Korsaren in der Ostsee - Mirco Graetz - E-Book

Korsaren in der Ostsee E-Book

Mirco Graetz

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Beschreibung

Leutnant Henry du Valle von der Insel Guernsey hat sein erstes Kommando erhalten. Mit seinem Kanonenboot kämpft er gegen Meuterer und erfüllt eine Aufklärungsmission hinter feindlichen Linien. Seine größte Bewährungsprobe hat er zu bestehen, als französische Korsa-ren in die Ostsee vorstoßen und einen britischen Konvoi bedrohen. Ein Seeabenteuer aus der Zeit der französischen Revolutionskriege und der 2. Band der Henry du Valle-Reihe.

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Leutnant Henry du Valle von der Insel Guernsey hat sein erstes Kommando erhalten. Mit seinem Kanonenboot kämpft er gegen Meuterer und erfüllt eine Aufklärungsmission hinter feindlichen Linien. Seine größte Bewährungsprobe hat er zu bestehen, als französische Korsaren in die Ostsee vorstoßen und einen britischen Konvoi bedrohen. Ein Seeabenteuer aus der Zeit der französischen Revolutionskriege und der 2. Band der Henry du Valle-Reihe.

Die Henry du Valle Romane:

Band 1 Korsaren und Spione

Band 2 Korsaren in der Ostsee

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Nachwort

1

Dichter Nebel waberte über dem Fluss. Leutnant Henry du Valle, Kommandant seiner Majestät Kanonenboot Nummer 14, stand auf dem Achterdeck und versuchte, trotz dieser Waschküche irgendetwas am Ufer zu erkennen. Obwohl sich die Nummer 14 dicht am Südufer der Themse hielt, war kaum ein brauchbarer Orientierungspunkt zu sehen. Vorsichthalber hatte Henry du Valle den absenkbaren Kiel einholen lassen. Mit seinem flachen Kiel würde das Kanonenboot so ohne größeren Schaden auflaufen können. Trotzdem fühlte sich Henry du Valle nicht wohl in seiner Haut. Bei seiner ersten Fahrt als Kommandant aufzulaufen wäre eine gewaltige Blamage und würde alle bestätigen, die seine rasche Beförderung lediglich auf gute Beziehungen zurückführten.

Der Master1 neben ihm zeigte kein Zeichen von Beunruhigung. Er wirkte fast gelangweilt, während seine Augen versuchten, den Nebel zu durchdringen. Von Zeit zu Zeit gab er ein leises Kommando an den Quartermaster2 und seinen Maat, die heute selbst an der Ruderpinne standen, wie sie es sonst nur im Gefecht tun würden. Zur zusätzlichen Sicherheit ließ der Master von Zeit zu Zeit ein Senkblei auswerfen, um die Beschaffenheit des Grundes zu untersuchen. Er war ein ehemaliger Themseschiffer, der den Fluss wie seine Westentasche kannte und anhand der mit dem Senkblei gewonnenen Proben ihre Position bestimmen konnte. Damit wurde er heute seinem offiziellen Titel »Master and Pilot« vollauf gerecht, dachte sich Henry du Valle.

»Sir, wir haben Erith passiert und müssen jetzt zum Nordufer wechseln«, sagte der Master. »Machen Sie weiter, Mister Richards«, antwortete Henry du Valle.

Bald darauf verschwand das schemenhafte Südufer hinter ihnen im Nebel. Das Kanonenboot segelte, von einer sanften Brise angetrieben, nur unter Fock- und Klüversegel. Ein helles Nichts umgab sie nun und die Feuchtigkeit kroch in die Kleidung der Männer an Deck. Der Ausguck am Bug meldete: »Glockenläuten direkt voraus.« Tatsächlich war nun vor ihnen der helle Klang einer Schiffsglocke zu hören. »Das ist der Kai von Purfleet«, sagte der Master. »Land in Sicht!«, meldete nun der Ausguck. Vor ihnen erschienen die Schemen eines Pontons, der langsam immer besser zu erkennen war. »Übernehmen Sie das Anlegemanöver, Mister Richards. Im ganzen Schiff Licht und Feuer löschen«, befahl Henry du Valle.

Im Bereich des Pulvermagazins von Purfleet galten strenge Sicherheitsregeln. Feuer und offenes Licht waren bei Strafe verboten. Stiefel waren ebenfalls verboten, weil man befürchtete, die mit Nägeln beschlagenen Sohlen könnten Funken schlagen. Während der Beladung durfte man nur Schuhe mit Filzsohlen tragen, oder man lief barfuß. Die Beladung mit Schießpulver zog sich über mehrere Stunden hin, weil die Nummer 14 frisch von der Werft kam.

Gebaut worden war das Kanonenboot Nummer 14 auf der Werft von John Dudman in Deptfort. Nach dem Stapellauf hatte man es zur Königlichen Werft in Deptford verlegt, wo die Ausrüstung erfolgte. Hier hatte Nummer 14 seine Masten und das gesamte Rigg erhalten. Wie seine Schwesterboote war es als Brigg3 getakelt. Auch seine Bewaffnung hatte es hier erhalten, zehn Achtzehnpfünder Karronaden4 und zwei Vierundzwanzigpfünder Jagdgeschütze. Damit verfügte das Kanonenboot über eine erstaunliche Feuerkraft.

Als Henry du Valle an Bord gekommen war, hatten sich die Geschütze bereits an Bord befunden, aber es waren noch gewaltige Mengen an Vorräten und Ersatzmaterial in dem kleinen Rumpf zu verstauen. Er hatte sich als Kommandant eingelesen5 und damit das Kommando vom Master übernommen, der gemeinsam mit den Deckoffizieren6 und einigen Seeleuten bereits an Bord gewesen war. Die Bezeichnung Deckoffiziere war allerdings übertrieben, denn den Kanonenbooten standen nur Unteroffiziere in den entsprechenden Funktionen zu. So war der Master eigentlich nur ein Steuermannsmaat, den man mit der Bezeichnung »Master and Pilot« aufwertete, Bootsmann und Zimmermann waren ebenfalls nur Maate und der Schiffsarzt ein Sanitätsmaat. Als ersten Offizier hatte Henry du Valle einen Midshipman7 an Bord, der aber glücklicherweise bereits seine Leutnantsprüfung bestanden hatte und auf ein entsprechendes Bordkommando wartete. Da er über keinerlei Vermögen verfügte, war er froh, die Wartezeit im Dienst verbringen zu können.

Insgesamt war für die Kanonenboote eine Besatzung von fünfzig Mann festgelegt. Kanonenboot Nummer 14 fehlten acht Mann an der Sollstärke. Der größte Teil der Besatzung bestand dabei aus Landratten, die frische Seeluft dem Gefängnis an Land vorgezogen hatten. Der Mangel an Vollmatrosen war Henry du Valles größtes Problem, denn ihm fehlten erfahrene Männer für die Segelmanöver. Den Landratten konnte man bestenfalls ein Tau in die Hand drücken und ihnen sagen, was sie damit zu tun hatten, aber in die Takelage konnte man sie erst in ein paar Wochen aufentern lassen. Einige würden es niemals lernen.

Glücklicherweise bildete ein Kontingent von dreizehn Marineinfanteristen8 unter der Führung eines Sergeanten und eines Korporals das Rückgrat der Besatzung. Unter ihnen waren genügend erfahrene Leute, die Henry als Geschützführer einsetzen konnte, so dass er zumindest eine komplette Breitseite im Gefecht zur Verfügung hatte. Mehr gab die Besatzungsstärke selbst bei den leicht zu bedienenden Karronaden ohnehin nicht her. Henry hoffte, in der Themsemündung den einen oder anderen erfahrenen Seemann pressen zu können, um so sein Personalproblem lösen, oder zumindest abmildern zu können.

Schließlich waren alle Pulverfässer sicher an Bord verstaut. Kanonenboot Nummer 14 legte von dem Ponton ab und Henry du Valle ließ Segel setzen. Der Nebel hatte sich inzwischen aufgelöst und man konnte den Fluss in seiner ganzen Breite überschauen. Nur in den Marschen bei Dartford am jenseitigen Ufer hielten sich noch vereinzelte Nebelfetzen. Die Tiede9 hatte inzwischen gewechselt und Nummer 14 musste jetzt gegen die Strömung flussabwärts segeln. Als sich endlich alle Segel entfaltet hatten, entwickelte sich bei Henry du Valle zum ersten Mal ein gewisses Hochgefühl, auf den Planken seines Schiffes stehen zu können.

1 Der Master war der ranghöchste Deckoffizier in der Royal Navy und u.a. für die Navigation zuständig

2 Unteroffizier, der die Rudergänger beaufsichtigt und im Gefecht selbst am Ruder steht

3 Zweimastiges Segelschiff mit Rahsegeln an beiden Masten

4 Leichte Kanone mit kurzem Rohr, die schwere Kaliber über eine kurze Distanz schießen konnte

5 Durch das Verlesen seiner Ernennung wurde das Schiff offiziell vom Kommandanten übernommen.

6 Rangklasse zwischen den Offizieren und Unteroffizieren

7 Offiziersanwärter/Seekadett

8 Für den Kampf auf Schiffen und bei Landungsoperationen ausgebildete Seesoldaten, die an Bord zugleich die Wachposten stellten

9 Ebbe und Flut

2

Am folgenden Morgen näherte sich das Kanonenboot Nummer 14 dem Unterlauf der Themse. Wider Erwarten gab es hier keinen Schiffsverkehr, so dass Henry du Valles schöner Plan, ein paar Seeleute zu pressen, zu scheitern drohte. Auf der Höhe von Gravesend kamen dann doch Segel in Sicht. Aber es handelte sich um einen mächtigen Dreidecker, zwei weitere Linienschiffe und eine ganze Flottille von Kanonenbooten, die dort vor Anker lagen. Der Dreidecker, in dem Henry die Neptune mit achtundneunzig Kanonen erkannte, führte den Breitwimpel eines Kommodore10. Bei den kleineren Linienschiffen handelte es sich um die Lancaster und die Agincourt.

»Die Neptune signalisiert, wir sollen an ihrer Backbordseite vor Anker gehen«, meldete der Midshipman Charles Cobham. »Danke Mr. Cobham«, antwortete Henry. »Mr. Richards, lassen Sie uns fünfundzwanzig Faden neben der Neptune ankern.«

Der Master bestätigte und ließ Kurs auf den bezeichneten Ankerplatz nehmen. Das Ankermanöver klappte recht gut, weil der Bootsmann alle neuralgischen Punkte mit erfahrenen Männern, zu denen auch einige Marineinfanteristen zählten, besetzt hatte. Die Landratten hatte er bis auf ein paar recht anstellige Männer unter Deck gescheucht, damit sie nicht im Weg standen.

Kaum lag die Nummer 14 vor Anker, signalisierte die Neptune erneut. »Kommandant an Bord kommen«, meldete Mr. Cobham. Da die Kommandantengig nach der Übernahme des Schießpulvers nicht wieder an Bord genommen worden war, glückte auch dieses Manöver zufriedenstellend. Allerdings waren einige Männer der Bootscrew so unerfahren, dass Henry du Valle froh war, mit ihnen keine längere Strecke zurücklegen zu müssen.

Aus der Perspektive seiner Gig erschien Henry die Bordwand der Neptune wie eine gewaltige Wand, die es zu erklimmen galt. Glücklicherweise war das Schiff aber wie alle Linienschiffe seiner Größe darauf eingerichtet, regelmäßig Flaggoffziere11 an Bord zu nehmen, weshalb in der Bordwand Tritte eingelassen waren. Über sie erreichte man eine Pforte in der Bordwand, wo Henry bereits vom Kommandanten der Neptune und dem üblichen Empfangskomitee erwartet wurde. Er war zwar nur ein kleiner Leutnant, doch er kommandierte ein Schiff des Königs und als solcher erhielt er den ihm gebührenden Empfang.

Nachdem das Empfangszeremoniell beendet war, geleitete ihn Captain12 Stanhope zur Admiralskajüte, wo Kommodore Gower bereits wartete. Ein Steward eilte herbei und schenkte ihm wortlos ein Glas Weißwein ein. »Willkommen an Bord, Captain13 du Valle«, begrüßte ihn Kommodore Gower, »Wie ist die Lage bei Ihnen?« Man sah dem Kommodore die Spannung an, als er die Frage stellte. »Fragen Sie in Bezug auf meuterische Aktivitäten, Sir? Bis jetzt ist an Bord alles ruhig, aber meine Mannschaft besteht auch zum größten Teil aus neu gepressten Landmännern.«

Gower nickte Captain Stanhope kurz zu, worauf dieser die Kajüte verließ. Offenbar hatte man an Bord der Neptune Vorkehrungen getroffen, eine Meuterei auf dem Kanonenboot sofort zu unterdrücken.

»Das beruhigt mich«, sagte der Kommodore, »Vermutlich haben Sie noch nicht gehört, dass Teile des Nore-Geschwaders14 meutern.« » Aye Sir, das ist mir neu. Auf meinem Weg nach London hatte ich nur in Spithead15 mitbekommen, dass man dort meuterte. Inzwischen soll die Lage aber wieder unter Kontrolle sein.« »Das stimmt, man hat den Meuterern gewisse Zugeständnisse gemacht; denn ganz unter uns, waren doch viele ihrer Forderungen nicht unbegründet. Dagegen werden hier auch politische Forderungen gestellt, wie eine Auflösung des Parlaments und Frieden mit Frankreich. Man hat mich beauftragt, mit meinem Geschwader einen Angriff der Meuterer auf London zu verhindern, und ich halte diese Gefahr für sehr real.«

Henry du Valle nickte zustimmend und sagte: »Sir, meine Befehle besagen, dass ich mich mit meinem Kanonenboot nach Sheerness begeben soll. Unter den gegebenen Umständen dürfte es nicht falsch sein, wenn ich mich Ihrem Kommando unterstelle, Sir.« »Danke Captain du Valle, ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet, aber ich habe andere Pläne mit Ihnen, denn mein Geschwader ist groß genug, die Themse und somit London wirksam zu schützen. Ich sehe aber ein anderes Problem, für dessen Lösung ich Sie und Ihr Kanonenboot brauche. Im Moment blockieren die Meuterer die Themsemündung und kein Handelsschiff kann passieren, ohne Gefahr zu laufen, von den Meuterern ausgeplündert zu werden, denn sie sind knapp an Vorräten, da ihnen Admiral Buckner jeglichen Nachschub verweigert. Ich vermute, dass die Meuterer nicht zu einer wirklich effektiven Blockade fähig sein werden. Versuchen Sie, sich zu den vor der Themsemündung wartenden Handelsschiffen durchzuschlagen. Es müssen inzwischen hunderte Schiffe sein, eine leichte Beute für französische und holländische Freibeuter16. Übernehmen Sie ihren Schutz. Das ist weiß Gott keine leichte Aufgabe, aber ich habe die Hoffnung, dass Sie nicht allein sein werden. Es haben sich nicht alle Schiffe der Meuterei angeschlossen und einige werden auf See geflohen sein. Außerdem werde ich alle flussabwärts kommenden Schiffe ebenfalls auf diese Mission schicken, so dass sich die Lage mit der Zeit entspannen sollte.«

»Mein Master ist ein ehemaliger Themseschiffer, weshalb ich optimistisch bin, einen Schleichweg vorbei an den Meuterern zu finden«, antwortete Henry, »Allerdings bin ich noch stark unterbesetzt. Ich hatte die Hoffnung, mich bei einigen Handelsschiffen bedienen zu können, doch im Moment sieht es ja schlecht damit aus.«

Der Kommodore lachte. Dann sagte er trocken: »Sie sind bis Gravesend gekommen, den restlichen Weg werden Sie auch noch schaffen. Sobald Sie die Nore passiert haben, werden Sie die freie Auswahl haben, aber übertreiben Sie es nicht.«

10 Damals ein temporärer Rang für Kapitäne, die vorübergehend die Funktion eines Admirals erfüllten

11 Offiziere in den Admiralsrängen

12 Hier Kapitän zur See

13 Rangniedere Kommandanten wurden aus Höflichkeit ebenfalls als Captain angesprochen.

14 Die Nore ist eine große Sandbank im Bereich der Themsemündung, bei der ein Geschwader der Royal Navy lag

15 Damals wichtiger Liegeplatz der Royal Navy bei Portsmouth

16 Zivile Schiffe, die durch einen Kaperbrief zum Aufbringen feindlicher Schiffe berechtigt sind

3

Unmittelbar nach seiner Rückkehr von der Neptune rief Henry alle Deckoffiziere zu sich. Obwohl es auf dem Kanonenboot sehr beengt zuging, hatte der Kommandant doch vergleichsweise viel Platz zur Verfügung. Sein Quartier nahm gut die Hälfte des Raums zwischen Großmast und Heck ein. Allerdings hatte das Kanonenboot keine Heckgalerie, sondern die große Kajüte wurde durch ein kleines Oberlicht beleuchtet. Vor der Kajüte befanden sich noch eine kleine Schlafkammer und ein Arbeitsraum, den der Schreiber und gleichzeitige Zahlmeister nutzte. Am Zugang zum Quartier des Kommandanten stand immer ein Posten der Marineinfanteristen.

Als sich alle um den großen Tisch in der Kajüte versammelt hatten, informierte Henry sie über die Meuterei des Nore-Geschwaders und ihre neuen Befehle. Der Master machte ein bedenkliches Gesicht und sagte: »Einen Weg an den Meuterern vorbei finden wir auf jeden Fall. Kein Schiff des Geschwaders kann in so seichte Gewässer ausweichen wie wir. Sorgen bereitet mir unsere Mannschaft. Die Leute sind neu, wir kennen sie noch nicht und können nicht sagen, wie sie sich verhalten werden, sobald sie von der Meuterei erfahren.« »Ich bin mir sicher, dass sie bereits davon wissen«, antwortete Henry, »Die Besatzung der Gig hatte auf jeden Fall Kontakt zur Mannschaft der Neptune und wird alles erfahren haben. Sergeant Smithers, wie zuverlässig sind Ihre Männer?« wandte sich Henry an den Befehlshaber der Seesoldaten. Der Sergeant nahm sofort eine straffere Haltung an und versicherte: »Ich kenne die Männer schon über ein Jahr, habe sie selbst ausgebildet. Man kann sich voll auf sie verlassen.« »Das höre ich gern, Sergeant«, sagte Henry, »Trotzdem wird es unter Ihren Männern Unterschiede geben. Ich möchte, dass ab sofort am Zugang zum Pulvermagazin Doppelposten Ihrer besten Männer stehen.« »Zu Befehl, Sir,« erwiderte Smithers mit schneidiger Stimme. Henry nickte und fuhr fort: »Ich beabsichtige, im Anschluss an diese Besprechung zur Besatzung zu sprechen. Die Marines nehmen vor dem Achterdeck Aufstellung. Sergeant Smithers, lassen Sie die Bajonette aufpflanzen. Das sollte die Gemüter etwas beruhigen.«

Zehn Minuten später pfiff der Bootsmann »Alle Mann an Deck«. Die Deckoffiziere hatten ihre besten Uniformen angezogen; für den Bootsmann und die Handwerker bedeutete das, sie hatten überhaupt Uniformen an. Im täglichen Dienst störten die blauen Uniformjacken nur, und auch jetzt fühlten sie sich darin sichtlich unwohl. Als die Matrosen durch die beiden Niedergänge an Deck strömten, wurden sie dort von der Schiffsführung und den Marineinfanteristen bereits erwartet. Die wenigen erfahrenen Seeleute stutzten etwas, denn diesen Anblick waren sie nur von Bestrafungen und dem sonntäglichen Gottesdienst gewöhnt.

Sobald die gesamte Mannschaft an Deck versammelt war, verließ Henry seine Kajüte und stieg über den achternen Niedergang an Deck. Die Seeleute machten ihm bereitwillig Platz. Henry empfand das als gutes Zeichen. Auf dem Achterdeck meldete Mr. Cobham: »Besatzung wie befohlen angetreten!« »Danke, Mr. Cobham.«

Henry du Valle wandte sich der Besatzung zu: »Männer, einige von euch werden wissen, dass unser Kanonenboot Nummer 14 nach Sheerness bestimmt war. Kommodore Gower auf der Neptune hat mich informiert, dass seiner Majestät Noregeschwader meutert und auch die Kontrolle über den Hafen von Sheerness übernommen hat. Die Meuterer drohen, nach London vorzurücken. Deshalb hat Kommodore Gower mit seinem Geschwader den Schutz Londons übernommen. Ihr könnt sicher sein, dass ihm das mit seinem Geschwader und in Verbindung mit den Küstenbatterien gelingen wird. Inzwischen sammeln sich immer mehr Kauffahrer vor der Themsemündung und werden von den Meuterern nicht nach London durchgelassen. Diese Kauffahrer sind den französischen Freibeutern vollkommen schutzlos ausgeliefert. Unsere Aufgabe ist es, das zu ändern. Mit unseren Karronaden haben wir genug Feuerkraft, jeden Freibeuter in die Flucht zu schlagen. Mit etwas Glück winkt uns dort reiches Prisengeld.«

Bis hier hatten die Seeleute mehr oder weniger interessiert zugehört. An ihrer Reaktion konnte ihr Kommandant aber auch erkennen, dass die Nachricht von der Meuterei bereits an Bord gelangt war. Das Wort »Prisengeld« wirkte auf die erfahrenen Seeleute jetzt wie ein Stichwort. Plötzlich machten sie freudige Gesichter und stießen sich gegenseitig an. Einige tuschelten miteinander oder erklärten ihren unerfahrenen Bordgenossen, was es damit auf sich hatte.

Der Bootsmann wollte die Männer schon zur Ordnung rufen, doch Henry gab ihm ein Zeichen, das zu unterlassen. Diese Reaktion der Männer spielte ihm in die Karten. »Die Sache hat allerdings einen Haken«, fuhr er fort, »Die Meuterer wollen verhindern, dass irgendjemand die Nore passiert. Sie wollen die Besatzungen zwingen, sich ihrer wahnwitzigen Meuterei anzuschließen. Viele von euch werden von der Meuterei vor Spithead gehört haben. Dort haben die Meuterer Forderungen aufgestellt und die Regierung hat den vernünftigen Forderungen zugestimmt oder zumindest Zugeständnisse gemacht, worauf die Meuterei friedlich beendet wurde. Die Zugeständnisse gelten für die gesamte Marine, also auch für unser Schiff und für das Noregeschwader. Es gibt also überhaupt keinen Grund, zu meutern. Den Rädelsführern dieser Meuterei geht es auch gar nicht um die Forderungen der Seeleute. Sie sind verdammte Jakobiner, die den Franzosen den Weg nach London bahnen wollen. Mit diesen Leuten wollen wir nichts zu tun haben. Sie stehen zwischen uns und unserem Prisengeld. Heute Nacht werden wir uns an den Meuterern vorbeischleichen. Unser Master kennt sich in diesem Revier sehr gut aus, wir haben also gute Chancen, es zu schaffen. Es kann natürlich auch sein, dass man uns entdeckt. Dann werden die Meuterer auf uns schießen und wir werden mit unserer ganzen Feuerkraft antworten. Seid ihr dazu bereit?«

Ein erfahrener Matrose, mit einem schon leicht ergrauten Vollbart warf seinen geteerten Strohhut in die Luft und rief: »Ein Hoch auf unseren Captain!« Die Männer antworteten mit einem dreifachen Hurra. Für den Moment hatte Henry du Valle die Besatzung hinter sich gebracht.

4

In der einsetzenden Abenddämmerung ließ Henry du Valle den Anker lichten. Unter Mars- und Klüversegeln verließ das Kanonenboot Nummer 14 Gravesend. Gegen den Gezeitenstrom kam es nur langsam voran.

Henry stand neben dem Master auf dem Achterdeck. Er war noch immer von dem Hochgefühl erfüllt, die Besatzung mit seiner Rede hinter sich versammelt zu haben. Doch eine leise innere Stimme flüsterte ihm zu, dass er im Grunde ein Hochstapler war. Natürlich hatte er vollkommen zu Recht von der enormen Feuerkraft ihres Kanonenbootes geschwärmt, aber die Sache hatte trotzdem einen Haken. Es fehlten die Männer, um die Artillerie seiner Nummer 14 in eine tödliche Waffe verwandeln zu können. Die Karronaden kamen zwar mit einer Geschützbedienung von vier Männern aus, aber in seiner Besatzung gab es gerade einmal zwei Seeleute und zwei Marineinfanteristen, die mit Geschützen umgehen konnten. Selbst wenn er nur eine Breitseite bemannte, blieben also zwei Geschütze ohne Geschützführer. Unter diesen Umständen konnte ihm selbst ein unterlegener Gegner gefährlich werden. Sein Ziel musste beim Passieren der Nore also sein, jeglichen Kontakt zu vermeiden.

Als sie die Themsemündung erreichten, war es kurz vor Mitternacht. Der Vollmond beleuchtete die fast glatte Wasseroberfläche. Am Ufer, das immer weiter zurücktrat, waren vereinzelte Leuchtfeuer zu sehen. Mr. Richards hatte die Absicht, nördlich der Nore zu bleiben, da sich der Liegeplatz des Nore-Geschwaders im Süden der Sandbank befand. Tatsächlich sichtete der Ausguck an Steuerbord ferne Lichter. Offenbar waren die Schiffe des Nore-Geschwaders hell erleuchtet.

Aber auch nördlich der Nore waren sie nicht ganz allein. Direkt vor ihnen waren in einiger Entfernung zwei hell erleuchtete Schiffe zu sehen. Jedenfalls war sich der Master sicher, dass es sich nur um Schiffe handeln konnte, da er sich ihrer Position vollkommen sicher war.

»Können wir diesen Schiffen ausweichen, Mr. Richards?«, fragte Henry. »Ja Sir, wir können sie in einer Entfernung von rund drei Kabellängen passieren«, antwortete der Master. Er ließ das Kanonenboot etwas nach Backbord abfallen. An Bord von Nummer 14 war alles ruhig, und ihr Kommandant hatte sämtliche Lichter löschen lassen. Die erleuchteten Schiffe kamen näher und wanderten dann rasch nach achtern aus. Offenbar lagen sie vor Anker. Durch sein Nachtglas konnte Henry erkennen, dass die Decks beider Schiffe vollkommen leer waren. Es gab nicht einmal eine Ankerwache.

Plötzlich wurden sie angerufen. Vor ihnen tauchte eine Barkasse aus der Dunkelheit auf. »Schiff ahoi! Im Namen der Schwimmenden Republik17, drehen Sie bei!«, hörten sie eine Stimme rufen. Die Barkasse drehte bei und versuchte so, dem Kanonenboot den Weg abzuschneiden.

»Im Namen des Königs, gebt den Weg frei!«, rief Henry du Valle. Dann wandte er sich an Geschützmeister. »Mr. Tobbs, besetzen Sie das Steuerbordbuggeschütz.« Der Geschützmeister eilte mit einigen Helfern nach vorn. Wie in Kriegszeiten allgemein üblich, waren alle Geschütze geladen, weshalb der Geschützmeister sofort Feuerbereitschaft melden konnte.

Henry ließ noch etwas nach Backbord abfallen, um die Barkasse passieren zu können und dem Geschützmeister zugleich das Zielen zu erleichtern. Auf der Barkasse hatte man das Manöver bemerkt und feuerte eine Drehbasse18 ab. Sie war mit gehacktem Blei geladen. Die Bleistücke trafen das Fockmarssegel und zerrissen es. Zugleich rief eine Stimme aus der Barkasse: »Kameraden, schließt euch uns an, werft eure Offiziere über Bord!« Henry du Valle rief: »Mr. Tobbs, geben Sie diesen Kerlen unsere Antwort!«

Der Geschützmeister feuerte den Vierundzwanzigpfünder ab. Die Kugel traf den Rumpf der Barkasse. Laute Schmerzensschreie waren zu hören. Die Barkasse sank. »Mr. Johnson«, befahl Henry dem Bootsmann, »lassen Sie den Kutter bemannen und holen Sie die Meuterer aus dem Wasser.«

Die Beiboote des Kanonenboots wurden aus Platzgründen meist nachgeschleppt, so dass der Kutter nun sehr schnell bemannt werden konnte. Er legte ab und begab sich auf die Suche nach den schiffbrüchigen Meuterern. Der Buggast des Kutters beleuchtete die Umgebung mit einer Laterne, um die im Wasser schwimmenden Männer leichter entdecken zu können. Nach einer Viertelstunde kam der Kutter zurück. »Wir haben zehn Männer retten können, fünf sind leider ertrunken oder wurden vorher von unserem Schuss getötet«, meldete der Bootsmann. »Bringen Sie die Männer an Bord und lassen Sie sie in Eisen legen. Der Doktor soll sich um die Verletzten kümmern«, befahl Henry.

Mit den zehn Gefangenen hatte Henry du Valle nun ein zusätzliches Platzproblem. An Deck konnte er sie nicht lassen, denn hier störten sie bei den Segelmanövern und im Gefecht. Unter Deck konnte er sie nicht von seiner Besatzung isolieren. Schließlich kam er zu einem Entschluss. »Sergeant Smithers, bringen Sie die Gefangenen in meine Kajüte. Bis ich entschieden habe, was wir mit ihnen machen, bleiben sie dort eingesperrt. Einer Ihrer Männer soll sie dort ständig im Auge behalten.«