Freibeuter und Verräter - Mirco Graetz - E-Book

Freibeuter und Verräter E-Book

Mirco Graetz

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Beschreibung

Sommer 1799 - Henry du Valle ist mit der Siegesnachricht von Akkon auf dem Heimweg nach England. Zwischen Malta und Sizilien trifft Henry du Valle auf Lord Nelsons Geschwader und erhält den Auftrag, die französische Flotte zu suchen, die überraschend ins Mittelmeer eingelaufen ist. Außerdem ist da noch eine mysteriöse Schebecke und ihr geheimnisumwitterter Capitano, der Henry du Valle in Atem hält.

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Sommer 1799 - Henry du Valle ist mit der Siegesnachricht von Akkon auf dem Heimweg nach England. Zwischen Malta und Sizilien trifft Henry du Valle auf Lord Nelsons Geschwader und erhält den Auftrag die französische Flotte zu suchen, die überraschend ins Mittelmeer eingelaufen ist. Außerdem ist da noch eine mysteriöse Schebecke und ihr geheimnisumwitterter Capitano, der Henry du Valle in Atem hält.

Die Henry du Valle Romane:

Band 1 Korsaren und Spione

Band 2 Korsaren in der Ostsee

Band 3 Verrat vor der Korsarenküste

Band 4 Die Festung des Paschas

Band 5 Freibeuter und Verräter

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Nachwort

Vorbemerkung

Im vorliegenden Band ist häufig von Schebecken zu lesen. Um der geneigten Leserschaft nicht erst im Nachwort die Besonderheiten dieses Schiffstyps zu erläutern, hier ein paar wenige Sätze zu diesem im Mittelmeer der damaligen Zeit häufig anzutreffenden Segelschiff.

Der Rumpf erinnert stark an eine Galeere – schlank, schnittig, mit stark über dem Wasser vorspringenden Bug und Heck. Schebecken hatten drei Masten, die lateinisch getakelt waren, also mit je einem dreieckigen Segel an langen Ruten am Fock- Groß- und Besanmast. Ein Klüversegel zwischen Fockmast und Bugspriet ergänzte das Gesamtbild der Takelage. Sie war ein durchaus schneller und wendiger Segler. Hinsichtlich der Bewaffnung stand die Schebecke allgemein einer Fregatte in nichts nach. Auch wenn sie in erster Linie ein Segelschiff war, konnte sie auch gerudert werden. Das verschaffte ihr speziell bei widrigen oder ganz und gar fehlenden Winden einen entscheidenden Vorteil vor reinen Segelschiffen, die auf günstigen Wind angewiesen waren.

Der bekannte Schifffahrtshistoriker, Modellbauer und Buchautor Wolfram von Mondfeld schreibt in seinem Werk „Die Schebecke und andere Schiffstypen des Mittelmeerraumes“:

„Um es noch einmal zusammenzufassen: kleinere Schiffstypen brauchte die Schebecke ohnehin nicht zu fürchten, schwerbewaffneten Linienschiffen war sie an Schnelligkeit überlegen, Fregatten in der Bewaffnung ebenbürtig und an Schnelligkeit meist überlegen, und selbst bei Windstille hatte sie gegen Galeeren noch eine gute Chance. Der einzig wirklich gefährliche Gegner der Schebecke war die Schebecke.“

Nun, dem Autor dieses Buches liegt es fern, einem so anerkannten Fachmann zu widersprechen – aber letztendlich hängt es auch immer stark von der Mannschaft und deren Kapitän ab, wie erfolgreich sich ein Schiff im Gefecht mit einem gegnerischen Schiff schlägt.

Unser junger Kommandant Henry du Valle wird sich also beweisen müssen…

Prolog

Die Abenddämmerung hatte sich über Neapel gelegt. In einer kleinen Taverne in Hafennähe saß in einer dunklen Ecke ein Mann, der durch seinen gesamten Habitus deutlich machte, dass er keinesfalls gestört werden mochte. Der Wirt hatte einen Krug Wein und einen Becher gebracht, worauf der Mann nur knurrte: „Noch einen Becher!“ Unter dem Mantel, in der der Gast gehüllt war, blitzten kurz die Griffe eines Säbels und einer Pistole auf. Zwei Tische weiter saßen zwei finster blickende Gesellen, die immer wieder wachsam in Richtung der Gestalt in der Ecke schauten und jeden neuen Gast, der die Taverne betrat, misstrauisch und abschätzend beobachteten. Vermutlich seine Leibwächter, dachte der Wirt und hoffte, dass es keinen Ärger geben würde.

Kurze Zeit später betrat ein zweiter Mann den Gastraum, blickte sich kurz um und steuerte dann auf die Nische zu, um sich zu dem Gast mit den zwei Bechern vor sich zu setzen. Dieser winkte unauffällig mit einer besänftigenden Geste zu seinen Leibwächtern; sofort ließ deren sichtbare Anspannung nach.

„Admiral“, grüßte der Neuankömmling kurz. Der so Angesprochene nickte nur und fragte dann: „Und, Capitano, wann bekomme ich meine versprochenen Gewehre?“ „Schon bald, Admiral,“ antwortete der andere. „Aber ich muss vorsichtig sein. Die verdammten Engländer sind überall, und diese Landesverräter, die Nelson ehrfürchtig am Rockzipfel hängen, ebenso.“ Der Admiral nickte und sagte: „Ich bin mit Ihrer Arbeit zufrieden, und was allein Ihr Schiff bisher erreicht hat, macht Mut. Machen Sie weiterhin unseren Feinden Feuer unter dem Hintern und zeigen Sie den neapolitanischen Landsleuten, die es bisher noch immer nicht begriffen haben, dass es, so lange Nelson und dieser verräterische Ferdinand1, der sich König nennt, hier meinen, das Sagen zu haben, keinen friedlichen Handel und auch ansonsten keine Ruhe geben wird!“ „Lang lebe die Parthenopäische Republik2!“ erwiderte der andere.

Der Admiral erhob sich, klopfte seinem Gast kurz auf die Schulter und verließ mit seinen zwei Leibwächtern im Schlepptau das Lokal. Der Mann, den der Admiral mit Capitano angesprochen hatte, trank seinen Becher aus, bezahlte und verließ kurz darauf ebenfalls die Taverne. Draußen wurde er von einem stämmigen Seemann erwartet, der ihn nur fragend anschaute. „Zurück aufs Schiff, Mauricio – wir haben viel zu tun,“ beantwortete der Capitano die unausgesprochene Frage. „Wir haben viel zu tun.“

1 Gemeint ist König Ferdinand IV von Neapel, ab 1815 König Ferdinand I beider Sizilien

2 Kurzlebige Republik von Frankreichs Gnaden

1

„Land in Sicht!“, rief Sean Rae von der Fockbramsaling. „Das ist bestimmt Kreta“, meinte Mr. Nutton, der mit den anderen jungen Gentlemen auf dem Achterdeck seiner Majestät Sloop3Mermaid stand, um gemeinsam mit dem Master4 die Mittagsbreite zu ermitteln. Mr. Ellis schüttelte den Kopf und sagte: „Das kann nur Gavdos sein. Wir sind zu weit im Süden, als dass wir die Küste von Kreta sehen könnten.“

„Segel in Sicht, genau in Steuerbord!“, rief Sean Rae nun. „Kannst Du erkennen, worum es sich handelt?“, fragte der Master nach. „Vermutlich eine Schebecke, Sir“, antwortete der Ausguck. Sean Rae war ein guter Mann, auf dessen Urteil man sich verlassen konnte. Deshalb befahl der Master: „Mr. Riker, informieren Sie den Captain, dass in Steuerbord eine Schebecke in Sicht ist.“ Der jüngste Kadett der Mermaid eilte unter Deck, wo Commander5 Henry du Valle mit seinem Schreiber in der Tageskajüte saß und Berichte für die verschiedenen Abteilungen der Admiralität unterzeichnete.

„Sir, der Ausguck hat eine Schebecke in Steuerbord gesichtet“, meldete Mr. Riker aufgeregt. „Danke, Mr. Riker, sagen Sie dem Master, dass ich sofort an Deck kommen werde“, antwortete Henry du Valle. Dann wandte er sich seufzend wieder der Unterschriftsmappe zu, in die Mr.

Hawke alle zu unterzeichnenden Papiere einsortiert hatte. Zum Glück waren nur noch zwei Seiten übrig.

Wenig später kam Henry du Valle an Deck. Leutnant Stokes hatte sich auch bereits an Deck eingefunden, wie Henry befriedigt feststellte. Ein guter Offizier musste immer zur Stelle sein, wenn sich etwas tat. Da spielte es keine Rolle, ob er Wache hatte, oder nicht.

„Nun, was haben wir da, Mr. Ellis?“, fragte er den Master. „Sir, Sean Rae hat eine Schebecke gesichtet. Es wird wohl ein türkisches Wachschiff sein.“, antwortete dieser. Henry du Valle mochte Schebecken, diese elegantesten Schiffe des Mittelmeerraumes. Deshalb beschloss er, sich das gemeldete Schiff persönlich anzuschauen. Er ließ sein Fernrohr bringen und enterte zu Sean Rae auf. Unwillkürlich dachte er an seinen Freund Joseph Townsend, der noch vor wenigen Tagen sein Erster Leutnant war. Wie hatte er die Fockbramsaling genannt? Kommandantensitz! Lästerten seine Männer an Deck jetzt etwa über ihn ab, weil er schon wieder nach oben kletterte?

Sean Rae war einer der erfahrensten Toppgasten an Bord der Mermaid. Als er den Kommandanten sah, grüßte er ihn lächelnd und machte auf der Saling Platz. „Du also auch, Sean“, dachte sich Henry und lächelte etwas gezwungen zurück. Mit seiner rechten Hand zeigte Sean Rae die Peilung der Schebecke an. Henry du Valle konnte sie bereits mit bloßem Auge erkennen, obwohl er nicht über solche Adleraugen verfügte wie der Ausguck. Auf der Schebecke schien man sie noch nicht gesichtet zu haben, denn ihre Masten waren deutlich niedriger als die der Mermaid und die Sloop hatte außerdem die Sonne hinter sich.

Aus der Ferne bot die Schebecke einen eindrucksvollen Anblick. Henry schien es fast, als würde sie über die Wellen schweben. Jetzt hatte man dort die Mermaid bemerkt und die Schebecke ging nun auf einen Abfangkurs. Henry hatte genug gesehen. Bald würde er das Schiff aus nächster Nähe bewundern können. Er kehrte zurück an Deck. Leutnant Stokes trat auf ihn zu. „Sir, gestatten Sie Klarschiff zum Gefecht?“, fragte der Leutnant. „Machen Sie weiter, Mr. Stokes“, antwortete Henry, was im Marinejargon als Bestätigung galt.

Leutnant John Stokes war erst in Akkon an Bord gekommen6, um Henrys Freund Joseph Townsend zu ersetzen, der eine schmucke Brigg7 als erstes eigenes Kommando erhalten hatte. Inzwischen zeigte sich immer mehr, dass er ein ausgezeichneter Ersatz war, obwohl er bisher nur auf größeren Schiffen gedient hatte.

Schon nach wenigen Minuten meldete John Stokes die Mermaid gefechtsbereit. Natürlich handelte es sich dabei nur um eine Formsache, denn das Osmanische Reich war ein Verbündeter, doch in Kriegszeiten ging jeder Kommandant selbst bei Annäherung eines bekannten Schiffs lieber auf Nummer sicher.

Die Schebecke kam rasch näher. Verwundert stellte Henry fest, dass sie noch immer keine Flagge zeigte. Sollte es sich

etwa um ein Korsarenschiff aus Tripolis oder einem anderen Barbareskenhafen8 handeln? Henry wurde die Sache langsam mulmig und er beschloss, dem fremden Schiff vorsichtshalber die Breitseite seiner Mermaid zu zeigen.

„Mr. Miles, fertig machen zum Kurswechsel“, befahl er dem Bootsmann. Dieser hob kurz darauf bestätigend seine Hand, denn bei Gefechtsbereitschaft standen die Segeltrimmer an ihren Positionen bereit. „Mr. Neales, Ruder ein Strich Backbord9“, befahl Henry dem Quartermaster10, der normalerweise die Rudergänger beaufsichtigte, nun aber selbst mit seinem Maat am Ruder stand. „Aye Sir, Ruder ein Strich Backbord“, bestätigte Randy Neals.

In diesem Moment eröffneten die Buggeschütze der Schebecke das Feuer. Es handelte sich um zwei Vierundzwanzigpfünder11, wie Henry nüchtern feststellte. Die Kugeln schlugen mitten in der Bewegung auf dem Achterdeck ein. Henry du Valle ging instinktiv zu Boden, während eine Kugel das Steuerruder traf. Randi Neals und sein Quartermastermaat Tom Short waren sofort tot. Ein Regen aus Holzsplittern und Blut fegte über das Achterdeck. Die

zweite Kugel traf eine Karronade12 und warf sie um. Wie durch ein Wunder blieb die Geschützbesatzung unverletzt.

Henry du Valle rappelte sich auf und sah, dass die Sloop ihre Drehung fortsetzte. „Sofort das Notruder besetzen!“, schrie er. Sein Bootssteurer Charlie Starr und zwei etatmäßige Rudergänger eilten unter Deck, um die Seile der Ruderanlage zu sichern, und mit ihnen die Mermaid zu steuern. Gleichzeitig bellten die verbliebenen Karronaden auf, denn Leutnant Stokes hatte in dem Augenblick, als die Mermaid der Schebecke ihre Steuerbordbatterie zuwandte, eigenmächtig den Feuerbefehl erteilt, weil er seinen Kommandanten zu Boden fallen sah.

Die Zweiunddreißigpfünder-Kugeln schlugen auf der Schebecke ein und rissen die Buggeschütze um. Laute Schmerzensschreie ertönten. Eine Kugel traf den Rumpf auf der Seite des Backbordbugs. Knapp über der Wasserlinie wurde ein Leck sichtbar. Als die Schebecke beidrehte, um ihre Backbordbatterie einsetzen zu können, strömte sofort Wasser ein und das Schiff sackte deutlich ab. Die Folge war eine nur stotternde Breitseite, die fast ohne Treffer durch die Takelage der Mermaid rauschte.

Ein blutüberströmter Mr. Riker kam an Deck gerannt und meldete: „Sir, das Notruder ist besetzt und funktioniert.“ Henry hatte bereits bemerkt, dass die Sloop wieder auf geradem Kurs lief. Deshalb fragte er zunächst: „Sind Sie verletzt?“ „Warum, Sir?“, fragte Mr. Riker verständnislos. Dann bemerkte er das Blut - fremdes Blut - und übergab sich.

„Mr. Nutton, richten Sie eine Meldekette zum Notruder ein“, wandte sich Henry nun an den Signalfähnrich, der wie versteinert auf seiner Station stand. Mr. Nutton salutierte und lief unter Deck. Derweil hatte sich die Mermaid etwas von der Schebecke entfernt und konnte nicht mehr von ihr bestrichen werden. Diese bekam immer mehr Schlagseite und stellte im Moment keine Gefahr mehr dar.

Aber Henry du Valle war noch lange nicht mit ihr fertig. Das war er schon allein seinen toten Männern schuldig. Mr. Nutton meldete, dass die Meldekette stand. „Ruder Steuerbord“, befahl Henry und das Kommando wurde weitergegeben. „Ruder Mittschiffs“, war Henrys nächster Befehl. Wegen der Zeitverzögerung musste er seine Kommandos vorausschauend geben.

Die Mermaid näherte sich der Schebecke in einem sehr ungünstigen Winkel, aber die Windverhältnisse ließen keinen anderen Annäherungskurs zu. Henry sah, dass man auf der Schebecke versuchte, ein Lecksegel13 aufzuziehen, um den Wassereinbruch zu stoppen. Zugleich arbeiteten die Männer an den Pumpen auf Hochtouren.

Als man die Annäherung der Mermaid bemerkte, wurde es an Deck der Schebecke hektisch. Schließlich brachte man Riemen aus, um sich gegen den Wind rudernd vor der Sloop in Sicherheit zu bringen. Resignierend musste Henry einsehen, dass er keine Chance hatte, die Schebecke einzuholen. „Wir sehen uns wieder“, sagte er zähneknirschend, „wir sehen uns wieder.“

3 Nicht klassifiziertes Kriegsschiff mit bis zu 18 Kanonen

4 Der höchstrangige Decksoffizier, u.a. für die Navigation zuständig

5 Rang bei der Royal Navy über dem Leutnant und unter dem Captain

6 Siehe Band 4 Die Festung des Paschas

7 Zweimastiges Segelschiff

8 Gemeint sind die nordafrikanischen Häfen, die nur formal dem Osmanischen Reich unterstanden und ausgedehnte Piraterie betrieben

9 In Fahrtrichtung die linke Seite des Schiffs

10 Unteroffizier, der die Rudergänger beaufsichtigt und im Gefecht selbst am Ruder steht

11 Damals wurden die Kanonen nach dem Gewicht der von ihnen verschossenen, Kugeln eingeteilt

12 Kurzläufige Kanone mit großem Kaliber auf Kosten der Reichweite

13 Geteertes Segeltuch, mit dem Lecks im Rumpf notdürftig abgedeckt wurden

2

Während die Schebecke langsam am Horizont verschwand, wurden auf der Mermaid die eigenen Wunden geleckt und die Schäden des kurzen Gefechts beseitigt. Die Leichname der beiden Toten, beziehungsweise, was von ihnen übrig war, wurden in ihre Hängematten eingenäht und nach einer kurzen Zeremonie, bei der Henry das Totengebet sprach, der See übergeben.

Das zerstörte Ruder war das drängendste Problem, das es nun zu lösen galt. Henry du Valle rief Mr. Stuart und Mr. Miles zu sich. „Wie lange dauert die Reparatur der Ruderanlage?“, fragte er. Mr. Stuart, der Zimmermann, machte ein bedenkliches Gesicht und sagte: „Sir, ich fürchte, das Ruder ist nicht mit Bordmitteln zu reparieren. Dafür brauchen wir eine gut ausgestattete Werft.“ Der Bootsmann nickte zustimmend. „Welche Lösung können Sie mir vorschlagen?“, fragte Henry nach. Mr. Stuart kratzte nachdenklich seine angegrauten Bartstoppeln und meinte dann: „Vielleicht können wir uns mit einer Ruderpinne behelfen.“

Henry war etwas skeptisch. Er ging zur Heckreling und blickte hinab zum Ruder. „Ist der Abstand für eine feste Verbindung nicht etwas zu groß?“, fragte er dann. „Aye Sir“, bestätigte Mr. Stuart, „Doch wenn wir die Pinne in die große Kajüte hineinführen und mit einer Eisenmanschette am Ruder befestigen, sollte es funktionieren.“ Henry überlegte kurz. Die von Mr. Stuart vorgeschlagene Lösung bedeutete, dass die Rudergasten in der großen Kajüte stehen und blind steuern müssten. Der Quartermaster würde sie vom Achterdeck aus durch das Oberlicht dirigieren. Damit stünde die große Kajüte vorerst nicht mehr zur Verfügung und auch die Heckkanone wäre nicht einsetzbar. Auf der Habenseite stünde aber ein wieder voll manövrierbares Schiff. Daher nickte Henry zustimmend und sagte: „Machen Sie weiter, Mr. Stuart“. Die Sicherheit der Mermaid hatte natürlich den Vorrang über seine persönliche Bequemlichkeit.

Henry du Valle zog sich in seine Tageskajüte zurück und verfasste einen kurzen Bericht über das Gefecht mit der Schebecke. Mr. Hawke stand wartend dabei, um den Bericht anschließend ins Reine zu schreiben. Aber gegen wen hatten sie eigentlich gekämpft? Henry konnte sich weder an einen Namen noch an eine Flagge erinnern. „Mr. Hawke, konnten Sie einen Namen oder eine Flagge erkennen?“, fragte er schließlich. Im Gefecht war der Platz seines Schreibers an seiner Seite auf dem Achterdeck. „Sir, eine Flagge habe ich nicht gesehen, aber der Name der Schebecke lautete Republica, antwortete Mr. Hawke. „Republica, das ist italienisch, nicht wahr?“, fragte Henry nach. „Aye Sir“, bestätigte der Schreiber.

Henry überlegte. Ein Schiff mit solch einem Namen stammte sicherlich aus einer dieser obskuren italienischen Republiken, die von den siegreichen französischen Truppen während des laufenden Krieges gegründet worden waren. Vermutlich handelte es sich um einen Freibeuter, der es mit den Regeln des Kriegsrechts nicht so genau nahm. Kurz nach ihrer Ankunft im Mittelmeer hatte sich die Mermaid ein Gefecht mit einem Freibeuter aus der Parthenopäischen Republik, dem ehemaligen Königreich Neapel, geliefert14. Damals hatte er ein Schiff der königlich sizilianischen Marine aus einer hoffnungslosen Lage befreit und dabei einen Freund gewonnen. Vielleicht würde er ja Felipe di Maletta in Palermo treffen, der ihm hoffentlich mehr über die Republica berichten könnte.

Jetzt galt es aber zunächst, ein anderes Problem zu lösen. Er hatte seinen Quartermaster und dessen Maat verloren. Wer sollte sie ersetzen? Für solch verantwortungsvolle Posten kamen nur erfahrene Rudergänger in Frage. Keinem Rudergänger der Mermaid traute Henry zu, diese Verantwortung zu übernehmen. Die beiden besten Rudergänger hatte die Mermaid an die Schiffe der Leutnants Townsend und Larkin abgeben müssen, denn bei beiden Schiffen handelte es sich um Prisen, die bemannt werden mussten. Deshalb war die Mermaid stark unterbemannt und Henry hoffte, in Palermo Ersatz für die fehlenden Seeleute zu erhalten. Bis dahin musste eine Behelfslösung gefunden werden.

„Mr. Walters, Mr. Nutton und Mr. Riker zu mir“, befahl er. Wenig später standen die drei jungen Gentlemen mit hochroten Köpfen vor ihm und überlegten, welches ihrer Vergehen dem Kommandanten zu Ohren gekommen sein mochte. Henry sah ihre schuldbewussten Gesichter und machte sich einen Spaß daraus, sie noch etwas zappeln zu lassen, indem er scheinbar etwas in seinen Unterlagen suchte.

„Nun, Gentlemen, Sie wissen, dass wir heute mit Mr. Neales und Mr. Short zwei wichtige Besatzungsmitglieder verloren haben“, begann er schließlich und fuhr fort: „Die Lücke, die beide hinterlassen, lässt sich kaum schließen. Bis wir dazu in der Lage sind, müssen wir die Aufgaben an Bord neu verteilen. Bis auf weiteres übernehmen Mr. Walters und Mr. Nutton die Aufgaben des Quartermasters. Mr. Riker übernimmt die Aufgaben des Signalfähnrichs. Haben Sie dazu Fragen?“

Die drei Offiziersanwärter blieben stumm. „Dann gehen Sie zu Mr. Stokes und lassen sich entsprechend in der Wachrolle einteilen“, beendete Henry das Gespräch. Er blieb allein in der Tageskajüte zurück. Vor ihm lag die Musterrolle der Mermaid. Er blickte auf die Namen in der Liste. Unwillkürlich fielen ihm die Namen Randi Neals und Tom Short ins Auge, hinter denen DD – discharged dead15 – notiert war.

Warum hatten die beiden Männer sterben müssen? Für Henry du Valle gab es darauf nur eine Antwort: Durch seine Schuld. Wie oft hatte er schon seinen Männern gepredigt, immer wachsam zu sein, nichts als gegeben hinzunehmen. Aber genau das hatte er getan. Er war davon ausgegangen, ein türkisches Schiff vor sich zu haben. Dieser Irrglaube tötete zwei seiner Männer, denn er hatte einen Augenblick zu spät reagiert.

Wieder einmal vermisste Henry seinen Freund Joseph Townsend. Solange er an Bord war, hatte er immer einen Gesprächspartner gehabt, mit dem er seine Sorgen teilen konnte. Jetzt lernte er wieder die Einsamkeit des Kommandanten kennen.

Lauter Arbeitslärm aus der großen Kajüte riss Henry du Valle aus seiner Grübelei. Die Zimmermannsgang bereitete den Einbau der Ruderpinne vor, wofür zunächst die Heckfenster samt der Rahmen entfernt wurden. Von Deck hörte Henry den Arbeitslärm des Schmieds, der die Manschetten für das Ruder anfertigte.

Als die an Deck vorgefertigte Ruderpinne unter Deck getragen wurde, legte Henry du Valle seinen Rock ab und half mit. Die Ruderpinne war schwer und sperrig, so dass die Männer rasch ins Schwitzen kamen. Henry merkte, wie die körperliche Arbeit seine Selbstvorwürfe vertrieb. Vorsichtig wurde das Verbindungsstück der Pinne durch die Heckfront nach draußen geführt. Mr. Stuart und sein Maat hingen außenbords, auf Bootsmannsstühlen16 sitzend, und führten das Verbindungsstück mit dem Ruderblatt zusammen. Mit vier Metallbolzen wurde schließlich eine feste Verbindung hergestellt und die Mermaid verfügte wieder über ein funktionierendes Ruder.

14 Siehe Band 4 Die Festung des Paschas

15 Ausgeschieden tot

3

Bevor die Mermaid wieder auf den alten Kurs nach Palermo ging, wollte Henry du Valle einen Blick auf die Insel Gavdos werfen. Die Schebecke war ja offenbar aus Richtung der Insel gekommen. Vielleicht hatten die Freibeuter hier einen Stützpunkt. Zugleich war es eine gute Gelegenheit, die Ruderpinne zu testen.

Gavdos liegt ungefähr neunzehn Seemeilen17 südlich von Kreta und war zum Ende des 18. Jahrhunderts kaum besiedelt. Die Mermaid umrundete die Insel gegen den Uhrzeigersinn. An der Nordküste sichteten sie den Inselhafen Karavé, der eine kleine, aus Felsbrocken gebaute, Mole besaß. Hier lagen nur einige Fischerboote vor Anker, die eilig auf den Strand gezogen wurden, als die Mermaid gesichtet wurde. Von der Schebecke fehlte jede Spur.

Henry entschloss sich, nun auch die kleine Schwesterinsel Gavdopoula anzulaufen. Gavdopoula war vollkommen unbewohnt. Von Bord aus ließen sich auch hier keine Anzeichen entdecken, die auf eine kürzliche Anwesenheit von Menschen hindeuteten. „Es hätte mich auch gewundert, wenn die Freibeuter riskiert hätten, hier mit heruntergelassenen Hosen erwischt zu werden“, sagte Henry du Valle zu Mr. Ellis, der zustimmend nickte. „Aber irgendwo müssen sie sich um ihr Leck kümmern, Sir“, gab er aber doch zu bedenken. „Stimmt, Mr. Ellis, aber leider fehlt uns die Zeit, noch länger zu suchen. Immerhin haben wir wichtige Depeschen für Lord Nelson und den Earl St. Vincent18. Bitte setzen Sie einen Kurs nach Palermo ab. Wir haben keine Zeit zu verlieren“, erklärte Henry abschließend.

Während die Mermaid wieder auf ihren alten Kurs ging, dachte Henry darüber nach, was für ein Heuchler er doch war. Natürlich waren die Depeschen, die über Sir Sidney Smiths Sieg in Akkon berichteten, wichtig. Besonders wichtig waren sie aber für Henry selbst, denn sie brachten ihn nach Hause zu seiner Frau Annika, die ihr erstes Kind erwartete. Und außerdem winkten dem Überbringer solch einer Siegesnachricht öffentliche Ehrungen und vielleicht sogar die ersehnte Beförderung zum Captain. Sobald ein Mann diesen Karriereschritt erreicht hatte, musste er nur noch lange genug leben, um eines Tages Admiral zu werden, denn die Beförderung zum Admiral erfolgte streng nach dem Dienstalter als Captain. Zwar sprach man ihn bereits jetzt als Captain du Valle an, doch das war lediglich eine Höflichkeitsanrede, die dem Kommandanten jedes noch so kleinen Kriegsschiffes zustand.

Der stetige Wind aus Nord trieb die Mermaid in den folgenden Tagen voran und bescherte ihr gute Etmale19, wie der Master nicht müde wurde zu betonen. Tatsächlich erreichte die Mermaid noch immer Geschwindigkeiten von zehn Knoten20, obwohl ihr Rumpf inzwischen stark bewachsen war. Doch wie alles Gute war auch dieses perfekte Segelwetter nicht von Dauer. Der Wind drehte zunächst immer mehr auf West und schlief schließlich ganz ein. Mr. Ellis machte ein bedenkliches Gesicht, blätterte in seinen Aufzeichnungen und klopfte immer wieder gegen das Glas des Barometers.

„Was gibt es, Mr. Ellis?“, fragte Henry schließlich, dem die Nervosität des Masters nicht entgangen war. „Das Wetter gefällt mir überhaupt nicht, Sir“, antwortete er, „Laut meinen Aufzeichnungen müssten wir in dieser Jahreszeit stabiles Sommerwetter mit Wind aus nördlichen Richtungen haben. Aber das Barometer fällt und der Wind schläft ein, obwohl wir eine starke Dünung haben.“ „Jetzt, wo Sie es sagen, fällt mir auf, dass ich meine alte Wunde von der Eroberung der Mermaid21 spüre. Das Wetter scheint sich tatsächlich zu ändern“, sagte Henry.

Wie auch immer sich das Wetter ändern würde, es wäre garantiert nicht zum Guten. Darin waren sich die beiden Männer einig. Es galt, sich auf das zu erwartende Unwetter vorzubereiten, während die Mermaid bekalmt22 in der See dümpelte. Henry ließ alle Segel bis auf den Klüver und das Fockmarssegel bergen, wobei in das Fockmarssegel mehrere Reffs eingebunden wurden. An Deck wurden alle Luken bis auf das Oberlicht der großen Kajüte verschalkt. Die Dünung wurde immer stärker, doch es blieb absolut windstill. Zugleich wurde es so schwül, dass den Männern die Kleidung am Körper klebte.

Henry konnte sich nicht entschließen, unter Deck zu gehen. Sein Steward servierte ihm auf dem Achterdeck einen kleinen Imbiss, wobei er einen Hocker als Tisch nutzte. „Danke, Jeeves“, sagte Henry und nahm sich ein Hammelkotelett. Nach drei Monaten an der Küste des Heiligen