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Reinhard Marx

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Beschreibung

Freiheit bedeutet Mut zur Veränderung

Der Begriff »Freiheit« ist für viele Menschen nicht mit Religion vereinbar. Doch für Kardinal Marx gehört »Freiheit« zu den Kernbotschaften des Christentums. Wer frei ist, kann sich einbringen, wer frei ist, kann handeln, wer frei ist, kann sich binden und lieben, wer frei ist, kann sich frei entscheiden. Mit seinem sehr persönlichen Buch möchte Kardinal Marx Mut machen, sich frei, ohne Angst und im Vertrauen auf die christlichen Werte einzumischen und die Veränderungen in unserer Gesellschaft mitzugestalten.

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Für Kardinal Marx gehört Freiheit zu den Kernbotschaften des Christentums. Wer frei ist, kann handeln, wer frei ist, kann sich binden und lieben, wer frei ist, kann sich frei entscheiden. Mit seinem Buch möchte Kardinal Marx Mut machen, sich frei, ohne Angst und im Vertrauen auf die christlichen Werte einzumischen und die Veränderungen in unserer Gesellschaft mitzugestalten.

Kardinal Reinhard Marx, geboren 1953, ist seit 2008 Erzbischof von München und Freising. Von Papst Franziskus wurde er in das Gremium der 9 Kardinäle berufen, das über die Reform der Kurie berät. Er ist Koordinator des Vatikanischen Wirtschaftsrates und war bis 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Reinhard Marx

Freiheit

Kösel

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Copyright © 2020 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Weiss Werkstatt München

Umschlagmotiv: © KNA/Harald Oppitz, Bild Nr.170213–93-000125

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-25844-3V002

www.koesel.de

Inhalt

Ich bin so frei!

Gott ist frei

Der Freiheit auf den Grund gehen

Die Anstrengung der Freiheit

Freiheit trägt Verantwortung

Kirche im Dienst der Freiheit

Bruchstellen der Gegenwart

Freiheit – ein bleibender Auftrag

Mein Ja zur Freiheit!

Zum Schluss

Dank

Anhang

Anmerkungen

Verwendete Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Ich bin so frei!

Können wir eigentlich mit dem Begriff »Freiheit« wirklich etwas anfangen? Allzu oft verbinden wir dieses Wort mit Träumen von einem freien Leben, wie es uns etwa in der Werbung vorgegaukelt wird. Freiheit wird oft mit Freizeit identifiziert. Viele wünschen sich verständlicherweise, dem Zwang des Alltags entfliehen zu können in ein (arbeits-)freies Wochenende, das aber allzu oft auch in Stress und in selbstgesetzten Grenzen abläuft. Der Begriff »Freiheit« fasziniert und lädt ein, Grenzen zu überschreiten, all das zu tun, was ich mir immer schon gewünscht habe. Und da wird diese Suche nach der Freiheit zuweilen »ersetzt« durch Unterhaltung und Zeitvertreib. Ein Beispiel dafür ist das Internet, das World Wide Web mit seinen unendlichen Weiten; also im Grunde ein Freiheitsraum ohne Grenzen, der aber dennoch nicht unbedingt und von alleine zu einem selbstbestimmten freien Leben führt, sondern auch wiederum Zwänge und Engführungen mit sich bringt. Man kann – ohne allzu pessimistisch sein zu wollen – sogar Zeit und sich selbst darin verlieren.

Mit diesen und anderen Assoziationen wird das große Wort »Freiheit«, eines der zentralen Worte des menschlichen Lebens, leicht unter Wert gehandelt. Das birgt die Gefahr, Freiheit klein zu denken und vielleicht sogar Freiheit zu verlieren. Doch Freiheit ist viel mehr! Darum lohnt es sich, nachzudenken und den Horizont zu weiten, um der Freiheit näher zu kommen.

Grenzen sind nicht das Ende der Freiheit

Ja, Freiheit gehört zum zentralen Vokabular der Neuzeit und der modernen Welt. Und es gehört auch zur biblischen Tradition und zum Selbstverständnis des christlichen Glaubens. »Zur Freiheit hat uns Christus befreit«, sagt der Apostel Paulus (Gal 5,1). Wenn man einem Christen begegnet, sollte man den Eindruck haben: Sieh an, ein freier Mensch!

Als Heranwachsender habe ich mich wie viele andere in diesem Alter an Grenzen gestoßen. Vor allem daran, die Grenzen der eigenen Möglichkeiten – etwa bestimmte Ziele in der Schule oder in der Jugendarbeit – nicht überschreiten zu können. Ich war auch unzufrieden damit, meine sportlichen oder auch musikalischen Fähigkeiten doch als sehr begrenzt zu erleben. Daneben trat mir immer stärker die Sprache der Freiheit vor Augen, die ich in den Texten der Bibel fand. Aber auch in den Debatten des Alltags. Irgendwie ließ mich diese Spannung nicht los, innerlich einen Raum großer Möglichkeiten entfalten zu wollen und zugleich die äußeren Grenzen zu erfahren, die das unmöglich machten.

Was in Gesellschaften geschieht, ist in analoger Weise ja auch ein Prozess der eigenen Selbstfindung. Und es braucht eben Entwicklung und Nachdenken und Reifung, um zu begreifen, dass Grenzen nicht das Ende der Freiheit sind und dass Freiheit tiefer zu verstehen ist. Aber erst zu Anfang meiner Schulzeit und dann besonders während des Studiums der Philosophie und der Theologie ist mir immer stärker bewusst geworden, dass das neuzeitliche Freiheitspathos und der christliche Freiheitsbegriff auch in Spannung zu sehen sind. Und doch schien mir ebenso eine Korrelation zu bestehen, eine Bezogenheit aufeinander. Beides hat eng miteinander zu tun und hat sich dennoch auseinanderentwickelt. Im Lauf der Jahre stellte sich mir immer mehr die Frage, ob nicht dieses Spannungsverhältnis, ja dieses Auseinanderfallen der christlichen Idee von Freiheit und der modernen Vorstellung von Befreiung zu manchen negativen Entwicklungen in Gesellschaft und Kirche geführt haben und weiterführen können. Die Frage hat mich nicht losgelassen, und deshalb bin ich in meiner Dissertation ganz grundsätzlich dem Wechselverhältnis von Kirche und Gesellschaft nachgegangen und habe deutlich gesehen, dass die Veränderungen der Gesellschaft auch Fortschritte mit sich bringen, die von der Kirche rezipiert werden können und müssen. Diese Auseinandersetzungen und gegenseitigen Beeinflussungen finden natürlich auf verschiedenen Ebenen statt in Entwicklungsprozessen, die Zeit brauchen. Dabei ist das Konzept der Freiheit ein wichtiger Kristallisationspunkt für die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, aber auch für das Leben, den Glauben und die Gestalt der Kirche.

Am Wendepunkt der Freiheitsgeschichte

Die Geschichte der Kirche zeigt allerdings, dass sie keineswegs immer auf der Seite der Freiheit gestanden hat; ebenso wie sich auch die Freiheitsbewegung erst im Laufe der Jahrhunderte herauskristallisieren musste. Aber immer wieder gab es – gerade auch in der europäischen Geschichte – Freiheitsimpulse mit christlichen Wurzeln, die sich je durch verschiedene Bewegungen, Gruppen, politische Ideen auf das Evangelium, auf die Heilige Schrift, auf die Gestalt Jesu berufen haben. Aber war für die Christen das Wort und der Begriff »Freiheit« grundsätzlich ein positiver, ermutigender Horizont, auf den man sich einlassen sollte?

Bis in meine Kindheit und Jugendzeit hinein (und zeitweilig auch noch bis heute) erscheint in Predigten und Hirtenworten von kirchlichen Amtsträgern die Freiheit als etwas Gefährliches und Suspektes. In der Kirche selbst und in kirchennahen Milieus kam leicht der Gedanke ins Wort und ins Bewusstsein, es handle sich bloß um Beliebigkeit, Ungebundenheit, Autonomiestreben des Menschen, der sich gegen Gott stellt. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil kam eine neue Diskussionsbereitschaft auf. Aber die letzten Jahrzehnte und auch aktuelle Auseinandersetzungen zeigen an, dass bei vielen in der Kirche eine Skepsis gegenüber der Freiheit geblieben ist, ja sogar eine Furcht vor der Freiheit, weil sie ja den Menschen einlädt, seine von Gott gegebenen Grenzen zu überschreiten, so wie ich – und andere auch – es als Heranwachsende gesehen haben.

Manche spitzen die Diskussionen sogar auf die Frage zu, ob die Freiheit über der Wahrheit oder die Wahrheit über der Freiheit steht. Meines Erachtens führt eine solche Zuspitzung jedoch nicht wirklich weiter und klärt auch nicht auf. Eine solche Debatte geht zu stark von einem eher negativen, skeptischen, ja pessimistischen Menschenbild aus, und damit von einem negativ geprägten Freiheitsbegriff.

Als ich 1996 Weihbischof in Paderborn wurde, habe ich mir einen Wahlspruch gesucht, der mich durch meinen Dienst als Bischof begleiten soll und mich auch persönlich charakterisiert. Mir kam sofort ein Wort aus dem Zweiten Korintherbrief in den Sinn: »Wo aber der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit« (2 Kor 3,17). War das Thema schon vorher wichtig für mich, so ist es seitdem einfach ein Teil meines Denkens und Wirkens geworden: Ich bin so frei! Und ich möchte ein freier Mensch sein.

Seitdem habe ich den Wunsch, der Frage nach der Freiheit in der Auseinandersetzung zwischen theologischen und gesellschaftlichen, politischen und philosophischen Fragestellungen intensiver nachzugehen. Kann der »Bruch« zwischen christlichem Freiheitsverständnis und moderner Freiheitsidee geheilt werden? Oder wenigstens zu einem produktiven Spannungsverhältnis weiterentwickelt werden und so vielleicht sogar zu einem »Auf-Bruch« werden?

Wir stehen in unseren Tagen vielleicht an einem Wendepunkt der Freiheitsgeschichte. Es scheint mir nicht entschieden zu sein, ob wir eine Kultur der Freiheit bewahren und weiter entwickeln im Blick auf alle Menschen oder ob wir einen Weg einschlagen, der in autoritäre, vielleicht sogar totalitäre Modelle zurückführt, die die Freiheit ideologisch unterhöhlen. Es gibt eine Furcht vor der Freiheit, die auch die Versuchung birgt, sich der notwendigen Mühe, die das Projekt der Freiheit und einer freien Gesellschaft erfordert, zu entziehen. Manche sprechen von einer weltweiten Krise der Idee des Liberalismus, wie etwa Jan-Werner Müller in seinem Essay »Furcht und Freiheit«.1

Ich bin überzeugt: Für Kirche und Gesellschaft entscheidet sich an dieser Frage vieles. Es geht dabei nicht um die Zukunftsfähigkeit der Kirche im Sinne einer Anpassung des Glaubens an den Zeitgeist. Davon halte ich selbst nichts, doch das sind ja auch nur schemenhafte Schattenkämpfe. Gleichwohl geht es nicht an, die Freiheitsgeschichte der modernen Welt als Irrweg zu verdammen oder gar als Bedrohung des Glaubens und der Kirche zu sehen.

Es geht darum, die Sprache des Glaubens und die Worte der Theologie im Kontext der Freiheit neu auszusagen, ohne dass die Substanz und was an Bedeutungsgeschichte seit 2000 Jahren in diesen Worten und im Glauben niedergelegt wurde, eingebüßt werden. Gerade im Blick auf die Freiheit geht es mir um eine Vertiefung des Glaubens, um eine Intensivierung unseres Denkens darüber, was christliche Existenz ausmacht und um ein neues Staunen über Gott, das absolute Geheimnis.

Eines sage ich gleich vorweg: Die Kirche selbst muss Inspiration sein für eine verantwortliche Freiheit – für eine Freiheit, die den Menschen öffnet, sogar über das Irdische hinaus. Das kann aber nur gelingen, wenn die Freiheitsbewegungen in der Menschheitsgeschichte selbst auch zur Inspiration für die Kirche und den Glauben werden, wenn wir also – theologisch gesprochen – das Wirken des Geistes auch außerhalb des sichtbaren Gefüges der Kirche wahrnehmen und anerkennen. Das erfordert Mut! Es erfordert Glaubenszuversicht und intellektuelle Anstrengung, vor allem jedoch die grundlegende Bereitschaft zum echten Dialog und zum Lernen.

Warum erfordert es Mut? Warum fordert es die Kirche heraus? Weil Dialog und Lernen und eine Offenheit für den Geist, den wir nicht beherrschen und dirigieren können, bedeuten, sich verändern zu wollen, nicht bei dem zu bleiben, was immer war, sondern sich für die Möglichkeiten Gottes zu öffnen und auch das eigene Reden und Handeln immer wieder in Frage zu stellen.

Beim Thema Freiheit kommt auf verschiedenen Ebenen – individuell und gesellschaftlich – ganz vieles ins Spiel: das Verständnis vom Menschen, die Idee von Gott, die Frage des guten Lebens, das Verhältnis von Freiheit und Wahrheit, die Zukunftsfähigkeit einer offenen und freien Gesellschaft, denn immer stärker wird deutlich, dass auch eine freie Gesellschaft die Gottesidee nicht einfach zu den Akten legen kann und sollte. Ob die Freiheit des Menschen – und zwar universal – wirklich bewahrt, gefördert, entwickelt und geschützt werden kann, ohne dass es auch den Raum und die Stimme gibt für den Glauben an Gott, den Schöpfer und Vater aller Menschen? Diese Gedanken formulieren auf ihre eigene Weise auch gerade Nichttheologen. Ich weise nur hin auf Charles Taylor und sein großes Werk »Ein säkulares Zeitalter« (2009) und auf Jürgen Habermas, der sich mit den Fragen in vielen Texten der letzten Jahre beschäftigt hat und auch aktuell im umfangreichen Werk »Auch eine Geschichte der Philosophie« (2019).

Freiheit ist der Kern des Menschen

Je länger ich nachdenke über Freiheit, umso weiter und vielschichtiger entfaltet sich das Thema. Was ich deshalb mit diesem Buch vorlege, ist ein Versuch: ein Essay, der von persönlichen Überlegungen ausgeht, in dem ich meine Positionen noch einmal auf den Prüfstand stellen will, der zugleich aber auch in der tiefen Sorge gründet, dass wir einen ernsthaften Dialog über die Freiheit führen müssen, um der Zukunft unseres Gemeinwesens willen, aber auch um der Zukunft des Glaubens und der Kirche willen. Vor allem aber ist die Freiheit lebensnotwendig für den Menschen, und jede Anstrengung für die Freiheit ist sinnvoll und entspricht dem Auftrag des Evangeliums. Die Freiheit ist sozusagen der innere Kern des Menschseins, der Gottebenbildlichkeit des Menschen, und steht auch im Mittelpunkt, wenn es darum geht, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch zu klären.

In diesem Zusammenhang will ich an den Jesuiten-Pater Alfred Delp erinnern, der am 2.Februar 1945 im Alter von 37 Jahren in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee gehängt wurde und dessen Leiche anschließend verbrannt wurde. Seine Asche wurde in alle Winde verstreut. Die Nationalsozialisten haben diesen jungen Mann nicht nur getötet, sie wollten sicher sein, dass sich niemand mehr an ihn erinnert. Kein Grab, keine Erinnerungsstätte! Aber dieser boshafte Plan ist nicht aufgegangen: Pater Delp ist nie vergessen worden, und wir werden ihn nie vergessen! Bis heute sind viele Menschen beeindruckt von seiner Klarheit, seiner geistigen Tiefe und auch seinem Mut, mit dem er in Reden und Predigten, in Texten und Gesprächen immer wieder deutlich gesagt hat, dass die Ideologie des Nationalsozialismus dem christlichen Glauben fundamental entgegensteht.

Als nach dem Krieg Geborener kann ich aus meiner heutigen Warte wohl kaum ermessen, welche Kraft und welches Gottvertrauen eine solche Haltung in dieser Zeit bedeutete. Alfred Delp war nicht nur als Mensch gefestigt, verwurzelt, sondern wirklich von einem tiefen Glauben und Vertrauen in Gott getragen. Ein besonders starkes Zeugnis davon gibt ein Text, den Delp am 6.Januar 1945 im Gefängnis mit gefesselten Händen geschrieben hat. Darin heißt es:

»Der Mensch muss frei sein. Als Sklave, in Kette und Fessel, in Kerker und Haft verkümmert er. Über die äußere Freiheit hat sich der Mensch viele Gedanken und Sorgen gemacht. […] Das Schlimme ist, dass der Mensch sich an die Unfreiheit gewöhnt und selbst die ödeste und tödlichste Sklaverei sich als Freiheit aufreden lässt.

In diesen Wochen der Gebundenheit habe ich dies erkannt, dass die Menschen immer dann verloren sind und dem Gesetz ihrer Umwelt, ihrer Verhältnisse, ihrer Vergewaltigungen verfallen, wenn sie nicht einer großen inneren Weite und Freiheit fähig sind. Wer nicht in einer Atmosphäre der Freiheit zu Hause ist, die unantastbar und unberührbar bleibt, allen äußeren Mächten und Zuständen zum Trotz, der ist verloren. Der ist aber auch kein wirklicher Mensch, sondern Objekt, Nummer, Statist, Karteikarte.

Dieser Freiheit wird der Mensch nur teilhaft, wenn er seine eigenen Grenzen überschreitet. […] Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Stunde der Begegnung mit Gott.«2

Diese Worte sind stark und unmittelbar überzeugend. Sie klingen nach einer fast übermenschlichen Kraft und einem Vertrauen in das Leben und in den Ruf Gottes, gerade in dunkelster Stunde. Mich ermutigen diese Worte, immer wieder der Freiheit wirklich zu trauen. Denn die Freiheit ist es ja gerade, die den Menschen zum Ebenbild Gottes macht. Diese Freiheit anzunehmen, die die eigenen Grenzen überschreitet und das eigene Leben in verantwortlicher Freiheit gestaltet, und eine solche Freiheit in gleichem Maße für alle anderen Menschen zu wollen und auch dafür mit klarer Stimme einzutreten, das ist die größte Gabe und Aufgabe unseres Lebens.

Deshalb dieses Buch: Ich will damit zu der wirklich notwendigen komplexen und auch komplizierten Debatte über Freiheit mit anregen und zum kritischen Weiterdenken aufrufen. Bitte seien Sie so frei und lassen Sie Ihrem Denken einen großen »Frei-Raum«.

Gott ist frei

Ab wann können wir in der langen Evolutionsgeschichte der Erde und der Menschheit vom Menschen sprechen? Darüber wird auch in vielen wissenschaftlichen Projekten geforscht. Was wir für gewöhnlich »homo sapiens« nennen, hat doch wesentlich mit dem Gedanken der Freiheit zu tun. Das eigene Leben zu führen, Entscheidungen zu treffen, sich zu sich selbst zu verhalten, Verantwortung zu übernehmen, in die Zukunft zu schauen, verschiedene Möglichkeiten abzuwägen – all das sind Grundelemente der Freiheit. Menschsein und Freisein gehören also in gewisser Weise zusammen.

Freiheit verbinden wir schlechthin mit dem Menschsein. Andere Lebewesen können wir uns kaum oder auch gar nicht als frei und verantwortlich vorstellen. Natürlich gibt es auch hier neuere Erkenntnisse, etwa in der Gehirnforschung, in der Anthropologie; es gibt scheinbar Vorstufen auch im Tierreich, die auf Freiheit und Verantwortung, auf Solidarität und Kooperation hinweisen. Aber ich denke, es bleibt dabei, dass wir an einer grundsätzlichen Verschiedenheit vom Menschen im Vergleich zu anderen Lebewesen festhalten können. Gleichwohl lenkt die Forschung in diesen verschiedenen Disziplinen, aber auch die ganz aktuelle Diskussion um die umfassende ökologische Ausrichtung unseres Lebens, unseren Blick wieder stärker auf die uralte Erkenntnis, wie sehr die Existenz der Menschen mit der gesamten Schöpfung verbunden ist. Es wird klar, dass wir das Menschsein in einem größeren Zusammenhang sehen müssen. Das gilt nicht nur im Sinne einer Verantwortung des Menschen für die Schöpfung. Sondern es ist ganz grundlegend die Erkenntnis gewachsen, dass die Menschen selbst Teil dieser Schöpfung sind, innerlich verwoben und verbunden mit der Natur, mit den Geschöpfen, mit allem, was lebt, wie es Papst Franziskus in seiner Enzyklika »Laudato si’« (LS) unterstreicht:

»Es ist nicht überflüssig zu betonen, dass alles miteinander verbunden ist. Die Zeit und der Raum sind nicht voneinander unabhängig, und nicht einmal die Atome und die Elementarteilchen können als voneinander getrennt betrachtet werden. Wie die verschiedenen physikalischen, chemischen und biologischen Bestandteile des Planeten untereinander in Beziehung stehen, so bilden auch die Arten der Lebewesen ein Netz, das wir nie endgültig erkennen und verstehen.« (LS 138)

Deshalb kann aus der biblischen Schöpfungserzählung für den Menschen, auch wenn er eine besondere Stellung in der Schöpfung einnimmt, gleichwohl keine Berechtigung zur absoluten und willkürlichen Herrschaft über die Schöpfung gefolgert werden. Denn, so noch einmal Papst Franziskus, die Wirklichkeit ist nicht in einen »bloßen Gebrauchsgegenstand und ein Objekt der Herrschaft zu verwandeln.« (LS 11)

Die Gefahr der Hybris

Gelegentlich wird schon darauf verwiesen, dass das Anthropozän zu Ende sei und wir uns von diesem auf den Menschen konzentrierten Blick lösen müssten. Aber muss die »Sonderstellung« des Menschen zwangsläufig zu den oft beklagten neuzeitlichen Verwerfungen führen, die aus der Sendung, aus dem Auftrag des Menschen, die Welt zu gestalten, ein Unterwerfungs- und Ausbeutungsnarrativ gemacht haben? Der überzogene Freiheitsgedanke im Blick auf den Menschen, der eine unbeschränkte Autonomie ermöglicht und ihm die ganze Schöpfung als »Objekt der Beherrschung« zuordnet, hat zu Recht Kritik und Widerstand hervorgerufen.

Diese Kritik prägt auch die Umwelt- und Klimaschutzbewegung bis heute und war schon in den politischen Anfängen der 70er-Jahre präsent. Ich will nur an ein Buch erinnern, das seinerzeit für Schlagzeilen sorgte und rasch so etwas wie ein Klassiker der Umweltliteratur wurde: Herbert Gruhl hat 1975 unter dem Titel »Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik« einen Bestseller verfasst, der unter anderem die frühen Analysen des »Club of Rome« aufgriff. In meiner Zeit als Direktor des Sozialinstituts »Kommende« in Dortmund habe ich Herbert Gruhl zu Veranstaltungen eingeladen und die Diskussionen mit ihm in lebendiger Erinnerung. Auch Papst Franziskus fragt in »Laudato si’« nach der Krise und den Auswirkungen des modernen Anthropozentrismus und greift dabei auf den Religionsphilosophen und Theologen Romano Guardini (1885–1968) und sein Werk »Das Ende der Neuzeit« (1950) zurück:

»Der moderne Anthropozentrismus hat schließlich paradoxerweise die technische Vernunft über die Wirklichkeit gestellt, denn ›dieser Mensch empfindet die Natur weder als gültige Norm noch als lebendige Bergung. Er sieht sie voraussetzungslos, sachlich, als Raum und Stoff für ein Werk, in das alles hineingeworfen wird, gleichgültig, was damit geschieht.‹ [Guardini, Das Ende der Neuzeit]« (LS 115).

Auf diese Weise wird der Wert, den die Welt in sich selbst hat, gemindert. Wenn aber der Mensch seinen wahren Platz nicht wiederentdeckt, missversteht er sich selbst und widerspricht am Ende seiner eigenen Wirklichkeit.

»›Nicht allein die Erde ist von Gott dem Menschen gegeben worden, dass er von ihr unter Beachtung der ursprünglichen Zielsetzung des Gutes, das ihm geschenkt wurde, Gebrauch machen soll. Sondern der Mensch ist sich selbst von Gott geschenkt worden; darum muss er die natürliche und moralische Struktur, mit der er ausgestattet wurde, respektieren.‹ [Centesimus annus]« (LS 115).

Auch von daher rührt der Gedanke, dass der Freiheit Grenzen gesetzt werden müssen, damit sie nicht zur Beliebigkeit und zur Hybris führt. Von Anfang an wird der Begriff der Freiheit begleitet von der Vorstellung, Freiheit ordnen und begrenzen zu müssen. Mir scheint, dass die Idee des freien Menschen heute vor allem von zwei Seiten unter Druck gerät: zum einen aus anthropologischen Ansätzen, die wissenschaftlich erweisen wollen, dass der Mensch im Grunde nur ein »intelligentes Tier« sei und das Pathos der Freiheit eine Illusion. Die andere kritische Bewegung kommt eher aus dem Bereich der Sozialwissenschaften und der Pädagogik und betont, wie sehr der Mensch doch Produkt seiner Umgebung, seiner Erziehung oder auch der Klassenverhältnisse sei, wenn man den marxistischen Ansatz hier erinnern will. Und dann fragt die Hirnforschung, wie das alles in diesem Zentralorgan des Menschen verarbeitet und in Handlungsperspektiven und Wahlmöglichkeiten umgesetzt wird.

Diese Diskussion spiegelt sich auch wider in der altbekannten Frage, wieviel in uns genetisch vorbestimmt und wieviel durch Erziehung oder dann auch durch eigene Entscheidung, die wirklich frei ist, gestaltet werden kann. Ein Ende dieser Debatten ist, soweit ich sehe, nicht absehbar.

Aber der Begriff »Freiheit« ist nun einmal in der Welt und keine leere Worthülse, wie unser täglicher Umgang mit der Freiheit zeigt. Trotz aller Anfragen, die sich aus verschiedenen Denkrichtungen ergeben, scheint eine Grundbedeutung von Freiheit unmittelbar einleuchtend zu sein: Ein wirklich gutes Leben, ein Leben, das unserer Idee von Glück und Gelingen entspricht, ist ohne Freiheit nicht vorstellbar. Wir empfinden zu Recht eine Störung, eine Beeinträchtigung unserer Lebensentfaltung, wenn andere über uns bestimmen, wenn wir gezwungen werden, Dinge zu tun, die wir nicht tun wollen, wenn wir erfahren, dass wir etwas tun möchten, das uns versperrt bleibt, wo Weg und Tür verschlossen sind. Und wir spüren unmittelbar, dass unsere Freiheitsbestrebungen von zwei Richtungen geprägt sind: einmal von dem Wunsch, von Ängsten, von Belastungen, von Störungen befreit zu werden – also die »Freiheit von«. Zum anderen von der positiven Aussicht, etwas tun zu wollen, etwas erreichen zu wollen, sich einzubringen, zu gestalten – eben die »Freiheit zu«.

Teilhabe an der Freiheit Gottes

Die Idee der Freiheit rührt in der Theologie an den Kern der Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit des Menschen, wie es im ersten Buch der Bibel, in der Genesis, dargestellt wird. Ganz am Anfang stehen dort eigentlich zwei Schöpfungsberichte, die sprachlich ineinander verwoben sind und die durch die Bibelwissenschaft aufgeschlüsselt werden können.

Der sogenannte erste Schöpfungsbericht (Gen 1) erzählt die Erschaffung der Welt und des Menschen in einem großen Hymnus, einem Lied in sieben Strophen, jeweils eine Strophe für jeden Tag der Schöpfung. Dieser erste Schöpfungsbericht ist später verfasst als der sogenannte zweite Schöpfungsbericht (Gen 2–3), in dem es in erzählerischer Weise um die Erschaffung des Menschen, das Paradies und den Sündenfall geht. Der erste Schöpfungsbericht verbindet die Erschaffung des Menschen mit einer zweifachen Aussage: einerseits wird auf die Gottebenbildlichkeit hingewiesen, andererseits auf den Auftrag, die Welt zu beherrschen. Ein ganz zentraler Begriff der menschlichen Vorstellung von Gott ist der Gedanke der Freiheit, der in der Schöpfung gründet, denn: Gott hat in völliger Freiheit und Souveränität die Welt und den Menschen erschaffen. Es gibt keinen Zwang, keine unerbittliche Notwendigkeit zur Schöpfung. Sondern: Gott ist frei! Und der Schöpfungsbericht greift den Gedanken auf, dass der Mensch teilhaben kann an dieser Freiheit Gottes, zu schaffen, aufzubauen, zu sorgen und zu leiten, zu behüten und zu gestalten.

Der Kern der Gottebenbildlichkeit des Menschen und damit der Würde des Menschen ist die Freiheit. Der zweite Schöpfungsbericht ergänzt ganz zu Recht die enge Verbundenheit des Menschen mit der ganzen Schöpfung: Der Mensch gibt den Tieren Namen, ernährt sich vegetarisch und wohnt in einem Garten, der durch Arbeit gestaltet werden kann; und der Mensch selbst kommt aus dem Erdreich, aus der Schöpfung, wenn auch der Geist des Lebens in ihn eingehaucht wird.