Zöpfen geflochten und um ihren Kopf trägt sie ein schwarzes Haarband im Retro-Look. Ihre zerschlissene Lederjacke und ihre abgewetzten Boots verleihen ihr einen Bikerlook. Leo trägt immer diese coolen Klamotten. Sie ist groß und schlank, deswegen kann sie solche Sachen anziehen. Außerdem hat sie keinen Spießervater, so wie ich.
Leo hält mir ihren Arm hin und ich hake mich bei ihr ein. Gemeinsam schlendern wir los und das merkwürdige Gefühl, verfolgt zu werden, verliert sich in unseren Gesprächen.
»Was hat dein Vater denn schon wieder für Anwandlungen?«, fragt sie mich.
»Er ist paranoid, Leo, ich schwöre es dir. Ich weiß nicht, diese ganze Pharma-Industrie ist der reinste Horror. Keine Ahnung, was er da wieder für Probleme hat, aber er denkt, dass irgendwelche Pharmazie-Mafiosi es auf ihn abgesehen haben, die verhindern wollen, dass er das neue Medikament auf den Markt bringt.«
»Will er immer noch, dass du Wirtschaftswissenschaften studierst und bei seiner Firma einsteigst?«
Wir bleiben kurz stehen und Leo holt eine Flasche Weißwein aus ihrem Rucksack. Sie kauft billigen, süßen Fusel, der jedem Weinkenner die Fußnägel hochrollen lässt. Aber weil sie Geld auf der Party sparen möchte, trinkt sie vor.
»Ja. Aber das kann er vergessen!« Ich schnaube, schnappe mir die Flasche aus ihren Händen und trinke direkt aus dieser, um meinen Frust über meine Situation zu verdeutlichen. »Niemals steige ich in dieses Gewerbe ein. No way!«
Leo schaut mich aus ihren blauen Augen an. Ein leichtes Schmunzeln bildet sich auf ihren rot geschminkten Lippen, während sie mich beobachtet, wie ich den Weißwein meine Kehle hinabstürze.
»Langsam, Süße. Kleine Menschen werden schneller betrunken«, raunt sie belustigt und nimmt mir die Flasche ab.
Ich beschwere mich, indem ich sie vorwurfsvoll ansehe und meine Lippen schürze.
»Willst du immer noch Umwelt-Technik studieren?« Leo schaut mich fragend an und nippt dabei am Wein.
»Ja, das wäre perfekt. Der Studiengang wird in Wiesbaden angeboten. Ist also gar nicht weit weg!«
»Denkst du nicht, dass du es übertreibst, Kiki?« Ihr Blick wird plötzlich besorgt.
Ich hebe meine Augenbrauen und sehe sie stutzig an.
»Wie meinst du das?«
»Vegetarisch essen. Alles Bio kaufen. Kein Autofahren. Keine Plastiktüten, Fairtrade-Klamotten, Umwelt-Technik studieren. Du kannst nicht die ganze Welt retten.«
Leonies Worte treffen mich. Ich habe das Gefühl, dass sie mich nicht versteht und nicht an mich glaubt.
Ich sehe sie an und presse meine Lippen aufeinander. »Aber ich kann es versuchen«, beharre ich mit Kloß im Hals.
Wir schauen uns noch einen Augenblick lang an, dann lässt sie das Thema bleiben und wir gehen weiter, während wir uns mit der Weinflasche abwechseln. Der Alkohol fängt nach und nach an, meine kalten Glieder zu wärmen.
Bald ist unser Gespräch von eben vergessen und wir kommen lachend bei dem Club an, in dem heute Abend die Studentenparty steigt.
»Kennst du ein paar der Studenten?«, frage ich.
Leo ist jetzt selbst ein Erstsemester und hat vor ein paar Wochen erst ihr Jurastudium angefangen. Ich war damals fast aus den Wolken gefallen, als sie mir sagte, was sie studieren möchte. So ein staubtrockenes Fach für eine so ausgeflippte Frau wollte einfach nicht ins Bild passen. Aber Leo ist intelligent und ehrgeizig. Sie würde es weit bringen.
»Ein paar aus meinem Semester, ja«, antwortet sie. Wir stellen uns an der Schlange vor dem Club an. Sie wirft die leere Weinflasche vorher in einen Mülleimer.
Ich bedenke sie dafür mit einem finsteren Blick, denn Glas gehört normalerweise wie der Name sagt, in den Glasmüll!
Leonie ignoriert meinen stummen Vorwurf gekonnt.
Die zwei großen Typen am Eingang kontrollieren unsere Ausweise und Handtaschen und die Frau an der Kasse drückt uns einen Stempel auf die Hand. Durch einen schummrig beleuchteten Flur geht es eine schmale Treppe hinab. Die Musik wummert uns bereits in den Ohren, während wir unsere Jacken an der Garderobe abgeben.
Die warme Luft ist erfüllt von Alkohol-, Schweiß- und Parfumgeruch. Blitzende, bunte Lichter blenden mir in den Augen, als ich von meiner besten Freundin in den Hauptraum gezogen werde. Der Bass vibriert in meiner Brust und auf meiner Haut. Blicke richten sich auf uns. Wir sind zwei Paradiesvögel in der Großstadt.
Leonie und ich stellen uns direkt bei der Bar an und bestellen uns jeweils einen Wodka-Energy. Mit dem Getränk in der Hand drängen wir uns durch die vielen tanzenden und wankenden Körper und versuchen etwas abseits einen freien Platz zu finden.
Wir prosten uns zu und schlürfen an den Strohhalmen.
Ich sehe mich im Clubraum um. Es sind viele junge Erwachsene anwesend, alle im Alter zwischen zwanzig und dreißig. Nur ein paar ältere Gesichter stechen heraus. Die Menschen brüllen sich gegenseitig ins Ohr, lachen, tanzen und trinken.
Leo und ich machen uns einen Spaß daraus, zu raten, wer was studiert. Dabei bedienen wir uns jedes Klischees, das wir finden können.
»Wollen wir tanzen gehen?«, frage ich meine Freundin nach einiger Zeit und nehme ihre Hand. Ohne eine Antwort abzuwarten, ziehe ich sie auf die Tanzfläche und wir fügen uns in den Takt der Musik ein.
Leonie ist nicht der Typ für einen heißen Hüftschwung. Sie steht eher da, wippt ein bisschen und sieht mir zu, wie ich meine Mähne hin und her werfe und auf und ab hopse wie ein Flummi auf Koks. Sie lacht herzhaft. Ihre Augen sind ganz glasig. Ich fühle mich ausgelassen und frei. Nichts ist mir peinlich. Der Wein und der Wodka haben meine Hemmungen herabgeschraubt, sodass ich dem Grüppchen Kerle neben uns auffordernde Blicke zuwerfe. Mein Top und meine Strumpfhose kleben verschwitzt an meinem Körper. Die Overknees sind für die Diskothek zu warm. Ich spüre, dass meine Wangen vor Hitze glühen.
Einer der Kerle nickt zu uns herüber. Er ist ein dunkelblonder, schlanker Typ mit Karohemd. Sein Kumpel sieht ihm ähnlich, der andere scheint südländischer Abstammung zu sein. Der hat dichten, dunklen Bartwuchs und ist etwas breiter gebaut als die anderen.
»Hey«, begrüße ich die drei.
»Hey«, grüßen sie zurück und wir prosten uns zu. Die Jungs trinken Bier, während ich bei meinem Wodka-Energy bleibe.
»Wie heißt ihr?«, rufe ich ihnen lächelnd entgegen.
»Ich bin Tim«, stellt sich der Erste vor. Er muss sich zu mir vorbeugen und brüllt mir ins Ohr. Dann ist der Zweite dran.
»Julian!«
Der Südländer ruft mir »Aykan!« zu.
»Das hier ist Leo«, will ich meine Freundin vorstellen, doch die hat sich abgewendet und sieht nicht aus, als wolle sie sich mit den Fremden unterhalten.
»Deine Freundin ist süß«, sagt Tim und nickt zu Leonie hinüber. »Aber sieht nicht aus, als würde sie uns mögen.« Er lächelt schmal und ich entschuldigend zurück.
»Sie braucht einfach noch mehr Drinks. Die ist schüchtern!« Ich winke ab und lache. Die Jungs lachen mit mir mit. In ihren Augen sehe ich den Alkohol leuchten. Ihre Bewegungen sind ungelenk und ihre Sprache undeutlich. Mir geht es nicht anders, deswegen macht es mir im Moment nichts aus. Ich finde alle drei auf ihre Weise attraktiv und freue mich über ihre Aufmerksamkeit. Tim und Aykan beginnen mit mir zu tanzen. Julian ist etwas zurückhaltender. Wir stehen dicht beieinander. Aus dem Augenwinkel sehe ich Leos missmutige Blicke, deshalb sehe ich zu ihr hinüber und zwinkere ihr lächelnd zu. Sie soll nicht böse auf mich sein. Ich bin hier, um Spaß zu haben! Bloß ein bisschen tanzen, dann bin ich wieder für sie da.
Die Körper der beiden jungen Männer rücken nah zu mir heran. Irgendwann finde ich mich zwischen ihnen wieder. Eine Hand streift meinen Arm, eine andere meinen Po. Keine Ahnung von wem. Ist mir auch egal, solange mich keiner ernsthaft begrabscht. Ich schließe meine Augen, wiege mich im Takt der Musik, gebe mich dem Bass hin. Einer meiner Strümpfe ist heruntergerutscht, mein Top gibt eine Schulter frei und meine Haare kleben an meiner Haut. Vor mir, hinter mir, rechts und links – überall sind heiße Körper, die sich bewegen. Ich bin wie in Trance.
Schwere Hände legen sich auf meine Hüften. Ich glaube, es ist Aykan, der hinter mir steht. Ich spüre, wie sich etwas gegen meinen Po presst. Durch den Stoff meiner Hose spüre ich den Reißverschluss seiner Jeans und das, was sich darunter verbirgt. Als ich meine Augen öffne, sehe ich verschwommen Tim vor mir tanzen. Auch Julian hat sich inzwischen dazugesellt und durch weitere Drinks seine Zurückhaltung verloren.
»Du bist süß«, raunt mir eine Stimme von hinten in mein Ohr. Ich lächele und wiege mich weiter mit der Musik, ohne zu antworten.
Gerade will ich meine Augen schließen, als ich ein Gedränge vor uns bemerke. Jemand schiebt sich durch die tanzende Masse und erntet dafür genervte Blicke. Es ist ein fremder Mann, der direkt an uns vorbeigeht und dabei Aykan und Tim achtlos anrempelt.
Die beiden taumeln und verschütten ihre Getränke. Dann pöbeln sie ihn an.
»Ey, kannst du nicht aufpassen, du Pisser?«, knurrt der Südländer.
»Scheiße«, flucht Tim, dessen Hemd vom Bier ganz nass ist.
Der fremde Kerl bleibt stehen und dreht sich zu uns um. Seine dunklen Augen wirken im schummrigen Licht fast schwarz, ebenso wie seine Haare und sein eng anliegendes T-Shirt. Auf seinen Armen schlängeln sich Tattoos herauf, deren Motive ich so schnell nicht erfassen kann. An den Seiten sind seine Haare etwas kürzer geschnitten, aber ein wirklicher Iro ist es auch nicht. Er ist so groß, dass er aus der Menschenmasse heraussticht, hat ein kräftiges Kreuz und schmale Hüften.
Der Fremde sagt nichts, doch sein Blick durchbohrt meine Begleiter wie glühendes Eisen. »Wollt ihr euch wirklich mit mir anlegen?«, fragen seine Augen in stummer Drohung. Seine Kiefer pressen sich aufeinander, sodass seine markanten Wangenknochen hervortreten und harte Schatten auf sein scharfkantiges Gesicht werfen.
Plötzlich scheint die Luft wie geladen. Ein Funke und die Situation eskaliert. So kommt es mir vor. Ungewollt halte ich die Luft an und reibe mit meinen Fingern über meine Handballen, während ich den Fremden ansehe.
Tim und Aykan starren ihn ebenso an. Doch sie bleiben stumm. Nur wenige Sekunden später huscht der finstere Blick des Mannes zu mir, ehe er sich abwendet und unbeirrt seinen Weg fortsetzt.
Erst jetzt traue ich mich, auszuatmen. Ich weiß nicht, warum, doch etwas in mir warnt mich vor diesem Mann. Vielleicht ist es seine Ausstrahlung, die »Gefahr« schreit. Manchen Menschen sieht man an, dass sie Nerds sind und in ihrer Freizeit gerne Computerspiele zocken. Anderen sieht man an, dass sie verklemmt sind und zum Lachen in den Keller gehen.
Und manchen sieht man an, dass man sich von ihnen fernhalten sollte, weil sie nichts Gutes verheißen. Weil sie das Feuer sind, an dem man sich die Finger verbrennt. Weil sie der Sog sind, der einen nach unten zieht. Warum wird mir nicht schwindelig, wenn ich an einem Abgrund stehe? Warum will ich mich fallen lassen und herausfinden, was passiert?
»Lass uns in einen anderen Raum gehen.« Leos Stimme reißt mich aus den Gedanken. Erst jetzt bemerke ich, dass ich noch immer in die Richtung starre, in die der Fremde verschwunden ist.
Ich blicke mich um. Aykan steht mit Julian einige Meter entfernt. Die beiden unterhalten sich aufgeregt miteinander. Tim ist nicht zu sehen. Bestimmt ist er auf der Toilette und versucht sein Hemd zu trocknen.
»Ja«, sage ich zu meiner Freundin. Sie nimmt mich an der Hand und zieht mich mit.
Wir verlassen den Mainfloor und finden uns im Barbereich ein. Hier wird mehr getrunken als getanzt. Leo sieht schlecht gelaunt aus und bestellt einen Wodka-Energy für mich und einen puren Wodka für sich selbst.
»Was war das denn eben?«, frage ich sie und wir stoßen an.
Leo zuckt grimmig mit den Schultern. »Ein schlechtgelaunter Typ? Ist doch egal.«
Sie scheint kein weiteres Interesse an ihm zu haben, doch ich ertappe mich dabei, wie meine Blicke immer wieder den Raum nach ihm absuchen. Nach einiger Zeit schüttele ich den Kopf und versuche mich abzulenken.
Wer war er?
Meine Neugier wird irgendwann mein Untergang sein.
Die Angst vor der Dunkelheit ist nichts anderes als die Angst vor dem Unbekannten. Wenn die Nacht eintritt, übergibt das Licht sein Zepter an die Schatten.
Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit.
Ich bin die Dunkelheit.
Ich lebe in den Schatten, vor denen du dich fürchtest.
Zähneknirschend bahne ich mir meinen Weg durch die verschwitzten Körper und rette mich in den weniger überfüllten Raucherraum. Hier stehen runde Bartische und es gibt ein Sofa, auf dem ein Pärchen flirtet. Die Luft ist erfüllt von Qualm und nebligen Rauchschwaden.
Ich lehne mich im Raum an die Wand und schaue durch die Glastrennwand in das Innere der Diskothek.
Die Gesichter der Partygäste sind rot von der Hitze und glänzen vor Schweiß. Auch mir klebt mein verdammtes Shirt am Leib, obwohl ich mich kaum bewegt habe.
Mit zwei Fingern ziehe ich den schwarzen Stoff an meinem Bauch von meiner Haut und versuche etwas Luft darunter einzufangen. Diese vielen Menschen machen mich wahnsinnig. Ich habe das Gefühl, eingeengt zu sein und zu ersticken.
Lust, hier zu sein, habe ich auch nicht, doch ich habe keine andere Wahl. Ich ziehe meine zerdrückte Zigarettenpackung hervor und klemme mir eine zwischen die Zähne. Aus Gewohnheit schirme ich sie mit einer Hand ab, als ich sie anzünde. Kurz darauf inhaliere ich den Qualm und lüfte damit meine Lunge.
Schon besser. Ich entspanne mich etwas.
Gut, dass die beiden Paviangesichter eben keinen weiteren Stress gemacht haben. Sie haben meine Drohung verstanden, resümiere ich die vergangenen Minuten. Zum Glück halten sie sich jetzt von ihr fern.
Mein Blick haftet unentwegt auf ihrer zierlichen Gestalt. Sie steht bei ihrer Freundin und die beiden unterhalten sich, dann tanzen sie zusammen. Ihre pastellrosa Haare sehen aus wie Zuckerwatte. Die ganze Frau ist bunt und süß wie ein Jahrmarkt. Zufrieden beobachte ich, wie sie keine weiteren Anstalten macht, mit irgendwelchen Typen zu flirten. Besser für mich. Besser für sie.
»Na, Hübscher. Wie heißt du denn?« Eine Stimme lallt mir ins Ohr, begleitet von einer Prise Biergeruch. Damit sinkt meine Laune an den Nullpunkt. Ein Wunder, dass sich noch keine Eiskristalle an der Scheibe bilden. Eine betrunkene Tussi hat mir gerade noch gefehlt.
»Verpiss dich«, erwidere ich charmant knurrend, ohne sie anzusehen. Da ich weiter auf Miss Zuckerwatte starre, erkenne ich nicht, wie die Reaktion der Fremden ausfällt. Doch da sie kurz darauf über mich fluchend davontorkelt, scheint meine Botschaft angekommen zu sein.
Eine Stunde später will ich mir die fünfte Zigarette anzünden, doch meine Finger greifen in der Packung ins Leere. Um mich zu vergewissern, dass ich wirklich keine mehr habe, schaue ich hinein.
»Shit«, knurrte ich, zerknülle die Packung und lasse sie auf einem der Stehtische liegen.
Ich schaue mich um und spreche einen Kerl an, der wie ich alleine rumsteht. Als er mein Näherkommen bemerkt, hebt er den Blick und mustert mich von oben bis unten. Beeindruckt von meinem sympathischen Erscheinen verdüstert sich sein Blick und wird defensiv.
»Hast du ’ne Kippe für mich?«, frage ich.
Als ihm klar wird, dass ich keinen Ärger suche, entspannt er sich. Er hält mir seine Packung entgegen und ich nehme zwei heraus. Seine Gesichtszüge entgleisen ihm fast, als er diese Dreistigkeit bemerkt. Zum Glück hält er seine Klappe und ich nicke ihm kurz zu, ehe ich zu meinem Platz an der Wand zurückkehre.
Ich klemme mir die Zigarette zwischen die Zähne, schiebe die andere hinter mein Ohr und schaue zurück zu ihr.
Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich sie nicht mehr finde.
Scheiße, wo ist sie hin?
Leonies Blick wird immer träger, während wir tanzen. Sie hat vor einer halben Stunde aufgehört zu trinken und wird müde.
»Lass uns gehen«, jammert sie, als hätte ich es geahnt.
Im Gegensatz zu ihr fühle ich mich topfit. Am liebsten hätte ich die ganze Nacht durchgetanzt. Durch meine Flucht vor Dimitri habe ich Kopf und Kragen für diesen Abend riskiert. Ich möchte ihn bis zur letzten Sekunde auskosten.
Schade, dass mein Kennenlernen mit Tim, Julian und Aykan so jäh von diesem Fremden unterbrochen wurde. Ich hätte gerne noch etwas mit den Jungs geflirtet und vielleicht sogar unsere Nummern ausgetauscht. Aber nachdem Tim die Gratis-Bierdusche erhalten hat, sind die drei nach Hause gegangen.
»Na gut«, sage ich enttäuscht, lächele meine Freundin jedoch an. Sie belohnt mich, indem sie mich plötzlich in eine Umarmung zieht und fest drückt.
»Tut mir leid, Kiki. Morgen früh ist Uni.«
»Macht nichts, Leo. Inzwischen sind hier eh nur noch Alkoholleichen!« Ich hake mich bei ihr ein und wir gehen zusammen Richtung Ausgang. Auch mir kribbelt von den zahlreichen Drinks der Kopf. Alles fühlt sich taub und wie in Watte gepackt an. Angestrengt versuche ich, gerade zu gehen und mich nicht betrunken zu verhalten. Meine Stiefel fühlen sich an wie Stelzen. Alles ist so wackelig. Gleichzeitig finde ich es urkomisch und muss lachen.
Auf dem Weg nach draußen kommen wir an den anderen Räumen vorbei. Abgesehen von dem Mainfloor, auf dem die gängige Partymusik läuft, gibt es noch einen Techno- und einen Schlagerbereich. Außerdem gibt es einen separaten Raucherraum, in dem dichte Rauchschwaden die Sicht vernebeln. Als wir uns diesem Teil der Diskothek nähern, riecht es sofort nach Zigaretten.
Hinter der Glaswand befinden sich einige Personen. Manche stehen in Grüppchen an Tischen, doch viele sind alleine dort.
Leo hat bis vor einem Jahr auch geraucht. Ich habe so lange auf sie eingeredet, wie gesundheitsschädlich und stinkend das ist, bis sie irgendwann aufgegeben hat. Vermutlich war mein Nerven größer als ihre Sucht.
Plötzlich bleibt mein Blick an einem Mann hängen, der nahe der Glasscheibe steht und alarmiert hinaussieht, als hätte er etwas Schockierendes bemerkt. Eine Zigarette klemmt zwischen seinen Zähnen, das Feuerzeug hält er in der Hand.
Ich erkenne die schwarzen Linien der Tattoos, die sich seine Arme hochschlängeln, dann blicke ich in sein Gesicht. Seine dunklen Augen treffen meine. Sie sehen durch die Glasscheibe direkt zu mir hinab. Er muss den Kopf dazu vorneigen, weil ich ihm gerade mal bis zur Brust reiche. Ohne darüber nachzudenken, bleibe ich stehen, drehe mich zu ihm und starre ihn an wie ein Tier in einem Terrarium.
Leonie hält an und zieht verwundert an meinem Arm.
»Was ist los? Kommst du?« Es hört sich an, als wäre ihre Stimme weit weg.
Ich bin fasziniert von seinen Augen, seinen Tattoos, dem schwarzen T-Shirt, das an ihm klebt wie eine zweite Haut, und von seinem markanten Gesicht, welches nur spärlich von dem Licht der Lampen gestreift wird. Er steht nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Lediglich die Glasscheibe trennt unsere Körper voneinander und doch kommt es mir vor, als könnte ich seine Hitze durch sie hindurch spüren. Die kleinen Haare an meinen Armen und in meinem Nacken stellen sich auf. Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper. Eine unsichtbare Kraft zieht mich nach vorn.
Wer bist du?
Als er blinzelt und sich die Zigarette anzündet, zerreißt der Moment, der mich gefangen hält. Es ist, als würde ich aus tiefem Wasser auftauchen. Ich schnappe nach Luft und bemerke erst jetzt, dass ich sie angehalten habe.
Jetzt, da ich aus meinem Tagtraum aufwache, ist es mir peinlich, ihn derart angeglotzt zu haben wie eine Attraktion im Zoo. Die Schamesröte schießt mir in die Wangen und ich bin froh, dass er es in der dunklen Umgebung nicht bemerken wird.
Ich lächele ihn freundlich an und winke ihm zu.
Er schaut so finster drein, dass ich den Wunsch verspüre, ihn aufzumuntern.
Kein Muskel regt sich in seinem Gesicht. Das Ende seiner Zigarette leuchtet rot auf, als er daran zieht und den Rauch abfällig gegen die Scheibe in Höhe meines Gesichtes pustet.
Was für ein arroganter Mistkerl!
Ich fasse es nicht. Diese Geste kommt einem Mittelfinger gleich! Meine Faszination löst sich auf wie der Zigarettenqualm. Bevor ich reagieren kann, rüttelt Leonie erneut an mir.
»Kiki!«, ruft sie mich.
»Ja, sorry. Lass uns gehen.« Ich hake mich erneut bei ihr ein und schüttele unterwegs meinen Kopf.
»So ein Arsch«, ärgere ich mich.
Dennoch – ich bin vieles, aber keine Zicke. Ich würde ihn jederzeit wieder anlächeln, auch wenn ich mich gerade aufrege.
Wir holen unsere Jacken an der Garderobe ab und verlassen anschließend die Diskothek. Draußen ist es eiskalt, vor allem, weil wir verschwitzt sind. Ich hätte auf Dimitri hören und mir einen Schal anziehen sollen. Diese Einsicht kommt einige Stunden zu spät.
Ich halte mich dicht an Leo und versuche, mich an ihr zu wärmen, während wir zurück zum Willy-Brandt-Platz laufen. Es ist eine Ebene, die mit großen, grauen Pflastersteinen bedeckt ist und durch deren Mitte die S-Bahn-Schienen verlaufen. Eingegrenzt wird er auf der einen Seite von dem Euro-Tower, auf der anderen Seite von dem Wolkenkratzer der Commerz-Bank. Direkt hinter dem Platz erstreckt sich die Gallus-Anlage, ein innerstädtischer Park mit schönen Bäumen, Rasenflächen und Spazierwegen. Gegenüber befindet sich das große, flache Opern- und Theatergebäude. Die Grünanlage und der Platz trennen das Bahnhofsviertel von der Innenstadt.
Die Metropole ist gut beleuchtet, doch inzwischen sind kaum mehr Menschen auf den Straßen. Vereinzelte Partygäste sind auf dem Weg nach Hause, ansonsten warten nur noch zwielichtige Gestalten an den Ecken wie Spinnen auf ihre Beute.
Auf einmal beschleunigt sich mein Puls, meine Atmung wird flach und ich verspüre den Drang, mich nach hinten umzusehen.
»Und du kommst gleich klar zu Hause mit deinem Vater?«, fragt Leo und verhindert damit, dass ich mich meiner Panik hingeben kann.
»Muss ich wohl«, antworte ich und rümpfe meine Nase. »Es wird mit Sicherheit ein Riesen-Donnerwetter geben. Aber ich habe es ja auch irgendwie verdient.«
»Hast du überhaupt nicht! Du bist erwachsen, Kiki, und kein kleines Kind mehr, das er einsperren kann. Er kann dir nichts verbieten und er muss verstehen, dass es keine sonderlich entspannte Feier wird, wenn er dir seinen Aufpasser mitschickt!«
»Ja, ich weiß. Aber ich hätte dennoch nicht einfach davonlaufen sollen. Vor allem nicht, weil Dimitri sicher richtig Ärger bekommt.« Je mehr sich der Alkohol und die Aufregung des Abends in meinem Körper abbaut, desto größer werden meine Gewissensbisse. Ich muss mich bei ihm entschuldigen. Unbedingt.
Mit klopfendem Herzen ziehe ich mein Handy aus meiner Jackentasche und schalte es ein.
Zehn verpasste Anrufe und drei bitterböse Nachrichten von meinem Vater. Die letzte lautet »das wird Konsequenzen haben.«
Ich stöhne und lehne mich an Leos Schulter, nachdem wir uns an der Haltestelle auf eine Bank setzen.