Für die Freiheit - Lyndal Roper - E-Book

Für die Freiheit E-Book

Lyndal Roper

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Beschreibung

Zum 500. Jahrestag des Bauernkriegs 2025 erzählt die Luther-Biographin Lyndal Roper die Geschichte der größten Massenbewegung vor der Französischen Revolution. Sie erweckt darin die Aufständischen und ihre Utopie auf unnachahmliche Weise zum Leben. Was trieb die Menschen an, gegen ihre Herren aufzubegehren? Es ging um das, was wir uns auch heute wünschen: Freiheit, Gerechtigkeit und ein gutes Leben. Doch es ging auch um mehr, um die Vision eines neuen, eines gottgefälligen Reichs. Und so zogen sie aus ihren Dörfern, kampierten auf offenem Feld, drangen in Klöster ein und labten sich am Wein in deren Kellern. Beseelt von der  Hitze der Reformation, folgten sie aber nicht dem Weg Martin Luthers, sondern hörten fasziniert den Predigten des charismatischen Priesters Thomas Müntzer zu. Sie schworen sich Eide und lebten Brüderlichkeit, doch sie forderten auch, dass die Grundherren ihnen keine übermäßigen Frondienste auferlegten, und dass sie ihnen weiterhin Zugang zu Gottes Schöpfung erlaubten - sie brauchten das Holz der Wälder und den Fisch aus Flüssen und Seen, sie wollten das Recht zur Jagd ausüben - und sie wollten den Abendmahlskelch aus den Händen des Priesters empfangen, um daraus zu trinken. Doch obwohl sich ihnen auch mancher Adlige und Ritter anschloss, konnten sie gegen die Übermacht der Grundherren nicht gewinnen. Viele von ihnen starben in der Schlacht bei Frankenhausen, andere wurden hingerichtet. Die Erinnerung an diesen Aufstand war lange verblasst, doch Lyndal Roper zeigt, dass die Utopie der Bauern und ihr Blick auf die Natur und ihre Ressourcen uns näher sind, als wir glauben. Mit 48 teils farbigen Abbildungen

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Seitenzahl: 991

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Lyndal Roper

Für die Freiheit

Der Bauernkrieg 1525

 

Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller

 

Über dieses Buch

 

 

Der Bauernkrieg war die größte Massenbewegung Europas vor der Französischen Revolution. Lyndal Roper erweckt sie auf unnachahmliche Weise zum Leben. Was trieb die Menschen an, gegen ihre Herren aufzubegehren? Es ging um das, was uns auch heute antreibt: um Freiheit, Gerechtigkeit und ein gutes Leben.Und so zogen sie aus ihren Dörfern, kampierten auf offenem Feld, drangen in Klöster ein und labten sich am Wein, hörten den Predigten eines Thomas Müntzer zu und waren beseelt von der Vision eines neuen, eines gottgefälligen Reichs. Erfüllt von der Hitze der Reformation, folgten sie dennoch einem anderen Weg als dem Martin Luthers. Bei Lyndal Roper erfahren wir, wie die Menschen diesen Aufstand erlebten – und dass uns die Bauern mit ihrer Forderung, alle Menschen sollten über die Schöpfung (Feld, Wald und Vieh) verfügen, näher sind, als wir glauben. 

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Lyndal Roper, geboren 1956, ist »Regius Professor of History« in Oxford. Sie ist Expertin für die Geschichte der Reformation und der Frühen Neuzeit in Deutschland. 2016 erschien bei S. FISCHER ihre große Luther-Biographie zum 500. Jahrestag der Reformation. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit dem Bauernkrieg, ohne den die Geschichte der Reformation unvollständig wäre.Lyndal Roper wurde mit dem Gerda Henkel Preis 2016 ausgezeichnet. Sie lebt in Oxford.

 

Holger Fock und Sabine Müller übersetzen seit drei Jahrzehnten zusammen Belletristik und Sachbücher, neben Lyndal Roper u.a. Patrick Deville, Mathias Enard, Mohamed Mbougar Sarr, Cécile Wajsbrot. Dafür wurden sie u.a. mit dem Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis 2011 und dem Paul-Celan-Preis 2023 ausgezeichnet.

 

Inhalt

[Motto]

[Widmung]

Einleitung

Erster Teil Herbst

Kapitel 1 Zündfunke

Kapitel 2 Land

Kapitel 3 Freiheit

Zweiter Teil Winter

Kapitel 4 Winter

Kapitel 5 Herrschaft

Kapitel 6 Träume

Dritter Teil Frühjahr

Kapitel 7 Frühlingsbeginn

Kapitel 8 Bewegung

Kapitel 9 Spätfrühling

Kapitel 10 Brüder

Vierter Teil Sommer

Kapitel 11 Sommer

Kapitel 12 Bittere Ernte

Schluss

Anhang

Die Memminger Zwölf Artikel

Der erst artickel:

Der ander artickel:

Der drit artickel:

Der viert artickel:

Der funfft artickel:

Der sechst artickel:

Der sybent artickel:

Der achtet artickel:

Der neundt artickel:

Der zehent artickel:

Der aylfft artickel:

Beschluß

Der erste Artikel

Der zweite Artikel

Der dritte Artikel

Der vierte Artikel

Der fünfte Artikel

Der sechste Artikel

Der siebte Artikel

Der achte Artikel

Der neunte Artikel

Der zehnte Artikel

Der elfte Artikel

Beschluss

Dank

Bibliographie

Abkürzungen

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Bildnachweise

Bildteil

Register

Tafelteil

Die Zwölf Artikel, Artikel 3

 

»(…) das vns Christus all mitt seynem kostparlichen plütvergüssen, erlößt vnnd erkaufft hat, Den Hyrtten gleych alls wol alls den höchsten, kain außgenommen, Darumb erfindt sich mit der geschryfft, das wir frey seyen vnd wöllen sein.«

 

»(…) dass uns Christus mit dem Vergießen all seines kostbaren Bluts erlöst und freigekauft hat, und zwar den Hirten gleichermaßen wie den Höchsten, niemand ausgenommen. Deshalb ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.«

Für Martin Donnelly

Einleitung

Der deutsche Bauernkrieg war der größte Volksaufstand in Westeuropa vor der Französischen Revolution. Wie ein Lauffeuer verbreitete er sich von Südwestdeutschland über Württemberg, Schwaben, das Allgäu, Franken, Thüringen, Sachsen bis ins Elsass im heutigen Frankreich, nach Tirol, Österreich und in die Schweiz. Er wanderte die Täler entlang von einer Region zur anderen und brach unerwartet in weit entfernten Gebieten aus. Überall erhoben sich Bauern und bildeten bewaffnete Gruppen. Auf dem Höhepunkt des Bauernkriegs hatten sich über hunderttausend Menschen, vielleicht sogar noch viel mehr, mit den Aufständischen verbündet, um eine neue Welt in christlicher Brüderlichkeit zu schaffen. Und einige Monate lang triumphierten sie. Autorität und Herrschaft brachen zusammen, die vertrauten Strukturen des Heiligen Römischen Reiches wurden umgestürzt, die Brüchigkeit der bestehenden sozialen und religiösen Hierarchien trat offen zu Tage. Die Menschen begannen sogar, von einer neuen Ordnung zu träumen.

Der Erfolg war nicht von Dauer. Im Frühjahr 1525 hatte der »Aufruhr«, wie die Zeitgenossen den Aufstand nannten, seinen Höhepunkt erreicht und überrollte alles. Doch im Mai wendete sich das Blatt. Bei der Niederschlagung der Erhebung wurden zwischen siebzig- und hunderttausend Bauern von den Truppen der Fürsten niedergemetzelt. In diesem blutigen Sommer starb etwa ein Prozent der Bevölkerung des Kriegsgebiets, ein enormer Verlust an Menschenleben in wenig mehr als zwei Monaten.[1]

Trotz seines gewaltigen Ausmaßes sind der Bauernkrieg und seine blutige Niederschlagung in den letzten Jahren in Vergessenheit geraten, im Zentrum des Interesses standen Luther und seine Reformation, die das europäische Christentum für immer in Katholiken und die später so genannten Protestanten spaltete. Den Bauernkrieg betrachtete man als Nebenschauplatz, als Zwischenspiel, dessen Bedeutung vor allem darin lag, dass es etwas über die Haltung des Reformators Martin Luther gegenüber der weltlichen Obrigkeit aussagte, hatte sich dieser doch auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen für die Fürsten und gegen die »rasenden Hunde« ausgesprochen, wie er die aufständischen Bauern bezeichnete. Von da an war die Reformation in Deutschland konservativ. die wichtigsten Reformatoren verbündeten sich mit den Regierenden, die über die Macht verfügten, die Reformation zu institutionalisieren, und nach dem Krieg konnte die neue Kirche mit Unterstützung der Obrigkeit gegründet werden.

Ein Ereignis von solchem Ausmaß kann jedoch nicht nur ein Nebenschauplatz der Reformationsgeschichte sein. Unter Einbeziehung des Bauernkriegs muss die Darstellung der Reformation eine andere sein, denn in ihrem Zentrum steht ein riesiges Trauma. Ohne ein Verständnis des Bauernkriegs lassen sich die Möglichkeiten und Grenzen der Reformation nicht begreifen. Der Bauernkrieg wiederum war von Ideen, Träumen und Hoffnungen geprägt, die von der Reformation entfesselt worden waren. Er kann nicht verstanden werden, ohne ihn nachdrücklich in die berauschende Atmosphäre religiöser Begeisterung zu stellen, die ihn trug.

Um sowohl den Krieg als auch die Reformation zu verstehen, müssen wir uns anhören, was die Bauern antrieb. Warum beschlossen die Bauern von zunächst nur ein oder zwei Herren und Äbten, ab dem Hochsommer und dann im Herbst 1524 ihre Arbeit einzustellen und sich zusammenzuschließen? Warum wurde aus kleinen, offensichtlich isolierten Anfängen in einem entlegenen Winkel des Reiches eine große Bewegung? Und warum geschah dies im Jahr 1524, nur drei Jahre nachdem Luther auf dem Reichstag zu Worms erschienen war und sich bekanntlich dem Kaiser und den Reichsständen widersetzt hatte, indem er sich weigerte zu widerrufen?

Trotz Luthers späterer Verurteilung des Aufstands ist der Bauernkrieg ohne seine Theologie und seine Ideen nicht denkbar. 1520 hatte Luther selbst ein kurzes, aber durchschlagendes Traktat unter dem Titel Von der Freiheit eines Christenmenschen verfasst, das zu den drei großen reformatorischen Schriften von 1520 zählt, in denen er seine Theologie darlegte. In deutscher Sprache veröffentlicht, trug es das Brandwort »Freiheit« im Titel. Zwar argumentierten Luthers Anhänger später, er habe damit die geistige Freiheit gemeint, tatsächlich aber waren im Südwesten viele Bauern, insbesondere unter der Herrschaft der von Luther angegriffenen katholischen Klöster und Äbte, Leibeigene im Besitz ihrer Grundherren. Für sie bedeutete »Freiheit« auch das Ende der Leibeigenschaft. Luthers konservative Gegner warnten von Anfang an, dass seine Ideen zu Unordnung und »Aufruhr« führen würden.[2]

Durch seine Unbeugsamkeit gegenüber Kaiser Karl V. hatte Luther ein unvergessliches Beispiel des Widerstands gegeben, eine Tat, die ebenso wichtig war wie seine Schriften. Als einzelner Mönch in einer geliehenen Soutane hatte er sich vor einer Zuhörerschaft aus Würdenträgern in ihrem ganzen Prunk mit der stärksten Macht des Landes angelegt, seinen Standpunkt dargelegt und sich geweigert zu widerrufen, solange ihn die »Heiligen Schrift« nicht eines Besseren belehren würde. Kein Wunder, dass sich die Bauern für ihre Sache auf seine Ideen beriefen. Kein Wunder, dass sie annahmen, er würde sie unterstützen.[3]

Aber das tat er nicht. Ende März 1525 war der Aufstand der Bauern zu einer Massenbewegung geworden, ihre Forderungen waren in Zwölf Artikel gegossen worden, wahrscheinlich aufgesetzt von Sebastian Lotzer, einem Stadtbürger und Kürschner, auf der Grundlage von Hunderten Beschwerden, die verschiedene Bauerngruppen bereits Wochen zuvor formuliert hatten. Lotzer stand unter dem Einfluss des Predigers Christoph Schappeler, eines Anhängers des Schweizer Reformators Huldrych Zwingli, und seine eigenen Ansichten speisten sich aus den Gedanken Luthers und Zwinglis und aus einem radikalen Evangelismus. In den Zwölf Artikeln zeigte sich, wie aus einer Reihe spezieller, scheinbar wahlloser Beschwerden gegen einzelne Herren eine umfassende theologische Vision entstanden war, die mit radikalen reformatorischen Ideen übereinstimmte. Diese Kombination hatte Sprengkraft, verwandelte lokale Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Herren in eine Bewegung, die Massen ergriff und weit über die Streitigkeiten einzelner Betroffener mit besonders üblen Äbten oder Herren hinausging. Weder hatte Lotzer diese Theologie erfunden noch war er der Erste gewesen, der sie auf die bäuerlichen Verhältnisse übertrug – das hatten die Bauern bereits selbst getan, als sie ihre Beschwerden formulierten. Die Zwölf Artikel wurden in der Folge zu einem Dokument, das die Bewegung überall anerkannte, auch wenn die Aufständischen seinen Inhalt nicht immer genau kannten und es in vielen Gebieten den örtlichen Gegebenheiten angepasst wurde. Wie zwölf Aposteln gab es zwölf Artikel. Sie wurden von Kapiteln und Versen aus der Bibel untermauert, die zeigten, wie berechtigt die Forderungen der Bauern waren. Die neuartige Drucktechnik, ermöglicht durch die Erfindung beweglicher Lettern, sorgte dafür, dass sie schnell vervielfältigt und in ganz Deutschland verbreitet wurden. Man konnte sie zur Hand nehmen und auf die einzelnen Forderungen hinweisen, ebenso auf die Bibelstellen, die deren Gottgefälligkeit bewiesen.[4]

Der Schlüssel zum Verständnis des Bauernkriegs liegt tatsächlich darin, ihn als das zu sehen, was er war: eine Massenbewegung. Zu lange standen Männer wie Thomas Müntzer, der die Bauern in Thüringen befeuerte und den Engels und später das DDR-Regime als Revolutionsführer und Gegenspieler Luthers präsentierten, im Mittelpunkt der Geschichtsschreibung. In Wirklichkeit bevölkern eine Reihe herausragender Persönlichkeiten diesen Krieg: Götz von Berlichingen, der Ritter mit der eisernen Hand, der zum Bauernführer wurde, da ihm seine Schwiegermutter die Aufforderung seines Lehnsherrn, gegen die Bauern zu kämpfen, nicht ausgehändigt hatte. So behauptete er es später in seiner im hohen Alter verfassten Autobiographie, in der er es freilich mit der Wahrheit nicht sonderlich genau nahm. Oder Florian Geyer, ein Adliger, der ebenfalls Bauernheere anführte und schließlich von einem Attentäter erstochen wurde. Oder die Schwarze Hofmännin, eine Bäuerin, die behauptete, sie habe die Bauernheere angespornt und ihre Schuhe mit dem Fett der geschlachteten Adligen eingerieben. Oder der »Bauernjörg«, Truchsess Georg von Waldburg, der das Heer des Schwäbischen Bundes gegen die Bauern anführte und aufständische Dörfer gnadenlos niederbrannte.[5]

Aber dies waren Einzelpersonen, die unterschiedliche Vorstellungen hatten und von vielfältigen Einflüssen geprägt waren. Sie waren aufgrund diverser Umstände zusammengekommen und haben durch ihre exponierten Positionen Spuren hinterlassen. Die Geschichte der Bauern war jedoch kein Drama großer Männer. Sie ist in Vergessenheit geraten, weil die Bauern sie nicht aufgeschrieben haben, weil sie entweder Analphabeten, im Krieg gefallen oder hingerichtet worden waren. Die Geschichte schrieben stattdessen die Sieger – die Herren und die Theologen der anerkannten Kirchen, die ihre Feinde waren.

Die Leidenschaften und Träume, die diese Bewegung antrieben, können unausgegoren, naiv und widersprüchlich erscheinen. Historiker haben versucht, die Ideologie der Bewegung aus den programmatischen Schriften einiger ihrer Anführer herauszuarbeiten. Es handelte sich jedoch nicht um einen Aufstand, der von den Ideen einer Handvoll gebildeter Menschen aus der Oberschicht angetrieben wurde, die ein paar Gedanken zu Papier gebracht hatten oder deren Vorstellungen zufälligerweise gedruckt worden waren. Es handelte sich um eine Massenbewegung von Menschen, die ihr Leben riskierten und verloren, um eine neue Welt zu schaffen, und wir müssen ihre Vision anhand ihrer Handlungen, anhand ihrer Aussagen über ihre Absichten und anhand ihres Verhaltens als Gruppe rekonstruieren. Dieses Buch spannt einen weiten geographischen Bogen, indem es einem katastrophischen Ereignis nachgeht, das in seinen turbulenten Strömen eine große Zahl von Menschen mitriss, die ihre Welt verändern wollten.

Es ist Zeit, auf den Bauernkrieg zurückzukommen, damit wir wieder eine Reformation in den Blick nehmen, die sich in ihrer Radikalität von Luthers tröstlichen Wahrheiten gelöst hat. Wir sollten uns mit dem Bauernkrieg beschäftigen, weil wir heute vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie jenen, die sich den Bauern damals stellten: Wie schützt man die Ressourcen der Erde zum Nutzen aller? Wie geht man mit einer Welt um, in der wenige sich bereichern und die Ressourcen monopolisieren? Wie lassen sich Wirtschaftsbeziehungen organisieren, damit sie nicht nur von Gier beherrscht werden? Wir mögen nicht damit einverstanden sein, wenn die Antwort lautet, wir sollten gemäß »Gottes Wort und christlich« leben. Doch ins Europa des 16. Jahrhunderts und in die Frühzeit des Kapitalismus zurückzukehren, als die Entdeckung neuer Welten und deren Ausbeutung begann, ist ein guter Ausgangspunkt, um über neue Antworten nachzudenken. Die Bauern hatten eine Vorstellung davon, wie die Umwelt und die Beziehungen zwischen Menschen neu gestaltet werden könnten.

Die Vision, die sie antrieb, handelte von der Beziehung des Menschen zur Schöpfung, und deshalb ist sie heute noch von Bedeutung. Die Menschen waren wütend darüber, dass die Grundherren das Eigentum an den natürlichen Ressourcen, dem Wasser, dem Gemeindeland, den Wäldern und Forsten für sich beanspruchten, obwohl diese zu Gottes Schöpfung und damit allen Menschen gehörten. Sie waren wütend darüber, dass die Herren ihnen ihre »Freiheit« gestohlen hatten und beanspruchten, sie zu besitzen. Doch Christus hatte, wie Luther zeigte, uns alle mit seinem kostbaren Blut freigekauft: »Deshalb ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.« Sie waren empört über die wachsende Ungleichheit, die sie um sich herum sahen, in der einzelne Individuen wie die Fugger, die reichsten Kaufleute der Welt, Reichtum in nie gekanntem Ausmaß anhäuften. Sie wollten, dass die Menschen als Brüder lebten, in gegenseitiger Verpflichtung, und nicht als Herren und Leibeigene. Sie wollten, dass Entscheidungen kollektiv getroffen würden. Es war ein unverhohlen männliches Ideal, das durch den Zusammenhalt unter den kämpfenden Bauern genährt wurde, was jedoch nicht bedeutet, dass Frauen es nicht auch unterstützten.[6]

Die Bauern wollten die natürlichen Ressourcen auf eine Weise bewirtschaften, die die von Gott geschaffene Umwelt respektierte. Wir müssen uns an eine Welt erinnern, in der Ochsen, Pferde, Kühe, Schweine, Schafe und Geflügel eng mit den Menschen zusammenlebten und in der die Unwägbarkeiten des Wetters eine Rolle spielten, die moderne Generationen oft vergessen haben. Die Beziehung zwischen Arbeit, Ernte und Nahrung war unmittelbar und wurde nicht durch mächtige Unternehmen und komplexe industrielle Prozesse vermittelt. Die Kraft zum Antrieb der Maschinen kam von Wasser, Holz und Holzkohle, es war klar, wem diese Ressourcen gehörten, und wurde offensichtlich, wenn die Besitzenden den Zugang zu ihnen beschränkten.

Als Gegenentwurf zum Geiz und der Geldgier der Grundherren machten die Bauern die »Brüderlichkeit« zu ihrer Losung. Mit der Konzentration auf Christus und dem Ausrangieren der Heiligen und der Jungfrau stellte die neue Religion die männliche Gestalt Christi in den Mittelpunkt. Heiligen- und Marienstatuen wurden entfernt und zerstört, die Zwölf Hauptartikel, die allgemein als Programm der Bauern akzeptiert waren, sprechen nur von Christus. Karlstadt, Müntzer und Luther beschäftigten sich ebenso wenig mit der Jungfrau Maria. Es war eine zutiefst männliche Religion mit wenig Platz für die weiblichen Aspekte von Christus; und ihre Feinde waren die verhassten Mönche und Priester, die alle im Zölibat lebten und aus der Sicht der Evangelisten keine echten Männer waren.

Jeder sprach jeden als »Bruder« an, ob er Herr oder Bauer war. Die Bauern waren durch Brüderlichkeit miteinander verbunden, rechtlich gestärkt durch den brüderlichen Eid, den sie mit erhobenem Finger leisteten. Frauen konnten nur Gelübde ablegen, keine Eide schwören. Die Leitfigur der Bewegung war der männliche Bauer im Verbund mit einem Ritter oder einem Landsknecht. Für Frauen war in dieser Bewegung wenig Platz. Meist treten sie als Hehlerinnen nach einer Plünderung in Erscheinung, als Fürsprecherinnen, die um Gnade für ihre Männer bitten, oder kollektiv als »Weibervolk« in besiegten Städten. Doch wäre der Aufstand kaum möglich gewesen, hätten nicht Frauen die Höfe weiter bewirtschaftet, während die Mannsleute umherzogen.

Der Bauernkrieg machte auf bestürzende Weise deutlich, dass die Bindungen, auf denen die gesellschaftliche Ordnung beruhte, keine Treuebande waren, sondern Ausbeutung. Die Herren stellten fest, dass die Bauern sie nicht liebten, sondern hassten. »Last euch nicht erbarmen . Sehet nicht an den iamer der gottlosen. Sie werden euch also freundlich bitten, greynen, flehen wie die kinder«, schrieb Thomas Müntzer in seinem Aufruf an die Allerstedter, als er sie zur letzten Schlacht zusammentrommelte. Er wollte, dass sie dem Feind gegenüber Regungen wie Mitgefühl und Güte in sich auslöschten. Er müsse »hart« bleiben, ermahnte sich der Amtmann Tham von Herda, der die Wünsche seiner Herrschaft just in dem Moment durchzusetzen versuchte, als sich jeder aus der Gegend den Bauern anschloss. Er sei »wahrlich härter, als ich es im Herzen empfinde«, schrieb er noch am selben Tag. Es waren Leute, die er kannte und deren Welt er verstand. Wir müssen versuchen zu verstehen, was es die Menschen auf beiden Seiten gekostet hat, wenn sie »weibliches« Mitgefühl erstickten. Und was bedeutete es für die Männer aufseiten der Herren, wenn sie Tausende von Bauern niedermetzelten, die ihnen kaum etwas entgegensetzen konnten, oder auf Marktplätzen deren blutige Enthauptungen mitansahen?[7]

Trotz der gegen sie gerichteten Kräfte verhielten sich die Bauern die meiste Zeit des Krieges gewaltfrei; sie demütigten ihre Herren, töteten sie aber nicht. Sie stellten die bestehende Ordnung gerade in dem Moment in Frage, als sich der Kapitalismus ausbreitete und Europäer auf neue Welten trafen, aber sie wollten nicht unbedingt jede Art von Autorität zerstören. In eine Zeit zurückzublicken, als es die Strukturen unserer eigenen Welt noch nicht gab, kann uns helfen, neue Antworten auf die Fragen zu finden, die sich uns heute stellen. Die Geschichte der Bauern ist auch deshalb wichtig, weil sie eine radikale Reformation mit einer theologischen, sozialen und politischen Vision offenbart, die sich auch in eine andere Richtung hätte entwickeln können. Diese Reformation haben wir aus den Augen verloren, und deshalb müssen wir verstehen, was die Bauern bewegt hat. Denn was für sie wichtig war, ist auch für uns wichtig.

***

Dieses Buch beginnt mit einer sehr einfachen Frage: Wie war es, während des Bauernkriegs zu leben? Wie fühlte es sich für einen Bauern mit einem alten Weinberg an, der jahrelang seine Reben geschnitten hatte, bis sie Erträge abwarfen, wenn er sich einem Bauernhaufen anschloss, sein Dorf verließ und alles aufs Spiel setzte, was er, seine Eltern und seine Großeltern aufgebaut hatten? Nun gehörte er dem Bauernheer an, kampierte mit den Brüdern nachts im Freien, brach vielleicht in ein Kloster ein, zu dem ihm niemals Zutritt gewährt worden wäre, und trank dort aus dessen Weinvorrat. Wie war es, wenn er den silbernen Messkelch für den Messwein ergriff, der Priestern vorbehalten war, und ihn mit nach Hause nahm? Wie fühlte es sich an, an einem Aufstand teilzunehmen?

Fühlen ist vom Denken nicht zu trennen. Es ist wichtig, in den Blick zu nehmen, was Ideen vorantreibt, was Handlungen Einzelner oder auch deren Unterlassung verraten. Das schließt auch persönliche Dinge ein: Es ist von Bedeutung, dass Thomas Müntzer, der radikale Gegner Luthers und Anführer aufständischer Bauern, in Stolberg im Harz aufgewachsen war, einer Bergbauregion nicht weit von jener, in der Luther seine Kindheit verbracht hat, so dass diese erbitterten Feinde auch vieles gemeinsam hatten. Ebenfalls von Bedeutung ist, dass es Müntzer offenbar vor formlosen Dingen graute. Er schrieb über seinen Abscheu vor der »Grütz« und der »Suppe« des Luthertums. Hier haben wir es mit einem Denker zu tun, der in anschaulichen, sinnlichen Begriffen dachte und dabei auch vor einer blutrünstigen Rhetorik nicht zurückschreckte, die uns heute noch erschauern lässt. So rief er die Vögel herbei, »sie sollen fressen das Fleisch der Fürsten und die Unvernünftigen Thiere sollen saufen das Blut der großen Hansen«.[8]

Wie gingen Zuhörer mit einer solchen Rhetorik um? Das subjektive Empfinden von Menschen in der Vergangenheit können wir natürlich nicht zurückerlangen. Da wir in einer anderen Welt leben, können wir nicht denken wie sie. Aber wir können diese Welt in ihrer Fülle und auf detaillierte Weise entwerfen, und wir können das benützen, was »historische Imagination« genannt wurde. Sie versetzt uns in die Lage, Handelnde so genau wie möglich in der Vergangenheit zu verorten und dabei so viel wie möglich herauszufinden über sie und die Welt, in der sie lebten. Um zu verstehen, wie die Leute im 16. Jahrhundert dachten und fühlten, müssen wir auch die spirituelle Welt der Religion rekonstruieren. Obwohl die Reformation begonnen und Luther 1517 seine 95 Thesen gegen die Ablassbriefe öffentlich gemacht hatte, waren die Menschen noch keine »Lutheraner« oder »Katholiken«, denn diese Etiketten wurden erst später festgelegt, und was auch immer Reformation bedeutet haben mag, die Grenzen waren weitaus fließender.

Wenn wir die Gedanken- und Gefühlswelt handelnder Individuen betrachten, erscheinen weitreichende Veränderungen in einem anderen Licht, und unsere Erzählung wandelt sich. Wir müssen über Begriffe wie Klasse, wirtschaftliche Beziehungen, Staatswesen hinausgehen und untersuchen, in welcher Beziehung sie genau zur individuellen Erfahrung stehen. Das bedeutet nicht, dass sie unwichtig sind. Aber eine Auflistung von Ursachen für den »Aufstand« ist zu einfach, wie zum Beispiel, dass die frühneuzeitliche Staatsbildung oder der Niedergang des Rittertums zum Krieg geführt hätten oder dass die Armut der Bauern und die habgierigen Grundherren ausschlaggebend gewesen seien. All diese Faktoren müssen in unserer Erzählung einen Platz finden, doch sie müssen zu den Erfahrungen der Menschen als Individuen und als Gruppe in Beziehung gesetzt werden.

***

Die größte Schwierigkeit für jeden Historiker ist die schiere Menge und Vielfalt von Akteuren und Quellen. Über den Bauernkrieg zu arbeiten fühlte sich an, als entwirrte man einen endlosen Strang von Einzelgeschichten, von denen jede danach schreit, erzählt zu werden. Zieht man jedoch eine einzelne Geschichte heraus, kann man die Verbindung zwischen einem Ereignis und einem anderen nicht mehr erkennen. Was soll man mit der Nonne im Kloster von Heggbach anfangen, die 1524 vom Teufel besessen war und dann während des Bauernkriegs zusammen mit anderen Dorfbewohnerinnen ihr eigenes Kloster angriff? Ihre Geschichte allein wäre ein eigenes Buch wert. Oder mit Götz von Berlichingen, dem Ritter mit der eisernen Hand, dessen bereits erwähnte Autobiographie mit ihrer Schlüpfrigkeit und ihren Aussparungen viel von der zu Ende gehenden ritterlichen Welt enthüllte?[9]

Und wo und wann beginnt man die Erzählung? Nimmt man eine bestimmte Region zu einer bestimmten Zeit, geraten die Verbindungen zwischen dem, was an einer Stelle, und dem, was an einer anderen passiert, aus dem Blick. Auch fragt sich, aus wessen Perspektive man schreibt. Aus der Perspektive der Obrigkeit, die umfangreiche Berichte hinterließ? Aus der Perspektive der Stadtbewohner, die zwischen Bauern und Grundherren eingeklemmt waren? Oder aus der Perspektive der Bauern, deren Stimmen uns in der Regel nur durch die Protokolle von Verhören erreichen, die nachträglich und unter Androhung von Folter stattfanden? Am einfachsten scheint es, die Geschichte vom Standpunkt der Sieger aus zu erzählen, die mehr Quellen hinterlassen haben, doch ihre Brutalität ist schwer erträglich. Wir müssen beide Seiten verstehen, die der Verlierer und die der Gewinner. Letzten Endes wird ein Phänomen wie Klassenzugehörigkeit im Miteinander der Personen sichtbar, und deshalb brauchen wir die Stimmen der Herrschenden ebenso wie die der Beherrschten.

Ich habe mich außerdem dafür entschieden, bei meiner Erzählung dem Lauf der Jahreszeiten zu folgen, weil das Wetter den Ausbruch der Revolte beeinflusste, der Wandel im Landschaftsbild sich darauf auswirkte, wann und warum der Aufstand seinen Höhepunkt erreichte und wie er niedergeschlagen wurde. Wer wann zur Bewirtschaftung des Gehöfts benötigt wurde, war Teil der Dynamik der Unruhen, denn davon hing ab, wann und wie lange Bauern sich zusammenschließen und wie weit sie sich von ihrem Hof entfernen konnten. Nach einem Frühling voller Hoffnung brachte der Sommer eine bittere Ernte – und der Herbst und Winter die endgültige Niederlage. Die Ernte aber musste trotz allem eingebracht werden. Der Aufstand hatte lang genug gedauert, um die Vision einer neuen Welt hervorzubringen, doch er war zu kurz gewesen, um Verpflichtungen und Institutionen zu etablieren, die dieser neuen Welt Dauer verliehen hätten. Sie, die Massen von Bauern und Stadtbewohnern, marschierten zusammen und kampierten im Freien, setzten ihren gesamten Besitz und ihr Leben aufs Spiel als sie versuchten, eine Welt herbeizuführen, in der Reiche und Arme, Adelige und »gemeine Männer« Brüder wären. Ihre Geschichte erzählt dieses Buch.

Erster TeilHerbst

Hans Wertinger, September (Landshut, 1525–1526)

Kapitel 1Zündfunke

Der Bauernkrieg entstand keineswegs aus dem Nichts. Es hatte schon früher Aufstände gegeben, Beschwerdebriefe und Klagen gegen Grundherren vor Gericht hatten Tradition. Aus diesen Erfahrungen hatten die Bauern gelernt – doch keine jener Erhebungen erlangte die Reichweite und das Ausmaß des Bauernkrieges oder war von derselben Vision getragen. Einer der frühen und besonders dramatischen Aufstände begann 1476 im kleinen fränkischen Weiler Niklashausen und führte zu einem Massenprotest, der vor der großen Burg des Bischofs von Würzburg endete, die der Jungfrau Maria gewidmet war und heute noch über der Stadt aufragt. Auslöser war die Marienerscheinung eines Schafhirten. Die Jungfrau forderte ihn auf: »Sage jedem, was mein Sohn will und befiehlt, dass alle Abgaben, Zölle, Frondienste, Eintreibungen, Vorteile und Unterstützung für die Prälaten, Fürsten und Adligen, und alles Unrecht, das den Armen zugefügt wird, sofort vollständig abgeschafft werden soll.« Hans Behem selbst wies sie an, er solle seine »Eitelkeiten« aufgeben, seine Flöte und die Pauke verbrennen und fortan predigen. Und so rief der Pauker seine Zuhörer auf, Buße zu tun und ihre unnützen Habseligkeiten wie Schuhe, edle Kleidung und Schmuck zu vernichten. Kurz nach der Walpurgisnacht am 30. April kam es im Taubertal zu einer großen Wallfahrtsbewegung, als sich bei Niklashausen zahllose Pilger mit Kerzen und Opfergaben versammelten, um den Visionär predigen zu hören.[1]

Abbildung 1: »Die nicklas hausser fart«, 1490. Hans Behem (mit Flöte und Pauke) erscheint beim Schafehüten die heilige Jungfrau. Die Szene im Holzschnitt ist überraschend positiv gestaltet, als wollte man für eine Pilgerfahrt werben.

Das schreckte zunächst den ansässigen Bischof auf, wenig später war auch der Erzbischof von Mainz alarmiert. Eine solche Massenbewegung brachte möglicherweise Gefahren mit sich, zudem begann Behem, die Kirche zu kritisieren. Seine Visionen enthielten den revolutionären Ruf nach einer Welt ohne Steuern, Abgabe des Zehnten und Frondienste. Die Jungfrau sagte ihm, Felder und Wälder sollten gemeinschaftlich bewirtschaftet werden. Als in den ersten Julitagen Pilgerscharen gemeinsam mit Behem in die Stadt Eichstätt einzogen, schritt der Würzburger Bischof Rudolf II. ein und verkündete, Behem verbreite eine ketzerische Lehre. Während die Wallfahrer nach Niklashausen strömten, verhaftete man am 13. Juli den Pauker und brachte ihn nach Würzburg. Daraufhin unternahmen die entsetzten Pilger eine Massenwallfahrt unter der Führung von Konrad (Kunz) von Thunfeld, einem Ritter aus der Gegend, um den Paukenspieler aus der Festung Marienberg zu befreien. Etwa sechzehntausend Menschen marschierten die ganze Nacht über, erreichten am frühen Morgen die Brücke über den Main und riefen: »Wenn du uns den Jungen nicht zurückgibst, werden wir nicht von hier weggehen, bis wir ihn mit Gewalt befreit und diese Burg zerstört haben.«[2]

Die versammelten Menschen glaubten offenbar, Maria selbst würde erscheinen und ihnen den Paukenspieler zurückgeben. Nach langem Abwarten gab ein Teil der Menge die Belagerung auf, dann öffneten sich die Festungstore und die Männer des Bischofs schossen auf die Menschen, die sich geweigert hatten abzuziehen. Der Flaschenhals, den die Brücke bildete, machte sie zu einem leichten Ziel, viele wurden getötet, Hunderte gefangen genommen. Der Pauker aus Niklashausen wurde ohne Aufhebens als Ketzer verbrannt, die Wallfahrt unterdrückt. Der Pfad, der zur Festung führte, war mit dem Blut der Bauern getränkt. Im Namen der Gottesmutter hatte sich eine antiklerikale, religiöse Massenbewegung erhoben, die im Schatten der Maria geweihten Festung mühelos niedergeschlagen worden war. Die Erhebung endete damit am selben Ort, an dem später, im Frühsommer 1525, der Bauernkrieg zum Stillstand kam.[3]

Der Pauker war zwar besiegt worden, doch er war auch viele Jahre später noch nicht vergessen. Um die Wende vom 15. ins 16. Jahrhundert häuften sich die Erhebungen. Im Schwarzwald, im Elsass und in Württemberg war es bei den Bauern schon Tradition, sich mit der Obrigkeit anzulegen. Sie zogen gegen ihre Grundherren vor Gericht, verweigerten die Pacht und widersetzten sich dem Frondienst, ebenso wie sie sich weigerten, zum Zeichen ihrer Lehnstreue symbolische Abgaben zu leisten – das Fastenhuhn zum Beispiel –, die ihre Dienstbarkeit bestätigten. So gab es 1491 in der Gegend um Kempten und in einigen anderen Orten unter klösterlicher Herrschaft Erhebungen. 1493 kam es bei Schlettstadt im Elsass, dem heutigen Sélestat, zu einem Aufstand, bei dem gefordert wurde, die ansässigen Juden zu vertreiben (sie wurden beschuldigt, Wucherzins zu verlangen), die Einkünfte des Priesters zu begrenzen und die Rechtsprechung zu reformieren. Die Bauern bildeten Geheimbünde, die durch Schwüre zusammengehalten wurden, und ihre Zusammenkünfte fanden nicht im Tal, sondern auf dem Ungersberg statt. Als Aufnahmeritual schworen sie angeblich mit drei Fingern und zogen mit dem Spaten um sich einen Kreis auf dem Boden: Wer dem Bund beitreten wollte, begab sich in den Kreis.[4]

Abbildung 2: Würzburg, Schedelsche Weltchronik, 1493. Dieser Holzschnitt aus Hartmann Schedels berühmter Chronik zeigt den Marienberg, der die Stadt zu seinen Füßen beherrscht.

Stiefel waren das Symbol dieser Aufstände, die unter dem Namen »Bundschuh« geführt wurden. Der Name hatte eine doppelte Bedeutung: Einerseits verwies er auf den Bund zwischen Menschen (in dem sie »gebunden« waren), andererseits bezeichnete der Begriff »Bundschuh« einen einfachen Stiefel aus billigem Leder, der mit langen Lederschnüren am Bein befestigt war, wie ihn typischerweise Bauern trugen. Bundschuhe hatten nichts gemein mit den sagenhaft weichen Lederschuhen der Adeligen, die bis über das Knie reichten, ihren Trägern zu einem aufrechten Stand verhalfen und sie groß wirken ließen. Sie wurden von ungeschliffenen, derben Leuten getragen, es war einfachstes Schuhwerk, das keines Schusters Fertigkeiten bedurfte. Ein Illustrator brauchte auf einem Holzschnitt nur den bäuerlichen Schuh auf einer Fahne abzubilden, um seine Betrachter zu warnen, dass hier eine gefährlichen Gruppierung am Werk war. Nach den Aufständen in Kempten und Schlettstadt kam es 1502 im rechtsrheinischen Herrschaftsgebiet des Hochstifts Speyer zu einer Erhebung, die weit bedeutender war und vom gefürchteten Bauernrevolutionär Joß Fritz angeführt wurde. Dieser Aufstand hatte zudem eine religiöse Dimension, denn wer sich den Aufständischen anschloss, musste niederknien und fünf Vaterunser sowie fünf Ave Maria sprechen. Die Parole der Bundschuh-Verschwörer lautete: »Was ist euch für ein wesen?« Worauf die richtige Antwort lautete: »Wir mögen vor den pfaffen nicht genesen!« Frömmigkeit und tief verwurzelter Antiklerikalismus gingen Hand in Hand. [5]

Ein Jahrzehnt später war derselbe Joß Fritz an einer großen Verschwörung im Freiburger Umland beteiligt, die einen Aufstand im Breisgau für den Herbst 1513 vorbereitete. Die Fahne der Aufständischen war weiß und blau und zeigte auf der einen Seite den gekreuzigten Christus mit Maria und Johannes dem Täufer neben dem päpstlichen und dem kaiserlichen Hoheitszeichen sowie einen knienden Bauern – auf der anderen Seite war der Bundschuh abgebildet.[6] Die Aufständischen forderten das Recht auf Holz, Wald- und Wassernutzung, Vogel- und Fischfang sowie das Jagdrecht für Arme wie für Reiche. Sie verlangten eine Beschränkung der Einkünfte von Konventen und Klöstern, eine Begrenzung von Zinsen für Kredite, zudem sollte dem Hofgericht von Rottweil und der geistlichen Gerichtsbarkeit die Zuständigkeit für die Rechtsprechung über die Bauern entzogen werden, niemand außer Papst und Kaiser sollte über ihnen stehen. Die Pläne wurden verraten, doch bald darauf zettelte Joß eine andere Erhebung an und schuf dazu ein Netzwerk von Aufständischen, über das die Dörfer und Kleinstädte der Region miteinander verbunden waren.

Im selben Jahr schlossen sich Bauern im benachbarten Württemberg gegen ihren Herrscher Herzog Ulrich zusammen, der nach einem schlechten Erntejahr versucht hatte, die Steuern zu erhöhen. Als dies zu Protesten führte, griff er zu der Notlösung, bei gleichbleibenden Preisen die Maßgewichte zu reduzieren. Die Bauern hielten »Gericht« über das neue Gewicht, warfen es zur Wasserprobe in den Fluss, und als es sank, folgerten sie daraus, dass es unrechtmäßig war. Die Aufständischen nannten ihre Bewegung »Armer Konrad«, womit sie die herablassende Bezeichnung des Adels für das arme Volk zu ihrem Ehrenzeichen machten. Unterstützung erhielten sie von dem Marbacher Arzt Alexander Seitz, der 1514 zum Tode verurteilt wurde, dem jedoch die Flucht in die Schweiz gelang.[7]

Schätzungsweise 1700 Bauern wurden gefangen genommen und mussten stundenlang bei drückender Hitze genau dort ausharren, wo sie sich am Anfang unerlaubt versammelt hatten. Als schließlich die Fürsten erschienen, inszenierten diese einen »Schauprozess«. Auf Knien flehten die Bauern um Gnade, bis man sie unter der Bedingung freiließ, dass sie ihre Waffen ablieferten, vier ihrer »Anführer« wurden jedoch an Ort und Stelle enthauptet. In den folgenden Tagen fanden weitere Hinrichtungen in Kleinstädten statt (so wurden in Schorndorf der Kopf eines Enthaupteten am Stadtturm aufgespießt, und in Stuttgart wurden Enthauptungen auf dem Marktplatz vorgenommen).[8] Obwohl die Rebellion niedergeschlagen worden war, hatte sie gezeigt, wie ein Aufstand Bauern und Städter in Opposition zu den Herrschenden zusammenbringen konnte: Herzog Ulrich musste seine neuen Gewichte zurückziehen und wurde nur fünf Jahre später von den Truppen des Schwäbischen Bundes abgesetzt. In ihm hatten sich Fürsten, Städte und Bischöfe im Südwesten Deutschlands bereits 1488 politisch und militärisch organisiert.

Der unermüdliche Joß Fritz probte 1517 offenbar erneut den Aufstand, doch auch diese Revolte wurde vereitelt, bevor sie begann, wenngleich es der Obrigkeit nicht gelang, alle Verschwörer zu fassen. Man hätte meinen können, mit diesem neuerlichen Misserfolg sei wieder Stabilität eingekehrt. Die Obrigkeit allerdings glaubte offenbar, die Aufrührer würden von Bauern im Schwarzwald, in Württemberg und im Elsass unterstützt, eine Angst die möglicherweise eher die Anspannung der Obrigkeit widerspiegelte als eine ernste Bedrohung durch einen Aufstand. Die Aufständischen erkannten sich angeblich an einem Geheimzeichen, bei dem sie den Daumen mit der Faust umschlossen hielten und dabei nun als Losung ein vergnügtes und scheinbar unschuldiges »Das ist gut« sprachen. Obwohl die Aufstände nie besonders weit gediehen, schöpften die Bauern daraus möglicherweise Erfahrungen beim Aufbau von Netzwerken für die Organisation, Informationsbeschaffung und Unterstützung, was sich 1525 als sehr nützlich erwies.[9]

Zeitzeugen unter den Gegnern des »Armen Konrad« brachten diese Aufstände bald mit der Erhebung des Paukers von Niklashausen im Jahr 1476 in Verbindung. So Sebastian Brant, der die Selbstgefälligkeit des Paukers bereits 1494 in seinem humanistischen Klassiker Das Narrenschiff entlarvt hatte: Der Text enthält einen Abschnitt über die »Missachtung der Heiligen Schrift«, in dem niemand anderes als der »Sackpfiffer von Nickelshusen« mit seinen »kappel und klusen« (Kapellen und Klausen) verspottet wird. Laut Brant zählte er zu jener Sorte Narren, die die Heilige Schrift ignorierten, glaubten, dass die Toten Auskunft über das Leben im Jenseits gäben, und sich zu einer Autorität über Himmel und Hölle aufschwangen.[10] Brant assoziierte auf diese Weise die Bezeichnung »Narr«, den Missbrauch der Heiligen Schrift und die Erhebung der Landbevölkerung nicht nur mit Niklashausen, sondern ebenso mit den zeitgenössischen Bauernaufständen.

Es war ein fruchtbarer Brückenschlag. Einige Jahre nach Brants »Narrenschiff« (1506 und noch einmal 1514) verfasste der Geschichtsschreiber und Abt des Schottenklosters zu Würzburg Johannes Trithemius eine Geschichte der Bewegung von Niklashausen, in der er den Pauker und Schafhirten Behem zu einem Schweineknecht herabwürdigte. Ebenso bezeichnete er Behems Anhänger als »Narren« und stellte amüsiert fest, sie würden versuchen, an die Quasten seiner Kappe zu gelangen, um sie wie heilige Reliquien als Heilmittel zu benutzen. Nicht zufällig verfasste er diese Schriften in unruhigen Jahren, 1506 war es im Schwarzwald zu Aufständen gekommen, 1513 bis 1514 wurde Württemberg vom »Armen Konrad« erschüttert.

In diesen Aufständen und in der Reaktion darauf waren bereits Muster erkennbar, die zwölf Jahre später in Erscheinung traten. Schon in diesen Erhebungen, bei denen es vordergründig um die Not der Bauern ging, gelang es, eine Koalition zwischen der Stadtbevölkerung und der Landbevölkerung zu schmieden und Ligen zu bilden – Bündnisse, in denen man sich Treue schwor –, um die Zahl der Mitstreiter zu erhöhen. Ihre Fahnen waren oft religiös, zeigten insbesondere Maria, doch ebenso Christus, Johannes den Täufer und den Heiligen Georg. Der Schwarzwald, Württemberg und das Elsass gehörten zu jenen Gegenden, in denen die Aufständischen von 1525 Zulauf erhalten sollten.

Abbildung 3: Eine gereimte Flugschrift, die 1514 in Umlauf war und vom Schiff der Bundschuh-Narren handelte. Sie zeigt in einem Holzschnitt ein phantastisches, mit Narren beladenes Schiff, das auf zwei Paar Stiefeln steht, die in unterschiedliche Richtungen unterwegs sind.

Die Aufstände der Jahre 1524 und 1525 unterschieden sich von den vorausgegangenen vor allem durch das Ausmaß ihrer Ziele. Bis 1514 erhoben sich die Aufständischen gegen bestimmte Missbräuche und Abgaben, weniger gegen das System selbst. Viele dieser Erhebungen wurden erstickt, bevor sie richtig begannen. Es gab jede Menge Überläufer, die den Obrigkeiten Pläne verrieten, und es ist fraglich, wie weit die Unterstützung in der Bevölkerung wirklich reichte. Vielleicht entfaltete die Angst vor einem Aufstand tatsächlich mehr Kraft als der Aufstand selbst. Obwohl Religion eine wichtige Rolle spielte, waren diese Revolten ursprünglich nicht antiklerikal. In Württemberg richtete sich der »Arme Konrad« gegen Herzog Ulrich, nicht gegen die Kirche und eigentlich auch nicht gegen den Adel, außerdem gab es keine übergreifende theologische Begründung für die Erhebungen. Sie waren viel mehr auf einen geographischen Raum begrenzt. Im folgenden, vergleichsweise friedlichen Jahrzehnt hätten Beobachter meinen können, die Bauern seien erschöpft und hätten es aufgegeben, für ihre Anliegen zu kämpfen, da sie lieber gegen ihre Herren vor Gericht zogen, als dass sie einen Aufstand riskierten. Aber das sollte sich als Irrtum erweisen.

***

Aufgrund des Einflusses von Martin Luther, der beginnenden Reformation und des durch sie hervorgerufenen religiösen Eifers war der Bauernkrieg der Jahre 1524 und 1525 sowohl weitaus ernster als auch von deutlich größerer Tragweite als der vorausgegangene Aufstand des Bundschuhs. Von Anfang an heizten Luthers Ideen den Konflikt an. Seine Fünfundneunzig Thesen, die 1517 die Reformation auslösten, waren auf einem einzigen Blatt von etwa der Größe eines modernen DIN A3-Blatts gedruckt, sie konnten ebenso an Mauern wie an der Tür der Wittenberger Schlosskirche angebracht werden. Als Aufruf zur Buße griff Luther mit seinen Thesen Kirche und Papsttum an, die das Seelenheil verkauften und die Armen schröpften. Sie verbreiteten sich innerhalb weniger Wochen überall, und vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt, fand man sie bald in den Straßen Nürnbergs, wo jeder sie lesen konnte, auch ohne Kenntnis der lateinischen Sprache. Luthers Botschaft war ebenso erschütternd wie emanzipatorisch. Er bestand darauf, dass Christus nicht gekommen sei, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert, wie es das Matthäus-Evangelium (10, 34) ausdrückte: »Mögen daher all jene Propheten verschwinden, die zum Volk Christi sagen: ›Friede, Friede!, und ist doch nicht Friede‹ (Jer. 6:14).« Luther lobte diejenigen, die das Kreuz predigten.[11]

Die Fünfundneunzig Thesen waren nur der Anfang. 1520 schrieb Luther An den christlichen Adel deutscher Nation, eine gesalzene Polemik in Form eines Briefs, in dem er darlegte, was seine Ideen für eine säkulare Gesellschaft bedeuteten und was Laien nun tun sollten. Ohne Federlesens warf er eine Vielzahl von religiösen Vorschriften und altbewährten Wahrheiten über den Haufen und machte kurzen Prozess mit der Pilgerschaft, dem Heiligenkult und dem Klosterwesen. Und er forderte die Erlaubnis für Geistliche zu heiraten. Luthers Botschaft war damit nicht nur eine religiöse: Er übernahm und entwickelte Ideen aus der sozialen und politischen Kritik, die auf den Reichstagen geäußert worden waren, aus den sogenannten »Gravamina der deutschen Nation«, und er wandte sich auf Deutsch an das gemeine Volk. Ein vielleicht noch größeres Beben löste Luther im selben Jahr mit der auf Latein veröffentlichten Schrift Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche aus, in der er den Papst direkt als Antichrist angriff. Luther verkündete, Christus habe selbst darauf gedrängt, dass Laien die Kommunion in beiderlei Gestalt bekommen. Der Messwein sollte nicht länger allein der Geistlichkeit vorbehalten sein. Als unterhielte er sich mit dem Leser, erklärte er:

»Was mich aber am meisten bedrängt und mich ganz gefangenhält, ist, dass Christus sagt (Matth. 26, 28): ›Das ist mein Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.‹ Hier siehst du ganz klar, dass das Blut allen gegeben wird, für deren Sünde es vergossen ist. Wer darf aber sagen, dass es nicht für die Laien vergossen ist? Oder siehst du nicht, zu wem er redet, als er den Kelch gibt? Gibt er ihn nicht allen? Sagt er nicht, es sei für alle vergossen? Er sagt: ›Für euch!‹«[12]

Von 1520 stammt auch Luthers Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen. Weitaus kürzer und weniger polemisch als die beiden anderen Schriften, fand die ursprünglich auf Latein verfasste Schrift in ihrer von Luther selbst angefertigten deutschen Fassung weite Verbreitung, was ganz und gar beabsichtigt war, denn Luther verfasste sie für »die Ungebildeten – nur ihnen will ich dienen«. Sie beginnt mit einem Paradox:

»Eyn Christen mensch ist eyn freyer herr über alle ding und niemandt unterthan.

Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar Knecht aller ding und yderman unterthan.«

Schon die Begriffe, mit denen Luther diesen Widerspruch fasste, stachen hervor – ein Christ sei nicht nur frei, sondern Herr über alles: Luther benutzte hier also das Wort, das den Feudalherrn bezeichnete. Zugleich aber formulierte er, es sei die Pflicht eines Christen, jedem zu dienen, womit er den kirchlichen Prunk untergrub.[13]

Diese Druckschrift war explosiv, und der Hunger nach ihren Argumenten war so groß, dass sie zwischen 1520 und 1525 mindestens 19 Ausgaben in deutscher Sprache erlebte. Luther schreibt: »Die Seele hat kein anderes Ding weder im Himmel noch auf der Erde, worin sie lebt, fromm, frei und Christ ist. Diese eine Sache ist das Allerheiligste Wort Gottes, das Evangelium Christi, wie Christus es predigt.« Luther muss sich bewusst gewesen sein, dass er mit dem Feuer spielte, wenn er Worte wie »libertatem« (Freiheit) gebrauchte: Als die Bauern ihre Zwölf Artikel aufstellten, wurden ihre Forderungen als »Zwelff Artickel von chrystlicher freyheit« bekannt, und »Evangely, Evangely, Evangely« wurde ihr Mantra. Natürlich verstand Luther »Freiheit« im religiösen Sinn, doch selbst diese Forderung war aufrührerisch. [14]

Luthers Argument, dass der Messwein bei der Kommunion auch Laien ausgeschenkt werden solle, verstärkte die Wirkung der Freiheitsidee noch. Christus hatte unsere Freiheit mit seinem Blut erkauft, und ausgerechnet den Messwein hatte die Kirche Laien vorenthalten und nur an Geistliche ausgeschenkt. Da mit dem Fortschreiten der Reformation überall in Deutschland zunehmend evangelische Priester in Pfarrbezirken und Gemeinden ins Amt gerufen wurden, erhielten Laien zum ersten Mal bei der Kommunion Wein. Diese unerwartete und neue Erfahrung muss ihren Eindruck gefestigt haben, um genau das betrogen worden zu sein, womit ihre Freiheit erkauft worden war. Tatsächlich hatte Luther selbst in seinen frühen Schriften die religiösen mit weltlichen Reformen verbunden. Wenn die religiösen Stiftungen aufgelöst wurden, deren Vermögen auf dem Ablasshandel und auf der Lesung von Messen gründete, war plötzlich Geld verfügbar, ein Vermögen, das benutzt werden konnte, um die Armen zu unterstützen oder Schulen zu gründen. Soziale und religiöse Visionen von einer neuen Zukunft gingen also miteinander einher.

Abbildung 4: Titelblatt von Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen

1520 (hier die Ausgabe von 1523)

1521 wurde Luthers Reise zum Reichstag in Worms, wo er seine Werke vor dem Kaiser und den versammelten Reichsständen verteidigen wollte, mit dem Gang Christi nach Jerusalem verglichen. In einer Flugschrift war sogar von der »Passion« Luthers die Rede, illustriert mit einem Holzschnitt auf der Frontseite, der einen tapferen Mönch zeigte. Luther wurde zum Helden. So zeigte ein anderes Flugblatt, wie er es mit dem Papst, den Kardinälen und dem Kaiser aufnahm. Wie der evangelische Bauer wurde auch er als Kämpfer abgebildet. Die Nachrichten über diese Vorgänge verbreiteten sich in Gasthäusern, Ratssälen und Badehäusern, erreichten Lesekundige und des Lesens nicht Kundige gleichermaßen. Luther hatte von »Freiheit« geschrieben, und man konnte die Bauern wohl kaum beschuldigen, sie hätten ihn absichtlich missverstanden. In dieser Frühphase schien es, als könnte die Welt nach evangelischen Grundsätzen neu geordnet werden. Flugschriften, die für evangelische Bauern warben, wurden zusammen mit Luthers Werken verkauft, sie richteten sich an denselben Markt. Freiheit war ebenso eine säkulare wie eine religiöse Angelegenheit.[15]

In den frühen zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts begannen Luthers Anhänger, seine Ideen in vielen Städten und Dörfern im ganzen Reich zu verbreiten. Damit veränderte sich auch das Bild vom Bauern: War er kurz zuvor noch als Bedrohung angesehen worden, verkörperte er jetzt gleichermaßen Unschuld und Rechtschaffenheit. Als Luthers Unterstützer, der Reformator Andreas Karlstadt, den Vorrang der Heiligen Schrift gegenüber den päpstlichen Bullen und selbst den Beschlüssen der Konzile (bei denen alle katholischen Bischöfe vertreten waren) unterstrich, schloss er mit kühnem Schwung: »… ich sage, dass die biblische Schrift ein Generalkonzil übertrumpft, und wenn daher ein pflügender Bauer dem Konzil einen Ausschnitt aus der biblischen Schrift zeigen kann, der seine Aussage bestätigt und die des Konzils als böse ausweist, dann soll das Konzil dem Bauern weichen und sich richten nach der biblischen Schrift«.[16]

Die einfachen Menschen wurden ermutigt, die Bibel auf Deutsch zu lesen, jetzt hieß es, sie seien ebenso weise wie die an Universitäten ausgebildeten Theologen mit ihren haarspalterischen Belanglosigkeiten, wenn nicht sogar weiser. Karlstadt selbst gab seinen akademischen Titel auf, da er glaubte, solche Titel würden nur Neid und Spaltung nach sich ziehen, und er fing an, sich wie ein Bauer zu kleiden. Laien begannen Flugblätter mit Forderungen nach einem religiösen Wandel zu drucken, und »Reformationsdialoge«, in denen Bauern Mönche, Priester oder Akademiker überlisteten, wurden zu einer beliebten Gattung. Der Waldshuter Prediger Balthasar Hubmaier versicherte, wer nicht im Schweiß seines Angesichts sein Brot verdiene, der sei ausgeschlossen und auch der Speise unwürdig, die er isst. 1521 war Luther seiner ländlichen Herkunft nachgegangen und hatte auf dem Rückweg vom Reichstag in Worms seine Verwandten väterlicherseits in dem Dorf Möhra besucht. Anscheinend wollte jeder ein Bauer sein. [17]

1522 begann ein Bauer und Analphabet mit dem Namen Diepold Peringer aus dem Dorf Wöhrd das Evangelium zu predigen und zog damit eine große Zuhörerschaft an. Seine Predigten wurden gedruckt, und er wurde als Sensation angesehen, bald jedoch als abtrünniger Kleriker entlarvt, der mit Sicherheit lesen und schreiben konnte. Seine Geschichte verrät viel über die fiebrige Stimmung in den frühen 1520er Jahren, denn ein wundersamerweise predigender Bauer entsprach genau dem, wonach die Zeit verlangte. Seine Flugschriften waren gewöhnlich mit dem Bild eines kraftvoll dastehenden Mannes illustriert, der einen Bauernhut und Stiefel trug. Doch diese waren keine Bundschuhe, die am Bein geschnürt waren, sondern Stiefel von besserer Qualität und deshalb weniger bedrohlich. Selbst der Dolch, den er an der Seite trug, war nicht besorgniserregend. Er blickte dem Leser direkt ins Gesicht, als wollte er sich wie ein Christ an den anderen wenden. Mindestens fünfzig solcher Illustration sind erhalten geblieben und über dreißig Ausgaben von Peringers Schriften, die selbst dann noch beliebt waren, als die Identität ihres Autors aufgedeckt war. Der »evangelische Prediger« fand eine so breite Aufnahme, dass er sogar mit Luther konkurrierte, dessen Antlitz gleichfalls auf den Titeln vieler seiner frühen Werke abgebildet war. Bald erschien auf den reformatorischen Holzschnitten die Figur des »Karsthans«, eines predigenden Bauern, der es mit Bischöfen und Päpsten aufnehmen konnte. Kurz darauf tauchte sein Gegenstück im echten Leben auf, als 1523 im Elsass ein unter dem Namen »Karsthans« bekannter Wanderprediger die Bühne betrat, der angeblich die »Luthersche Opinion« predigte.[18]

Für kurze Zeit waren die Bauern auf einmal in Mode, wurden als Individuen mit eigenen Ansichten dargestellt statt als gesichtsloser, mit tierischen Attributen ausgestatteter Mob. In propagandistischen Holzschnitten für die Reformation wurden sie als wahre Verteidiger des Evangeliums gezeigt, hielten Bücher hoch und diskutierten mit Mönchen und Priestern (siehe als ein Beispiel Abb. 1 im Bildteil).

Auf den Verlauf des Bauernkriegs wirkte sich vor allem eine von Luthers Ideen aus. Er beharrte darauf, dass Priester keine separate Kaste seien, die durch das Weihesakrament gesegnet war und anders als Laien behandelt werden musste. Stattdessen legte er dar, dass jeder Gläubige ein Priester sei und dass die Gemeinde – und die Kirchengemeinde war zugleich auch die politische Gemeinde – ihre Priester berufen sollte. Solche Ideen waren brandgefährlich, denn in den 1520er Jahren war die Kirche im Deutschen Reich in ein komplexes System von Eigentumsrechten eingebunden. Ein ansässiger Pfarrer konnte durch eine ferne Herrschaft berufen werden, die zufällig die Pfründe besaß oder Einkünfte aus der Pfarrei beanspruchen konnte, den Ort aber vielleicht nie gesehen hatte.

Abbildung 5: Titelblatt von Diepold Peringer, Des Christlichen Pawern getrewer Rath, Nürnberg 1524

Abbildung 6: Titelblatt von Diepold Peringer, Ain Sermon geprediget vom Pawren zu Werdt, Augsburg 1524

Abbildung 7: Titelblatt von Diepold Peringer, Eyn Sermon geprediget vom Pauren zu Werd, Regensburg 1524

Abbildungen 5 bis 7: Die drei Holzschnitte zeigen den evangelischen Bauern. In seiner typischen Haltung und Kleidung ist er eine leicht wiederzuerkennende Figur.

Diese Konflikte spitzten sich im Herbst 1524 zu, die Menschen wollten, dass ihnen das Evangelium gepredigt werde. Priester, die diese neuen Ideen nicht unterstützten, wurden geschmäht, und die Kirchengemeinden hielten Ausschau nach »gottesfürchtigen« Predigern als Ersatz. Luther hatte ursprünglich verlangt, Kirchengemeinden sollten das Recht haben, ihre eigenen Pfarrer zu berufen, doch bald schränkte er ein, sie könnten dieses Privileg nur wahrnehmen, wenn sie die Mittel aufbrächten, ihren Geistlichen zu bezahlen. Luther wusste, wie unrealistisch sein Vorschlag war. Den Landgemeinden fehlte das Geld, um zur Finanzierung eines Pfarrers doppelt so viel wie bisher abzugeben, und es war ihnen nicht erlaubt, einfach einen weiteren Zehnten zu erheben. Sie hatten die Eigentumsrechte der Grundbesitzer zu respektieren und mussten mit dem auskommen, was sie hatten. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, dass der Landesherr selbst die Pfründe enteignet und eine Territorialkirche geschaffen hätte. Doch 1524 war eine solche Lösung nicht denkbar – nicht einmal Luthers eigener Landesherr hatte sich der Reformation angeschlossen. Auch Klöster, die einen lokalen Pfarrbezirk besaßen, hatten kein Interesse daran, evangelische Priester zuzulassen, und so war der Streit mit der von den neuen Ideen inspirierten Kirchengemeinde unvermeidbar. Vorerst gab es für Gemeinden, die Gottes Wort und das Evangelium hören wollten, keine Lösung.

Im Oktober 1524, unmittelbar nach den ersten Aufständen des Bauernkriegs, tauchte eine Flugschrift auf, angeblich der Arbeitsvertrag eines neuen Pfarrers in Wendelstein bei Schwabach. Respektlos, im lockeren »Du« formuliert, wurde ihm darin ohne Umschweife mitgeteilt: »So werden wir dich nicht als Herrn, sondern nur als einen Knecht und Diener der Gemeinde behandeln, weil du nicht uns, sondern wir dir zu gebieten haben.« In Nürnberg gedruckt, lieferte die Flugschrift eine Vorlage für einen neuartigen Vertrag, in dem der Pfarrer die Kirchengemeinde als Dienstherrn anerkennen musste. Die Flugschrift behauptete, die Anstellungsbedingungen für den neuen Pfarrer wiederzugeben, die die Gemeinde und der Dorfvorsteher den Schwabacher Amtmännern vorgelegt hatten, als hätte die Gemeinde unter Missachtung des rechtmäßigen Eigentümers der Pfründe oder überhaupt jeglicher politischer Autorität selbständig einen Vertrag aufgesetzt.[19]

Die Flugschrift war mit großer Wahrscheinlichkeit das Werk eines für die Reformation eintretenden Laien, der mit seinem Bruder, einem katholischen Geistlichen, in erbittertem Streit lag. Doch sie zeigte, wie weit eine Gemeinde gehen konnte, wenn sie beschloss, in Eigenverantwortung zu handeln. So begründete später die Gemeinde Seewen bei Solothurn die Aufwendungen für ihren Pfarrer: »Denn wir wollen, dass ein Pfarrer selbst ein angemessenes, anständiges Auskommen hat, damit er uns nicht mit einer Buhlerin auf der Tasche liegt wie bisher« (»wan wir welent, das ein lutpriester ein zimlich, erberlich uskumen selbander hab, nit das er ob uns lig zu gutzlen wie bisher«). Er sollte also genügend Geld bekommen, damit er eine ordentliche Ehefrau unterhalten konnte und nicht mit einer Konkubine leben musste; und sie waren bereit, das zu bezahlen. [20]

Luthers Beharren darauf, dass »Mönchtum« kein gutes Werk sei, war eine weitere durchschlagende Idee. Er unterschied nicht zwischen Ordensbrüdern und Mönchen, sondern neigte später eher dazu, sich über die schiere Vielfalt der verschiedenen Orden lustig zu machen. Beten und Meditieren oder das Verrichten der Stundengebete wurden nicht mehr als gute Werke erachtet, die Mönche im Dienst für die ganze Gesellschaft leisteten. Immer weniger Menschen fühlten sich zum Klosterleben berufen, und in den folgenden Jahren verließen viele Mönche, Nonnen und Ordensbrüder einfach ihre Klöster. 1521 zählte Andreas Karlstadt erstmals Gründe auf, warum nicht nur Priester, sondern auch Mönche ihr Keuschheitsgelübde brechen konnten, und bald folgte Luther seinem Beispiel. Als Luther von der Wartburg nach Wittenberg zurückkehrte, fand er ein leeres Kloster vor, in dem außer ihm nur noch ein anderer Mönch übrig war. Er selbst blieb noch eine Zeitlang Mönch, viele andere legten jedoch die Kutte ab. Im ganzen deutschen Reich verwaisten Klöster.[21]

Der Niedergang der Klöster und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung hatte sowohl in den Städten als auch auf dem Land, wo sie ausgedehnte Landstriche kontrollierten, weitreichende soziale und wirtschaftliche Folgen. Die Klöster besaßen eindrucksvolle Gebäude, Kornspeicher, Weinkeller, Teiche voller Fische, die in der Fastenzeit und an Freitagen gebraucht wurden, Bibliotheken und Archive. Sie verliehen Geld, vergrößerten ihren Landbesitz und hatten Grundbesitz in Städten, häufig an zentralen Orten. Mitten in Zwickau zeugte ein großer Wirtschaftshof vom Reichtum der Abtei Grünhain; in Heilbronn besaßen mehrere Abteien (von Kaisheim, Billigheim, Lichtenstern, Heiliggeist und Schöntal) sowie der Deutsche Orden und die Karmeliter Liegenschaften. Manche Klöster waren lokale Grundherren und hatten ihr eigenes System kirchlicher Gerichtsbarkeit. Viele regierten kleine ländliche Gebiete und waren rechtlich unabhängige Einheiten im politischen System des Reichs. Es gab über vierzig reichsunmittelbare Klöster, die direkt dem Kaiser unterstanden, und etliche weitere strebten danach, diesen Status zu erreichen. Die Ordensgemeinschaften waren insgesamt sehr unterschiedlich. Einige waren militärische Orden wie der Deutschherrenorden, dem sowohl Geistliche wie auch Ritter angehörten: Während der Kreuzzüge gegründet, handelte er weiterhin als kolonisierende Macht und machte sich die ansässige, »heidnische« Bevölkerung untertan. Zudem besaßen alle Orden ihre eigenen obrigkeitlichen Strukturen, die von der lokalen bis zur regionalen und überregionalen Ebene und auch über Landesgrenzen hinaus reichten.[22]

Für die Bauern, von denen viele Leibeigene von Bischöfen, Äbten, Klöstern und Ordensgemeinschaften waren, bedeutete dies, dass sie vor einer gänzlich neuen Situation standen: Ihre alten Klagen über die Herrschaft könnten plötzlich zum Erfolg führen. Es war ein Machtvakuum entstanden. Die verstreuten Gruppen von Mönchen, die trotz der Reformation weiter in den leeren Zellen ihrer Klostergebäude ausharrten, hatten einen Großteil ihres sozialen Status eingebüßt. Wenn ein Leben, das dem Gebet und der Meditation gewidmet war, zwecklos wurde, wenn Betteln und Armutsgelübde für wertlos erachtet wurden, welche soziale Funktion erfüllten Mönche und Nonnen dann noch?

Der Niedergang entfesselte einen tiefsitzenden Hass auf Mönche und Nonnen in diesen reichen Einrichtungen, die überall im Land verteilt und auf die Arbeit der ansässigen Bauern angewiesen waren. Sie waren die sichtbare Erinnerung an die Anhäufung von Reichtum und Macht, und beides konnte zu anderen Zwecken genutzt werden. Sie standen für Ungleichheit und Ausbeutung, zudem war ihre Frömmigkeit als religiöser Schwindel entlarvt. In wütenden Polemiken schürten auch ehemalige Mönche und vereinzelte Nonnen, die ihr früheres Leben und ihr einstiges Selbstbild nunmehr ablehnten, die antimonastische Haltung. Wenn ein Kloster die Patronatsrechte für eine örtliche Kirche besaß und sich weigerte, einen evangelischen Priester zu berufen oder das »Predigen des Evangeliums« einzuführen, verschmolz der Hass auf die Klöster mit dem evangelischen Eifer. Und in Städten mit Priestern, die aktiv die Reformation betrieben, war es einfach, Wut auf katholische Mönche zu entfachen, die nach der alten Doktrin predigten.

Religiöse und ökonomische Klagen ließen sich häufig nicht auseinanderhalten. Klöster belegten kostbare Grundstücke in Städten mit ihren oft markant gelegenen Zehntscheunen, wo sie das Korn einlagerten, während die Getreidepreise stiegen. Sie besaßen Kirchen und »Stadthäuser« und häuften Reichtümer an, die in den gedrängten städtischen Lebensräumen auffielen. Sie waren keine Bürger und zahlten daher keine Steuern und mussten keinen Wachdienst leisten. Auch ihre Erzeugnisse, Bier zum Beispiel, waren von Steuern befreit, was ihnen einen weiteren ökonomischen Vorteil verschaffte. In Zwickau wurde das in der Zisterzienserabtei Grünhain gebraute Bier im Wettbewerb mit lokalen Brauereien verkauft, so dass ihre imposanten städtischen Gebäude zum Ziel heftiger Angriffe wurden. In Heilbronn gehörte dem Deutschen Orden ein großes städtisches Anwesen mit zusätzlichen Außenstellen in näherer Umgebung, in Mühlhausen kontrollierte er die beiden größten Pfarrgemeinden und besaß ein vornehmes Stadthaus im Zentrum und ein weiteres in der Neustadt. Im Dezember 1523 verfolgten wutentbrannte, mit Messern bewaffnete Frauen in Mühlhausen den unglücklichen Priester Johannes Textor vom Deutschen Orden bis in die Kirche.[23]

Man sieht, die Forderung nach einem evangelischen Prediger konnte leicht in tätliche Angriffe auf Mönche und Klöster münden, denn mit deren verlockendem, offensichtlichem Reichtum hätten neue Vorhaben finanziert werden können, etwa in der Armenhilfe oder für Schulen. Während Luther sich auf der Wartburg versteckte, versuchten Karlstadt und andere 1522 in Wittenberg, einen Hilfsfond einzurichten, der verarmte Handwerker durch Mitgiften und Darlehen unterstützen sollte. Wie viele ehemalige Klostergebäude wurden auch die der Abtei Grünhain schließlich von der Stadt Zwickau übernommen und als neue Lateinschule genutzt. Angetrieben von der Verbitterung über die von den Klöstern angehäuften Reichtümer, konnte der Blick auf die sich bietenden Möglichkeiten zu radikalen Handlungen führen.

All diese Missstände und die daraus entspringenden Gefühle brachten 1524 das Fass zum Überlaufen. Dass sich ein Unheil ereignen würde, wenn 1524 die Planeten im Sternzeichen der Fische standen, war lange vorausgesagt worden. Der Astrologe Johann Virdung aus Hassfurt hatte in Flugschriften, die zahlreiche Neuauflagen erlebten, sintflutartige Überschwemmungen, Missernten, unreife Trauben, Streitigkeiten, Fluten, Krieg und Krankheiten vorausgesagt, die Christenheit würde sich spalten, die Geistlichkeit würde einen »Kelch des Jammers und der Bitterkeit« trinken müssen, und politische Katastrophen stünden ins Haus.[24]

Abbildung 8: Titelblatt von Leonhard Reynmann, Practica vber die grossen vnd mannigfeltigen Coniunction der Planeten …1524, Landshut 1523

Solche Ängste konnten schnell Befürchtungen wecken, die um ein mögliches Wiederaufflammen der Bauernunruhen kreisten, zumal in einer Zeit religiöser Umwälzungen. 1520 verfasste der Arzt Alexander Seitz, der 1514 die Bewegung des Armen Konrad unterstützt hatte, eine Flugschrift über die gefürchtete Konjunktion der Planeten. Als Absolvent der Universitäten von Padua und Tübingen war Seitz ein Humanist, der populäre medizinische Traktate schrieb, unübersehbar war aber auch seine gegen den Adel gerichtete Rhetorik. Wie »die Trompete oder die Flöte das Gemüt der Menschen deutlich bewegt und je nach Melodie Kriegswut oder Tanzlust weckt«, so würden die Planeten auch die Gemütslage der Menschen beeinflussen, schreibt er. Die kürzlich am Himmel über Wien gesichteten Zeichen, ein Kreuz in einem Rad oder der umgedrehte Regenbogen, kündigten schwere Zeiten an. Dann werde der »arme Mann« sich das Kreuz selbst aufladen, dabei trage er bereits den Großteil der Lasten, denn »was die Herren verlieren, das müssen die Armen erleiden«. Seitz’ Flugschrift war eine kaum verhüllte Anklage der bestehenden Herrschaft. Und er war nicht der Einzige, der die bösen Vorzeichen nicht einfach als Naturerscheinungen abtat, sondern mit der gesellschaftlichen Ordnung in Verbindung brachte. Etwas Schreckliches stand bevor, darin waren sich die Wahrsager einig, doch was? In einem Klima dumpfer Vorahnung wurde vielen Ereignissen eine größere Bedeutung zugemessen.[25]

Es brauchte ein Jahr, bis sich Seitz’ Deutung des Kreuzes im Rad erfüllte. Der Katholik Lorenz Fries begann seine kurz nach den Ereignissen aufgezeichnete gewaltige Chronik des Bauernkriegs mit den für 1524 vorausgesagten Fluten. Doch die Astronomen hatten, wie er festhielt, eine Sache falsch verstanden: Es war keine Flut von Wasser, sondern ein Strom von Blut, und allein in den deutschen Gebieten ertranken im Zeitraum von zehn Wochen in dieser Flut mehr als hunderttausend Menschen.[26]

Lange zuvor, während seiner Heidelberger Disputation im Jahr 1518, hatte ein finsterer junger Theologe Luther davor gewarnt, dass ihn die Bauern steinigen würden, wenn sie seine Ansichten hörten. Er ging davon aus, dass Bauern gesetzestreue Anhänger ihrer Herrschaften seien. Luther hatte die Warnung mit einem Lachen abgetan. Doch nun gab es immer wieder konservative Stimmen, die behaupteten, Luthers Ideen würden zu einer Revolution führen. Obwohl der Zusammenhang mit Luthers Gedanken nicht auf den ersten Blick einleuchtete, schienen die Ereignisse ihnen recht zu geben, als im Spätsommer und Herbst 1524 in der Schwarzwaldregion und in der Schweiz der Aufstand losbrach. [27]

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Im Herbst, der Jahreszeit, in der sich die Erde von der Sonne entfernt, wurden die langen Arbeitstage der Bauern kürzer. Da das landwirtschaftliche Jahr zu Ende ging, war es Zeit, Bilanz zu ziehen. Die Ernte war eingefahren, und ausnahmsweise war genug zu essen da. Die Erträge waren eingelagert und haltbar gemacht, das Heu war aufgestapelt, das Korn geschnitten, gedroschen und in die Scheunen verbracht, Ölsaaten waren gepresst, Gemüse eingelegt oder eingesalzen, Früchte getrocknet, gesalzen, in Sand oder Asche gelegt, Nüsse bevorratet worden. Die Böden wurden gepflügt und die Wintersaat wurde ausgesät. Man braute Bier, und die Traubenernte musste in Bottichen zertrampelt werden, um im Oktober – dem »Weinmonat« –Wein daraus zu keltern. Im Spätherbst musste das Vieh geschlachtet werden, das wegen Futtermangels im Winter nicht durchgefüttert werden konnte, das Fleisch wurde verkauft oder eingepökelt. Man sammelte Pilze und Beeren, trieb die Schweine in den Wald und ließ sie frei laufen, damit sie sich mit Eicheln mästeten. Der Herbst erforderte eine scharfe Wetterbeobachtung. Die Bauern mussten wissen, wie lange die Trauben in den letzten Sonnenstrahlen nachreifen konnten, bevor man sie erntete, wann der Regen einsetzte und das Getreide im Trockenen sein musste, wann mit Schnee zu rechnen und keine Feldarbeit mehr möglich war.