Frischer Wind für Walnut Hill - Kim Vogel Sawyer - E-Book

Frischer Wind für Walnut Hill E-Book

Kim Vogel Sawyer

4,8

Beschreibung

Walnut Hill - ein beschauliches Städtchen in Nebraska. Ein Städtchen, dessen Bewohner Weizen anbauen und glücklich sind, wenn alles so bleibt, wie es ist. Allerdings nur, bis die junge Lehrerin Hannah Robin dort ihre erste Stelle annimmt. Für sie ist es ihr Traumjob: eine Schule, eine Klasse, in der sie ihre progressiven Ideen umsetzen kann. Für Walnut Hill ist das eine neue Erfahrung und Grund für Empörung. Doch Hannah lässt sich durch die Proteste nicht beirren. Und dann ist da noch der attraktive Farmer Joel, der die neue Lehrerin unwiderstehlich findet ...

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ISBN 978-3-7751-7135-9 (E-Book)ISBN 978-3-7751-5358-4 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:Satz & Medien Wieser, Stolberg

© der deutschen Ausgabe 2012SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]

Originally published in English under the title: Courting Miss Amsel© der Originalausgabe 2011 by Kim Vogel SawyerPublished by Bethany House, a division of Baker Publishing Group, Grand Rapids, Michigan, 49516, U.S.A.Cover design by Brand NavigationCover photography by Steve Gardner, PixelWords Studio, Inc.All rights reserved.

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Übersetzung: Ulrike Chuchra, M.A.Umschlaggestaltung: OHA Werbeagentur GmbH, Grabs, Schweiz; www.oha-werbeagentur.chSatz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Meinem Bruder Brad gewidmet.Er ist eine Inspiration für seine Schüler (und für mich).

Wenn ich zu dir bete, erhörst du mich;du machst mir Mut und gibst mir Kraft.Psalm 138,3

Inhalt

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Epilog

Danksagung

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[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1

Walnut Hill, NebraskaSeptember 1882

So habe ich mir das nicht vorgestellt.

Mit geschwungener Schrift war ihr Name – Miss Robin – auf der schwarz gestrichenen Tafel hinter ihr zu lesen, als Hannah auf der erhöhten hölzernen Plattform stand und in den ernsten Gesichtern nach einem Funken Begeisterung suchte. Reihe um Reihe zeigten die Lippen keine Andeutung eines Lächelns und die Blicke waren misstrauisch. Ihr Magen flatterte.

Sie drückte die Hände auf den glatten Stoff ihres Taftrocks und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Jemand musste den Anfang machen. »Also …« Ihr trockener Mund ließ das Wort wie ein Knurren klingen, und in der ersten Reihe zuckte ein kleines, bezopftes Mädchen zusammen. Hannah räusperte sich. »Also, jetzt, wo ihr meinen Namen kennt, würde ich gern eure erfahren. Nehmt alle eure Tafeln und die Kreide« – in sofortigem Gehorsam wurden die Schiefertafeln mit schabendem Geräusch über die abgenutzten Bänke geschoben – »und schreibt euren Namen in Schönschrift darauf. Dann haltet die Tafeln hoch, damit ich sie sehen kann.«

Die Köpfe beugten sich über die Tische. Leiste kratzte die Kreide über den Schiefer. Ein angenehmer Geruch wehte durch die offenen Fenster des Schulraums, und Hannah füllte ihre Lungen mit einem zufriedenen Atemzug. Wie wunderbar, ihre Schüler folgten ihren Anweisungen. Wie viele Jahre hatte sie auf diesen Moment gewartet? Mindestens ein Dutzend. Ihr Vater hatte gemeint, es würde nie dazu kommen, und manchmal hatte sie ihm geglaubt. Doch jetzt war es so weit. Sie stand vor ihrer eigenen Klasse.

Manche Träume erfüllen sich doch, Papa.

Mit einem Blinzeln vertrieb sie ihre Glückstränen, als ein weiteres Geräusch verriet, dass die Tafeln gehoben wurden. Frisch geschrubbte Finger hielten sie dicht unters Kinn. Sie öffnete das Klassenbuch, das auf ihrem Schreibtisch lag, und hakte die Namen ab, die mit denen auf den Tafeln übereinstimmten. Martha Sterbinz, Jane Heidrich, Andrew Bride, Henry Libolt, Louisa Bride …

Manche Namen waren leserlich geschrieben, andere waren ein bisschen schwierig zu entziffern. Unabhängig davon bedankte sich Hannah bei jedem Kind mit einem anerkennenden Lächeln, doch kein einziges lächelte zurück. Sie hatte sich danach gesehnt, in einer kleinen Schule auf dem Land zu unterrichten, wo ältere und jüngere Kinder wie in einer großen Familie zusammenkamen. Als Lehrerin für die ländliche Gemeinde in Walnut Hill in Nebraska angenommen zu werden bedeutete für sie die Erfüllung ihres größten Traums. In keiner ihrer Fantasien waren jedoch wortkarge Kinder vorgekommen.

Auf der rechten Seite des Raums teilten sich zwei sommersprossige Jungen eine Bank und eine Tafel. Ein Lächeln schlich sich auf Hannahs Lippen, als sie ihre Namen las – Johnny und Robert –, die übereinandergeschrieben und mit Pfeilen versehen waren, um zu verdeutlichen, welcher Name zu welchem Jungen gehörte. Sie legte ihren Stift auf das Klassenbuch und ging zum Tisch der Jungen hinüber. In dem stillen Raum wirkte das sanfte Rascheln ihrer Röcke auf dem hölzernen Boden wie eine Störung.

»Johnny … und Robert.« Sie sah ihnen direkt ins Gesicht, während sie die Namen aussprach. Beide starrten sie aus braunen Augen unverwandt an. Mit ihren dichten, gebogenen Wimpern, den runden, sommersprossigen Wangen und den gleichen Wirbeln im Haar ähnelten sie sich wie ein Ei dem andern. »Seid ihr Zwillinge?«

Der Junge auf der linken Seite schüttelte den Kopf. »Nein, Madam. Brüder. Ich bin acht.« Er tippte sich mit dem Daumen an die Brust und richtete ihn dann auf seinen Bruder. »Er ist sieben.«

»Ich verstehe.« Hannah schluckte. Die Blicke der anderen Kinder im Raum schienen sie zu durchbohren, so gespannt waren sie. »Ihr habt eure Vornamen ganz wunderbar aufgeschrieben, aber euer Nachname fehlt noch. Könnt ihr ihn mir sagen?«

Sie hätte es nicht für möglich gehalten, doch ihre Augen wurden noch größer. Der jüngere – Robert – sog die Lippen nach innen. Sein Kinn zitterte. Was um alles in der Welt hatte sie getan, um ihm solche Angst einzujagen? Sie schaute Johnny an und gab ihrer Stimme einen sanften Klang. »Wisst ihr euren Nachnamen?«

Die beiden wechselten einen ängstlichen Blick, gaben jedoch keine Antwort. Das schwere Pendel der Wanduhr zählte die vorbeitickenden Sekunden laut ab. Dann weckte eine leichte Bewegung in der hinteren Reihe Hannahs Aufmerksamkeit. Ein hochgewachsenes, schlankes Mädchen, dessen blondes Haar streng aus dem Gesicht gekämmt war, streckte die Hand nach oben.

Hannah versuchte sich an den Namen des Mädchens zu erinnern. »Martha?«

Das schüchterne Nicken des Mädchens bestätigte, dass Hannah richtig geraten hatte.

»Möchtest du eine Frage stellen?«

Martha stand auf und leckte sich die Lippen. Sie stützte sich auf der Bank ab, als brauche sie Halt. »Ich wollte Ihnen nur sagen, Madam … dass das die Townsend-Jungen sind. Sie wohnen auf einer Farm südlich der Stadt.«

»Danke, Martha.«

Das Mädchen sank auf ihren Platz zurück und ließ die Schultern hängen.

Hannah wandte sich wieder Johnny und Robert zu. »Ihr seid also Johnny und Robert Townsend.«

Sie nickten im Gleichtakt.

»Wisst ihr beiden, wie man Townsend schreibt?«

Klappernd ließ Johnny die Tafel aus der Hand fallen und hielt sich die Hände vors Gesicht. Robert starrte sie an. Eine Träne tropfte ihm von den Wimpern und kullerte über seine Wange. Das Mädchen mit den Zöpfen in der ersten Reihe fing an zu weinen und füllte den Raum mit ihrem Kummer. Verwirrt sah sich Hannah um. Sämtlichen Schülern war Angst oder Ablehnung ins Gesicht geschrieben.

Hannah legte Johnny eine Hand auf die Schulter. »Schau mich an.« Ganz langsam nahm er die Hände herunter und linste zu ihr hoch. »Warum hast du solche Angst?«

»Werden … werden Sie mich« – seine Schultern zuckten, als er gegen die Tränen kämpfte – »schlagen, wenn ich ihn falsch schreibe?«

Verwirrt runzelte Hannah die Stirn. »Dich schlagen?«

»Ja, Madam.« Johnnys Lippen zitterten so heftig, dass seine Worte wie ein Piepsen klangen. »Ich hab' meinen Nachnamen den ganzen Sommer nicht geschrieben, und jetzt weiß ich nicht mehr, wie er geht. Bitte schlagen Sie mich nicht.« Eine weitere Träne rollte über Roberts Wange. Die Jungen hielten sich fest an den Händen.

Hannah schaute durch den Raum und sah allen Kindern ins Gesicht. So viele bange Blicke – und jetzt verstand sie warum. Sie hob die Röcke, wirbelte zur Vorderseite des Raums und blieb direkt vor der Bank stehen, wo das kleine bezopfte Mädchen noch immer wimmerte.

»Kinder, wie hat euch euer vorheriger Lehrer bestraft?«

Ein missmutig wirkender Junge in der zweiten Reihe streckte eine Hand in die Luft und hielt mit der anderen seine Tafel hoch. William Sholes stand dort in ordentlichen Blockbuchstaben.

Hannah sagte: »Bitte erzähl es mir, William.«

Mit einem Satz sprang William auf. »Wenn wir Fehler gemacht haben, hat Mr Shanks uns übers Knie gelegt und uns mit dem Stock dort kräftig verschlagen.« Er nickte zur Ablage an der vorderen Wand des Raums hin.

Hannah trat auf die Lehrerplattform und nahm einen dünnen, geschälten Holzstab in die Hand, der einen knappen Meter lang sein mochte. Sie hatte ihn am Abend vorher entdeckt, als sie das Klassenzimmer für den ersten Schultag vorbereitet hatte, und hatte angenommen, er diene als Zeigestock. Sie hielt ihn hoch. »Meinst du diesen Stock?«

Das Jammern des kleinen Mädchens mit den Zöpfen verwandelte sich in panisches Schluchzen. Das Kind war so klein, dass seine Beine eher nach vorne abstanden, als in Richtung Boden zu knicken. Es konnte den brennenden Schmerz der Rute unmöglich am eigenen Leib erfahren haben, aber vielleicht hatten die älteren Schüler erzählt, was ihm drohte. Wenn Mr Shanks sich in diesem Moment im Raum befunden hätte, hätte Hannah ihm deutlich gesagt, was sie von seinen disziplinarischen Methoden hielt. Lehrer sollten in kleinen Kindern etwas anderes wecken als panische Angst.

Hannah stampfte zum Rand der Plattform. Sie umklammerte beide Enden des Stocks mit den Fäusten und hielt ihn in Brusthöhe. »Ich versichere euch, das Einzige, was ich übers Knie lege, ist das hier.«

Sie hob ein Knie leicht an und bog den Stock über dem Oberschenkel. Überall im Raum schnappten die Kinder nach Luft, als der Stab entzweibrach. Erschrocken verschluckte das bezopfte Mädchen sein Jammern. Hannah marschierte zum Fenster und schleuderte die nutzlosen Hälften in den Schulhof. Dann wandte sie sich den Schülern zu und rieb sich die Hände. »Von diesem Tag an wird niemand in diesem Raum mehr geschlagen, wenn er Fehler macht. Es gehört zum Lernen dazu, Fehler zu machen, und wir sind hier, um zu lernen. Das Einzige, was ich von euch verlange, ist, dass ihr immer euer Bestes gebt. Versprecht ihr mir das?«

Verwundert starrte das kleine Mädchen mit den Zöpfen Hannah an. Überall im Klassenzimmer wurde mit dem Kopf genickt. Stimmen waren zu hören. »Ja, Madam. Ich verspreche es.«

»Gut.« Hannah reckte das Kinn und sah mit ernstem Blick durchs Klassenzimmer. »Und ich verspreche, ebenfalls mein Bestes zu geben.« Ihr Herz machte einen Satz. Endlich lächelten ihre Schüler.

»Dann hat sie ihn mit Karacho über ihrem Knie zerbrochen und aus dem Fenster geworfen!« Mit glänzenden Augen schwenkte Johnny das gebratene Hühnerbein hin und her. »Sie hat gesagt, niemand wird mehr verhauen.«

Joel Townsend hielt inne, während seine Gabel in einer gekochten Kartoffel steckte. Er würde bereitwillig zugeben, dass er dem früheren Lehrer keine Träne nachweinte. Der rotgesichtige Mann hatte die Jungen mit dem übereifrigen Gebrauch des Stocks in Angst und Schrecken versetzt. Aber die neue Lehrerin machte vielleicht einen Fehler, wenn sie ganz auf Züchtigung verzichtete.

Er warf Johnny einen nachdenklichen Blick zu. »Hat eure neue Lehrerin gesagt, wie sie in Zukunft für Ordnung sorgen will?«

Johnny nagte ein Stück von seinem Hühnerbein ab und kaute mit gerunzelter Stirn. »Nein, Sir.«

»Nur, dass niemand mehr verhauen wird.« Mit seinem kurzen dicken Finger schob Robert die Erbsen am Rand seines Tellers zu einer Reihe zusammen. »Ich mag sie, Onkel Joel. Ich mag sie sehr.«

Joel stupste ihn leicht auf den Kopf. »Hör auf zu spielen und iss.«

»Ja, Sir.« Der Junge packte seine Gabel, spießte eine Erbse auf und schob sie in den Mund. Er schüttelte sich.

Joel verkniff sich ein Lachen. »Achtet beide darauf, dass ihr euch gut benehmt. Miss Robin erhebt vielleicht nicht die Rute gegen euch, aber ich werde euch nicht verschonen, wenn mir zu Ohren kommt, dass ihr in der Schule Ärger macht.«

Beide Jungen sahen ihn mit großen, unschuldigen Augen an. Johnny sagte: »Ich werde ihr keinen Ärger machen, Onkel Joel. Ehrlich nicht.«

»Ich auch nicht«, schwor Robert. »Sie ist so nett.« Er stützte sein Kinn auf eine Hand und grinste schief.

Wenn Joel es nicht besser gewusst hätte, hätte er gedacht, der Junge habe sich in die Lehrerin verguckt. Aber er wusste es besser. Robert vermisste seine Mutter. Und Johnny ging es ganz genauso. Von einer Frau unterrichtet zu werden, würde den Jungen guttun. Er konnte ihnen Vater sein – er hatte mühelos die Vaterrolle übernommen, als die Jungen vor zwei Jahren ganz plötzlich zu ihm gekommen waren –, aber die Mutter zu ersetzen war etwas völlig anderes.

»Ach!« Robert ließ den sauber abgenagten Knochen fallen und griff in die Tasche seiner Twillhose. »Miss Robin hat uns eine Nachricht mitgegeben.«

Mr Shanks hatte immer dann Nachrichten geschickt, wenn es im Klassenzimmer Probleme gegeben hatte. Joel warf beiden Jungen nacheinander einen finsteren Blick zu. »Seid ihr sicher, dass ihr keinen Ärger gemacht habt?«

»Wir haben keinen Ärger gemacht, Sir!« Robert fing an, mit den Gabelzinken heftig auf die Erbsen einzustechen.

Johnny fügte hinzu: »Sie hat allen Kindern eine mitgegeben – jeder hat eine Nachricht bekommen.«

Mit gerunzelter Stirn faltete Joel das Blatt Papier auf und überflog die anmutig geschwungene Schrift, die das obere Viertel des Bogens bedeckte.

Johnny beugte sich vor, die Fingerspitzen auf die Tischkante gelegt, und versuchte, über den oberen Rand des Blatts zu spähen. »Was schreibt sie?«

Joel zwickte ihn ins Kinn. »Offenbar beabsichtigt eure neue Lehrerin, ab nächster Woche die Runde zu machen und alle Familien mit Schulkindern zu besuchen.« Diese Miss Robin unterschied sich auf jeden Fall von Mr Shanks – der hatte nicht einmal die Sonntagsgottesdienste zusammen mit den Farmern besucht.

Robert hopste auf seinem Stuhl auf und ab. »Darf sie am Abend kommen und mit uns essen? Hä, Onkel Joel, darf sie?«

»Setz dich hin, mein Junge, und lass mich nachdenken.« Joel las die Nachricht noch einmal. Bitte nennen Sie mir einen passenden Tag und Zeitpunkt, und ich werde mein Möglichstes tun, mich an das zu halten, was für Sie am dienlichsten ist. Sie hatte eine besondere Art, sich auszudrücken. Der alte Mr Shanks hatte einige hochtrabende Wörter verwendet – und er hatte auch von den Kindern erwartet, sie zu kennen. Joel hoffte, diese neue Lehrerin würde nicht zu viel von den Kindern in Walnut Hill erwarten. Die meisten stammten von einfachen Kleinbauern ab und es wäre ihnen nicht wohl dabei, Worte wie am dienlichsten zu verwenden. Genauso wenig wäre ihm wohl dabei.

»Johnny, bring mir den Federhalter und die Tinte.«

Der Junge stürmte zum Sekretär in der Ecke, der Joels Mutter gehört hatte, und öffnete die Klappe. Johnny trug den Federhalter und das Tintenfässchen so vorsichtig wie eine Königskrone. »Was sagst du ihr, wann sie kommen soll? Morgen?«

»Warte, hat sie nicht nächste Woche gesagt? Ist morgen nächste Woche?«

Johnny kratzte sich am Kopf. »Ich glaube nicht.« Er drängte sich dicht heran und stieß gegen Joels Ellbogen, als dieser die Feder in das entkorkte Fass tauchte. »Wie ist es dann mit nächstem Montag? Kann sie nächsten Montag kommen? Hm?«

»Johnny, wenn du mit dem Essen fertig bist, fang an, den Tisch abzuräumen.«

Der Junge schnaubte, folgte jedoch der Aufforderung.

Joel brütete über dem Brief. Seine Gedanken flatterten hierhin und dorthin wie eine Motte um das Licht einer Laterne. Die meisten Familien würden Miss Robin wahrscheinlich einladen, zum Abendessen zu kommen, würden hinterher noch Kaffee und Kuchen servieren und sich eine Weile mit ihr unterhalten. Gesellschaftliche Ereignisse beschränkten sich auf das Kirchenfest zwei Mal im Jahr und einen ausgelassenen Tanz auf der Tenne, wenn die Ernte vorbei war. Die Leute sehnten sich nach Anlässen für Gespräche, und sie würden nur allzu bereit sein, die neue Lehrerin zu Gast zu haben und zu verwöhnen. Und sie sich genau anzuschauen.

Mit kritischem Blick musterte er den gemütlichen Raum, der in seinem Blockhaus gleichzeitig als Salon, Küche und Wohnzimmer fungierte. Da ein unverheirateter Mann und zwei wilde Jungen darin wohnten, ließ die Sauberkeit ein klein wenig zu wünschen übrig. Er besaß kein hübsches Tischtuch und konnte kein edles Geschirr auf den Tisch stellen, so wie seine Mutter es immer gemacht hatte, wenn Besuch kam. So gewählt, wie die Lehrerin sich ausdrückte, erwartete sie sicher etwas Besseres, als von verbeulten Blechtellern zu essen, unter denen ein altes Wachstuch lag. So ungern er die Jungen auch enttäuschte, war es doch unmöglich, die neue Schulleiterin zu einem warmen Abendessen einzuladen. Johnny und Robert würden sich damit zufriedengeben müssen, dass sie später am Abend kam.

Die Zungenspitze zwischen die Zähne geklemmt, verfasste er sorgfältig eine Antwort. Miss Robin, Sie können uns an jedem Schultag nach sieben Uhr besuchen. Verglichen mit ihrer zierlichen Handschrift sahen seine Zeilen aus, als hätte ein Eichhörnchen seinen Schwanz ins Tintenfass getaucht und dann damit auf dem Papier herumgewedelt. Aber daran konnte er nichts ändern – seine Stärke war, Getreide aus der Erde zu locken, nicht, feine Worte zu Papier zu bringen.

Nachdem er die Feder noch einmal eingetaucht hatte, schrieb er weiter: Lassen Sie es Johnny und Robert wissen, wann Sie kommen. Er nagte am Griff des Federhalters und dachte nach. Wenn er rechtzeitig Bescheid wusste, könnte er Mrs Jeffers in der Stadt bitten, einen Kuchen zu backen. Dann hätte er wenigstens etwas zum Anbieten, wenn die Lehrerin kam. Vielleicht würde ihm Mrs Jeffers sogar ein paar schöne Teller ausleihen, wenn er versprach, besonders vorsichtig damit umzugehen. Er wollte die Nachricht unterschreiben, aber sie sah so kurz aus. Als würde etwas fehlen. Er tippte sich mit den Fingerknöcheln ans Kinn und suchte nach einem passenden Abschluss.

Am Spülbecken bespritzte Johnny seinen Bruder scherzhaft mit Wasser und beide Jungen kicherten. Joel lächelte und dachte daran, wie aufgedreht sie an diesem Nachmittag von der Schule zurückgekehrt waren. Er setzte die Feder aufs Papier und kritzelte: Danke, dass Sie den Jungen einen schönen ersten Schultag nach den Ferien geschenkt haben. Wir freuen uns auf Ihren Besuch. Er blies auf die Tinte, bis sie nicht mehr glänzte, sondern matt war, und fing an, die Nachricht zusammenzufalten.

Doch dann hielt er inne. Er starrte auf ihre akkuraten Zeilen und ihre hochtrabende Ausdrucksweise. Sein Blick fiel auf seinen letzten Satz. Ein unangenehmes Gefühl brannte in seinem Inneren. Ich kann nur hoffen, dass der Herr Jesus mir diese kleine Lüge vergeben wird.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

2

Hannah trug zwei Tupfer Leim an der Unterseite eines Papierdachs auf und drückte es neben dem Tintenfass auf den Tisch. Sie hielt es einige Sekunden lang fest, bis der Leim fest wurde. Die Hände in die Hüften gestützt, betrachtete sie lächelnd die Bankreihen. Auf jeder Bank waren zwei feste weiße Dächer befestigt, auf denen mit schwarzer Tinte jeweils ein Schülername auf der Vorder- und Rückseite stand.

Die eine Seite des Daches war dem Schüler zugewandt, die andere der Lehrerin, sodass sie die Gelegenheit hatte, die Namen der Kinder zu lernen.

Ihre Finger glitten über die Spitze des scharf gefalteten Daches, das den Namen von William Scholes trug. Laut ihren Unterlagen war William dreizehn und jetzt im siebten Schuljahr. Ein Kind, das so alt war und so viel Erfahrung hatte wie William, brauchte das handgeschriebene Schild nicht, um zu wissen, wie man seinen Namen buchstabierte, aber die Jüngeren würden das geschriebene Wort mit dem Kind in der Bank in Verbindung bringen. Ihr Blick glitt über die Schilder, die sie im ganzen Klassenzimmer aufgehängt hatte, um sämtliche Gegenstände zu benennen: die Uhr, die Tafel, die Fenster, die Flagge … Miss Robins Schüler würden lesen lernen. Sie würden gut lesen lernen.

Sie ging zur Lehrerplattform zurück und sank auf ihren Stuhl. Sie legte die Arme auf die abgenutzte Platte des Schreibtischs und bewunderte, was sie in den vier Stunden, seit die Schüler nach Hause gegangen waren, alles geschafft hatte. Offenbar hatte Mr Shanks es mit seinen Reinigungspflichten nicht so genau genommen. Sie hatte Staub in jeder Ecke und unter den Bänken gefunden. Mit einem Strohbesen hatte sie den meisten Dreck zur Tür hinausgekehrt, doch sie wollte übers Wochenende Eimer und Wischlappen mitbringen und den Boden noch gründlicher putzen. Es sollte niemand behaupten können, in Miss Robins Klassenzimmer sei es nicht richtig sauber.

Die Tische so anzuordnen, wie sie sie gern haben wollte, hatte ihr körperlich viel abverlangt – diese verschnörkelten Eisenbeine waren wirklich schwer –, aber sie war mit dem Ergebnis zufrieden. Ihre Klassenliste umfasste achtzehn Schüler von fünf bis vierzehn Jahren. Zwei Schüler konnten auf einer Bank sitzen, also hatte sie drei Reihen mit jeweils drei Tischen gebildet. Auf den Bänken, die an der Vorderseite der vorderen Tische befestigt waren, würden Kinder sitzen können, die abgefragt würden. Und ihre jüngste Schülerin würde dort sitzen, die kleine Jenny Scheebeck mit den Zöpfen. Hannah dachte an die Flut von Tränen, die das Kind zu Beginn des Tages vergossen hatte, und hoffte, Jenny würde am nächsten Tag keinen Grund mehr haben zu weinen.

Ein Windstoß jagte durch die offene Hintertür und ließ das Schild, auf dem Fenster stand, erzittern. Hannah beeilte sich, die Tür zu schließen. Dann holte sie den kleinen Hammer aus ihrer Schreibtischschublade und klopfte auf die Reißnägel, mit denen das Schild am Fenstersims befestigt war. Sie sah sich um, um sicherzugehen, dass der unerwartet heftige Abendwind kein weiteres Schild gelockert hatte.

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alle beschrifteten Schilder noch fest an der rauen Kieferntäfelung hingen, begutachtete sie die mit blauen Blumen bedruckte Tapete, die sie als Hintergrund für Schüleraufsätze und -projekte an einem Teil der westlichen Wand befestigt hatte. Sie ließ die Finger über das blütenreiche Papier gleiten und stellte sich vor, wie diese mit Prunkwinden verzierte Fläche aussehen würde, sobald sie mit Aufsätzen, Blättern mit mathematischen Gleichungen und kindlichen Zeichnungen bestückt wäre. Ein Garten voller Projekte, die sichtbar machen, wie die Kinder aufblühen, dachte sie lächelnd. Sie konnte es kaum erwarten, die ersten Aufgaben zu verteilen.

Sie schnappte nach Luft. Bei all dem Saubermachen und Organisieren hatte sie vergessen, den Plan für die Unterrichtsstunden am nächsten Tag fertigzustellen. Sie hob ihre Röcke und eilte zu ihrem Schreibtisch. Sobald sie die Schulbücher über ihren Schreibtisch verteilt und sich die Brille auf die Nase geklemmt hatte, öffnete sie ihr Stundenplanbuch und machte sich an die Arbeit. Das Pendel der Uhr bewegte sich tickend im perfekten Rhythmus hin und her. Eine Brise zog flüsternd durch die offenen Fenster. Die Seiten raschelten, als sie sie mit ungeduldigem Finger umblätterte. Hannah ertappte sich dabei, wie sie summte. Die wortlose Melodie vereinigte sich mit den typischen Geräuschen des Schulzimmers zu einer angenehmen Harmonie.

Als sie gerade ihren Entwurf aufzeichnete, mit dem sie Breiten- und Längengrade bei den Viert- und Fünftklässlern einführen wollte, störten quietschende Wagenräder und trappelnde Pferdehufe ihre Konzentration. Hannah setzte die Brille ab, als schwere Stiefeltritte an der Garderobe zu hören waren. Erschrocken wollte sie aufstehen, doch dann sank sie erleichtert auf ihren Stuhl zurück, als sie ihre Vermieterin, Mrs Kinsley, durch die Bankreihen preschen sah.

Die ältere Frau blieb vor Hannahs Schreibtisch stehen und zog ein finsteres Gesicht. »Um Himmels Willen, Mädchen, wollen Sie die Nacht hier verbringen? Ich habe mit dem Essen so lange wie möglich gewartet, aber schließlich musste ich essen. Mein Magen hat sich beschwert.« Ihr missbilligender Blick schweifte über den Bücherstapel auf Hannahs Schreibtisch und sie zog eine Braue hoch. »Lesen Sie die alle gleichzeitig?«

Hannah lachte leise. »Das muss ich, wenn ich jedem Schüler und jeder Schülerin auf seinem Wissenstand begegnen will.« Sie sah sich wieder im Zimmer um und ein Lächeln spielte um ihre Lippen. »Mit diesen Namen ist jede Stufe von der ersten bis zur achten Klasse vertreten und jedes Kind verdient, dass ich mein Bestes gebe. Ich möchte keins von ihnen benachteiligen.« Sie freute sich sehr darauf, mitzuerleben, wie die ihr anvertrauten Kinder sich im Lauf des Jahres veränderten und wuchsen!

Mrs Kinsley reckte den Hals und ließ den Blick prüfend über jeden Zentimeter des Klassenzimmers wandern. Dann schüttelte sie den Kopf und stieß einen leisen Pfiff aus. »Der Raum hat sich völlig verändert, seit der alte Shanks hier das Sagen hatte. Bei ihm sah es so fröhlich aus wie im Inneren eines Kiefernsargs. Sie haben eine hübsche Tapete an der Wand, überall kurze Wörter, damit die Jüngeren sie lesen können und die Schreibtischflächen glänzen vor Sauberkeit …« Sie stützte sich mit ihrem knochigen Ellbogen auf einen Stapel Bücher am Rand des Schreibtischs. »Und wie ich höre, haben Sie die Rute abgeschafft.«

Hannah war überrascht. »Das hat sich schon herumgesprochen?«

Mrs Kinsley lachte. »Sie kommen aus einer großen Stadt, Miss Robin, wo die Leute sich nicht groß darum kümmern, was ihre Nachbarn tun. Aber hier auf dem Land gibt es nicht viel Aufregendes, deshalb verbreiten sich Neuigkeiten schneller als Tünche an einer Scheunenwand. Sie haben den Leuten Gesprächsstoff gegeben, als Sie den Stab zerbrochen und aus dem Fenster geworfen haben.«

Hannah war nicht bewusst gewesen, dass sie einen so starken Eindruck auf die Kinder gemacht hatte. Sie beugte sich eifrig vor. »Sind die Leute also froh über die Veränderung?«

Die Frau rieb sich die Wange und schob dabei die weiche Haut zu Falten zusammen. »Ich würde eher verblüfft als froh sagen. Sie fragen sich, wie Sie ohne eine gelegentliche Abreibung auf dem Hosenboden bei den Kleinen für Disziplin sorgen wollen.« Wieder hob sie eine Augenbraue in die Höhe. »Um ehrlich zu sein, das frage ich mich auch. Mir ist noch nie ein Kind begegnet, das nicht ab und zu die Zuchtrute nötig gehabt hätte.«

Hannah betrachtete ihre Vermieterin mit einem festem Blick. »Glauben Sie mir, Mrs Kinsley, es ist durchaus möglich, Disziplin aufrechtzuerhalten, ohne körperliche Gewalt anzuwenden. Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass Kinder, wenn keine Bestrafung droht, die Dinge mutiger erforschen und bereitwilliger lernen als Kinder, die ihre Energie nur darauf verwenden, dem Schmerz der Rute zu entgehen.«

Wieder stieß die Frau ein dröhnendes Lachen aus. »Ach, Mädchen, und ich bin fest davon überzeugt, dass Kinder sich auf allerlei Verbotenes einlassen, wenn man ihnen die Freiheit gibt, Dinge zu erforschen.«

Hannah machte ein finsteres Gesicht.

Mrs Kinsley warf beide Hände in die Höhe. »Aber Sie sind die Lehrerin, Miss Robin, und wenn Sie diese Kinder anders hüten wollen als sämtliche Lehrer vor Ihnen, dann legen Sie los.« Sie streckte einen Finger aus und zog die Brauen zusammen. »Doch wenn Sie nach einiger Zeit Ihre Meinung ändern, dann wachsen auf meinem Grundstück einige Pappeln in der richtigen Größe. Sie dürfen sich gern einen stabilen Zweig zur … äh … Nutzung im Klassenzimmer holen.«

Hannah hatte ihren Schülern ein Versprechen gegeben. Sie würde sich daran halten. »Das wird nicht nötig sein.«

Zu Hannahs Leidwesen lachte die Frau wieder. Mrs Kinsley bewegte sich mit schwingenden Armen Richtung Garderobe. »Schnappen Sie Ihre Sachen und kommen Sie zum Wagen. Sie dürfen so spät nicht mehr allein hier sitzen – den Leuten wird es nicht gefallen, wenn ihre Lehrerin nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen ist.« Sie stürmte zur Tür hinaus.

Hannah überlegte, ob sie Mrs Kinsleys Anweisung ignorieren sollte. Mit 28 Jahren war sie kein Kind mehr, das sich herumkommandieren ließ. Vor allem nicht von ihrer Vermieterin. Hatte sie nicht die Aufforderung ihres Vaters missachtet, in Omaha zu bleiben, bis ihre jüngste Schwester von zu Hause auszog? Nur weitere vier Jahre, hatte er versucht, sie zu überreden. Bei der Erinnerung an seinen jammernden Ton und seine manipulativen Worte – »Wie soll die arme kleine Missy zurechtkommen, wenn sie keine Frau hat, die sich um sie kümmert?« – schüttelte es sie. Ihrem Vater war gar nicht wirklich etwas an ihr oder Missy gelegen; er wollte Hannah aus reinem Egoismus daheim haben. Er war völlig unselbstständig und hatte sie mit seiner Verzagtheit und Bedürftigkeit belastet.

Obwohl sie sich darüber ärgerte, zum Wagen geschickt zu werden, sah sie ein, dass es Mrs Kinsley darum ging, ihren Ruf bei den Menschen in der Stadt zu schützen. Also schluckte sie ihre Widerworte herunter, packte das Stundenplanbuch und alle benötigten Schulbücher zusammen und gesellte sich zu Mrs Kinsley auf den hohen Sitz der einfachen offenen Kutsche.

In Mrs Kinsleys kleinem Holzschindelhaus trug Hannah ihre Bücher in das kleine Zimmer am Ende der engen Treppe, die von der Küche aus nach oben führte. Dann wusch sie sich die Hände und setzte sich zu einem späten Abendessen an den Küchentisch. Das Schweinekotelett und die Bratkartoffeln waren frisch aus der Pfanne sicher sehr lecker gewesen. Im kalten Zustand war das Essen jedoch alles andere als appetitanregend. Erstarrtes Fett bildete einen weißen Rand um das Fleisch und verwandelte die Kartoffeln zu aufgeweichten Klumpen. Hannah kratzte das Fett mit der Messerklinge weg, so gut es ging, und beschloss, jeden Bissen des Koteletts und der Kartoffeln zu verzehren.

Mrs Kinsley eilte geschäftig in der Küche hin und her und summte, während Hannah aß. Sie erinnerte Hannah an einen emsigen Kolibri, der sich von Blüte zu Blüte bewegt – diese Frau stand keine Minute still. Hannah nahm sich vor, in Zukunft pünktlich zum Essen zu erscheinen, damit sie eine warme Mahlzeit und die Gesellschaft ihrer Vermieterin genießen konnte. Zu Hause hatten immer mehrere Menschen um den Tisch gesessen. Während sie sich in den Jahren, in denen sie für ihre jüngeren Geschwister gesorgt hatte, gelegentlich nach etwas Einsamkeit gesehnt hatte, stellte sie jetzt fest, dass es keinen Spaß machte, ganz allein zu essen.

Sobald Hannah ihre Gabel auf den leeren Teller gelegt hatte, schwirrte Mrs Kinsley herbei und räumte den Tisch in Windeseile ab. Sie marschierte zur wartenden Spülschüssel und warf Hannah über die Schulter ein Lächeln zu. »Bestimmt wollen Sie jetzt die Vorbereitung für Ihre Stunden zu Ende bringen. Gut, dass ich die Idee hatte, den alten Tisch und den Stuhl aus dem Schuppen in Ihr Zimmer zu stellen – das ist ein praktischer Schreibtisch, nicht wahr?«

Als Hannah nach ihrer gestrigen Ankunft ihr Zimmer besichtigt hatte, war ihr aufgefallen, dass der Tisch an einer Seite wackelte und die Sitzfläche des Stuhls einen Riss hatte. Diese Möbelstücke zu benützen wäre trotzdem besser, als auf der Bettkante zu sitzen und sich die Bücher auf den Schoß zu legen. »Ja, Madam. Danke.«

Hannah wollte aufstehen, doch ein Stich im Kreuz bremste sie aus. Ihre Muskeln waren steif. Vielleicht hätte sie warten und die schweren Bänke nicht ohne Hilfe verschieben sollen. Mr Libolt, der sie von der Postkutsche abgeholt und zu Mrs Kinsleys Haus gebracht hatte, hatte angedeutet, dass die Mitglieder des Stadtrats sie bereitwillig bei allem unterstützen würden, was zu tun war. Doch auf Hilfe zu warten hätte bedeutet, dass es länger dauerte, bis das Klassenzimmer wirklich ihres war. Sie rieb sich den Rücken mit den Fingerknöcheln und versuchte, die Verspannung zu lockern, bevor sie die Treppe hinaufstieg.

Mrs Kinsley unterbrach ihr Geschirrklappern in der Schüssel und warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«

»Ich habe Rückenschmerzen.« Hannah lachte reumütig. »Ich hab mich schon immer in die Arbeit gekniet. Nach dem Tod meiner Mutter hab ich mich um das Haus meines Vaters gekümmert, und das schien meinem Rücken nie etwas auszumachen.«

Mrs Kinsley zog einen Teller aus dem Wasser und legte ihn schwungvoll auf einem Geschirrtuch ab, das auf der Arbeitsfläche ausgebreitet war. »Das kommt wahrscheinlich vom Sitzen. Vor allem, wenn man es nicht gewöhnt ist. Meine Knochen werden ganz steif, wenn ich zu lange sitze. Darum bleibe ich immer in Bewegung.« Wie zum Beweis griff sie nach dem Spüllappen und nahm damit die Pfanne in Angriff. Mit gehobenen Ellbogen und schwingenden Hüften schrubbte sie energisch.

Hannah verkniff sich ein Kichern. »Na gut, ich denke, ich …« Ein Klopfen an der Haustür schnitt ihr das Wort ab.

Mrs Kinsley schaute zu der kleinen Uhr auf dem Fensterbrett. »Wer kommt denn zu dieser Uhrzeit noch zu Besuch?« Sie stürmte zur Küchentür hinaus und rieb sich gleichzeitig die Hände an der Schürze trocken. Neugierig spähte Hannah durch den weiß gestrichenen Türrahmen, als Mrs Kinsley die Haustür weit aufriss. Ein hochgewachsener, blonder Mann mit schmalem Gesicht trat über die Schwelle. Sein Blick schweifte durch den Raum. Instinktiv wich Hannah zurück, um nicht gesehen zu werden.

Mrs Kinsleys Stimme scholl um die Ecke. »Terrill Sterbinz, weißt du nicht, dass es schon nach acht ist?«

Eine schleppende Stimme antwortete, doch der Mann sprach so leise, dass Hannah nichts verstehen konnte. Mrs Kinsleys raues Lachen erklang als Reaktion. »Ach ja? Na gut, dann werde ich sie wohl holen.« Schritte näherten sich und Hannah zog sich noch weiter zurück, als Mrs Kinsley mit einem vielsagenden Grinsen um die Ecke eilte. »Da draußen ist Terrill Sterbinz, einer unserer örtlichen Junggesellen.« Sie sprach mit harschem Flüstern. »Ich schätze, er will der Erste sein, der einen Blick auf das neue unverheiratete Mädchen in der Stadt wirft.«

»Sterbinz? Ist er irgendwie mit Martha verwandt?« Das blonde Haar des Mannes und sein schmales Gesicht erinnerten sie an das ruhige Mädchen in ihrer Klasse, obwohl Martha viel weichere Züge hatte. Sie war ein hübsches Mädchen.

»Er ist ihr Bruder.« Mrs Kinsley beugte sich dichter zu ihr. »Es sind insgesamt sechs Sterbinz-Sprösslinge. Terrill ist der Älteste und Martha ist das jüngste Glied der Familie. Es sind gute Leute – fleißig.« Sie setzte eine listige Miene auf. »Es mit Terrill Sterbinz zu versuchen wäre für ein Mädchen alles andere als eine schlechte Entscheidung.«

Hannahs Gesicht wurde flammend rot. »Mrs Kinsley, ich bin nicht nach Walnut Hill gekommen, um mir einen Ehemann zu angeln, sondern um zu unterrichten.«

Mrs Kinsley runzelte die Stirn. »Was soll ich also mit ihm machen?«

Hannah vermutete, mit einer ehrlichen Antwort würde sie die ältere Frau schockieren. »Bitte sagen Sie ihm, dass ich im Moment nicht abkömmlich bin, aber wenn er sich mit mir über die Fortschritte seiner Schwester unterhalten will, werde ich morgen nach Unterrichtsschluss gern im Schulhaus mit ihm reden.«

Mrs Kinsley schüttelte den Kopf. »In Ordnung. Ich sage es ihm.« Sie wackelte mit einem Finger vor Hannahs Gesicht herum. »Aber seien Sie gewarnt … es gibt mindestens sechs unverheiratete Männer in Ihrem Alter in dieser Stadt. Zweifellos werden sie sich alle mit Ihnen bekannt machen wollen. Wenn sie alle anfangen, in der Schule aufzutauchen, werden Sie vielleicht Probleme bekommen. Sie werden außer den Kindern keine Aufsichtsperson haben. Es wäre besser, hier mit ihm zu reden, wo ich die Sache im Blick behalten kann.«

Hannah hob das Kinn. »Ich ziehe es vor, den Männern dieser Gemeinde auf professioneller Ebene zu begegnen. Da die Schule mein Arbeitsplatz ist, werden auch meine Gespräche dort stattfinden.«

Mrs Kinsley murmelte etwas vor sich hin, während sie sich zum Salon begab. Hannah ignorierte ihre Kreuzschmerzen, polterte die Treppe hinauf und schloss ihre Zimmertür hinter sich. Sie lehnte sich gegen die Holztür und wartete darauf, dass sich ihr Herzschlag beruhigte. Wenn Mrs Kinsley mit ihrer Vermutung recht hatte und die Junggesellen der Stadt an sie herantreten würden, dann hatte sie ein größeres Problem, als acht verschiedene Lernstufen unter einen Hut zu bekommen. Sie musste der Stadtbevölkerung irgendwie unzweifelhaft signalisieren, dass Hannah Robin nicht interessiert an einer Ehe war. Jetzt nicht und auch zu keinem anderen Zeitpunkt.

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3

Joel Townsend brachte die Pferde am Rand des Schulhofs zum Stehen. Kinder schwärmten über den ungepflasterten Hof und ihre Füße wirbelten Staubwolken auf, während ihr fröhliches Lachen dem grauen Herbstmorgen eine festliche Stimmung verlieh. Er konnte sich nicht erinnern, dass die Kinder in der Schule jemals so glücklich gewirkt hatten. Das Schuljahr war erst eine Woche alt und schon schien Miss Robin die Einstellung der Schüler zum Lernen verändert zu haben. Obwohl einige Leute befürchteten, sie würde mit den Kindern nicht streng genug umgehen, war Joel bereit, ihr eine Chance zu geben. Er fand es angenehm, morgens nicht mehr mit Johnny und Robert kämpfen zu müssen, damit sie das Haus verließen.

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