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"Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, dann werden wir von Verbrechern regiert" Edward Snowden Am 11. April 2019 wurde der Wikileaks-Gründer Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft, wo er Asyl gefunden hatte, in ein britisches Hochsicherheitsgefängnis verschleppt. Jetzt werden britische Gerichte über einen Auslieferungsantrag der USA entscheiden, die Assange eine Verschwörung mit Chelsea Manning zum Einbruch in Pentagon-Computer vorwerfen. Falls er ausgeliefert wird, könnten ihm weitere Anklagen nach dem "Spionage Act" und die Todesstrafe drohen. Und das nicht weil er kriminelle Taten begangen hat, sondern weil er solche enthüllt hat - im Irak, in Afganistan und anderswo. Der Ausgang des Verfahrens von Julian Assange wird zeigen, ob es wirklich schon so weit ist und die Presse- und Meinungsfreiheit am Ende ist.
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Seitenzahl: 110
Ebook Edition
Mathias Bröckers
Don’t kill the messenger!
Freiheit für Julian Assange
Mit einem Beitrag von CAITLIN JOHNSTONE
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ISBN 978-3-86489-755-9
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2018
Umschlaggestaltung: www.pleasantnet.de
Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich
Wir danken Caitlin Johnstone für die freundliche Genehmigung zum Abdruck ihres Beitrags, der hier in gekürzter Fassung wiedergegeben ist. Das Original ist auf ihrem Blog caitlinjohnstone.com erschienen:
https://caitlinjohnstone.com/2019/04/20/debunking-all-the-assange-smears/
Dass Boten für die Botschaft verantwortlich gemacht und Überbringer schlechter Nachrichten hingerichtet werden, ist seit der Antike überliefert und die Mahnung zu einem geflügelten Wort geworden: »Don’t kill the messenger!« Sie wird zwar dem Tragödiendichter Sophokles zugeschrieben, ist aber von diesem nicht schriftlich überliefert. Der künftige König David im Buch Samuel der Bibel war da unbarmherziger, der Bote, der vom Tod des Königs Saul berichtet, wird geköpft; ebenso soll der Azteken-Herrscher Montezuma gehandelt haben, als ihm der Einmarsch spanischer Eroberer gemeldet wurde, derselbe ließ dann auch Orakelpriester und Magier hinrichten, weil ihre Prophezeiungen zu finster ausfielen.
Aus dem europäischen Mittelalter und Shakespeares Dramen sind die Gefahren, denen die Überbringer schlechter Nachrichten ausgesetzt sein können, ebenso bekannt wie aus der Mythologie und vielen Märchen. Als sich der Gott Apollo in eine Königstochter verliebt hatte, ließ er sie von einem wunderschönen Singvogel überwachen, den er, als dieser die Nachricht überbrachte, dass sie sich einem anderen zugewandt hatte, in einen krächzenden Raben verwandelte. Der Götterbote Hermes, zuständig für die Botschaften zwischen Göttern und Menschen, ist nicht zufällig eine ambivalente Tricksterfigur: einerseits neutraler Übermittler schicksalsentscheidender Nachrichten, aber auch Ursache für mögliche Unsicherheit und Täuschung.
Ein Bote muss sowohl für den Sender wie auch den Empfänger vertrauensvoll sein, er ist Geheimnisträger und er ist verpflichtet, alle widrigen Umstände zu überwinden, um die Botschaft zu überbringen. Auch wenn im Zeitalter elektronischer Nachrichtenübermittlung persönliche Kuriere zur Überbringung von Nachrichten an Bedeutung eingebüßt haben, stehen manche Boten noch immer unter internationalem Schutz, weshalb ihre Häuser, die »Botschaften«, als exterritoriale Zonen gelten und dem Zugriff lokaler Behörden weitgehend entzogen sind. Botschafter riskieren deshalb für das Überbringen schlechter Nachrichten heutzutage allenfalls die sofortige Ausweisung und müssen in der Regel weder um ihre Freiheit noch um ihren Kopf fürchten.
Für den Mann, der am 11. April 2019 von acht Polizisten aus der Botschaft Ecuadors in London geschleppt wurde, gilt das nicht: Julian Assange ist nicht der Botschafter einer Nation, sondern einer transparenten, demokratischen Welt, er genießt keinen diplomatischen Schutz, sondern ist Freiwild einer multinationalen Jagd. Er hat keine Verbrechen begangen, sondern Verbrechen aufgedeckt, aber er wird dennoch behandelt wie ein Schwerkrimineller. Er hat die Welt über illegale Foltergefängnisse aufgeklärt und das Handbuch für den Betrieb von Guantanamo publiziert, aber jetzt droht ihm die Auslieferung an die Betreiber dieses Kerkers. Er hat als Bote mehr schlechte Nachrichten überbracht, über Kriegsverbrechen, Korruption, politische Morde und Wahlbetrug in aller Welt, als alle großen Medien in aller Welt zusammengenommen und sitzt jetzt in einem Hochsicherheitsgefängnis in Isolationshaft. Er hat mehr getan für die unverzichtbare Institution jeder freien Gesellschaft – die Pressefreiheit als vierte Säule der Demokratie und unabhängiger Kontrolleur der Mächtigen und Herrschenden – als jeder andere Journalist, doch der von allen freiheitlichen Verfassungen garantierte Schutz der Presse und die Rechte eines Journalisten werden ihm verweigert. Stattdessen wird er als »Terrorist« verleumdet und Abgeordnete des US-amerikanischen Kongresses ebenso wie die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton konnten offen zu seiner Ermordung aufrufen, ohne für solche Hassreden und Hetze zur Rechenschaft gezogen zu werden.1
Julian Assange hat mit seiner Whistleblower-Plattform den investigativen Journalismus in eine neue Dimension katapultiert und auf den Ruinen einer von Macht- und Wirtschaftsinteressen völlig korrumpierten »vierten Gewalt« eine Institution begründet, die dem Wächteramt der Presse wieder nachkommt: WikiLeaks. Er hat keine Verbrechen begangen, sondern ein Medium geschaffen, über das Verbrechen von Staaten und Unternehmen gemeldet werden können, ohne dass den Überbringern dieser Botschaften der Kopf abgeschlagen wird, denn ihre Anonymität ist garantiert. Er hat die Rechtsgarantie des Quellenschutzes – die Tatsache, dass Journalisten nicht gezwungen werden dürfen, ihre Quellen preiszugeben – nicht nur auf ein neues, höheres Niveau gehoben, sondern durch uneingeschränkte Publikation und Zugang für alle im Internet auch die Möglichkeiten der Zensur durch Staaten und Redaktionen stark eingeschränkt.
»Licht an – Ratten raus!«, mit diesen vier Worten hat Assange das Prinzip des Mediums WikiLeaks manchmal beschrieben, wenn es auf Kürze ankam. Er verfasste ganze Bücher, warum es keine gerechte Gesellschaft ohne Transparenz ihrer Machtstrukturen geben kann – und keine freie Presse, wenn diese von Konzern- und Regierungsinteressen geleitet wird. Eine Volkssouveränität – Kern jeder parlamentarischen Demokratie – kann es nur geben, wenn die Macht rechenschaftspflichtig ist, und das kann sie nur sein, wenn sie transparent ist. Nur eine solche Macht ist in demokratischen Gesellschaften legitim.
Es sind diese Prinzipien der Aufklärung und demokratischer Rechtsstaaten schlechthin und für nichts anderes stehen WikiLeaks und Julian Assange. Sie haben mit technischen und kryptografischen Mitteln dafür gesorgt, dass Überbringer schlechter Nachrichten nicht mehr geköpft werden können und so die alte, humanistische Mahnung »Don’t kill the messenger!« in das digitale Zeitalter übertragen. Sie haben umgesetzt was Staaten und Gesetze nicht schaffen konnten oder wollten – einen garantierten Schutz von Whistleblowern, die kriminelle Machenschaften von Regierungen und Unternehmen ans Licht bringen.
Wenn eine solche Einrichtung nun als kriminell erklärt und ihr Gründer und Kopf als Schwerverbrecher inhaftiert ist, hat das mit den Grundsätzen der Aufklärung und demokratischer Rechtsstaaten nichts mehr zu tun – es ist der Rückfall in die Barbarei absolutistischer Herrschaft, ein Rückfall hinter alles, was Fassadendemokratie und Schönwetterhumanität des »Werte«-Westens überhaupt noch zu bieten haben. Es geht bei diesem Fall nicht um eine Person, es geht nicht um ein Helden-oder-Schurken-Drama, es geht ums Prinzip, es geht um Grundsätzliches unserer freiheitlichen Verfassung, was der »partner in crime« von Julian Assange, Edward Snowden, vor einiger Zeit so ausgedrückt hat: »Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert.« Am Ausgang des Verfahrens gegen Julian Assange wird sich entscheiden, inwieweit sie die Macht schon übernommen haben.
Als der zwanzigjährige Julian Assange 1991 in Melbourne mit zwei befreundeten Nerds die Gruppe »International Subversives« gründet, nutzt er das Pseudonym »Mendax«. Ein klassischer lateinischer Name, der angemessen scheint für einen sehr erfahrenen Hacker, der sich mit vierzehn Jahren das Programmieren auf dem »Commodore 64« selbst beigebracht hat und schon in zahlreiche Großrechner eingebrochen ist. Angemessen aber auch im Rückblick auf das, was Julian Assange dann fünfzehn Jahre später mit WikiLeaks in die Welt setzen würde. Denn der »Splendide Mendax« aus den Oden des römischen Dichters Horaz ist der »ehrenwerte Lügner« – und so wie sich der jugendliche Mendax mit technischen Tricks und kleinen Lügen in die mächtigen (und schlecht gesicherten) Computernetzwerke der NASA, des US-Militärs und vieler anderer Eintritt verschafft, so »ehrenwert« verhält er sich dabei. Als er und seine subversiven Kollegen schließlich erwischt und angeklagt werden – und sich Assange in 24 Fällen schuldig bekennt –, belässt es der Richter 1996 bei einer kleinen Geldstrafe, weil er nicht zur persönlichen Bereicherung, sondern aus »intellektueller Wissbegierde« gehandelt habe. In seinem ersten Buch, das er zusammen mit der Autorin Suelette Dreyfus schrieb,2 verwendete er ein Motto von Oscar Wilde: »Ein Mann ist am wenigsten er selbst, wenn er in eigener Person spricht. Gib ihm eine Maske und er wird dir die Wahrheit sagen.« Die Maske, die sich Julian Assange zulegte, war WikiLeaks und unter ihr hielt Mendax Wort: Kein einziges der Millionen Dokumente, die dort seit 2007 veröffentlicht wurden, hat sich als Fälschung, Unwahrheit oder Lüge herausgestellt.
Es gibt im Zeitalter von Fake News und Informationskriegen wohl keine publizistische Institution – keinen Sender und keine Zeitung –, die es, was Echtheit und Wahrheitsgehalt ihrer Veröffentlichungen betrifft, mit der Qualität von WikiLeaks aufnehmen kann. Was umso mehr gilt, wenn man auf den grotesken Fake-News-Zirkus zwischen dem Twitter-König Donald Trump und seiner vom »Russiagate« besessenen Opposition schaut. Die eindeutige Echtheit aller von WikiLeaks publizierten Informationen ist ein sehr wichtiger (und selten erwähnter) Punkt, wenn es um die Beurteilung dieser Plattform und die Verurteilung ihres Gründers geht, der womöglich gerade deshalb zum Objekt so vieler Verleumdungen wird, weil die Authentizität und Relevanz der WikiLeaks-Veröffentlichungen so unbestreitbar ist. Hier eine kleine Chronologie der wichtigsten Publikationen der Plattform:
Kenias fehlende Milliarden – unter Berufung auf WikiLeaks-Dokumente berichtet der Guardian über die Ermittlungen zur Bestechung des früheren Präsidenten Kenias Daniel Arap Moi, die von seinem Nachfolger zurückgehalten werden.
Publikation einer Kopie des Standard Operating Procedures for Camp Delta, eines Handbuchs für Soldaten zur Behandlung von Gefangenen in Guantanamo Bay, unter anderem kommt dadurch ans Licht, dass einige Gefangene vor dem Komitee des Roten Kreuz versteckt wurden und dass sich unter den Gefangenen fünfzehnjährige Kinder befinden.
WikiLeaks publiziert Tausende interne Dokumente der »Scientology«-Sekte, außerdem E-Mails vom Yahoo-Konto der republikanischen Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin und die Namen und Adressen von Mitgliedern der rechtsradikalen »British National Party«.
35 ungeschnittene Videos von Aufständen in Tibet werden zur Ansicht veröffentlicht, um chinesische Zensurmaßnahmen zu umgehen.
Nach der Veröffentlichung von Dokumenten über illegale Geschäfte der Schweizer Bank Julius Bär & Co. AG auf den Cayman Islands erhebt die Bank Klage und erreicht, dass die WikiLeaks-Domain gesperrt wird. Schon bald ist die Seite aber wieder online.
Es folgen weitere Veröffentlichungen von WikiLeaks, darunter:
interne Dokumente zur Steuervermeidung der Barclays Bank
Zensurlisten gesperrter Websites aus zahlreichen Ländern
Protokolle der »Bilderberg«-Gruppe von 1950–1980
Abhörprotokolle von Telefonaten zwischen Politikern und Wirtschaftsleuten im »Petrogate«-Ölskandal in Peru
ein Report über einen »ernsten Nuklearunfall« in der iranischen »Natanz«-Anlage, der nach Medienberichten von dem Computerwurm »Stuxnet« ausgelöst wurde, den aller Wahrscheinlichkeit nach Israel und die USA gemeinsam entwickelt haben
ein interner Report des Schweizer Konzerns Trafigura über Giftmüllverklappung vor der Elfenbeinküste
ein internes Dokument der isländischen Kaupthing Bank, das zeigt, wie die Besitzer kurz vor der Finanzkrise Millionen verschoben und abgeschrieben haben. Das führte zu Bürgerprotesten in Island und brachte zahlreiche Banker ins Gefängnis.
»Collateral Murder«: WikiLeaks veröffentlicht das Video eines US-Militärhubschraubers, der auf eine achtzehnköpfige Gruppe unbewaffneter Zivilisten, darunter zwei Reuters-Journalisten, feuert und sie tötet.
Im Mai wird der Militär-Analyst Bradley (später: Chelsea) Manning verhaftet und angeklagt, das Video und weiteres Material an WikiLeaks weitergegeben zu haben. Er hatte – verzweifelt und vereinsamt auf seinem Außenposten im Irak – nach vielen Chats einen ehemaligen Hacker, Adrian Lamo, ins Vertrauen gezogen, der sie an das FBI verraten hatte.
Im Juli postet WikiLeaks über 90 000 geheime Militär-Dokumente aus dem Afghanistan-Krieg (Afghan War Logs), die unter anderem weit mehr Ziviltote durch Aktionen der US-Armee zeigen, als bis dahin berichtet waren.
Im Oktober werden 40 000 Dokumente aus dem Irak-Krieg veröffentlicht, die ein neues Bild auf die Menge von irakischen Zivilisten werfen, die getötet wurden, ebenso auf Folter und Missbrauch von Gefangenen durch irakische Polizisten und Soldaten, die von den US-Besatzern tatenlos geduldet werden.