Inspiration, Konspiration, Evolution - Mathias Bröckers - E-Book

Inspiration, Konspiration, Evolution E-Book

Mathias Bröckers

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Beschreibung

Hat die Natur ein Gedächtnis? Können Tomaten träumen? Ist die Erde intelligent? Und wie konspirativ ging es beim Beginn des Lebens auf der Erde zu? Das sind nur einige der Fragen, denen die Berichte aus dem Überall nachgehen. Mit diesem Best of Bröckers von Gaia über Eleusis bis Goethe, über das Wunder des Bewusstseins und den Weltraum der Seele, Rupert Sheldrakes morphische Felder und Terrence McKennas sprechende Pilze, über Schach, Paranoia, Bobby Fischer, Bob Dylan, LSD und, und, und, schickt der Autor unseren Geist auf eine faszinierende Reise. Bitte einsteigen und abfahren.

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Ebook Edition

Mathias Bröckers

INSPIRATION – KONSPIRATION – EVOLUTION

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt

insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen

und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-3-946778-54-7

1. Auflage 2024

Fifty-Fifty Verlag, Köln

Umschlaggestaltung: Verlag fifty-fifty

Satz: Publikations Atelier, Weiterstadt

Inhalt

»Schreib doch nicht immer so schlimme Sachen!«

Verschwörungstheoretische Anmerkungen zu einem Terroranschlag

Bio-Konspiration – Wie alles anfing …

Gaia – Die Intelligenz der Erde

Wir Klimalügner: Vom Ende des Kaputtalismus und der Zuvielisation

Eleusis – Über die Geburt der Metaphysik aus dem Geist des Mutterkorns

»Wenn du stirbst, bevor du stirbst, wirst du nicht sterben, wenn du stirbst«

Bewusstseinsantennen – Die »Satellitenschüsseln« des spitzkegeligen Kahlkopfs

Mind over matter

All you need is love

Die Computerrevolution – Von »open mind« zur »open source«

»Das eigentliche Erbe 60er-Jahre-Generation ist die Computerrevolution«

Cannabis – Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf

Warum Hanf?

Wundersam erleuchtete Amphitheater – Über eine unheim­liche Begegnung im Jahr 1768

Bob Dylan – Like A Rolling Stone

»Der kann ja gar nicht singen«

JFK – »Die Göttin hinter dem Thron«

Bobby Fischer – Schach und Paranoia

Robert Anton Wilson – Alles unter Kontrolle

Wolfgang Neuss – Neuss Deutschland

Jack Herer – After Sunset

»Wenn man im Paradies lebt, will man ja nicht so schnell weg.« – Ein Gespräch mit dem 100-jährigen Albert Hofmann

Das Gedächtnis der Natur – Rupert Sheldrake

Der gehorsame Gummibaum

Paracelsus – »Leib und Geist sind ein Ding.«

Wie ein Geistheiler, Gottsucher, Alchemist und Doktor on the road die ganzheitliche Medizin entdeckte

Reformator und Rüpel

Ur-Faust gegen Pharma-Riese

Wie oben, so unten

Der Alchemist als Chaos-Theoretiker

Der Geist der Natur als Quantenfeld

»Geist soll gegen Geist gebraucht werden«

Jenseits von H2O – Der Wasserforscher Viktor Schauberger

Fritz A. Popp – Biophotonen

Mehr Licht – Newtons Gespenst und Goethes Polaroid

Legenden – Der Mythos 9/11

Die große Erzählung von Osama und den 19 Räubern

Ein Blick in den Abgrund

Nachweise

Die Bücher von und mit Mathias Bröckers

Anmerkungen

Orientierungspunkte

Cover

Inhaltsverzeichnis

Bio-Konspiration – Wie alles anfing …

Am Anfang war die Verschwörung. Einzelne Moleküle schlossen sich zu Gruppen zusammen, um die Ressourcen des Planeten besser auszubeuten. Wann genau sich die ersten Kohlenstoffverbindungen dazu entschlossen, wie sie dabei vorgingen und wie lange es dauerte, bis sie erfolgreich waren, kann die Wissenschaft bisher nicht vollständig rekonstruieren – sicher ist nur, dass vor etwa 3,5 Milliarden Jahren das Ergebnis dieser molekularen Verschwörung erscheint: fortpflanzungsfähige Einzeller … Bakterien … Leben! Und sicher scheint auch, dass es dabei konspirativ zuging.

Conspirare heißt wörtlich »zusammen atmen«, doch zum Zeitpunkt dieser ersten biochemischen Aktivitäten existierte in der globalen Atmosphäre noch gar kein Sauerstoff. Spiritus bedeutet aber nicht nur Hauch und Atem, sondern auch Geist, und ein solcher scheint – konspirativ – schon vor dem Entstehen von Sauerstoff anwesend gewesen zu sein: in Gestalt einer Topagentin namens RNA, die zusammen mit der ihr bald folgenden Kollegin DNA als Mastermind jener Verschwörung gelten muss, die den Planeten Erde nun heimsucht. Wo immer RNA und ihre Partnerin DNA ihren Ursprung haben, ob sie als Eigengewächs oder als außerirdische Eroberer zu bezeichnen sind: Mit dem Auftauchen dieser beiden Supermoleküle beginnt eine neue Geschichte auf der Erde, die Verschwörung des Lebens.

Nun sind diese beiden Topagentinnen keine Lebewesen, sondern chemische Verbindungen, und solchen eine Verschwörungsabsicht – also einen Plan und damit Intelligenz – zuzusprechen, scheint gewagt. Und doch deutet aus heutiger Sicht alles auf eine Konspiration hin. Die RNA-Eroberer lassen jedenfalls in den folgenden vier Milliarden Jahren keinen Zweifel an ihrer Absicht. Jeden Quadratzentimeter der toten Erde und der Wasseroberfläche besiedeln sie mit dem, was wir Leben nennen: Bakterien, Mikroorganismen, Pilze, Pflanzen, Tiere und schließlich Menschen. Die bis vor Kurzem noch weit verbreitete Meinung, dass es sich bei diesem Prozess um eine Kette reiner Zufälle handelte, gesteuert von den bekannten Naturgesetzen und zufälligen Veränderungen (Mutationen), die sich dann als vorteilhaft durchsetzen, wird von der neueren Evolutionsbiologie ernsthaft infrage gestellt.

Wie ist aber nun Leben entstanden? Freeman Dyson nimmt an, dass es zu einer »Symbiose« zwischen der RNA und einem »Proteinwesen« gekommen ist – wobei für eine Säureverbindung wie RNA (Ribo-Nukleinsäure) und eine ebenfalls leblose Eiweißverbindung der Begriff »Symbiose« nicht ganz korrekt ist. Es ist ja noch gar kein »Bios«, kein Leben, vorhanden, das sich zusammentun könnte. Konspiration scheint uns deshalb hier den besseren Begriff zu liefern: Zwei Einheiten, die RNA-Agentin und das »Proteinwesen«, sprechen sich ab, um in einer feindlichen Umgebung zu überleben. Und wie jede richtige Verschwörung hat auch die chemische Konspiration, die selbstreproduzierende, stoffwechselnde Lebewesen hervorbringt, ihr Geheimnis. Bis heute ist es aller Gen- und Biotechnik zum Trotz nicht gelungen, die Kluft zwischen Chemie und Biologie, den Übergang von toten Kohlenstoffverbindungen zu lebendigen Zellen, zu schließen. Wie das Säuremolekül und die Eiweißverbindung sich – hinter dem Rücken aller anderen Verbindungen – zur Kooperation verabredeten, ist unbekannt.

Zuerst allerdings existierten noch überhaupt keine Lebewesen mit einem festen Zellkern, sondern nur die von einer dünnen Membran zusammengehaltenen Bakterien bevölkerten die Weltmeere. Sie hatten sich auf die verschiedenen Ressourcen, wie etwa den reichlich vorhandenen Schwefel, spezialisiert und fraßen fröhlich vor sich hin. Irgendwann freilich gingen ihnen die Nährstoffe aus – doch parallel und unbemerkt hat das RNA-DNA-Protein-Trio ganz offensichtlich seine Fäden gezogen. Denn die bisher allein auf freier Wildbahn agierenden Bakterien schließen sich zu Gruppen zusammen, lösen sich als Einzelwesen auf und ordnen sich einem Funktionszusammenhang, einem mehrzelligen Wesen, unter.

Nach der derzeit noch herrschenden Lehrmeinung in der Evolutionsbiologie, die man als Neo- oder Ultradarwinismus bezeichnet, handelt es sich bei der Tätigkeit von RNA und DNA nur um einen einfachen Replikationstrick, einen Kopiermechanismus, der keinerlei Geheimnis birgt, geschweige denn den Anlass zu einer Verschwörungstheorie. Die Evolutionsfabrik, die das Leben auf diesem Planeten hervorbringt, ist nach dieser Ansicht nichts anderes als ein gigantischer Copyshop, der unter Leitung eines blinden Uhrmachers mechanisch Kopien fertigt. Eine Entwicklungsabteilung gibt es nicht, und das Geheimnis, wie durch simples Kopieren aus einem einzelligen Bakterium drei Milliarden Jahre später komplexe Lebewesen wie Louis Pasteur oder Robert Koch entstehen, verlagert der Neodarwinismus auf den Hinterhof der Kopierfabrik. Dort landen der Ausschuss, die fehlerhaften Kopien, die »Mutationen«. Doch wenn sich die Marktbedingungen, das heißt die Umweltsituationen, ändern, können sich die fehlerhaften Exemplare plötzlich als Renner erweisen und werden in die Massenproduktion übernommen.

Darwin selbst hat nie abgestritten, dass seine Theorie der natürlichen Auslese noch viele Fragen offenlässt und weiterer Ergänzungen bedarf. Er wehrte sich nur – und als Naturwissenschaftler zu Recht – gegen »wundertätige Hinzufügungen«. An solchen war auch einer seiner Zeitgenossen, der russische Graf und Intellektuelle Pjotr Kropotkin, wenig interessiert, der nach der Lektüre der »Entstehung der Arten« auf einer Reise durch Sibirien und die Mandschurei Naturbeobachtungen anstellte und dem auf der Gegenseite des unerbittlichen Existenzkampfs der Arten ein so strenger Zwang zur Kooperation und gegenseitigen Unterstützung auffiel, dass er schrieb:

»Wenn wir die Natur fragen, ›wer sind die Tüchtigsten: jene, die ständig miteinander im Krieg liegen, oder jene, die einander unterstützen?‹, so sehen wir sofort, dass jene Tiere, die die Gewohnheit gegenseitiger Hilfe erworben haben, zweifellos die tüchtigsten, bestangepassten sind. Sie haben mehr Überlebenschancen und sie bringen es auf ihrer jeweiligen Stufe zum höchsten Entwicklungsgrad der Intelligenz und der Körperorganisation.«

Kropotkins Wahrnehmung wurde nicht weiter ernst genommen, zumal er als Bohemien, Mitglied der anarchistischen Bewegung und wissenschaftlicher Außenseiter ohnehin suspekt war, und doch gibt der Titel des Buchs, das er über seine Beobachtungen verfasste, eine gute Umschreibung dessen, welcher natürlichen (und gar nicht »wundertätigen«) Hinzufügung es bedarf, um mit Darwins Theorie der natürlichen Auslese die Entwicklung des Lebens zu erklären: »Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt«. Solange wir bei der Beobachtung des Systems »Evolution« nur den Prozess der Konkurrenz wahrnehmen, bleibt der gegenläufige, völlig andersgeartete Prozess der Kooperation außerhalb des Blickfelds. So wie die Physiker zum Beispiel die Theorie des Lichts experimentell und mathematisch überprüfen können, indem sie Licht als eine große Menge einzelner Lichtteilchen auffassen, versuchen uns die Neo- und Ultradarwinisten in ihren Rechenschaftsberichten ziemlich schlüssig vorzurechnen, dass nur der Zufallsgenerator in der Kopierfabrik und das Konkurrenzprinzip draußen für das Wunder der Schöpfung zuständig sind. Aber Licht hat auch Wellencharakter, verbreitet sich als Frequenz im ganzen Raum und ist überhaupt nicht aufgeteilt in einzelne Teilchen. Wirklich verstehen können wir das Phänomen nur, wenn wir diesen Doppelcharakter akzeptieren. Ähnlich paradox verhält es sich mit der Evolution, in der Konkurrenz und Kooperation zugleich wirksam werden, obwohl sie sich gegenseitig ausschließen. Doch es existiert ein Verbindungsglied, ein verborgenes Netz, ein vereinigendes Prinzip, das zwischen den gegenläufigen Prozessen von Konkurrenz und Kooperation vermittelt: die Konspiration. Erst die konspirative Anstiftung zur Symbiose ist es, die die große Kette der Wesen hervorbringt.

Als die Mikrobiologin Lynn Margulis’ Mitte der 1960er-Jahre nachwies, dass die ersten Lebewesen mit festem Zellkern durch eine Kooperation mit einst freilebenden Bakterien entstanden und diese »Symbiogenese« als Motor der Evolution zu sehen sei, wurde dies als wilde Spekulation abgetan; mittlerweile steht ihre Theorie der Zellentstehung in jedem Lehrbuch. Dass sie das herrschende Dogma von Mutation und Selektion aufs Schärfste unterminiert, ist allerdings von der Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt geblieben.

Die Konspiration, die RNA und Protein in Gang gesetzt haben, hat nur ein Ziel: so viel Leben wie möglich in die Welt zu setzen. Und weil dazu der bisweilen fehlerhafte Kopiermechanismus nicht ausreicht und über das bakterielle Stadium nicht hinausgekommen wäre, wird in der ersten großen Krise des Lebens auf Erden der Kooperationsmechanismus zugeschaltet. Anders als beim Kopierprogramm, das in den Nukleinsäuren codiert ist, ist das Kooperationsprogramm konspirativ – kein Skript, kein Code, keine materiellen Spuren. Und wie bei jeder perfekten Verschwörung werden wir ihre Struktur auch nicht aufdecken, wenn wir uns einzelne der vermutlichen Mafiamitglieder schnappen und zum Geständnis zwingen: Sie kennen die gesamte Struktur gar nicht, haben höchstens vom Hörensagen davon erfahren und sind nur mit einigen anderen Mitgliedern in ihrer Region in direktem Kontakt. Die Raupe kann den Schmetterling nicht verstehen – und die bakteriellen Geißeltierchen, die sich im Archaikum zum Eintritt in einen geschlossenen Zellverband überreden ließen, hatten keine Ahnung, dass sie 1,5 Milliarden Jahre später bei männlichen Säugetieren als Sperma-Rennpferde zum Einsatz kommen sollten.

Das konspirative Element der Evolution ist nicht zu erkennen, solange wir uns einzelne Teile vornehmen. Es wird erst sichtbar, wenn wir ihr Zusammenwirken, den Gesamtzusammenhang ins Auge fassen. »Leben« entsteht erst durch die Kooperation von Lebewesen. Das Kopieren und die Konkurrenz um knappe Ressourcen sind als völlig geistloses Spiel vorstellbar, reine Mechanik, saubere Physik, null »Sozialarbeit« – die einsetzenden Symbiosen aber, die erst all die höheren Arten hervorbringen, sind es nicht. Kooperation aber setzt nicht nur Kommunikation voraus, sondern auch Konspiration: Einverständnis, eine gemeinsame Idee, Geist.

Schon in den Frühzeiten der Erde verfügten die Mikroben über konspirative Kommunikationsmöglichkeiten, von denen wir bis vor wenigen Jahren nicht die geringste Ahnung hatten. Wir mögen Einrichtungen wie Telekommunikation und Datenfernübertragung für große technische Leistungen halten und Demokratie oder Volksabstimmungen für den Gipfel der Zivilisation. Tatsächlich aber verfügten schon die Bakterienkolonien vor zwei Milliarden Jahren über solche Einrichtungen. Für ein einzelnes Bakterium ist der zehn Meter lange Planktonteppich seiner Kolonie, der auf den Meereswellen schaukelt, so groß wie für einen Menschen der Kontinent Amerika – und doch ist es in »Alaska« in der Lage, sich mit seinen Kollegen in »Feuerland« unmittelbar abzustimmen und so das Verhalten der gesamten Kolonie zu koordinieren. Das Verfahren wird »Quorum sensing« genannt, nach dem aus dem römischen Recht stammenden Begriff »Quorum«, der jene Teilnehmerzahl einer Versammlung bezeichnet, die mindestens erreicht sein muss, um beschlussfähig zu sein. Die Bakterien ermitteln ihr Quorum, indem sie einen biochemischen Signalstoff an ihre Umgebung abgeben. Wird ein bestimmter Schwellenwert erreicht, strömen die Stoffe zurück, schalten einige Gene an, andere aus und verändern so die Aktivitäten und das Fortpflanzungsverhalten der Bakterien über den gesamten »Kontinent« hinweg.

Diese medialen Fähigkeiten der Mikroben haben nicht nur eine neue Sichtweise auf diese eben gar nicht so primitiven Lebewesen eröffnet, sondern auch auf die Entstehung »höheren« Lebens insgesamt. Und diese verlief insgesamt so konspirativ, dass der Code ihrer Kommunikation erst vor wenigen Jahren geknackt werden konnte. Wir wissen jetzt, dass schon einfachste Lebensformen in der Lage waren zu kommunizieren; wir wissen auch, dass sich bestimmte Bakterien vor etwa 2,5 Milliarden Jahren zu Verbänden zusammenschlossen, um die ersten mehrzelligen Lebewesen zu bilden – und dass sie seitdem daran arbeiten, immer komplexere Lebensformen hervorzubringen.

Das menschliche Gehirn ist aus dieser Sicht die wahrscheinlich höchstentwickelte, komplexeste Kolonie, die von der Mikrobenintelligenz seither geschaffen wurde – so komplex, dass ihre Träger, die Menschen, es selbst nicht verstehen. »Wenn unser Gehirn so simpel wäre, dass wir es verstehen könnten, wären wir so simpel, dass wir es nicht könnten«, hat der Gehirnforscher Emerson Pugh dieses Dilemma einmal ausgedrückt. Und das spricht dafür, dass es sich tatsächlich um eine Kolonie, die Filiale einer höheren Intelligenz, handelt. Als Kandidat dafür kommt nur das »Gobal Brain« in Frage: das selbstorganisierte, billionenfach vernetzte, seit Milliarden Jahren stabile Netzwerk der Bakterien. Dies, die geheime Absprache verschiedener Mikroben zur Kooperation, ist wahrscheinlich die einzige real existierende Weltverschwörung überhaupt, und ihr einziges Ziel heißt: Leben.

Verschwörungen, so scheint es unter dieser naturgeschichtlichen Perspektive, sind eine evolutionäre Norm, ein Verhaltensmuster, das allen gesellschaftsfähigen Gruppen – also eben nicht nur Trickbetrügern, Geheimdiensten oder ganzen Staatengemeinschaften – eigen ist. Vielleicht ist das der Grund, warum das Thema Konspiration noch nicht ins rechte Licht der Wissenschaft gerückt ist und bis heute keine allgemeine Theorie der Verschwörung existiert.

(2002)

Gaia – Die Intelligenz der Erde

Wir sind die Erde. Wir sind der Rhythmus von Tag und Nacht, wir sind die Bewegung der Erde um sich selbst und um die Sonne. Wir sind auch das Gewicht der Erde – wäre sie nur etwas schwerer und die Gravitation stärker, hätte alles eine andere Gestalt, auch unsere Körper. Wir sind die Geschwindigkeit der Erde. Mit über 100 000 Kilometern pro Stunde rast sie um die Sonne, mit Überschallgeschwindigkeit dreht sie sich dabei um sich selbst – und die ganze Galaxie bewegt sich mit dem unglaublichen Tempo von 500 Kilometern pro Sekunde durchs Weltall. Ein kosmisches Karussell – und uns flattert dabei nicht einmal ein Haar. Denn wir sitzen nicht auf ihm – wir sind dieses Karussell.

Wir sind auch die Geschichte der Erde, die Geschichte der Mineralstoffe, des Wassers und des Sonnenlichts. Und die aus ihnen hervorgehende Geschichte des Lebens. Des Chaos, aus dem die Ursuppe – plötzlich – in eine neue Ordnung sprang. Und den fortpflanzungsfähigen Einzeller gebar. Wir sind die ganze Evolution, von der Bakterie bis zum Blauwal, und die Milliarden Neuronen unseres Gehirns stellen vielleicht nichts anderes dar als eine hoch organisierte, symbiotische Kolonie von Mikroben. Wir sind auch die Pflanzen, ohne die wir gar nicht sein könnten: Sie vollbringen das dauernde Wunder und verwandeln Licht in Leben.

Wir sind die Erde – so sehr, dass wir sie erst verlassen mussten, um ein Gespür dafür zu bekommen: Die Erde lebt.

Ende der 60er-Jahre wurde der britische Mediziner, Klimaforscher und Erfinder James Lovelock von der Weltraumagentur NASA aufgefordert, Methoden für die Entdeckung von Leben auf dem Mars zu erkunden. Dazu musste er den Blick zuerst einem Planeten zuwenden, auf dem es zweifelsfrei Leben gab – der Erde. Schon die Gaszusammensetzung der Erdatmosphäre war erstaunlich, etwa die gleichzeitige Anwesenheit von Sauerstoff und Methan, die unter normalen Umständen aufeinander reagieren wie Fuchs und Hase und eigentlich in Kohlendioxid und Wasser zerfallen müssten. Um den ständigen Methangehalt aufrechtzuerhalten, so Lovelocks Berechnungen, müssten jährlich eine Milliarde Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen. Auch Kohlendioxid, so fand er bei der weiteren Untersuchung heraus, ist zehnmal mehr vorhanden, als es nach den chemischen Erwartungswerten der Fall sein dürfte – ähnlich ist es bei Schwefel, Methylchlorid und anderen Atmosphären-Bestandteilen. Trotz dieses Ungleichgewichts aber blieb die explosive Gasmischung der Atmosphäre stabil. Das konnte kein Zufall sein, genauso wenig wie die Salzkonzentration der Ozeane, die konstant bleibt, obwohl ihnen jedes Jahr Millionen von Tonnen Salz zugeführt werden. Oder die Temperatur der Erde: In den vier Milliarden Jahren, seit organisches Leben auf dem Planeten erschien, ist die Temperatur der Sonne um mehr als 30 Prozent gestiegen. Auf der frühen Erde hätte danach die mittlere Temperatur eigentlich unterhalb des Gefrierpunkts liegen müssen – Fossilien jedoch zeigen, dass dies nicht der Fall war. Für Lovelock ließ das alles nur eine Erklärung zu: Um diese dauerhaften Nichtgleichgewichtszustände aufrechtzuerhalten, muss die Atmosphäre der Erde von Beginn an und ununterbrochen gesteuert worden sein – durch einen bewussten, lebendigen Prozess.

Die Erdoberfläche besteht zu drei Vierteln aus Wasser. Dass dieser Planet »Erde« und nicht »Ozean« genannt wurde, hat vermutlich nur mit der Unkenntnis seiner Festlandbewohner zu tun: Als die Menschen den Namen »Erde« prägten, wussten sie weder von den gewaltigen Meeren, noch, dass es sich dabei, zusammen mit einigen Inseln, im Ganzen um einen Planeten handelt. Und so nannten sie den Garten, der sie hervorgebracht hatte und der sie umgab, einfach »Mutter Erde«.2

Einige Jahrhunderte lang hat eine gebildete Minderheit im Abendland geglaubt, unser Planet sei eine tote Steinkugel, die nach mechanischen Gesetzen durchs All wirbelt. Auf ihrer Oberfläche war ein Automatismus in Gang gekommen, der aus einem organischen Schimmel immer komplexere Formen des Lebens entstehen ließ, aus dem sich dann irgendwann erkennende Wesen – die Menschen – entwickelten. Nach dieser bis heute weit verbreiteten Auffassung hätten unsere Vorfahren die Natur nicht so sehen können, wie sie ist – als ein scheinbar unbelebtes, auf kein Ziel gerichtetes physikalisches System –, weil sie eben ihre Hoffnungen und Ängste auf sie projizierten: Sie statteten die unbelebten Teile des Kosmos mit den Eigenschaften von Lebewesen aus, beseelten die Materie und sprachen nicht nur den Menschen, sondern auch Pflanzen und Tieren, Steinen und Flüssen einen Geist zu. Und sie versuchten, mit diesem Geist durch Rituale, Ekstasen und Gebete in Kontakt zu kommen. Rationale Erkenntnisse und wissenschaftlicher Fortschritt sagen uns, dass sich die physikalischen Abläufe der Natur nicht mit Zaubersprüchen beeinflussen lassen – sie folgen, von einem Zufallsgenerator in Gang gesetzt, den unpersönlichen, ewigen Gesetzen eines Uhrwerks.

In jüngster Zeit allerdings ist diese Uhrmachersicht des Universums ins Wanken geraten – je tiefer die Naturwissenschaftler zu den kleinsten Bausteinen vorstießen, desto heftiger wurden sie auf die Komplexität des Ganzen zurückgeworfen. Die Quantenphysiker entdeckten unter der scheinbaren Einfachheit der Atome eine vibrierende Landschaft von Wechselwirkungen: Die Vorgänge in der beobachteten subatomaren Mikro-Welt waren untrennbar mit der Makro-Welt des Beobachters verbunden. Diese Erkenntnis riss die Wissenschaftler aus einer lange gehegten Illusion: dem Glauben, Natur als eine separierte Außenwelt »objektiv« erforschen zu können. Die Bahn eines Teilchens, die Frequenz einer Welle, entsteht erst dadurch, dass ein Beobachter nach ihr Ausschau hält – woher aber »weiß« das Quantensystem, nach was gerade Ausschau gehalten wird? Für dieses Rätsel hat die Physik bis heute keine Antwort gefunden – und wenig spricht dafür, dass eine einfache Lösung, gar eine »Weltformel«, auf der Suche nach noch kleineren Teilchen – den Quarks, Hadronen oder Superstrings –, jemals gefunden wird. Die Fragen der mysteriösen Kommunikation der Quanten, davon sind immer mehr Wissenschaftler überzeugt, lösen sich nicht im Blick auf die Einzelteile, sondern nur im Blick auf das Ganze.

Die merkwürdige Verbundenheit des Universums auf der subatomaren Ebene wurde lange Zeit leutselig vom Tisch gewischt: Als sogenanntes »Beobachterproblem« sollte sie nur für den Mikro-Kosmos gelten, während auf der Makro-Ebene unseres Alltags weiterhin alles in bester mechanischer Bauklötzchen-Ordnung sei. Die jüngsten Erkenntnisse in zahlreichen Wissenschaftsbereichen – von der Biochemie über die Plasma-Forschung bis zur Wetterkunde – deuten allerdings darauf hin, dass auch ganz alltägliche Naturprozesse sich nicht aus der Aktivität ihrer Einzelteile, sondern nur durch die aktive Kommunikation des Ganzen erklären lassen.

Der Schleimpilz Dictyostelium ist kein Pilz, sondern ein amöben­ähnliches, einzelliges Lebewesen, das in verwesender Vegetation auf Waldböden vorkommt. Er pflanzt sich durch einfache Teilung fort, sodass die Nachkommen einer einzigen Zelle sich nach einer gewissen Zeit über ein größeres Gebiet ausbreiten. Wenn irgendwann die Nahrung der Umgebung erschöpft ist, geschieht etwas Außergewöhnliches. Die einzelnen Schleimpilze beginnen, sich nach innen zu bewegen, sie rücken immer näher zusammen und verklumpen schließlich zu einem komplexen Organismus. Wie eine kollektive »Schnecke« kriecht dieses Wesen dann in ein neues Nahrungsgebiet und verwandelt sich dort erneut: Es errichtet einen Stängel, an dessen Spitze sich ein Fruchtkörper bildet, von dem sich in großer Zahl Sporen lösen und im Waldboden eine Kolonie bilden. Woher »weiß« die individuelle Zelle, wann es Zeit ist, die Individualität aufzugeben und einen kollektiven Organismus zu bilden? Die einfache Teilung, der sich der Schleimpilz zur Fortpflanzung bedient, bedeutet, dass wir es bis heute mit einem seit den Frühzeiten des Lebens praktisch unveränderten Exemplar zu tun haben – sein Verhalten repräsentiert ein ebenso altes wie fundamentales Prinzip der Natur: das Prinzip der Selbstorganisation.

Selbstorganisation, auch Auto-Poiesis genannt, ist die Fähigkeit zur spontanen Strukturierung. In seiner reinsten Form ist dieses dynamische Prinzip in offenen, in ständigem Austausch mit ihrer Umwelt befindlichen Reaktionssystemen zu studieren. Der Physiker und Chemiker Ilya Prigogine entdeckte in den 70er-Jahren, dass bestimmte Chemikalien, wenn sie vermischt werden, einen Zustand größerer Ordnung und nicht Unordnung hervorbringen. Er nannte diese aus stetigem Ungleichgewicht spontan hervortretenden neuen Ordnungszustände »dissipative Strukturen« und erhielt für ihre Erforschung den Nobelpreis für Chemie. Ihm hätte eigentlich der Nobelpreis für Optimismus gebührt. Denn diese »dissipativen Strukturen« laufen einem äußerst unangenehmen Gesetz, dem »Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik«, zuwider, demzufolge alle Dinge zunehmender Unordnung zustreben und das Universum insgesamt irgendwann unausweichlich im Wärmetod endet. Diese Tendenz wird wissenschaftlich »Entropie« genannt und ist auch den meisten Laien bekannt als das Prinzip von Murphys Gesetz: »Alles, was schiefgehen kann, geht schief.«

Prigogine nun konnte zeigen, dass dieses fundamentale Gesetz von offenen stoffwechselnden Systemen im Zustand hohen Ungleichgewichts unterlaufen werden kann: Sie sind in der Lage, auch äußerst unwahrscheinliche, unstabile Zustände über lange Zeit aufrechtzuerhalten und das vom Zweiten Hauptsatz treffend vorausgesagte Anwachsen von Chaos umzusetzen – nicht das Auseinanderfallen in totale Unordnung ist dann das Ergebnis, sondern die Herausbildung neuer Ordnungsstrukturen.3

Schleimpilze ernähren sich am liebsten von Bakterien, und solange genügend vorhanden sind, frisst jede einzelne Zelle munter vor sich hin und vermehrt sich fleißig. Wenn die Nahrung knapp wird, scheiden die einzelnen Schleimpilz-Zellen in rhythmischen Pulsen eine Chemikalie aus, die den anderen Amöben das Signal gibt, ihre Einzelexistenz aufzugeben und einen gemeinsamen Körper zu bilden. Wie diese Formbildung im Detail funktioniert, ist nach wie vor ein Rätsel; was Prigogine fand, ist nur das biochemische Kommunikationssystem, das dazu benutzt wird. Der von Schrittmacherzellen abgesonderte Botenstoff veranlasst die Einzelzelle, ihrerseits Botenstoffe abzugeben; es entsteht ein Rückkopplungsprozess, in dem sich die Zellen zu pulsierenden Wellen aufschaukeln – und an einem kritischen Punkt in eine neue Ordnung springen. Prigogine und seine Kollegen sehen solche selbstorganisierten Strukturen überall auftauchen: in der Biologie, in Fließbewegungen und Wirbeln, im Wachstum von Termitenbauten oder Städten, bei der Bildung von Sternen und Galaxien oder der chemo-elektrischen Signalübertragung des menschlichen Gehirns.

Das wundersame Wirken der Selbstorganisation lässt sich im Prinzip an jedem Wasserhahn beobachten: Beim ganz langsamen Öffnen geht das gleichmäßige Tropfen irgendwann in chaotisches Tröpfeln über, das an einem kritischen Punkt plötzlich wieder einem geordneten Zustand weicht. Dreht man etwas weiter auf, bilden sich Wirbel und bleiben stabil, um dann, wenn der Druck zu stark wird, wieder in eine Phase chaotischen Spritzens überzugehen. Ähnliches geschieht, wenn wir Wasser zum Kochen bringen: Chaotisches Brausen und Sprudeln geht irgendwann in eine regelmäßige Blasenbildung über. Woher »weiß« das einzelne Wasserpartikel, wann es Zeit ist, aus einer individuellen in eine kollektive Fließbewegung überzugehen? Es ist, meint Prigogine, als wäre jedes Molekül über den Zustand des gesamten Systems »informiert«; es ist, als wüssten die Teile, dass sie Teile sind, zugehörig zum Ganzen …

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen Emily vorstellen. Sie werden vielleicht noch nichts von ihr gehört haben, aber das macht nichts – Emily ist eine unserer ältesten Verwandten. Mit ihrer Familie, dem alten Adelsgeschlecht derer von Emiliana huxleyii – aus dem weitverbreiteten Stamm Phytoplankton, der Blaualgen –, entwickelte Emily vor mehr als drei Milliarden Jahren die Fertigkeit, ein schwefelhaltiges Gas, Äthan-Sulfid, zu produzieren. Es mag nicht weiter bemerkenswert erscheinen, wenn ein so winziges Pflänzchen plötzlich beginnt, noch viel winzigere Mengen Abgas zu emittieren – doch wie heutzutage bei den Autos macht es auch bei Emily die Masse. Verglichen mit der Verbreitung ihrer Familie müssen die stinkend zum Stillstand gestauten Benzinkutschen unserer Tage geradezu als aussterbende Art gelten: In einem Liter Meer-Wasser leben Millionen und Abermillionen von Emilys – und jede einzelne von ihnen begann damals, das reichlich vorhandene Kohlendioxid aus der Luft aufzunehmen und es in Schwefelgas zu verwandeln. Die abgegebenen Schwefelpartikel bildeten den Kondensationskern von Wolken und sorgten so dafür, dass um die Erde herum so etwas wie ein Schutzumschlag entstand. Unter diesem erst konnten die chemischen Reaktionen stattfinden, die dann den Sauerstoff, die schützende Ozonschicht und all das hervorbrachten, was wir heute Biosphäre nennen.

Das schweflige Gas, das die Blaualge Emily ausschied, sorgte in der Frühzeit der Erde für die Wolkenbildung – die Wolken reflektierten das Sonnenlicht, das ansonsten die Erdoberfläche erreicht hätte. Wenn es dadurch zu kühl wurde, nahm die Dichte der Blaualgen ab, es bildeten sich weniger Wolken und die Temperatur stieg wieder. Emily funktionierte also wie ein Thermostat, um die Erdtemperatur immer in einem bestimmten Bereich zu halten. Ohne unseren Urahn Emily und ihre Zeitgenossen, die pflanzlichen und tierischen Mikroorganismen, wäre das exakte Gemisch der Luft, die wir atmen, die schmale Bandbreite der Temperatur, in der Leben möglich ist, niemals entstanden. Bis heute managen Emily und ihre mehrzelligen Nachfahren den Energiehaushalt des Planeten – sie sorgen für die Pufferzone, in der entstehende Wärme gespeichert und die Abstrahlung so reguliert wird, dass keine extremen Temperaturdifferenzen entstehen. Stellten sie morgen ihre Tätigkeit ein – das Weltklima bräche auf der Stelle zusammen. Die Eingriffe des Menschen in die Atmosphäre, Stichwort: Treibhauseffekt, können kurzfristig allergrößte Gefahren heraufbeschwören – erdgeschichtlich spielen sie, verglichen mit den gewaltigen Aktivitäten der Blaualgen, eine eher unbedeutende Rolle. Die Mikro-Organismen sind es, die diesen Planeten seit 3,5 Milliarden Jahren lebensfähig erhalten – allen kosmischen Katastrophen, wie gewaltigen Meteoriten-Einschlägen, und allen Eiszeiten zum Trotz.4

Wie kommt es, dass eine größtenteils von Wasser bedeckte Steinkugel derart flexibel reagiert? Wie kann sie ständig dieses wohltemperierte, subtile Gemisch unverträglicher Gase, das wir zum Atmen brauchen, aufrechterhalten, wie ein Umkippen in das tödliche Kohlendioxid-Einerlei ihrer Nachbarn Mars und Venus verhindern? James Lovelock hat auf diese Frage eine so einfache wie geniale Antwort gefunden: Die Erde ist nicht, wie die Geologen behaupten, eine tote Steinkugel, sondern ein Lebewesen, ein einziger großer Organismus, der sich genau die Umgebung schafft, die er braucht. Das Steuerungs- und Rückkopplungssystem, das für diese Aktivitäten zuständig ist, nannte Lovelock nach dem Vorschlag eines Dorfnachbarn, des Schriftstellers und Literatur-Nobelpreisträgers William Golding, Gaia. Gaia, das war der Name der griechischen Erdgottheit. Lovelock war sich bewusst, dass seine wissenschaftliche Hypothese mit diesem mythisch klingenden Namen für die Wissenschaftskollegen noch schwerer verdaulich sein müsste als ohnehin – doch schien »Gaia« genau richtig, denn es ging letztendlich um ein autopoetisches, sich selbst regulierendes System: den lebenden Planeten als Ganzes – Mutter Erde.

Im antiken Griechenland hatte Aristoteles gelehrt, dass die Erde nur aus vier Elementen besteht: Wasser, Erde, Luft und Feuer. Bis heute haben die Naturforscher über hundert chemische Grundstoffe entdeckt, und hinter den Bausteinen dieser Grundstoffe, den Atomen, einen regelrechten Zoo kleiner und immer kleinerer Teilchen – doch wenn moderne Wissenschaftler den Planeten Erden betrachten, sprechen sie in der Regel immer noch von vier Grundelementen: dem Erdboden – der Lithosphäre –, dem Wasser, – der Hydrosphäre, der Luft – der Atmosphäre und dem Leben – der Biosphäre. Die Gaia-Theorie dagegen behauptet, dass die Evolution des Lebens nur aus der aktiven Kooperation dieser vier Sphären erklärbar ist. – »Wir werden die Erdgeschichte nicht eher begreifen, als bis wir das System als Gesamtheit betrachten und unsere Versuche einstellen, einen Teil losgelöst vom anderen verstehen zu wollen« – schrieb James Lovelock, der Mitte der 70er-Jahre seine Gaia-These erstmals veröffentlichte. So viel Beweise und Bestätigung – aber auch harsche Kritik und Ablehnung – seine Theorie seitdem erfahren und so viel Aufregung sie verursacht hat, im eigentlichen Sinne neu war Lovelocks Idee nicht.

Schon im 18. Jahrhundert hatte der Vater der modernen Geologie, der Schotte James Hutton, gefordert, die Erde insgesamt als eine Art Über-Organismus zu betrachten, der nur mit Hilfe der Physiologie erforscht werden könne: Den Kreislauf der Nährstoffe im Boden und die Bewegung der Ozeane zum Land hin verglich Hutton mit der Zirkulation des Bluts. Wenig später klagte der frühe Geo-Wissenschaftler Alexander von Humboldt: »Wir untersuchen die Steine, aber nicht die Berge, wir haben das Material, beachten aber nicht, wie es zusammengehört« – und forderte, die Erde als ein Ganzes zu betrachten, in dem die »Lebenssphäre« untrennbar mit der anorganischen Welt verbunden ist. Doch diese der Naturphilosophie geschuldete Idee Humboldts geriet genauso in Vergessenheit wie James Huttons »harte« Wissenschaft der lebenden Erde. Sie passten nicht in den Zeitgeist des Dampfmaschinenzeitalters, in dem sich der Mensch mit Hilfe der Mechanik gerade zum Herrn und Besitzer der Natur aufgeschwungen hatte. Auch der sowjetische Geo-Chemiker Wladimir Vernadsky, der in den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts den neugeprägten Begriff »Biosphäre« mit Leben füllte, indem er auf seine Bedeutung für Gesteinsformationen, die Ozeane und das Klima hinwies, geriet schnell wieder in Vergessenheit. So konnte es kommen, dass James Lovelock, als er seine Gaia-Hypothese erstmals formulierte, von all diesen Vorgängern überhaupt nichts wusste. Genauso wenig wie seine Kollegin, die Mikrobiologin Lynn Margulis, deren Erforschung der Mikroben, Bakterien und Kleinstlebewesen und ihrer zentralen Rolle in der Evolution des Lebens das Standbein der Gaia-Hypothese abgab.