Fräulein Söderbaum und die unzuverlässigen Geister - Kristina Ruprecht - E-Book

Fräulein Söderbaum und die unzuverlässigen Geister E-Book

Kristina Ruprecht

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Beschreibung

Bad Ems 1863. Immer wieder konnte der Betrüger, der Klara Söderbaums Familie ruiniert hat, entkommen. Doch jetzt lockt ihn das Angebot eines Juweliers erneut nach Bad Ems. Einerseits hofft Klara, dass nun endlich der Gerechtigkeit Genüge getan wird, andererseits muss sie sich aber auch ihren Gefühlen gegenüber dem Mann, der sie liebt, stellen. Obwohl Klara inzwischen eine neue Schülerin hat, lassen die Probleme ihrer früheren Schützlinge und die Eskapaden deren Mutter sie nicht los. Außerdem muss noch die Frage beantwortet werden, was der Salonillusionist, dem die Bankiersgattin Rotherbruch verfallen ist, mit all dem zu tun hat.

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Seitenzahl: 208

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Über dieses Buch

Bad Ems 1863.

Immer wieder konnte der Betrüger, der Klara Söderbaums Familie ruiniert hat, entkommen. Doch jetzt lockt ihn das Angebot eines Juweliers erneut nach Bad Ems. Einerseits hofft Klara, dass nun endlich der Gerechtigkeit Genüge getan wird, andererseits muss sie sich aber auch ihren Gefühlen gegenüber dem Mann, der sie liebt, stellen.

Obwohl Klara inzwischen eine neue Schülerin hat, lassen die Probleme ihrer früheren Schützlinge und die Eskapaden deren Mutter sie nicht los.

Außerdem muss noch die Frage beantwortet werden, was der Salonillusionist, dem die Bankiersgattin Rotherbruch verfallen ist, mit all dem zu tun hat.

Die Autorin

Kristina Ruprecht studierte Germanistik und Politikwissenschaft in Stuttgart und arbeitete als PR-Texterin und freie

Journalistin in den Bereichen Wirtschaft und IT.

Seit ihrem Umzug in die Nähe von Bad Ems widmet sie sich verstärkt dem Schreiben von historischen Romanen.

Fräulein Söderbaum und die unzuverlässigen Geister ist der abschließende Teil einer Trilogie um eine Gouvernante im Bad

Ems des 19. Jahrhunderts.

Bereits erschienen:

Fräulein Söderbaum und der allzu liebenswürdige Bräutigam

Fräulein Söderbaum und die vertauschte Russin Weitere historische Romane:

Sauerwasser und Jungfernpalme

Franziska, der Schatz des Doktors und die preußische Marine

Personenverzeichnis:

Im Dorf Ems (Villa der Wandelbachs)

Cornelia von Wandelbach – Freifräulein

Klara Söderbaum – ihre Freundin und Gesellschafterin, früher Gouvernante

Sweta – russischer Gast

Hans Dante Moorheim – alias Hans der Gärtner

Marie – Dienstmädchen

Im Hotel Russischer Hof

Lucille Ottilie Rotherbruch – Bankiersgattin

Theodora Rotherbruch – ihre Tochter

Adalbert Rotherbruch – ihr Sohn

Joseph Krause – neuer Hauslehrer

Fräulein Schmitz – neue Gouvernante

Im Hotel Darmstädter Hof

Monsieur Honoré Auguste Magus – Illusionist

Valeria – Medium

Gerd – Valerias Bruder

Im Hotel Wiesbadener Hof

Herrmann von Wandelbach – Freiherr, Cornelias Bruder

Sabrina von Wandelbach – seine Frau, früher Varietéschauspielerin

Sonstige

Maestro Igor Tugajew – Klaviervirtuose

Baron von Hinderlingen – Betrüger

Rudolf Lichtblau – früher Hauslehrer, jetzt Krankenpfleger

Konstantin von Borodin, Konni – Adalberts Freund

Siegfried Methmann – Theodoras Bräutigam

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Epilog

Nachwort

Soirée parisienne”, buchstabierte Sweta. „Was ist das?”

Sie hielt Klara das Flugblatt hin. Ein Junge, der auf der Promenade Werbeschriften an die flanierenden Kurgäste verteilte, hatte es ihr in die Hand gedrückt.

Klara überflog den französischen Text. „Da wird die Vorstellung eines gewissen Conte de Magus angekündigt. Ein Magier oder Illusionist, der Gedanken lesen kann und Geister beschwören will.“

Sweta nickte langsam. Zwar verdeckte der dichte Schleier, der an ihrem Hut befestigt war, ihr Gesicht, aber Klara wusste, dass sie die Stirn gerunzelt hatte. Das machte sie immer, wenn sie versuchte, Dinge zu begreifen, von denen sie bisher noch nie gehört hatte. Die junge Russin lebte erst seit zwei Monaten im Hause des Freifräuleins von Wandelbach, aber sie hatte schon erstaunlich gut Deutsch gelernt. Nur mit der Schrift stand sie noch auf Kriegsfuß.

„Es ist kein Wunder, dass du den Text nicht verstehst“, sagte Klara. „Das Flugblatt ist auf Französisch geschrieben.“

„Das muss ich auch noch lernen.“

„Das wirst du auch. Aber du kannst nicht alles gleichzeitig machen.“ Klara zupfte an der Hundeleine, damit Xerxes, der Dänische Doggenrüde, wusste, dass es an der Zeit war, sein Nickerchen zu beenden. Gemächlich setzten die beiden Frauen und der Hund ihren Spaziergang fort.

Sweta schaute im Gehen von Zeit zu Zeit auf das Flugblatt, um sich die Buchstaben einzuprägen. Eine so wissbegierige Schülerin stellte für Klara eine völlig neue Erfahrung dar, denn die Bankierstochter, für die sie zuvor als Gouvernante verantwortlich gewesen war, hatte man immer zum Lernen überreden müssen. Bei Sweta beschlich sie manchmal das Gefühl, sie müsste ihren Eifer bremsen, damit sie sich nicht selbst überforderte.

Klara steuerte auf eine der Bänke zu, die den breiten, kiesbestreuten Weg säumten und von denen man sowohl das Treiben auf der Promenade als auch das glitzernde Wasser der Lahn betrachten konnte. Dafür, dass sie schon Mitte September hatten, war es außergewöhnlich warm. Viele Kurgäste waren trotzdem bereits abgereist, denn die Saison neigte sich ihrem Ende zu. Das Gedränge vor den glänzenden Geschäften auf der Römerstraße war nicht mehr ganz so dicht wie im Hochsommer.

„Heute ist wirklich ein schöner Tag“, sagte Klara und setzte sich. „Wie ist das Wetter in Sankt Petersburg zu dieser Jahreszeit?“

Sweta brauchte einige Minuten, um den Sinn des Gesagten zu erfassen und dann auf Deutsch eine Antwort zu basteln. „Es ist kälter und … regniger?“

„Du willst sagen, es regnet öfter?“

Die Russin nickte. „Und die vornehmen Leute kommen zurück.“

„Aus der Sommerfrische?“

„Von ihren Landsitzen und von ihren Reisen in die Kurorte. Sagt man dazu Sommerfrische?“

Klara bejahte und Sweta fuhr fort: „Jetzt gibt es wieder Konzerte, Feste und Bälle.“ Ihre Stimme klang sehnsüchtig, obwohl sie doch früher an diesen Vergnügungen allenfalls aus der Ferne teilhaben durfte. Als Sweta noch in Russland lebte, war sie ein einfaches Küchenmädchen gewesen. Eines, das durch eine Laune des Zufalls genauso aussah wie die Tochter des Fürsten Dobrinskij. Diese Ähnlichkeit wäre ihr fast zum Verhängnis geworden, als sie auf Natalja Dobrinskajas Geheiß deren Rolle übernehmen und nach Bad Ems reisen musste.

Klara legte Sweta die Hand auf den Arm. „Du hast Heimweh?“

Ein leises Schniefen war die Antwort. Für Sweta würde es keine Rückkehr nach Russland geben. Ihre Begleiter hatten ihre Ähnlichkeit mit der Fürstin dafür ausgenutzt, Geld zu ergaunern, Diamanten zu stehlen und in vornehmen Hotels die Zeche zu prellen. Wenn jemand Sweta identifizierte, dann war zu befürchten, dass man ihr daran eine Mitschuld geben und sie entsprechend bestrafen würde. Aus diesem Grund wagte sich die junge Frau momentan nur verschleiert in die Öffentlichkeit. Zu groß war das Risiko, dass einer der vielen russischen Kurgäste sie als die falsche Natalja Dobrinskaja erkannte.

Sie blieben auf der Bank in der Spätsommersonne sitzen, bis sich Sweta wieder beruhigt hatte. Um sie herum plauderten und lachten die Kurgäste, die das Leben im Weltbad auf jede nur erdenkliche Weise genossen.

„Heute Nachmittag kommt Igor Tugajew zu Besuch“, sagte Klara, um die Russin etwas aufzuheitern. „Ich bin sicher, er erzählt wieder lustige Geschichten von seinen Schülerinnen.“

Maestro Tugajew war ein Klaviervirtuose, der seinen Lebensunterhalt hauptsächlich damit bestritt, dass er den Töchtern reicher Kurgäste Klavierunterricht erteilte. Außerdem war er schwer in Sweta verliebt und diese schien seine Gefühle zu erwidern. Ihre Stimme klang schon wieder etwas fröhlicher, als sie vorschlug, einen Blumenstrauß für Cornelia von Wandelbach zu kaufen.

„Das ist eine sehr gute Idee“, meinte Klara. Das Freifräulein, das aus gesundheitlichen Gründen nur selten an ihren Spaziergängen teilnahm, hatte sich in der Vergangenheit sowohl Sweta als auch Klara gegenüber als großzügige Wohltäterin und Freundin erwiesen.

Die Frauen erhoben sich von der Bank und wandten sich Richtung Kurhaus, da Klaras Lieblingsblumenverkäuferin ihren Stand auf dem Platz zwischen dem Gebäude des Marmorsaales und dem Kurhaus aufgebaut hatte. Xerxes ließ zwar die Ohren hängen, als er registrierte, dass es immer noch nicht nach Hause ging, aber er tappte wie üblich gutwillig hinter Klara her.

Auf dem Platz bot eine Vielzahl fliegender Händler Waren an, und eine bunte Menge von Kurgästen drängte sich zwischen den Ständen mit Süßigkeiten, Gebäck, Tüchern, Bändern und Modeschmuck. Sweta blieb immer wieder stehen, um dies oder jenes genauer anzuschauen, und nur der Tatsache, dass die meisten Passanten der imposanten Dänischen Dogge auswichen, war es zu verdanken, dass sie überhaupt vorankamen. Als Klara Sweta gerade dazu überredet hatte, sich von einem Stand mit funkelnden Glastierchen loszureißen, wandte sie sich um und stand direkt vor Frau Rotherbruch.

Das Gesicht der aufgeputzten Bankiersgattin versteinerte, als sie Klara Söderbaum erblickte.

„Manche Personen haben einfach nicht den Anstand, den Ort zu verlassen, an dem sie sich unmöglich gemacht haben“, informierte sie mit lauter Stimme ihre Tochter Theodora. Dieser war das Benehmen ihrer Mutter peinlich. Sie schaute zu Boden und zerknüllte in der Hand, eine halb leer gegessene Tüte mit kandierten Mandeln. Einige Passanten drehten sich neugierig nach den Frauen um.

Klara war so erschrocken über die unerwartete Begegnung, dass ihr auf die Schnelle nichts einfiel, was sie hätte erwidern können.

Sweta hakte sich bei ihr unter. „Das brauchen Sie sich doch nicht gefallen lassen, liebe Klara.“ Ihre Stimme war trotz des starken Akzents sehr gut verständlich. Würdevoll entfernte sie sich mit ihrer Freundin und Lehrerin. Frau Rotherbruch sah ihr fassungslos hinterher und ihr Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass sie unbedingt wissen wollte, was die frühere Gouvernante ihrer Tochter mit dieser Dame zu tun hatte, die zwar nicht ihr Gesicht zeigte, deren Figur und Haltung aber vermuten ließen, dass sie schön war. Aufgrund der Sprechweise wusste die Bankiersgattin, dass es sich um eine Russin handelte. Im Verlauf ihres Aufenthaltes in Bad Ems hatte Lucille Ottilie Rotherbruch gelernt, dass das gleichbedeutend war mit adelig und reich. Beides waren Eigenschaften, die sie sehr schätzte. Und solch eine Frau sagte „liebe Klara“ zu dem Fräulein, das weder das eine noch das andere war.

Nach einigen Schritten hatte sich Klara wieder im Griff. „Danke, Sweta. Es war dumm von mir, nicht damit zu rechnen, dass ich ihr irgendwann über den Weg laufe.“

Sweta murmelte etwas Unverständliches auf Russisch.

„Bitte?“

„Die Frau.“ Sweta überlegte, wie sie es am besten formulieren könnte. „Sie ist hochnäsig und eine Kosa, eine Ziege.“

Klara lächelte schwach. Im Grunde hatten die beleidigenden Äußerungen Frau Rotherbruchs sie nicht allzu tief getroffen, aber es war ihr aufgefallen, dass Theodora unglücklich wirkte.

Die Blumenhändlerin freute sich, sie zu sehen, denn Klara behandelte sie nicht so von oben herab wie die Mehrzahl ihrer sonstigen Kunden. Daher schmuggelte sie in die Sträuße, die sie der Gouvernante verkaufte, gerne eine Blüte mehr oder gab ihr besonders frische Blumen. Heute war Klara allerdings nicht zum Plaudern aufgelegt. Die Begegnung mit ihrer früheren Arbeitgeberin ging ihr nicht aus dem Kopf. Sweta suchte einen hübschen Rosenstrauß aus, aber Klara war die Freude an dem schönen Tag verdorben.

„Lass uns jetzt wieder nach Hause gehen“, sagte sie zu der Russin. Auf dem Rückweg schaute sie sich immer wieder um, aber von Frau Rotherbruch oder Theodora war nichts mehr zu sehen.

In der Wandelbach’schen Villa brachte Klara Xerxes in die Küche, wo die Köchin schon die Futterschüssel für den Hund vorbereitet hatte. Danach ging sie in den Salon. Hier hielt sich Cornelia von Wandelbach um diese Zeit meist auf. Im Hausflur begegnete Klara dem Dienstmädchen, das gerade die Vormittagspost geholt hatte. „Ich nehme die Briefe mit hinein“, sagte sie und Marie reichte ihr die Umschläge.

Das Freifräulein von Wandelbach saß an seinem Schreibtisch inmitten eines Dschungels von ausgewucherten Zimmerpflanzen und blätterte in der Kurzeitung.

„Was bringen Sie mir Schönes?“, fragte es, als ihm Klara die Post reichte. „Ist ein Brief von unserem Moorheim dabei?“

„Ich habe die Sachen noch nicht durchgesehen.“

Klara konnte nicht verhindern, dass sie leicht errötete. Um diese ärgerliche Reaktion zu verbergen, wandte sie sich zu der großen Fenstertür um und schaute in den Garten. „Es ist solch ein schönes Wetter. Sie hätten sich an unserem Morgenspaziergang beteiligen sollen.“

„Sie wissen doch, dass mein Herz Probleme macht.“

Klara seufzte innerlich. Diesen Dialog führten sie nun schon seit Wochen. Sie war überzeugt davon, dass ein geruhsamer Spaziergang dem kränklichen Freifräulein nur guttun konnte, aber leider drang sie mit dieser Meinung nicht durch.

„Herrmann hat geschrieben – endlich.“ Auf einen Brief ihres Bruders hatte Cornelia von Wandelbach schon lange gewartet. „Erst meldet er sich wochenlang gar nicht und dann schreibt er ausufernde Episteln.“

Während das Freifräulein sich bemühte, den Papierpacken, den Herrmann von Wandelbach in den Umschlag gequetscht hatte, wieder herauszubekommen, wanderte Klaras Blick über die anderen Briefe, die Cornelia von Wandelbach auf den Schreibtisch gelegt hatte. Die Handschrift, nach der sie insgeheim Ausschau hielt, war nicht dabei.

Ihre Arbeitgeberin sah auf. „Könnten Sie vielleicht die Stellenanzeigen durchschauen? Sie wissen ja, wonach wir suchen.“ Sie reichte Klara die Zeitung und vertiefte sich dann in den Brief ihres Bruders.

Klara setzte sich auf die andere Seite des Schreibtisches.

Letzte Woche hatten sie sich von ihrem Gärtner getrennt. Ein Schritt, der Klaras Meinung nach überfällig gewesen war. Der Mann hatte geglaubt, er könne in einem Haushalt, der ansonsten aus Frauen bestand, unhöflich und unpünktlich sein. Darüber hinaus hatte er sich immer wieder um die Spaziergänge mit Xerxes gedrückt und sich geweigert, kleine Reparaturen oder Botengänge auszuführen, die nicht direkt mit dem Garten zu tun hatten. Das Fass war übergelaufen, als Klara ihn dabei erwischt hatte, dass er Sweta belästigte. Sie hatte ihn auf der Stelle hinausgeworfen, ohne vorher das Freifräulein zu fragen.

Bei den Hausknechten und Gärtnern, die eine Stelle suchten, war niemand zu finden, der zu ihnen gepasst hätte. Frustriert überflog Klara die weiteren Anzeigen. Kutscher, Zimmermädchen, Köchinnen, Haarwuchsmittel, Magenpillen. Jetzt war sie schon in der Rubrik gelandet, in der die neuesten Erfindungen angepriesen wurden.

Sie wollte die Zeitung gerade beiseiteschieben, da fiel ihr Blick auf eine fett gedruckte Annonce, die mit den Worten Hohe Prämie begann. Die Belohnung wurde versprochen für die Wiederbeschaffung von wertvollem Diamantschmuck, der durch betrügerische Machenschaften einem bekannten Emser Juwelier abhandengekommen war. Alarmiert las Klara die detaillierte Beschreibung von drei Colliers und mehreren Ohrgehängen. Sie erkannte den gesuchten Schmuck sofort. Es waren die Stücke, die der Haushofmeister ergaunert hatte, der Sweta nach Bad Ems begleitete. Er hatte dem Juwelier vorgespiegelt, er sei ermächtigt, die Vorauswahl für den Hochzeitsschmuck der Fürstin Dobrinskaja zu treffen. Dieser Haushofmeister war wenig später aufgrund eines Missverständnisses für ein Attentat auf die russische Zarin verantwortlich gemacht und festgenommen worden. Mit den Diamanten hatte sich sein Komplize davongemacht.

„Er will hierherkommen“, sagte das Freifräulein.

„Wie bitte?“ Klara sah verwirrt auf. Sie dachte immer noch darüber nach, was die Annonce des Juweliers bedeutete.

„Mein Bruder! Er möchte sich mit mir darüber unterhalten, was wir bezüglich unseres Verwalters unternehmen sollen.“ Der betreffende Vermögensverwalter hatte das Geld der Wandelbachs veruntreut und in die Spielbank getragen.

„Ich glaube nicht, dass wir ihm weiterhin vertrauen können“, sagte das Freifräulein.

„Hm.“

Cornelia von Wandelbach musterte Klara. „Wo sind Sie denn mit den Gedanken?“

Als Antwort schob diese ihr das Zeitungsblatt hinüber und tippte auf die Anzeige. „Das sind die Diamanten, die der falsche Baron von Hinderlingen an sich genommen hat.“

Das Freifräulein zog die Brauen hoch. „Halten Sie es für möglich, dass er dem Juwelier den Schmuck zurückgibt?“

„Vielleicht. Schließlich kann er die Stücke in absehbarer Zeit nicht verkaufen. Zumal jetzt überall diese Beschreibung kursiert. Wahrscheinlich ist es für ihn lukrativer, die Belohnung zu kassieren und allen zu zeigen, was für ein ehrlicher Mensch er ist.“ Die letzten Worte sagte Klara mit einem bitteren Unterton. Der Baron von Hinderlingen hatte nicht nur ihre Familie finanziell ruiniert, er trug auch die Verantwortung für den Selbstmord ihres Vaters.

„Wir sollten Moorheim über diese Anzeige informieren“, sagte das Freifräulein. „Vielleicht ist dies die Gelegenheit, auf die er gewartet hat, um die Spur des Betrügers wieder aufzunehmen. Wenn Hinderlingen die Belohnung beanspruchen will, dann muss er schließlich nach Ems zurückkommen.“

„Am besten, wir schicken ihm das Zeitungsblatt“, sagte Klara mit gemischten Gefühlen. Einerseits war sie glücklich über die Aussicht, Hans Dante Moorheim wiederzusehen, aber andererseits würde sie es dann nicht mehr vermeiden können, sich mit ihm über gewisse Dinge auszusprechen.

Cornelia von Wandelbach lächelte wissend und schob ihr die Zeitung wieder zu. „Schreiben Sie ihm einen schönen Brief. Ich würde mich freuen, ihn wieder hier zu haben.“

Am Nachmittag klopfte Igor Tugajew an die Tür der kleinen Villa. Das Dienstmädchen führte ihn zu den Damen in den Salon und ging dann ins Esszimmer, um die Kaffeetafel zu decken.

Seit Neuestem kamen auch Kuchen und Törtchen auf den Tisch, die Sweta gebacken hatte. Im Laufe ihres näheren Kennenlernens entdeckte Klara, dass das frühere Küchenmädchen Talent und Liebe für die Herstellung von feinen Backwaren besaß. Daraufhin hatte sie die Stunden ihres Sprachunterrichtes mit den entsprechenden Büchern aufgelockert, die sie sich in der Küche auslieh. Das wiederum führte dazu, dass Sweta das Erlernte sehr schmackhaft in die Praxis umsetzte.

Nachdem die Köchin des Freifräuleins sich damit abgefunden hatte, dass „diese ausländische Dame“ ihren Ofen und ihre Schüsseln benutzte, musste sie zugeben, dass sich Swetas Produkte mit ihren eigenen durchaus messen konnten. Inzwischen tauschten die beiden Frauen ausgiebig Tipps, Tricks und Rezepte aus. Cornelia von Wandelbach hatte über dieses freundschaftliche Verhältnis Swetas zu einer Dienstbotin zuerst die Stirn gerunzelt, aber Klara sagte: „Es ist doch gut, wenn sie an einer Tätigkeit Freude findet, die sie notfalls auch zum Broterwerb ausüben kann. Wir wissen nicht, wohin sie ihr Lebensweg noch führen wird.“

Darüber hinaus stellte Klara fest, dass an den Tagen, an denen Tugajew zu Besuch kam, die Törtchen, Petits fours und Macarons immer besonders liebevoll verziert waren.

Die Nachmittage liefen stets nach dem gleichen Ritual ab: Erst wurde etwas geplaudert, dann Kaffee getrunken und Kuchen verkostet. Später erklärte Tugajew Sweta noch einige Feinheiten der deutschen Sprache, die so kompliziert waren, dass man das besser auf Russisch tat. Zum Ausklang des Tages spielte er den Damen die neuesten Klavierstücke vor. Er hatte herausgefunden, dass Klara Musik liebte, und er tat ihr gerne jeden Gefallen, da sie es gewesen war, die ihn mit Sweta bekannt gemacht hatte.

Heute brachte Tugajew interessante Neuigkeiten mit. „Die Fürstin Petrowna, deren Tochter ich unterrichte, erzählte mir, dass sie heute einen Brief bekam, der sie in Aufregung versetzt hat.“ Er legte den Löffel hin, mit dem er gerade ein erhebliches Zuckerquantum in seinem Kaffee verrührt hatte. „Die gute Petrowna hat vor einigen Wochen an den Fürsten Anatolji Dobrinskij geschrieben und ihm ihr Beileid zum Tod seiner Tochter ausgedrückt.“ Sweta wurde bleich und auch Klara stockte der Atem.

„Jetzt hat Dobrinskij geantwortet und sich sehr erstaunt gezeigt. Er schreibt, dass seine Tochter bei ihrer Familie in Sankt Petersburg weile und sich bester Gesundheit erfreue.“

„Dann wird es sich wohl sehr bald herumsprechen, dass die Emser Gesellschaft einem Betrug aufgesessen ist.“ Cornelia von Wandelbach goss sich einen kleinen Schluck Milch in die Tasse. Ihre Hand zitterte dabei.

„Bis zur Kursaison im nächsten Jahr interessiert das niemanden mehr“, sagte Klara. Tugajew nickte und richtete den Blick auf ein Sahnetörtchen, das mit einer roten Marzipanrose verziert war. „Niemand wird den Gast des Freifräuleins von Wandelbach mit einer verschwundenen Betrügerin in Verbindung bringen.“

„Auf jeden Fall weiß Natalja Dobrinskaja jetzt, dass ich meinen Auftrag ausgeführt habe“, sagte Sweta nachdenklich. „Die Verlobung mit Anton von Laubewitz ist doch nun als gelöst zu betrachten?“

Klara war sich da nicht so sicher. So wie sie den Mann kennengelernt hatte, würde er möglicherweise nach Petersburg reisen und den Fürsten Dobrinskij zur Rede stellen. Aber sie hielt den Mund. Warum sollte sie Sweta beunruhigen? Die junge Frau war wider Willen zur Betrügerin gemacht worden und hatte ihre Heimat verloren. Und das nur, weil sich eine Fürstin überstürzt mit einem Mann verlobt hatte, den sie dann doch nicht heiraten wollte und nicht den Mut aufbrachte, ihm das selbst zu sagen.

„Ich habe noch eine weitere Überraschung für die Damen“, sagte Igor Tugajew. „Diesmal eine rundum schöne! Ein Bekannter hat mich auf die Burg Lahneck eingeladen und er hat mir ausdrücklich erlaubt, mitzubringen, wen immer ich mitbringen möchte. Ich schlage vor, wir betrachten das als den Anlass zu einer gemeinsamen Landpartie.“ Er warf einen Seitenblick auf Sweta. „Es wäre eine gute Gelegenheit, unserem Gast etwas von der Gegend zu zeigen.“

„Das ist eine sehr hübsche Idee“, sagte das Freifräulein. „Aber auf meine Teilnahme an dem Ausflug müssen Sie wohl verzichten.“

„Das kommt überhaupt nicht infrage“, rief Klara.

Auch Tugajew schüttelte den Kopf. „Mein Bekannter stellt uns für den ganzen Tag eine Kutsche zur Verfügung. Sie werden kaum zu Fuß gehen müssen. Da können Sie wirklich mitkommen. Ich würde mich freuen!“

Indem der Klaviervirtuose seinen ganzen Charme in die Waagschale warf, schaffte er es schließlich, der Dame eine Zusage abzuringen.

„Wir werden die seltene Gelegenheit haben, die Burg Lahneck trotz der Bauarbeiten, die dort momentan im Gange sind, zu besichtigen“, sagte Tugajew. „Der Besitzer möchte mit mir ein Klavierkonzert planen. Dabei zeigt er sich überaus großzügig.“

Als ihm die Damen versichert hatten, wie sehr sie sich auf den Ausflug freuten, zog er sich mit Sweta und einem Grammatikbuch in den Salon zurück.

Cornelia von Wandelbach und Klara besprachen noch die eine oder andere häusliche Angelegenheit und beschlossen dann, sich zu den beiden Russen zu gesellen.

Da stürzte das Dienstmädchen ins Zimmer. Rot im Gesicht und verwirrt.

„Gnädige Frau, es ist mir so peinlich.“ Sie knetete ihre Schürze mit den Händen. „Der Herr Moorheim – ich glaube jedenfalls, dass er es ist –, er wollte unbedingt die Hintertür benutzen … und wie er gekleidet ist …“ Sie brach hilflos ab.

„Marie“, sagte das Fräulein mit sanftem Tadel in der Stimme. „Erzähle uns doch bitte alles von Anfang an und der Reihe nach.“

„Ich glaube, es ist einfacher, wenn ich es selbst erkläre“, sagte eine Stimme, die Klaras Herz klopfen ließ. Hinter dem Rücken des Dienstmädchens erschien eine Männergestalt.

„Moorheim!“ Cornelia von Wandelbach lachte leise. „Warum haben Sie unsere Marie so erschreckt?“

„Tut mir sehr leid. Aber das ist ein Bestandteil meiner Tarnung.“ Moorheim blieb immer noch auf dem dunklen Flur stehen.

„Setzen Sie sich doch zu uns“, sagte das Freifräulein. „Dann können Sie uns in aller Ruhe erklären, was das zu bedeuten hat.“

„Nur wenn ich Marie bitten darf, die Vorhänge des vorderen Fensters zu schließen. Es darf niemand wissen, dass ich hier bin.“

Auf ein Nicken seiner Herrin hin trat das Dienstmädchen an das zur Straße gelegene Fenster und zupfte die schwere Portiere so zurecht, dass sie jeden Einblick verwehrte.

Nun trat Moorheim ins Zimmer.

Das Freifräulein konnte ein erstauntes „Oha“ nicht unterdrücken und Klara, die immerhin schon einmal Zeugin von Moorheims Maskierungskünsten geworden war, musste zugeben, dass er sich diesmal selbst übertroffen hatte.

„Es ist wirklich gut, dass wir keine Zuschauer haben“, sagte sie. „Man könnte sich fragen, was Sie hier zu suchen haben.“

Moorheim lächelte stolz. Er schien diese unhöfliche Bemerkung als Kompliment zu betrachten.

„Wenn Sie sich umziehen möchten, dann steht Ihnen selbstverständlich der Kleiderschrank meines Bruders zur Verfügung“, bemerkte das Freifräulein. „Und an heißem Wasser zum Waschen soll es auch nicht fehlen.“

„Es ist besser, wenn ich in meiner Rolle bleibe – wenn es Ihnen nicht allzu viel ausmacht.“ Moorheim ließ sich auf einem Stuhl am Esstisch nieder und streckte die Beine von sich. Klara musterte die verwitterten Holzpantinen, in denen seine nackten Füße steckten. „Sind Sie nicht der Meinung, dass Sie die Sache ein wenig zu weit treiben?“

„Aber keineswegs! Außerdem ist das eine wirklich interessante Erfahrung.“ Moorheim strich fast zärtlich über die Beine einer speckigen Hose, die Klara an verbeulte Ofenrohre erinnerten. Auch die Farbe stimmte.

„Als einfacher Tagelöhner bin ich praktisch unsichtbar.“

„Leider nicht unriechbar!“

Der Besucher rückte seinen Stuhl etwas von ihr weg. „Tut mir leid, ich bin von der Postkutschenstation in Nassau bis hierher zu Fuß gewandert, weil ich mir den Zug nicht leisten konnte, und es ist nun einmal ein warmer Tag.“

„Erzählen Sie doch endlich!“ Das Freifräulein beugte sich vor und seine Augen funkelten. „Ich sterbe vor Neugier.“

„Das können wir auf keinen Fall riskieren.“ Moorheim rieb die Bartstoppeln an seinem Kinn.

Klara schaute ihn missbilligend an. „Sigismund Sumpfleben war ordentlicher.“ Unter diesem Namen und in der Verkleidung eines reichen Erben mit fragwürdigem Geschmack hatte Moorheim in Langenschwalbach den Baron von Hinderlingen verfolgt.

„Ich bin froh, dass ich den Geck los bin. Dauernd diese Pomade auf dem Kopf, das war kaum zu ertragen.“

Klara musterte unwillkürlich seine aktuelle Frisur – oder eher das Nichtvorhandensein einer solchen. Die ungekämmten Haare standen in alle Richtungen. Sie waren immer noch braun gefärbt, da ihre natürliche rote Farbe zu auffällig gewesen wäre. Allerdings waren sie jetzt, reichlich unsachgemäß, zu einer Art Bürstenschnitt gestutzt worden.

„Wenn ich die hier aufsetze, dann sieht es ordentlicher aus.“ Er griff in die Tasche seiner fleckigen Tuchjacke und zog eine zerknautschte Mütze hervor.

„Ersparen Sie uns das!“ Da Klara nicht wusste, wie sie mit dem ganzen Gefühlswirrwarr, der sich zwischen ihr und Moorheim angesammelt hatte, umgehen sollte, war sie kratzbürstig.

„Ich freue mich auch, Sie zu sehen“, sagte der Mann sanft und Klara spürte, wie ihre Wangen heiß wurden.

Moorheim räusperte sich und wandte sich dann an Cornelia von Wandelbach. „Wie ich Ihnen geschrieben habe, bin ich immer noch auf der Suche nach dem falschen Baron von Hinderlingen, der uns mit den gestohlenen Diamanten in Langenschwalbach entkommen ist. Leider habe ich seine Spur nicht wiedergefunden. Da las ich durch Zufall eine Anzeige in einer Wiesbadener Zeitung …“

„… dass der hiesige Juwelier eine Belohnung für die Wiederbeschaffung der Diamanten ausgesetzt hat“, vollendete Klara den Satz.

„Richtig.“ Moorheim lächelte sie an. „Und da ich davon ausgehe, dass Hinderlingen sich diese Belohnung nicht entgehen lässt, habe ich beschlossen, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und in Bad Ems auf ihn zu warten.“ Er wandte sich dem Fräulein zu. „Falls Sie mich unterbringen können.“

„Das wird schon irgendwie gehen.“ Cornelia von Wandelbach überlegte. „Die beiden Gästezimmer sind