Verrat vor der Korsarenküste - Mirco Graetz - E-Book

Verrat vor der Korsarenküste E-Book

Mirco Graetz

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Beschreibung

Commander Henry du Valle, ein britischer Marineoffizier von der Kanalinsel Guernsey, wird mit Depeschen für Sir Horatio Nelson ins Mittelmeer entsandt. Dort sammelt sich eine gewaltige französische Flotte aus Kriegs- und Handelsschiffen, deren Absichten Konteradmiral Nelson erkunden soll. Henry du Valle mit seiner Sloop Mermaid hat den Auftrag, ihn dabei zu unterstützen, doch zunächst muss er herausfinden, welche Politik die Barbareskenstaaten an der Küste Nordafrikas verfolgen. Dieser Auftrag erweist sich als unerwartet schwierig, denn es gibt einen Verräter an Bord der Mermaid.

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Commander Henry du Valle, ein britischer Marineoffizier von der Kanalinsel Guernsey, wird mit Depeschen für Sir Horatio Nelson ins Mittelmeer entsandt. Dort sammelt sich eine gewaltige französische Flotte aus Kriegs- und Handelsschiffen, deren Absichten Konteradmiral Nelson erkunden soll. Henry du Valle mit seiner Sloop Mermaid hat den Auftrag, ihn dabei zu unterstützen, doch zunächst muss er herausfinden, welche Politik die Barbareskenstaaten an der Küste Nordafrikas verfolgen. Dieser Auftrag erweist sich als unerwartet schwierig, denn es gibt einen Verräter an Bord der Mermaid.

Die Henry du Valle Romane:

Band 1 Korsaren und Spione

Band 2 Korsaren in der Ostsee

Band 3 Verrat vor der Korsarenküste

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Nachwort

Prolog

«Ein Konvoi von 35 Handelsschiffen aus Chatham kommend, ist unter dem Schutz der HMS Beaulieu ohne Verluste an Schiffen und Ladung am 23. Februar im Jahre des Herrn 1798 in Gibraltar eingetroffen. Ein Versuch französischer Korsaren noch im Ärmelkanal, die Brigg1Humber Ghost zu kapern, konnte erfolgreich und ohne eigene Verluste verhindert werden.»

Das war zu erwarten: Die Navy hatte wieder mal gesiegt, und da es keine toten britischen Seeleute zu beklagen gab – und sehr viele schon gar nicht – musste man sich wundern, dass diese Episode es überhaupt in die Gazette geschafft hatte – wenn auch nur auf Seite 5 – und ohne das zweite Royal-Navy-Schiff überhaupt zu erwähnen, welches an der Abwehr der Franzosen beteiligt war. Henry du Valle legte resignierend die Zeitung beiseite. Sogleich wurde er von einem der mitreisenden Herren, einem eitlen Geck in einer peinlich bunten und vermutlich dem angeblichen aktuellen Modetrend in Paris nachempfundenen Anzug, in der engen Kutsche auf dem Weg von Portsmouth nach London angesprochen: «Sir, ob ich mir wohl Ihre Zeitung ausleihen dürfte?» Henry nickte nur, und der aufdringliche Bittsteller griff gierig nach der Ausgabe der Navy Gazette. Die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um die aktuellste Nummer handelte, störte den Herrn offenbar gar nicht. Henry hatte sie in einem der vielen Briefe gefunden, die ihm nach seiner Ankunft in Portsmouth vom dortigen Hafenkommandanten übergeben worden waren. Henrys Bruder Louis hatte sie ihm geschickt und dazu angemerkt, dass er denke, dass das für Henry recht interessant sein könnte – aber er solle sich nicht so sehr aufregen. Jetzt wusste Henry, warum Louis das geschrieben hatte.

Bedauerlicherweise las der Mitreisende die Zeitung dann nicht leise, sondern meinte, jeden Artikel lautstark kommentieren zu müssen. «Ja, dieser Nelson, das ist schon ein Teufelskerl, ha ha! Der steckt die Franzosen noch alle locker in die Tasche! – Oh, hier, noch ein ausführlicher Bericht über Kamperduin2. Da haben wir es den Käseköppen und ihren froschfressenden Freunden aber so richtig gezeigt! Admiral Duncan hat Irland gerettet! Ja ja, die Navy muss erst mal jemand schlagen! Und das hier ist ja auch sensationell: Wir haben die Kapkolonie erobert! Admiral Elphinstone3 hat das gesamte feindliche Geschwader in der Saldhana-Bucht gestellt und hat sie ohne Gegenwehr genommen, ha ha!» Laut raschelnd blätterte er weiter und murmelte dann nur: «Ach ja, ein Handelskonvoi ist eingetroffen und hat unterwegs ein paar lästige Korsaren abgeschüttelt – na das ist ja wohl das mindeste, was man von der Royal Navy verlangen kann!"

Er schaute beifallheischend den ihm gegenübersitzenden Henry du Valle an und bemerkte erst jetzt, dass dieser die Uniform eines Commanders4 der Royal Navy trug. Daraufhin strahlte er über das ganze Gesicht und rief laut:

«Aber da sitzt ja einer unserer Helden auf See! Sie können uns doch sicher viele spannende Geschichten erzählen, Sir?» Henry schaute ihn mit finsterer Miene an. Ihm gingen so viele Gedanken durch den Kopf, und am liebsten hätte er diesem eitlen Gecken gehörig die Meinung gesagt., aber er schluckte allen Zorn hinunter und meinte nur: «Sir, verzeihen Sie, aber ich bin schrecklich müde; ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich bis London einfach schlafen lassen würden.» Sein Gegenüber öffnete schon den Mund, um irgendwas aus seiner Sicht Geistreiches zu sagen, blickte aber in die Augen von Henry und erkannte, dass er wohl besser der Bitte Folge leistete. «Oh ja, Sir, natürlich… verzeihen Sie…» stammelte er und machte sich dann ängstlich so klein wie möglich.

Henry schloss die Augen, und seine Gedanken kehrten zu seinem ersten Einsatz mit seinem neuen Schiff zurück…

1 Segelschiff mit zwei Masten

2 Am 11. Oktober 1797 schlug die Royal Navy unter Admiral Duncan die Flotte der mit Frankreich verbündeten Batavischen Republik vernichtend.

3 Später Viscount Keith

4 Offiziersrang für Kommandanten einer Sloop

1

Die Sonne blendete Commander Henry du Valle, als er das Hüttendeck betrat. Vor wenigen Augenblicken hatte er sich noch in seiner verdunkelten Schlafkabine angezogen. Jetzt wollte er seinen Morgenspaziergang auf der Luvseite5 des Hüttendecks absolvieren.

«Sir, die Beaulieu signalisiert», meldete der Midshipman6 der Wache in diesem Moment aufgeregt. Henry du Valle lächelte. Dann fragte er: «Können Sie uns denn auch verraten, was die Beaulieu signalisiert, Mr. Nutton?» Mr. Nutton zögerte kurz, wurde puterrot und meldete dann: «Mermaid den Nachzügler antreiben.» «Sehr gut, Mr. Nutton», lobte Henry. Dann wandte er sich an den Master7, der momentan die Wache hatte: «Machen Sie weiter, Mr. Ellis.» «Aye Sir», antwortete der Master, dem es sichtlich peinlich war, den Nachzügler übersehen zu haben. Aber so war das nun mal beim Konvoidienst. Es gab immer mindestens einen Nachzügler, der angetrieben werden musste, und das zumeist mit mäßigem Erfolg. Da wurden Flaggensignale falsch verstanden – ob absichtlich oder aus Schlampigkeit war im Prinzip egal – da wurden Segelmanöver langsam und manchmal fast schon katastrophal ausgeführt, und wenn irgendwas schiefging, waren natürlich immer die schützenden Kriegsschiffe der Royal Navy schuld. Die «Schuldigen» waren in diesem Fall der 40er HMS Beaulieuund eben Henrys neues Kommando, das in seinen Augen schönste Schiff der Welt, seiner Majestät Sloop8Mermaid.

Henry du Valle hatte das Schiff auf der Königlichen Werft in Chatham übernommen, und da sich zufällig zur selben Zeit ein Handelskonvoi von London nach Gibraltar auf den Weg machte, bekam er die Order, diesen zur Unterstützung der HMS Beaulieu bis Portsmouth zu begleiten, wo er sich dann bei Admiral Sir Peter Parker melden sollte. Die Straße von Dover war ein schwieriger und durchaus nicht ungefährlicher Abschnitt, so dass der Kommandant der HMS Beaulieu erfreut war, für die Passage durch den Ärmelkanal ein zusätzliches Kriegsschiff zur Verfügung zu haben. Bis jetzt war die Reise glücklicherweise relativ ereignislos verlaufen, sah man einmal von den üblichen Problemen wie ein paar kleineren und zum Glück nur einige Spieren brechenden «Rempeleien» zwischen den Frachtseglern ab.

Während der Master die nötigen Befehle zum Kurswechsel gab, begann Henry mit seinem Spaziergang - zwölf Schritte vor und dann zwölf Schritte wieder zurück. Er hatte sich dieses morgendliche Ritual schon auf seinem vorherigen Schiff, der Kanonenbrigg Clinker, angewöhnt und mochte nicht mehr darauf verzichten. Die Mermaid vollzog eine Halse und nahm Kurs auf den Nachzügler, eine Brigg aus Hull, die Walöl für Gibraltar geladen hatte. Während sich die Mermaid der Brigg näherte, meldete der Ausguck auf dem Fockmast: «An Deck, ich glaube, auf der Brigg geht nicht alles mit rechten Dingen zu!» Der Master antwortete leicht genervt: «Geht das auch etwas genauer?» «Es wird an Deck gekämpft!»

Bereits bei der ersten Meldung des Ausgucks hatte sich Henry du Valle nach vorn begeben. Rasch enterte er zur Brahmsaling auf und war froh, dass er unter den kritischen Augen seiner Besatzung keine schlechte Figur abgab. Als Henry oben ankam, war er trotzdem außer Atem und es fiel ihm zunächst schwer, die Brigg mit seinem Fernrohr anzuvisieren. Erst, als er das Fernrohr auf der Schulter des Ausgucks abstützte, bekam er ein ruhiges Bild. Tatsächlich befanden sich auf dem Achterdeck der Brigg, ihr Name war Humber Ghost, wie Henry jetzt einfiel, mehrere bewaffnete Männer. Fand dort eine Meuterei statt, oder was war das Problem? Hätte sich ein anderes Schiff in der Nähe befunden, wäre er sofort von einem Enterversuch durch französische Korsaren ausgegangen. Wie auch immer, dieses Rätsel musste gelöst werden.

Henry du Valle enterte ab. Auf dem Weg zum Achterdeck rief er: «Mr. Potter zu mir!» Der Geschützmeister der Mermaid, ein schon älterer Mann mit einem gewaltigen grauen Vollbart, kam in seinen Filzpantoffeln, die für die Arbeit in der Pulverkammer Vorschrift waren, angeschlurft. Er grüßte und fragte dann: «Sir?» «Mr. Potter, sehen Sie die Brigg vor uns? Dort ist nicht alles geheuer an Deck. Bitte besetzten Sie die Jagdgeschütze und melden Sie mir Feuerbereitschaft», befahl Henry. Er musste nicht lange warten, da die Kanonen auf See immer geladen waren. Vorsichtig umrundete die Mermaid die Humber Ghost. Und nun wusste Henry, warum auf der Brigg gekämpft wurde: Auf der abgewandten Seite der Brigg hatten zwei skiffähnliche9 Ruderboote mit jeweils vier Ruderbänken festgemacht.

Henry du Valle kannte diese schnellen Boote von Schmugglern, die damit den Kanal in rascher Fahrt überquerten. Da sie auch gegen den Wind gerudert werden konnten, hatten gegen sie nicht einmal die schnellen Zollkutter eine Chance. Riskant wurde es für die Schmuggler nur bei hohem Wellengang, denn dafür waren die Boote nicht geeignet. Dass diese Boote auch von Freibeutern benutzt wurden, war Henry neu, obwohl er sich erinnerte, dass sein Großvater von Korsaren10 aus Le Havre erzählt hatte, die im Siebenjährigen Krieg mit Ruderbooten auf Beutefang gegangen waren.

Blitzschnell überdachte Henry die Situation: Hier war einer seiner Schützlinge offensichtlich in feindliche Hände geraten. Diese Burschen hatten sich nicht ungeschickt im richtigen Moment und blitzschnell auf der den Rest des Geschwaders abdeckenden Seite des Schiffes genähert und einen Überraschungsangriff ausgeführt. Die Brigg unter Feuer zu nehmen verbot sich jetzt von selbst – zum einen war das Schiff nicht der Feind, zum anderen war Aufgabe des Konvoidienstes, alle Schiffe unbeschadet ans Ziel zu bringen. Blieb also nur ein schneller Bootsangriff, auch wenn die Korsaren dies sicher kommen sahen.

«Meine Gig und die Barkasse bemannen!» kam lautstark sein Befehl, und hektische Betriebsamkeit herrschte an Deck. Blitzschnell waren die Boote im Wasser und die dazugehörigen Männer an den Riemen, und in wilder Fahrt steuerten sie hinüber zur Brigg. Henry ließ es sich nicht nehmen, in seiner Kommandantengig - und, wie immer bei solchen Aktionen, in Begleitung seines Bootssteuerers, Charlie Starr - selbst das Kommando zu führen. Als Entermannschaft hatte er neben der Besatzung der Gig fünf Marineinfanteristen dabei. Der Buggast machte die Gig neben den beiden Korsarenbooten fest. Henry wollte die Brigg an der Spitze seiner Männer entern, doch ein Korsar richtete vom Deck der Brigg aus eine Pistole auf ihn. Noch ehe Henry reagieren konnte, feuerte Charlie Starr seine Pistole ab und der Korsar verschwand. Zwei weitere Korsaren versuchten, auf die Besatzung der Gig zu feuern, aber sie wurden vom Pistolenfeuer aus der Barkasse niedergestreckt, die von Midshipman Walters befehligt wurde. Henry du Valle schwang sich an Deck und sah sich sieben weiten Korsaren gegenüber. Seine Männer drängten rasch nach und bildeten mit ihm eine Kampflinie. Vom Bug strömten die Männer aus der Barkasse nun ebenfalls an Deck. Nach wenigen Säbelhieben warfen die Korsaren ihre Waffen weg und ergaben sich. Während die Korsaren von einem Teil der Entermannschaft gefesselt wurden, sah sich Henry nach der Besatzung der Humber Ghost um. Er fand die acht Männer an Händen und Füßen zusammengebunden im Quartier des Masters. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass niemand ernsthaft zu Schaden gekommen war, sah man von ein paar kleineren Blessuren ab. Bei einem Überfall von Barbareskenpiraten11 würde er jetzt wohl vor einem Leichenberg stehen.

Der Master12 der Humber Ghost freute sich sehr über die rasche Rettung, denn so war sein Schiff keine Prise und verblieb Eigentum seiner Besitzer. Während sich Henry berichten ließ, wie der Angriff der Korsaren verlaufen war, hörte er an Deck laute Rufe. Sofort kehrte er an Deck zurück. Drei der Korsaren hatten ihre Bewacher niedergeschlagen, bevor man sie fesseln konnte und waren in ein Skiff gesprungen, mit dem sie sich nun in hoher Geschwindigkeit entfernten. Anerkennend registrierte Henry, dass es sich um ausgezeichnete Ruderer handelte. Gleichwohl durfte man sie nicht entkommen lassen.

Auf der Mermaid hatte man die Flucht bemerkt und der Master ließ auf ein Zeichen von Henry die Verfolgung aufnehmen. Trotz günstiger Windverhältnisse wuchs der Vorsprung der Korsaren zusehends an. Das Backbordjagdgeschütz der Mermaid feuerte. Henry sah die Kugel vor dem Skiff einschlagen. Auf der Mermaid wurde fieberhaft nachgeladen. Der nächste Schuss war ein Treffer. Vom Skiff blieb keine Spur. Trotzdem wurde ein Kutter ausgesetzt, um nach Überlebenden zu suchen.

Schließlich ließ Henry du Valle sich und die Gefangenen auf die Mermaid übersetzen. Die Korsaren wurden in der Brig, der Arrestzelle der Mermaid, untergebracht. Die Humber Ghost setzte alle verfügbaren Segel, um zum Konvoi aufschließen zu können, während die Mermaid noch auf die Rückkehr des Kutters wartete. Henry nutzte die Zeit, um in seiner Kajüte schon mal einen kurzen Bericht für den Konvoikommandanten auf der Beaulieu zu verfassen. Es war sein erster Gefechtsbericht als Kommandant der Sloop Mermaid, obwohl man die kurze Episode kaum als Gefecht bezeichnen konnte. Was ihn freute, war die Tatsache, dass er keinen einzigen Mann bei dem Manöver verloren hatte, und außer zwei kleinen Wunden waren seine Männer auch ohne Verletzungen geblieben. Sein Schiffsarzt, Dr. Harris, kommentierte das grinsend: «Tja, das wird dann wohl nichts mit einer Titelseite der Navy Gazette.» Aber Henry war glücklich – seine Mermaid hatte ihre erste, ganz kleine Feuerprobe bestanden.

In seiner Kajüte mit einem Glas Wein sitzend, erinnerte er sich, wie er das Schiff, das er jetzt kommandierte, vor einigen Wochen selbst erobert hatte.13 Es hätte ihn fast das Leben gekostet. Nach dem Gefecht musste er das Kommando über seine geliebte Clinker abgeben. Zunächst hatte er befürchtet, nun an Land gestrandet zu sein, wie viele andere Leutnants der Royal Navy, die selbst in Kriegszeiten keine Anstellung fanden. Der Schmerz der Enttäuschung wurde nur durch die Ankunft seiner zukünftigen Braut Annika gelindert, die nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter nach Kent, in deren alte Heimat übersiedelt war. Doch Vizeadmiral Lutwidge, in dessen Haus er sich als Gast von den Folgen seiner Verwundungen erholte, hatte eine Überraschung für ihn parat. Als er seine Flagge als Oberbefehlshaber des Nore-Geschwaders niederholte, nutzte er sein Privileg, zum Abschied einen Captain, einen Commander und einen Leutnant ernennen zu dürfen, indem er Henry du Valle zum Commander beförderte und ihm das Kommando über die schmucke Mermaid übertrug. Die Mermaid war eine Schiffs-Sloop und wirkte wie eine kleine Fregatte14. Ihre sechzehn Kanonen waren durch Zweiunddreißigpfünder-Karronaden15 ersetzt worden. Außerdem erhielt sie noch zwei Sechspfünder als Jagdkanonen. Damit wies sie eine ganz erstaunliche Feuerkraft auf, die sich auch mit den meisten Fregatten messen konnte. Und noch eine Überraschung gab es für Henry: Sein Freund, Joseph Townsend, der inzwischen seine Leutnantsprüfung erfolgreich abgelegt hatte, wurde zum Leutnant befördert und auf die Mermaid versetzt.

Henry du Valle löste sich von den Erinnerungen und hörte, wie der Kutter an der Mermaid festmachte. Dann vernahm er Schritte und Mr. Riker trat ein. Der Kadett16 hatte den Kutter befehligt und wollte nun Meldung machen. «Sir, wir haben das gesamte Gebiet abgesucht. Es gab keine Überlebenden.»

5 Die dem Wind zugewandte Seite des Schiffs

6 Offiziersanwärter mit mindestens drei Dienstjahren in der Royal Navy

7 Für die Führung und Navigation eines Schiffes verantwortlicher Decksoffizier.

8 In der Regel zwei- oder dreimastiges Kriegsschiff mit weniger als zwanzig etatmäßigen Kanonen unter dem Befehl eines Commanders

9 Hier ein schmales Ruderboot, in dem die Ruderer jeweils zwei Riemen bedienen

10 Hier die Eigenbezeichnung französischer Freibeuter

11 Die Piraten der nordafrikanischen Küstengebiete

12 Bei Handelsschiffen war der Master Kommandant des Schiffes

13 Siehe: Korsaren in der Ostsee

14Dreimastige Kriegsschiffe mit zwanzig bis fünfzig Kanonen

15 Leichte Geschütze mit großen Kalibern, hoher Feuerkraft, aber geringerer Reichweite

16 Offiziersanwärter

2

Henry du Valle hatte nur die besten Erinnerungen an die Residenz des Oberbefehlshabers der Royal Navy in Portsmouth. Hier war seine Ernennung zum Leutnant bestätigt worden und hier hatte er von Admiral Sir Peter Parker sein erstes Kommando erhalten17. Beim Gedanken an den Admiral musste Henry schmunzeln. Er wirkte wie ein gütiger Großvater und ihm gegenüber hatte er sich auch so verhalten. Nach Henrys Meinung lag es daran, dass sein Vater als Leutnant auf seinem Flaggschiff HMS Bristol gedient hatte. Sir Peter Parker war bekannt dafür, sich um seine Offiziere zu kümmern und mittlerweile galt das wohl auch für deren Söhne. Henry beurteilte sich selbst viel zu kritisch, als dass er auf die Idee gekommen wäre, die Unterstützung des Admirals auf seine eigenen Leistungen zurückzuführen. Er hatte von Kindesbeinen an den Beruf des Seemanns erlernt – erst auf den Schiffen seiner Familie und später in der Royal Navy. Das dabei erworbene Können betrachtete er als normal. Entsprechend hoch waren seine Ansprüche an sich selbst und an seine Untergebenen.

Die beiden Marineinfanteristen am Eingang zur Residenz des Admirals grüßten zackig, als Henry du Valle in seiner Uniform eines Commanders an ihnen vorbeiging. Er wurde von einem schon betagten Diener in den Warteraum der höheren Offiziere geleitet. Als er den Wartebereich der Leutnants passierte, spürte er ihre neiderfüllten Blicke. Viele von ihnen waren schon deutlich älter als er und fanden es daher per se als größte Ungerechtigkeit auf der Welt, dass so ein junger Kerl schon den ersten «Schwabber», wie die Epauletten gern genannt wurden, auf der Schulter trug.

Im nächsten Warteraum war Henry dann ganz allein, wenn auch nicht lange. Schon hieß es: «Commander du Valle, der Admiral erwartet Sie.» Ein Sekretär geleitete ihn zur Tür und öffnete sie. Er bedeutete Henry, kurz zu warten, und trat selbst ein. «Sir Peter, Commander du Valle für Sie», meldete er. «Herein mit ihm!», rief eine jugendlich anmutende Stimme, in der Henry Sir Peter Parker erkannte.

Das Büro des Admirals hatte sich seit Henrys letzten Besuch nicht verändert. Wie damals saß Sir Peter Parker auf seinem Lieblingsplatz am Kamin. Lächelnd deutete er auf einen zweiten Sessel. «Machen Sie es sich bequem, Commander du Valle.» Henry du Valle hatte sich innerlich eigentlich auf eine militärisch exakte Meldung bei seinem Vorgesetzten eingestellt, doch der gütige alte Mann lächelte die dienstliche Haltung einfach weg. Trotzdem saß Henry aufrecht und nur auf der äußersten Kante der Sitzfläche vor dem Kamin. «Nennen Sie das bequem? Nun setzten Sie sich endlich richtig. Wie soll denn sonst ein gutes Gespräch zustande kommen», brabbelte der Admiral. Henry ergab sich in sein Schicksal und machte es sich bequem. «So ist es doch viel besser», lächelte Sir Peter zufrieden. «Trinken Sie einen Sherry mit mir?» «Sehr gern, Sir», antwortete Henry. Der Admiral zog an einer Kordel und ein livrierter Diener erschien durch eine Seitentür. «Higgins, bring uns Sherry, aber den guten», befahl Sir Peter. Wenig später kehrte Higgins mit einem Tablett zurück, auf dem sich eine große Karaffe und zwei Sherrygläser befanden. Nachdem er eingegossen hatte, zog sich Higgins wieder zurück.

«Seit unserem letzten Treffen ist gut ein Jahr vergangen», begann der Admiral, nachdem sie mit dem Sherry auf den König angestoßen hatten, «Wenn ich mir die Berichte über Sie anschaue, haben Sie die Zeit gut genutzt, junger Mann.» «Ich hatte Glück», antwortete Henry ein wenig verlegen. «Papperlapapp, Glück ist etwas für Taugenichtse und es verbraucht sich schnell. Sie haben kein Glück, Sie haben die richtigen Ideen zur rechten Zeit. Sonst wären Sie niemals aus der Zuidersee zurückgekehrt. Admiral Duncan hat mir geschrieben, dass er einen Teil seines Erfolgs Ihrer guten Aufklärungsarbeit verdankt.» «Lord Duncan ist ein sehr gütiger Mann, Sir…» entgegnete Henry immer verlegener werdend. «Er ist vor allem ein erfahrener Flaggoffizier, der seine Untergebenen sehr genau einzuschätzen weiß», erwiderte Sir Peter, «Mit seinem Urteil über Sie ist er außerdem nicht allein, Admiral Lutwidge teilt seine Meinung und lobt Sie in den höchsten Tönen. Ich bin froh, dass sich mein anfängliches Urteil über Sie so eindrucksvoll bestätigt hat. Bevor Sie mir jedoch zu übermütig werden, möchte ich zum Grund unseres heutigen Treffens kommen.»

Sir Peter Parker ergriff einen Schürhaken und beseitigte einige abgebrannte Holzstücken vom Gitterrost des Kamins. Dann legte er einige Holzscheite nach. Während er die Flamme beobachtete murmelte er: «Seit ich in der Karibik war, vertrage ich unser hiesiges Wetter nicht mehr so recht. Es ist mir einfach zu kalt und ungemütlich. Da lobe ich mir doch einen gut geheizten Kamin.» Schließlich wandte er sich wieder Henry du Valle zu: «Kennen Sie Sir Horatio Nelson, unseren jüngsten Admiral?» «Ich habe von ihm gehört, Sir. Er und mein Vater waren Bordgenossen», antwortete Henry. «Ja, sie waren Bordgenossen», bestätigte Sir Peter. Er lächelte kurz. «Sie waren aber nicht gerade die besten Freunde, denn schon damals hasste Sir Horatio alle Franzosen und Ihr Vater war für ihn ein Franzose.» «Wir sind Normannen, Sir, treue Untertanen der Krone seit Jahrhunderten», meinte Henry du Valle sich und seine Familie sofort verteidigen zu müssen. Sir Peter Parker lachte. «Das hat Ihr Vater damals auch betont und Nelson eine ordentliche Tracht Prügel verabreicht. Der kleine Nelson hatte gegen ihn nicht den Hauch einer Chance. Aber immerhin hat er sich nicht bei mir beschwert. Ich habe damals über Umwege von der Sache erfahren. Als Flaggoffizier ist man immer etwas vom täglichen Leben auf dem Flaggschiff abgeschnitten. Ja, die gute alte Bristol war ein schönes Schiff. Während des verdammten Krieges gegen die Kolonien hat sie mir immer gute Dienste geleistet.»

Sir Peter Parker verstummte kurz und hing seiner Erinnerung nach. Dann fuhr er fort: «Sir Horatio wird auf eine Mission ins Mittelmeer entsandt. Er soll die französische Flotte in Toulon beobachten und ihre Pläne vereiteln. Unsere Agenten in Frankreich berichten davon, dass sich neben der Flotte zahlreiche von der französischen Regierung gecharterte Schiffe in Toulon und anderen Häfen versammeln. Truppen werden in die Häfen verlegt. Ganz offensichtlich plant man eine größere Operation. Es wird eine verdammt heikle Aufgabe für den jungen Admiral. Sollten die Franzosen aus Toulon entwischen, was bei ungünstigen Windverhältnissen nicht zu verhindern sein wird, muss er sich von seiner Intuition leiten lassen, denn der Earl St. Vincent wird ihm nur sehr wenige Fregatten zur Verfügung stellen. Ich frage mich, ob das eine späte Retourkutsche für Nelsons Unbotmäßigkeit in der Schlacht von St. Vincent sein soll oder ob er einfach nur verärgert ist, dass keiner seiner Günstlinge mit der Mission betraut werden soll. Natürlich kann ich nicht in die Belange des Oberbefehlshabers der Mittelmeerflotte hineinpfuschen, aber ich kann ein Schiff unter der Flagge der Admiralität auf eine Erkundungsmission ins Mittelmeer entsenden.»

Der alte Admiral lächelte und seine Augen blitzten. Henry du Valle kam es vor, als wäre Sir Peter plötzlich zehn Jahre jünger. «Wissen Sie eigentlich, dass der Earl St. Vincent ein eifriger Anhänger der Whigs18 ist? Da ist ihm ein Tory19 wie Nelson natürlich ein Dorn im Auge», sagte Sir Peter Parker. «Mein Vater sagt immer, Politik sei etwas für Engländer. Wir Männer von Guernsey stehen stets treu zur Krone», antwortete Henry du Valle. Sir Peter Parker lachte. «Ja, so kenne ich Ihren Vater. Der Dienst ging ihm immer über alles. Wie geht es ihm eigentlich?» «Es geht ihm sehr gut, er ist gesund und unsere Kaperschiffe waren in letzter Zeit recht erfolgreich», berichtete Henry. Sir Peter lächelte zufrieden. «Das freut mich zu hören, bitte grüßen Sie Ihn von mir und sagen Sie ihm, dass er gern einmal wieder in Portsmouth vorbeischauen darf.» «Aye Sir, das werde ich ihm ausrichten.» Der Admiral verstummte kurz, als würde er über etwas nachdenken. Dann sagte er: «Wir wissen immer noch viel zu wenig über die Pläne der Franzosen. Angeblich soll General Bonaparte, der zuletzt in Italien viel von sich reden machte, den Oberbefehl bekommen. Wenn Sie mich fragen, wird sein Erfolg inzwischen selbst seinen Vorgesetzten unheimlich und sie wollen ihn möglichst weit aus Paris weg haben.»

Der Admiral erhob sich aus seinem Sessel und sagte: «Kommen Sie mit rüber zum Schreibtisch, dort habe ich Ihre Befehle.» Während Sir Peter Parker zu seinem Schreibtisch schlurfte, sah Henry, dass er wieder seine unvermeidlichen Pantoffeln trug. Nach kurzer Suche waren Henry du Valles Befehle gefunden. Sir Peter übergab sie an ihn und sagte: «Ihre Aufgabe ist die Erkundung der Barbareskenküste. Stellen Sie fest, welcher Seite man in den Korsarenhäfen20