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Die YouTuberin Maisie ist stark und selbstbewusst. Sie ist die erfolgreiche Frau, die für jedes Problem eine Lösung weiß, die anderen Mut macht. Sobald die Kamera abgeschaltet ist, ist da nur noch Maddy, alleine im leeren Elternhaus, eine Frau, die Angst hat, dass wieder einmal jemand mit dem Finger auf sie zeigt. Dabei kann sie gar nichts für das, was ihr Dad getan hat! Ryan soll über Maisie eine Reportage machen und findet Maddy vor, verletzlich, widersprüchlich, wunderhübsch und mit endlos langen Beinen, die es ihm angetan haben. Durch einen Schneesturm, der das Leben in Frost Creek lahmlegt, müssen sie sich arrangieren. Ist es die erzwungene Nähe, die die Leidenschaft aufflammen lässt? Die magische Anziehung zwischen ihnen oder gar der Zauber der Frostmagie? Eine romantische Weihnachts-Romance mit dem Trope ‚forced proximity‘ und einer zauberhaften Kleinstadt, die im Schnee versinkt.
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Margaux Navara
Frostmagie
Lügen haben lange Beine
Margaux Navara
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
1. Auflage, 2021
© Margaux Navara – alle Rechte vorbehalten.
Margaux Navara
c/o easy-shop K. Mothes
Schloßstraße 20
06869 Coswig Anhalt
Es gibt im Text Anspielungen auf den Roman
Frostmagie – kalte Füße, heißes Blut
Du musst diesen aber nicht gelesen haben. Alle Bücher sind unabhängig voneinander lesbar.
Aber vielleicht macht dich dieser Roman ja neugierig auf die Geschichte von Angus und Lynette?
Frostmagie – Lügen haben lange Beine
Wenn Liebe Einsamkeit und Angst besiegt …
Die YouTuberin Maisie ist stark und selbstbewusst. Sie ist die erfolgreiche Frau, die für jedes Problem eine Lösung weiß, die anderen Mut macht. Sobald die Kamera abgeschaltet ist, ist da nur noch Maddy, alleine im leeren Elternhaus, eine Frau, die Angst hat, dass wieder einmal jemand mit dem Finger auf sie zeigt. Dabei kann sie gar nichts für das, was ihr Dad getan hat!
Ryan soll über Maisie eine Reportage machen und findet Maddy vor, verletzlich, widersprüchlich, wunderhübsch und mit endlos langen Beinen, die es ihm angetan haben.
Durch einen Schneesturm, der das Leben in Frost Creek lahmlegt, müssen sie sich arrangieren. Ist es die erzwungene Nähe, die die Leidenschaft aufflammen lässt? Die magische Anziehung zwischen ihnen oder gar der Zauber der Frostmagie?
Kapitel 1
„Sei du selbst! Du bist wertvoll!“ Madison beendete ihre Aufnahme mit dem üblichen Aufruf.
Heute war sie gut gewesen, sie spürte es. Sie hatte sich ein Thema für das neue Video gewählt, das garantiert viele bewegte. Das Thema ‚Wie gehe ich mit Kritik an meiner Person um?‘ war immer beliebt, weil so viele Menschen kritisiert wurden. Heute hatte sie sich mit dem Aspekt ‚Welche Motivation hat der Kritiker?‘ beschäftigt. Etwas, das viele Leute vergaßen, egal, ob sie auf die Kritik eingingen oder sie abstritten.
Welche Motivation hatten die Menschen von Frost Creek? Ein beliebtes Motiv war, sich selbst zu erhöhen, sich als fehlerlos darzustellen, was besser gelang, wenn man andere niedermachte. Dazu noch die Sensationslust …
Sie schüttelte sich und tauchte damit sowohl aus der Intensität des Vortragens auf als auch aus den Spekulationen über ihre Mitbürger. Jetzt erst hörte sie das Kindergeschrei und Hundegebell von der Straße. Unwillig stand sie auf und öffnete den Vorhang einen kleinen Schlitz. Das Sonnenlicht blendete sie, erst nach einer Weile und mehrfachem Blinzeln erkannte sie die Gruppe von Kindergartenkindern, die sich um einen Hund geschart hatten. Sie hatte die Frau mit dem unverkennbar großen Tier schon oft gesehen. Die Besitzerin war wie die Kinder und ihre Betreuerinnen in einen dicken Mantel gehüllt und trug eine Mütze, war deswegen nicht zu erkennen.
Madison verzog das Gesicht. Als würde sie die Frau erkennen! Die war jedenfalls nicht hier aufgewachsen. Von denen, die in den letzten vier Jahren zugezogen waren, kannte sie niemanden.
Eine der Kindergärtnerinnen hob den Blick. Maddy erkannte Theresa sofort, sie war mit ihr zur Schule gegangen. Die Frau starrte sie an, wies dann die Hundebesitzerin auf Maddy hin, sagte etwas zu ihr.
Maddy hob die Hand, winkte. Sie waren früher oft zusammen zu Harriets Café gegangen, hatten dort etwas getrunken, gemeinsam Musik gehört, getanzt. Keine beste Freundin, aber eine, mit der sie viel Freizeit verbracht hatte.
Theresa winkte nicht zurück. Stattdessen scheuchte sie die Kinder weiter und drehte sich dabei mehrmals zu Maddys Haus, als warte sie darauf, dass der Teufel persönlich zur Tür heraus käme.
Verletzt trat Maddy einen Schritt zurück und zog den Vorhang mit einem Ruck zu.
Wie konnte sie das nur vergessen? Theresa hatte sie mehrfach ignoriert. Am Anfang, als Maddy noch unbedarft in Frost Creek einkaufen gegangen war. Nein, mehr als das. Theresa hatte sie geschnitten und immer andere informiert, wer Maddy war und was ihr Dad getan hatte.
Der Schmerz war so intensiv wie damals. Sie brauchte ein paar Minuten, bis sie wieder frei atmen konnte.
Sie hatte zu tun. Wenn das Video heute noch hochgeladen werden sollte, musste sie schnellstens kontrollieren, dass nur ja keine Nebengeräusche zu hören waren. Die herauszuschneiden bedeutete Arbeit, auf die sie gerne verzichten wollte.
Zum Glück blieb es bei einem kleinen Quietscher ganz am Ende, der würde im Abspann verschwinden.
Ihr Resümee gefiel ihr.
„Denk daran, dass deine Mitmenschen immer eine Absicht verfolgen, wenn sie dich kritisieren. Ist die Kritik wohlwollend, dann ist sie meist konstruktiv. Dann mach dir Gedanken darüber, nimm sie an. Macht dein Gegenüber dir Vorwürfe und zählt deine Fehler auf? Dann geht es ihm mehr darum, sich selbst zu entlasten.“
Oder sich selbst als perfekt hinzustellen, hätte sie gerne hinzugefügt. Zumindest schien das bei Theresa der Fall zu sein. Deren Eltern waren nicht gerade Vorbilder, Maddy erinnerte sich an blaue Flecke auf Theresas Armen, die sie erst viel später als Zeichen von Schlägen interpretiert hatte.
Nein, sie wollte nicht über ehemalige Freundinnen nachdenken, die sie nach Dads Tat am liebsten geteert und gefedert und aus dem Ort verjagt hätten.
Die Anspannung fiel nur langsam von ihr ab und sie strich sich die Haare aus der Stirn. Die wurden auch immer länger, aber sie würde auf keinen Fall zu Mandy in den Friseursalon gehen. Sie konnte sich vorstellen, was das für eine Flut von Fragen und Getuschel hervorrufen würde. Mandy hatte Maddy zwar nicht geschnitten, aber wenn sie Theresa als Kundin hatte …
Also wuchsen die Haare eben. Nur der lange Pony war längst kein Pony mehr, eher ein Pferdeschweif, der ihr immerzu in die Augen fiel.
Jetzt noch die Kommentare prüfen und Antworten schreiben, wenn nötig, dann wäre sie für heute fertig und sie konnte lesen oder fernsehen oder im Internet surfen. Puh, als wäre irgendwas davon verlockend.
Unter dem Film von letzter Woche, ‚Folge deinem Traum‘, gab es seit gestern 1.254 Kommentare, von denen sie sich einige heraussuchte, um sie zu beantworten.
Bei einem zog sich alles in ihr zusammen.
Deine Eltern müssen stolz auf dich sein, Maisie, und du auf sie.
War das sarkastisch gemeint? Wusste der Kommentator etwas? Wo hatte sie sich verraten? Ihr Herz raste schon wieder, kalter Schweiß stand auf Maddys Stirn.
Nur langsam beruhigte sie sich. Niemand war darauf angesprungen, es gab keinen Bezug zu Dad. Es war nur ein zufälliger Kommentar. Gott sei Dank! Sie lenkte sich ab, las weiter.
Einer trieb ihr Tränen in die Augen.
Du bist mein Vorbild, Maisie. Deine Worte haben mich so berührt, ich musste weinen. Ich werde ab jetzt wie du meinem Traum folgen, werde mich voll konzentrieren, werde alles tun, um das zu erreichen, was du erreicht hast.
Madison blinzelte die Tränen weg. Welchen Traum hatte sie erreicht? Den, in einem abgedunkelten Raum zu sitzen vor einem Fake-Hintergrund und über Fake-Erfolge zu berichten? Ja, sie war erfolgreich auf YouTube, sie hatte inzwischen mehr als eine Million Follower und es wurden täglich mehr.
Aber das war alles, was sie hatte.
Keine Freunde, keine Familie.
Sie sehnte nichts mehr herbei als einen Menschen, den sie umarmen konnte, überhaupt berühren konnte. Seit vier Jahren kannte sie nur noch ihre eigenen Hände auf ihrer Haut.
Für eine Sekunde, nein, nur den Bruchteil einer Sekunde, wünschte sie sich, sie könnte zumindest Dad noch einmal in den Arm nehmen, den letzten lebenden Verwandten. „Daddy!“ Sie flüsterte seinen Namen nur, ihre Kehle fühlte sich an, als quetschte sie jemand zusammen.
Was dachte sie da? Niemals würde sie ihn umarmen, nie, nie, nie wieder. Er hatte alles kaputtgemacht.
Und sie musste die Folgen tragen.
Kapitel 2
Ryan stieg um 08.03 Uhr in Cherry, New Jersey, in den von ihm eigenhändig zum Camper umgebauten Truck, fuhr los, überquerte auf der Benjamin Franklin Bridge den Delaware River, bog in die 8th North und nach 0,4 Meilen auf die Market Street ab und parkte die für den Stadtverkehr viel zu große Karre gegenüber des Gebäudes des Philadelphia Inquirer. Er brauchte genau 34 Minuten, wie er es geplant hatte, dann hatte er alle von einem Mitarbeiter vorbereiteten Unterlagen beisammen, hatte mit seinem Kollegen Spencer über den Artikel gesprochen, der heute erscheinen würde, und fuhr los nach einem Ort, den er bisher noch nicht kannte. Und das wollte etwas heißen.
Frost Creek.
Da der Name auf eine gewisse Kälte hinzuweisen schien, hatte Ryan vorwiegend Wintersachen eingepackt, jedoch basierend auf dem Wetterbericht für die nächsten drei Tage keine Moonboots, keine Skier und nicht die Hochleistungs-Winterjacke, die Temperaturen bis minus vierzig Grad aushielt. Für die Zukunft war zwar Schnee gemeldet, aber so lange würde er nicht bleiben.
Hinfahrt, Treffen mit der Zielperson um 17.00 Uhr für ein erstes Gespräch, einen Tag für die Recherche im Ort und weitere Gespräche mit ihr, sicherheitshalber eine zweite Übernachtung, natürlich wie die erste in seinem Camper, und übermorgen würde er hoffentlich um 07.30 Uhr aufbrechen können, sodass er um 12.22 Uhr erneut das Gebäude der Zeitung betreten konnte. Dann wären die anderen beim Essen, er konnte so beginnen, den ersten Entwurf zu schreiben, und würde ihn um 15.30, spätestens 15.40 Uhr bei seinem Redakteur Horris abliefern können.
Das Telefonat erreichte ihn in einer Baustelle auf der Höhe von New Haven, Connecticut. Spencer klang aufgeregt, weitaus mehr als üblich. „Ry, willst du etwa nichts unternehmen?“
„Hallo Spencer. Würdest du mir freundlicherweise erklären, um was es geht?“ Ryan ahnte es bereits, aber er zwang sich, kühl zu bleiben, unberührt, wie seine Kollegen ihn kannten. Immer unter Kontrolle, Mr Control nannte man ihn hinter seinem Rücken. Manchmal auch Facts, weil er so auf Fakten herumritt.
„Du weißt vermutlich längst, um was es geht. In der Redaktion wurde es eben erst bekannt gegeben, passenderweise nachdem du weg warst. Horris soll den Preis bekommen, dabei hast du die ganze Arbeit gemacht! Was willst du dagegen tun? Nichts, wette ich! Aber das ist nicht in Ordnung. Ich werde Widerstand organisieren, wir können demonstrieren für dich. Hungerstreik. Oder kündigen. Oder wir reichen eine Petition ein.“
Spencer war immer so heißblütig. „Mach langsam, Spencer. Es betrifft weder dich noch die anderen. Allein meine Sache. Und ich finde, er hat das Recht auf den Preis.“
Spencer unterbrach ihn. „Nein, hat er nicht! Du hast das geschrieben!“
„Und er hat es verbessert. Du weißt, dass Horris meine Beiträge emotionslos nennt.“ Er würde nie zugeben, dass ihm das einen Stich versetzt hatte. Stattdessen verschloss er sich nur weiter. Dann war er eben emotionslos, wenn ihn alle so sahen. Es hatte ihm bisher nicht geschadet.
„Dann müsstet ihr zumindest gemeinsam den Preis bekommen, aber dein Name wird nirgends erwähnt. Er sagt nicht mal, dass du ihm zugearbeitet, ihn vorbereitet, den ersten Entwurf erarbeitet hast, gar nichts. Und wir beide wissen, dass deine Arbeit weitaus mehr ist als Zuarbeit.“
Zuarbeit war das, was die Hilfskräfte, Studenten und Praktikanten machten. Wie die Informationen, die er sich über die YouTuberin Maisie hatte geben lassen, nachdem er den Auftrag bekommen hatte, über eine der wenigen weiblichen und erfolgreichen YouTuber zu berichten, die ihr Gesicht noch zeigte. Zugriffszahlen, Themen, ihre Antworten auf Kommentare, der Beschreibungstext ihres Kanals, seit wann sie online war und Statistiken zu ihren Followern und zu ihrem geschätzten Einkommen aus Werbung. „Mehr als Zuarbeit. Aber du weißt, dass ich keinen Wert auf Auszeichnungen lege. Und er hat nun mal den Artikel überarbeitet, das kannst du nicht leugnen.“
Ryan umfuhr die letzte Warnbake und beschleunigte wieder auf die höchste erlaubte Geschwindigkeit von 70 Meilen pro Stunde. Hier war die Straße noch frei, allerdings hatte er vorhin im Radio gehört, dass das Wetter sich schneller verschlechterte als erwartet. Es regnete im Norden und Schneematsch war zu erwarten. Etwas, das er hasste, weil das Wetter ihm sowohl seinen Zeitplan als auch die Kontrolle über das Fahrzeug aus den Händen zu nehmen drohte.
„Der Artikel wäre auch ohne seine Schmierereien gut gewesen, sehr gut sogar. Deine Art der Darstellung ist einmalig, gerade ohne die Emotionen sind deine Artikel fantastisch, das weißt du auch. Ich bin gespannt auf die Begründung. Wenn dasteht, dass die Besonderheit in der sachlichen und absolut objektiven Berichterstattung liegt, bist du dran. Dann werden wir nicht stillhalten. Ry, wir sind deine Freunde! Du solltest aber für dich selbst einstehen, nicht einfach zurückstecken. Dein perfektes Recherchieren in allen Ehren, aber es gibt auch noch ein Leben außerhalb. Du hast diesen Preis verdient und das weißt du. Nimm ihn dir, Mann!“ Es klickte und das Radio setzte wieder ein.
Ryan stellte es ab. Er wollte jetzt keine Musik hören. Stattdessen wollte er für einen kleinen Moment genießen, dass sein Artikel nominiert worden war für einen der ganz großen Awards, den National Journalism Award. Kein Preis nur innerhalb von Philadelphia oder Pennsylvania, sondern staatenweit. Der hatte schon Gewicht, stand kurz hinter dem Pulitzer.
Langsam beruhigte er sich wieder und fand zurück zu seinem üblichen Pulsschlag. Wenn sein Redakteur der Ansicht war, er hätte mehr dazu beigetragen, dann sollte das wohl so sein. Überhaupt ging es hier doch nur um Eitelkeit, und eitel war er wahrlich nicht. Auch nicht ehrgeizig. Warum auch? Er tat das, was er wollte, nämlich recherchieren, berichten, Menschen helfen.
Maisie war so ein Mensch. Sie war bekannt, immerhin hatte sie bereits über eine Million Follower. Aber bei einer Einwohnerzahl der USA von 328 Millionen und sogar 2,5 Milliarden Menschen auf der Welt, die englisch sprachen, waren das viel zu wenig. Hier ging es um mehr. Maisie riss die Menschen mit, sie sprach offen, gab ihnen Tipps, die wirklich halfen. Er hatte sich einige ihrer Folgen angehört. Sie war fantastisch. Schlicht, glaubhaft, empathisch, intelligent, mitreißend.
Und hübsch und sexy.
Woher kam das jetzt? Sein Körper hatte auch etwas dazu zu sagen? Das kam überraschend.
Aber ja, sie war hübsch. Das lange Haar, die dunklen Augen, das aparte Gesicht und der Mund mit dieser weichen, fleischigen Unterlippe. Wie sie wohl in echt aussah? Er hatte noch nie mehr von ihr gesehen als der Bereich ab der Brust aufwärts. Der Rest war nie im Bildschirm. Dennoch wirkte sie nicht künstlich, wie er es bei einer YouTuberin erwartet hätte, sondern echt. Natürlich und warm.
Seine Hand wanderte von selbst zur Klimaanlage, stellte sie höher. Er wollte Wärme, aber eine andere als die, die sein Auto ihm verschaffen konnte.
Alles Blödsinn!
Entschlossen fuhr er die Scheibe herunter. Er brauchte Sauerstoff, mehr nicht.
Die kalte Luft, die ihm um die Ohren blies, fegte alle sentimentalen Anwandlungen hinweg.
Kapitel 3
Madison kämmte sich die Haare, bis sie in weichen Locken über ihre Schultern fielen. Um 17.00 Uhr hatte sie einen Termin mit einem Reporter einer Zeitung aus Philadelphia. Wie für einen Dreh war sie perfekt geschminkt. Sie straffte das Shirt mit dem Emblem ihres YouTube-Kanals über die Jogginghose, die niemand je zu sehen bekam, trank schnell noch ein Glas Wasser in der Küche und machte sich auf den Weg nach oben in das ehemalige Kinderzimmer, das sie in ein Aufnahmestudio verwandelt hatte.
Es klingelte.
Sie erstarrte mitten auf der Treppe, einen Fuß noch in der Luft. Sofort raste ihr Herz los. War das wieder dieser selbst ernannte Nachbarschafts-Sheriff, Mr Hanson, der ihr seit Jahren das Leben schwer machte? Er klingelte immer noch regelmäßig, sein selbstgerechter Zorn ließ einfach nicht nach, vielleicht gab es dafür kein anderes Ziel in ganz Frost Creek. Früher hatte Maddy ihm geöffnet und sich seine Tiraden angehört, was er gedachte, mit ihrem Dad zu tun, sobald er ihn in die Finger bekam. Seit sie nicht mehr aufmachte, bollerte er nur an die Tür und rief Beleidigungen gegen Maddys Dad.
Sie hasste den Kerl inständig, aber sie konnte nichts gegen ihn tun. Sie hatte anfangs mal die Polizei gerufen, aber in deren Beisein hatte er nicht gedroht, sondern behauptet, er wolle nur nach Maddy sehen und dass ihr auch nichts fehlte.
Also hatte sie nie wieder die Cops angerufen und es ausgesessen, zusammengekauert unter dem Fenstersims, damit er nicht sah, dass sie zu Hause war.
Ihr Herz schlug immer noch Stakkato, sie konnte es nicht verhindern, wie immer, wenn es klingelte. Selbst wenn sie wusste, dass es der Postbote war oder der Fahrer des Lieferdienstes, der ihr die Pakete brachte.
Aber sie hatte nichts bestellt. Und die Post kam viel früher.
Sie würde nicht öffnen, ganz einfach. Sie stieg zwei Stufen nach oben.
Es klingelte erneut.
Aber das bekannte Bollern an der Tür blieb aus. Eine neue Masche?
Egal, sie musste zu ihrem Meeting.
Ein zweifaches Klingeln, ring-ring.
Shit. Wie sich das wohl anhören würde bei dem Videotelefonat? Sie schaute auf die Uhr. Schon Punkt fünf, der Mann wartete vermutlich schon. Aber der Raum war nicht völlig schalldicht, das Klingeln konnte man auf jeden Fall hören.
Ihr blieb keine Wahl. Maddys Magen krampfte auf dem Weg nach unten. Die Kette lag vor, wie immer, also öffnete sie die Tür einen Spalt.
„Miss Cox? Ryan Hughes. Wir haben einen Termin.“
Er klang ungeduldig, was die Situation nicht verbesserte. Normalerweise war Madison recht schnell im Denken, aber hier versagte sie. Ryan Hughes wartete dort oben am anderen Ende des Videocalls, nicht vor ihrer Tür.
„Haben Sie mich vergessen, Miss Cox?“
„Nein, aber …“ nur langsam sickerte die Tatsache ein, dass dies der Reporter war, mit dem sie jetzt sprechen wollte. Aber doch nicht in echt! „Wieso sind Sie hier?“
„Weil wir verabredet sind.“
Sie hörte seiner Stimme an, dass er gerade alles überdachte, was er je von ihr und über sie gehört hatte. Oh Mann. Sie wirkte aber auch wirklich wie eine minderbemittelte Pute. „Aber doch nicht so!“ Nein, das war nicht viel besser. „Ich wollte gerade ins Studio, um mit Ihnen den Videocall zu machen. Wieso sind Sie hier?“
Jetzt war er still. Für ungefähr zehn Sekunden. „Miss Cox, hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Meinen Sie, Sie könnten mich einlassen? Es ist ziemlich kalt hier draußen und ich kann Sie nicht sehen.“
Kein Wunder. Sie hatte drinnen kein Licht eingeschaltet. Auch das Licht vor der Tür ging nicht mehr und sie hatte es mit Absicht nicht repariert. Warum jemandem den Weg weisen, dem sie insgeheim wünschte, er würde sich den Hals brechen?
Zu ihr kam sonst niemand, nicht mal die Kinder an Halloween. Sie machte sowieso nicht auf.
Aber ihn einlassen? Nein, unmöglich. Madison schaute an sich herab. Völlig unmöglich. Unter der Jogginghose schauten die Katzenpuschen hervor, unter dem Shirt trug sie nur einen alten und extrem bequemen BH.
„Nein, kann ich nicht“, antwortete sie endlich. „Ich bin nicht vorbereitet.“
Wieder herrschte für drei Herzschläge Stille draußen. Madison versuchte, etwas zu erkennen, aber sie sah nur eine Daunenjacke, einen hellen Fleck, der vermutlich sein Gesicht darstellte und darüber wildes Gewuschel. Eine Mütze mit Bommel vermutlich.
„Miss Cox“, er hörte sich an, als würde er einer Verwandten eine Todesnachricht bringen, „wir sind für 17.00 Uhr verabredet. Inzwischen ist es 17.06 Uhr. Unsere Zeit läuft also. Ich bin von Philadelphia aus hierher gefahren und habe vom Bürohaus des Inquirer aus genau 7 Stunden und 14 Minuten gebraucht, damit 2 Stunden und 22 Minuten länger als von Google Maps vorgegeben. Mit einem Verlust von 45 Minuten hatte ich gerechnet, immerhin musste ich durch New York fahren, aber die restlichen 97 Minuten habe ich auf Baustellen vertan und vor allem durch das Wetter, die schlechten Straßenverhältnisse und die Glätte, die beides zusammen ergab. Meinen Sie nicht, ich hätte ein Recht darauf, nun auch den vereinbarten Termin mit Ihnen wahrnehmen zu können?“
Spontan drückte Madison die Tür zu, die mit einem lauten Klacken ins Schloss fiel. Sie konnte ihn nicht einlassen! Was mit Herzklopfen begonnen hatte, wuchs sich langsam zu echter Panik aus.
Er klopfte an die Tür.
Ihre Aufnahme vom letzten Mal fiel ihr wieder ein. Du bist mein Vorbild, hatte jemand geschrieben. Ja klar. Ein Vorbild dafür, sich zu verstecken.
Erneutes Klopfen.
Für eine Sekunde lehnte sie die Stirn an die Tür. Du schaffst das, Maddy. Du schaffst das!
Zögernd entfernte sie die Kette und öffnete die Tür für ihren Besucher.
Er trat ein und brachte Kälte mit. Früher war sie selbst so von draußen herein gekommen. Kälte ausströmend, durchgefroren, wenn wieder einmal der Winter Frost Creek fest im Griff hatte. Dann hatte ihre Mutter auf sie gewartet mit einem heißen Kakao und ein paar Keksen. „Du brauchst keine Angst vor dem Winter zu haben, solange der Schnee nicht auf deiner Decke liegt“, hatte sie jedes Mal gesagt. Ein altes irisches Sprichwort.
Später kam Vater von der Arbeit und brachte erneut eine Welle von Kälte mit …
Stopp. Falsch abgezweigt.
„Gibt es hier auch Licht?“, fragte die Stimme, die jetzt ganz eindeutig zu dem Mann vor ihr gehörte.
Mit dem Druck auf den Schalter schien auch Madisons Denkfähigkeit wieder aktiviert worden zu sein. Sie drehte sich weg, instinktiv suchte sie die Schatten. Auf einmal überfiel sie Angst, echte, unverfälschte Angst. Wer war dieser Kerl? Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu! Sie hatte ihm gewiss nicht ihre Adresse genannt. „Woher kennen Sie meinen Namen und meine Adresse?“ Ihre Stimme hatte jegliche Modulation verloren. Madison traute sich nicht, ihm in die Augen zu schauen, wie sie schon seit Jahren niemandem mehr in die Augen schaute.
„Miss Cox“, sie hörte deutlich seine Ungeduld. „Ich verstehe Ihr Problem nicht. Wir waren verabredet …“
„Aber nicht in echt!“, fiel sie ihm ins Wort. Endlich fand sie ihren Mut wieder. „Wir sollten miteinander reden, aber doch nicht hier! Und woher wissen Sie, wo ich wohne? Woher kennen Sie meinen echten Namen?“
„Ich bin Reporter.“
Was? Sollte das eine Antwort sein? „Ja und?“
„Ich bitte Sie, ich weiß Ihren Firmennamen und der Staat war nicht so schwer herauszufinden. Ihr New Hampshire-Akzent ist nicht zu überhören.“ Er musste etwas in ihrer Miene gelesen haben, weil er schnell anfügte: „Der lässt sie sehr nett rüberkommen, authentisch auch. Überzeugend, echt.“
„Und das reicht, um meine Adresse herauszubekommen?“
„Natürlich, ein Anruf bei der Steuerbehörde genügt.“
Ihr wurde schlecht. Nein, ihr war schon vorher schlecht gewesen und das fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Sie hatte so viel Mühe darauf verwendet, ihre Herkunft zu verschleiern. Niemand sollte sie mit den Vorfällen in Verbindung bringen! Aber anscheinend war ihr Geheimnis nur einen Anruf tief verborgen.
„Geht es Ihnen nicht gut? Maisie – darf ich Maisie sagen? Willst du dich setzen? Wo geht es in die Küche? Ein Glas Wasser würde vielleicht nicht schaden. Oder eine Tasse Tee.“
„Kaffee“, krächzte sie. Sie trank seit Jahren nur noch Kaffee. Der Geruch des Tees erinnerte sie zu stark an früher.
Kapitel 4
Ryan wunderte sich. Warum war sie so abweisend? Hatte sie wirklich seine Nachrichten so auffassen können? Vermutlich schon. Er ging sie in Gedanken durch. Ja, sie hatten neutral von einem Gespräch gesprochen, aber das wurde ja für alle Arten von Treffen benutzt. Es ärgerte ihn, dass ihm das entgangen war. In Zukunft würde er darauf achten müssen.
Doch jetzt war etwas anderes wichtiger, viel wichtiger.