Vom Ende der unipolaren Welt - Mathias Bröckers - E-Book

Vom Ende der unipolaren Welt E-Book

Mathias Bröckers

0,0
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit "Wir sind die Guten - Ansichten eines Putinverstehers" (Westend Verlag) schrieb Mathias Bröckers (zusammen mit Paul Schreyer) 2014 über die Hintergründe des Ukraine-Konflikts eines der erfolgreichsten politischen Sachbücher des Jahres. 2019 erschien die aktualisierte und erweiterte Fassung des Bestsellers unter dem Titel "Wir sind immer die Guten", der die drohende Zuspitzung des Konflikts schon thematisiert, die mit dem militärischen Angriff Russlands im Februar 2022 eskalierte und einen Propaganda-Tsunami auslöste, der alle journalistischen Standards begrub: Die Medien, so Bröckers These, mutierten von Berichterstattern zu einer Art Kriegspartei. Bröckers hält mit "Vom Ende der unipolaren Welt" dagegen. Denn wir sind schon wieder "die Guten" und Russland samt Putin "das Ultraböse" schlechthin. Doch mit der Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Sicher ist nur, dass die sogenannte "Militäroperation" Russlands das Ende der unipolaren Welt bedeutet; einer von den USA politisch diktierten und militärisch kontrollierten internationalen Ordnung und einer Globalisierung, wie wir sie kannten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 385

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ebook Edition

Mathias Bröckers

Vom Ende der unipolaren Welt

Warum ich gegen Krieg, aber noch immer »Putinversteher« bin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-946778-38-7

© Verlag fifty-fifty, Frankfurt/Main 2022

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

Inhalt

Titel

Einleitung

Acht Thesen, warum die unipolare Welt zu Ende geht

1

2

3

4

5

6

7

8

Notizen vom Ende der unipolaren Welt

18. Januar 2022

12. Februar 2022

21. Februar 2022

23. Februar 2022

24. Februar 2022

06. März 2022

08. März 2022

12. März 2022

14. März 2022

16. März 2022

18. März 2022

19. März 2022

22. März 2022

24. März 2022

26. März 2022

28. März 2022

31. März 2022

04. April 2022

06. April 2022

08. April 2022

11. April 2022

14. April 2022

17. April 2022

20. April 2022

23. April 2022

25. April 2022

27. April 2022

01. Mai 2022

04. Mai 2022

06. Mai 2022

18. Mai 2022

21. Mai 2022

25. Mai 2022

28. Mai 2022

31. Mai 2022

03. Juni 2022

06. Juni 2022

12. Juni 2022

16. Juni 2022

21. Juni 2022

26. Juni 2022

30. Juni 2022

Epilog

Anmerkungen

Einleitung

Notizen vom Ende der unipolaren Welt

Epilog

Anhang: Maria Elvira Roca Barea – »Die Angst vor den Russen – damals und jetzt«*

Die Wiege der Russenfeindlichkeit: das aufgeklärte Frankreich

Angst und Prophezeiungen

Russland als ahnungsloses Imperium

Marx und Bakunin: Slawenfeindlichkeit und Rassismus

Russland heute

Orientierungspunkte

Titel

Inhaltsverzeichnis

Notizen vom Ende der unipolaren Welt

18. Januar 2022

Erinnern Sie sich noch an »Russiagate«? Die von allen westlichen Großmedien verbreitete Verschwörungstheorie, dass Donald Trump mit Hilfe des Kremls ins Weiße Haus gekommen ist und von Wladimir Putin mit anzüglichen Pipi-Videos erpresst wird. Und dass Hillary Clinton die Wahl nur verloren hat, weil »russische Hacker« ihre E-Mails und Dokumente der Demokratischen Partei gestohlen hatten und an die Öffentlichkeit brachten, wie sie den aussichtsreichen Bernie Sanders um die Kandidatur betrogen hatte.1 Und dass diese unsichtbaren »russischen Hacker« über Twitter und Facebook die Wahlen manipulieren und dabei sind, die Demokratie zu unterwandern? Erinnern Sie sich noch an die großen Enthüllungen des offiziellen »Mueller Reports« über die »russische Einmischung«, die Tag für Tag in den Nachrichten angekündigt wurden?2 Falls Sie das vergessen haben, ist es völlig in Ordnung, denn sie kamen nie, da es sich bei diesem ganzen »Russiagate«-Komplex mit unsichtbaren Hackern und dem Gottseibeiuns Putin um hochgradiges Geschwurbel handelte.

Nicht vergessen sollten Sie allerdings, dass uns diese Legenden, Mythen und Verschwörungserzählungen seit Sommer 2016 als Fakten und reale Nachrichten aufgetischt wurden. Jetzt aber wandelt sich das Narrativ, wie das Cover des Economist vom 8. Januar 2022 sehr schön zeigt, erschienen vor dem »Nicht-Dialog-Dialog« zwischen USA und Russland in Genf und Brüssel vergangene Woche: Putin in Scarface-Manier in einer Art Thron hängend, Maschinengewehr auf dem Schoss und der Überschrift: »Mr Putin will see you now.«3 Nicht mehr subtil, von unsichtbaren Hackern und Facebookern, wird die Demokratie also angeblich unterwandert, sondern direkt und vom Ultrabösen persönlich mit Knarre bedroht, der es sich tatsächlich herausnimmt, die Truppen in seinem Land aufzustellen, wo er will – zum Beispiel an die Grenze zur Ukraine, an der auch das US-Imperium und die NATO gerne ihre Raketen aufstellen würden. Wogegen die Russen Sicherheitsbedenken vorbringen –, verständlicherweise, denn wenn sie im Gegenzug ein paar Hyperschall-Raketen auf Kuba stationieren und Atom-U-Boote in den »freien Meeren« des Golf von Mexiko cruisen lassen, wäre das ein direkter Flashback zurück in die »Kuba-Krise« ….4

»Diese Blechköpfe haben einen großen Vorteil. Wenn wir auf sie hören und tun, was sie wollen, ist hinterher niemand von uns mehr am Leben, um ihnen zu sagen, dass sie falsch lagen«, sagte John F. Kennedy zu seinem Berater Kenneth O’Donell, als sie im Oktober 1962 eine Sitzung mit dem Generalstab verließen, in der sich die Militärs und fast alle seiner Kabinettsmitglieder außer John McNamara und Robert Kennedy für einen sofortigen Angriff auf Kuba ausgesprochen hatten. Um einen Krieg zu verhindern, sah JFK nur noch die Möglichkeit, eine letzte Option zu nutzen, von denen weder die Militärs noch die Geheimdienste und sein Kabinett zu dieser Zeit wussten: seinen geheimen »Back Channel« mit dem Partei- und Regierungschef auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, den Kontakt mit Nikita Chruschtschow.5/6

Dass es einen solchen Kanal heute noch gibt und sich die säbelrasselnden »Blechköpfe« nicht durchsetzen, kann man nur hoffen. Von US-Seite wird derzeit aber eher weiter an der Eskalationsschraube gedreht. Dort werden private ukrainische Truppen trainiert – um jene Milizen zu verstärken, die bevorzugt mit SS-Runen antreten, um die abtrünnigen Republiken »heim ins Reich« zu holen – und im US-Senat werden Sanktionen gegen den russischen Präsident und leitende Minister gefordert, falls Russland eine Invasion der Ukraine durchführt.7 Eine solche war und ist von Russland nie geplant, wird aber von westlicher Seite seit Wochen geradezu herbeigeschrieben8 – mittlerweile schon mit der tollen Legende, dass Russland eine False-Flag-Operation der Ukraine zuschieben und als Anlass für einen Einmarsch nehmen könnte.9

Dass Russland keinerlei Interesse an einer Einverleibung der Ukraine oder auch nur der zwei abtrünnigen Republiken hat und seit Jahren ohne Unterlass auf die Minsker Verhandlungen zwischen Kiew und der autonomen Regierung pocht, um das interne ukrainische Problem zu lösen – all das hält die hiesigen Großmedien nicht ab, die Invasionsgelüste Putins zu beschwören. Allen voran NATO- Generalsekretär Jens Stoltenberg, dem es nach den großen Erfolgen seiner Truppe in Libyen, Syrien und Afghanistan wohl nach neuen Budgets und Expansion gelüstet, die ohne einen fiesen Aggressor, den man »in die Schranken weisen muss«, nun mal nicht zu haben sind. Schon warnt die FAZ: »Nach der Ukrai­ne ist Europa dran«10, klar: mit weniger als der Weltmacht ist das Kremlmonster nicht zufrieden.

Das weiß natürlich auch die vom Trampolin ins Außenministerium gehupfte Völkerballexpertin Annalena Baerbock, die bei ihrem Antrittsbesuch in Moskau den transatlantischen »Nicht-Dialog-Dialog«11 wohl fortsetzen wird: »Wir sind entschlossen, zu reagieren, wenn Russland stattdessen den Weg der Eskalation geht.«12 Nun hat sich schon ihr olivgrüner Kollege Robert Habeck im Wahlkampf mit Stahlhelm an der ukrainischen Ostfront fotografieren lassen und scheint gegen das Schlachtfeld, zu dem Europa und Deutschland in einem militärischen Konflikt mit Russland werden, offenbar nichts weiter einzuwenden haben. Da kann nur hoffen, dass mit der Entschlossenheit »zu reagieren« nicht die Bundeswehr gemeint ist, die mit US- und NATO-Truppen gerade von der Barfuß-Armee der Taliban verjagt wurde – und dass auch Kanzler Scholz einen diskreten Back Channel nach Moskau hat und den Ball flach halten kann.

Ganz im Sinne von großen Vorgängern wie Willy Brandt und Egon Bahr, die nach dem Mauerbau auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs für eine Pipeline nach West-Berlin sorgten, von der die Inselstadt mit Benzin und Öl beliefert wurde – über die DDR-Raffinerie in Schwedt direkt aus der Sowjetunion. »Die Amis haben damals getobt, aber wir haben es durchgesetzt, es ging ja nicht anders«, sagte Egon Bahr dazu, als wir einige Monate vor seinem Tod 2015 über »Nord Stream« sprachen.13 Es geht auch heute nicht anders, der Industriestaat Deutschland und Westeuropa sind in Sachen Energie eine Insel wie damals die Mauerstadt – und Flüssiggastanker aus USA derselbe Schwachsinn wie seinerzeit Benzinlaster von Helmstedt nach Berlin. Schwachsinnig wie im Übrigen auch die gesamte »Kauft nicht beim Russen!«-Haltung, die den Rohstoff-Riesen dieses Planeten mit Sanktionen in die Knie zwingen will14: China und ganz Asien werden jeden Kubikmeter russisches Erdgas und Öl auf Jahrzehnte dankbar abnehmen, während der Westen in die leere Nord-Stream-Röhre guckt.

Bei der Frage, warum von deutscher und europäischer Seite so wenig vernünftige Realpolitik betrieben und statt auf Handel und Wandel auf Konfrontation gesetzt wird, stößt man unweigerlich darauf, dass sich das anglo-amerikanische Imperium in seinem Great Game nach wie vor im »Kampf um die Weltinsel« befindet.15 Und seine Raketen – wie weiland die britischen Kanonenboote im Opiumkrieg mit China – vor der Haustür eines jeden aufstellen will, der sich nicht freiwillig unterwirft. Russland hat den »Partnern« nun im Dezember seine Sicherheitsbedenken schriftlich dargelegt und klargemacht, dass es mit dieser Kanonenbootpolitik vorbei ist und NATO-Raketen in der Ukraine und Georgien inakzeptabel sind. Was ist an der Forderung nach militärischer Neutralität dieser beiden Ex-Sowjetstaaten und dem versprochenen Ende der NATO-Expansion so »aggressiv«, dass man darüber nicht einmal reden will?16 Wenn mir das jemand erklären kann, bitte ich auch um eine Erklärung, was an der Nicht-NATO-Mitgliedschaft Österreichs und der Schweiz so gefährlich ist. Schon in unserem Buch Wir sind die Guten (2014/2019) ist dargelegt, warum eine blockfreie Neutralität als Hub zwischen Russland und der EU für die Ukraine eine weitaus bessere Lösung darstellt als der anti-russische Frontstaat, den der Westen jetzt daraus gemacht hat.17 Ein »failed state« in jeder Hinsicht …

Die akute Atomkriegsgefahr wurde vor 60 Jahren beendet, weil Kennedy die russischen Sicherheitsbedenken ernst nahm: Die in der Türkei stationierten US-Raketen wurden ebenso zurückgezogen wie die sowjetischen auf Kuba. Wenn der mit quasi taoistischem Geduldsfaden ausgestattete russische Außenminister Sergej Lawrow jetzt sagt, dass seine Geduld am Ende sei, sind das keine leeren Worte.18 Schon im Syrienkrieg hatten die Russen dem »Empire of Chaos« bei seiner Expansion die rote Linie gezogen, indem sie mit ihrem überlegenen S-400-Abwehrsystem die Luftraumkontrolle übernahmen19. In Kasachstan20 hat Russland gerade mit dem von ihm geführten Militärbündnis OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) bzw. CSTO (Collective Security Treaty Organization) den Versuch eines Putschs21 im Huckepack von lokalen Protesten im Ansatz erstickt22 und mit der Inbetriebnahme der neuen Hyperschall-Raketen, die nicht abgefangen werden (und nuklear bestückt sein) können, ist ein echter »Game Changer« am Start.23 Es braucht jetzt nicht einmal mehr einen Stützpunkt in der Karibik für eine global äußerst brenzlige Situation wie in der Kubakrise: Die Hyperschall-Raketen können jeden Punkt in den USA jederzeit erreichen. Und auch mit dem Stolz der US-Navy, den milliardenschweren Flugzeugträgern, mit denen man vorfahren und wehrlose Länder in Schutt und Asche legen konnte, ist es vorbei – angesichts der Mach 10 schnellen Rakete Kinzhal sind sie als lame ducks künftig nur noch für historische Flottenparaden tauglich. Russland verlangt Verhandlungen über die NATO-Expansion also nicht aus einer Position der Schwäche. Dass die »Blechköpfe« im Pentagon das wissen und entsprechend verhandeln, kann die Einwohnerschaft Mitteleuropas nur wünschen und sollte alles dafür tun, nicht zum Schlachtfeld zu werden und Europa aus dem Schlepptau des sturheil unipolaren US-Imperiums zu lösen. Der planetare Rohstoffriese Russland ist weder eine »Regionalmacht, die einige ihrer Nachbarn bedroht«24 (Barack Obama), noch eine »Tankstelle mit Atomwaffen«25 (John McCain), sondern ein militärischer Hyper-Schall-Bär, der mit der Werkbank der Welt China jetzt auch noch einen ökonomischen Drachen im Rücken hat – und in diesem Verbund den gesamten eurasischen Wirtschaftsraum erschließen wird. Wenn Europa von diesen Märkten des 21. Jahrhunderts nicht abgehängt werden will, ist ein Abrüstungs-, Beistands- und Handelsvertrag von Lissabon bis Wladiwostok überfällig. Das »Kremlmonster« Putin hat das übrigens schon 2007 vorgeschlagen. Höchste Zeit, dass sich die Muppet-Figuren in Berlin und Brüssel daran erinnern …

12. Februar 2022

»Wollen Sie einen Krieg zwischen Russland und der NATO?«26, hatte Präsident Putin seinen französischen Kollegen Macron bei dessen Besuch im Kreml gefragt, was dieser verneinte.27 Genauso wie Kanzler Scholz in Washington die Journalisten-Fragen, ob Deutschland auf »Nord Stream 2« verzichten wolle und sich nicht festnageln ließ, ob dies denn bei einem »russischen Angriff« der Fall wäre. Sich ähnlich unkonkret zu äußern hatte er wohl auch seiner Außenministerin Baerbock bei ihrem Frontbesuch in der Ukraine mitgegeben, verbunden mit der Aufforderung, die auch schon Emmanuel Macron in Kiew hinterlassen hatte: nämlich die Gespräche zum Minsk-Abkommen wieder aufzunehmen und unter französisch-deutscher Moderation die vorgesehenen Autonomie-Verhandlungen mit den abtrünnigen Republiken zu führen. Eine solche Rückführung des Konflikts auf ein internes Problem der Ukraine und entsprechende Friedensverhandlungen sind freilich nicht im Interesse des US-Imperiums und hier zeichnen die Konfliktlinien im geopolitischen Schach deutlich ab – mit Frankreich, Deutschland und Europa auf der einen und den »Fife Eyes« des anglo-amerikanischen Blocks, USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, auf der anderen Seite.

Es ist das alte Mackinder-Spiel, der Kampf der Seemächte und der Landmächte um die »Weltinsel«28: Eurasien, und dabei geht es nur vordergründig um die Ukraine. Es geht um das Zusammenwachsen von Europa und Asien, der größten gemeinsamen Landmasse des Planeten, und den friedlichen Handel und Wandel auf derselben, der verhindert werden muss, wenn die Weltherrschaft des Britischen Empires gesichert bleiben soll. So empfahl es der Stratege Halford Mackinder29 vor 116 Jahren und genau so gehen auch seine Nachfolger Washington und London vor: mit Nadelstichen und inszenierten Spannungen an den Rändern der »Weltinsel«; in Osteuropa und im pazifischen Südosten. Nur so ist zu erklären, warum die absolut sinnvolle und selbstverständliche Energie-Versorgung Deutschlands aus möglichst naheliegenden und preisgünstigen Quellen zu einem Zankapfel sondergleichen werden konnte. Dass Ex-US-Präsident Donald Trump direkte Sanktionen gegen die deutschen und europäischen Betreiber der Nord-Stream-Pipeline androhte, hat sein »moderater« Nachfolger Biden zwar zurückgezogen, stattdessen aber jetzt zusammen mit den britischen Vettern ein derart hysterisches Kriegsgeheul30 über eine drohende Invasion Russlands angestimmt, dass sich selbst die Regierung in Kiew – sonst für jeden anti-russischen Affront zu haben – gezwungen sah, Entwarnung zu geben. Wenn aber selbst die angeblich Bedrohten keine Gefahr sehen, was soll dann der dröhnende Propaganda-Zirkus?

Dass Russland keinerlei Interesse an einer Okkupation der Ukrai­ne hat, ist ebenso klar wie die Tatsache, dass es nicht zuschauen wird, wenn die Donbass-Region oder die Krim militärisch angegriffen werden. Und auch wenn Washington den ukrainischen Milizen dafür grünes Licht geben würde, hätte das wohl keine Invasion zur Folge, sondern nur die Zerstörung von 70, 80 oder 90 Prozent ukrainischer Militäreinrichtungen durch russische Raketen. Kein Panzer müsste dafür rollen, kein Bataillon die Grenze überschreiten. Was soll also dieses Invasions-Geheul? Es geht um Nord Stream, es geht darum, Deutschland und Westeuropa unter Druck zu setzen, es geht um Handel und Wandel, der verhindert werden muss. Schon hat der (ehemals) grüne Wirtschaftsminister Habeck angekündigt, die Infrastruktur für den Import von Fracking-Gas aus den USA zu schaffen31 – ökologisch und ökonomisch der vollkommene Irrsinn, aber Bauernopfer müssen im Mackinder-Gambit eben gebracht werden von den Vasallen.

Dass sich das souveräne Frankreich mit einem solchen Status ungern zufriedengibt, hatte einst schon Charles de Gaulle mit dem Austritt der »Grande Nation« aus der NATO demonstriert, die von Macron bekanntlich als »hirntot« bezeichnet wird32 – insofern ist es sicher nicht schlecht, dass mit Macron ein selbstbewusster Franzose (und kein 100-prozentiger US-Lakai) als aktueller EU-Ratspräsident versucht, das Heft für Friedensverhandlungen wieder in die Hand zu bekommen.33 Wobei Putin mit deutlichen Worten klargemacht hat, was er von der angeblich »friedenstiftenden« NATO hält – dazu solle man doch bitte mal »die Menschen in Libyen, Afghanistan und Syrien befragen« – und dass Russland definitiv keine weiteren Raketen vor seiner Haustür dulden wird. Viel mehr ist von dem insgesamt sechsstündigen Gespräch zwischen Macron und Putin nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, aber dass Macron verstanden hat, zeigen die in Berlin und Paris jetzt angesetzten Gespräche der Minsk-Moderatoren und Berater. Dass man den Wegelagerern der russischen Gasexporte nach Deutschland (Ukraine, Polen und den baltischen »Giftzwergen«) ein bisschen Geld für die wegen Nord Stream entgehenden Transitgebühren in die Hand drückt, ist dabei aber wohl noch das geringste Problem. Im Kern geht es um die seit 1991 gen Osten vorrückenden anglo-amerikanischen Mackinder-Brigaden mit ihren Raketenstützpunkten und die rote Linie, die Russland diesem Vormarsch jetzt gezogen hat – und es geht um eine Entscheidung Europas, weiter an der Seite des US-Imperiums für eine unipolare »Full Spectrum Dominance« zu kämpfen, oder sich auf die Realpolitk einer multipolaren Welt einzustellen, deren Machtzentren außer bei dem Militär-Riesen in Washington bei dem Rohstoff-Riesen in Moskau und dem Wirtschafts-Riesen in Peking liegen. Nicht zufällig wird ausgerechnet in den westlichen Finanzzentren dringend davor gewarnt, die angebliche »Mutter aller Sanktionen« einzusetzen und Russland aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) rauszuwerfen: Moskau wäre davon nur kurz getroffen, weil mit Peking für diesen Fall vorgesorgt und eine Alternative auf die Beine gestellt wurde.

Und das ist nicht der einzige Fehdehandschuh, den die beiden eurasischen Großmächte dem US-Hegemon hingeworfen haben, wie das nach dem Treffen von Xi und Putin am 4. Februar veröffentlichte »Joint Statement« zeigt.34 Die Erklärung ist bereits als »historisches Dokument« bezeichnet worden,35 nicht nur wegen ihrer Ausführlichkeit, sondern wegen der klaren Worte, mit denen Russland und China Seit’ an Seit’ das Ende der einseitig »regelbasierten« US-Hegemonie und des NATO-Interventionismus verkünden und eine »neue Ära der Multipolarität« ausrufen. Dass nebenbei ein 30-jähriges Gas-Geschäft über die sibirischen Pipelines abgeschlossen wurde, dessen Abrechnung in Euro stattfindet, zeigt nicht nur einen Stinkefinger in Richtung US-»Petrodollar«, sondern auch, dass die beiden eurasischen Supermächte verstanden haben, um was es auf dem geopolitischen Schachbrett geht: Europa. Und dort vor allem um Deutschland und Frankreich und die Entscheidung, Russland und China nicht mehr als Feind im transatlantischen Krieg, sondern als Partner in Eurasien zu betrachten. Und an einer neuen Sicherheitsarchitektur samt Friedens- und Handelsverträgen von Lissabon bis Peking zu arbeiten. Und die »hirntote« NATO als transatlantische Schlägertruppe obsolet zu machen.

21. Februar 2022

Ob es der CIA wirklich gelungen ist, in der Nacht zum vergangenen Mittwoch Putins Wecker zu manipulieren, sodass die geplante Invasion der Ukraine ausfallen musste, ist bisher noch nicht bestätigt. Auch mögliche andere Gründe, warum Krieg gemeldet wird und der Russe nicht kommt, sind derzeit unklar. Aber er wird nicht nur kommen, wie Herr Stoltenberg, Generalsekretär der NATO, jetzt verkündete, sondern er plant sogar – so Britanniens Premierminister Boris Johnson – den größten Krieg seit 1945!36 Sein Amtsblatt The Sun37 wusste schon vor einigen Tagen, dass Wladimir Putin nach der Ukraine »im Hitler-Stil« zuerst das Baltikum und dann Europa überfallen wird.38 Und Joe Biden in Washington sagte in einem wachen Moment »the largest invasion since World War II« voraus.39 Nur das Datum, also wann endlich zurückgeschossen werden kann, steht noch nicht fest. Aber wer im Hitler-Stil angreifen wird, hat wohl auch einen Sender Gleiwitz in petto.40 Nachdem Mittwoch der 16. Februar ausgefallen war, wurde der 20 Februar als Termin vorhergesagt, weil Eishockeyfan Putin noch das Finale bei der Winterolympiade abwarten wollte. Dass auch am Sonntag kein Einmarsch erfolgte, könnte dann wohl damit zu tun haben, dass der große Diktator wegen der 2:1-Niederlage gegen Finnland jetzt einem Rachefeldzug gegen die finnischen Nachbarn Priorität einräumt – im Sportteil der Sun werden wir es erfahren. Und wenn nicht dort, dann von den Kreml-Astrologen von The New York Times, Bloomberg, Reuters & Co.

Dass dieser ganze Zirkus nur veranstaltet wird, um Deutschland, Frankreich und Europa vom friedlichen Handel und Wandel mit Russland und China abzuschneiden, hatten wir schon deutlich gemacht.41 / 42 / 43. Die NachDenkSeiten hatten ein Stück aus der letzten »3. Jahrtausend«-Folge dazu transkribiert:

»Mathias Bröckers(…): Da sind wir dann bei dem alten großen ›Great Game‹ wieder, dem Kampf um die Weltinsel und Eurasien, und dem Versuch, in der Tradition von Mackinder und Brzeziński […], zu verhindern, dass Westeuropa und Asien, dass Deutschland und Russland friedlichen Handel und Wandel treiben. Das darf nicht passieren. Das haben die Briten vor 100 Jahren so gesehen: Wenn die sich vertragen da auf dem Kontinent und Geschäfte machen, der Rohstoffriese Russland und der Industrieriese Deutschland, dann haben wir transatlantisch keine Karten. Das sehen die Amerikaner heute ganz genauso und betreiben deshalb diese Politik. Die ganze Aktion […] mit dieser Invasion, die war inszeniert (auch) gegen Deutschland und gegen Nord Stream. Die Amerikaner können nicht den Deutschen verbieten, dass sie aus der nächsten preisgünstigen Gasquelle sich die nächsten Jahrzehnte günstig mit Energie versorgen. Das will man seinem ›Alliierten‹ ja nicht verwehren, und dann inszeniert man jetzt: Oh, der Russe greift an! […] Jetzt hat Russland nicht angegriffen, die Amerikaner haben nun ein neues Datum ›festgelegt‹, und wir sagen hier mal kühn voraus, das wird auch nicht eintreten. […] Die Russen werden ›wortbrüchig‹ werden und hören nicht, was das ›Tiger Team‹, so heißt diese Truppe im Weißen Haus, die seit letzten Oktober an diesem Szenario hier gebastelt hat und diesem neuen ›Aggressionspotenzial‹ der Russen … Die Nato, Herr Stoltenberg hat auch gesagt: Ja, der Rückzug jetzt, das ist noch nicht genug. Man will jetzt auch als Nato und als US-Imperium eigentlich darüber verfügen, wo Russland in seinem eigenen Land seine Soldaten aufstellt. […] Das Ganze, das ist auch ein wichtiger Aspekt, dient nicht nur dazu, sozusagen Deutschland von Nord Stream abzuschneiden und vom Handel mit Russland, sondern dient auch dazu, diesen desolaten, obsoleten Verein Nato, den man eigentlich morgen transformieren oder auflösen müsste und einen europäisch-asiatischen Friedensvertrag hier auf dem Kontinent von Lissabon bis Peking schließen müsste – diese Nato wurde jetzt wieder ›zusammengeschweißt‹ […]. Ihr könnt die Uhr danach stellen – jetzt ist ja klar: Nach dieser ›Aggression‹ Russlands, die von vorn bis hinten erfunden war, müssen wir natürlich weiter aufrüsten […].«44

Prompt tönte es jetzt von der Münchner Sicherheitskonferenz, der Westen sei »vereint wie nie zuvor«45, und da kann einem nach den ruhmreichen NATO-Massakern im Irak, in Libyen, Syrien und Afghanistan eigentlich nur Angst und Bange werden. Fast neigt man da schon der persönlichen militäranalytischen Einschätzung von The Saker zu, der meint, dass es erst Ruhe und eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa geben werde, wenn Russland es der obsoleten NATO-Truppe und ihren US-Herren noch einmal richtig auf die Mütze gibt.46 Für einen solchen Schlag muss es nicht mal einen Schuss abgeben, denn Europa bezieht 52 Prozent seines Erdgases aus Russland und die EU hat 95 Prozent ihrer im Sommer angelegten Reserven bereits aufgebraucht.47 Fun Fact: Die Warmduscher und Laptop-Bomber, die jetzt zur Offensive und Hochrüstung der NATO aufrufen und »harte Sanktionen« fordern, müssen niemand nach Stalingrad marschieren lassen, sondern können zu Haus im Dunkeln frieren.

Unterdessen haben die beiden »Volksrepubliken« mit der Evakuierung von Zivilpersonen begonnen, weil sie ihrerseits einen Angriff der ukrainischen Milizen befürchten, der – unter Berufung auf »Geheimdienstquellen« – für die Nacht zum Montag erwartet wird.48 Ähnlich wie die NATO und ihre Organe den ausgefallenen Angriff Russland schon per Landkarte kommunizierten, sind auch die Volksrepubliken offenbar perfekt informiert.49 Die OSZE Beobachter50 meldeten allein für Freitag 1 600 Verstöße gegen die Waffenstillstandsvereinbarung,51 die freilich laut der stets wahrheitsgetreuen New York Times allein von der Rebellenseite gekommen seien. Dass vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eigentlich sofort friedensichernde Blauhelme in die umkämpfte Region entsendet werden müssten, um weitere Eskalationen zu verhindern, wäre unbedingt nötig, bleibt aber wohl ein frommer Wunsch. Das US-Imperium hat kein Interesse an einer friedlichen Lösung und scheint händeringend darauf zu warten, dass Russland endlich einmarschiert oder anderweitig militärisch aggressiv wird. Doch der in asiatischer Kampfkunst geübte Judoka Putin52 tut ihnen diesen Gefallen nicht, sondern lässt die Donbass-Region evakuieren und in Grenznähe Lager für die Evakuierten errichten. Worauf sich die hiesigen Kriegstreiber auch schon mal einstellen und für die Millionen Ukraine-Flüchtlinge vorsorgen sollten, falls sich ihr Wunsch erfüllen und Russland tatsächlich in einen offenen Krieg eintreten würde. Um die ukrainische Armee samt ihren Neonazi-Bataillonen in drei Tagen zu erledigen, müsste der russische Bär nicht viel mehr als den kleinen Finger rühren, aber das wird der Bär so schnell nicht tun, denn er will Frieden vor der Haustür seiner Höhle.53 »Sleepy« Joe Biden mit seiner frisch von einer Barfuß-Armee aus Afghanistan verjagten NATOstan-Truppe bleibt also derzeit nicht mehr, als ihn weiter zu reizen. Und ihn mit Dreck zu bewerfen. Allerdings hat die Duma, das russische Parlament, gerade mit 78 Prozent der Stimmen eine Resolution angenommen, die die Anerkennung der »Volksrepubliken« als unabhängige Staaten fordert und dem Präsidenten bleiben offiziell 30 Tage Zeit, sie mit seiner Unterschrift in Kraft treten zu lassen.54 Damit wären die von US-Seite und den Marionetten in Kiew seit sieben Jahre blockierten Minsk-Verhandlungen endgültig vom Tisch, zur großen Freude von US-Staatssekretärin Victoria »Fuck the EU« Nuland.55