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Die schönsten Weihnachtswunder geschehen in Frost Creek.
Mehr als fünfzehn Jahre lang hat die erfolgreiche Brokerin Carly Gould den einzigen Ort gemieden, an dem sie als Kind und Teenager wirklich glücklich war. Nun zwingt sie das Testament ihrer Großtante Pansy dazu, ins weihnachtliche Frost Creek zurückzukehren. Das Erbe ist allerdings an einige Bedingungen geknüpft - und der mürrischste Rechtsanwalt des Ortes muss deren Einhaltung kontrollieren. Doch von dem lässt Carly sich nicht beeindrucken, da kann es zwischen ihnen noch so sehr knistern.
Wenn es nach Liam Hassett geht, gehört Carly einfach nicht in diese Stadt. Doch er hat Pansy auf dem Sterbebett versprochen, ihre Großnichte in allen Belangen zu unterstützen und Carly sogar zum alljährlichen Winterball zu begleiten. So schlittert er von einem Dilemma ins nächste und ehe er sich dagegen wehren kann, entfaltet Frost Creek seine volle Weihnachtsmagie.
288 Taschenbuchseiten.
Dies ist Band 3 von Frostmagie Staffel 2, er kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden.
Verbringt mit uns ein Jahr voller romantischer Frostmagie-Geschichten - Gruselige Spannung zu Halloween, die winterliche Magie von Weihnachten, Gefühlvolles zum Valentinstag und tiefe Emotionen am 4. Juli.
Willkommen zurück in Frost Creek!
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Buchbeschreibung:
Die schönsten Weihnachtswunder geschehen in Frost Creek.
Mehr als fünfzehn Jahre lang hat die erfolgreiche Brokerin Carly Gould den einzigen Ort gemieden, an dem sie als Kind und Teenager wirklich glücklich war. Nun zwingt sie das Testament ihrer Großtante Pansy dazu, ins weihnachtliche Frost Creek zurückzukehren. Das Erbe ist allerdings an einige Bedingungen geknüpft - und der mürrischste Rechtsanwalt des Ortes muss deren Einhaltung kontrollieren. Doch von dem lässt Carly sich nicht beeindrucken, da kann es zwischen ihnen noch so sehr knistern.
Wenn es nach Liam Hassett geht, gehört Carly einfach nicht in diese Stadt. Doch er hat Pansy auf dem Sterbebett versprochen, ihre Großnichte in allen Belangen zu unterstützen und Carly sogar zum alljährlichen Winterball zu begleiten. So schlittert er von einem Dilemma ins nächste und ehe er sich dagegen wehren kann, entfaltet Frost Creek seine volle Weihnachtsmagie.
Über den Autor:
Gestatten? Katie McLane.
Musik im Blut, Pfeffer im Hintern, Emotionen im Herzen, prickelnde Geschichten im Kopf.
Ich lebe mit Mann, Maus und Hund im Herzen NRWs und schreibe Romance für alle Sinne.
Fast alle meine Liebesromane spielen in New York, meiner absoluten Traumstadt.
Sie drehen sich um dominante Männer und starke Frauen.
Sind leidenschaftlich, sinnlich und erotisch.
Voll prickelnder Lust, überwältigendem Verlangen und absoluter Hingabe.
Und sie treffen mit all ihren Emotionen mittens ins Herz - bis zum Happy End.
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https : // www . Katie - McLane . de / Katies - Herzenspost
Frostmagie - Zuckerkuss und Weihnachtswunsch
Von Katie McLane
Impressum
1. Auflage, 2021
© Katie McLane – alle Rechte vorbehalten.
Cover: Grace C. Stone
Lektorat: Franziska Schenker
Katie McLane
c/o easy-shop
K. Mothes
Schloßstr. 20
06869 Coswig (Anhalt)
www.katie-mclane.de
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Zustimmung der Autorin zulässig.
Die unerlaubte Verbreitung des E-Books ist untersagt und Diebstahl geistigen Eigentums, also strafbar. Darüber hinaus drohen zivilrechtliche Konsequenzen wie Schadenersatzansprüche.
Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
»Hope« - Kim Wilde
»Baby, it’s cold outside« – Idina Menzel feat. Michael Bublé
»Yule Shoot Your Eye Out« – Fall Out Boy
»Rudolph« – Robbie Williams
»Every Day’s Like Christmas« – Kylie Minogue
»Wonderful Dream« – Melanie Thornton
»December Song« – George Michael
»Let It Snow« – Boyz II Men
»In Dulci Jubilo« – Mike Oldfield
»The Power of Love« – Franky Goes To Hollywood
Lautes Brummen von ihrem Nachttisch holte Carly unsanft aus dem Schlaf. Mit einem unwilligen Murren zog sie sich die Decke über den Kopf und zählte mit, bis die Mailbox das Telefonat entgegennahm. Erleichtert seufzte sie auf und entspannte sich.
Leider ging das Ganze wenige Sekunden später wieder von vorne los. Es folgte ein drittes, sogar viertes Mal.
Schließlich tastete sie nach ihrem Smartphone und nahm es mit unter die Decke. Öffnete ein Auge, um das Gespräch anzunehmen, und hielt sich das Telefon ans Ohr.
»Hmmm?«
»Entschuldigen Sie, bitte. Wer spricht da?«
»Musst du doch wissen«, quetschte sie genervt zwischen den Zähnen hervor.
»Nun, ich habe die Nummer von Carly Gould gewählt. Sind Sie das?«
»Mmh.«
»Wie nett.« Der Typ am anderen Ende der Leitung klang ähnlich gereizt, wie sie sich von ihm gestört fühlte.
»Was wollen Sie?«
Er atmete hörbar ein. »Mein Name ist Liam Hassett von Hassett & Brown, Frost Creek. Wir versuchen seit drei Wochen, Sie zu erreichen.«
Liam Hassett? Frost Creek? Irgendetwas regte sich in ihrem Hinterkopf, verflüchtigte sich aber genauso schnell wieder in dem grauen Wattenebel.
Scheiße, wie viel hatte sie letzte Nacht eigentlich getrunken?
»Und weswegen?«
»Wir haben Sie angeschrieben, wegen des Todes Ihrer Großtante Pansy.«
Carly riss die Augen auf, presste die Lider aber sofort wieder zusammen. Blinzelte, bis sie sich an die Lichtverhältnisse unter der Decke gewöhnt hatte. Die Information traf sie wie ein Vorschlaghammer in die Brust, ihr Herz klopfte heftig.
»Tante Pansy ist tot? Wie? Wann? Warum?«
Der Kerl schnaubte. »Wenn Sie Kontakt gehalten hätten, wüssten sie es. Außerdem hätte Pansy ihren letzten Weg dann nicht allein gehen müssen, ohne eine geliebte Person, die ihre Hand hält. Sie ist vor drei Wochen verstorben, wir haben Sie bezüglich der Beerdigung informiert.«
»Moment!« Sie schlug die Decke zur Seite und drehte sich auf den Rücken, rieb sich über die Stirn. »Wie haben Sie mich informiert?«
»Schriftlich.«
»Das ist unmöglich, ich habe nichts bekommen.«
»Der Kurierdienst hat den Einwurf in Ihren Briefkasten dokumentiert. Auch für das Schreiben zur Testamentseröffnung vor zwei Wochen. Am besten schauen Sie mal in den Mülleimer, in dem Sie Ihre ungelesene Post entsorgen.«
»Haben Sie meine Eltern informiert?«
»Nein, warum sollten wir?«
»Nun, ja ... Pansy ist ... war die Tante meines Vaters.«
»Das weiß ich, trotzdem geht es nur um Sie.«
»Okay.« Carly seufzte und legte den Unterarm über ihre Augen. »Sie ist tot, das tut mir leid. Aber was habe ich nun damit zu tun?«
»Ich habe Sie zur Testamentseröffnung eingeladen, mehr darf ich Ihnen am Telefon nicht sagen.«
»Na, bestens! Und wann ist diese Eröffnung?«
»Sie wäre gestern gewesen.«
»Oh.«
»Ich gebe Ihnen aber eine letzte Chance.«
»Das heißt was?«
»Sie kommen am Samstag, zehn Uhr, in meine Kanzlei.«
»Kommenden Samstag? Nach Thanksgiving?«
»Genau.«
»Da kann ich nicht, da muss ich zu meiner Familie nach Kalifornien.«
»Ach, und Pansy war kein Teil Ihrer Familie?«
Verärgert runzelte sie die Stirn. »Was erlauben Sie sich?«
Sie hörte ihn einatmen, wieder ausatmen, dann sprach er ruhiger weiter. »Am Samstag haben Sie die letzte Möglichkeit, danach kann ich nichts mehr für Sie tun.«
»Und was passiert, wenn ich Ihrem Büro fernbleibe?«
»Dann geht das Erbe in den Eigentum von Frost Creek über.«
Eine Erinnerung blitzte in ihrem Kopf auf, Oma und Pansy, sie und ihre jüngere Schwester Glyn. Sie standen lachend in der Küche und stellten Limonade her.
Die Bilder lösten etwas in ihr aus, die Andeutung von Wärme, Fröhlichkeit, Zuneigung und Glück. Ein Hauch von Zuhause.
Daraufhin regte sich Widerstand in ihrem Innern, was immer da auf sie wartete, sie würde es sich anhören.
»Okay, ich komme.«
»Wie schön. Wie gesagt, zehn Uhr, in meinem Büro. Hassett & Brown, Frost Creek.«
»Ich werd’s mir merken«, erwiderte Carly mit beißendem Unterton.
»Das hoffe ich für Sie. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Sonntag.«
»Auch so«, meinte sie, doch die Leitung war bereits tot.
»Arschloch«, murmelte sie und schob das Handy wieder auf den Nachttisch. Griff aber erneut danach und schaute auf die Uhrzeit. Kurz nach elf.
Mit einem Stöhnen warf sie es zurück und rieb sich über das Gesicht.
»Fuck, warum machst du so einen Krach?«, erklang es da von links.
Erschreckt wandte sie den Kopf und starrte auf das, was sie von dem Kerl erkennen konnte. Dunkles wuscheliges Haar, gut gebauter Oberkörper, das halbe Gesicht mit Bartstoppeln an Kiefer und Kinn.
Scheiße, warum war der noch hier? Und wie hieß er eigentlich?
»Hatten wir nicht vereinbart, dass du nach dem Sex verschwindest?«
»Kann sein. Hast du ein Problem damit?«
»Ja. Sieh zu, dass du Land gewinnst.« Sie rollte sich aus dem Bett, stieg über ihre Klamotten der letzten Nacht und nahm ihren Satinkimono vom Stuhl.
»Kann ich wenigstens kurz unter die Dusche?«
»Nein. Und eine Zahnbürste habe ich genauso wenig für dich.« Sie schlüpfte hinein und band den Gürtel zu.
»Mann, ich hasse solche Weiber.« Mit einem Grummeln stand er auf und kam um das Bett herum, fand seine Boxershorts und zog sie an.
»Und ich hasse Kerle, die Abmachungen ignorieren.«
»Letzte Nacht hattest du nicht so viel zu meckern.«
Fuck, sie konnte sich kein bisschen daran erinnern! Das war scheiße, normalerweise verlor sie niemals die Kontrolle, auch nicht nach ein paar Drinks.
In der Regel gab es für sie nur eine Option – zu viel Alkohol oder Sex.
Sie hatte keine Ahnung, was gestern Abend passiert war, aber das durfte sich nie und nimmer wiederholen. Hoffentlich war sie wenigstens auf ihre Kosten gekommen.
Egal, sie schuldete ihm eine Antwort. »Zum Glück, sonst hätte ich dich schon früher rausgeschmissen.«
Mit einem Grinsen schob er die Arme in die Hemdsärmel und fing an, die Knopfleiste zu schließen. »Du hast mich geritten wie ein Cowgirl, Baby. Und deine Nachbarn hatten ebenfalls etwas davon.«
»Die sind dieses Wochenende verreist.«
»Wie auch immer ...« Er zog seine Hose an, schloss Reißverschluss sowie Knopf und stopfte das Hemd hinein. »Meine Nummer hast du ja, du kannst mich gerne anrufen, wenn du wieder Lust auf einen wilden Ritt hast.«
»Mal sehen.« Carly verschränkte die Arme unter der Brust und schaute ihm dabei zu, wie er Socken und Schuhe anzog. Dann stand er auf und sah sich um, pflückte die restlichen Kleidungsstücke – ihre – vom Boden und warf sie auf das zerwühlte Bett.
»Suchst du etwas?«
»Meine Jacke.«
»Finden wir bestimmt an der Garderobe.« Sie ging voran und entdeckte die Lederjacke genau dort, nahm sie vom Haken und hielt sie ihm entgegen. »Hier. Und jetzt hau ab.«
»Ist ja gut, ich hab’s verstanden.« Er riss ihr die Jacke aus der Hand und verließ ihr Apartment, knallte die Tür hinter sich zu.
»Was für eine Diva!« Sie verdrehte die Augen. Diese Reaktionen kannte sie zu Genüge, bei neunzig Prozent ihrer Bekanntschaften kratzte es heftig am Ego, nach dem One-Night-Stand so abserviert zu werden. »Als ob sie es anders machen würden.«
Sie tappte ins Bad, kontrollierte den Mülleimer und fand ein benutztes Kondom. Erleichterung durchflutete sie, wenigstens etwas. Gleich darauf schwor sie sich erneut, sich das nächste Mal besser im Griff zu haben. Solche Lässigkeiten galt es zu vermeiden, sonst wäre über Nacht alles dahin, was sie sich aufgebaut hatte.
Schnell ließ sie den Kimono zu Boden gleiten und stieg unter die Dusche, drehte das Wasser auf eine angenehm heiße Temperatur und seufzte wohlig auf, entspannte sich.
Irgendwann rotierten einzelne Begriffe durch ihr gemartertes Hirn – Pansy, tot, Testament, Frost Creek -, doch sie schob das zur Seite und konzentrierte sich auf ihre Autosuggestion, um den Kopf zu leeren. Sie würde sich später mit dem Anruf und den Konsequenzen auseinandersetzen.
Danach schlüpfte sie in einen kuscheligen Hausanzug und lief in dicken Socken in ihre Küche, den Handtuchturban auf dem Kopf. Sie schaltete den Kaffeevollautomaten ein und warf einen Blick auf die Stadt, das kalte, nebelige Grau zwischen und über den Wolkenkratzern. Mal sehen, ob sie sich später dazu aufraffen konnte, ins Fitnessstudio zu gehen.
Carly kochte sich eine Portion Porridge, schnippelte frisches Obst hinein und setzte sich mit der Schale sowie einem großen Kaffee an den Hochtisch.
»Alexa, spiel WNYC-FM.«
Der Radiosender startete und bei halbwegs guter Musik genoss sie ihr Frühstück. Löffel für Löffel erwachte sie zum Leben und der Dunst in ihrem Hirn lichtete sich. Am Ende brühte sie sich einen zweiten Kaffee auf und setzte sich wieder an den Tisch. Hielt die Tasse mit beiden Händen und nippte an dem starken Gebräu, während sie aus dem Fenster starrte, den Blick nach innen gerichtet.
Großtante Pansy war also vor drei Wochen verstorben, ganz allein in ihrem Haus in Frost Creek. Und nicht einmal ihr Vater hatte es für nötig gehalten, sich dort blicken zu lassen. Abfällig verzog sie den Mund. Gott, das war so typisch für ihn!
Sommer wie Winter hatte er sie und Glyn in Frost Creek abgeladen, um Zeit für seine Arbeit zu haben. Im ersten Jahr hatten sie es gehasst, danach geliebt, bis zum Ende er Highschool.
Sie runzelte die Stirn und versuchte, sich an Einzelheiten zu erinnern, doch so tief sie grub, es misslang. Nur das Wohlgefühl von damals konnte sie ansatzweise heraufbeschwören.
Es musste Jahre her sein, dass sie das letzte Mal die Kleinstadt mitten in der Unendlichkeit von New Hampshire besucht hatte, und zwar ... ja, genau, nachdem ihre Großmutter gestorben war. In ihrem ersten Jahr an der Universität.
Carly schluckte. Scheiße, das war sechzehn Jahre her.
Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Nein, sie hatte sich nichts vorzuwerfen, es wäre die Aufgabe ihres Vaters gewesen, sich um Tante Pansy zu kümmern. Sie hatte sich auf das Studium konzentriert, Bachelor und Master-Abschluss, danach diverse Fachqualifizierungen. Ihr Ziel erreicht, in zweierlei Hinsicht.
Sie schnaubte und schüttelte den Kopf, sie hatte keine Lust auf diese Gedanken. Es gab einiges zu tun.
Deshalb räumte sie Schale sowie Tasse in die Spülmaschine und ging zu dem schmalen Schreibtisch unterhalb des rechten Wohnzimmerfensters, auf dem jedes Wochenende ihr Arbeitslaptop stand. Sie zog den gepolsterten Armlehnstuhl darunter hervor, ließ sich hineinsinken und stellte den Papierkorb zwischen ihre Füße. Wühlte den gesamten Inhalt durch und fischte erst einmal sämtliche Briefumschläge heraus, geöffnet wie verschlossen. Dann schaute sie sich jeden einzelnen genau an und fand tatsächlich die beiden Briefe, die dieser Typ am Telefon erwähnt hatte. Ungeöffnet.
Der jeweils dicke cremefarbene Umschlag trug links oben den fast schon unauffälligen Absender, kein Logo oder Sonstiges. Ihre Adresse klebte in Form eines ausgedruckten Etiketts auf dem Papier. Nun, da war sie wohl zu flüchtig gewesen.
Mit dem kleinen Finger riss sie die Lasche auf und zog einen passenden cremefarbenen Briefbogen heraus, bedruckt mit einem Standardgeschäftsbrief. Sie überflog den Text, die Einladung zur Testamentseröffnung, die eine Originalunterschrift in schwarzblauer Tinte trug. Die markanten Buchstaben wurden von signifikanten Anfangsbuchstaben dominiert, was sie grinsen ließ, denn die Unterschrift ihres Vaters sah ähnlich aus. Anscheinend besaß auch Liam Hassett ein ausgeprägtes Ego.
Carly legte den Brief beiseite und öffnete den zweiten Umschlag. Das Beileidsschreiben zum Tod ihrer Großtante war zwar elegant und zurückhaltend formuliert, doch irgendwie spürte sie eine persönliche Note hinter den Worten. Hatte dieser Rechtsanwalt Pansy näher gekannt?
Nun, so ungelegen das alles kam, sie würde es offenbar selbst herausfinden und nach Frost Creek fahren müssen.
Mit einem Seufzen warf sie einen Blick auf die Uhr, gleich halb eins, also halb zehn in Los Angeles. Ihre Mutter würde erst mittags dort landen, insofern blieb ihr noch ein wenig Zeit, um sich auf ein Gespräch vorzubereiten. Sie musste den beiden schonend beibringen, dass sie diesmal nicht zu Thanksgiving bei ihnen sein würde. Was in den letzten fünf Jahren nie vorgekommen war.
Sie schrieb ihrer Schwester eine Nachricht und bat um ein Skype-Treffen am Abend. Dann zog sie sich um und fuhr ins Fitnessstudio. Auf dem Laufband konnte sie am besten planen.
Selbst auf dem Weg nach Concord, eine Stunde später, spukte ihm das Telefonat weiterhin durch den Kopf.
»Was für eine arrogante Pute«, murmelte Liam zum wiederholten Mal und biss die Zähne zusammen. Zwang sich, seine Konzentration wieder aufs Fahren zu lenken. Die Eintönigkeit der Landstraße verleitete ihn viel zu leicht dazu, seine Gedanken schweifen zu lassen, und wenn er nicht aufpasste, würde er in einem der Schneewälle landen, welche die Räumfahrzeuge am Straßenrand aufgetürmt hatten.
Auf der Interstate 89 wurde es dann besser und schließlich bog er über die 93 auf den Highway 3 ab. Als er vor dem Ichiban vorfuhr, blieben ihm zehn Minuten bis zur verabredeten Zeit, doch auf dem Parkplatz erkannte er bereits Cibills quietschgelben Mini-SUV von Cadillac und parkte direkt daneben. Für gewöhnlich sah er darüber hinweg, dass sie diesen Spritfresser fuhr, aber heute regte ihn auch das auf.
Er stieg aus, verriegelte seinen elektrischen SUV von Mercedes und ging um ihren Wagen herum, öffnete ihr die Fahrertür.
»Hallo, Liam.« Sie lächelte ihn an, nahm ihre Handtasche vom Beifahrersitz und stieg aus. Wie immer war sie elegant, aber auffällig gestylt, trug zu ihrem brünetten Kurzhaarschnitt einen senfgelben Wollmantel.
»Hallo, Cibill.« Er schlug die Tür zu und begrüßte sie mit einem Wangenkuss.
Sie musterte ihn mit zur Seite geneigtem Kopf, verriegelte den Wagen. »Ist dir etwas über die Leber gelaufen?«
»Eine versnobte Erbin«, entfuhr es ihm, doch dann seufzte er und winkte ab. »Lass uns nicht darüber reden, das würde uns nur die Laune verderben.«
»Genau.« Sie hakte sich bei ihm ein und schob ihn zum Eingang. »Ich freue mich nämlich schon die ganze Woche auf den Tepanyaki-Tisch und unsere gemeinsamen Stunden. Und ich habe uns einen Kuchen besorgt, aus der Bäckerei, die du so magst. Als zweites Dessert«, ergänzte sie mit laszivem Unterton.
Liam musste schmunzeln, er mochte es, dass diese im Job so skrupellose Anwältin im Privaten eine weiche, devote Frau war. Und stets auf sein Wohlbefinden bedacht. Ein netter Nebeneffekt ihres Arrangements, der ihn immer wieder besänftigte.
So wie heute. Deshalb schob er alles andere beiseite und widmete ihr seine volle Aufmerksamkeit. Beim Essen unterhielten sie sich über ihre Fälle der letzten zwei Wochen, Ereignisse und Begebenheiten. Danach fuhren sie zu Cibill und gaben sich dem Hauptaspekt ihrer fast ein Jahr alten unverbindlichen Übereinkunft hin, dem Ausleben ihrer sexuellen Bedürfnisse.
Am Nachmittag genossen sie den Kuchen auf Cibills Sofa, die Füße auf dem niedrigen Couchtisch abgelegt, während im Fernsehen irgendeine Handwerkersendung lief.
»So.« Cibill legte die Gabel auf den leeren Teller und stellte ihn auf dem Tisch ab. »Nachdem du jetzt vollkommen entspannt bist, magst du mir bestimmt von der versnobten Erbin erzählen, die dich heute Vormittag schon geärgert hat.«
Liam seufzte. »Eigentlich ist sie es nicht wert.«
»Komm schon, das ist besser, als es in dich hinein zu fressen.«
Er aß den letzten Bissen und platzierte seinen Teller neben ihrem, lehnte sich mit der großen Tasse Kaffee wieder zurück. »Okay, aber wo fange ich am besten an?«
»Vielleicht bei der verstorbenen Person?«
Er nickte und trank einen Schluck. »Es geht um den Nachlass von Pansy, der Nachbarin meiner Eltern. Sie ist vor drei Wochen gestorben, das habe ich dir erzählt.«
»Ja.«
»Die Erbin ist ihre Großnichte, die Frost Creek seit dem Tod von Pansys Schwester gemieden hat. Das ist jetzt sechzehn Jahre her, glaube ich. Ich habe sie angeschrieben, wegen der Beerdigung und noch einmal wegen der Testamentseröffnung, keine Reaktion. Also habe ich sie heute angerufen und ihr für Samstag die letzte Chance gegeben.«
»Und?«
»Sie will kommen, aber ... scheiße, du hättest sie am Telefon erleben sollen. So arrogant und ... kalt, dass ich sie am liebsten durchs Telefon gezogen hätte, um ihr ordentlich den Hintern zu versohlen.«
»Hast du sie vorher schon mal gesehen? Damals?«
»Ja, sie und ihre Schwester haben die Carmichaels jahrelang in den Sommer- und Winterferien besucht. Und mit jedem Jahr wurden sie nerviger.«
»Gib’s zu, sie haben für dich geschwärmt.« Cibill stieß ihn mit dem Ellbogen in die Seite.
»Schwachsinn. Sie sind mir auf den Sack gegangen, wie es kleine Schwestern eben tun. Sie haben mich einfach nur genervt, wenn ich mich um den Garten gekümmert oder im Haus gearbeitet habe. Seit der Highschool haben die Carmichaels mir regelmäßig Arbeit gegeben.«
»Klingt, als hättest du eine gute Beziehung zu den alten Damen gehabt.«
»Ja, die hatte ich. Sie waren wie meine eigenen Großmütter. Deswegen hat es mir auch so leidgetan, dass die Mädchen einfach weggeblieben sind. Das Schlimmste ist, dass Pansy die Hoffnung bis zuletzt nicht aufgegeben hat. Sie hat sich sogar für das Testament etwas einfallen lassen, um ihre Großnichte wieder für Frost Creek zu gewinnen.«
»Und was?«
»Du weißt, dass ich darüber schweigen muss.«
»Ja, schon gut.« Sie lachte leise.
»Aber ich bin nah dran zu hoffen, dass sie das Erbe direkt ausschlägt.«
»Warum?«
»Weil ich, verdammt noch mal, mit drinhänge.«
Die Scheinwerfer ihres Leihwagens erfassten das hölzerne Schild am Straßenrand, auf dem in schwungvollen Buchstaben der Schriftzug »Willkommen in Frost Creek« prangte, und Carly nahm automatisch den Fuß vom Gas.
Der Anblick der Tafel löste erneut dieses positive Gefühlswirrwarr aus, das sie nach dem Telefonat mit dem Rechtsanwalt bei einer Erinnerung verspürt hatte. Doch gleich darauf schob sich ein anderes Bild vor ihr inneres Auge. Ihre Eltern auf den Vordersitzen ihrer teuren Limousine, wie sie sich angifteten, während sie zu Oma und Tante Pansy fuhren. Sie und ihre jüngere Schwester tauschten einen genervten Blick und schauten wieder aus den Fenstern.
Sie blinzelte und konzentrierte sich auf die Landstraße, zu deren Seiten sich Schneeberge türmten. Eine Szene, die sie als New Yorkerin selten zu Gesicht bekam, denn wenn es am Big Apple mal einen Schneesturm gab, so wie zu Beginn des Jahres, legte der die gesamte Stadt lahm und es wurde der Notstand ausgerufen.
Hier dagegen wirkte es, als ob es von Oktober bis April kein anderes Wetter geben würde. Nicht zu vergessen die Schneegarantie zu Weihnachten. Das allerdings hatte sie ebenfalls vor über zehn Jahren zum letzten Mal erlebt, seitdem schien der Schnee an diesen besonderen Tagen einen Bogen um New York zu machen.
Mit einem Seufzen schaute sie auf den Monitor in der Mitte des Armaturenbretts, nur noch wenige Kilometer bis zum Hotel. Vor dem Ortskern musste sie dafür rechts abbiegen, fuhr in einen dichten Wald ein.
Die Dunkelheit schien sich zu vertiefen, also blendete sie die Scheinwerfer auf und betrachtete die Umgebung mit einem mulmigen Gefühl. Großer Gott, wo war sie nur gelandet?
Zwischendurch wies ein Schild Richtung Tierarzt, ein Stück dahinter ein weiteres zum Forrest Pond. Etwas kratzte am Rande ihres Bewusstseins, doch bevor sie sich darauf konzentrieren konnte, meldete sich die Stimme des Navigationssystems.
»In einer Meile biegen Sie rechts ab, danach haben Sie Ihr Ziel erreicht.«
Carly verlangsamte das Tempo und setzte den Blinker, sobald sie das Hinweisschild zum Frost Creek Inn wahrnahm. Sie bog in die Straße ab, die in einer Kurve auf das voll erleuchtete elegante Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert zu führte. Auf der Homepage stand, dass es das einzige Hotel der Stadt und inzwischen überregional bekannt war, besonders für die exzellente Küche. Und es war im letzten Frühjahr komplett renoviert worden, demnach konnte sie sich auf eine angemessene Unterkunft freuen, wenn auch nur für zwei Nächte.
Im Gegensatz zu Straße und Auffahrt war der Parkplatz komplett weiß und sie eierte auf ihren hochhackigen Lederstiefeln zum Kofferraum. Der Schnee knirschte unter den Sohlen lauter als ihre Zähne, die sie frustriert zusammenbiss. Warum räumten sie die Zufahrt, ließen die Parkfläche aber außer Acht? Wollten sie Klagen von Gästen riskieren, die auf Schnee oder Eis ausrutschten und sich ein Bein brachen?
Carly öffnete die Heckklappe und schlüpfte als Erstes in ihren grauen Wollmantel, dann nahm sie Handtasche, Laptoptasche und Trolley aus dem Kofferraum und schlug sie wieder zu. Verriegelte den Premium SUV per Knopfdruck, atmete tief durch und machte sich auf den Weg zum Eingang.
Am Empfang wurde sie von einem etwas älteren Herrn begrüßt, sämtliche Formalitäten waren vorbereitet, es fehlte nur ihre Unterschrift.
»Falls Sie eine Kleinigkeit essen möchten, unser Restaurant hat noch eine halbe Stunde geöffnet.«
Das weckte ihr Interesse. »Bieten Sie einen Zimmerservice an?«
»Natürlich. Das hier ist unser Angebot.« Er hielt ihr eine kleine Karte hin und sie staunte beim Durchblättern über die aufgelisteten Köstlichkeiten.
Ihr Magen entschied sich ziemlich schnell. »Dann hätte ich gerne ein Lobster BLT Sandwich und dazu ein Glas von Ihrem roten Hauswein. Ach ja, und eine große Flasche stilles Wasser.«
»Sehr gerne, ich gebe das sofort weiter. Das hier ist Ihre Key Card, Zimmer 209, und Jamie ist Ihnen mit dem Gepäck behilflich.«
Sie drehte sich zu einem jungen Mann um, vermutlich Highschoolschüler im Abschlussjahr, der lächelnd auf sie zu trat. »Guten Abend, Ma’am.«
»Hallo, Jamie.« Carly streckte ihm Trolley sowie Laptoptasche hin, schob den Riemen ihrer Handtasche höher und nahm ihre Key Card in der Papphülle entgegen.
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt.«
»Vielen Dank!« Carly verabschiedete sich mit einem Nicken und folgte Jamie zum Aufzug. Dort ließ er ihr den Vortritt, drückte auf die zwei und postierte sich mit dem Rücken zur Seitenwand.
In ihrem Zimmer angekommen reichte sie ihm ein großzügiges Trinkgeld und wartete, bis er die Tür hinter sich schloss. Erst dann zog sie den Mantel aus, hängte ihn an die Mini-Garderobe und schaute sich um. Der Raum umfasste vielleicht dreißig Quadratmeter und war elegant-mondän eingerichtet, passend zum äußeren Stil des Hotels. Neben dem Queen-Size-Bett gab es einen kleinen Schreibplatz unterhalb des Fernsehers, dem Bett gegenüber, und zwei lederne Cocktailsessel mit rundem Tisch direkt vor dem Fenster. Sie ging hinüber und öffnete es, sog tief die frische, eiskalte Luft ein und bemerkte erst, wie still es draußen war, als es an der Tür klopfte und sie erschreckt zusammenzuckte.
Sie schloss das Fenster und eilte zum Eingang, sah sich erneut Jamie gegenüber.
»Ihr Abendessen, Ma’am.«
»Stellen Sie es bitte auf den Tisch am Fenster.«
Er nickte und arrangierte alles gefällig auf dem Möbelstück, nahm lächelnd zwei weitere Dollar entgegen. »Wenn Sie fertig sind, rufen Sie einfach an, ich hole dann alles wieder ab.«
»Gut, vielen Dank.«
Sie holte das Handy aus ihrer Handtasche und ließ sich am Tisch nieder. Startete mit dem linken Daumen ihr E-Mail-Programm und griff mit der anderen Hand nach einer Hälfte des riesigen Sandwiches. In ihrem Posteingang befanden sich einige ungelesene Nachrichten und sie tippte die erste an, da wurde ihr bewusst, wie köstlich das Abendessen schmeckte.
»Wow!«, murmelte Carly und legte das Smartphone weg, widmete sich voll und ganz diesem grandiosen Genuss. Danach hätte sie am liebsten eine weitere Portion verputzt, doch sie wusste, dass zu viel Essen am Abend ihren Schlaf belastete. Außerdem standen für heute noch ein paar Aufgaben auf dem Plan.
Sie platzierte ihren Laptop auf dem Schreibplatz, nahm den Rotwein mit und arbeitete sich durch ihre E-Mails. Die letzten Nachrichten schaffte sie nur unter Gähnen und Blinzeln, bevor sie die Müdigkeit völlig übermannte.
Unter Aufbietung sämtlicher Disziplin räumte sie ihre Sachen zusammen, ließ das Geschirr abholen und lüftete das Schlafzimmer, während sie im Badezimmer ihre Abendroutine durchführte. Dann kroch sie unter die gemütlichen Daunendecken, löschte das Licht und schlief innerhalb einer Minute ein.
Am nächsten Morgen stieg Carly gegen halb zehn in ihren Leihwagen und hämmerte die Adresse von Hassett & Brown regelrecht ins Navigationsgerät.
Nicht nur, dass ihre teuren Lederstiefel ein hässlicher Schneerand zierte und sie damit eventuell ruiniert waren. Nein, auch ihr Chef hatte sie bereits angerufen und indirekt daran erinnert, warum sie zu den bestbezahlten Angestellten von Stanton Park Capital gehörte. Spätestens am Nachmittag würde sie sich um zwei dringende Angelegenheiten zweier VIP-Kunden kümmern müssen, die Montag früh perfekte Lösungsvorschläge erwarteten. Am besten vor Arbeitsbeginn.
Sie parkte den BMW rückwärts aus, schob den Hebel mit Nachdruck auf D und gab etwas zu viel Gas. Zum Glück griff die ASR ein und verhinderte das Durchdrehen der Räder, stattdessen machte der Wagen einen regelrechten Satz nach vorne.
Das wiederum wurmte Carly so sehr, dass es ihre schlechte Laune anstachelte und sie zu einem unvorsichtigen Fahrstil animierte. Und die Krönung wäre, dass dieser Typ vom Telefon im persönlichen Gespräch unverschämt wurde, dann konnte sie für nichts mehr garantieren.
Das Navigationssystem schickte sie vor dem Ortskern in eine Seitenstraße, die komplett vom Schnee geräumt und eingefasst war von verschiedenen hübschen Häusern, teilweise mit Ladengeschäften. Vor einer Reihe nach hinten versetzter Gebäude gab die Stimme bekannt, sie habe ihr Ziel erreicht. Also parkte sie auf einem der davor eingezeichneten Plätze, stellte den Motor ab und musterte die vier Immobilien der gleichen Bauart. Geschäftsräume mit großen Fenstern im Erdgeschoss, darüber ein oder zwei Apartments. Roter Klinker, weiße Fensterrahmen, Flachdach.
Jeweils zwei Gebäude standen bis auf einen schmalen Durchgang dicht beieinander, zwischen dem zweiten und dritten Haus gab es eine Durchfahrt. Ihr Wagen stand vor der Lücke zwischen Haus eins und zwei, im rechten befand sich das Büro von O’Neill Building, links prangte Hassett & Brown, P.A. über den Fenstern.
»Na dann«, murmelte Carly, hievte ihre Handtasche vom Beifahrersitz und stieg aus. Sie verriegelte den Wagen und ließ den Schlüssel in das vordere Fach des Business-Shoppers fallen, hängte ihn über ihre Schulter und warf einen Blick auf die Uhr. Zwei Minuten vor zehn, perfekt.
Mit vor dem Bauch zusammengerafftem Mantel und gehobenem Kinn ging sie forschen Schrittes auf die Anwaltskanzlei zu, drehte den Knauf und trat ein, ohne zu klopfen. Gleich darauf hielt sie überrascht inne. Keine Ahnung, was sie erwartet hatte, aber ganz bestimmt nicht das.
Sie stand in einer Art Empfangsbereich, der in Creme und Brauntönen gehalten war. Genau gegenüber gab es einen Arbeitsplatz auf einem eleganten, geschlossenen Schreibtisch vor einer breiten Wand, zu beiden Seiten ging je ein Flur ab. Rechts und links befanden sich kleinere Wartebereiche vor den ausladenden Fenstern, möbliert mit je zweimal zwei Cocktailsesseln und einem runden Tisch dazwischen. Und an genau den richtigen Stellen standen Grünpflanzen in verschiedenen Größen.
»Hallo? Mr. Hassett?« Sie schob die Tür hinter sich zu, trat zwei Schritte nach rechts und bis zum Empfangstisch vor, um in den Gang schauen zu können. Der endete nach ein paar Metern, rechts sah sie eine geschlossene Tür, links einen offenen Durchgang.
»Guten Morgen. Ms. Gould, nehme ich an?«
Carly fuhr erschreckt zu der tiefen, weichen Stimme herum und erblickte den Rechtsanwalt auf der anderen Seite des Schreibtisches. Auch einen Kerl wie ihn hätte sie hier niemals erwartet. Groß, breitschultrig, schmale Taille, rechteckiges Gesicht. Intensiv blaue Augen unter kurzem, dunkelblondem Haar mit minimal längerem Deckhaar, lässig gestylt. Dazu ein gepflegter Fünf-Tage-Bart, um ein Paar schmale, irgendwie sinnlich wirkende Lippen. Er trug eine dunkle Jeans und einen grauen Wollpullover, aus dem ein weißer Hemdkragen hervorlugte, die Arme hatte er vor der Brust verschränkt.
Durch seine Körperhaltung provoziert straffte sie die Schultern und reckte das Kinn. »Wer sollte ich sonst sein?«
»Oh, natürlich, es ist ja Samstag, wie sollte sich da eine potenzielle Klientin in die Kanzlei verirren.«
Sie hob eine Braue, schürzte die Lippen, bekam aber keine Gelegenheit, auf seine Spitze einzugehen.
»Können Sie sich ausweisen?«
»Natürlich«, erwiderte sie kühl, griff zielsicher in ihre Handtasche und förderte ihre Geldbörse zu Tage. Öffnete den Reißverschluss, zog ihren Führerschein heraus und streckte ihm die Plastikkarte entgegen.
Liam Hassett ließ die Arme sinken, kam um den Schreibtisch herum und nahm ihr den Ausweis aus der Hand. Jetzt erst fielen ihr die vereinzelten grauen Haare in seinem Bart auf, die Lachfältchen um die Augen. Wie alt mochte er sein? Ende dreißig, Anfang vierzig?
Nach einem prüfenden Blick und dem Fotovergleich gab er ihn ihr zurück und deutete auf den anderen Gang.
»Bitte, nach Ihnen.« Er trat zwei Schritte zur Seite und ließ ihr den Vortritt.
Carly ging an ihm vorbei und auf das Büro auf der linken Seite zu, deren Tür offen stand. Irrte sie sich oder checkte er sie gerade ab? Sie spürte so ein Prickeln zwischen den Schulterblättern.
Idiot!
Drinnen ließ sie den Blick über die spartanische Einrichtung schweifen. Auf der rechten Seite nahm ein überfülltes, aber ordentliches Bücherregal die gesamte Wand ein, davor stand, mit dem kurzen Ende am Fenster, ein L-förmiger Schreibtisch mit runder Ecke. Neben zwei Monitoren lag ein Laptop in der Dockingstation, daneben eine hellgrüne Registermappe mit Spanngummi, ansonsten herrschte hier eine penible Ordnung. Von ihren männlichen Kollegen war sie anderes gewöhnt.
»Bitte, nehmen Sie Platz.« Er wies auf die beiden freischwingenden Ledersessel vor der Tischrundung. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Tee, Wasser?«
»Ich nehme gerne einen schwarzen Kaffee, danke.« Sie bedachte ihn mit einem hoffentlich hochmütigen Blick, zog den Mantel aus und legte ihn mit ihrer Handtasche auf den einen Stuhl. Setzte sich auf den anderen und schlug die Beine übereinander, zupfte einen Fusel von ihrer dunklen Stoffhose.
Kurz darauf kehrte Liam zurück, stellte ihr eine Tasse hin, an der sogar ein Stück Gebäck lag.
»Sieht aus, als ob Ihre teuren Stiefel noch nie richtigen Schnee gesehen hätten«, bemerkte er süffisant und ging um den Schreibtisch herum.
»Sieht so aus, als ob die Hotelbesitzer es nicht für nötig hielten, den Parkplatz zu räumen«, entgegnete sie, lehnte sich vor und trank einen Schluck von ihrem Kaffee. Der erstaunlich kräftig und aromatisch schmeckte. Sollte sie besser mit weiteren Überraschungen rechnen?
»Richards Schneefräse ist kurz vor Thanksgiving kaputtgegangen und befindet sich in der Reparatur, sehen Sie es ihm nach. Und bis dahin ...« Liam öffnete die unterste Schublade des Rollcontainers, griff hinein und legte es neben ihrer Kaffeetasse auf den Tisch. »... benutzen Sie das.«
Carly musterte die Holzdose, die etwa doppelt so groß war wie eine Seifenschachtel. »Was ist das?«
»Mit der einen Seite entfernen Sie Schnee- und Salzränder, mit der anderen pflegen und imprägnieren Sie das Leder neu.« Er schob die Schublade zu und rollte mit dem Bürostuhl bis vor die grüne Mappe.
Als sie schwieg, schaute er auf und traf auf ihren irritierten Blick. »Sie können das Set gerne behalten, ich habe noch eines.«
»Bekommen das alle Ihre Klienten?«
»Nein, nur die, die anscheinend vergessen haben, wie es in Frost Creek zugeht.«
Sie öffnete den Mund, doch er war erneut schneller.
»Können wir dann jetzt anfangen?«
Ihr Kiefer klappte zu, die linke Braue wanderte nach oben. »Selbstverständlich.«
»Sehr gut.« Erst trank er einen Schluck Kaffee, anschließend schob er das Spanngummi zur Seite und klappte den Deckel der Registermappe auf. Darin lagen mehrere handbeschriebene Blätter eines großen Notizblocks, die er aufnahm und kurz überprüfte. Dann warf er ihr noch einen Blick zu und begann zu lesen.
»Ich, Pansy Dorothy Carmichael, geboren am 26. September 1939 in Frost Creek, New Hampshire, USA, erkläre hiermit, in Vollbesitz meiner Geisteskraft, meinen letzten Willen. Diesen habe ich Liam Hassett, Attorney At Law, diktiert und nach einer Kontrolle eigenhändig unterzeichnet.«
»Darf ich eine Frage stellen?«
Er sah missmutig von dem Dokument auf. »Nein, das können wir im Anschluss klären.«
Großer Gott, war der Typ immer so? Nun, sie wollte sich nicht unbedingt jetzt schon mit ihm anlegen.